Kitabı oku: «Unerfüllte Träume einer jungen Liebe», sayfa 7
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Der Verlorene am Piz Bianco
Über den Berggipfeln war Ruh und der Mond zog oberhalb der Berninagruppe seine Bahn. Am Firmament glitzerte das Mondlicht silberhell jenseits des Biancogrates, um eine verlassene, verlorene und einsame, männliche Gestalt zu bescheinen. Mühsam kämpfte der Mann sich den steilen Weg hinauf. Ohne Steigeisen und Pickel, weder mit einem Seil noch mit Eishaken oder sonstiger Kletterausrüstung stieg er mühselig weiter bergan, um auf den Gipfel des Piz Bianco beziehungsweise den des Piz Bernina zu gelangen. Hinter ihm waren die Männer des Schweizer Bundesheeres, einer Spezialeinheit der Heeresbergführer, die ihn jagten. Er war der Kapuzenmann, der an der Diavolezza Bergstation entwischt war, als man im Begriff war, die Bande zu verhaften. Stunden hatte er gebraucht, bis er hier oben mitten auf dem Grat den Steig zum Gipfel des Piz Bianco erstiegen hatte. Gegen die Steilheit dieses Berggrates ankämpfend, der sich dann als Himmelsleiter entpuppte, schob er sich diesem weißen Berg entgegen: 3995 Meter war der Berg des Grates hoch. Sein Ziel war die Marco e Rosa-Hütte des C.A.I Sondrio. Aber bis dahin hatte er noch einen weiten Weg vor sich: Er musste den Hauptgipfel, den Piz Bernina, den einzige Viertausender der Ostalpen, ersteigen, aber nicht nur den, denn dann ging es über den Piz Alv und ein Stück über den Spallagrat hinunter und über Schneefelder und Spalten zur italienischen Hütte. Dass der Flüchtling über diese besagten Gipfel musste, das wusste er nicht. Hätte er es gewusst, er wäre mit Sicherheit nicht auf diese Himmelstreppe gestiegen. Es war ein Höllentrip und sein Wille war es, zu überleben. Aber das wäre nur möglich gewesen, wenn er wie ein Bergsteiger eine spezielle Ausrüstung dabei gehabt hätte. Da half auch kein Spezialtraining in den Anden. Er war am Ende seiner Kräfte, seine Lungen schmerzten, sein Atem ging schwerer. „Nur einmal kurz hinsetzen, ausruhen, ich kann nicht mehr“, dachte er bei sich. „Sollen sie mich doch finden.“ Es war aussichtslos. Mitten auf dem Grat des Piz Bianco fiel er auf die Knie und krabbelte auf allen vieren bis zum Beginn der Felsen empor. Dort ließ er sich erschöpft nieder und schloss die Augen. Sein Herz raste, sein Kopf dröhnte, er sah nichts mehr, die Schneeblindheit hatte seine Augen erfasst. Sein Weg des Lebens war hier und jetzt zu Ende.
Am nächsten Morgen fand ihn Uerli, der Pilot, mit dem Helikopter. Uerli war mit dem Heli von der Basis Air Pontresina aus aufgestiegen, um nach ihm zu suchen. Er gab die Meldung durch, dass der Gesuchte gefunden worden war.
Bei Urs Sutter klingelte an diesem Morgen, als er beim Frühstück saß, das Telefon. Schimpfend stand er auf und meldete sich.
„Hallo Urs, hier ischt Uerli. Bin mit dem Hubschrauber uffgestiege. Han den Vermissten gefunde am Biancograt. Er ischt erfrore und net mehr weiterkumme, der Kollege von der Air Base soll ihn mit der Seilwinde heruffhole. Aber den Doktor müsset ihr mitbringe, um zu schaue, ob er noch am Läbe ischt, die Vorschrift halt, Urs.“
„Hab verstande, Uerli!“, antwortete Urs.
„Bischt so guet, Urs, und gebest Bescheid fürs Gelinge.“
„Ischt in Ordnung, Uerli. Salü!“ Urs legte den Hörer auf. Er machte sich ein paar Notizen und ging wieder frühstücken. Es war noch sehr früh am Morgen, alle andern schliefen noch. Laut gähnte er und dachte bei sich: „Junge, du kannst noch ein paar Stunden auf der Couch ausruhen.“ Gedacht, getan. Er ließ sich nieder und es dauerte keine Viertelstunde, da hatte ihn die Müdigkeit überwältigt.
Ursula hatte gut geschlafen. Leise zog sie ihren Trainingsanzug an und schlich aus dem Zimmer. Geräuschlos stieg sie die Treppe hinab, huschte zur Haustüre hinaus und begab sich im Dauerlauf hinunter zum Diavolezza-See. Sie drehte zuerst eine langsame Runde, machte Lockerungsübungen und merkte bald, dass man in dieser Höhe alles etwas ruhiger angehen musste. Ihr Atem wurde kürzer, sie spürte ihre Lungen beim Luftholen. Nach der zweiten Runde um den See lief sie zurück zur Berghütte. Als sie gerade an der Türe war, wurde diese geöffnet und Diether trat heraus – im Jogginganzug. „Warst du schon oder läufst du noch?“, fragte er lachend.
„Ich war zwar schon, doch eine See-Umrundung laufe ich noch mit“, sagte sie grinsend.
Es wurden dann doch noch ein paar Runden mehr daraus. Erschöpft kehrten sie schließlich zur Jagdhütte zurück. „Man glaubt es kaum, aber in zweitausend Metern Höhe ist Laufen anstrengend, gell Schatz?“, meinte Diether schnaufend. Lachend gingen sie ins Haus. In der Berghütte war alles ruhig. Die Herrschaften schliefen wohl noch. Stillschweigend stiegen sie die Treppe empor in den ersten Stock. Ulli verschwand ins kleine Bad und Diether ins größere für Buben. Dann aber kam Uschi eine Idee. Sie klopfte an die Türe, hinter der ihr Freund verschwunden war, und rief leise: „Diether, kimm außer, wir gehen ins Schwimmbad!“
Er öffnete die Badtüre und fragte verwundert: „Wie, was Hallenbad?“
„Du Spökenkieker, hier unter dem Wintergarten ist doch auch eines, genau wie im Chalet Resi.“
„Wenn das so ist, hole ich die Badehose.“
„Und ich meinen Badeanzug“, kicherte Ulli. „Übrigens, Badetücher sind auch da.“ Eilig liefen sie mit den Badesachen in den Händen die Treppe hinab. Beide erreichten die kleine Pforte des Tropengartenhauses und die verborgene Eingangstüre zum Pool. Doch da wurde die kleine Türe wie von Geisterhand geöffnet und Urs erschien in ihrem Rahmen. Unvermittelt standen sie voreinander und drängten sich gegenseitig ins Innere des Schwimmbades. „Nanu, Urs, du hier, ich habe dich doch noch gerade auf dem Sofa liegen sehen, bevor ich zum See joggen ging? Du hast geschnarcht wie ein Holzknecht“, sprach Uschi verschmitzt.
„Drum bin ich ja hier, um wieder klar denken zu können. Aber es ist kein Wasser da! Ihr könnt nicht schwimmen, nur auf dem Trocknen“, erklärte er.
„Och nee, du bist doch vor ein paar Tagen selbst noch drin gewesen, als ich dich gerufen habe“, antwortete Ulli erstaunt. „Dös gibt’s net, Urs. Lass schauen, ich weiß, dass du flunkerst wie eine Eins!“ Da drehte er sich etwas zur Seite und Uschi erkannte ihre Patentante, die im Wasser des Bassins ohne Badeanzug genüsslich ihre Bahnen zog.
Daraufhin ergriff Ulli energisch Diethers Hand und zog ihn vom Eingang weg in den Wintergarten hinein. Dort berichtete sie atemlos: „Du, Großer, wir können nicht ins Becken, Mariele schwimmt dort ohne Bikini herum, verstehst du jetzt, warum kein Wasser im Schwimmbad war.“
„Dieser Gauner, ich fasse es nicht, dieser Schlawiner, Ulli.“ Er musste über Urs List laut lachen.
„Kimm Bub, dann gehen wir halt ins obere, große Bad und setzen uns mit dem Badedress in die Wanne.“ Sie gingen die Treppe nach oben ins salle de bain, zogen ihre Badesachen an und machten es sich in der Wanne gemütlich. Dort kuschelten sie sich aneinander und ließen sich von dem einlaufenden Wasser massieren. Diese Massage regte nicht nur den Kreislauf an, sondern erregte bei beiden auch gewisse andere Körperteile. Diether küsste Ulli mehrmals und das entflammte sie noch mehr. Dass das sprudelnde Nass so eine Wirkung bei ihnen auslöste, hätten sie nicht für möglich gehalten. Bei Diether hatte es eine Erektion verursacht und bei Ulli den Höhepunkt. Diether küsste sie abermals liebevoll und hielt sie fest in seinen Armen. Dabei meinte er heiser: „Du, Uschilein, deine Tante macht mich einen Kopf kürzer, wenn sie das erfährt.“
„Das wird niemand erfahren, Schatz“, sagte sie, langsam wieder zu Atem kommend, an seiner Schulter.
„Es war halt nur, wie die Amerikaner sagen, ein Petting bei verliebten Paaren, die das Äußerste noch nicht wollen.“
„Du hast recht, Liebes, was anderes haben wir auch nicht getan. Da können wir später einmal drüber reden, okay?“, meinte Diether zärtlich zu ihr.
„Wo du recht hast, hast du recht.“ Sie stiegen aus dem kleinen Wasserbecken und trockneten sich ab. Ulli ließ das verbrauchte Wasser ab und spülte das Sitzbecken tüchtig mit dem Brausekopf aus. Nun war alles wieder blitzblank.
Uschi verschwand hinter dem Paravent, um sich fertig abzutrocknen. Hinterher schlang sie sich ein Badetuch über den Busen und kam hinter dem Ankleideständer hervor. Diether hatte sich der nassen Schwimmshorts entledigt, um sich trocken zu rubbeln. Er wickelte sich ebenso ins Badelaken ein und band es über der Hüfte zusammen. „Kimm, Kleines, du kannst in die Stube gehen und dich fertig ankleiden, ich ziehe mich im Bad an, da meine Sachen dort auf dem Bügel hängen.“
„Ist in Ordnung, Großer, danach können wir frühstücken. Unten läuft schon der Kaffee durch die Maschine.“ Uschi lief in ihr Stüberl und kleidete sich eilig an. Dann schritt sie die Treppe hinab und traf in der Küche ihre Patentante.
„Guten Morgen, Mariele, hast du gut geschlafen?“
„Ach, Ulli, du bist’s. Gut geruht, würde ich eher sagen als geschlummert, denn Urs hat vom Alkohol so geschnarcht. Zum Glück musste er früh aufstehen.“
„Das habe ich heute Morgen in aller Herrgottsfrühe gehört und gesehen. Diether und ich waren laufen, zuerst bin ich alleine unterwegs. Nach der zweiten Runde um den See wollte ich zur Türe herein, da erschien Diether auf der Bildfläche und ich bin ein drittes Mal mitgelaufen. Anschließend beabsichtigten wir, ins kühle Nass zu springen und ins Hallenbad zu gehen. Aber da hatte jemand den Stöpsel herausgezogen.“ Marie-Theres wurde dunkelrot vor Verlegenheit, sagte aber nichts dazu. Dafür fuhr Uschi fort: „Nur merkwürdig, dass ich eine nackte Nixe wahrgenommen habe, die munter ihre Runden im Wasser schwamm, doch nicht auf dem Trockenen, wie Urs es uns weismachen wollte.“
Mariele prustete los, sie konnte vor lauter Lachen nicht antworten. Uschi erging es nicht anders und sie lachte mit. „Mir war klar, dass Diether dich nicht so erblicken sollte, stimmt’s?“
„Genau, Urs musste ja was einfallen, und da ist ihm das mit dem leeren Becken eingefallen. War doch clever von ihm, oder?“
„Sehr ehrenhaft, und wir sind drauf reingefallen. So sind wir halt in der Wanne gelandet und haben uns wunderbar massieren lassen, das Gefühl war traumhaft“, erwiderte Uschi freudig und merkte, dass sie dabei rot wurde. Sie musste aufpassen, sonst würde sie sich noch verplappern. Nur nicht mehr daran denken!
Fee gesellte sich zu den beiden. Diether und Urs hatten sich schon an den gedeckten Tisch ins Esszimmer gesetzt, während Ursula und die Baronin sich noch in der Küche unterhalten hatten. Die Gräfin wünschte darum einen guten Morgen. „Hallo Mariele, ma chère, alles gut?“
„Oui, ma chère Fee“, antwortete die Baronin.
„Ursula, ma petite, du warst aber schon früh auf, n’est-ce pas? Bist du joggen gegangen mit deinem chèr ami? War aber bestimmt il fait une froid de canard draußen, ma chère, oder nicht? Brrr! Ich könnte nicht so früh aufstehen und um den Lac Diavolezza laufen. Non il fait froid, comprennent, mes amie?“
„Ich weiß, Feelein, du liebst die Wärme. Komm mit zum Vespern, die Mannsbilder hocken schon eine ganze Weile da. Nehmt ihr zwei bitte die Tabletts in die Hand, dann wäre alles soweit fertig und wir können mit dem Frühstück beginnen“, bemerkte Mariele gelassen. Dann setzten sich die drei Damen zu den Herren an die Tafel. Dabei ließen sich alle das opulente Mahl gut schmecken. Nach der Morgenmahlzeit brachen Diether und Ulli zu einer Wanderung zum Munt Pers auf.
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Eine Bergtour zum Munt Pers
Die beiden hatten ihre Bergsteigerkluft angezogen. Diether nahm außerdem einige Reepschnüre mit und sie zogen für alle Fälle einen Klettergurt an. Dabei befestigte Diether bei Ulli und sich selbst einen Schraubkarabiner. Sie nahmen auch die Skistöcke von Urs mit, denn damit konnten sie besser über den Felsenweg aufsteigen.
Beide traten ins helle Morgenlicht. Wie ein Silberberg sah der eisgepanzerte Piz Palü mit seinen drei gipfelartigen Pfeilern in der Morgenhelle aus. Ein wahres Eldorado für den Kletterer Diether. Uschi schaute ihn mit liebevollem Blick an, den er ebenso zärtlich erwiderte. Als ob er sagen wollte: „Schau Schatz, dafür lohnt es sich, auf diese Bergspitzen zu klettern, und das ist der Grund, warum ich es tue.“
„Kleines, was hältst du vom Biancograt am Piz Bernina?“, fragte er sie nun aufmunternd. Uschi schaute auf diese ausgeprägte Himmelsleiter, wie ihr Bergkamerad aus München diesen Grat respektvoll betitelte, ehe sie Diether eine Antwort gab. „Wenn ich mit dir dort hinaufsteigen sollte, dann nur mit Urs als Bergführer. Denn der kennt den Grat wie seine Westentasche. Außerdem ist er Heeresbergführer der Schweizer Armee.“
Da ihr Weg zwischen Talstation und dem oberen Berninatal lag, das heißt in der Nähe des Diavolezza-Sees, stiegen sie zu Fuß auf dem parallel laufenden Steig in einer Dreiviertelstunde zur Diavolezza-Hütte auf. Der Aufstiegsweg, der im oberen Teil stellenweise über Firn führte, war riskant, deswegen auch die Mitnahme der Reepschnüre. Den Pickel hatte Diether wohlweislich am Rucksack festgemacht, falls dieser Weg ihnen gefährlich werden sollte. Die Höhe betrug hier oben an der Diavolezza-Hütte stolze 2973 Meter. Von dort folgten sie dem gut angelegten Weg. Sie wanderten immer südlich unter dem Grat zum weit zurückliegenden Gipfel des Munt Pers, der 3207 Meter hoch war. Ein grandioser Ausblick! Zwei Stunden lagen hinter ihnen, sie waren oben angelangt. Man schaute auf den Morteratschgletscher und auf die umliegenden Bergriesen. Um eine Zeit lang oben zu verweilen, suchten sie sich einen windgeschützten Platz. „Berg Heil, Uschilein“, „Berg Heil, Dietherle“, wünschten sie sich gegenseitig. Und dann bekam er seinen wohlverdienten Gipfelkuss.
Der Munt Pers war ein Aussichtsbalkon für das Morteratschgebiet. Man hatte den schönsten Ausblick in den nahen Tschierva-Kessel und sah den Piz Tschierva, einen Gipfel, den man ohne große Schwierigkeiten besteigen konnte. Uschi las gerade aus dem Berg- und Kletterführer von Walther Flaig vor und erzählte Diether, was der Autor darin aufgezeichnet hatte. Er bezeichnete die Berninagruppe als Festsaal der Alpen. „Meinst du, Großer, wenn wir einige kleinere Besteigungen in Erwägung ziehen, dass das nicht Training für den Biancograt wäre?“, fragte Uschi nachdenklich.
„Ja, das wird schon so sein, Liebes, denn dies sind ringsumher allesamt Dreitausender, der Piz Bernina ist der einzige Viertausender der Ostalpen. Natürlich wäre das für dich und mich ein absolutes Training für diesen Berggipfel“, erklärte Diether ernst.
Sie packten ihre Sachen zusammen und nahmen Abschied vom Gipfel des Munt Pers. Langsam schritten sie bergab, die Skistöcke waren dabei eine große Hilfe. Nach einer Stunde Gehzeit kamen sie wieder bei der Bergstation der Diavolezza an, weiter verlief der Steig abwärts. So, wie sie heraufgestiegen waren, kehrten sie zur Berghütte zurück. Sie hatten eine wunderbare Bergfahrt erlebt, an die sie sich sicher noch lange erinnern würden.
Frohgemut kamen sie in der Jagdhütte an. Mariele trafen sie in der Diele. Die freute sich, dass die jungen Leute wohlbehalten ihre Tour beendet hatten. Urs kam hinzu und fragte sie, wie ihnen die Route am Munt Pers gefallen habe.
„Man kann sie gut gehen, es ist heuer wenig Schnee dort oben. Und es ist ein großartiger Aussichtsberg in der Berninagruppe“, berichtete Diether.
„Weißt Urs, diese Dreitausender, die hier rundum in dieser Berggruppe stehen, sind ja die reinsten Übungsberge für den Biancograt, meinst du nicht auch?“, fragte Ulli neugierig.
„Da kannst du recht haben, Mädel, denn dieser Grat hat es in sich und man muss eine gute Kondition haben, Prinzessin, um diese lange Route zu bewältigen. Denn nach dem Eisgrat kommt der Gipfel des Piz Bianco zuerst, dann ein Felsengrat, der auf den Piz Bernina führt“, erklärte Urs den aufmerksam zuhörenden jungen Leuten. „Wenn ihr noch mehr über diesen Berg hören wollt, dann erkläre ich euch die Normal-Route auf diesen wunderbaren Gipfel.“
„Wäre schön, wenn du uns etwas mehr darüber berichten würdest, Urs“, bat Diether den Freund.
„Gut, setzt euch mal in Ruhe hin, dann erzähle ich euch Näheres über die Besteigung des einzigen Viertausender der Ostalpen. Meine erste Frage an dich, Diether, warst du schon oben?“
„Nein, bis jetzt bin ich noch nicht auf dem Gipfel gewesen, nur auf den Piz Palü“, erklärte Diether.
Urs fuhr mit seiner Erzählung fort: „Um 3 Uhr morgens geht es mit der Stirnlampe am Helm von der Tschierva-Hütte weg in die Felsen. Es ist besser, so früh am Morgen aufzubrechen. Zu einem späteren Zeitpunkt sind Karawanen von Menschen unterwegs und treten die sonst noch gefrorenen Steine los. Frühmorgens ist noch alles festgefroren und es gibt weniger Steinschlag. Oben in der Scharte der Fuorcla fängt der Grat an, dann steigst du in den Himmel. Unter dem Wächtengrat kletterst du bis zur ersten geraden Stelle, dann wechselt die Gratseite, einmal rechts, dann auf den linken Grat, dann ein erneuter Aufschwung. Es ist ein Auf und Ab bis zum Piz Bianco. Als Nächstes kommt der Felsengrat mit verschiedenen Felstürmchen, manche werden umgangen oder man muss dazwischen durchsteigen. Wieder andere werden umklettert, dahinter begangen oder auch davor überklettert. Geradeso, wie die Route auf den Piz Bernina verläuft, kommt der Gipfel in Sicht, die Luft wird knapper, der Atem wird kürzer, sobald man in die Viertausender-Zone kommt. Dann stehst du plötzlich auf dem Gipfel. Erschöpft, aber glücklich. Es wird eine Pause eingelegt, um neue Energien zu tanken. Du kannst den gleichen Weg zurück, doch wegen der vielen Nachfolger, denen du ausweichen musst, ist es besser, wenn man den leichteren Abstieg über den Spallagrat des Piz Scerscen hinuntersteigt. So kommt man in den Bereich der Marco e Rosa-Hütte. Es ist es am besten, dort einzukehren und ein bis zwei Tage auf dieser Hütte zu übernachten. Dann verkraftet man diese lange Bergtour gesundheitlich besser“, berichtete Urs den beiden, die gespannt zugehört hatten. Nach Abschluss dieser Erzählung läutete das Telefon in Urs Büro. Ärgerlich ob dieser Störung nahm er den Hörer ab und meldete sich: „Hier Leutnant Sutter!“
„Hier ischt Uerli Unterwalden. Urs, wie hätt ihn uffgenommen und mit dem Heli abgefloge zur Air Base nach Pontresina. Er war fescht gefrore, so kalt ischt es oben gewese. Du muscht ihn noch angucke, dann geht’s nunter ins Spital und zum Pathologen in die Pathologie, hoascht verstande?“
„Jo i hab verstande, Uerli, bis gleich uff der Basis, salü!“ Urs legte den Hörer auf und zog seine Uniformjacke an. Er sagte mit einem Kuss Lebewohl zu Mariele, drückte Ulli an sich und gab Diether die Hand. Zuletzt kam Fee an die Reihe und er sagte zu ihr: „Du kannst die drei mit ins Fextal nehmen, die Gefahr ist vorbei!“ Vor Freude küsste ihn Felicitas, sie juchzte laut auf.
„Mei, Urs, was ist passiert?“, ließ sich die Baronin vernehmen.
„Wir bargen einen Toten am Biancograt, der zweite Mann, er wollte mit Sicherheit zur Marco e Rosa-Hütte. Er hat es ohne Hilfsmittel nicht geschafft, deswegen muss ich mich sputen. Uerli holt mich mit dem Heli oben an der Bergstation ab. Wir fliegen erst nach Chur und dann nach Bern ins Hauptquartier, Meldung machen. Mein Schatz, ihr könnt also wirklich alle mit Fee ins Fextal und im Chalet Paradiso die Ferien vollenden. Ihr könnt meinen Landrover nehmen. Wenn ihr dorthin fahrt, bitte die Hütte abschließen und sichern und den Schlüssel mitnehmen. Ist alles klar? Dann gute Fahrt ihr Lieben, salü Schatz, Kusshand Prinzessin, Diether, mach es gut, Fee, pass auf sie auf.“
„Au revoir, mon ami“, rief Felicitas hinter ihm her.
Und fort war er! Er hinterließ ein verdattertes Mariele, eine traurige Uschi und einen erstaunten Diether. Die Gräfin aber war glücklich, dass es zurück ins Tal ging. Dort konnte sie nach Herzenslust ihre Freunde verwöhnen. Diether war perplex über den abrupten Abschied seines neuen Freundes. Mariele bemerkte Diethers Enttäuschung und sprach: „Nun gut, so ist er eben, die Pflicht kommt für ihn immer an erster Stelle. Diether, ich muss Sie nun etwas Wichtiges fragen: Meinen Sie es Ernst mit meinem Patenkind Ursula?“
Diether stand plötzlich auf, schaute die Baronin traurig an und fragte sie: „Wie können Sie mir so eine Frage stellen?“
Uschi schaute ihre Patentante ganz konsterniert an und blickte voller Entsetzen von einem zum anderen. „Warum fragst du das, Mariele?“
„Weil wir alle vier noch heute ins Fextal übersiedeln. Felicitas wird froh sein, wenn sie wieder zu Hause ist. Diether, haben Sie noch Semesterferien?“
„Ja, noch bis Mitte Oktober, dann muss ich zurück nach Wien. Frau Baronin, mein Auto steht immer noch in Chräbel an der Talstation der Rigi Scheidegg.“
„Es wird kein Problem sein, Ihren Wagen hierher zu bekommen. Ich schicke Klaus Andermatten dorthin, der wird den PKW ins Fextal bringen lassen, denn dort dürfen nur Autos hineinfahren, welche einen gültigen Fahrausweis für dieses Tal besitzen. Dort wohnen im Sommer etwa hundert Menschen, die ein Ferienhaus besitzen wie Fee. Sollten Sie aber nicht mitfahren wollen oder können, muss ich annehmen, dass Sie es nicht ernst mit meinem Mündel meinen“, äußerte sich die Baronin.
Diether war schockiert. Dass sie ihn nur auf die Probe stellen wollte, wusste er nicht. Darum antwortete er etwas ärgerlich: „Zweifeln Sie an meiner Ehrlichkeit? Sehe ich aus wie ein Betrüger oder wie ein Schwindler oder vielleicht gar ein Schnorrer, der sich hier nur satt essen wollte? Habe ich mein Wort gebrochen oder habe ich Ulli schlecht behandelt? Bekommen Sie jetzt Gewissensbisse, dass Sie mich eingeladen haben?“
„Sag amoal, Mariele, bist narrisch g’worden, so mit Diether zu reden oder bist du wütend, dass Urs abgehauen ist und zur Einheit zurück musste? Ja Kruzifix, halleluja, was fallt dir denn auf einmal ein, mit meinem zukünftigen Mann so zu reden! Das heißt, wenn er mich nach dieser Anschuldigung überhaupt noch will. Auch wenn ich erst sechzehn Jahre alt bin, weiß ich doch schon, ob ich mit meiner großen Liebe zusammenbleiben will oder net. Du hast wohl vergessen, dass deine liebe Freundin Pia von Hartenstein, meine Mutter, als sie so alt war wie ich jetzt, meinen Vater kennengelernt hat. Das war, so weit ich mich erinnern kann, auch Liebe auf den ersten Blick, das weiß ich von Großmama von Giebel, die mir das alles erzählt hat. Herrschaftszeiten noch amoal, dös musst nun amoal gesagt sein“, schimpfte Uschi empört. Sie stand sogar auf, platzierte sich hinter Diethers Stuhl, legte beide Hände auf seine Schultern und sagte feierlich: „Wir bleiben zusammen, gell, Dietherle, nichts wird uns trennen.“
„Es sei denn, Frau Baronin, mir passiert ein Unglück in den Bergen, dann kann ich mein Versprechen nicht einlösen, denn das ist höhere Gewalt. Mein Wort halte ich trotzdem, wir Bergsteiger haben ja einen besonderen Schutzengel, gell, Schatz“, erklärte er, nahm Ullis Hände und küsste sie zärtlich.
„Ist recht so, das wollte ich nur von euch hören. Ich war nicht besonders nett zu Ihnen, Diether, aber ich habe Sie auf die Probe stellen wollen, um herauszufinden, wie ernst Sie es mit Ursula meinen.“
Diether wurde rot. „S…Sie h…haben mich nur auf die Probe gestellt? Und ich bin darauf reingefallen, dabei hätte ich das eigentlich wissen müssen“, grinste Diether wieder versöhnt. Mariele hatte keinen Zweifel mehr an der Aufrichtigkeit von Diethers Worten.