Kitabı oku: «Vom Herzchirurgen zum Fernfahrer», sayfa 2

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Hobby und Beruf

Markus und ich können stundenlang fahren und schweigen. Im Herzklopftempo scheppert von der Stereo-Bordanlage so etwas wie

All we hear is Radio Gaga Radio Googoo Radio Gaga All we hear is Radio Gaga Radio Blahblah

Von Chiasso bis weit um Mailand herum zieht sich links und rechts der Autobahn die Agglomeration bis hin zum Horizont. »Nichts Schönes, wirklich nichts Schönes«, sagt Markus, und ich sage, um etwas zu sagen, in ein paar Jahren könnte die Poebene eine von Autobahnen durchzogene Betonfläche wie etwa der Großraum von Los Angeles werden.

Die vier Rückspiegel rechts vervierfachen die Hässlichkeit in grotesker Verzerrung – und behalten in Selbstbespiegelung das eigene Blechkleid aus allen möglichen Winkeln im Blick. Es gibt den Seitenspiegel, den Weitwinkelspiegel und den Rampenspiegel, der die Sicht von oben aufs Rad der Vorderachse erlaubt. Darin kann ich die Fahrspur verfolgen und staune, wie passgenau Markus Kilometer um Kilometer dem Randstrich entlangfahren kann.

Der Totwinkelspiegel unten rechts von der Frontscheibe zeigt Fahrräder und Fußgänger, die sich hinter dem Blech der Tür und den fünf Einstiegsstufen verbergen. Niedrigwild, das sich nahe an der Front aufhält oder nahe seitlich der Kabine parallel mitfährt, lebt gefährlich. Auch das ein Grund, warum einen in der Kabine immer ein bisschen die Angst begleitet. Um Kinder zu sehen, die hinter dem Auflieger spielen, schaltet mit dem Rückwärtsgang automatisch eine Kamera ein. Es wäre zu schlimm, sich aus Unachtsamkeit schuldig zu machen. Doch sieht die Kamera auch unter die Karosserie? Markus sagt, nein.

Drei Raststätten früher hat das Navigationsgerät Stau um Mailand angezeigt. Nun ist die Meldung weg. Auf einen Stau auflaufen gilt für Markus wie für jeden Fernfahrer als persönliche Schlappe. Mit etwas Voraussicht lässt sich das vermeiden, davon ist Markus überzeugt. Es sei denn, die Ausweichstraßen seien für den Schwerverkehr gesperrt. Aber bis jetzt läuft alles rund. Mit etwas Glück können wir heute tatsächlich noch laden in Genua, denn eben ruft Michi von Transfood aus Frauenfeld an. Michi ist der Disponent einer Flotte von über einem Dutzend Fernfahrern und meldet, dass wir die Tanks nicht zu reinigen brauchen. Die Zeitersparnis verlängert den Tag um zwei bis drei Stunden.

Wir rollen und rollen, bummeln und brummeln in gebührendem Abstand hinter Walos Heck her. Nach Mailand wird die Agglo allmählich zur Landschaft. Reis und Raps folgen sich in rechtwinkligen Flächen, die sich in der Perspektive zu Trapezen verziehen, darüber Hochspannungsleitungen unter einem schweflig diesigen Himmel. Area Servizio, Total Servizio. Gelati Motta. An den Wiesenböschungen blüht der Klatschmohn fast im gleichen Rot wie unser Blechkleid.

Später, in den zerklüfteten Hügeln, welche die Poebene von Genua trennen, heulen drei Polizeiautos mit Vollgas und Blaulicht an uns vorbei. Markus scheint eine Rechnung offen zu haben, sei es mit der Polizei, sei es mit Italien überhaupt. Er sagt: »Wahrscheinlich fahren sie zum Mittagessen.« In den Serpentinen, hinunter Richtung Genua holen wir sie wieder ein. Sie haben bei einem Brückenkopf geparkt, beugen sich über das Geländer und schauen, immer noch bei Blaulicht, unverwandt hinunter in eine endlos tiefe Schlucht. Die Fantasie serviert mir andere Geschichten als die vom Mittagessen.

Um mich für den Panoramablick auf Genua etwas zurückzulehnen, heble ich an der Mechanik des Sitzes. Unser Mercedes ist wie ein Hightech-Gerät bis zum Rand mit Elektronik gefüllt. Unversehens macht die Heizung Feuer unter dem Arsch, mitten in diesem schwülwarmen Tag.

»Du hast den falschen Knopf erwischt«, sagt Markus.

»Ja klar, aber welcher ist der richtige? Es gibt so viele Knöpfe, so viel zu lernen.«

Markus lacht durch die Frontscheibe in einen imaginären Fluchtpunkt: »Das ging mir genauso, das hält einen frisch. Als ich auf den Sattelschlepper umstieg, das ist jetzt vier Jahre her, hatte ich zuvor einen Crash-Kurs in Fernverkehr zu bestehen. Erst fuhr ich jede zweite Woche. Seit bald zwei Jahren, nachdem mein Kumpel ausgestiegen ist, Woche für Woche. Fünfzig Wochen im Jahr. Ich lernte von Kollegen und von den eigenen Fehlern. Unterdessen kann ich eine halbe Million Kilometer Erfahrungen weitergeben.«

Ich rechne kurz: »Bei einem Erdumfang von vierzigtausend Kilometern wärst du ein gutes Dutzend Mal rund um die Erde gefahren.«

Markus sagt nach einer Weile: »89 km/h sind keine Geschwindigkeit, aber in vier Jahren kommt man damit doch ziemlich weit.«

Später sagt er unvermittelt: »Einfach ein schönes Gefährt.«

Ich nicke: »Man kann süchtig werden nach diesem Fahrgefühl.«

Wieder lacht Markus durch die Frontscheibe.

Hafenromantik

Genua hat nichts von seiner sperrigen Hässlichkeit verloren, seit ich zum letzten Mal dort war. Verwitterte, von Feuchtigkeit, Öl und Ruß zerfressene Fassaden der grob hingeklotzten Gebäude, die fast auf Griffweite an die Serpentinen der holprigen Autobahn am Rand der Berge heranreichen.

»Möchtest du so wohnen?«, fragt Markus und schüttelt den Kopf. Nun meldet sich Walo, der uns immer noch vorausfährt, über Handy: »Habt ihr das gesehen?«, ruft er fröhlich. »Die hängen die Wäsche zum Trocknen raus. Stellt euch das vor. Die ist so toxisch, wenn sie die wieder anziehen, fällt ihnen die Haut in Fetzen vom Leib.«

In der Stadt wartet Walo auf uns, führt uns zielstrebig zum Hafen. Markus schaut auf sein Navigationsgerät. Es weist uns den genau gleich verschlungenen Weg um Lagerhallen, Siloanlagen und abgestellte Güterwagen herum. Die einzige sichtbare Orientierung bietet die Laterna di Genova, der mächtige alte Leuchtturm am Hafenrand. Wir kurven hinter Walos schwer schaukelndem Auflieger her, über Schlaglöcher, um verbeulte Container, gespenstisch kaputte Fassaden, um Berge von Schrott herum, auf einen Parkplatz am Rande eines zerbröselnden Backsteingebäudekomplexes. Die Tanks stehen wie überdimensionierte rostende Konservendosen vor der Kulisse des mediterranen Himmels. Markus parkt rückwärts nach allen Regeln der Kunst, sauber mit Walo koordiniert, der Pas de deux eines Sattelschlepperballetts.

Unsere Lagertanks stehen unmittelbar am Hafenbecken, wo die Fähre nach Algerien und die großen Kreuzfahrtenschiffe zum Auslaufen bereit liegen. Das Blau des Wassers und die schneeweißen Rümpfe gaukeln den Hauch einer besseren Welt vor. In den Lärm der Lastkräne und den Geruch der Dieselabgase mischt sich der Geruch von Sonnenblumen, als wiegten sich ihre Blüten goldgelb bis hin zum Horizont im Wind. Wer weiß, woher unsere Ladung für Horn am Bodensee kommt, vom Schwarzen Meer oder von der Ukraine? Häfen, denke ich, Häfen sind ja auch so Herzen. Sie pumpen Rohstoffe in die Fabriken und pumpen Waren aus den Fabriken hinaus in die Märkte der Welt, zu ihrer Endbestimmung in den Verbrennungsanlagen.

Es gibt eine ganze Reihe von Schläuchen, durch die wir unser Sonnenblumenöl hätten einfüllen können, aber nur eine der Pumpen ist in Betrieb. Nichts zu machen. Mittagspause. Im Dauerrennen, das Trucker im Kampf um Minuten gegen die Uhr fahren, ist gegen Italien nichts zu gewinnen. Markus erledigt die Formalitäten an einem Schmuddelschalterchen in einer zugigen Schattenecke und übersetzt für Walo. Im Übrigen sucht Walo eine Antwort auf die Frage, wo er tanken kann. Als Angestellter von Transfood muss er bei Tankstellen der Marke Q8 Oils auffüllen, weil Transfood bei dem Label Verträge zu günstigen Konditionen hat. Markus ist Selbstfahrer. Er wirtschaftet auf eigene Rechnung, auch beim Diesel.

»Gibt es nicht in Tarragona Q8?«, fragt Walo.

Markus denkt kurz nach: »Meinst du vielleicht Tortona?«

Walo windet sich. Die Verwechslung ist ihm peinlich: »Dieser Hafen macht mich konfus.«

Walo lädt ab

Walo und ich setzen uns auf zwei rostige Poller am Quai, während Markus wieder mit Papieren von Schalter zu Schalter unterwegs ist. »Der Markus ist spitze«, sagt Walo unvermittelt ins Blaue des Wassers hinaus, »er hat das so richtig angenommen von uns, das, hm, Proletarische. Absolut solidarisch. Echt.« Walo sagt oft »echt«, obwohl er keinen Verdacht der Unechtheit erweckt. Aber wenn es um Markus geht, fühlt er sich zu Nachdruck verpflichtet: »Markus ist wie wir. Sogar noch mehr. Er ist einer von uns – und die Respektsperson, die kühl und unbestechlich zwischen den Parteien vermittelt. In seiner ruhigen Art holt er für uns immer wieder mal was heraus: beim Spediteur, beim Verband, bei der Polizei, beim Zoll. Einer wie er ist Gold wert für uns. Und wir – wir sind ja fast, das kann man schon sagen, Geächtete, Aussätzige, am Rand der Städte, wir stinken nach Pisse, nach Scheiße und Diesel, denkt mancher, ohne uns näher zu kennen. Wir haben herzuhalten als Sündenböcke für Staus, für die Verstopfung der Straßen, für den Klimawandel … Einfach für alles. Man hält uns für die Parias der Gesellschaft, die Aussätzigen, die an den Rand der Städte in Dauerquarantäne gehören. Einunddreißig Jahre auf dem Bock sind genug, jetzt höre ich auf, bevor ich nicht mehr sitzen kann.«

Markus hat mich gewarnt, dass Walo stets vom Aufhören redet, obwohl er weiß, wie schwierig es ist, sich von einer so langen Gewohnheit zu trennen, auch wenn er sie als schlechte Gewohnheit, ja fast als chronische Krankheit bezeichnet. Irgendwie versteht er es, seinen Frust zur Freude an der bunten Vielfalt des wirklichen Lebens zu verdichten. Er sieht mir wohl an, dass ich seinen Ausbruch für einen Ausdruck von momentanem Verleider und sein Schimpfen und Klagen eher für ein Stilmittel der Unterhaltung halte.

Walo sagt: »Die Politiker treten auf uns herum, wir werden schikaniert und zur Kasse gebeten, auf Gedeih und Verderb. Ich geb dir ein Beispiel. Mit Sensoren quer über die Straße messen sie deinen Achsdruck.«

»Meinen waaas?«, frage ich.

»Deinen Achsdruck. Jede Achse messen sie einzeln.« »Sie« erweist sich als gängiges Synonym für die Polizei oder die Polizisten. »Nach der nächsten Kurve stoppen sie dich. Ich war in Deutschland mit meiner Schweizer Nummer unterwegs. Sie dachten, den nehmen wir, der kommt nicht aus der EU. Die hintere Achse der Zugmaschine hatte 1,4 Tonnen zu viel. Das fällt bei vierzig Tonnen kaum ins Gewicht. Man verschätzt sich leicht, weil die Waagen an den Ladestellen nur das Gesamtgewicht wägen, nicht aber den Achsdruck. Sie knöpften mir zweitausendeinhundert Euro ab für mein Vergehen. Schwupps, waren ein paar Tage Einkommen weg. Direkt von der Kreditkarte. Das nur als Beispiel, keine drei Wochen ists her. Sollen wir wieder mal streiken? Es ist bewiesen. Die Welt hat ein Dieselherz. Diesel pumpt die Waren in den Wirtschaftskreislauf. Per Container von Kontinent zu Kontinent, auf der Straße, den Kapillaren des Systems, bis an die Rampen der Fabriken und weiter in die Gestelle der Supermärkte, in Hongkong, in Java, in Chile und Schanghai.«

Die Reminiszenz an Melina Mercouris Lied passt in den Hafen, in dem wir stehen, und Walo freut sich, dass ich lache. »Ohne uns geht gar nichts«, sagt er, stell dir vor, ich fahre mit Frischmilch, Salat oder lebenden Tieren. Und stell dir vor, wir fahren alle zur gleichen Stunde nicht mehr. Bleiben einfach stehen, basta. Nach zwei bis drei Tagen Lieferstopp beginnt die Welt stillzustehen. Zugegeben, ob wir unbedingt Milch aus Neuseeland brauchen und ob wir deutsche Kartoffeln nach Süditalien karren müssen, um sie auf EU-Normgröße zu hobeln, ist eine andere Frage. Aber ändern können wir auf unseren Böcken das genauso wenig wie die Abhängigkeit der Milch von der Kuh und der Kuh vom Heu, das sie frisst. Die Milch wächst nun mal nicht im Supermarkt, das Benzin kommt nicht durch die Röhren der Wasserversorgung ins Haus. Jemand muss die Dinge holen und bringen. Den Kreislauf in Gang halten. Ist das so schwer zu begreifen? Die Tankstelle liegt nicht am Bahnhof. Der Bauernhof hat keinen Gleisanschluss.«

Weiter hinten im Hafen hebt ein giraffenähnlicher Laufkran Stück für Stück Container wie Legoklötze aus einem Schiffsbauch und schichtet sie zu einer gigantischen Mauer auf. Walo hat das wohl schon tausendmal gesehen, er nimmt es kaum wahr. Er sagt: »Womit haben wir die Schikanen und die ganze schlechte Behandlung verdient, wofür verachtet man uns? Um die Welt zu versorgen, das hinterste Dorf, die letzte Fabrik am Ende der Welt, reißen wir uns täglich den Arsch auf der Straße auf. Warum? Nein, ich will keinen Dank, aber ich will meinen Lohn und einen gewissen Respekt. Das wäre nicht mehr als Anstand. Wir sind nicht der Dreck, für den man uns hält.«

Ich habe Mühe, Walo zu verstehen, nicht weil er undeutlich spricht, sondern weil ein Abbruchbagger in der Nähe beim Rückwärtsmanövrieren unermüdlich schrill piepst und auch weil mir seine Truckerwelt noch zu wenig vertraut ist. »Die meisten von uns haben etwas gelernt. Markus sowieso. Aber auch ich zum Beispiel, ich bin Automechaniker und habe erst kurz vor dem Abitur die Schule geschmissen. Bin ich etwa nicht konversationsfähig? Sind wir etwa dumm, bloß weil man uns nicht denken sieht und reden hört, hoch oben hinter dem Blech der Kabine. Gut. Klar, dumm ist es schon, dreißig Jahre lang dranzubleiben, Autobahn auf und Autobahn ab durch Europa. Sag mir ein Land der EU, in dem ich nicht war. Und dann? ›Nach so langer Zeit können die nicht mal unsere Sprache‹, wirft man uns vor. Wie sollten wir auch. Das ist gar nicht möglich. Französisch, Italienisch, Polnisch, Finnisch, Rumänisch … Wie denn? Wer spricht denn so viele Sprachen? Nicht einmal Markus. Frag ihn mal etwas auf Serbokroatisch.«

Ich schaue dem Abbruchbagger zu, der bei jedem Richtungswechsel aufheult und eine schwarze Dieselwolke ausstößt. Walo folgt seinen Gedanken weiter: »Wenn ich heute noch fahre, fahre ich einzig fürs Geld. Und das ist kaum mehr zu verdienen. Als ich anfing, war ich einundzwanzig und meine Freundin schwanger. Die Entscheidung, auf die Straße zu gehen, fiel rasch. Als Fahrer kriegte ich das Doppelte eines Mechanikers. Dann bin ich hängen geblieben, obwohl mir heute kaum mehr halb so viel bleibt wie damals. Doch was soll ich tun?«

Während Walo spricht, geht mir immer die gleiche Frage durch den Kopf. Markus, Markus, warum tust du das? Warum tust du dir das an?

Walo hat noch andere Zeiten erlebt. Er kommt fast ins Schwärmen: »Angefangen habe ich auf einem Scania. Die Kabine war eine enge Zelle ohne jeden Komfort. Rechts neben dem Sitz lag der Motor in einem Tunnel; der wurde so heiß, dass wir Spiegeleier brieten darauf. Die ›schwedische Folterkammer‹ hieß der Scania damals im Truckervolksmund. Die Achsen hatten sechzehn Blattfedern aus hartem schwedischem Stahl. Das Einzige, was federte, war die Luft in den Reifen. Wir saßen auf Scherensitzen. Wenn die Mechanik ausgeleiert war, schlug sie durch. Wir fielen ungedämpft auf den Asphalt – und fühlten uns wie rohe Eier im freien Fall. Humpty Dumpty, du weißt schon. Ja, so fing das an. Ich habs überlebt, mit einem Bandscheibenschaden.

Die Scherensitze haben mich unters Messer gebracht. Als man mir sagte, was mich auf dem Schragen erwartete, wurde mir heiß und kalt und so schlecht wie noch nie. Das Rückgrat liegt hinter dem Bauch, eben im Rücken, aber damit ich wieder geradeauf sitzen konnte, musste der Chirurg den Bauch von vorne aufschlitzen, die Innereien beiseiteräumen und dann mit Säge und Skalpell die Nerven freilegen. Freilich pennte ich, als ich meine offene Bauchhöhle dem Werkzeug darbot. Die Operation dauerte fünf Stunden. Zwei Bandscheiben wurden miteinander verschraubt, damit sie nicht mehr aneinanderscheuern können. Als mir der Chirurg im Nachhinein erzählte, dass eine Schwester die Sehnen mit einer Pinzette festhalten musste, wurde mir grad noch einmal schlecht. Gewiss, es kam wieder gut, wie jedermann sieht. Bloß, nach wie viel Zeit. Anderthalb Jahre ging ich am Stock. Kururlaub, Physiotherapie, liegen, liegen, liegen. Oft dachte ich da: Weshalb haben sie mich nicht wie einen Sportwagen etwas tiefer gelegt. Am besten gleich einen Meter achtzig.«

Markus, der unterdessen triumphierend mit den Papieren winkend vom Parcours durch die Schalter zurückgekommen ist, meint: »Du hättest mit dem Eingriff noch ein paar Jahre zuwarten sollen.«

»Bei Schmerzen wie von einer glühenden Zange im Rücken?«

»Du wurdest noch nach der alten Methode operiert. Heute, mit dem Endoskop, bräuchte es nicht mehr als drei schmale Schnittchen. Da stehst du noch am gleichen Tag auf und gehst bald wieder heim. Das wäre für die Rekonvaleszenz schon damals besser gewesen – dich sofort wieder zu bewegen.«

Walo schwenkt testweise sein Becken, Markus meint: »Auch das Endoskop muss nicht sein. Es lohnt sich nicht, an den Sitzen zu sparen, auf denen man so manche Stunden den Arsch drauf hat.«

»Wie beim Schreiben«, füge ich an. »Die Hauptarbeit in den meisten Berufen leistet der Arsch.«

Warten, warten, warten. Wir sehen zu, wie die Mannschaft auf dem Feuerwehrschiff am Quai aus Rohren und Schläuchen Wasser ins Wasser spritzt und wie sich die Container zu einer Mauer ins Blaue hoch stapeln. »K« Line, UASC, Hanjin, Yang Ming, China Shipping. Wie viele Container fasst ein Schiff der Super-Panamax-Klasse? Über siebeneinhalbtausend Container. Wie viele die Malakka-Max-Klasse? Bis zu achtzehntausend. Und jeder dieser Container wird einzeln ins Verkehrsnetz eingespeist, um irgendwo auf der Welt eine Zelle des ökonomischen Organismus mit Nährstoff zu versorgen. Sie sehen winzig aus, wenn die Laufkatze sie durch die Luft schweben lässt, aber auf einem Sattelschlepper ist jeder einzelne Container ein Ungetüm, mächtig genug, um eine Autobahn zu blockieren. Mit dem Inhalt unseres Aufliegers verhält es sich ähnlich. Was eine Stunde braucht, um den Leerraum zu füllen, ist im Silo von Genua kaum mehr als ein Tröpfchen.

Immer noch hängt der gleiche Wagen am Einfüllstutzen. Die anderen stehen mit laufendem Motor bereit. Um auf dem Sprung zu sein, wenn die Reihe an uns kommt, bleiben wir in der Nähe und vertreten uns in einem zugigen Durchgang die Beine. Es ist laut, feucht und riecht schlecht. Zwischen den Backsteinwänden und Gitterglasfenstern sehen wir einen Schlitz tiefblauen Himmel und Möwen, die mit bebend ausgebreiteten Flügeln auf dem Luftstrom des Seewinds balancieren. Das ist tröstlich. Es gibt eine Welt jenseits der Ladestationen.

Walo spendiert uns einen Automatenkaffee: »Kannst wählen, ob es dir vom Warten oder vom Kaffee schlecht werden soll.« Ich bekomme einen Cappuccino Chocolate Dolce, und Walo bekommt recht. Die Flüssigkeit sieht aus und schmeckt, als sei sie auf Sonnenblumenölbasis hergestellt.

»Einen Euro für diese Brühe«, sagt Walo.

Markus und ich im Duett: »O Walo, wir bezahlen ihn dir gerne.«

»Nein, nein, so ists nicht gemeint. Ich meine nur, alles wird teurer und teurer, bloß unser Einkommen schrumpft.« Und weiter geht die Litanei. Ich staune so harmlos in die Welt, dass Walo es nicht lassen kann, mich in die Härte der praktischen Straßengesetze einzuführen: »Es gibt keine Tarife, und ein Spediteur ist der Feind des andern. Der stärkere der Feind des starken. Wie draußen im Dschungel. Sie unterbieten sich gegenseitig. Gnadenlos. Und die neuen EU-Länder erhöhen den Druck. Die EU subventioniert ihre Autos großzügig, die Fahrer arbeiten zu Dumpinglöhnen und zersetzen den Markt.« Wir zerknüllen die Plastikbecher und schmeißen sie unter die Rampe, auf die wir uns gesetzt haben.

»Die Holländer waren die Ersten, die gleich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ihre Fahrer entließen, um Polen und Tschechen anzuheuern. Das Beispiel hat auch bei Letten und Litauern Schule gemacht. Heute sind Deutsche oder Schweizer schon fast von den Böcken verschwunden.«

Markus hat die besseren Zeiten gerade noch erlebt: »Die Osterweiterung der EU 2004 hat eine Lawine ausgelöst: Große Spediteure heuern Vertragsfahrer aus Osteuropa für elfhundert Euro im Monat an und verderben die Preise. Menschenschinderei ist das. Es finden sich immer welche, die noch billiger fahren. Sei es in Rumänien oder in Bulgarien. Oder sonst wo. Man erkennt sie von Weitem. Ihren osteuropäischen Zugmaschinen ist ein deutscher oder ein schweizerischer Auflieger aufgesattelt … Wir brauchen Agreements über Minimalansätze, um Fairness für die Fahrer zu schaffen. Oder sind wir im Wilden Westen? Müssen wir wirklich täglich um unser Territorium kämpfen? Das ist für niemanden gut. Heute wären die Holländer froh, sie wüssten, wie sie die Osteuropäer wieder loswerden könnten. Es gibt Kunden, die lassen keine Leute aus Osteuropa mehr an ihre Rampen.« Das weiß auch Walo: »Das ist unsere letzte Chance. Die aus dem Osten werden ihre sozialistische Arbeitsmoral nicht los. Für schlechte Bezahlung muss eine schlechte Leistung genügen. Schlampen, lügen und klauen ist ihnen in die Gene übergegangen. Nicht nur den Fahrern. Wir hatten mal Sonnenblumenöl roh aus der Ukraine geladen. Es schwammen Plastiktüten und Stofffetzen drin.«

Markus meint, darum komme das Öl ja auch zur Reinigung in die Raffinerie. Walo schüttelt eine Weile den Kopf und kämmt sich danach mit dem Rechen seiner Finger die Frisur zurecht. Walo fragt sich wie ich, warum Markus mit der Truckerei angefangen hat: »Ehrlich, ich verstehe es nicht. Ich kanns nicht verstehen. Bei uns Gewöhnlichen ist es klar. Wir sitzen fest. Wir kleben am Bock und kommen nicht mehr weg von der Straße. Aber du, Markus, du willst das, lässt nicht locker und ziehst es durch, als gäbe es nur dieses eine für dich. Warum? Dass du es nötig hast, kannst du nicht behaupten.«

Markus entwischt Walos Inquisition, weil ihn der Disponent der Abfüllanlagen mit seinem Wagen zur Laderampe aufbietet. Er klettert wie eine Katze nach Beute die Tritte zum Lenkrad hoch, parkt zentimetergenau und flanscht dann auf dem Dach des Tanks die Schläuche zusammen. Im Grau des verrußten Betons, des verwitterten Aluminiums und der Verruchtheit eines aus den Fugen fallenden Hafens scheint er sich zu Hause zu fühlen. Wenn er die Ärmel hochkrempelt, packt er seine Arme wie zwei Geschenke aus. Anpacken, da kann er der Welt etwas mit auf den Weg geben. An den Schlüsselstellen der handfesten Wirtschaft, dort, wo die Waren umgeschlagen werden und einzig menschliche Hände die entscheidenden Griffe zu leisten vermögen, zeigt sich Markus als der Mann, der die Pflichten eines Chauffeurs zu seiner Kür gewählt hat. Im Überkleid tanzt er förmlich die Leiter hoch, zu den Einfüllstutzen, die Leiter runter und hin und her von Schalter zu Schalter. Eine Performance in proletarischem Realismus, fast wie auf den Propagandaplakaten aus den roten Zeiten Moskaus und Pekings.

Um halb fünf hat auch Walo geladen. Wie zwei Rennwagen bereit zum Start, stehen unsere Autos nebeneinander am Ausgangstor. Doch wo bleibt Walo? Schließlich kommt er ziemlich geknickt durch die weiße Staubwolke über den weiten Platz, auf dem noch immer der Bagger piepst. »Finish«, sagt Walo. »Finish« habe der Mann im Kabäuschen gesagt. Keine Papiere mehr.

»Das vertrage ich schlecht«, sagt Markus, wenn man mich stehen lässt. An der Grenze, an einem Binnenzoll oder irgendwo an einem Fabriktor, bloß für einen Stempel. Ich reiß mir den Arsch auf, hole, bringe und muss mir dann an der Rampe sagen lassen: ›Ach, tut uns leid, heute können wir nicht abladen, unser Tank ist noch voll.‹ Das hebt mir den Deckel.«

Fahrer sein heißt stehen bleiben – und randständig werden. Hat Walo nicht genau das gesagt heute Nachmittag? Markus hat es da gelegentlich etwas besser. Er mobilisiert die natürliche Autorität eines Chirurgenteamleiters.

»Kannst du Italienisch?«, hatte ihn Michi, der Disponent von Transfood, schon am Morgen am Telefon gefragt.

»Genügend, um jedem Italiener Schimpf und Schande zu sagen«, hatte Markus versichert. Von seinen italienischen Privatpatienten beherrscht er aber auch die feineren Töne.

»Italien, das halte ich im Kopf nicht aus«, klagt Walo – und ist doch eine Frohnatur von Geburt.

Noch einmal warten, und siehe da, Markus in Überhosen und im Triumphmarsch zurück aus der Papierschlacht. Nun klappts. Einfach anständig bleiben, solange es geht. Ein Wort von Markus, und Walo hat die nötigen Stempel auf den Papieren. Ob unsere Tanks gereinigt sind, hat keinen der Beamten gekümmert. Nichts mehr »finish«. Kurz vor fünf. Er gehe noch tanken und warte in Tarragona, sagt Walo. »Tortona«, lacht Markus.