Kitabı oku: «Die Suche hat ein Ende», sayfa 2
Aus mir heraus brennt eine große Flamme in spiraler Bewegung, immer größer werdend, der Dunkelheit entgegen. Das Feuer nagt und zieht düstere Wolken aus den Ecken, aus den Wänden heraus, aus dem Ursprung des Schmerzes. Die beiden schemenhaften Gestalten der Soldaten – zurückgelassene Seelenanteile, die abgespalten hier stecken blieben, ohne Hoffnung alleine zurückzufinden, für immer verdammt die gleiche Situation wieder und wieder zu erfüllen –, werden aus der Schleife befreit und bleiben wie leere Hülsen am Boden liegen.
Die Dunkelheit ist gewichen. Übrig bleibt die fast erloschene Schwade einer einst lebendigen Frau. Auch sie verloren, aus dem Körper gestoßen und in der Schleife des Todes gefangen. Ich fühle nach oben. Die Decke verschwindet in Wellen und gibt ein Licht frei, das stark und hell, aber ohne zu blenden, herableuchtet. Ich reiche ihr meine Hand, voller Angst zuckt sie zurück, doch mit beruhigenden Gedanken nähere ich mich ihr, ergreife ihre durchscheinende Hand und geleite sie zu dem Licht. Wie immer kommen sie den halben Weg herab, nehmen die Frau mit freundlichen Gesten in Empfang und heben sie in lichte Höhen. Von unten sehe ich ihre Freunde, Bekannte, Familie, die sie in die Arme schließen. Sie ist noch immer verwirrt, hin und hergerissen zwischen Unglauben und Freude.
Ich reiße mich aus der warmen Energie, nehme beide Seelenanteile der Soldaten und führe auch diese zu dem Licht. Sie werden angenommen, und können nun zurück, wenn der größere Teil derer Seelenwesen dies geschehen lässt. Debil grinsend stehe ich in einem Gewölbekeller und atme erst einmal in aller Ruhe. Erfüllt von der leuchtenden Energie anderer Welten, die mich glücklich und zufrieden macht.
Immer wieder stoße ich auf den Krieg. So viele Jahre her und dennoch so mächtig und allgegenwärtig. Verlierer alle beide, Täter wie Opfer. Und im dauernden Kreislauf des Stehlens von Energie. Es ging immer nur darum die Energie zu stehlen, oder?
Ich begebe mich nach oben und stoße auf eine verwirrte Frau. Ich erzähle nur soviel, wie ich denke, dass sie wissen muss. Schließlich ist die Hypnose in Bezug auf Geister zu sehr von Angst und grausigen Bildern durchzogen. Meist aus den entsprechenden Filmen, wie Poltergeist oder Schlimmerem. Ich erkläre nun, was ich noch an dem Haus tun könnte. Dass ich aber denke, das ursächliche Problem liegt in ihr. Und wenn sie selbst dieses Problem in sich gelöst hat, lösen sich auch all die Dinge um sie herum. Oder sie stören sie nicht mehr. Eine Frage der Resonanz.
Ich bedanke mich für das Honorar und schreite zu meinem Volvo. Sie schaut mir nachdenklich hinterher, wie ich rückwärts aus dem Hof fahre. Ich bin gespannt, wie es ihr nun weiterhin ergehen wird.
Auf dem Weg zurück nach Hause lasse ich mir alles noch einmal durch den Kopf gehen. Dabei bemerke ich, dass ich mal wieder etwas mitgenommen habe. Obwohl ich mich sicher fühle und unangreifbar bin, kleben sich gerne mal irgendwelche Fremdenergien an mich. Ich konzentriere mich und dehne mich wieder über mein Auto hinaus aus. Ich spüre den Gummi auf dem rauen Asphalt, Details meines Wagens und die vorbeiziehende Landschaft. Ich öffne meinen Nackenbereich und der Rest der mitgenommenen Energien fließt in die Natur hinaus: mein Kopf ist wieder frei.
Als wir damals den Versuch starteten, war uns nicht klar, wie sehr die Menschen sich aus dem allumfassenden Feld lösen würden. Ja, es gab auch vorher schon Energieraub und wie auch immer geartete Kriege, aber in der irdischen Dichte sind Gewalt und Krieg mehr als extrem und exzessiv. Durch die Körperlichkeit ist hier alles viel schlimmer als je zuvor. Und ohne die innere Verbindung zum höchsten Licht, taumeln viele Menschen von einer grauenvollen Erfahrung in die nächste. Wenn wir uns nicht im Schleier des Vergessens verirrt hätten, wenn wir den Überblick und die Liebe in unseren Herzen behalten hätten, wäre es dann anders gekommen? Aber das Spiel, Macht über Andere auszuüben, wird es wohl solange geben, bis wir alle wieder da sind, wo wir angefangen haben. Bescheuert.
Ein Geräusch lässt mich auffahren. Es dauert einen Augenblick bis sich die Grenze zwischen Traum und vermeintlicher Realität einstellt und mir klar wird, wo genau ich bin. Was ist los? Ob eines der Kinder wach war und weinte? Nein. Es ist alles ruhig. So ruhig, dass ich das Fließen des Blutes in meinen Ohren wahrnehme. Es stellen sich weitere Geräusche ein: ein Rauschen – wahrscheinlich die alte Pumpe der Heizungsanlage. Ein Summen – klar der Kühlschrank. Und weitere, aber undefinierbare Geräuschfetzen schweben durch die Nacht. Vielleicht die Katzen, aber kein Geräusch aus den Kinderzimmern.
Ein Blick in mein Zimmer zeigt nur die verfremdeten Silhouetten der Möbel, die vom Mondlicht beschienen ihr Eigenleben bekommen. Fremde Gestalten in fremden Welten, starr vor Schreck, weil ich aufgewacht bin und sie nun mit meinem suchenden Blick banne. Wer hat hier wohl mehr Angst? Die rot glühenden Augen der mittlerweile unvermeidlichen, elektronischen Geräte hab ich mit Fotos zugedeckt. Es würde mich doch irritieren, wenn ich schlafe und dabei aus gespenstischen LED–Augen beobachtet werden würde.
Immer noch grübelnd, was mich wohl aus dem Schlaf gerissen hat, versuche ich den gesponnenen Faden des letzten Traums aufzunehmen und mich wieder in die Geschichte einzuweben. Ob es mir gelingt, kann ich nicht sagen, denn ich bin sogleich in der Tiefe des Schlafes verschwunden.
6:33
Das ansonsten fröhlich in den Morgen krähende Vogelgezwitscher meines Handys ertönt nun grell und erschreckend laut. Bevor ich wach bin, hab ich die Stimmen schon abrupt kaltgestellt. Es ist verdammt früh. Heute bin ich dran, die Kinder zu wecken und in die Schule zu bringen. Jetzt, wo es schon einigermaßen hell ist, macht es mir nicht mehr so viel aus, so früh aufzustehen. Auch wenn ich die nächste halbe Stunde noch nicht voll da bin. Aber im Winter bei Dunkelheit aufzustehen fällt mir unglaublich schwer. Es ist mir ein Rätsel, warum Kinder derart früh aufstehen müssen, um zur Schule zu gehen. Hat man nicht vor Kurzem festgestellt, dass es für alle Beteiligten besser wäre, wenn die Schule erst um neun Uhr begänne?
Für mich auf jeden Fall. Wie schön wäre es, an helllichtem Tag gemeinsam mit den Kindern gemütlich am Frühstückstisch den Tag zu beginnen. Aber in einer Gesellschaft, deren Dasein von Arbeit, Karrierewahn und Angst vor dem Ungewissen bestimmt ist, gibt es wohl kein Platz für Müßiggang.
Ich stelle mich in meine Hosen, zieh das Tshirtpulloverkonglomerat über mich und begebe mich in die Kinderzimmer. Das frühe Aufstehen scheint den Kurzen wenigstens nichts auszumachen, aber die gehen ja auch schon um acht ins Bett. Während ich das Obst für das Frühstück zurechtschneide, den Tee koche und die Brote für die Schule schmiere, ziehen sich die Drei an und regeln ihre kleinen Aufgaben: Tisch decken, Wasser holen, Katzenklo säubern.
Nach dem Frühstück sitze ich da, starre mit halbwachem Blick in den sich über den Horizont ergießenden Tag und warte, bis der Zeitpunkt des Aufbruchs naht. Da wir derart weit draußen wohnen, müssen die Kinder morgens zum Bus gebracht werden, der sie dann zur Schule bringt. Der Weg zur Bushaltestelle ist zu weit um diesen zu Fuß zu erreichen, weswegen wir abwechselnd fahren. Irgendwann findet sich vielleicht das passende Haus, das alle Erfordernisse erfüllt und die Kinder zu Fuß zum Bus oder in die Schule gehen können. Im Augenblick jedoch ist noch tägliches Fahren angesagt.
Ich freue mich jedes Mal, wenn der Winter des Nachts hereinbricht und die Straßen unpassierbar sind. Telefonketten informieren uns dann, dass die Schule ausfällt, weil die Busse nicht aus der Garage kommen. Dann lege ich mich wieder ins Bett und der Tag wird recht gemütlich. Ich finde Schule nicht so wichtig. Hauptsache, die Kinder haben den Raum, sich selbst zu entfalten und bekommen genügend Anregung, sich weiterzuentwickeln. Das gängige Schulsystem ist definitiv veraltet und geht an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kinder meilenweit vorbei: Mit fünf Jahren in die Schule und Lernenlernenlernen, benotet und beurteilt zu werden und von Anfang an irgendeinem Stress ausgesetzt sein. Nein danke, das Leben soll doch Spaß machen. Gut, dass es alternative Schulmodelle gibt.
Meine Kinder lieben es, in die Schule zu gehen. Wenn ich da an die anderen denke, die schon im ersten Schuljahr die Schnauze voll haben, voller Stress und von Angstattacken gepeinigt, den Ernst des Lebens beginnen. Grauenvoll. Und wie soll das denn weitergehen?
Ich sitze an der Bushaltestelle im Auto, frierend. Das Glas beschlägt von innen, es ist noch zu kalt morgens. Mit dem Handschuh reibe ich das Fenster klar, damit der Blick auf die Kids an der Bushaltestelle frei wird. Ich beobachte, wie ein Kleinwagen heranfährt. Ein Kind steigt aus, ein Blick zurück ins Auto und es mutig stapft in Richtung Haltestelle. Bevor es auch nur einen Meter entfernt ist, verschwindet das Fahrzeug wieder im morgendlichen Verkehrschaos.
Da läuft das siebenjährige Mädchen ganz allein, mit sich selbst Mut machenden Schritten zu einer Haltestelle im Nirgendwo. Warum lässt man ein noch so junges Kind allein an der Haltestelle stehen? Nicht dass ich overprotecting wäre, aber was, wenn der Bus mal nicht kommt – was schon mal passieren kann? Wenn ich mir vorstelle: Als Kind allein an der vielbefahrenen Landstraße, der erwartete Bus kommt nicht, kein Ansprechpartner weit und breit ... ich käme mir sehr verlassen vor.
Und das ist genau eines der Dinge, die wir unseren Kindern nie antun würden: Ihnen das Gefühl zu geben, dass sie verlassen wären, allein. Da sind die paar Jahre gut angelegt und das Urvertrauen nie gebrochen. Welch ein Geschenk für ein Wesen, das sich in einer dichten Welt voller Hektik und Reglements zurechtfinden muss.
Ein weiteres Auto hält. Die Mutter, genauso groß wie ihr Auto hoch, klettert vom Sitz herunter und schiebt den sich ebenfalls herausschälenden Sohn an die Kreuzung. Zwei Blicke, ein Schubs und der kleine Junge hüpftspringtrennt über die Straße. Die Mutter hektikt sich wieder in das Auto und lässt das verunsicherte Wesen allein zurück. Auch sie reiht sich in das Heer computergesteuerter Fahrzeuge ein. Ein Auto pro Person. Alle in die gleiche Richtung, um die gleiche Uhrzeit, zu den gleichen Orten, an den gleichen Tagen, in gleichen Leben. Bis sie krank werden und vor Auszahlung der Rente sterben. Der Bus kommt. Die Kinder steigen ein.
Ich starte meinen Wagen, drücke den Knopf für die Musik und fahre nach Hause. Mein Tag beginnt.
Ist Ihnen auch schon mal aufgefallen, wie das erste Lied am Tag den momentanen Zustand beschreibt? Wenn ich wach werde, habe ich sofort ein Lied im Kopf. Bei all den Liedern, die sich im Laufe eines 42–jährigen Lebens angesammelt haben, kann ich aus einem großen Repertoire schöpfen. Es hat ziemlich lange gedauert, bis mir klar wurde, dass das erste Morgenlied eine Botschaft in sich trägt.
Aus unerfindlichen Gründen und unabhängig von der Sprache passen Musik und der zugehörige Text zu dem augenblicklich vorherrschenden Gefühl. Als 17–Jähriger begeisterte ich mich sehr für die Platte »The Hurting« von Tears for Fears. Ich konnte die Scheibe quasi auswendig mitsingen, wenn man das so nennen kann, da ich des Englischen nur rudimentär mächtig war.
Erst viele Jahre später, als ich das Englische einigermaßen gut beherrschte, erkannte ich die Worte und den Sinn, den diese Musik in sich trug. Und die in den Liedern beschriebenen Gefühle entsprachen exakt dem Gefühlsleben meiner ersten 17 Jahren. Als hätten die Jungs von Tears For Fears vorher ein Interview mit meinem Unbewussten geführt. Und es dann in Englisch übersetzt. Erstaunlich.
Und so ist es auch jeden Morgen: Ein himmlischer DJ legt den Song des Tages in mein Ohr. Heute war es Seeed: »Stop! Heute sehe ich ziemlich gut aus, mach mich schick und setz nen Hut auf ...«. Was ich dann auch mache und beschwingt in den Tag starte.
Ich steige aus dem Auto, hänge meine Jacke an die Garderobe und nehme vorher Brieftasche und Handy heraus. Die kommen in mein Büro und nachdem ich die ausgelatschten Hausschluppen angezogen hab, bewege ich mich gemütlich in die Küche, um Kaffee aus dem Kühlschrank zu holen. Dabei versuche ich, die Katze nicht zu wecken, die sich mal wieder ein besonderes Plätzchen ausgesucht hat und die bei der geringsten Bewegung Gefahr läuft, vom Stuhl herabzufallen. Sie ist ein kleiner Tollpatsch. Und dünn und hat diesen ewigen Schnupfen. Es ist ja nicht nett: Aber ich muss oft lachen, wenn sie sich wieder umständlich einen Platz erarbeitet, sich zurechtlegt und keine Minute später mit dem gesamten Kissenarrangement vom Stuhl, von der Heizung oder vom Fenstersims herabfällt. Oder dieses Timing sich genau dann auf meinem oder Petras Schoss zurechtzukuscheln, wenn wir gleich aufstehen müssen.
Die andere Katze ist da ganz anders. Pauline. Ein Tiger in Katzengestalt. Keine Ratte ist groß genug, um nicht noch von ihr angefallen und ins Haus gebracht zu werden. Manchmal leben die noch und dann herrscht Panik im Haus. Und sie ist superstolz darauf, dass sie uns ernähren kann. Sehr witzig.
Der Espresso wird in eine Chromkanne gefüllt, unten Wasser, darüber der Kaffee, nicht zu vergessen Gummidichtung und Sieb, Zusammenschrauben und auf die Herdplatte. Daneben stelle ich einen Milchtopf, der genau die richtige Hitze hat, wenn der Kaffee laut vor sich hin blubbert. Die Milch von Hand schäumen, den Espresso langsam in die Tasse zu dem Schaum fließen lassen und das Frühstück ist fast fertig.
Ich überlege, ob ich das Radio anschalten mag, um dabei die Zeitung zu lesen, oder einfach in Ruhe dasitze, um den fantastischen Ausblick zu genießen. Vor noch nicht all zu langer Zeit war es mir sehr wichtig, Nachrichten zu hören und Zeitungen zu lesen, um genau über alles Bescheid zu wissen. Aber mittlerweile kann ich ganz gut drauf verzichten.
Fernsehen
Es summt, ein Vibrieren. Zunächst wundere ich mich über das ungewohnte Geräusch, bis mir einfällt, dass ich das Anrufsignal verändert habe. Neuerdings vibriert mein Handy, bevor es mich funky daran erinnert, dass ich angerufen werde. Wenn die Musik erklingt, ist es meist schon zu spät, um dran zu gehen, da ich das Gerät erst mal finden muss. Außer Atem und mit flinken Fingern kann ich den oberen Teil des Telefons hochschieben, und ein keuchendes Hallo reinhecheln. Ein Fernsehjob.
Zunächst freue ich mich natürlich. Hauptsächlich aber wegen des zu erwartenden Honorars. Die Zeit, in der ich viel Freude am Entwerfen von Fernsehbühnen hatte, ist längst vorbei. Die Anforderungen haben sich verändert, und die Kreativität ist auf der Strecke geblieben.
Spannende Entwürfe fallen immer öfter durch das Raster der Massenverträglichkeit und für mich ist somit immer weniger Platz in der Branche. Die daraus erwachsene Unzufriedenheit und natürlich die immer wieder auftauchende Sinnfrage der Fernseharbeit führten zu dem ewigen Hin und Her, ob ich nicht doch besser als Feng–Shui–Berater mein Geld verdienen sollte. Aber bei dieser Tätigkeit fehlt mir das kreative Moment, der Spaß neue Welten, neue Objekte, Möbel oder sonstig was zu erschaffen. Aber das Problem hat sich von allein gelöst. Als ich die Kontrolle über meine beruflichen Absichten und Ziele losließ und mich dem großen Fluss und Treiben hingab, kam alles ganz anders, als ich es je hätte planen können.
Die Situationen, die sich in mein Leben ergossen, führten mich zunächst über die längst abgelegte Kunst der Kostümgestaltung wieder zurück zum Theater, wo ich immer am liebsten gearbeitet hatte. Ich musste aber einige Jahre einen anderen Weg gehen, um mir selbst klar zu werden, dass Karriere und viel Geld zu verdienen nicht das Wichtigste im Leben ist.
Hauptsache der Job macht Spaß!
Meine frühen künstlerischen Arbeiten waren eher aus Schmerz und Leid motiviert. Die Zeichnungen, Skulpturen, Malereien, Kostüme und sonstigen kreativen Auseinandersetzungen waren Ausdruck meiner gequälten Seele, die sich über die Kunst zu befreien versuchte. Was auch gelang, aber mir natürlich nicht viel Geld einbrachte. Aus dem Schmerz und dem Druck, der durch bestimmte Verletzungen – des Selbstwertes zum Beispiel – entstanden ist, kann immense kreative Kraft entstehen. Viele Künstler – ob im Musikbereich oder darstellenden Künsten – haben in der ersten Schaffensphase ihre besten Arbeiten gestaltet, realisiert, umgesetzt. Oftmals eine Bearbeitung eines auf der Seele liegenden Schmerzes. Wenn diese Arbeit beendet ist und der Schmerz aus dem Leben herausgearbeitet wurde, kommt oft ein großes Loch. Manche Künstler versuchen dann den Schmerz künstlich weiterzubeleben, um das daraus erwachsende Leid in ihre Kreativität fließen zu lassen.
Der Schmerz kann also das Benzin für den Motor intensiven künstlerischen Schaffens sein. Manchmal sind die späteren Arbeiten nicht mehr so stark, so intensiv und berührend wie die ersten aus dem Leid geborenen Auseinandersetzungen.
Natürlich gibt es auch Künstler mit anderer Motivation – ich will nicht alle über einen Kamm scheren. Dennoch ist das Prinzip oft beobachtbar. Und bei mir war es genauso. Ich versuchte mit meiner Kunst, die ich parallel zu Design, Kostüm und Bühnenarbeit erarbeitete, meinen tiefen, unaussprechlichen Schmerz auszudrücken. Bis irgendwann plötzlich die Luft aus dem Antrieb gewichen war.
Ich hätte mich dazu durchringen können, intellektuell und kopflastig arbeitend weiterzumachen. Oder noch tiefer zu graben, um weitere Verletzungen in mir zu finden, um meinen Schaffensprozess zu füttern. Aber als ich erkannte, dass es keinen Druck mehr in mir gab, den ich durch Bilder oder Skulpturen hätte verarbeiten können, ging ich in mich und fand diese verschüttete, längst vergessene Seite in mir: die lustige, humorvolle Ebene meines Wesens. Ich entschied mich diesem Pfad zu folgen und öffnete meinem künstlerischen Können neue Türen in andere Welten des Ausdrucks. Humor.
Meine Arbeiten wurden zusehends lustiger und brachten die Menschen zum Schmunzeln. Was ich dann auch bei Dekorationen und Kindersendungen einbringen konnte. Dieser Wandel in meinem Schaffen hat mir unglaublich viel Spaß gemacht und brachte auch für mein normales Leben Veränderung. Ich verdiente endlich ganz gut und schließlich zog ich daraufhin auch mit Petra zusammen. Und wir gründeten unsere Familie.
Eine absolut neue Welt tat sich auf. Meine Intention lag nicht mehr darin, meinen Leidensdruck darzustellen, sondern meiner Lebensfreude in mir und in meiner Arbeit Raum zu geben. Es folgte eine sehr spaßige und überaus kreative Schaffenszeit. Mein Dasein bekam eine bis dato nicht gekannte Leichtigkeit, mein Fokus war auf Leben gerichtet.
Die spannendste Zeit für mein kreatives Arbeiten waren die fünf Jahre im Kaiserhoftheater zu Köln. Unter der Regie von Walter Bockmayer, der so hervorragend das Beste aus seinen Schauspielern herausholen kann, durfte ich alle Register meines künstlerischen Könnens ziehen. Nicht nur die Bühne, die ich komplett durchkonstruieren durfte, sodass jeder Kubikzentimeter genauestens verplant war, weil immer irgendwo etwas aufging, herunterschwebte, hindurchgezogen wurde oder sogar aus dem Boden herauskam. Auch funktionelle Tier– und Phantasiekostüme konnte ich entwickeln und realisieren. Technik in allen Variationen: das Bemalen und themenbezogene Dekorieren des gesamten Theaters. Das Ausklügeln der ausgefallensten Aktionen: von fliegenden Engeln über den Köpfen der Zuschauer, herabpinkelnden Affen bis zu einem Minischwimmbad unter der Bühne, welches mittels aus dem Boden kommender Spiegel zum Esther–Williams–Gedächtnisspektakel erhoben wurde. Ich konnte mich und meine Kreativität vollends ausleben. In dieser Zeit lernte ich die Kraft des Entertainments kennen.
Früher dachte ich immer, ich müsste den Menschen mit in die Höhe gestrecktem Zeigefinger die Missstände in unserer Gesellschaft und des eigenen Lebens aufzeigen. Dies geschah durch meine Kunst und meinen missionarischen Eifer. Wodurch ich die Herzen der Menschen für das Mysterium des Lebens und der notwendigen gesellschaftlichen Veränderung zu öffnen versuchte. Ich stellte aber fest, dass sich Menschen beim Betrachten von Schmerz inspirierter Kunst eher verschließen.
Sie müssen sich auch schützen, denn oftmals wird durch das Betrachten von schrecklichen Bildern das eigene Leid angerührt. Der Mensch geht in Resonanz mit dem durch die Kunst ausgedrückten Schmerz. Es gibt viele Möglichkeiten mit dieser Resonanz umzugehen. Aber in den allermeisten Fällen bleibt das Herz dabei verschlossen. Muss es ja auch, da die wenigsten Menschen den eigenen Schmerz nicht sehen wollen. Und deswegen auch die Mauer errichtet haben, die das Herz vor weiteren Verletzungen schützen soll. Wodurch allerdings auch keine Veränderung geschehen kann. Weil nicht das Herz, sondern nur der Intellekt, das Denken angesprochen wird. Und um sich zu verändern, muss man das Herz öffnen. Um die dort gefangenen Gefühle zu befreien.
In meiner Theaterzeit erkannte ich dann, wie man Menschen tatsächlich berühren kann. Als ich 300 lauthals lachende Menschen im Theatersaal sitzen sah, und die Gelöstheit in deren Gesichtern bemerkte, als sie die Show verließen, wurde mir bewusst, welche Macht und Kraft in dieser Arbeit steckt. Durch den erlebten Spaß und das daraus erfolgende Lachen sind die Herzen der Zuschauer offen und weit, die Energie ist umwerfend. Ich konnte den Unterschied in der Raumenergie vor der Show und danach fast körperlich spüren. Nicht nur, dass die Menschen sich selbst beschenken, sie geben Herzensenergie an die Umwelt weiter, ein kleines Schneeballsystem der Freude und Gelassenheit. Faszinierend. Und wenn ich im Gegensatz dazu die betroffenen, mitleidsvollen oder gar verhärteten Gesichter der vermeintlich berührten Menschen in Ausstellungen betrachte, frage ich mich, welches System ist besser geeignet, um uns selbst und unsere Welt zu heilen?
Durch humorvolles Entertainment, durch eine unterhaltsame Geschichte oder entsprechende Lieder kann ich den Zuschauern eine kleine Botschaft der Freude oder der allgemein gültigen Wahrheit einpflanzen. Dadurch erreiche ich mehr als durch erschreckende Bilder von Schmerz und Leid. Ich setze kleine Samen in die geöffneten Herzen, um eine friedlichere, offenere, und vor allem tolerantere Welt mitzugestalten. Der Samen wirkt im Herzen weiter und verändert den Menschen von innen heraus. Während Zeigefingerkunst nur den Verstand anspricht. Aber der Verstand ist nicht derjenige, der ändert. Er ist standhaft! Und wiederholt lieber das, was er kennt.
Insofern war die Theaterzeit im Kaiserhof eine vielfältige, spannende und interessante Zeit für mich. Aber auch dies ging leider vorüber. Das Theater konnte sich damals nicht mehr finanzieren. Mir blieb die Karriere als Bühnenbildner beim Fernsehen.
Das machte mir auch Freude, auch wenn der kreative Prozess dabei nur ein Bruchteil der gesamten Arbeit ausmacht. Immerhin waren auch meine logistischen und statischen Fähigkeiten gefordert. Und ich lernte die Gratwanderungen, welche die Vorgaben an den Entwurf brachten, zu beherrschen. Aber das kreative Arbeiten im Büro stellte mich nicht so zufrieden, wie das selbsthandanlegende Arbeiten mitten im Geschehen der Theaterszene.
Die Schaffensphase als Bühnenbildner hatte natürlich einige gute Seiten: Mein Honorar war um einiges gestiegen und ich arbeitete zu 90 Prozent von zu Hause aus. Wo ich meine Kinder erleben durfte, und ihnen ständig nahe war. Alles in allem in Ordnung. Eine gewisse Zeit lang.
Bis jetzt, wo ich spüre, dass eine neue Phase meines Lebens beginnt. Ein Neuanfang, der eine komplette Umstrukturierung mit sich bringt. Wohin? Ich weiß es nicht.
Ich fahre meinen neuen PC hoch. Klickklickklick und ich bin im Netz. Nachdem ich alle aufpoppenden Fenster entsorgt habe, die mich in unermüdlichem Dienst am Kunden seit Monaten daran erinnern, dass ich ein neues Virenprogramm bestellen müsste, öffne ich mein virtuelles Postamt.
Nachrichten. Ich freue mich, wenn ich Mails bekomme, muss aber feststellen, dass von zehn verschickten höchstens eine beantwortet wird. Ich liebe das Mail–Schreiben. Und aus den bereits verfassten Mails hätte ich Bücher unterschiedlichsten Niveaus machen können. Unter Massen von Spam erkenne ich die erwartete Nachricht über den neuen Job. Ich öffne den Anhang, drucke den Text aus, und surfe auf meine favorisierten Internetseiten, die ich täglich zu besuchen gewohnt bin.
Ich recherchiere gerne im Netz, wenn ich ein entsprechendes Thema, einen zu ergründenden Ansatz habe. Aber einfach so im Internet herumzugurken ist mir zu langweilig. Viele Seiten ziehen mich auch einfach runter oder verstopfen meine Synapsen mit überflüssigem Gedankenmüll mit langer Halbwertzeit. Ich beende die Verbindung, habe aber das Gefühl, noch darin verweilen zu müssen. Hypnose?
Das Blatt fällt aus dem Drucker auf den Boden. Ich hebe es auf und beginne die Anforderungen für das Bühnenbild zu lesen. Was sich am Telefon so toll angehört hatte, zeigt sich mal wieder von einer komplett anderen Seite. Nicht nur, weil der Entwurf schon gestern fertig sein müsste, weil in drei Wochen schon die erste Aufzeichnung geplant ist. Es gibt eine Kostenvoraussetzung, die überhaupt nicht realistisch ist. Nicht in der Kürze der Zeit und nicht wenn ich auch noch etwas daran verdienen will.
Ich rufe die Produktionsfirma an, um die extremen Voraussetzungen zu diskutieren, um Details zu erfahren. Auf die Frage, ob meine Entwurfsarbeit – als einer von fünf (!!!) zur Ausschreibung herangezogenen Bühnenbildnern – in gewissem Maße honoriert werden würde, höre ich nur: Das können wir uns nicht leisten. Aha, denke ich. Da wird wieder mal eine Sendung auf den Köpfen der Billigarbeiter ausgetragen. Ich kann ja verstehen, wenn die Kosten überhand nehmen, und die Produktion günstig realisiert werden muss. Aber ich weiß auch, was verdient werden kann, wenn die Sendung läuft und dass die Kosten bei rechtzeitiger Entscheidung halb so hoch sein würden. Ich kann das System einfach nicht mehr ertragen und sage kurzerhand ab. Mein Leben ist mir zu kostbar, um es mit solchen Spielen zu vermiesen. Bauchentscheidungen und Entscheidungen, die meinem Selbstwert dienen, sind immer die besten. Und letztlich hat sich immer gezeigt, dass es finanziell und arbeitstechnisch irgendwie weitergeht. Und meist eröffnen sich ganz neue Welten, neue, interessantere Jobs oder Arbeiten, für die ich keine Zeit gehabt hätte, wenn ich in dem System mitgeschwommen wäre. Und diese neuen Erfahrungen bereichern mein Leben ungemein.