Kitabı oku: «Die Abenteuer Tom Sawyers», sayfa 12
Sechsundzwanzigstes Kapitel
In jedes normal veranlagten Jungen Leben kommt eine Zeit, wo er den rasenden Wunsch empfindet, irgendwo nach vergrabenen Schätzen zu suchen.
Dieser Wunsch überfiel Tom eines Tages ganz plötzlich. Er machte sich auf den Weg, um Joe Harper zu suchen, hatte aber keinen Erfolg. Dann suchte er Ben Rogers; der war zum Fischen gegangen. Plötzlich stieß er auf Huck Finn, den ‚Bluthändigen‘. Tom schleppte ihn an einen versteckten Ort und vertraute sich ihm an. Huck war sofort bereit. Huck war immer bereit, sich an einem Unternehmen zu beteiligen, das Zerstreuung versprach und kein Kapital verlangte, denn er hatte schrecklichen Überfluß von der Art Zeit, die nicht Geld ist.
„Wo wollen wir graben?“ fragte Huck.
„O – halt überall.“
„Was, ist überall welches vergraben?“
„Ach was, das nicht! ‘s ist an ganz besonderen Plätzen vergraben, Huck – manchmal auf Inseln, manchmal in alten verfaulten Kisten, unter den Wurzeln eines abgestorbenen Baumes, grad‘ da, wohin der Schatten bei Mondschein fällt; besonders aber unter dem Fußboden in ‘nem verfallenen Haus.“
„Wer vergräbt‘s denn?“
„Na, Räuber selbstverständlich – was dachtst du denn? Sonntagsschul-Lehrer?“
„Weiß nicht. Wenn‘s mir gehörte, ich würd‘s nicht vergraben. Ich würd‘s ausgeben und mir ‘ne lustige Zeit machen.“
„Tät‘ ich auch. Aber Räuber tun‘s nicht, die vergraben‘s immer und lassen‘s liegen.“
„Kommen sie gar nicht mehr hin?“
„Nein, – sie denken wohl, sie wollen wieder hinkommen, aber dann haben sie die Zeichen vergessen oder sind auch inzwischen gestorben. Manchmal liegt‘s ‘ne lange, lange Zeit da und wird rostig. Und schließlich find‘ dann mal jemand so ‘n altes vergilbtes Papier, da muß er über ‘ne Woche drüber brüten, denn ‘s sind schwere Zeichen und Hieroglyphen drauf geschrieben.“
„Hiero – was?“
„Hieroglyphen – Bilder und Zeug, weißt du, das gar nichts vorzustellen scheint.“
„Hast du schon mal so ‘n Papier gehabt, Tom?“
„Nee.“
„Na, wie willst du denn die Zeichen rauskriegen?“
„Ach was, brauch‘ keine Zeichen. Sie vergraben‘s ja immer unter ‘nem verfallnen Haus oder auf ‘ner Insel oder unter ‘nem abgestorbenen Baum, der ‘ne Wurzel von sich streckt. Na, wir haben‘s ja schon mal mit der Jackson-Insel versucht und können ja leicht noch mal hingehn; und dann ist da das alte verfallne Haus auf dem Stillhaus-Hügel, und dann gibt‘s ‘ne Menge Wurzeln von toten Bäumen – massenhaft!“
„Ist unter allen was?“
„Was schwatzt du! Nee!“
„Woher kannst du denn wissen, wohin wir gehen müssen?“
„Na – zu allen!“
„Verflucht, Tom – ‘s wird den ganzen Sommer dauern.“
„Na, was schad‘s? Denk‘, du findst ‘nen Messingtopf, ganz rostig oder ‘ne verfaulte Kiste voll Diamanten – he?“
Hucks Augen glänzten.
„Wär‘ grad‘ was für mich, Tom, wär‘ ganz extra was für mich! Ader die Diamanten nehm‘ ich nicht für hundert Dollars!“
„Na, schon gut. Aber ich würd‘ die Diamanten nicht verschmähn! Einige von ihnen sind zwanzig Dollar wert. Alle nicht – aber auch die andern sind sechs Cent bis ‘nen Dollar wert.“
„Nee – ist das so?“
„Sicher – alle sagen‘s. Hast du nie einen gesehn, Huck?“
„Nicht, daß ich wüßte.“
„O, Könige haben Haufen davon.“
„Na, ich kenn‘ aber keinen König, Tom!“
„Denk‘ wohl, daß du keinen kennst. Aber, wenn du nach Europa gingst, würdst du ‘ne Menge rumhüpfen sehn.“
„Hüpfen die?“
„Hüpfen, du Schafskopf? Nee!“
„Na – warum sagtest du denn, daß sie‘s täten?“
„Nachtmütze! Meint‘ doch nur, du würdst sie sehn, – nicht hüpfend natürlich – warum sollten sie denn hüpfen? Meint‘ nur, du würdst sie sehn – überall, verstehst du – überall! Zum Beispiel beim alten buckligen Richard.“
„Richard? Wie ist sein anderer Name?“
„Er hat keinen anderen Namen – Könige haben nur ‘nen Vornamen.“
„Nicht?“
„Aber nein – sag‘ ich dir!“
„Na, wenn‘s so ist, Tom, meinetwegen. Aber ich möcht‘ nicht König sein und nur ‘nen Vornamen haben wie ‘n Nigger. Aber, sag mal – wo willst du zuerst graben?“
„Weiß noch nicht. Denk‘ wir nehmen den abgestorbenen Baum auf dem Hügel hinter Stillhaus?“
„Mir recht.“
So trieben sie denn eine ausrangierte Hacke und eine Schaufel auf und machten sich auf den Weg von drei Meilen. Sie kamen heiß und erschöpft an und warfen sich im Schatten einer benachbarten Ulme nieder, um auszuruhen und ein bißchen zu rauchen.
„So gefällts mir,“ meinte Tom.
„Mein‘ ich auch.“
„Sag‘, Huck – wenn wir hier ‘nen Schatz finden, was machst du mit deiner Hälfte?“
„Na, dann muß ich jeden Tag ‘ne Pastete und ‘n Glas Sodawasser haben, und dann geh‘ ich in jeden Zirkus, der herkommt. Soll ‘ne famose Zeit werden!“
„Na, und du willst gar nichts sparen?“
„Sparen? Wozu?“
„Nu, damit du später mal was zu leben hast!“
„Ach, das ist ja Unsinn! Pap wird eines schönen Tags in dies liebliche Nest zurückkommen und seine Klauen drüber legen, wenn ich‘s noch nicht verbraucht hätt‘, und ich sag‘ dir, er hätt‘s bald genug durchgebracht. Was willst du tun, Tom?“
„Ich werd‘ mir ‘ne neue Trommel kaufen und ‘n richtiges Schwert und ‘n rotes Halstuch, und ‘ne junge Bulldogge – und dann würd‘ ich heiraten.“
„Heiraten!!?“
„Na ja!“
„Tom, du – na, wenn du nicht recht bei Verstand bist!“
„Wart‘ nur – wirst‘s ja sehn.“
„Na, das ist doch ‘s Dümmste, was du tun könntest. Sieh doch nur meinen Pap und seine Alte. Teufel – was die sich prügeln! Weiß noch ganz gut!“
„Das ist ‘n anderes Ding. Das Mädchen, das ich heiraten will, prügelt sich nicht!“
„Tom – denk‘ doch, sie sind alle gleich! Wollen einen alle striegeln. Wirst nach ‘ner Weile wohl vernünftiger drüber denken. Wie heißt denn ‘s Mädel?“
„‘s ist überhaupt kein Mädel – ‘s ist ‘n Mädchen!“
„Denk‘ doch, ‘s ist alles eins; die einen sagen Mädel, die anderen Mädchen – ‘s ist ganz gleich. Aber wie heißt sie denn, Tom?“
„‘n andermal, sag‘ ich‘s dir, Huck – jetzt nicht.“
„Na – ‘s auch recht. Aber wenn du heiratest, werd‘ ich noch einsamer sein.“
„Unsinn, Huck, du kommst zu mir und wohnst hier. – Na, genug davon, wollen wir anfangen, zu graben?“
Sie arbeiteten und schwitzten eine halbe Stunde hindurch. Kein Resultat. Sie mühten sich noch eine halbe Stunde. Noch kein Erfolg.
Huck meinte: „Graben sie immer so tief?“
„Manchmal – nicht immer. Denk, wir haben nicht die rechte Stelle erwischt.“ Sie wählten eine andere Stelle und begannen nochmals. Die Arbeit stockte diesmal ein bißchen, aber sie kamen doch vorwärts. Wieder gruben sie stillschweigend eine Zeitlang. Schließlich lehnte sich Huck auf seine Schaufel, wischte den Schweiß von seiner Stirn und sagte: „Wo woll‘n wir graben, wenn wir hier fertig sind?“
„Denk‘, wir woll‘n den alten Baum über Cardiff Hill – hinter dem Haus der Witwe nehmen.“
„Glaub‘s auch, daß dort was ist. Aber, wenn‘s die Witwe uns fortnimmt, Tom? ‘s ist ihr Land.“
„Sie wegnehmen! Soll sie‘s doch nur versuchen! Wenn einer so ‘nen vergrabenen Schatz findet, gehört er ihm. Ich mach‘ keinen Unterschied, wem das Land grad‘ gehört.“
Das war beruhigend. Die Arbeit wurde fortgesetzt. Dann sagte Huck wieder:
„Verdammt – wir müssen wieder an ‘nem falschen Platz sein. Was meinst du?“
„‘s ist wirklich sonderbar, Huck. Versteh‘s nicht. Manchmal stören‘s die Hexen. Denk‘ ‘s wird das sein, was uns hier stört.“
„Unsinn, Hexen haben tags keine Macht!“
„Na ja, ‘s ist wahr! Dachte nicht dran. Halt – jetzt weiß ich, wie‘s ist! Was für verdammt große Schafsköpfe wir sind! Man muß ja doch erst wissen, wohin der Schatten bei Mondschein fällt, und da muß man dann graben!“
„Na ja, dann glaub‘ ich‘s, daß wir all die Arbeit umsonst gemacht haben. Jetzt hol‘s der Teufel alles, müssen halt zur Nachtzeit wiederkommen. ‘s ist ‘n verteufelt weiter Weg. Kannst du fortkommen?“
„Werd‘s schon machen. Diese Nacht woll‘n wir‘s also machen, denn wenn jemand diese Gruben da sieht, weiß er doch gleich, was da los ist und gräbt‘s selbst aus.“
„‘s ist gut, ich werd‘ nachts kommen und miauen.“
„Recht – aber jetzt wollen wir noch das Werkzeug in den Büschen verstecken.“
Nachts, zur verabredeten Stunde waren die Jungen wieder da. Wartend saßen sie im Schatten. Es war ein einsamer Platz und eine durch lange Tradition unheimlich gewordene Stunde. Geister wisperten im raschelnden Laub. Geister spukten in allen Ecken, das klagende Heulen eines Hundes tönte aus einiger Entfernung herüber, eine Eule antwortete mit Grabesstimme. Die Jungen fühlten sich von ihrer unheimlichen Umgebung bedrückt und sprachen nur mit leiser Stimme. Schließlich nahmen sie an, es möchte zwölf Uhr sein; sie bezeichneten die Stelle, wohin der Schatten fiel und begannen zu graben. Ihre Hoffnung wuchs; das Interesse wurde lebhafter, und ihr Fleiß hielt gleichen Schritt. Das Loch wurde tiefer und tiefer, aber so oft ihre Herzen zu klopfen begannen, wenn ein scharfer Ton von unten hervordrang, erfuhren sie eine neue Enttäuschung. Jedesmal war‘s nur ein Stein oder Holzstrunk. Schließlich sagte Tom: „‘s ist nicht richtig. Huck, wir haben‘s wieder verfehlt!“
„Unsinn, wir können ‘s nicht verfehlt haben. Wir haben doch den Schatten zu genau getroffen.“
„Ja, ich weiß, aber vielleicht ist sonst was schuld.“
„Was denn?“
„Wir haben die Zeit bloß abgeschätzt. Leicht genug war‘s später oder früher.“
Huck ließ die Schaufel sinken. „Das ist‘s.“ sagte er. „Das ist‘s, was uns gestört hat. Wir müssen‘s aufgeben. Wir können doch nicht immer die rechte Zeit abpassen, und dann, das Ding hier ist zu unheimlich, hier diese Nachtzeit mit Geistern und Gespenstern, die um einen rumfliegen. Ich bild‘ mir immer ein, ‘s ist wer hinter mir, und hab‘ doch Angst, mich umzusehn, denn ‘s könnten auch welche vor mir sein und nur auf ‘ne Gelegenheit warten. So lang‘ ich hier bin, läuft‘s mir kalt über.“
„Na, mir ist‘s nicht viel besser gegangen, Huck. Meistens haben sie ‘nen toten Mann begraben, wo sie ihre Schätze hintun, der muß drauf achthaben.“
„Herr Gott!“
„Ja, ‘s ist so. Hab‘ immer so sagen gehört.“
„Tom, möcht mir doch nicht viel zu schaffen machen, wo ‘n Toter liegt. So ‘n toter Schädel könnt‘ einem doch höllisch Angst machen.“
„Möcht‘ keinen aufstöbern, Huck. Zu denken, daß hier plötzlich einer den Kopf rausstreckt und anfängt, zu sprechen.“
„Still, Tom – ‘s ist schrecklich!“
„Na, das ist‘s gewiß, Huck. Würd‘ mich auch nicht gemütlich dabei fühlen!“
„Du, Tom, komm, wollen‘s hier sein lassen, und ‘s wo anders versuchen.“
„Ja, ich denk‘ auch, ‘s wird besser sein.“
„Wo denn?“
Tom dachte eine Weile nach und sagte: „Das Beinhaus – das ist‘s.“
„Teufel! Beinhäuser lieb‘ ich gar nicht, Tom! Da sind Gespenster, und die sind noch schlimmer als Tote. Tote können vielleicht mal ‘n bißchen schwatzen, aber sie fahren nicht herum und kommen nicht ‘rangeschlichen, wenn man nicht dran denkt und gucken einem nicht plötzlich über die Schulter und knirschen nicht mit den Zähnen, wie Gespenster tun. Ich könnt‘s nicht ertragen, Tom – niemand könnt‘s.“
„Ja; aber, Huck, Geister dürfen nur nachts herumhuschen – bei Tage können sie uns nicht hindern, da zu graben.“
„Ja, das ist wohl so. – Aber du weißt wohl, daß überhaupt niemand gern in die Nähe vom Beinhaus geht – weder bei Tag noch bei Nacht.“
„Na, ‘s ist aber doch nur, weil sie nicht hingehen mögen, wo mal einer gemordet worden ist. Aber ‘s hat doch nie jemand was Verdächtiges im Beinhaus gesehn – nur ‘n bißchen blaues Licht im Fenster – keine Geister.“
„Na, ich sag‘ dir, Tom, wo du so ‘n blaues Licht siehst, kannst du sicher sein, daß da ‘n Geist dahinter steckt. ‘s ist doch mal so bekannt. So ‘n Licht, weißt du, braucht niemand als Gespenster.“
„‘s ist wahr, Huck. Aber bei Tag‘ kommen sie doch nicht ‘raus; da brauchen wir uns doch nicht zu fürchten?“
„Na, meinetwegen, wenn du meinst, woll‘n wir ‘s Beinhaus vornehmen – aber – aber ich denk doch, ‘s ist gewagt.“
Inzwischen waren sie den Hügel hinuntergekommen. Dort, mitten im Mondlicht, im Tal stand das Beinhaus vor ihnen, gänzlich einsam, die Umzäunung längst zerbrochen, die Tür umgeben von allerhand Schlinggewächsen, das Dach halb zerfallen, leere Fensterhöhlen und der Schornstein eingesunken. Die Jungen standen eine Weile still, halb in der Erwartung, ein blaues Licht in den Fenstern zu sehen; sie sprachen, wie Zeit und Umstände es verlangten, mit halber Stimme. Dann machten sie, daß sie fortkamen, umkreisten das unheimliche Gebäude in weitem Bogen und schlichen durch den Wald von Cardiff Hill nach Hause.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Gegen Mittag des nächsten Tages kamen die Jungen bei dem abgestorbenen Baum an; sie wollten ihr Werkzeug holen. Tom hatte es sehr eilig, zum Beinhaus zu kommen. Huck, etwas weniger hitzig, sagte plötzlich:
„Wart mal, Tom, weißt du auch, was heut für ‘n Tag ist?“
Tom ließ die Tage der Woche Revue passieren und machte erschreckte Augen:
„Donnerwetter, Huck, hab‘ noch gar nicht dran dacht!“
„Na, ich hab‘s bisher auch nicht getan, aber plötzlich fiel‘s mir eben ein, heut ist Freitag!“
„Verdammt! Man kann doch nicht vorsichtig genug sein, Huck. Hätten in ‘ne schöne Patsche geraten können, wenn wir so was an ‘nem Freitag begonnen hätten!“
„Will ich meinen! Sag‘ lieber: wären gekommen! ‘s gibt Glückstage, aber der Freitag ist gewiß keiner von ihnen!“
„Das weiß jeder Dummkopf. Denk doch, du bist nicht der erste, der das rauskriegt.“
„Na, das hab‘ ich ja doch auch nicht gesagt, oder? Und der Freitag ist noch nicht alles. Hab‘ ‘nen verflucht bösen Traum gehabt, letzte Nacht – hab‘ von Ratten geträumt.“
„Na, ist ‘n schönes Zeichen, daß was passiert! Kämpften sie?“
„Nee.“
„Na, dann ist‘s gut, Huck. Wenn sie nicht kämpfen, ist‘s nur ein Zeichen, daß was in der Luft liegt, weißt du. Wir brauchen also bloß gut aufzupassen und uns in acht zu nehmen. Wollen wir also das für heute lassen und spielen. – Kennst du Robin Hood, Huck?“
„Nee, wer ist Robin Hood?“
„Na, das war einer von den größten Menschen, die je in England gelebt haben – und einer der besten. ‘s war ein Räuber.“
„Wetter, wünscht‘, ich wär‘ auch einer. Wen beraubte er denn?“
„Nur Sheriffs und Bischöfe und reiche Leute und Könige und solches Volk. Arme beraubte er nie. Er liebte sie. Er teilte alles mit ihnen bis auf den letzten Penny.“
„Muß ein verflucht guter Bursche gewesen sein.“
„Will ich meinen, Huck. O, er war der edelste Mensch, der je gelebt hat. Solche Leute gibt‘s jetzt gar nicht mehr, sag‘ ich dir. Er konnte alle Menschen in England besiegen, auch wenn seine eine Hand gebunden war. Und dann konnte er mit seinem Eibenbogen und seinem Pfeil ein Zehn-Centstück jederzeit treffen – anderthalb Meilen davon.“
„Was ist ‘n Eibenbogen?“
„Weiß nicht; ‘s ist halt irgend ein Bogen. Und wenn er das Stück nur am Rande traf, setzte er sich hin und weinte – wahrhaftig. Aber laß uns Robin Hood spielen – ‘s ist ‘n famoser Spaß. Werd‘s dir beibringen.“
„Mir recht.“
So spielten sie Robin Hood den ganzen Nachmittag, zuweilen sehnsüchtige Blicke auf das Beinhaus werfend und eine Bemerkung über die Aussichten und möglichen Ereignisse des nächsten Tages fallen lassend. Als die Sonne im Westen zu sinken begann, schlenderten sie heimwärts durch die langen Schatten der Bäume und waren bald im Walde von Cardiff Hill verschwunden.
Am Samstag, kurz nach Mittag, waren die Jungen abermals am Fuße des bewußten Baumes. Sie rauchten ein bißchen und hielten ein Schwätzchen im Schatten der Bäume, und stocherten dann ein wenig in ihrer Grube, nicht mit großen Hoffnungen, sondern mehr, weil Tom sagte, es wäre schon oft vorgekommen, daß Leute einen Schatz schon aufgegeben, nachdem sie ihm bis auf sechs Zoll nahe gekommen seien, und dann sei irgend ein anderer gekommen und habe ihn mit einem einzigen Spatenstich ausgehoben. Diesmal war‘s indessen nichts, so nahmen die Jungen ihr Werkzeug auf die Schultern und marschierten ab, im Gefühl, daß sie beim Graben zwar kein Glück gehabt, aber alles getan hätten, was beim Schatzsuchen vonnöten sei.
Als sie das Beinhaus erreichten, lag etwas so Geheimnisvolles, Unheimliches in dem toten Schweigen, das hier unter der brütenden Sonne herrschte, und etwas so Niederdrückendes in der Verlassenheit und Trostlosigkeit des Ortes, daß sie für einen Augenblick nicht den Mut hatten, einzutreten. Dann schlichen sie zur Tür und spähten vorsichtig hinein. Sie erblickten einen von Unkraut überwucherten, ungepflasterten Raum, einen alten Feuerherd, leere Fensterhöhlen, eine halb zerfallene Treppe, und hier und da und dort hingen zerrissene, verlassene Spinnengewebe. Sie traten sogleich vorsichtig ein, mit klopfenden Pulsen, sich im Flüsterton besprechend, die Ohren für das geringste Geräusch gespitzt, die Muskeln angespannt, um unverzüglich davonlaufen zu können.
Aber in kurzem wurden sie heimisch, verloren ihre Furcht und unterzogen die Szenerie einer kritischen, aufmerksamen Inspektion, dabei immer mehr ihre eigene Kühnheit bewundernd. Danach richteten sich ihre Blicke auf die Treppe. Es hieß, sich den Rückzug abschneiden, aber sie ermutigten sich gegenseitig, und so konnte es nicht fehlen – sie warfen ihre Geräte in eine Ecke und kletterten hinauf. Oben zeigten sich dieselben Spuren des Verfalls. In einem Winkel fanden sie einen vielversprechenden Wandschrank, aber die Hoffnung war trügerisch – es war nichts drin. Jetzt waren sie wieder ganz im Besitz ihres Mutes und ihrer Unternehmungslust. Gerade wollten sie wieder hinunter und ihr Werk beginnen, da —
„Pst,“ flüsterte Tom.
„Was gibt‘s?“ Huck ebenso, schneeweiß vor Schreck.
„Pscht – du – hörst du nichts?“
„Ja – o Himmel – laß uns fortlaufen!“
„Halt‘s Maul! Rühr‘ dich nicht! Sie kommen richtig auf die Tür zu!“
Die Jungen kauerten sich auf den Fußboden nieder, spähten durch Ritzen auf dem Fußboden und warteten in Furcht und Elend.
„Sie halten – nein – sie kommen – da sind sie! Kein Wort mehr, Huck! Mein Gott – ich wollt‘, ich wär‘ hier raus!“
Zwei Männer traten ein. Beide Jungen sagten zu sich selbst: „‘s ist der alte taubstumme Spanier, der ein paarmal letzthin im Dorfe war – den anderen hab‘ ich nie gesehn.“
Der „andere“ war ein zerlumpter, ungekämmter Strolch mit wenig einladenden Gesichtszügen. Der Spanier war in eine „Serape“ gehüllt, er hatte einen struppigen weißen Bart, langes, weißes Haar flatterte unter dem Räuberhut hervor, er trug grüne Augengläser. Indem sie hereinkamen, sprach der „andere“ mit leiser Stimme; sie setzten sich auf die Erde, das Gesicht zur Tür, den Rücken gegen die Wand, und der Sprecher fuhr fort. Sein Benehmen wurde ungenierter und seine Sprache entschiedener.
„Nein,“ sagte er, „hab‘ drüber nachgedacht – ‘s geht nicht; ‘s ist zu gefährlich.“
„Gefährlich,“ höhnte der taubstumme Spanier zur höchsten Überraschung der Jungen. „Waschlappen!“
Diese Stimme ließ die Jungen erzittern wie Espenlaub. Es war der Indianer-Joe! Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann fuhr Joe fort: „Was ist wohl gefährlicher als der letzte Streich – und doch ist nichts passiert.“
„Das ist ‘n Unterschied. Weit draußen am Fluß und kein Haus in der Nähe! Wer sollt‘ denn wissen, daß wir was versucht haben, wo wir doch nichts erreicht haben!“
„Na, wie kann was gefährlicher sein, als bei Tage hierher kommen? Wer uns säh‘, müßt‘ doch Verdacht haben.“
„Weiß wohl. ‘s gab aber keinen besseren Platz nach dem mißglückten Streich. Muß fort von hier. Wollt‘s auch gestern schon, ‘s war aber nicht möglich, von hier auszuziehen, solange diese Teufelsjungen da oben ganz in der Nähe spielten.“
„Diese Teufelsjungen“ zuckten unter dieser Bemerkung zusammen und dachten, wie gut es doch sei, daß sie sich noch zur rechten Zeit an den Freitag erinnert und beschlossen hatten, bis Samstag zu warten. Sie wünschten nur, ein Jahr gewartet zu haben.
Die beiden Männer holten ein paar Lebensmittel hervor und hielten eine Mahlzeit. Nach langem, gedankenvollen Schweigen sagte Joe: „Paß auf, Kerl, mache, daß du wieder stromaufwärts kommst, wo du hingehörst. Warte dort, bis du von mir hörst. Werd‘ mir mal die Gelegenheit ansehen im Dorf. Wenn ich ‘n bißchen rumgeschnüffelt hab‘ und alles sich gut anläßt, wolln wir das ‚gefährliche Stückchen‘ ausführen. Dann nach Texas! Wollen‘s zusammen machen!“
Das war befriedigend. Beide fingen an zu gähnen, und Joe sagte:
„Bin todmüde! Die Reihe ist an dir, zu wachen.“
Er warf sich nieder und begann bald zu schnarchen. Der andere stieß ihn ein paarmal an, und er wurde ruhig. Plötzlich begann der Wächter zu nicken; sein Kopf sank tiefer und tiefer; dann schliefen beide.
Die Jungen taten einen langen, erleichterten Atemzug. Tom flüsterte:
„Jetzt gilt‘s – komm!“
Huck aber meinte: „Kann nicht – wär‘ tot, wenn sie aufwachten!“
Tom drängte, Huck hielt zurück. Schließlich erhob sich Tom leise und furchtsam und schlich allein davon. Aber der erste Schritt, den er tat, erzeugte auf dem Holzboden ein solches Krachen, daß er halbtot vor Angst wieder niederkauerte. Er machte keinen zweiten Versuch. Die Jungen lagen da, die schrecklichen Augenblicke zählend, bis es ihnen schien, die Zeit habe aufgehört und die Ewigkeit beginne. Und dann erleichterte sie der Gedanke, daß schließlich die Sonne untergehen müsse. Jetzt rührte sich der eine Schläfer. Joe richtete sich auf, starrte um sich, lächelte verächtlich auf seinen Spießgesellen nieder, dessen Kopf auf seine Knie gesunken war, stieß ihn mit dem Fuße an und rief: „Auf! Bist mir ‘n schöner Wächter, Kerl!“
„Na ja, was denn – ‘s ist ja nichts passiert.“
„Na – hast du denn jetzt ausgeschlafen?“
„‘s geht halb und halb.“
„Jetzt heißt‘s aber aufbrechen. Was machen wir nur mit dem bißchen Geld, was wir noch haben?“
„Weiß nicht – lassen‘s hier, wie sonst, denk‘ ich. Wer sollt‘s fortnehmen, wenn wir weg sind? Sechshundertundfünfzig in Silber ist auch zu viel zum Mitschleppen.“
„Na ja – ist recht – wenn wir doch noch mal herkommen müssen.“
„Dann ist‘s aber doch besser, in der Nacht herzukommen, wie sonst.“
„Ja – aber denk‘ mal, ‘s könnt‘ doch ‘ne ziemliche Zeit dauern, bis ich zu dem Streich kommen kann, ‘s könnt sich was zutragen und ‘s liegt hier grad‘ an keinem guten Platz. Wollen‘s doch lieber richtig vergraben – und tief vergraben.“
„‘s ist ‘n guter Gedanke,“ sagte der andere, ging durch den Raum, kniete nieder, riß einen der Herdsteine auf und holte einen Sack heraus, der vielversprechend klang. Er nahm zwanzig bis dreißig Dollar für sich und ebensoviel für Joe heraus und gab den Sack letzterem, der in der Ecke kniete, mit seinem Messer die Erde aufwühlend.
Die Jungen vergaßen alle Angst, all ihre Verlegenheit bei diesem Anblick. Mit glänzenden Augen verfolgten sie jede Bewegung. Der Glanz da unten übertraf all ihre Vorstellungen! Sechshundert Dollar war Geld genug, ein halbes Dutzend kleiner Jungen reich zu machen! Hier ließ sich unter den glücklichsten Aussichten nach Gold graben, da gab‘s kein Kopfzerbrechen, wo man graben müsse. Jeden Augenblick stießen sie einander an – ein leichtes Verständigungsmittel, denn ihr einziger Gedanke war: Freust dich, daß wie hier sind.
Joes Messer stieß auf etwas.
„Holla,“ sagte er.
„Was gibt‘s?“ fragte der andere Strolch.
„‘n halb verfaulter Balken – nee, glaub‘, ‘s ist ‘n Kasten. Hier, hilf mal, wollen sehn, was es gibt. Ho, da hab‘ ich ‘n Loch hineingebrochen.“
Er griff mit der Hand hinunter und zog sie wieder heraus.
„Mensch – ‘s ist Geld!“
Die beiden untersuchten die Handvoll Münzen. Es war wirklich Gold. Die Jungen oben waren ebenso erregt und entzückt wie sie.
Joes Spießgeselle sagte: „Wollen gleich ganze Arbeit damit machen. Dort liegt ‘ne alte verrostete Hacke in der Ecke, dort auf der anderen Seite vom Herd – sah sie vorhin.“
Er lief hin und brachte Hacke und Schaufel der Jungen. Joe nahm die Hacke, betrachtete sie mit kritischer Miene, schüttelte den Kopf, murmelte etwas vor sich hin und begann damit zu hantieren.
Die Kiste war bald ausgegraben. Sie war nicht sehr groß; sie hatte Eisenbänder und war sehr stark gewesen, bevor der Zahn der Zeit sie angefressen hatte. Der Kerl betrachtete den Schatz eine Weile aufmerksam, schweigend, aber vergnügt.
„Kerl, ‘s sind gewiß tausend Dollar,“ sagte er.
„‘s hat ja immer schon geheißen, daß Murrels Bande vorigen Sommer hier gehaust hat,“ bemerkte der Fremde.
„Weiß wohl,“ entgegnete Joe, „und mir scheint, ‘s sieht ganz danach aus.“
„Jetzt brauchst du deinen Streich nicht mehr auszuführen, sollt‘ ich denken.“
Der Indianer runzelte die Stirn und sagte: „Du kennst mich nicht. Wenigstens weißt du nichts von dieser Sache. Hier will ich nicht rauben – ‘s ist Rache!“ Und mit flammenden Augen sprang er auf. „Brauch‘ deine Hilfe dazu nicht! Wenn‘s geschehen ist – nach Texas. Geh‘ du nur heim zu deiner Hure und der Brut – und sei bereit, wenn du von mir hörst!“
„‘s ist gut, wenn du‘s sagst. Was woll‘n wir hiermit machen – wieder vergraben?“
„Ja. (Freude und Entzücken oben.) Nein, beim großen Geist, nein! (Tiefe Niedergeschlagenheit.) ‘s könnt‘ leicht vergessen werden. – Die Hacke da hat frische Erdspuren! (Die Jungen wurden fast ohnmächtig vor plötzlichem Schreck.) Was haben ‘ne Hacke und ‘ne Schaufel hier zu tun? Wie kommt frische Erde dran? Wer hat sie hier gebraucht – und wo sind die Burschen hin? Hast du was gehört – was gesehn? Zum Teufel – wieder vergraben und sie kommen lassen und die Erde frisch aufgewühlt sehen? Wär‘ so was! Glaub‘s. Wir nehmen das mit.“
„Na, meinetwegen. Aber überleg‘ erst, wohin. Meinst du Nummer eins?“
„Nein – Nummer zwei – unter dem Kreuz. Der andere Platz ist schlecht – zu gewöhnlich.“
„Recht. ‘s ist bald dunkel genug, aufzubrechen.“
Joe richtete sich auf und ging von Fenster zu Fenster, vorsichtig hinausspähend. Plötzlich sagte er: „Wer könnt‘ doch nur das Handwerkszeug da hergebracht haben? Glaubst du, sie könnten oben sein?“
Den Jungen stand der Atem still. Joe legte die Hand ans Messer, zögerte einen Moment unentschlossen, dann begann er die Treppe zu ersteigen. Die Jungen dachten an den Schrank, aber die Kräfte versagten ihnen. Die Schritte näherten sich knarrend – die verzweifelte Lage stachelte die gesunkenen Lebensgeister wieder auf – sie waren im Begriff, zum Schrank zu laufen, als plötzlich das Krachen brechenden Holzes ertönte und Joe wieder unten ankam, mit den Trümmern der Treppe.
Fluchend rappelte er sich empor und der andere Strolch sagte: „Na, wozu das alles! Wenn jemand da ist und er steckt oben – laß ihn stecken – was kümmert‘s uns? Wenn einer runter kommen will und sich hier Ungelegenheiten zuzieht – meinetwegen! In fünfzehn Minuten wird‘s dunkel – dann soll uns folgen, wer will. Meine Meinung ist: die Kerls, die die Sachen hierher geschleppt haben, haben uns gesehen und uns für Gespenster und Geister gehalten. Will wetten, sie laufen noch!“
Joe brummte noch ‘ne Weile, dann stimmte er dem anderen bei, das letzte Tageslicht zur Ausführung der nötigen Vorbereitungen zu benützen. Kurz danach schlüpften sie aus dem Haus ins Zwielicht und wandten sich mit ihrer kostbaren Last dem Flusse zu.
Tom und Huck erhoben sich, warteten, bis alles still war und starrten dann durch Ritzen im Gebälk ihnen nach. Folgen! Kein Gedanke – sie waren zufrieden, den Boden zu erreichen, ohne sich den Hals gebrochen zu haben, und machten sich über den Hügel auf den Heimweg. Sie sprachen nicht viel, sie waren zu ärgerlich auf sich selbst – ärgerlich über die Dummheit, Hacke und Spaten mit hierher zu nehmen. Denn ohne das würde Joe niemals Verdacht geschöpft haben. Er hätte Silber und Gold vergraben, um erst seine „Rache“ auszuführen – und dann würde er das Unglück gehabt haben, nichts mehr vorzufinden! Bitteres, bitteres Verhängnis, daß sie ihr Werkzeug mitschleppen mußten! Sie nahmen sich vor, auf den Spanier zu achten, wenn er ins Dorf kommen sollte, um das Terrain für seinen Racheplan zu sondieren, und ihm dann nach „Nummer zwei“ zu folgen, mochte es sein, wo es wollte. Da kam Tom ein schrecklicher Gedanke:
„Rache? Wenn er uns meinte. Huck?“
„Er wird doch nicht?“ stotterte Huck, fast umfallend.
Sie sprachen eifrig darüber und einigten sich in der Annahme, daß er jemand anders gemeint haben müsse – im schlimmsten Fall könne er nur Tom meinen, da nur dieser Zeugnis abgelegt habe.
Was ein sehr, sehr schwacher Trost für Tom war, allein in Gefahr zu sein! Ein Leidensgefährte würde hier ein besserer Trost sein – dachte er.