Kitabı oku: «Behindert? - Was soll’s!», sayfa 6
Schreibversuche
Mit dem Erlernen weiterer Buchstaben und Zahlen wurden die Aufgaben auch in unserer Klasse anspruchsvoller. Herr Reimert gewöhnte uns schnell daran, zu jeder Unterrichtsstunde eine kleine schriftliche Aufgabe zu lösen. Zu Beginn einer Deutsch- oder Heimatkundestunde diktierte er uns einen kleinen Satz, den meine Mitschüler in ihr Heft schrieben. Anschließend ging unser Klassenlehrer durch die Reihen und kontrollierte diesen Satz bei jedem der fünf Kinder. Um zu testen, ob ich wenigstens theoretisch schreiben könnte, sollte ich hin und wieder einige Wörter buchstabieren. Dies bereitete mir absolut keine Mühe.
In den Mathestunden verhielt es sich ähnlich. Herr Reimert stellte uns stets zehn Aufgaben, von denen meine Mitschüler nur das Ergebnis aufzuschreiben brauchten. Auch diese wurden anschließend überprüft und es gab manchmal sogar eine Note dafür. Bevor Herr Reimert uns die Aufgaben stellte, holte er mich zu sich nach vorn an den Lehrertisch. Während die anderen das Ergebnis aufschrieben, sagte ich es ihm ins Ohr und er notierte es sich. Diese Methode bewährte sich über Monate, ja sogar die nächsten zwei Jahre.
Mit der Zeit bemerkte Herr Reimert, dass die Fehlerquote der zu lösenden Matheaufgaben bei meinen Mitschülern ungewöhnlich abnahm. »Da kann etwas nicht mit rechten Dingen zugehen. So gut wie Mario ist keiner in Mathe«, dachte sich mein Klassenlehrer. Eines Tages kam er auf die Lösung. Er verglich einmal meine Ergebnisse mit denen der anderen Schüler. Dabei fiel ihm auf, dass sie genau die gleichen Fehler machten wie ich, denn ab und an unterlief mir auch ein solcher. Somit war klar, sie würden sozusagen bei mir abschreiben, also mich hören, wenn ich Herrn Reimert die Ergebnisse ansagte. Offensichtlich konnte ich nicht so leise sprechen. Um meinem vermeintlichen »Vorsagen« vorzubeugen, musste eine Art Verschlüsselung erdacht werden. Nur welche?
Mathematik lag mir sehr gut. Ich lernte schneller das Rechnen als meine Mitschüler. Diese Gabe erkannte mein Klassenlehrer und wusste mich in dieser Richtung zu fördern. Wenn die Zeit es zuließ, bekam ich gesonderte Aufgaben, zum Beispiel später das Rechnen über 100. Mein Rechentalent machte sich Herr Reimert beim Ansagen der zu lösenden Aufgaben somit zu Nutze. Wenn ich wieder einmal am Lehrertisch saß, um ihm die Ergebnisse anzusagen, nannte ich ihm einfach das Doppelte der Zahl. Wenn die Matheaufgabe zum Beispiel »5 + 7« lautete, antwortete ich: »24«. Da wir nicht ewig Zeit zum Lösen der Aufgaben hatten, konnten die anderen meinen Rechenweg nicht nachvollziehen und für Herrn Reimert war mein angesagtes, verdoppeltes Ergebnis richtig.
Ab dem zweiten Halbjahr der S1 lagen wir gut in der Zeit, die für den Lehrplan dieser Klasse vorgesehen war. Durch die Sonderklassen hatten wir ja je anderthalb Jahre, um den Lernstoff der ersten und zweiten Klasse zu absolvieren. So blieb uns nach Erhalt unseres ersten Zeugnisses in der S1 noch ein ganzes Jahr, bis wir in die zweite Klasse versetzt wurden. Dies geschah im zweiten Halbjahr der S2.
Die zusätzlichen Wochen, die uns in den S-Klassen zur Verfügung standen, wollte Herr Reimert nun verstärkt nutzen, um mit mir parallel zum Schulunterricht das Schreiben mit der Hand zu üben.
Mein erfahrener Klassenlehrer war sich durchaus im Klaren, dass die Versuche, mir das Schreiben beizubringen, eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen würden. Er rechnete dabei sogar in Jahren. Trotz aller zu erwartenden Schwierigkeiten wollte er sich dieser Aufgabe annehmen und erklärte sie zu seinem Großprojekt.
Richtig systematisch ging Herr Reimert an die große Herausforderung heran. In kleinen Versuchen verschaffte er sich zunächst einen groben Überblick, warum es mir fast unmöglich war, mit meiner Hand zu schreiben und ob mir bestimmte Utensilien dabei hilfreich sein konnten.
Zunächst legte Herr Reimert ein Blatt Papier vor mir auf den Tisch und gab mir einen Filzstift in die Hand. Nun sollte ich versuchen, irgendetwas – sei es eine einfache Figur, eine Zahl oder ein Buchstabe – zu Papier zu bringen. Dieser erste (vielleicht auch hoffnungsvolle) Versuch scheiterte gleich an mehreren Dingen. Den Stift hielt ich krampfhaft in der rechten Hand. Damit mein linker Arm nicht unkontrolliert durch die Luft schleuderte, klemmte ich ihn zwischen meine Beine. (Diese Art, meinen Körper somit wenigstens etwas unter Kontrolle zu bekommen, hat sich bis heute bewährt.)
Auch mit meinem rechten Arm machte ich sehr starke ausfahrende Bewegungen. Erst durch große Anstrengung gelang es mir, meine Hand einigermaßen ruhig auf das Blatt zu legen. Dann bemühte ich mich krampfhaft, meine Hand langsam aufzurichten, um die Mine des Stiftes in Richtung des Papiers zu bekommen. Dabei schob ich mit meiner Faust das Blatt auf dem Tisch umher. Herr Reimert hielt es mit seinen beiden Händen fest. So konnte ich meine Hand auf dem Blatt bewegen, ohne dass es verrutschte. Nur wurde es auf dem Blatt für drei Hände ziemlich eng und es verblieb kaum noch Platz, um mit dem Stift zu arbeiten. Deshalb wechselte Herr Reimert sehr schnell zu einem größeren A3-Blatt.
Die Prozedur begann von Neuem, den linken Arm zwischen meinen Beinen zu fixieren und den rechten Arm mühevoll auf das Papier zu legen. Wieder richtete ich meine Hand auf und versuchte mit großen Bewegungen einfach drauf los zu malen. So war wenigstens etwas Kreiertes von mir und meiner Hand auf dem Papier zu sehen. Was es darstellen sollte, vermochte sogar ich kaum zu sagen. Dennoch war mein Gekritzeltes schon einmal ein winziger Erfolg!
Dieses »freie Malen« machte mir mit der Zeit immer mehr Freude und mein Lehrer ließ mich regelrecht mit dem Stift austoben. Doch der Spaß dauerte nicht lange. In meiner Hand entwickelte ich so viel Kraft, dass sie die Mine des Filzstiftes eindrücken ließ. Diesen Versuch wiederholte Herr Reimert einfach mit einem Bunt-beziehungsweise einem Bleistift. Dessen Minen hielten meiner Kraft schon länger stand, brachen dann aber auch früher oder später ab. Doch diese Minen konnten wenigstens relativ leicht durch Anspitzen »ersetzt« werden. Dennoch erwies sich diese Art von Stiften auch nicht als optimal. Waren sie zunächst zu dünn, um sie richtig greifen zu können. Außerdem verkrampfte mein ganzer Körper durch die enorme Anstrengung so sehr, sodass sich meine Spastik zusehends verstärkte. Und wo eine starke Spastik ist, da wirken durchaus kaum einzuschätzende Kräfte. So war es daher eine Frage der Zeit, bis einige Stifte nachgaben und komplett durchbrachen. So musste ein stabilerer Stift gefunden werden.
Eines Tages kam Herrn Reimert wieder eine Blitzidee und er kaufte einen Zimmermannsbleistift. Dieser erwies sich in mehrerlei Hinsicht als praktisch. Er lag zunächst einmal etwas besser in meiner Hand, da er dicker war. Außerdem trotzte dessen starke Mine meinen Kräften. Dieser Stift bewährte sich fürs Erste und ich übte oft mit ihm. So fand sich vorerst für mich ein verlässliches Schreibutensil.
Bei meinen ersten Schreibversuchen kam es wahrlich nicht auf Eleganz an. Es spielte eine untergeordnete Rolle, ob man wirklich erkannte, was ich da zu Papier brachte. Vordergründig war erst einmal, dass ich lernte, den Stift halbwegs koordiniert und allein auf dem Blatt zu bewegen. Diese Übungen kosteten mich jeweils sehr viel Konzentration und vor allem Kraft. Ich ermüdete dadurch schnell und benötigte immer längere Erholungsphasen.
Für Herrn Reimert war es mit der Zeit herausfordernd, auch das lesen zu können, von dem ich meinte, etwas geschrieben zu haben. Ich sagte dann stolz: »Das ist ein ‚M’«, und war der festen Meinung, mein Lehrer könne dieses »M« auch lesen. Doch leider vermochte er mein Geschriebenes kaum zu deuten, wenn ich ihm vorher nicht erzählte, was ich gerade geschrieben hatte. »So schwer kann das doch nicht zu lesen sein«, dachte ich. Offenbar schien dem nicht so.
Um erst einmal ein Gefühl zu bekommen, wie die Buchstaben überhaupt geschrieben wurden, wollte Herr Reimert meine Hand zunächst führen, so wie es Fräulein Kleinert in der Vorschule tat. Nur dies sagte sich so leicht. Brauchte er doch beide Hände, um das Blatt Papier festzuhalten. Mehr Hände waren also dafür notwendig. So bat er Frau Griebel um ihre Hilfe. Sie hielt das Papier fest und Herr Reimert stellte sich hinter mich, nahm meine Hand und führte sie. Auf diese Weise wurden meine ersten Buchstaben für alle lesbar!
Auch für Herrn Reimert kostete es einiges an Kraft, meine Hand zu führen. Manchmal hatte er jedoch das Glück (oder ich einen guten Tag erwischt) und meine Verkrampfung war nicht so extrem wie sonst. Spürte dies mein Lehrer, lockerte er seinen stabilisierenden Griff von meiner Hand und gab ihr nur eine grobe Führung. Dann gelang es mir manchmal, fast allein meine Hand zu bewegen und so etwas Lesbares zu schreiben. Leider stellten sich solche Momente als Ausnahme dar.
Das Schreiben »zu dritt« war auf Dauer keine zufriedenstellende Lösung. Nur in den seltensten Fällen konnte eine dritte Person vor Ort sein, die das Papier festhielt. Während des Unterrichts war Herr Reimert in der Regel mit uns allein. Eine Möglichkeit, das Blatt irgendwie auf der Schulbank zu befestigen, musste also gefunden werden.
Ein Briefbeschwerer schien das Naheliegende zu sein. Da einige andere Schüler durch Lähmung einer ihrer Hände ebenfalls Schwierigkeiten hatten, ihr Heft festzuhalten, hielt unsere Schule verschiedene Modelle bereit. So probierte Herr Reimert diese Hilfsmittel auch bei mir aus. Bei meiner Unruhe und meinen Kräften reichte ein Briefbeschwerer allerdings nicht aus. Gleich mehrere waren nötig, um mein Blatt Papier einigermaßen zu fixieren. Doch während ich mit meiner Hand und teilweise meinem Arm auf dem Schreibblatt unkontrolliert herumfuhrwerkte, kickte ich einen nach dem anderen herunter. So landeten sie bei meinem Banknachbarn oder fielen zu Boden. Die Briefbeschwerer waren somit eine nicht ungefährliche Angelegenheit und deshalb für mich nicht geeignet.
Erneut verbrachte Herr Reimert schlaflose Nächte, um nach einer Idee zu suchen, mein Blatt Papier auf der Schulbank fest zu bekommen. Selbst eine rutschfeste Unterlage schob ich mit meinen Kräften weg oder zerknüllte sie fast so leicht wie das Papier selbst.
Meinem Klassenlehrer schwebte schon einige Zeit eine Art Reißbrett vor, wie es damals in großen Konstruktionsbüros Verwendung fand. Nur musste es irgendwie auf die Größe eines A3 Blattes »geschrumpft« werden. Bloß wer sollte so etwas bauen? Es gab nur einen, der das konnte. Mit frischem Elan machte sich Herr Reimert ans Werk.
Für diese Arbeit benötigte er jedoch mehrere Tage. Nun bewies der Mann auch sein Handwerk eines Tischlers.
Festes helles Birkenholz diente als Ausgangsmaterial meiner neu entstehenden Schreibunterlage. Deren Grundfläche gab die Größe eines A3 Blattes querformatig vor. Damit sich die Fläche zu mir um etwa 20 Prozent neigt, bekam sie an der oberen und unteren Seite unterschiedlich hohe Querleisten, die gleichzeitig als Füße dienten. Die untere Querleiste bemaß mein Klassenlehrer etwas breiter, damit er an deren Unterseite so viel herausschneiden konnte, sodass eine rechtwinklige Kante entstand. Diese schloss mit der Unterkante der Tischplatte ab und verhinderte so, dass ich das ganze Schreibpult nach oben wegschieben konnte.
Durch die Neigung der Schreibfläche war abzusehen, dass ein Blatt Papier nicht allein auf dem Schreibpult liegen bleiben würde. Außerdem ging Herr Reimert schon von Vornherein davon aus, dass ich durch meine extremen, ausfahrenden Armbewegungen das Papier einfach so vom Pult schieben würde. Deshalb ließ er sich in unserem Patenbetrieb vier Klammern fertigen, so wie man sie bei Gartentischen verwendet, um ein Wegfliegen der Tischdecke zu verhindern. Nur sollten diese Klammern aus Metall sein, um eine gewisse Stabilität und Spannung zu erreichen. Mit Hilfe der vier Klammern wurde das Blatt an jeder Ecke fixiert.
Im Lehrerkreis sprach es sich natürlich herum, was für ein tolles Hilfsmittel Herr Reimert da für seinen Schützling konstruiert hatte und jeder war unendlich gespannt, welche Fortschritte ich damit erzielen würde.
So kam der Tag auf den viele warteten. Würde sich die Mühe von Herrn Reimert ausgezahlt haben und käme ich mit dem neuen Schreibpult wirklich besser zurecht? Dies wäre ein großer Fortschritt gewesen, denn eines war allen Lehrern bewusst: Mit Beginn des Fachunterrichts in den mittleren Klassen würde ich nicht mehr in der Lage sein, die schriftlichen Leistungsanforderungen nur in mündlicher Form zu bewältigen. War so diese Schreibhilfe die letzte Chance, von mir etwas Lesbares zu erwarten und somit weiterhin am Unterricht teilnehmen zu können?
Mit einem erneuten Lächeln betrat Herr Reimert unseren Klassenraum und stellte mir das noch stark nach frischem Holz riechende Schreibpult auf meinen Platz. Richtig schick und vielversprechend sah es aus. Mit ihm sollte ich nun endlich akzeptable Ergebnisse zu Papier bringen.
Herr Reimert klemmte das erste Blatt auf das Brett und gab mir den Zimmermannsbleistift in die Hand. Nun konnte es eigentlich losgehen. Doch diese Theorie war leider leichter dahingesagt, als die Praxis es zeigte. Immer wenn ich etwas Neues ausprobieren soll – und dann auch noch Leute um mich herumstehen -, bin ich so aufgeregt, dass fast gar nichts mehr geht. Möchte ich dann allen gleich beweisen, dass ich mit dem Neuen zurechtkomme, strenge ich mich so (oft unnötigerweise) stark an, dass das Ergebnis somit meist gleich Null ist. In dem jetzigen Fall verhielt es sich nicht anders. Vor lauter Verkrampfung wurden meine unkontrollierten Bewegungen so heftig, dass mein Bleistift mehrmals durch den ganzen Raum flog. Ich brachte nicht einen einzigen Strich aufs Papier! Verzweiflung machte sich tief in mir breit. Ich wollte doch unbedingt zeigen, dass ich schreiben wollte. Da hatte ich nun so ein tolles Hilfsmittel und sollte damit nicht zurechtkommen?
Meine Niedergeschlagenheit bemerkte Herr Reimert sehr rasch und konnte instinktiv meine Gefühle nachvollziehen. So stellte er das Schreibpult einfach beiseite und sagte: »Immer Kopf hoch! Jetzt hast du das Pult erst einmal gesehen. Für heute genügt das. Morgen versuchen wir es wieder.«
Die nächsten Schreibversuche ging Herr Reimert ganz locker an, ohne Druck und ohne ein erkennbares Ergebnis offiziell von mir zu erwarten. Er spannte einfach ein neues Blatt Papier auf das Pult und gab mir den Stift in die Hand. Wie schon bei meinen ersten Schreibversuchen durfte ich zunächst ganz nach Belieben herumkritzeln. Diese Vorgehensweise erwies sich als die Beste, um erst einmal ein neues Gefühl für das Schreibpult zu bekommen. Stand es ja nun höher und so musste sich auch mein rechter Arm an die veränderte Schreibposition gewöhnen. Nach und nach gelang es mir, immer gezielter Striche und Formen auf das Papier zu bringen. Manchmal meinte Herr Reimert sogar einige Buchstaben erkennen zu können. Diese kleinen Erfolge gaben mir die Kraft, den Mut und die Zuversicht, doch noch das Schreiben zu lernen und nicht aufzugeben. Auch mein Klassenlehrer merkte, dass ich gewillt war, weiterhin das Schreiben zu üben. Und dies war für ihn das Wichtigste! Der eigene Wille! Egal wie stark eine körperliche Behinderung auch sein mochte, es gab in den meisten Fällen eine Möglichkeit, das Handicap durch Hilfsmittel – und seien sie auch noch so skurril – wenigstens zu mildern. Doch der eigene Wille, der war ausschlaggebend!
In den nächsten Tagen begann Herr Reimert damit, meine Hand zu führen. Dies wurde ihm nun möglich, da das Papier fixiert war und er beide Hände frei hatte. Mit seiner Hilfe konnte ich teilweise ganze Wörter schreiben. Mit der Zeit bekam ich fast ein richtiges Gefühl für die Buchstaben. Wegen der einfacheren Schreibweise verwendete ich nur Großbuchstaben. Tagesabhängig brachte ich manchmal ganz allein einige Buchstaben zu Papier. Dabei hatte ich jedoch große Mühe, die Zeichen genau nebeneinander in eine Zeile zu bringen. Als Herr Reimert dieses vergleichsweise kleine Manko mitbekam, war es ihm ein Leichtes, mir zur Orientierung Linien auf das Blatt zu ziehen. Die anderen Schüler hatten ja in ihren Schreibheften auch Linien. Warum sollte es mir in dieser Hinsicht schwerer gemacht werden? Jetzt standen mir vier Reihen mit einer Breite von zirka sieben Zentimeter zum Schreiben zur Verfügung.
Das Vorzeichnen von Linien brachte eine weitere kleine Verbesserung bei meinen Schreibübungen mit sich, auf die wir alle recht stolz waren. Die Buchstaben standen nun relativ geordnet in einer Reihe. Aus Zeitgründen wurde Frau Griebel gebeten, nachmittags während der Hausaufgaben, einige Blätter mit Linien vorzubereiten.
Immer öfters gelang es mir, lesbare Buchstaben aufs Papier zu bringen. Dem ungeachtet war trotzdem sehr viel Geduld erforderlich, bis ich ganze Sätze schrieb. Diese durften nicht sonderlich lang sein, denn ich bekam nur wenige Wörter auf ein Blatt. Kurioserweise schrieb ich in den oberen zwei Zeilen deutlicher als in den unteren. Dies ließ sich damit erklären, dass mein rechter Arm in den unteren Zeilen gebeugter war und ich so weniger Kontrolle über ihn hatte, denn die Spastik schießt eher in einen gebeugten Arm als in einen gestreckten.
Die Mühen, das Schreibpult zu bauen, zahlten sich zweifelsohne aus! Bestand doch nun hauptsächlich in Mathematik die Möglichkeit, wenigstens die Ergebnisse selbstständig aufzuschreiben. Dann machte sich Herr Reimert öfters den Spaß, mir Aufgaben zu stellen, die der Lehrplan für diese Klasse noch gar nicht vorsah, zum Beispiel das Rechnen über 100. Diese löste ich meist ohne Probleme. In den Deutschstunden diktierte mir mein Klassenlehrer einige schwerpunktmäßige Wörter, um so zu sehen, ob ich diese richtig schrieb.
Obwohl es mir nun mit Hilfe des Schreibpultes möglich war, einige Zahlen und Wörter zu Papier zu bringen und somit kleine Aufgaben schriftlich zu lösen, kam ich bei Weitem nicht an das Schreibtempo der anderen Schüler heran. So stellte mein Schreiben nur eine Ergänzung zum mündlichen Unterricht dar. Weiterhin konnte ich nur in den theoretischen Fächern eine Note bekommen. Außerdem war für mich das Schreiben jedes Mal eine große körperliche Anstrengung, die mich immer wieder sehr schnell ermüden ließ. Dieses rasche Ermatten demotivierte mich mit der Zeit, denn ich wollte doch wie meine Mitschüler richtig und zügig schreiben können. Es reizte mich auch sehr, einmal ein paar Zeilen allein an meine Eltern zu schreiben. Dies war mir jedoch nicht möglich, denn das Schreiben im Unterricht und teilweise bei den Hausaufgaben forderte meine ganze Energie.
Für Herrn Reimert war es so auch nicht einfach, mich immer wieder seelisch aufzurichten, wenn mir das Schreiben abermals keinen Spaß mehr machte und ich vor Erschöpfung kaum noch den Stift halten konnte. Auch jetzt, wo ich doch wenigstens ein paar lesbare Zeichen zu Papier brachte, suchte er nach Möglichkeiten, mir das Schreiben zu erleichtern.
Trotz der vorgezogenen Linien hatte ich Schwierigkeiten, die Buchstaben genau in der Reihe zu platzieren. Wenn ich wieder einmal sehr unruhig war und mit meinen unkontrollierten Bewegungen kämpfte, hielt mich so eine vorgezogene Linie nicht davon ab, sie zu überschreiben. Hilfreich wäre eine Schablone gewesen, die mir die obere und untere Begrenzung einer Zeile vorgab und die ich nicht so leicht überschreiten konnte.
Mit dieser Vorgabe ging Herr Reimert wieder zu unserem Patenbetrieb. Dieser war auf die Verarbeitung von Metall spezialisiert, denn er stellte Maschinen für die Herstellung von Schokolade her. Deshalb war es nicht schwer, dort die benötigte Schablone anfertigen zu lassen.
Das für mich bewährte A3 Blatt gab das Maß der Schablone vor und bestand aus Aluminium. Diese hatte vier länglich ausgestanzte Rechtecke die als Zeilenbegrenzung dienten.
Auf der linken Seite ließ Herr Reimert gleich ein Scharnier anbringen, dessen loses Ende er an die entsprechende Seite meines Schreibpultes schraubte. So konnte die Schablone hochgeklappt und das Blatt Papier auf das Brett gelegt werden. Mit zwei Klammern wurde sie dann mit samt dem Papier auf der rechten Seite des Pultes fixiert.
Ähnlich wie bei den Linien, die mir von Hand vorgezogen wurden, standen mir auch jetzt vier Zeilen mit je einer Höhe von etwa 6 Zentimeter zur Verfügung. Nun hatte ich für jede Zeile eine obere und untere physikalische Begrenzung, die ein Überschreiben der Linien zum größten Teil verhinderte. Dies war für mich erneut eine weitere Hilfe, denn ich brauchte weniger darauf zu achten, in der richtigen Zeile zu bleiben und konnte mich mehr auf das noch verbesserungswürdige Aussehen der Buchstaben konzentrieren.
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