Kitabı oku: «Geschichte des frühen Christentums», sayfa 4

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Für den korrekten Vollzug der Rituale, mit denen traditionelle kultische Elemente abgewickelt wurden, die aber durchaus entwicklungsfähig waren, waren die dafür eingesetzten Priester und Priesterinnen verantwortlich. Sie rekrutierten sich vor allem aus den lokalen Eliten, die die politische Macht innehatten sowie ausreichende ökonomische Möglichkeiten besaßen. Diese finanzierten zusätzlich zu den öffentlichen Kassen nicht nur die eigentlichen religiösen Akte, sondern ebenso den Bau der Heiligtümer und die Spiele, die zu religiösen Festtagen abgehalten wurden. Die Priester waren aber keine religiösen oder gar theologischen Experten, die dafür spezifisch ausgebildet wurden, sondern eingebettet in Kollegien oder Familien, in denen das religiöse Wissen tradiert und praktiziert wurde. Theologie war weithin Sache der Philosophen.

(Öffentliches Interesse)

Öffentliche Religion war vor allem darauf ausgerichtet, die Gottheiten dazu zu bewegen, die Geschicke der Polis, des Imperium Romanum bzw. des Kaisers und seiner Familie positiv zu gestalten. Bewirken sollten dies Opfer, die teilweise sehr aufwendig waren, Weihungen, Eide und Gebete an die Gottheiten. Dahinter stand die Überzeugung, dass die Götter erstens existierten, zweitens den Menschen Gehör schenkten, drittens die Macht hatten, die Geschicke zu lenken, und viertens auch gerecht handelten.

(Orakel)

Zu den Bereichen öffentlicher Religion gehörten auch Wege, die Zukunft zu erkennen: Im griechischen Raum geschah dies vor allem durch Orakel wie jene in Delphi oder Didyma. Die römische Tradition vertraute auf Auguren, die aus den Zeichen des Himmels, der Vögel oder anderer Tiere die Zukunft lasen, sowie auf Haruspices, die aus den Eingeweiden der Opfertiere auf das bevorstehende Schicksal schlossen. Auch die Interpretation heiliger Schriften wie der Sibyllinischen Bücher gehörte dazu. Ihr Bestand und ihre Auslegung wurden allerdings staatlich kontrolliert.

(Kult und Identität)

Die Bedeutung öffentlicher Religion für die Identität einer Stadt bzw. auch des Imperium Romanum war sehr hoch. Einzelne Gottheiten waren in besonderer Weise an Städte gebunden, sodass ihre Verehrung auch eine politische Dimension hatte. Die Teilnahme an Prozessionen und anderen Kultfeiern wurde zwar nicht erzwungen, sie gehörte aber zum mehr oder weniger selbstverständlichen Verhalten eines Bürgers einer Stadt. Aufgrund des polytheistischen Weltbilds bestand in der Regel auch kein Anlass, die Verehrung bestimmter Götter zu verweigern.

(Kaiserkult / Vergöttlichung)

Auch das römische Imperium wurde zu einem wichtigen Faktor für das religiöse Leben. Der Kaiserkult wurde zu einer zentral organisierten Form von Religion. Die Verehrung der nach ihrem Tod vergöttlichten Kaiser und ihrer Angehörigen sowie auch des jeweils lebenden Kaisers bzw. seines Genius war aufgrund des Geflechts von Propaganda, politischer Abhängigkeit und Gewährung von Privilegien ein wesentlicher Faktor im gesellschaftlichen Leben. Mit der Vergöttlichung (Divinisierung) von Julius Caesar nach seiner Ermordung 44 v. Chr. wurde dieser als divus Iulius unter die Staatsgötter aufgenommen. Sein Nachfolger und Adoptivsohn Augustus konnte sich daher zu Recht als „Sohn des Göttlichen“ (divi filius) bezeichnen, im Griechischen Raum als „Gottes Sohn“ (θεοῦ υἱός/theou huios). Diesem Schema von postmortaler Apotheose (lat. consecratio), also der Aufnahme unter die Götter, folgten die anschließenden Kaiser in der Regel, manchen, wie Nero oder Domitian, wurde sie aber von den Nachfolgern verweigert. Einige, wie Gaius Caligula, ließen sich schon zeitlebens als Gott verehren (Sueton, Cal. 22,2f.), andere, wie Tiberius, waren deutlich zurückhaltender (Sueton, Tib. 26).

(Kaiserkult in Kleinasien)

Im Osten des Imperium Romanum wurde die Kaiserverehrung problemlos aufgenommen, da dort schon seit Ende des 5. Jh. v. Chr. einzelne Personen, die sich durch militärische oder politische Erfolge hervorgetan hatten, noch zu Lebzeiten als göttlich verehrt wurden. Als die Römer den östlichen Mittelmeerraum nach und nach unterwarfen, rückten zunächst einzelne Vertreter Roms und schließlich die Kaiser in diese Rolle. Vor allem die Städte Kleinasiens bemühten sich verstärkt darum, zu provinzialen Zentren des Kaiserkults zu werden. Dazu war allerdings die Erlaubnis durch den Kaiser selbst notwendig, und so kam es zu einem Konkurrenzkampf zwischen den Städten bzw. deren führenden Eliten um dieses Privileg. Die Errichtung eines Kaiserheiligtums gehörte zu den wichtigsten städtebaulichen Maßnahmen, in Ephesus etwa entstand eines für Domitian bzw. die Flavischen Kaiser (82 n. Chr.) und in Pergamon eines für Trajan (nach 106 n. Chr.). Die öffentlichen Feiern zu Ehren des Kaisers in Prozessionen und Spielen waren Demonstrationen politischer Loyalität durch die lokalen Eliten, die für die aufstrebenden Städte Kleinasiens und in anderen Gegenden ungemein wichtig waren. Das Amt des Priesters bzw. der Priesterin für den Kaiserkult war eine besonders prestigeträchtige Funktion.

Trotz der eminent politischen Bedeutung war die religiöse Orientierung des Kaiserkults nicht nebensächlich: Die öffentlichen Opfer und Gebete richteten sich an den Kaiser, wenngleich auch die Anrufung anderer Götter für den Kaiser möglich war. Darüber hinaus war die Verehrung des verstorbenen oder später auch des lebenden Kaisers als Göttlichem auch auf lokaler und individueller Ebene bis in die Wohnhäuser hinein verbreitet.

(Judentum und Kaiserkult)

Judäa nahm hier insofern eine Sonderstellung ein, als die römischen Autoritäten dort auf lokale Gebräuche grundsätzlich Rücksicht nahmen. Da die Verehrung des Kaisers bzw. seiner Vorfahren und Familie gegen die Alleinverehrung von JHWH verstoßen hätte, trat an die Stelle des Kaiserkults das tägliche Opfer für das Wohl des Kaisers im Jerusalemer Tempel. Es wurde u. a. durch die Tempelsteuer finanziert, zu der alle Judäer – auch jene aus der Diaspora – nach Vorgaben der Tempelaristokratie verpflichtet waren (s. u. S. 76). Als 39/40 n. Chr. Caligula die Kaiserverehrung durch Errichtung einer Statue von sich selbst auch im Jerusalemer Tempel etablieren wollte (Philo, leg. ad Gaium 200–207; Josephus, bell. 2,184–203; ant. 18,261–288), führte dies zu heftigen Protesten. Sowohl Agrippa I. als auch der syrische Statthalter Publius Petronius verzögerten aber die Einführung des Kaiserkults in Jerusalem, da sie um die politische Sprengkraft einer solchen Aktion wussten. Nach Caligulas Tod, durch den die Aufstellung der Statue schließlich verhindert wurde, unternahmen seine Nachfolger bis 70 n. Chr. keine entsprechenden Versuche mehr.

2.4.2 Nicht-öffentliche Religion

(Ein Gott)

Als nicht-öffentliche Religion gelten im Folgenden alle Formen von Religiosität, die nicht durch öffentliche Funktionsträger als Beauftragte der Gesellschaft durchgeführt werden, sondern durch Menschen unabhängig von ihrem Status. An ihr wird auch deutlich, dass in der frühen Kaiserzeit trotz der vielfältigen Kulte eine Tendenz hin zu einer Singularisierung von Gottesvorstellung und Gottesverehrung bestand. Kulte und Akklamationen, in denen der „eine Gott“ (εἷς θεός/heis theos) bzw. der „höchste Gott“ (θεòς ὑψιστός/theos hypsistos) angerufen wurde, lassen diesen Zug zur Monolatrie (Alleinverehrung) erkennen.

2.4.2.1 Religion im Haus

(Hauskulte)

In der griechisch-römischen Antike war der alltägliche Ort für Religion das Haus, die religiöse Gruppe die Hausgemeinschaft (s. o. 2.2.3.1). Die im Westen durch die Ausgrabungen in Pompeji und Herculaneum hervorragend dokumentierten Formen häuslicher Religiosität fanden sich im hellenistisch geprägten Raum in ähnlicher, wenn auch charakteristisch veränderter Weise. Beiden gemeinsam war die Zentralität des Herdfeuers, an dem Hestia bzw. Vesta, die Hüterin von Heim und Herd, verehrt wurden. Einzelne Gottheiten wie Zeus oder Herakles waren im griechischen Raum dem Schutz des Hauses zugeordnet. Auch der Agathos Daimon („der gute Geist“) gehörte dazu, der in Form von Schlangen verehrt wurde. In römischen Hauskulten spielte die Verehrung der Laren, der Familiengötter, des Genius des Paterfamilias bzw. der Juno der Materfamilias und der Ahnen eine wichtige Rolle.

(Die Hausgemeinschaft als Kultgemeinschaft)

Dazu traten zahlreiche Gottheiten aus dem griechischen oder römischen Pantheon und weit darüber hinaus, die je nach den individuellen Bedürfnissen und Traditionen der Familie bzw. Einzelner in Schreinen, als Statuetten oder Bilder verehrt wurden. Kleine, zumeist unblutige Opferhandlungen und andere Rituale wurden täglich oder zu bestimmten Gelegenheiten durchgeführt. Auch Sklaven und Sklavinnen konnten hier eigenen religiösen Interessen, die oft ihrer lokalen Herkunft entsprachen, nachkommen, waren aber zugleich an den gemeinsamen Kulten des Hauses beteiligt. Neben den religiösen Ritualen im häuslichen Bereich gehörten auch jene an Hausecken oder in kleinen Nachbarschaftsheiligtümern zu den Möglichkeiten, alltägliche Religiosität zu pflegen. Diese Handlungen gelebter Religiosität standen nicht im Gegensatz zu den im Vergleich seltenen und von den Eliten vollzogenen öffentlichen religiösen Kultfeiern, sondern nahmen diese teilweise auf, ergänzten sie aber noch um individuell ausgewählte Gottheiten.

2.4.2.2 Religion als Mysterium

(Mysterienkulte)

Individuelle Auswahl religiöser Bezüge lag auch dort vor, wo sich Einzelne an Gemeinschaften anschlossen, die sich kultischer Praxis widmeten. Dies geschah in religiös orientierten Vereinigungen (s. o. 2.2.3.3), vor allem in Mysterienvereinen. Deren Kulte spielten eine wichtige Rolle für das religiöse Erleben in der griechisch-römischen Antike. Sie waren allerdings nicht offen für jedermann, sondern regulierten die Mitgliedschaft anhand von Statusgrenzen.

Ihrem Charakter als „geheim“ entsprechend sind unsere Informationen zu Praktiken und religiösen Vorstellungen von Mysterienkulten eingeschränkt. Manches lässt sich aber u. a. aus dem Roman „Metamorphosen“ des Apuleius aus der Mitte des 2. Jh. n. Chr. entnehmen, anderes aus polemisch gefärbten Nachrichten der Kirchenväter.

(Mysterienrituale)

Wesentliche Elemente antiker Mysterien waren folgende:

– die Initiation als Einführungsritual, bei dem Riten, bauliche Arrangements und Artefakte zusammenspielten, um das mystische Erlebnis zu erzeugen;

– die Vorbereitung auf dieses Erlebnis durch Askese und Unterweisung, in der man sich den Mythos derjenigen Gottheit aneignen konnte, mit der man nun besonders eng verbunden wurde;

– Feste und tägliche Rituale, die gemeinsam oder individuell begangen wurden.

Die Mysterienkulte waren aufgrund der in ihnen verehrten Gottheiten durchaus unterschiedlich orientiert. Sie teilten inhaltlich aber die Suche nach einer Überwindung des Todes, der in den Mythen jeweils in verschiedener Weise verarbeitet wurde.

Die klassischen Mysterien im griechischen Eleusis bei Athen, die mit dem Demeterkult verbunden waren, waren formbestimmend. Besonders verbreitet waren die Mysterien des Dionysos, oft auch in Verbindung mit dem Orpheuskult. Sehr beliebt war der Mysterienkult der ägyptischen Gottheiten Isis, Serapis und Osiris, den Apuleius beschreibt. Die phrygischen Kulte für Attis und Kybele zeichneten sich durch besonders ekstatische Rituale bis zur Selbstkastration aus. Der Mithraskult war bei Soldaten und Händlern im Westen besonders beliebt.

2.4.2.3 Magie

(Flüche / Magische Praktiken)

Mit dem Phänomen der Magie zeigt sich ein bereits in der Antike höchst ambivalent beurteilter Bereich nicht-öffentlicher Religiosität, dessen Bezug zu Religion allerdings nicht immer klar ist. Zahlreiche Zeugnisse legen offen, wie verbreitet dieses Phänomen auch in der frühen Kaiserzeit war. Dazu gehörten u. a. sogenannte defixiones („Bindungen“): Mithilfe von auf dünne Bleitäfelchen geschriebenen Fluchtexten sollten zukünftige Handlungen oder das Wohlergehen bestimmter Menschen negativ beeinflusst werden. Zu den Anwendungsgebieten zählten Liebesangelegenheiten, der Sport, das Geschäftsleben und Prozesse, Anlässe waren etwa Diebstähle oder Verleumdungen. Ähnliches sollte mit Zaubersprüchen und -ritualen erreicht werden, die in den sogenannten Zauberpapyri festgehalten sind (2.–6. Jh. n. Chr.). Sie boten Anleitungen für magische Praktiken (vgl. Apg 19,17–20). Sowohl professionelle Magier (vgl. Apg 13,8; 19,13–16) als auch Laien vollführten diese Rituale für Menschen aller Gesellschaftsschichten. Auch im Judentum war Magie trotz alttestamentlicher Verurteilung verbreitet (vgl. Ex 22,17 mit Josephus, ant. 8,45).

(Mythologie der Magie)

Die Beeinflussung des Verhaltens anderer sollte auf zwei verschiedene Weisen erreicht werden: Der häufigere Weg war, Gottheiten oder Dämonen durch Rituale und Zaubersprüche dazu zu bringen, ihre Macht den Wünschen des Magiers entsprechend einzusetzen. Unter der Voraussetzung, dass der Kosmos selbst durch Magie beeinflusst werden konnte, wurde dasselbe aber auch ohne Einbindung göttlicher Mächte versucht. Gemeinsam hatten alle magischen Praktiken, dass sie geheim geschehen mussten.

(Kritik an Magie)

Die Kritik an der Magie war vielfältig: Zum einen wurde sie gefürchtet, was zu gesetzlichen Verboten führte (vgl. das Zwölftafelgesetz Roms VIII). Bereits Platon polemisierte gegen die Geldgier dieser „Betrüger“ (Leges 10,909a.b). Auch die Anklage, ein Magier zu sein, ist mehrfach belegt (vgl. Apuleius, Apol. 25). Im frühen Christentum wurde Magie ebenfalls in der Regel verurteilt (Gal 5,20; Apk 9,21; 21,8; Did 2,2; Barn 20,1) und von der Wundertätigkeit Jesu und der Apostel abgegrenzt. Dennoch spielte Magie selbstverständlich auch innerhalb der christlichen Alltagsreligiosität eine wichtige Rolle, wie zahlreiche Zeugnisse aus der Zeit der Alten Kirche zeigen.

2.4.2.4 Eingriffe durch staatliche Macht

(Reglementierungen)

Von Zeit zu Zeit kam es zu staatlichen Eingriffen in den Bereich nicht-öffentlicher Religion. Diese waren motiviert durch Praktiken, die den Argwohn oder den Abscheu der Eliten hervorriefen. So warnte bereits Platon vor der Entwicklung von Kulten, die sich abseits von Tempeln etablierten (Leges 10,909d–910e). Aus römischer Perspektive wurde dies erstmals beim sogenannten Bacchanalienskandal relevant, der 186 v. Chr. zu einer staatlichen Reglementierung des Dionysoskults führte (s. o. S. 36). Auch Vertreibungen von Chaldäern (139 v. Chr.; Livius, epit. 54 in P.Oxy. 668) oder die Zerstörung von Isisheiligtümern und Ausweisung ihrer Anhänger aus Rom (28 v. Chr. laut Cassius Dio, hist. 53,2,4; 19 n. Chr. laut Sueton, Tib. 36) gehörten dazu. Aber diese Reaktionen der Elite auf durch Migration eingedrungene Kulte, die als „Aberglaube“ (superstitio) eingeschätzt wurden, waren nur punktuell. Im Gegenteil: In Rom wie in den anderen großen Städten des Imperium Romanum bestand in der Kaiserzeit eine breite Vielfalt von Kulten, die nebeneinander existieren konnten, solange sie nicht durch politische Aktivität oder ungesetzliche Praktiken negativ auffielen.

Literatur

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3 Religion und Kultur der Judäer – Das Judentum in der frühen Kaiserzeit

(Differierende Formen)

Das antike Judentum stellte keine Einheit dar, sondern war ausgesprochen vielfältig. Die verschieden ausgerichteten Bezüge auf die Traditionen Israels, die politischen und kulturellen Veränderungen der Zeit sowie die unterschiedlichen Kontexte, in denen sich jüdisches Leben entfaltete, trugen dazu bei, dass differierende Formen von Judentum entstanden. Die folgende Übersicht kann dieser Diversität nur zum Teil gerecht werden, zumal sie auf die ersten beiden Jahrhunderte n. Chr. konzentriert ist.

(Quellen)

Die Quellen für die Formen des Judentums sind vielfältig: Auf Josephus geht die berühmte Darstellung der jüdischen „Parteien“ zurück (ant. 13,171–173; 18,11–25; bell. 2,118–166). Philo von Alexandrien gewährt Einblicke u. a. in das jüdische Leben der hellenistischen Diaspora in Ägypten. Dazu treten zahlreiche Texte aus hellenistisch-römischer Zeit, die auf unterschiedliche Gruppierungen des Judentums zurückgeführt werden. Ebenso sind aber auch Papyri und Inschriften von hohem Stellenwert, da sie oft jenseits der literarischen Zeugnisse Einblicke in die konkreten Zustände gewähren. Dabei sollte unbedingt beachtet werden, dass sich die überwiegende Mehrzahl der Judäer und Judäerinnen selbst keiner konkreten Partei bzw. Schule zuordnete, sondern eine Orientierung an zentralen Grundgedanken und Praktiken als bestimmendes Merkmal der ethnischen und religiösen Identität ansah.

3.1 Elemente judäischer Identität

Trotz der verschiedenen Ausprägungen des Judentums im 1. und 2. Jh. n. Chr. lassen sich einzelne Grundelemente beschreiben, die in unterschiedlicher Gewichtung in allen Bereichen des Judentums – sowohl in Palästina als auch in der Diaspora – zu erkennen sind. Sie spielten auch im entstehenden Christentum eine maßgebliche Rolle.

3.1.1 Monotheismus

(Ein Gott: JHWH)

Die Entwicklung des Glaubens an JHWH, den Gott Israels, führte nach der Zerstörung des 1. Jerusalemer Tempels (597 v. Chr.) in Teilen der israelitischen Prophetie zu einer Veränderung des Gottesbildes. Während man in früheren Phasen der israelitischen religiösen Entwicklung erkennen kann, dass die Verehrung nur des einen Gottes JHWH (Monolatrie) bzw. JHWHs als höchstem Gott (Henotheismus) als Proprium Israels galt, entwickelte sich in der Exilszeit die Ansicht, dass es überhaupt nur einen Gott, nämlich JHWH, gebe (exklusiver Monotheismus). Dieser sei also nicht nur der Gott Israels, sondern der einzige Gott für alle Menschen (vgl. z. B. Jes 43,10f.; 45,14). Im 1. und 2. Jh. n. Chr. gehört diese Überzeugung zum festen Bestand judäischer Identität und wurde auch von Außenstehenden als Charakteristikum des Judentums wahrgenommenen (z. B. Arist. 132; Tacitus, hist. 5,5,4). Die Bedeutung des Monotheismus für das antike Judentum zeigt sich u. a. in der Bedeutung des Sch’ma Israel (Dtn 6,4) für die alltägliche Religiosität. Der ursprünglich als Ermahnung zur Monolatrie intendierte Ruf wurde als Formel zur Beschreibung des Monotheismus verstanden, als Gebet rezitiert und in Form von Amuletten getragen:

„Höre, Israel: JHWH ist unser Gott, JHWH allein!“

(Monotheismus im frühen Christentum)

Auch in der Jesustradition (Mk 12,28f. par), bei Paulus (1Kor 8,6) und in späteren Traditionen (Eph 4,6; 1Tim 2,5; Jak 2,19) spielt diese Formel konstant eine Rolle. Der Monotheismus des antiken Judentums implizierte die Ablehnung aller anderen Götter und entsprechender kultischer Handlungen. Er führte daher an sich schon zu einer mehr oder weniger deutlichen Abgrenzung gegenüber Angehörigen anderer Völker, auch wenn es unter philosophischer Perspektive auch bei Griechen und Römern eine Tendenz zum Monotheismus gab (s. o. S. 49).

3.1.2 Erwählung, Bund und Tora

Der einzige Gott, JHWH, hatte sich Israel – so die heilsgeschichtliche Bezeichnung für das judäische Volk – unter allen Völkern erwählt, mit ihm einen Bund geschlossen und ihm das Gesetz als Bundesordnung gegeben.

(Erwählung)

Die Erwählung Israels durch Gott wird im Alten Testament und in Texten des frühen Judentums immer wieder in den Vordergrund gestellt, steht aber oft auch unausgesprochen im Hintergrund. Laut Dtn 7,6–8 ist Israel ein Gott geheiligtes Volk, ausgewählt aus den Völkern aufgrund der Liebe JHWHs (vgl. auch Jes 43,20f.). So sehr diese Überzeugung immer wieder durch Geschichtsereignisse ins Wanken geriet, blieb der Gedanke der Erwählung doch ein bestimmendes Moment des antiken Judentums. Er wird u. a. in der Apokalyptik deutlich (z. B. 4Esr 5,27), in den Qumrantexten (z. B. 1QS 4,22) oder bei Philo von Alexandrien (z. B. post. 89). Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Erwählungsgedanke mehr und mehr auf eine bestimmte Gruppe innerhalb Israels – „die Gerechten“ oder „die Söhne des Lichts“ – eingeschränkt oder, wie bei Philo, zu einer Individualerwählung umgedeutet wurde. Denn die Erwählung des Volkes bedeutet zugleich die Verpflichtung zum Bundesgehorsam, dessen Einhaltung zur Bedingung des Verbleibs im Bund wird. Damit wird aber auch Israel beauftragt, seiner Erwählung im Glauben und Handeln zu entsprechen.

(Bund)

Die Vorstellung eines Bundes Gottes mit Israel, sei es unter Verweis auf den Bundesschluss mit Abraham (Gen 15,18; 17,1–21) oder mit Mose (Ex 19; 24; 34), stellt ebenfalls ein Kontinuum des antiken Judentums dar. Sie kommt u. a. im Sirachbuch (44f.), im Buch der Jubiläen (15,26–29) und in der rabbinischen Literatur (z. B. MekhJ Shirata 10) immer wieder zum Ausdruck. Allerdings zeigt sich in den Qumrantexten, dass es auch möglich war, den Bund – wie die Erwählung – nur einer kleinen Gruppe aus Israel zuzusprechen, dem sogenannten „neuen Bund“ (z. B. CD 6,19; vgl. Jer 31,31). Bei Philo von Alexandrien tritt der Bundesgedanke hingegen zurück: Judäer seien vielmehr Mitglieder der „Bürgerschaft des wahren Lebens“ (virt. 219).

(Tora)

Die Tora (hebr. tôrāh „Weisung“), die im Griechischen als „das Gesetz“ bezeichnet wird (ὁ νόμος/ho nomos) und die fünf Bücher Mose umfasst, war für das antike Judentum dasjenige Textkorpus, in dem die bindenden Traditionen der Vorväter sowie jene Merkmale festgehalten wurden, die die ethnische Identität des Judentums bestimmen sollten. Sie wurde als jene Ordnung verstanden und interpretiert, die Gott durch Mose seinem erwählten Volk gegeben hatte, damit dieses den mit Gott geschlossenen Bund einhalten konnte. Die Tora sollte also nicht primär zu guten Werken anleiten, die vor Gott beim Gericht vorgebracht werden konnten, sondern als Weisung zum Verbleib im Bundesverhältnis. Diese Grundausrichtung kann als „Bundesnomismus“ bezeichnet werden, wenngleich dieser in sehr unterschiedlichen Spielarten gedacht wurde.

(Die Bedeutung des Gesetzes)

Mose galt sowohl als Verfasser der Tora (vgl. Dtn 1,1) als auch als Gesetzgeber (z. B. Josephus, c. Ap. 2,153f.). Ebenso wird immer wieder festgehalten, dass die Tora Gottes Gabe an Israel darstellt (z. B. Ex 24,3). Sie regelt umfassend alle Bereiche der Gesellschaft: Sie ist kultisches Gesetz, wenn sie u. a. die Einzigkeit des Jerusalemer Heiligtums, die Opferhandlungen und die priesterlichen Familien festlegt. Sie ist politische Ordnung, indem sie den Priestern die beherrschende Stellung im Staat zuspricht. Ihre Bestimmungen zu Ehe und Familie, zu Sexualität, zu reinen und unreinen Speisen, zu Wirtschafts- und Fremdenrecht u.v.m. umgreifen alle Lebenskontexte. Josephus gewährt einen Einblick in die Wahrnehmung der Tora durch einen gebildeten Judäer, der griechisch-römischen Lesern plausibel machen will, wodurch sich die Tora im Kontext antiker Gesetzestraditionen unterscheidet (c. Ap. 2,146):

„Unsere Gesetze geben die beste Anleitung zur Gottesfurcht, zur Gemeinschaft miteinander und zur umfassenden Menschenfreundlichkeit, sowie zur Gerechtigkeit, zur Ausdauer in Beschwerden und zur Todesverachtung.“

(Die Tora im frühen Christentum)

Die Bindung an die Tora stellte eine der größten Herausforderungen für die Identitätskonstruktionen des frühen Christentums dar, wie im Laufe der folgenden Darstellung wiederholt deutlich werden wird (s. u. 10 u. 13). Auch die Frage, welche Bedeutung die Erwählung Israels und der Bund Gottes mit seinem Volk angesichts der endzeitlichen Zuwendung Gottes in Jesus Christus haben könnte, wurde gerade angesichts der nur geringen Akzeptanz des Evangeliums unter Judäern virulent (vgl. Röm 9–11). Die heiligen Schriften Israels, in ihrer hebräischen Form oder in der griechischen Übersetzung, waren selbstverständlicher Ausgangspunkt und Maßstab für das Verständnis des Christusereignisses, wenngleich unter einem neuen, veränderten Blickwinkel.

3.1.3 Jerusalem und der Tempel

(Die religiöse Bedeutung des Tempels)

Die Bedeutung des Jerusalemer Heiligtums wird in den heiligen Schriften Israels sowohl in der Tora (v. a. Dtn 12,13–28) als auch in der sog. Zionstheologie (z. B. Ps 9,12; Am 1,2; Jes 14,32), die den Tempelberg als Gottes Wohnstätte versteht, zum Ausdruck gebracht. Der Tempel wurde als der zentrale Ort angesehen, an dem Gott – bilderlos – verehrt wird. Die Vorstellungen von Gottes Anwesenheit im Tempel und der Heiligkeit seiner Stadt Jerusalem wurden weithin geteilt (vgl. z. B. Mt 23,21; Josephus, bell. 6,300), auch wenn es Gegenstimmen gab (z. B. Jes 66,1f.; Apg 7,48). Der Alexandriner Philo betrachtete Jerusalem als seine Mutterstadt (Flacc. 46), obwohl er sie nur einmal in seinem Leben besucht hatte. Judäer aus Palästina und der Diaspora finanzierten durch die Tempelabgabe den Kult (s. u. S. 76) und pilgerten zu den Festzeiten nach Jerusalem, denn der Tempel war der einzige Ort, an dem die durch die Tora vorgeschriebenen Opfer dargebracht werden konnten. Das Verhältnis Gottes zu Israel, das in Tora, Bund und Erwählung sprachlich zum Ausdruck kam, wurde im Tempel mit seinem Kult konkret erfahrbar.

Das Heiligtum selbst wie auch die gesamte Anlage wurden von Herodes dem Großen seit 20/19 v. Chr. zu einer der prächtigsten Kultstätten des Mittelmeerraums ausgebaut. So nennt etwa Plinius der Ältere Jerusalem „die berühmteste Stadt des Ostens“ (vgl. nat. hist. 5,70). Angeführt vom amtierenden Hohepriester vollzogen Priester und Leviten aus 24 Klassen im Turnus den Kult. Dessen korrekte Durchführung war von so hoher Bedeutung, dass sich wegen Streitigkeiten über den richtigen Ablauf u. a. die Gemeinschaft, auf die die Qumranschriften zurückgehen, vom Jerusalemer Tempel trennte (s. u. 3.2.3). Schon deutlich früher hatten sich die Samaritaner u. a. wegen des Anspruchs Jerusalems, allein die Wohnstätte Gottes zu beherbergen, von Israel getrennt (s. u. 3.3).

(Die wirtschaftliche Bedeutung des Tempels)

Der Tempel war aber nicht nur religiöses Zentrum, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht ein wichtiger Faktor für die Jerusalemer Bevölkerung. Nicht nur die Pilger sind hier zu nennen, sondern auch die Jahrzehnte dauernden Bauarbeiten, die Funktion des Tempelgeländes als Marktplatz und als durch heiliges Recht geschützte Bank. Die Zerstörung dieses zentralen Elements judäischer Identität im Jahr 70 n. Chr. bedeutete daher einen Einschnitt in der Geschichte des antiken Judentums (s. u. 3.5.1).

(Der Tempel im frühen Christentum)

Die Ereignisse um Jesu Tod und Auferstehung sowie das Entstehen der ersten Gemeinschaften von Christusgläubigen banden die Geschichte des frühen Christentums von Beginn an an die Stadt Jerusalem und den Tempel als ihr religiöses Zentrum. So unterschiedliche Texte wie die Paulusbriefe, die Apostelgeschichte, der Hebräerbrief und die Johannesapokalypse zeigen, dass die Stadt und ihr Heiligtum, wenngleich in einer von der realen Situation losgelösten Weise, weiterhin wichtige Punkte waren, an denen sich frühchristliche Identitätsbildungen orientierten (Gal 4,25f.; Röm 15,19; Apg 1,8; Hebr 12,22; Apk 21,10).

3.1.4 Jüdische Identitäten im Diskurs

(Zugehörigkeit zum judäischen Volk)

Für das antike Judentum war die Zugehörigkeit zum erwählten Volk durch mehrere Faktoren bestimmt, die in der Tora festgelegt waren: die Abstammung von Abraham bzw. Jakob/Israel, die Beschneidung der männlichen Mitglieder des Volkes, die Einhaltung von Bestimmungen zu Reinheit, Speisen, Sabbat und weiteren Festen sowie die Verheiratung innerhalb des Volkes (Endogamie). In der Diaspora war auch die Zugehörigkeit zu einer Synagoge ein wichtiges Element judäischer Identität.

Allerdings ist gegen jede Generalisierung dieser verschiedenen Identitätsmerkmale einzuwenden, dass ihre Gewichtung unterschiedlich ausgeprägt war bzw. nicht alle Faktoren von jedem Judäer und jeder Judäerin für gleich wichtig gehalten wurden. So zeigt der Streit über eine Annäherung an Gesetze und Kultur anderer Völker, wie er in 1Makk 1,11–15 dargestellt wird, dass über die Bedeutung einzelner Identitätsfaktoren heftig gestritten wurde. Das schließt auch ein, dass die Festlegung judäischer Identität jeweils unterschiedlich vorgenommen wurde. Manche Elemente waren zudem aus der Außenperspektive besonders auffällig, während andere lediglich für einzelne Gruppen innerhalb des Judentums von großer Wichtigkeit waren.