Kitabı oku: «Justine», sayfa 4
Es gibt Augenblicke im Leben, in denen man sehr vermögend sein kann, ohne deshalb genug zum Leben zu haben. In dieser Lage befand sich Saint-Florent. Er hatte 400000 Francs in seiner Brieftasche und keinen Taler in der Börse. Dieser Gedanke hatte ihn vor dem Eintritt in die Herberge beunruhigt. »Trösten Sie sich, Onkel«, sagte Justine zu ihm, indem sie über seine Bedrängnis lachte, »die Diebe, die ich verlassen habe, haben mich mit Geld ausgestattet. Hier sind 20 Louisdor. Nehmen Sie sie, ich bitte Sie, gebrauchen Sie davon, soviel Sie wollen, und geben Sie den Rest den Armen. Ich möchte nicht um alles in der Welt Geld bei mir behalten, das von einem Mord herstammt.«
Saint-Florent tat nun so, als ob er das Geld nur annehmen würde, unter der Bedingung, daß Justine ihrerseits von ihm 100000 Francs auf Wechsel nähme, und er zwang sie auch, das Papier in die Tasche zu stecken. »Heben Sie sich diese Summe auf, teure Nichte«, sagte Saint-Florent, »sie ist ein schwacher Dank für die großen Dienste, die sie mir geleistet haben. Glauben Sie mir, daß ich Sie in Ihrem Leben nicht wieder verlassen will.«
Sie speisten zu Mittag, und Justine verfiel bald, ohne zu wollen, in unruhige Träumereien, die die Heiterkeit ihrer Züge zerstörten. Als sie Saint-Florent um den Grund fragte, wollte sie ihm ohne eine Erklärung das Geld wieder zurückgeben. »Monsieur«, sagte sie zu ihrem Onkel, »ich habe nicht so viel Dankbarkeit verdient, und mein Zartgefühl erlaubt mir nicht, ein so beträchtliches Geschenk anzunehmen.« Aber Saint-Florent ließ es nicht an Überredungskünsten fehlen, und das Geld glitt wieder in die Tasche, ohne daß die Befürchtungen Justines einen Augenblick nachgelassen hätten. Um sie zu zerstreuen, tat Saint-Florent so, als ob er sie nicht bemerken würde und bat Justine, ihm ihre Abenteuer zu erzählen. Das tat sie gern, und als sie mit ihrer Erzählung zu Ende war, ließ sie ihren Onkel merken, daß sie ungern nach Paris zurückkehre. »Nun«, erwiderte der Kaufmann, »dem kann abgeholfen werden. Eine Verwandte von mir wohnt hier in der Nähe, und diese wollen wir aufsuchen. Ich werde Sie ihr vorstellen und sie bitten, Sie bei sich zu behalten, bis ich Zeit habe, mich selbst mit Ihnen zu befassen. Es ist die anständigste Frau der Welt, und Sie werden bei ihr aufgehoben sein wie bei einer Mutter. Sie bewohnt ein reizendes Landhaus in der Nähe von Bondi. Es ist spät und schönes Wetter. Sind Sie aufgelegt zu gehen?« – »Ja.« – »Dann brechen wir auf, Justine.«
Es war ungefähr vier Uhr nachmittags, als sie aufbrachen. Bald begannen die Schatten der Nacht im Wald jenen Schrecken zu verbreiten, der in furchtsamen Herzen Angst, in harten aber Lust zu Grausamkeiten erweckt. Unsere Wanderer benützten nur Fußwege. Justine ging voraus. Da drehte sie sich einmal mit der Frage um, ob diese verlassenen Wege wirklich die richtigen seien und ob sie bald ankämen, als gerade die Geilheit des wollüstigen Kaufmannes ihren Gipfel erreicht hatte. Es war Nacht, und die Stille des Waldes sowie die alles einhüllende Dunkelheit erweckten in ihm Begierden wieder, die er endlich befriedigen konnte. Er konnte sich nicht länger halten. »Hier muß ich dich lieben«, sagte er zu seiner Nichte. »Ich bin schon zu lange auf dich wild.« Damit ergriff er sie bei den Schultern, so daß sie das Gleichgewicht verlor. Er warf sie vollends auf die Erde und versetzte ihr einen so heftigen Schlag mit dem Stock, daß sie bewußtlos unter einen Baum hinfiel.
Saint-Florent schürzte Justine die Röcke auf, zog ein riesiges von Wollust und Wut gesteiftes Glied heraus, beugte sich über sein Opfer, spreizte ihm die Schenkel auseinander und versenkte in ungeheuerer Raserei sein Glied in jene zarten Blüten, die nur als Preis der Liebe geschaffen zu sein schienen. Seine Anstrengungen wurden von Erfolg gekrönt: Justine war entjungfert. Das Blut floß. Saint-Florent entfernte sich, aber nach zehn Schritten entflammten seine Sinne erneut. Er empfand jene sonderbaren Gewissensbisse, die in der Seele des Verbrechers wach werden, wenn ihm einfällt, daß er die beabsichtigte Missetat nur zur Hälfte begangen hat. Er erinnerte sich, daß er in den Taschen Justines die 100000 Francs gelassen habe. Die mußte er wieder haben. Aber Justine saß auf ihren Taschen, und man konnte sie nicht berauben, ohne ihren Körper umzudrehen. Himmel! Welche neue Reize boten sich trotz der Finsternis den Blicken Saint-Florents dar! »Wie«, sagte er zu sich, indem er den wundervollen Popo betrachtete, der ihn von allem Anfang an so lebhaft aufgeregt hatte, »wie, das habe ich vergessen können! Niederträchtige Weichherzigkeit! Auf, lieben wir diesen göttlichen Hintern, der mir hundertmal mehr Vergnügen verspricht, als ihre vordere Öffnung«. Da er vollkommen Herr über den leblosen Körper Justines war, konnte er sie leicht in die Lage bringen, die zu seinem Vorhaben nötig war. Als er die niedliche Öffnung sah, wurde er durch den Größenunterschied heftig aufgeregt. Ohne sie zu befeuchten, begann er sein Glied hineinzustecken und arbeitete eine halbe Stunde lag darin umher, bis die Natur seinem Vergnügen ein Ende setzte.
Schließlich entfernte sich der Schuft, indem er das unglückliche Opfer seiner Wollust ohne Hilfe, ohne Ehre und fast ohne Leben am Boden liegend zurückließ.
Als Justine wieder zu sich kam und den Zustand sah, in den sie versetzt war, wollte sie ihrem Leben ein Ende machen. »Das Ungeheuer!«, rief sie aus, »was habe ich ihm getan? Ich rettete ihm das Leben, gab ihm sein Vermögen zurück, und er entriß mir das Kostbarste, was ich besaß. Die Tiger im Urwald können nicht grausamer sein!« Diese Ausbrüche des Schmerzes wichen bald einer tiefen Niedergeschlagenheit, und unwillkürlich richtete Justine ihre schönen, betränten Augen gegen den Himmel. Dieses klare, besternte Gewölbe, die Stille der Nacht, der Gegensatz des Friedens in der Natur zu der Erregung ihrer Seele. Alles das ließ in ihr das Bedürfnis entstehen, zu beten. Sie warf sich auf die Knie vor jenem mächtigen, von der Klugheit verworfenen, vom Unglück aber eingesetzten Gott.
»Heiliges und hoheitsvolles Wesen!«, rief sie weinend aus. »Du mein Beschützer und Führer, ich wende mich an Deine Güte, ich bitte um Deine Gnade. Sieh mein Elend und meine Qual! Mächtiger Gott, Du weißt, daß ich unschuldig und schwach bin, daß ich verraten und mißhandelt worden bin. Dein Wille geschehe! Alle Deine heiligen Äußerungen sind mir teuer, ich ehre sie und will mich nicht beklagen. Aber wenn ich hier auf Erden nur Dornen finde, beleidige ich Dich dann, erhabener Herr, wenn ich Deine Allmacht bitte, mich zu Dir zu berufen, um Dich entfernt vor jenen perversen Menschen anbeten zu können, die mir nur Böses zugefügt haben, und die mit Genuß meine Lebenstage mit Tränen und Schmerzen getränkt haben!«
Das Gebet tröstet den Unglücklichen. Justine erhob sich, ordnete ihre Kleider und entfernte sich.
Im Kopf Saint-Florents herrschten gemischte Empfindungen. Es gibt Seelen in der Welt, für die das Verbrechen so viel Reize hat, daß sie sich daran nie sättigen können; sie sind erst dann befriedigt, wenn auf das erste Vergehen weitere gefolgt sind.
»Ach, wie schön war diese Entjungferung«, sagte der Verräter zu sich, der 100 Schritte von dem Schauplatz des Verbrechens sich unter einen Baum gesetzt hatte. »Welche Unschuld und Unberührtheit! Wie mich dieses schöne Kind erregte! Wie sehr sie meine Sinne verwirrte! Ich hätte sie erwürgt, wenn sie noch fähig gewesen wäre, mir Widerstand zu leisten. Vielleicht habe ich unrecht, daß ich ihr das Leben schenke, denn wenn sie jemandem begegnet, wird sie mich beschuldigen. Man könnte mich erwischen. Wer weiß, wie weit die Rache eines geschändeten Mädchens gehen kann? Vorwärts, machen wir ein Ende; ob dieses elende Geschöpf in der Welt ist oder nicht, regt niemanden auf. Ich will zurückkehren!«
Aber die unglückliche Justine war vom Himmel dazu bestimmt, den ganzen dornenvollen Weg des Unglücks zurücklegen zu müssen und sollte noch nicht so jung umkommen. Saint-Florent fand sie nicht mehr vor. Er rief nach ihr, und da sie ihn hörte, floh sie desto rascher. Aber lassen wir jetzt den Verbrecher seinen Weg weiter gehen; vielleicht finden wir ihn eines Tages wieder. Die Reihe der Geschehnisse erlaubt uns jetzt nicht etwas anderes, als die Abenteuer unserer interessanten Justine zu verfolgen.
»Da ist es noch, dies Ungeheuer«, sagte sie, indem sie ihre Schritte verdoppelte. »Was kann er von mir wollen? Hat er mir noch nicht genug angetan? Was bleibt ihm noch?« Und sie flüchtete ins Gesträuch, wo sie die Nacht in furchtbarer Unruhe zubrachte.
Als der Tag erwachte, gab sie sich bitteren Gedanken hin. Noch rannen ihr die Tränen aus den Augen, als unvermutet Lärm an ihre Ohren drang. »O Gott!«, rief sie schaudernd aus, »vielleicht ist er es noch, der Barbar. Er will mich umbringen, ich bin verloren.« Sie verkroch sich noch tiefer in das Gestrüpp, besaß aber dabei so viel Mut, weiter zu lauschen.
Das Geräusch ging von zwei Männern aus. »Komm, mein Freund«, sagte derjenige, der der Herr zu sein schien, zu dem Knaben, der ihm nachfolgte, »komm, hier wird es wunderbar gehen. Hier wird mich nicht die Anwesenheit einer Mutter, die ich verabscheue, daran verhindern, mich an dir zu erfreuen.« Bei diesen Worten näherten sie sich Justine derart, daß ihr keines ihrer Worte und keine ihrer Bewegungen entgehen konnten. Nun zog der Herr, der 24 Jahre alt zu sein schien, dem andern, der höchstens 20 Jahre zählen mochte, die Hosen herab, kitzelte ihm das Glied und brachte es zum Stehen, worauf andere Greuel folgten. Oh, wie langsam verging Justine die Zeit, während welcher das Schauspiel vor sich ging, und wie peinlich war der Anblick des Verbrechens für die Tugend.
Endlich, nachdem sie zweifellos beide befriedigt waren, erhoben sie sich, um sich auf den Rückweg zu begeben. Dabei näherte sich der Herr dem Gebüsch Justines, und er bemerkte das Taschentuch, mit dem der Kopf Justines umhüllt war.
»Jasmin«, sagte er zu seinem Diener, »wir sind verraten, wir sind entdeckt. Eine Frau, ein unreines Wesen, hat unser Geheimnis belauscht. Treten wir näher; fragen wir, welchen Grund sie dafür hatte.«
Aber die zitternde Justine ließ ihnen nicht Zeit näher zu treten. Sie sprang auf und warf sich den Männern, die sie entdeckt hatten, zu Füßen. »Oh, Monsieurs!«, rief sie aus, indem sie die Hände faltete, »haben Sie gütigst Mitleid mit einer Unglücklichen, deren Schicksal beklagenswerter ist, als Sie glauben. Die Lage, in der Sie mich fanden, darf keinen Argwohn in Ihnen hervorrufen. Sie ist mehr die Folge meines Elends als meiner Schlechtigkeit. Vermehren Sie nicht noch mein Unglück, sondern seien Sie so gut und geben Sie mir die Mittel, mich den Verfolgungen des Schicksals entziehen zu können.«
Herr v. Bressac – so hieß der junge Mann, in dessen Hände Justine gefallen war –, der der Bösartigkeit und der Ausschweifung zugeneigt war, besaß kein großes Mitgefühl.
»Turteltaube der Wälder«, sagte Bressac zu ihr, »wenn du Leute suchst, die du betrügen willst, so bist du nicht an die richtigen gekommen. Weder mein Freund noch ich berühren Frauen. Sie flößen uns Abscheu ein, und wir fliehen vor ihnen. Wenn du Almosen verlangst, so suche dir Leute, die gute Werke vollbringen. Wir begehen nur schlechte. Aber jetzt sprich, Elende, hast du gesehen, was sich zwischen diesem jungen Mann und mir abspielte?« – »Ich habe gesehen, daß Sie miteinander plauderten«, sagte klug Justine, »nichts weiter, ich schwöre es Ihnen.« –
»Ich will es glauben«, erwiderte Bressac, »und das ist dein Glück. Wenn du etwas anderes gesehen hättest, würdest du lebend dieses Gesträuch nicht mehr verlassen. Jasmin, wir haben noch Zeit, die Abenteuer dieses Mädchens anzuhören, und wir wollen nachher sehen, was zu tun ist.«
Die jungen Leute setzten sich nieder. Justine trat näher heran und erzählte mit unschuldsvoller Stimme alle Unglücksfälle, von denen sie seit ihrer Geburt heimgesucht worden war.
»Nun, Jasmin«, sagte Bressac, indem er sich erhob, »seien wir einmal gerecht. Themis hat dieses Geschöpf verdammt, dulden wir nicht, daß den Absichten der Götter so zuwider gehandelt werde. Vollziehen wir an der Delinquentin das Todesurteil, das über sie gefällt wurde. Dieser kleine Mord wird, statt ein Verbrechen zu sein, nur die moralische Ordnung verbessern.«
Bei diesen Worten schleppten die Barbaren unter Gelächter die weinende und schreiende Unglückliche nach der Mitte des Gehölzes. »Entkleiden wir sie«, sagte Bressac, indem er alle Hüllen entfernte, ohne daß der Anblick der bei dieser Handlung enthüllten Reize sein allen Verlockungen des weiblichen Geschlechts verschlossenes Herz weicher gestimmt hätte. »Welch häßliches Geschöpf ist doch so eine Frau«, sagte er. »Vorwärts, nur kein Mitleid. Binden wir sie an.« Im Augenblick war das arme Mädchen mit einem Strick, den diese Ungeheuer aus ihren Hals-und Schnupftüchern gedreht hatten, zwischen vier Bäumen derart angebunden, daß jedes ihrer Glieder an einem Baum festgehalten war. In dieser grausamen Stellung, bei der ihr Magen ohne Stütze zur Erde hing, empfand sie so heftige Qualen, daß ihr kalter Schweiß auf die Stirne trat. Je mehr aber die Unglückliche litt, desto mehr Ergötzen schienen die jungen Männer an dem Schauspiel zu haben. Sie betrachteten mit Wollust jede ihrer Zuckungen und richteten den Grad ihrer Freude nach der mehr oder minder großen Heftigkeit der Verzerrungen in den Gesichtsmuskeln der Armen.
»Nun ist’s genug«, sagte Bressac, »diesmal wollen wir es bei der Angst bewenden lassen.«
»Justine«, fuhr er fort, indem er die Fesseln löste und ihr befahl, sich wieder anzukleiden, »seien Sie verschwiegen und folgen Sie uns. Wenn Sie sich mir anschließen, werden Sie es nicht bereuen. Meine Mutter bedarf einer zweiten Dienerin. Ich werde Sie ihr vorstellen. Aber wenn Sie mit meiner Güte Mißbrauch treiben, wenn Sie mein Vertrauen verraten oder meinen Befehlen nicht gehorchen, so sehen Sie sich erst diese vier Bäume an. Bedenken Sie, daß dieser verhängnisvolle Ort nur ein Kilometer weit von dem Schloß entfernt ist, in das ich Sie führe, und daß Sie bei der geringsten Verfehlung wieder hierher zurückkommen werden.«
Die plumpeste Vorspiegelung eines Glückes ist für den Unglücklichen das, was der Tau der vertrockneten Blüte ist. Justine warf sich weinend ihrem scheinbaren Wohltäter zu Füßen. Sie schwor, unterwürfig zu sein und sich gut betragen zu wollen. Allein der grausame Bressac, der für die Freude dieses armen Kindes ebenso wenig empfänglich war wie für ihren Schmerz, sagte: »Wir wollen sehen.«
Ein Marsch von fünfviertel Stunden brachte sie nach dem Schloß der Frau von Bressac, dessen kostbare Ausstattung Justine lehrte, daß, welchen Posten immer sie hier einnehmen würde, es nur zu ihrem Vorteil gereichen könnte.
Eine halbe Stunde nachdem sie angelangt waren, stellte sie der junge Mann seiner Mutter vor.
Frau von Bressac war ungefähr 45 Jahre alt, noch sehr schön und wiewohl weichherzig, so doch streng von Sitten. Sie war stolz darauf, in ihrem Leben niemals einen Fehltritt getan zu haben und verzieh auch anderen nicht ihre Schwächen. Durch diese übertriebene Strenge fühlte sich ihr Sohn abgestoßen, der, wie wir gesehen haben, wohl Torheiten beging. .Seit zwei Jahren Witwe, besaß Frau von Bressac eine jährliche Rente von 100000 Francs, die, eines Tages mit der eigenen, vom Vermögen des Vaters herstammenden vereinigt, dem Verbrecher, den wir kennen lernten, ein Jahreseinkommen von fast einer Million sicherte. Trotz so großer Aussichten gab Frau von Bressac ihrem Sohne sehr wenig Geld. Konnte ein Taschengeld von 25000 Francs zur Bezahlung der Vergnügungen des jungen Mannes reichen? Nichts ist so teuer wie gerade seine Art von Leidenschaften.
Frau von Bressac bewohnte drei Monate im Jahr das Landgut, wohin Justine kam, die übrige Zeit verbrachte sie in Paris. Von ihrem Sohn verlangte sie, daß er sie während dieser drei Monate nicht verlasse, und man kann sich die Qualen eines jungen Mannes vorstellen, der seine Mutter verabscheute und jeden Augenblick als verloren betrachtete, den er fern von einer Stadt zubringen mußte, die für ihn der Mittelpunkt seiner Genüsse war.
Bressac befahl Justine, seiner Mutter alles zu berichten, was sie ihm erzählt hatte. Sowie sie geendigt, ergriff die hochachtbare Frau das Wort:
»Ihre Reinheit und Unschuld«, sagte sie, »lassen mich an Ihrer Wahrheitsliebe nicht zweifeln. Ich werde keine weiteren Erkundigungen über Sie einziehen als die, ob Sie wirklich die Tochter des Mannes sind, den Sie mir genannt haben. Ich habe Ihren Vater gekannt, und das ist für mich ein Grund mehr, mich für Sie zu interessieren. Was die Geschichte mit der Delmouse betrifft, so nehme ich es auf mich, sie in zwei Besuchen zu ordnen, die ich dem Kanzler, einem alten Freund von mir, abstatten werde. Dieses Geschöpf ist überdies ihrem Ruf nach schon längst gefallen, und ich könnte sie einsperren lassen, wenn ich wollte. Aber denken Sie gut nach, Justine«, fuhr Frau von Bressac fort, daß das, was ich Ihnen hier verspreche, nur der Preis für eine glänzende Aufführung ist.« Justine warf sich nun ihrer Wohltäterin vor die Knie und versicherte, daß man mit ihr zufrieden sein würde, worauf sie ihre Stelle antreten konnte.
Nach einigen Tagen langten die Antworten auf die Erkundigungen ein. Man lobte Justine wegen ihrer Offenheit, und bald verflüchtigten sich alle Gedanken an gewesenes Unglück aus ihrem Geist, um der süßesten Hoffnung Platz zu machen. Aber es war diesem armen Mädchen nicht bestimmt, jemals glücklich zu sein, und wenn sie es auch jetzt auf kurze Zeit war, so geschah das nur, um ihr kommendes Mißgeschick noch bitterer fühlen zu lassen.
Kaum war man nach Paris zurückgekehrt, als Frau von Bressac sich bemühte, ihrer Kammerfrau die Wege zu ebnen. Die Verleumdungen der Delmouse wurden als solche erkannt, aber man konnte ihr nichts mehr anhaben, da sie vor einigen Tagen nach Amerika abgereist war, um eine reiche Erbschaft anzutreten.
Was die Feuersbrunst im Gefängnis betraf, so überzeugte man sich bald, daß Justine, obwohl sie aus dem Ereignis Nutzen gezogen hatte, nichts damit zu tun hatte.
Man kann sich leicht vorstellen, wie alles das sie an Frau von Bressac fesselte. Jung, schwach und gefühlvoll wie sie war, öffnete Justine ihr Herz bald freudig den Gefühlen der Dankbarkeit. Da sie sich närrischerweise einbildete, daß eine Wohltat den Empfänger an den Geber binden müsse, richtete sie ihr Augenmerk nur mehr auf dieses kindische Gefühl. Es lag natürlich in der Absicht des jungen Mannes, Justine so sehr als möglich an seine Mutter zu fesseln, die er nicht leiden konnte.
Der klugen und gottesfürchtigen Frau von Bressac war es nicht unbekannt, daß ihr Sohn durch ein unzerstörbares philosophisches Gebäude alle Laster rechtfertigte, denen er sich hingab. Sie vergoß darüber viele bittere Tränen in den Armen Justines, und da sie bei ihr Verstand und Mitgefühl fand, vertraute sie ihr gern ihren ganzen Kummer an, und Justine wuchs ihr in den zwei Jahren, die sie schon in ihrem Haus war, sehr ans Herz.
Man befand sich gerade auf dem Landgut, und da die erste Kammerzofe Erlaubnis erhalten hatte, den Sommer in Paris zu verbringen, war nur Justine in der Gesellschaft Frau von Bressac’s. Eines abends, bald nachdem sich unser schönes Kind in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, klopfte es plötzlich an ihre Tür, und Bressac bat für einen Augenblick um Einlaß. Sie wagte nicht zu widersprechen. Er trat ein, verschloß sorgfältig die Tür hinter sich und warf sich dann in einen Lehnstuhl. »Höre, Justine«, sagte er dann mit ein wenig erregter Stimme, »ich habe dir Dinge von hoher Bedeutung mitzuteilen. Schwöre mir, daß du niemals Mißbrauch damit treiben wirst.« – »O Monsieur, können Sie glauben, daß ich je Ihr Vertrauen täuschen werde?« – »Du weißt nicht, welchen Gefahren du dich aussetzen würdest, wenn das der Fall wäre.« – »Ein schrecklicheres Unglück als der Verlust Ihres Vertrauens könnte mir gar nicht zustoßen.« – »Nun wohl, meine Teure«, fuhr Bressac fort und ergriff Justines Hände, »ich habe meine Mutter, die ich verabscheue, zum Tode verdammt, und du sollst mir dabei helfen.« – »Ich!«, rief Justine aus und fuhr vor Schrecken zurück, »das können Sie nicht hoffen. Wie haben Sie einen solchen Plan ausdenken können? Nein, nein, verfügen Sie über mein Leben, wenn Sie es benötigen, aber verlangen Sie nicht, daß ich hier bei einem solchen schrecklichen Verbrechen Ihre Mitschuldige werde.«
Justine brach bei diesen letzten Worten in Tränen aus. Sie kniete vor dem grausamen Bressac. Sie beschwor ihn bei allem, was ihm heilig sei, einen solchen Plan fallen zu lassen. Aber sie kannte das Ungeheuer noch nicht, mit dem sie es zu tun hatte. Sie wußte noch nicht, daß alles, was die Tugend und das Zartgefühl in solchen Fällen vorbringen können, nur dazu dient, das Herz des Verbrechers wie mit Nadelstichen weiter aufzustacheln, wußte noch nicht, daß solche ausschweifende Menschen selbst die Strafen mit Wollust genießen, die ihnen die menschliche Vergeltung auferlegt; daß sie das Schafott als eine Art Ruhmesthron betrachten und darauf mit demselben Mut sterben, der sie beseelte, als sie ihre Verbrechen und Mordanschläge begingen. So sieht der Mensch auf der letzten Stufe wohlüberlegter Verruchtheit aus, und auf ihr stand auch Bressac. Er erhob sich. »Ich sehe wohl«, sagte er zu Justine, »daß ich mich in dir getäuscht habe. Das ärgert mich weniger um mein als um deinetwillen. Jedoch das schadet nichts, ich werde schon andere Mittel finden, und du wirst viel verloren haben, ohne daß deine Herrin daraus Nutzen zöge!«
Diese Drohung gab den Gedanken Justines eine andere Richtung. Wenn sie auf das Verbrechen nicht eingehen würde, das man ihr vorschlug, setzte sie selbst sich der Gefahr aus, und ihre Herrin würde doch unfehlbar ums Leben kommen. Wenn sie aber die Mitschuld auf sich laden wollte, schützte sie sich vor Bressacs Zorn und konnte sicher die Marquise auch retten. Diese Überlegung war das Werk eines Augenblickes und bestimmte sie dazu, auf alles einzugehen. Aber da eine so rasche Sinnesänderung den Argwohn Bressacs hervorgerufen hätte, zögerte sie noch einige Zeit und ließ sich von ihm seine Gründe für den Mord noch einige Male wiederholen. Nun tat sie so, als ob sie nichts mehr zu erwidern wüßte, Bressac hielt sie für überzeugt und umarmte sie stürmisch. Welche Freude wäre das für Justine gewesen, wenn er sie aus anderen Gründen in die Arme geschlossen hätte. Aber dafür war es zu spät, denn das Betragen dieses jungen Mannes hatte in ihrem schwachen Herzen alle Gefühle für ihn vernichtet, und sie sah jetzt in ihrem ehemaligen Idol nur mehr einen Verbrecher, der unwürdig war, auch nur einen Augenblick darin zu herrschen.
»Du bist die erste Frau, die ich umarme«, sagte Bressac, indem er sie mit Feuer an sich preßte, »du bist entzückend, mein teures Kind. O Justine, endlich siehst du klar und begreifst die Nichtigkeit des Verbrechens. Komm, du bist mein Engel, und ich weiß nicht, woran es liegt, daß ich nicht sogleich meinen Geschmack ändere.« In der Tat warf sie Bressac, der mehr durch die sichere Aussicht auf Verwirklichung seines Planes als durch die Reize Justines aufgeregt war, auf das Bett, schürzte sie, trotz ihres Sträubens bis über die Hüften auf und rief dann aus: »Teufel, da hätten wir den schönsten Popo der Welt, wenn sich nicht unglücklicherweise eine Scheide daneben befinden würde. Welch unbezwingliches Hindernis!« Dann deckte er sie wieder zu und fuhr fort: »Komm Justine, besprechen wir jetzt unsere Tat. Wenn ich dir zuhöre, erwachen in mir Illusionen, aber wenn ich dich ansehe, werden sie wieder zerstört.« Trotzdem stand sein Glied so steif, daß Justine es in die Hand nehmen und mit ihren hübschen Fingern befühlen mußte. »Meine tapfere Freundin«, fuhr er fort, »du wirst also meine Mutter vergiften. Hier ist das Gift, das du in das Heilwasser geben sollst, das sie jeden Morgen zur Erhaltung ihrer Gesundheit trinkt. Das Pulver wirkt schnell und hat keinerlei Geschmack. Ich habe schon tausende Male Versuche damit angestellt.« – »Tausende Male?« – »Ja, Justine, ich bediene mich häufig dieses Mittels, entweder weil ich mich mancher Leute entledigen will, die mir lästig fallen, oder weil mir ihr Tod wollüstige Genüsse bereitet. Du wirst es tun, Justine, ja, du mußt es tun. Ich schütze dich vor allen Folgen und gebe dir am Tag der Ausführung als Belohnung eine jährliche Rente von 2000 Francs.« Der Vertrag wurde ohne Angabe der Gründe unterzeichnet.
Justine beschloß, ihre Herrin zu warnen. Dies schien ihr der beste Ausweg.
»Madame«, sagte sie zu ihr am nächsten Tag, »ich habe Ihnen von einer ungemein wichtigen Sache Mitteilung zu machen. Aber so sehr auch Ihr Interesse dabei im Spiel ist, mußte ich doch schweigen, wenn Sie mir nicht Ihr Wort im voraus gäben, Ihrem Sohn gegenüber nichts merken zu lassen. Sie können die Maßnahmen ergreifen, die sie für nötig halten, aber Sie dürfen kein Wort davon sprechen.«
Frau von Bressac, welche glaubte, es handle sich um eine der gewöhnlichen Verfehlungen ihres Sohnes, gelobte Stillschweigen, und Justine erzählte alles. »Der Schuft!«, rief die unglückliche Mutter aus. »War ich nicht immer um sein Wohl bedacht? Ah, Justine, beweise mir die Wahrheit, damit in meinem verblendeten Herzen jedes Gefühl erstickt werde, das ich noch für dieses Ungeheuer bewahrt habe.« Nun zeigte Justine das Gift.
Einen besseren Beweis konnte man nicht geben. Aber Frau von Bressac, die noch auf eine Täuschung hoffte, wollte zuerst eine Probe damit machen. Sie gab einem Hund ganz wenig davon ein, und das arme Tier starb unter schrecklichen Krämpfen. Nun konnte Frau von Bressac nicht länger zweifeln und faßte ihren Entschluß. Sie befahl Justine, ihr den Rest des Giftes zu geben und schrieb auf der Stelle einem Verwandten, Herrn von Souzeval, sich mit einem Haftbefehl ausrüsten zu lassen und dann so bald als möglich damit herzukommen, um sie von einem Ungeheuer zu befreien, das sich so grausam gegen ihr Leben vergehen wollte.
Jedoch das scheußliche Verbrechen sollte doch seinen Gang nehmen. Das Tier, das man zur Probe benützt hatte, verriet alles. Bressac hörte das Winseln und fragte, was mit ihm los sei. Man konnte ihm nichts Bestimmtes erwidern, und von diesem Augenblick an wuchs sein Argwohn. Er sagte kein Wort, schien aber sehr erregt. Er konnte zu gut in den Mienen seiner Mutter und Justines bemerken, was vorging. Unter dem Vorwand jagen zu wollen, entfernte er sich aus dem Schloß. Er legte sich auf die Lauer nach dem Eilboten, fing ihn ab, und da dieser dem Sohn mehr zugetan war als der Mutter, machte er keine Schwierigkeiten und gab die Brieftasche heraus. Bressac überzeugte sich nun von dem Verrat Justines, gab dem Eilboten 100 Louisdor mit dem Befehl, niemals wieder zu seiner Mutter zurückzukehren und kam rasend vor Zorn auf das Schloß zurück. Dort schickte er die ganze Dienerschaft nach Paris und behielt nur Jasmin, Josef und Justine zurück. Die Tore wurden geschlossen, die Riegel vorgeschoben und Wachhunde an allen Eingängen angebunden.
»Ein großes Verbrechen ist soeben begangen worden«, sagte Bressac, »und ich muß die Urheber herausfinden. Sie werden alles erfahren, meine Freunde, sobald ich den Schuldigen herausgefunden haben werde. Scheußliches Geschöpf, fuhr der junge Mann fort, indem er an Justine herantrat, – »du hast mich verraten. Aber du wirst selbst in die Grube fallen, die du mir gegraben hast. Weshalb versprachst du mir den Dienst, den ich von dir verlangte, da du doch die Absicht hattest, mich zu hintergehen? Und wieso konntest du glauben, tugendhaft zu handeln, indem du die Freiheit und selbst das Leben deines Wohltäters aufs Spiel setztest? Du hättest dich weigern sollen, Hure, und nicht zustimmen dürfen, um mich dann zu verraten. Was hast du durch deine Falschheit getan, dummes Ding? Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt, ohne das deiner Herrin zu retten; denn sie wird trotzdem sterben, und zwar vor deinen Augen. Ich will dich überzeugen, Justine, daß der Weg der Tugend nicht immer der beste ist.« Bressac eilte jetzt zu seiner Mutter. »Sie sind gefangen, Madame«, sagte das Ungeheuer, »vielleicht wäre es für Sie, die Sie doch von meinem Haß und meinen Plänen wußten, besser gewesen, Sie hätten einfach die bittere Pille hinuntergeschluckt. Sie wollten einem sanften Tod entgehen und haben nun einen grausamen zu erwarten.«
Man trug Frau von Bressac in ihre Gemächer, warf sie auf das Bett, und ihr unwürdiger Sohn bewaffnete die Hand Justines mit einem Dolch, ergriff ihren Arm und führte das Eisen nach dem Herzen seiner armen Mutter. Frau von Bressac starb, indem sie Gott um Gnade für ihren Sohn bat.
»Du siehst wohl, welch entsetzlichen Mord du eben begangen hast«, sagte der Barbar zu der halb bewußtlosen, blutbedeckten Justine, »du wirst dafür schon bestraft, du wirst gerädert und lebend verbrannt werden.«
Damit stieß er sie in ein benachbartes Zimmer, sperrte sie dort ein, indem er den blutenden Dolch neben sie hinlegte. Dann öffnete er die Tore, spielte den Verzweifelten, schrie, daß ein Ungeheuer eben seine Mutter getötet habe, daß er die Verbrecherin noch mit der Waffe in der Hand eingesperrt halte und erbat flehend die Hilfe der Gerechtigkeit.
Allein ein schützender Gott rettete diesmal die Unschuld. Bressac glaubte die Tür gut verschlossen zu haben; allein sie stand offen, und Justine benützte den Augenblick, als alles im Hof zusammenlief. Sie enteilte rasch, flüchtete durch den Garten, dessen Türe offen stand und erreichte bald den nahen Wald.
Schmerzerfüllt warf sie sich unter einen Baum und begoß den Rasen mit ihren Tränen.
Die Nacht senkte sich herab, und Justine wagte nicht, weiter zu gehen. Sie fürchtete auf der Flucht aus einer Gefahr in eine andere zu geraten. Um sich blickend bemerkte sie, daß sie sich in demselben Wäldchen befand, in dem sie vor zwei Jahren in einer ebenso peinvollen Lage übernachtet hatte. Sie legte sich nieder und verbrachte eine ungemein qualvolle Nacht. Der Tag war kaum erwacht, als ihre Unruhe sich verdoppelte. Solange sie sich in der Umgegend des Schlosses befand, war sie in einer gefahrvollen Lage. Sie stand daher rasch auf und flüchtete mit großen Schritten nach der nächsten menschlichen Ansiedlung. Bald erreichte sie den Ort Saint-Marcel, der fünf Kilometer von Paris entfernt ist. Ein wunderschönes Haus war das erste, was sie beim Eintritt in die Ortschaft sah. Auf ihre Erkundigung sagte man ihr, daß es eine berühmte Schule sei, in die Kinder beiderlei Geschlechts aus der ganzen Umgebung kamen, weil sie hier eine vorzügliche Erziehung genossen. »Gehen Sie nur hin«, sagte der Auskunftsgeber, »wenn Sie, wie ich annehme, eine Stelle suchen. Es gibt da immer welche, die frei sind. Monsieur Rodin, den Besitzer, wird es sicherlich freuen, Ihnen nützlich sein zu können. Er ist ein hochachtbarer Mann, der in ganz Saint-Marcel die größte Liebe und Verehrung genießt.«
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