Kitabı oku: «Auf lange Sicht (E-Book)», sayfa 2
Was, wenn nur Frauen abstimmten?
Marie-José Kolly, Olivia Kühni
Publiziert am 08.02.2021
6 Minuten
Frauen stimmen anders als Männer. Das ist einer der Gründe, weshalb man sie möglichst lange von der Urne fernhielt.
POLITIK
Kurz bevor die Schweizer Männer den Frauen vor 50 Jahren endlich den Weg an die Urnen freimachten, musste die Landesregierung noch einen Zweifel ausräumen: Nein, die Frauen bringen nicht den Sozialismus über das Land.
Ganz so direkt sagte das der Bundesrat nicht. Wohl aber fühlte er sich verpflichtet, Zweifeln an der ideologischen Standfestigkeit der Frauen entgegenzuwirken: Frauen seien nicht in Gefahr, «extreme Parteien zu begünstigen» und «kritiklos ideale Zwecke mit untauglichen Mitteln verfolgen zu helfen», wie es 1969 in seiner Botschaft zur Abstimmung heisst. Mitten im Kalten Krieg fürchteten konservative Parteien und auch einzelne bürgerliche Frauenvereine, die Frauen könnten, kaum hätten sie das Stimmrecht, sozialistischen Anliegen zum Durchbruch verhelfen. Die Angst vor den Bolschewiken war vor allem ab den 1960ern eine der Hauptrechtfertigungen, um den Frauen das Stimmrecht zu verweigern.
Nun, den Sozialismus brachten die Frauen offensichtlich nicht. Die Gegner lagen mit ihrer Intuition indes nicht komplett falsch.
Für mehr Umweltschutz – gegen Waffen
Tatsächlich stimmen Frauen in der Mehrheit deutlich linker und grüner ab als Männer – und prägen so die Politik des Landes. Um das sichtbar zu machen, lassen wir übungshalber einmal die Männerstimmen weg und fragen uns: Wie wären die Abstimmungen ausgegangen, wenn nur die Frauen abgestimmt hätten? (Das bei Volksinitiativen und obligatorischen Referenden notwendige Ständemehr blenden wir bei dieser Übung aus.) Dazu arbeiten wir mit Daten aus Nachabstimmungsumfragen, also mit den Angaben, die Politforscher seit 1977 nach jeder eidgenössischen Volksabstimmung bei einer soziodemografisch repräsentativen Stichprobe von Bürgerinnen abfragen. Nicht immer berücksichtigten sie dabei das Geschlecht. Und nicht immer wurden die Resultate digitalisiert. Es ist also gut möglich, dass wir die eine oder andere relevante Vorlage verpasst haben.
Und: Umfragen wie diese sind immer mit Unsicherheit behaftet, die Fehlermarge liegt hier meist zwischen +/– 2,5 und +/– 5 Prozentpunkten. Denken Sie sich also bei Vorlagen, die in einer «Frauen-only-Schweiz» eng ausgegangen wären, jeweils ein «vermutlich» dazu. Was also wäre anders, in einer Schweiz der Frauen? Konzerne würden für Umweltschäden haften (G5). Tierversuche wären eingeschränkt worden (G6). Selbst bei Umweltvorlagen, die auch ohne Männerstimmen keine Mehrheit gefunden hätten, stimmten mehr Frauen als Männer Ja: für Gewässer- und Tierschutz sowie gegen Atomstrom und Zersiedelung.
G5 | KONZERNE WÜRDEN FÜRUMWELTSCHÄDEN HAFTEN |

Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Konzerninitiative (2020). Die Vorlage scheiterte am Ständemehr. QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
G6 | TIERVERSUCHE WÄRENEINGESCHRÄNKT WORDEN |

Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Volksinitiative «zur drastischen und schrittweisen Einschränkung der Tierversuche» (1992). QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
G7 | JUNGE AUSLÄNDER WÜRDENERLEICHTERT EINGEBÜRGERT |

Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Referendum zum Bundesbeschluss über die Revision der Bürgerrechtsregelung in der Bundesverfassung (1994). Die Vorlage scheiterte am Ständemehr. QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
G8 | JEDER UND JEDE KÖNNTE MIT 62IN RENTE GEHEN (MÜSSTE ABER NICHT) |

Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Volksinitiative «für ein flexibles Rentenalter ab 62 für Frau und Mann» (2000). QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
G9 | DIE KANTONE MÜSSTEN FÜRKINDERBETREUUNGSPLÄTZE SORGEN |

Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Referendum zum Bundesbeschluss über die Familienpolitik (2013). Bei den Männern fand sich nur knapp keine Mehrheit. Die Vorlage scheiterte am Ständemehr. QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
G10 | ES LÄGEN WENIGER WAFFEN INHAUSHALTEN HERUM |

Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Volksinitiative «für den Schutz vor Waffengewalt» (2011). QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
Junge Ausländer würden erleichtert einbürgert (G7). Andere Volksabstimmungen – sie wären ohne Männerstimmen nicht anders ausgegangen – zeigen ebenfalls: Frauen setzen sich vermehrt für die Rechte von Minderheiten ein. Für die Ahndung von Rassismus, gegen die Überwachung von Rentenbezügern, für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Frauen stimmten übrigens 1981 bedeutend häufiger für die rechtliche Gleichbehandlung von Mann und Frau. Stimmten nur sie, hätte die Schweiz weitere Gleichstellungsanliegen angenommen: Jeder und jede könnte mit 62 in Rente gehen (müsste aber nicht) (G8). Die Kantone müssten für Kinderbetreuungsplätze sorgen (G9).
Das Militär hätte dagegen wichtige Abstimmungen verloren, hätten nur Frauen abgestimmt. Es lägen weniger Waffen in Haushalten herum (G10). Es gäbe noch kein Okay für neue Kampfflugzeuge (G11). Betrachtet man weitere Vorlagen, die das Militär oder Waffen betreffen, wiederholt sich das Muster: Sie wurden von Männern eher unterstützt als von Frauen.
Wir hätten vielleicht noch kein neues Krankenversicherungsgesetz (G12). Die Kulturförderung wäre in der Verfassung verankert (G13). Im ganzen Land wären Poststellen garantiert (G14). Frauen setzen sich vermehrt für den Service public ein. Sie stimmten beispielsweise gegen ein Krankenversicherungsgesetz, das mit dem Argument präsentiert wurde, es bringe mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung.
Ginge es nur nach den Bürgerinnen, wäre die Schweiz also tatsächlich ein wenig linker und grüner, manchmal bewahrender (wie im Fall der Postdienste), oft progressiver (wenn es um ein flexibles Rentenalter geht). Damit sind die Schweizerinnen keine Ausnahme. «Frauen sind weltweit linker und grüner», sagte Politikwissenschaftlerin Martina Mousson zur «Annabelle». Eine länderübergreifende Untersuchung der Politologin Rosalind Shorrocks zeigt: Es sind vor allem die jüngeren Frauen, die solche Werte vertreten. Und deren Einfluss wächst: Nach der Einführung des Frauenstimmrechts war die Stimmbeteiligung erst einmal gesunken, weil die zögerlich neu stimmenden Frauen den Gesamtschnitt drückten. Noch heute stimmen unter den älteren Menschen die Männer deutlich öfter ab als die Frauen. Doch die jüngeren Frauen, die eine Schweiz ohne Frauenstimmrecht nur noch aus Erzählungen kennen, nehmen ihr Recht häufiger wahr. Trotzdem setzen sie sich nur hin und wieder durch.
G11 | ES HÄTTE KEIN OKAY FÜR NEUEKAMPFFLUGZEUGE GEGEBEN |

Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Referendum zum Bundesbeschluss über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge (2020).
QUELLE: Voto-Studie (Schweizer Kompetenzzentrum Sozial-wissenschaften, Lausanne / Zentrum für Demokratie, Aarau)
G12 | WIR HÄTTEN VIELLEICHT NOCH KEIN NEUESKRANKENVERSICHERUNGSGESETZ |

Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Referendum zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung (1994). QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
G13 | DAFÜR WÄRE ABER DIE KULTURFÖRDERUNG INDER VERFASSUNG VERANKERT |

Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Referendum zum Bundesbeschluss über einen Kulturförderungsartikel in der Bundesverfassung (1994). Die Vorlage scheiterte am Ständemehr. QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
G14 | ES GÄBE GARANTIERTE POSTSTELLENIM GANZEN LAND |

Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Volksinitiative «Postdienste für alle» (2004).
QUELLE: Voto-Studie (Schweizer Kompetenzzentrum Sozial-wissenschaften, Lausanne / Zentrum für Demokratie, Aarau)
Nur selten kippt die Waage
Die Schweiz besteht selbstverständlich auch nach 1971 nicht nur aus Frauen. Darum haben sie über die Jahre zwar die politische Landschaft verschoben – aber nur ab und zu haben ihre Stimmen ausgereicht, um einen Entscheid zu kippen. Insgesamt haben die Frauen in den letzten 50 Jahren an 424 Abstimmungen ihren politischen Willen geäussert. Bei lediglich 11 davon haben sie sich mit der Wucht der weiblichen Stimmen durchgesetzt. Besonders wichtig war das vehemente Ja der Frauen bei der Revision des Ehe- und Erbrechts von 1985. Es sah vor, dass Ehefrauen ihren Männern nicht mehr untergeordnet wären, sondern Familienangelegenheiten fortan gemeinsam entschieden würden. Zuvor konnten Männer beispielsweise alleine über Kauf oder Verkauf eines Hauses entscheiden. Mehr noch: Das Vermögen der Frau – selbst wenn sie es geerbt oder geschenkt bekommen hatte – verwaltete ebenfalls der Mann. Lediglich über ihren eigenen Lohn konnte die Frau frei bestimmen. Hätten damals an der Urne nur die Stimmen der Schweizer Männer gezählt: Sie hätten die Revision abgelehnt.
DIE DATEN
Bei Nachbefragungen erheben Meinungsforscherinnen den Stimmentscheid, die Gründe dafür und die Informationslage dahinter – nach Geschlecht, Alter und politischen Präferenzen. Von 1977 bis 1987 umfasste die Stichprobe 700 Stimmberechtigte, dann 1000, ab dem Jahr 2010 1500 Personen. Umfrageresultate sind zwangsläufig unscharf: Man befragt eine Stichprobe, nicht alle, die an den Urnen waren. Je nach Umfragetyp – hier Telefonumfragen – kommen weitere Schwierigkeiten dazu, etwa systematische Verzerrungen dadurch, dass Personen mit bestimmten Profilen eher oder eher nicht auf solche Anfragen eingehen. Von 1977 bis 2015 und wieder seit November 2020 ist das Meinungsforschungsinstitut GFS Bern für diese Nachbefragungen, die Vox-Analysen, zuständig. Von 2016 bis 2020 führten das Schweizer Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften in Lausanne und das Zentrum für Demokratie Aarau die Voto- Studien durch.
Die schönste Klimagrafik der Welt
Simon Schmid
Publiziert am 08.04.2019
14 Minuten
Der Klimawandel ist in der Populärkultur angekommen – mit bunten Grafiken. Doch wie funktionieren sie genau? Ein Exkurs in die Farbenvisualisierung – mit all ihren Fallstricken.
KLIMA
Die Grafik, um die es in diesem Beitrag geht, wird auf Krawatten, Flip-Flops und Leggings gedruckt – obwohl es sich nur um eine simple Temperaturvisualisierung handelt. Sie wurde vom britischen Professor Ed Hawkins erfunden und heisst warming stripes (G15) – Wärmestreifen. Die populäre Grafik zeigt, wie sich die Temperatur in den vergangenen rund 150 Jahren verändert hat. Man erkennt darauf sofort, dass es wärmer geworden ist und irgendetwas an dieser Entwicklung nicht normal sein kann. Dies wollen wir hier näher erforschen. Wie kommt es eigentlich, dass diese Grafik derart selbsterklärend und zugleich mitreissend ist?
Die Farben
Die offensichtliche Antwort: Es sind die Farben. Sie üben auf unser Gehirn eine magische Wirkung aus, lassen uns Zusammenhänge erkennen, bevor wir überhaupt aktiv über sie nachdenken. Die Macht der Farben wird klar, wenn man dieselben Temperaturdaten in anderer Form betrachtet: nicht als Farbstreifen-Diagramm, sondern als Liniengrafik (G16). Auch hier erkennt man, dass ab etwa 1980 ein Aufwärtstrend einsetzt. Zuvor bewegen sich die Temperaturen im Bereich von 4 bis 5 Grad, danach steigen sie auf über 6 Grad. Doch das mentale Verarbeiten dieser Information dauert länger und ist aufwendiger. Die Aufmerksamkeit ist nicht automatisch gegeben: Man muss genauer hinschauen, «den Kopf einschalten», um dieselbe Botschaft zu verstehen. Die krakelige, leicht ansteigende Linie interessiert das Auge weniger als das Farbmuster auf den Wärmestreifen. Farben also. Doch dies ist erst der Anfang vom Zauber des Klimastreifens.
Welche Farben?
Nebst der Farbcodierung per se spielt auch die Farbauswahl eine wichtige Rolle. Welche Farbe symbolisiert kalt, welche Farbe symbolisiert warm? Die naheliegende Codierung richtet sich nach der Konvention: Blau repräsentiert das kalte, Rot das warme Spektrum. Wir verstehen diese Codes intuitiv, weil wir sie aus der Natur kennen: Wasser ist blau, Feuer ist rot. Und Rot bedeutet oft auch: Vorsicht, hier geschieht etwas Gefährliches! Diese Analogie ist sogar in der Sprache verankert. Ist etwas «im roten Bereich», so droht Gefahr. Welche Wirkung entfaltet dieser Code auf der grafischen Ebene? Um dies zu testen, können wir dieselben Daten in anderer Codierung visualisieren. Beispielsweise mit umgekehrten Farben (G17) (Rot = kalt, Blau = heiss) oder in Braun und Grün. Welchen Eindruck machen diese Grafiken auf Sie? Sehr wahrscheinlich haben Sie beim Betrachten festgestellt: Die beiden Streifen sind zwar auch irgendwie schön, aber sie vermitteln nicht dieselbe Dringlichkeit. Natürlich klingt das etwas banal: Kein Forscher käme je auf die Idee, ein Klimadiagramm zu zeichnen, auf dem heisse Temperaturen in Blau dargestellt sind. Allerdings – und darum geht es hier – ist ein Farbschema stets eine bewusste Entscheidung. Oft ist sie kniffliger, als man erwarten würde. Stets muss dabei eine Reihe von Fragen beantwortet werden.
G15 | DIE SCHÖNSTE KLIMAGRAFIK DER WELTTemperaturabweichungen in der Schweiz von 1864 bis 2018 |

Dargestellt ist die Abweichung von der Normperiode 1961 bis 1990: Die Farbcodierung entspricht +/– 2,5 Grad. QUELLE: Meteo Schweiz
G16 | DIE LINIE HINTER DEM CHARTMittlere Jahrestemperaturen in der Schweiz |

QUELLE: Meteo Schweiz
Die Normperiode
Die erste Frage lautet: An welchem Punkt auf dem Thermometer setzt man das Farbschema an? Bisher lag dieser Punkt bei 4,6 Grad Celsius. So hoch war die mittlere Temperatur im Durchschnitt über die Jahre 1961 bis 1990. Ein solcher Zeitraum wird als Normperiode (G18) bezeichnet. Konventionsgemäss sieht die Weltorganisation für Meteorologie einen 30-Jahres-Rhythmus für solche Normperioden vor.
1961 bis 1990 ist demnach die aktuelle Periode. Sie dient in unseren Wärmestreifen als Anker des Farbschemas. Das bedeutet: Jahre, in denen die Temperatur just bei 4,6 Grad Celsius lag, entsprachen genau der Norm und wurden deshalb in weisser Farbe gezeichnet. Jahre mit höheren Temperaturen lagen über der Norm und wurden in Rot, Jahre mit tieferer Temperatur in Blau dargestellt.
Es gibt jedoch kein Naturgesetz, das befiehlt, welcher Zeitraum als Normperiode zu gelten hat. So werden Temperaturabweichungen manchmal zur Periode von 1981 bis 2010 angegeben. Die mittlere Temperatur während dieser Zeit lag bei 5,4 Grad. Anders als der Originalwärmestreifen suggeriert ein Streifen basierend auf dieser neuen Periode generell ein kühleres Klima. Erst gegen Ende des Jahrtausends scheinen sich die Temperaturen langsam zu erwärmen. Zudem erscheint die jüngste Vergangenheit in weniger bedrohlichem Rot als beim originalen Farbstreifen. Die Normperiode beeinflusst also den Schluss, den wir aus der Grafik ziehen.
Die Skala
Doch es geht noch weiter. Man muss auch hinsichtlich des Temperaturspektrums, das die Farbskala (G19) abdeckt, einen bewussten Entscheid fällen:
—Legt man das Spektrum von –1 bis +1 Grad Celsius fest, so erscheint alles, was ausserhalb dieser beiden Werte liegt, entweder tiefblau oder tiefrot. Die Skala stellt also zum Beispiel die beiden Werte von +0,2 und +0,5 Grad mit unterschiedlichen Rottönen dar, verwendet aber dasselbe dunkle Rot für die Werte +1,0 und +1,3 Grad. Ein bedeutender Anteil der Datenpunkte wird somit in den extremen Farbtönen Dunkelblau und Dunkelrot dargestellt.
—Legt man das Spektrum hingegen auf –5 Grad bis +5 Grad Celsius fest, so erscheint selbst das kälteste Jahr, 1879, trotz einer Abweichung von –1,7 Grad gegenüber der Normperiode nicht im dunkelsten Blau, sondern eher hellblau.
—Und trotz einer Abweichung von +2,3 Grad gegenüber der Norm manifestiert sich das wärmste Jahr, 2018, nicht im dunkelroten, sondern im blassroten Farbton.
G17 | DER EINFLUSS VON FARBENTemperaturabweichungen in der Schweiz von 1864 bis 2018 |

Dargestellt ist die Abweichung von der Normperiode 1961 bis 1990: Die Farbcodierungen entsprechen +/– 2,5 Grad. QUELLE: Meteo Schweiz
Bei unserem Beispiel liegt es auf der Hand, dass die beste Variante irgendwo in der Mitte liegt – zum Beispiel bei einem Temperaturspektrum von +/– 2,5 Grad. Auch hier gilt: Es gibt kein eindeutiges Richtig oder Falsch. Dies zeigt sich auch, wenn man nicht mehr bloss eine Datenreihe visualisieren will, sondern mehrere Datenreihen gleichzeitig. Zum Beispiel: die Daten zu den Temperaturschwankungen der Jahreszeiten. Erneut tauchen Fragen auf, die wir klären müssen.
Ein Bezugspunkt
Die Jahreszeiten sind relevant, weil der Klimawandel nicht gleichmässig abläuft. Für die Schweiz wird damit gerechnet, dass die Temperaturen im Sommer stärker steigen als im Winter, während sich die Niederschläge tendenziell auf den Winter konzentrieren. Lässt sich dies bereits in den Daten erkennen?
G18 | UNTERSCHIEDLICHE NORMTEMPERATURENTemperaturabweichungen in der Schweiz von 1864 bis 2018 |

Dargestellt ist die Abweichung von zwei verschiedenen Normperioden: Die Farbcodierungen entsprechen +/– 2,5 Grad. QUELLE: Meteo Schweiz
G19 | WIE WEIT REICHT DIE SKALA?Temperaturabweichungen in der Schweiz von 1864 bis 2018 |

Dargestellt ist die Abweichung gegenüber der Normperiode 1961 bis 1990 mit verschiedenen Farbcodierungen. QUELLE: Meteo Schweiz
G20 | SO FÜHLEN SICH DIE TEMPERATUREN ANTemperaturabweichungen in der Schweiz von 1864 bis 2018 |

Dargestellt ist die Abweichung von 0 Grad Celsius. Die Farbcodierungen entsprechen +/– 16,8 Grad. QUELLE: Meteo Schweiz
G21 | GRÖSSERE SAISONALE SCHWANKUNGENTemperaturabweichungen in der Schweiz von 1864 bis 2018 |

Dargestellt ist die Abweichung gegenüber der Normperiode 1961 bis 1990: Die Farbcodierungen entsprechen +/– 2,5 Grad. QUELLE: Meteo Schweiz
Versuchen wir es zunächst mit einer Visualisierung der Jahreszeiten anhand der absoluten Temperaturen (G20). Als «Norm» dient dabei die Marke von null Grad Celsius. Visualisieren wir, wie stark die mittleren Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Wintertemperaturen von 1864 bis 2018 davon abweichen, so vermitteln wir allerdings nicht mehr als ein grobes Gefühl: Die dazugehörige Grafik zeigt, wie heiss wir die Temperaturen in den vier Jahreszeiten jeweils empfunden haben. Aus dieser Grafik einen Trend zum Klimawandel abzulesen, ist kein leichtes Unterfangen. Um dies zu tun, wird für jede Jahreszeit eine eigene Normtemperatur benötigt.
Vier Bezugspunkte
Die saisonalen Normtemperaturen betragen: 3,3 Grad Celsius im Frühling, 12,1 Grad im Sommer, 5,6 Grad im Herbst und –2,7 Grad im Winter. Passen wir die vier Wärmestreifen an diese Normtemperaturen (G21) an, so erhalten wir ein komplett anderes Ergebnis. Der Fokus liegt nun auf den Unterschieden innerhalb der Jahreszeiten statt zwischen ihnen. Die Farbtöne der neuen Grafik weisen eine chaotischere Anordnung auf als zuvor. Blau und Rot wechseln sich öfter ab, und es fällt zuweilen schwer, eine Tendenz zu erkennen. Das liegt daran, dass die Daten auf Ebene der Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Wintertemperaturen stärker schwanken als beim ganzjährigen Mittel.
Dies mag zunächst verwirrend klingen, ist statistisch jedoch zu erwarten: Es rührt daher, dass sich extreme Werte übers Jahr hinweg ausgleichen. Ein speziell heisser Frühling und ein kalter Herbst führen, aufs Ganze gesehen, zu einem durchschnittlichen Jahresergebnis. Die «Vier-Jahreszeiten-Grafik» ist dadurch automatisch weniger geglättet. Vielleicht ist dies nun nicht mehr die allerschönste Klimagrafik der Welt. Doch aus den neu geeichten Wärmestreifen lässt sich besser herauslesen, nach welchem Jahreszeitenmuster sich das Klima in der Schweiz verändert hat:
—Seit rund zwanzig Jahren gab es fast keinen Frühling mehr mit unterdurchschnittlichen Temperaturen.
—Ähnliches gilt für den Sommer: Der Übergang von kalten zu warmen Temperaturen ist hier am deutlichsten, am stetigsten ausgeprägt.
—Im Herbst sind die Temperaturen zuletzt nicht so stark gestiegen. Dafür zeigt sich, dass die saisonalen Temperaturen, zu Beginn der Messreihe im 19. Jahrhundert, vergleichsweise kühler waren.
—Bei den Wintertemperaturen zeigen sich insgesamt die grössten Schwankungen. Die Erwärmung ist weniger eindeutig als beispielsweise im Sommer.
Mag sein, dass all diese Detailüberlegungen am Ende zu viel des Guten sind. Vermutlich wird nie ein Designer eine Kaffeetasse oder eine Tragetasche mit Jahreszeiten-Wärmestreifen bedrucken. Allerdings findet gerade eine bemerkenswerte Entwicklung statt: Der Klimawandel wandert von der Gelehrtenstube nach und nach in die Populärkultur. Da ist es allemal sinnvoll, wenn man weiss, wovon eigentlich die Rede ist.
DIE DATEN
Sie lassen sich bei Meteo Schweiz als Textdatei beziehen. Darin findet sich das Schweizer Temperaturmittel über sämtliche Monate für den Zeitraum von 1864 bis zum aktuellen Rand. Dieses Mittel entspricht der Durchschnittstemperatur, die über die gesamte Landesfläche und die verschiedenen Höhenlagen gemessen wird. In die Zeitreihe fliessen die Daten von 19 Messstationen ein, die über den gesamten Zeitraum hinweg lückenlos zur Verfügung stehen. Um Veränderungen bei den Messbedingungen zu korrigieren, wurden diese Daten homogenisiert.