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Kitabı oku: «Die Abenteuer Tom Sawyers», sayfa 11

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Tom schloß sich dem neuen Orden der „Kadetten der Enthaltsamkeit“ an, angezogen durch die glänzende Pracht ihrer „Uniform“. Er versprach, sich des Rauchens, Tabakkauens und Fluchens, so lange er Mitglied des Vereins sein würde, zu enthalten. Dabei machte er eine Entdeckung, nämlich, daß das Versprechen, etwas nicht zu tun, das sicherste Mittel von der Welt sei, einen in Versuchung zu bringen, hinzugehen und es gerade zu tun. Tom empfand sehr bald das glühende Verlangen, zu trinken und zu fluchen; der Wunsch wurde bald so stark, daß nichts als die Aussicht, mit seiner roten Schärpe prunken zu können, imstande gewesen wäre, ihn von dem Wiederaustritt aus dem Orden abzuhalten. Der vierte Juli [Anmerkung: Der 4. Juli 1776 ist der Tag der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten.] stand nahe bevor. Bald aber gab er es auf – gab es auf, ehe er seine Fesseln volle 48 Stunden getragen hatte, um seine Aufmerksamkeit dem alten Richter Frazer, dem Friedensrichter, zuzuwenden, der augenscheinlich auf dem Totenbett lag und gewiß ein großartiges öffentliches Begräbnis bekommen würde, da er doch ein so hoher Beamter war. Während dreier Tage war Tom ganz von des Richters Befinden eingenommen und hungrig nach Neuigkeiten darüber. Manchmal stieg seine Hoffnung so hoch, daß er drauf und dran war, seine Uniform hervorzuholen und vor dem Spiegel darin Probe zu halten. Aber der Richter hatte eine abscheuliche Art, sich zu besinnen. Schließlich wurde er besser und schließlich Rekonvaleszent. Tom war sehr verstimmt und fühlte sich obendrein beleidigt. Schließlich „resignierte“ er und in der nächsten Nacht bekam der Richter einen Rückfall und starb. Tom nahm sich vor, in solchen Dingen keinem Menschen mehr zu trauen. Das Begräbnis war großartig. Die Kadetten paradierten auf eine Art, die geeignet war, das bisherige Mitglied vor Neid umkommen zu lassen.

Indessen war Tom wieder ein freier Bursch. Das war das Gute dran. Er konnte trinken und fluchen, fand aber zu seiner Überraschung, daß er gar keine Lust dazu hatte. Die bloße Tatsache, daß er‘s durfte, nahm ihm den Wunsch dazu und machte die Sache reizlos.

Tom machte plötzlich die überraschende Bemerkung, daß die ersehnten Ferien anfingen, ihn zu langweilen. Er begann ein Tagebuch, aber da sich innerhalb dreier Tage nichts ereignete, so gab er‘s wieder auf.

Dann kam die erste schwarze Sängergesellschaft ins Dorf und erregte Aufsehen. Tom und Joe Harper traten in Verbindung mit der Bande und waren für zwei Tage glücklich.

Selbst der berühmte Vierte war in gewissem Sinne eine Enttäuschung, denn es regnete stark; infolgedessen fand kein Umzug statt, und der größte Mann der Welt (wie Tom glaubte), Mr. Benton, ein Senator der Vereinigten Staaten, bereitete ihm eine niederschmetternde Enttäuschung, denn er war nicht 25 Fuß hoch, auch nicht einmal annähernd.

Ein Zirkus kam. Die Jungen spielten drei Tage Zirkus in Zelten, die aus zerlumpten Teppichen bestanden, – Entree: drei Penny für Jungen, zwei für Mädchen – und dann wurde das Zirkusspielen langweilig.

Ein Phrenologe und ein Taschenspieler kamen – und gingen wieder und ließen das Dorf langweiliger und öder zurück, als es vorher gewesen war.

Becky Thatcher war nach ihrem Konstantinopeler Hause gereist, um während der Ferien bei ihren Eltern dort zu bleiben – so hatte denn das Leben keine einzige Lichtseite mehr.

Das schreckliche Geheimnis des Mordes genoß immer noch trauriges Interesse. Es war ein Gegenstand beständiger Aufregung.

Dann kamen die Masern.

Während zweier langen Wochen lag Tom als Gefangener, tot für die Welt und ihr Treiben. Er war sehr krank, gleichgültig gegen alles. Als er wieder auf den Füßen war und noch ganz schwach durch das Dorf wankte, war eine traurige Veränderung mit allen Dingen und Lebewesen vorgegangen. Es hatte eine „Wiedergeburt“ stattgefunden, und alles war „fromm geworden“, nicht nur die Erwachsenen, sondern auch die Buben und Mädel. Tom strich herum, in der Hoffnung, auf ein Gesicht, das in seiner Sündhaftigkeit sich wohl fühle, zu stoßen. Er fand Joe Harper in der Bibel lesend und floh traurig vor solchem niederdrückenden Schauspiel. Er suchte Ben Rogers und traf ihn, wie er die Armen mit einem Korb voll Traktätchen heimsuchte. Darauf fahndete er auf Jim Hollis, der ihm zeigte, wie seine wunderbare Errettung von den Masern eine Warnung sei. Jeder einzelne Junge, mit dem er zusammenkam, trug das Seinige dazu bei, ihn vollends niedergeschlagen zu machen; und als er in voller Verzweiflung davonrannte, um am Busen Huck Finns Zuflucht zu suchen – und mit einem Bibelspruch empfangen wurde, brach sein Herz, er kroch nach Hause und zu Bett, in der Überzeugung, daß er allein von dem ganzen Dorfe verloren, für immer und ewig verloren sei.

Und in der Nacht setzte es einen schrecklichen Sturm, der den Regen vor sich hertrieb, mit furchtbaren Donnerschlägen und blendenden Blitzen. Er steckte den Kopf unter die Bettdecke und erwartete in ängstlicher Ungewißheit sein Schicksal; denn ihm kam nicht ein Schatten von Zweifel, daß dieses ganze Donnerwetter ihm gelte. Er glaubte, die Geduld der himmlischen Mächte allzuhoch taxiert zu haben – und dies war die Folge davon. Es würde ihm als lächerliche Kraftverschwendung erschienen sein, eine Wanze mit Kanonen töten zu wollen, aber das schien ihm doch noch nichts, wenn er bedachte, daß ein so schreckliches Gewitter nötig sein sollte, um ein Insekt gleich ihm zu vernichten.

Allmählich tobte sich der Sturm aus und legte sich ganz, ohne seinen Zweck erfüllt zu haben. Der erste Antrieb Toms war, dankbar zu sein und sich zu bessern. Sein zweiter war, zu warten – denn vielleicht würde sobald kein Unwetter wieder losbrechen.

Am anderen Tage war der Doktor wieder da. Tom hatte einen Rückfall. Die drei Wochen, die er so still liegen mußte, schienen ihm ein ganzes Menschenalter. Als er schließlich doch wieder aufstand, war er kaum dankbar, daß er geschont worden war, da er sich sagen mußte, wie einsam er sei, wie freundlos und verlassen. Zwecklos strich er durch die Gassen und fand Jim Hollis in einem jugendlichen Gerichtshof, der eine Katze als Mörderin verurteilen sollte, den Richter machend. Das Opfer, ein Vogel, lag dabei. Joe Harper und Huck Finn traf er spazieren gehend und eine gestohlene Melone verzehrend. Arme Jungen – sie hatten, wie Tom, einen Rückfall zu erdulden.

Vierundzwanzigstes Kapitel

Schließlich wurde die brütende Langeweile ein bißchen aufgestört und erfrischt. Der Mordprozeß kam vor Gericht. Er wurde sofort der alleinige Gegenstand des Gesprächs. Tom konnte es kaum aushalten. Jede Erwähnung des Mörders jagte ihm einen Schauer durch die Glieder, denn sein bedrücktes Gewissen und seine Furcht machten ihm weis, daß alle diese Bemerkungen „Fühler“ sein sollten und auf ihn berechnet. Zwar wußte er durchaus nicht, wie ein Verdacht, etwas über den Mord zu wissen, sollte auf ihn fallen können, trotzdem aber konnte er sich inmitten all des Geklatsches nicht behaglich fühlen. Kalte Schauer schüttelten ihn beständig.

Er schleppte Huck an ein einsames Plätzchen, um sich mit ihm mal darüber auszusprechen. Es würde für ‘ne Weile doch eine Erleichterung sein, seiner Zunge mal freien Lauf gelassen zu haben, die Last seines Kummers mit einem Leidensgefährten zu teilen. Vor allem aber wollte er sich versichern, daß Huck reinen Mund gehalten habe.

„Huck, hast du jemals darüber gesprochen?“

„Worüber?“

„Na – du weißt schon!“

„Ach so – na, gewiß nicht!“

„Kein Wort?“

„Zum Teufel, auch nicht ‘s kleinste Wort! Warum fragst du?“

„Na, ich hatt‘ halt Angst!“

„Weißt du, Tom Sawyer, wir würden keine zwei Tage mehr haben, wenn das raus käm‘! Du weißt doch?“

Tom wurde behaglicher zumute. Nach einer Pause sagte er: „Du, Huck, ‘s wird dich niemand zwingen können, was zu verraten, he?“

„Mich zwingen? Na, wenn ich wollt‘, daß der Halbindianer-Teufel mir den Hals umdrehte, dann könnten sie mich zwingen, zu schwatzen.“

„Na, ‘s ist schon gut. Denk auch, daß wir sicher sind, so lang‘ wir reinen Mund halten. Aber laß uns nochmal schwören. ‘s ist sicherer!“

„Meinetwegen.“

So schwuren sie nochmals die schrecklichsten Eide.

„Was wird denn eigentlich geschwatzt, Huck? Ich hab‘ so viel durch‘nander gehört!“

„Schwatzen? Na, ‘s ist immer Muff Potter, Muff Potter, Muff Potter. Jedesmal gerat‘ ich ordentlich in Schweiß, daß ich gleich davonlaufen möcht‘!“

„‘s ist grad so wie bei mir. Ich denk‘ wohl, daß er ‘n Gauner ist. Hast du zuweilen Mitleid mit ihm?“

„Fast immer – fast immer. Er taugt ja nicht viel; aber er hat doch nie was getan, um jemand zu verletzen. Er stiehlt wohl zuweilen Fische, um Geld für Branntwein zu kriegen – und treibt sich beständig herum; aber, Herr Gott, das tun wir doch alle – oder wenigstens die meisten – auch die Prediger und solche Leute. Aber er ist doch ‘n guter Kerl – er gab mir mal ‘n halben Fisch, wo‘s doch nicht genug war für zwei, und oft genug war er freundlich gegen mich und half mir, wenn ich in ‘ner Patsche saß.“

„Ja, und mir hat er Drachen gemacht, Huck, und Angelhaken. – Wollt, wir könnten ihm raushelfen – “

„Lieber Gott, Tom, wir können ihm nicht ‘raushelfen. Und dann – ‘s wär‘ auch gar nicht gut; sie kriegten ihn doch wieder.“

„Ja – das täten sie. Aber ich kann‘s nicht hören, daß sie auf ihn schimpfen wie auf ‘nen Teufel, wo er‘s doch gar nicht getan hat.“

„Ich auch, Tom! Gott, ich hört‘, wie einer sagte, er ist der blutgierigste Lump im ganzen Land, und sie wunderten sich nur, daß er noch nicht aufgeknüpft ist.“

„Ja, das sagen sie immer. Ich hab‘ gehört, sie wollten ihn lynchen, wenn er freikäm‘.“

„Und das täten sie auch.“

Die Jungen schwatzten noch lange, aber es brachte ihnen wenig Befreiung. Als das Zwielicht anbrach, fanden sie sich auf einmal in der Nachbarschaft des kleinen, einsamen Gebäudes, vielleicht in der unbestimmten Hoffnung, es könne irgend was geschehen, wodurch ihre Kümmernisse gehoben würden. Aber nichts geschah, weder Engel noch gute Geister schienen sich mit diesem unglücklichen Gefangenen beschäftigen zu wollen.

Die Jungens taten, was sie schon oft vorher getan hatten – gingen zu dem Gitterfenster und steckten Potter ein bißchen Tabak und Zündhölzer zu. Er lag auf dem Fußboden – Wächter waren nicht da.

Seine Dankbarkeit für ihre kleinen Gaben hatte bisher immer ihr Gewissen entlastet – jetzt wurde es nur noch schwerer. Sie fühlten sich im höchsten Grade gemein und treulos, als Potter sagte: „Ihr seid doch immer gut gegen mich gewesen, Jungs, besser als sonst jemand im Dorf. Und ich werd‘s nicht vergessen, werd‘s nicht! Oft denk‘ ich, hab‘ allen Jungen Drachen gemacht und alles, und ihnen gute Fischplätze gezeigt, und ihnen geholfen, wo ich konnt‘, und nu‘ vergessen sie alle den alten Muff, wo er so in der Patsche sitzt, nur der Tom tut‘s nicht, und der Huck tut‘s nicht, die vergessen ihn nicht, sagt‘ ich, und ich werd‘ sie nicht vergessen! Na, Jungs, ich hab‘ was Schreckliches getan – betrunken und verrückt muß ich gewesen sein; ‘s ist die einzige Art, wie ich‘s mir denken kann, und jetzt soll ich dafür baumeln, und ‘s ist recht so. Recht und ‘s beste auch, glaub‘ ich, hoff‘ wenigstens. Na, wollen nicht davon sprechen. Möcht‘ euch ‘s Herz nicht schwer machen. Aber wollt euch doch sagen: Trinkt nicht, wenn ihr groß seid, dann kommt ihr nie hierher. Kommt mal näher ran – so, ‘s ist doch schon was, so ‘n paar gute Gesichter zu sehen – gute, freundliche Gesichter. Steigt mal einer auf den anderen und gebt mal eure Patschen her. Kommt leichter durch die Stangen, meine Faust ist zu groß. Kleine Hände – und zart – aber haben Muff Potter ‘ne Menge geholfen und würden noch mehr tun, wenn sie könnten.“

Tom schlich niedergeschlagen nach Hause, und seine Träume waren schrecklich. Am nächsten und übernächsten Tage lungerte er um das Gerichtsgebäude herum, von unwiderstehlichem Verlangen angetrieben, hineinzugehen, und doch sich selbst zwingend, es nicht zu tun. Huck hatte dieselben Versuchungen. Sie gingen sich geflissentlich aus dem Wege. Jeder ging von Zeit zu Zeit mal fort, aber derselbe verzweifelte Zauber trieb ihn immer sehr bald wieder hin. Tom hielt die Ohren offen, wenn irgend ein Müßiggänger herauskam, hörte aber immer nur betrübende Neuigkeiten. Die Schlinge zog sich immer und immer fester zusammen um den armen Potter. Am Abend des zweiten Tages war das Dorfgespräch, daß des Indianer-Joe Erscheinen feststehe, und daß über den zu erwartenden Spruch der Geschworenen nicht der geringste Zweifel entstehe.

Tom war diesen Abend lange aus und gelangte durchs Fenster ins Bett. Er befand sich in schrecklich aufgeregtem Zustande. Es dauerte Stunden, bis er einschlafen konnte.

Am nächsten Morgen strömte das ganze Dorf zum Gerichtsgebäude, denn es würde ein großer Tag sein. Beide Geschlechter waren zu dem aufregenden Verhör erschienen. Nach langer Zeit traten die Geschworenen ein und begaben sich auf ihre Plätze. Kurz danach wurde Muff Potter, blaß und hohläugig, verschüchtert und hoffnungslos, mit Ketten beladen, hereingebracht und setzte sich so, daß all die neugierigen Augen ihn treffen mußten; nicht weniger wurde der Indianer-Joe beobachtet, der gleichgültig, wie immer, dasaß. Noch eine Pause, und dann kam der Richter, und der Sheriff verkündete den Beginn der Sitzung. Es folgte das gewöhnliche Geflüster zwischen den Gerichtspersonen und Papierknistern. Diese Einzelheiten und Umständlichkeiten bewirkten eine erwartungsvolle Stimmung, die ebenso aufregend wie lähmend war.

Jetzt wurde jener Bürger aufgerufen, welcher beschwor, daß er Muff Potter in sehr früher Stunde am Morgen des Mordes getroffen hatte, wie er sich in einem Graben wusch, und daß er sofort davongelaufen sei. Nach einigen weiteren Fragen sagte der Staatsanwalt: „Der Herr Verteidiger hat das Wort.“ Der Gefangene erhob für einen Augenblick die Augen, schlug sie aber sofort nieder, als sein Verteidiger sagte: „Ich verzichte.“

Der nächste Zeuge erzählte die Auffindung des Messers am Tatorte. Der Staatsanwalt sagte abermals: „Der Herr Verteidiger hat das Wort.“

„Ich verzichte,“ entgegnete auch diesmal der Verteidiger.

Ein dritter Zeuge beschwor, daß er das Messer oftmals in Muff Potters Besitz gesehen habe.

„Der Herr Verteidiger hat das Wort.“

Potters Verteidiger dankte wiederum.

Die Gesichter der Zuhörer begannen Unwillen zu zeigen. Wollte dieser Verteidiger das Leben seines Klienten ohne jeden Versuch zu seiner Rettung preisgeben?

Mehrere Zeugen berichteten über Potters verdächtiges Benehmen, als er an den Mordplatz geführt wurde. Sie konnten ebenfalls ohne Gegenverhör den Platz verlassen.

Alle Einzelheiten der gravierenden Vorkommnisse an jenem Morgen, dessen sich alle Anwesenden so gut erinnerten, waren von glaubwürdigen Zeugen bestätigt, und nicht einer war durch Potters Verteidiger einem Gegenverhör unterworfen worden. Die Verblüffung und Unzufriedenheit des Hauses machte sich in Murren bemerklich, was eine Zurechtweisung seitens des Vorsitzenden zur Folge hatte.

Jetzt begann der Staatsanwalt: „Durch den Eid von Bürgern, deren einfaches Wort schon über jeden Zweifel erhaben ist, sehen wir das schreckliche Verbrechen dem unglücklichen Gefangenen dort zur Last gelegt. Die Sachlage ist über jeden Zweifel erhaben.“

Ein Stöhnen entrang sich dem armen Potter, er bedeckte das Gesicht mit den Händen, während sein Körper gleichsam zusammenschrumpfte. Ein peinliches Stillschweigen hatte sich über den Saal gelegt. Alle waren bewegt, und manche Frau verriet ihre Bewegung durch Tränen.

Der Verteidiger erhob sich und sagte: „Euer Ehren! Zu Beginn der gegenwärtigen Verhandlung gaben wir unsere Absicht kund, zu zeigen, daß unser Klient diese schreckliche Tat beging, während er unter dem Einflusse eines blinden, geistesverwirrenden Rausches infolge übermäßigen Trunkes stand. Wir haben unsere Ansicht geändert. Wir können auf diesen Einwand verzichten!“ (Dann zum Gerichtsdiener): „Tom Sawyer!“

In allen Gesichtern malte sich unverhohlenes Erstaunen, Potter nicht ausgenommen. Jedes Auge heftete sich mit verwundertem Interesse auf Tom, als er aufstand und sich auf seinen Platz in der Zeugenloge setzte. Der Junge sah verstört genug aus, er war auch mächtig verschüchtert. Die Eidesformel war gesprochen.

„Thomas Sawyer, wo wart Ihr am 7. Juni um Mitternacht?“

Tom schielte auf des Indianer-Joe eisernes Gesicht, und die Zunge versagte ihm den Dienst. Alle Zuhörer warteten atemlos, aber die Worte kamen nicht heraus. Nach ein paar Augenblicken indessen sammelte der Junge ein bißchen Mut und versuchte genug davon in seine Stimmung zu legen, um sich einem Teil des Saales hörbar zu machen.

„Auf dem Kirchhof.“

„Bitte, etwas lauter. Fürchtet Euch nicht. Ihr wart – “

„Auf dem Kirchhof.“

Ein verächtliches Lächeln flog über des Indianer-Joe Gesicht.

„Wart Ihr vielleicht in der Nähe von William Horses Grab?“

„Ja, Herr!“

„Noch ein bißchen lauter. Wie nahe wart Ihr?“

„So nahe, wie jetzt zu Ihnen.“

„Wart Ihr versteckt oder nicht?“

„Ich war versteckt.“

„Wo?“

„Unter den Ulmen, die am Kopfende des Grabes stehen.“

Der Indianer-Joe fuhr unmerklich zusammen.

„Wart Ihr in Begleitung?“

„Ja, Herr. Ich war da mit – “

„Halt – einen Augenblick. Nennt den Namen Eures Gefährten noch nicht. Wir wollen ihn zur rechten Zeit aufrufen. Hattet Ihr irgend etwas mit?“

Tom zögerte und schaute verwirrt um sich.

„Na, sprich – mein Junge! Nicht zaghaft! Die Wahrheit ist immer achtungswert. Was hattest du mit?“

„Nur – nur – ‘ne tote Katze!“

Ein schwaches Kichern entstand, wurde aber sofort vom Gerichtshof unterdrückt.

„Wir werden das Skelett der Katze vorlegen. Jetzt, mein Junge, sag‘ uns, was sich zutrug – sag‘s ganz auf deine Weise – vergiß nichts und fürchte dich nicht.“

Tom begann – zuerst stammelnd, aber als er warm wurde, flossen seine Worte leichter und immer leichter; in kurzem verstummte jeder Laut außer seiner Stimme; jedes Auge heftete sich auf ihn; mit geöffneten Lippen und angehaltenem Atem hingen die Zuhörer an seinen Worten, vollkommen von der Spannung der Erzählung beherrscht. Die Erregung erreichte den höchsten Grad, als er sagte: „Und wie der Doktor mit dem Brett haute und Potter fiel, da sprang der Indianer-Joe mit dem Messer – “

Krach! – Schnell wie der Blitz sprang der Indianer-Joe zum Fenster durch alle Zuschauer hindurch und war im Nu verschwunden!

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Tom war schon wieder ein strahlender Held – der Liebling der Alten, der Neid der Jugend. Sein Name gelangte sogar zu den Ehren der Druckerschwärze, denn das Blättchen des Dorfes verherrlichte ihn. Es gab sogar Leute, die in ihm den zukünftigen Präsidenten sahen, ausgenommen, wenn er vorher gehenkt werde.

Wie gewöhnlich, drückte die gedankenlose Welt jetzt Muff Potter an ihre Brust und überschüttete ihn mit Zärtlichkeiten, wie sie ihn bisher verlästert hatte. Aber diese Sinnesänderung spricht für die Welt; deswegen ist‘s besser, keine Glossen drüber zu machen.

Toms Tage waren Tage des Glanzes und des Frohlockens, aber seine Nächte waren Zeiten des Schreckens. Der Indianer-Joe spukte in all seinen Träumen und immer mit haßerfüllten Augen. Schwerlich hätte irgend etwas den Jungen veranlassen können, nach Anbruch der Nacht noch hinauszugehen. Der arme Huck befand sich gleichfalls im Zustand der Verzweiflung und Angst, denn Tom hatte in der Nacht vor der Gerichtsverhandlung dem Verteidiger alles gesagt, und Huck hatte gräßliche Angst, daß seine Beteiligung bei der Sache bekannt werden möchte, obwohl ihn des Indianers Flucht von der Qual befreit hatte, vor Gericht Zeugnis ablegen zu müssen. Der arme Bursche hatte vom Verteidiger das Versprechen des Schweigens erhalten, aber was war das? Seit Tom, durch sein beladenes Gewissen getrieben, in jener Nacht ins Haus des Verteidigers gegangen war und die schreckliche Geschichte, die doch mit den bindendsten, furchtbarsten Eiden in ihm verschlossen sein sollte, gebeichtet hatte, war Hucks Glauben an die menschliche Rasse nahezu vernichtet. Jeden Tag ließen Muff Potters Dankesbezeugungen Tom sich freuen, daß er gesprochen hatte, aber nachts wünschte er, das Geheimnis bewahrt zu haben. Manchmal fürchtete er, der Indianer-Joe möchte niemals gefunden werden, dann wieder zitterte er, daß er gefunden werden könnte. Er fühlte nur zu sicher, daß er nicht mehr ruhig atmen könne, bis dieser Mensch tot sei und er seine Leiche gesehen habe.

Belohnungen waren ausgesetzt, das Land durchsucht, aber kein Joe gefunden. Eins jener geheimnisvollen, ehrfurchtgebietenden Wunder, ein Detektiv, kam von St. Louis herauf, schnüffelte herum, schüttelte den Kopf, tat sehr weise und hatte den überraschenden Erfolg, den Angehörige dieser Berufsklasse stets haben, das heißt, „er fand den Schlüssel“. Aber man kann einen Schlüssel nicht als Mörder hängen und so, nachdem der Detektiv heimwärts gegangen war, fühlte sich Tom genau so unsicher wie vorher. Trübselig schlichen die Tage, aber jeder nahm ein klein wenig von seiner Besorgnis mit sich.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 eylül 2017
Hacim:
270 s. 1 illüstrasyon
Tercüman:
Telif hakkı:
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