Kitabı oku: «Der Gottstehunsbei», sayfa 3
»Dort war ich bereits«, sagte Oberrichter Fenggenbartel. »Die Hochwürdige hat uns ausdrücklich um Hilfe bei der Klärung dieses – nun ja, kann man es noch Verbrechen nennen, wenn der Leibhaftige selbst darin verwickelt ist? –, dieser Untat um Unterstützung gebeten und explizit Euren Namen ins Spiel gebracht.«
»Das hätte ich mir denken können«, seufzte Tassilo. »Ihr glaubt im Ernst, ich würde mich dem Leibhaftigen entgegenstellen, falls es denn überhaupt …«
»Seht Ihr, werter Tassilo«, Bürgermeister Hundertpfundt legte vertraulich seinen Arm um Tassilos Schultern, »genau deshalb wünschen wir Euch mit der Angelegenheit zu betrauen. Ihr seid nicht leichtgläubig und fest im wahren Glauben. Ihr stellt Fragen! Ihr hinterfragt! Auch wenn Ihr bereits im Mannesalter seid, brennt in Euch noch das Feuer der neugierigen Jugend. Ihr seid ein sehr aufmerksamer Beobachter und Zuhörer. Ganz abgesehen davon, dass Ihr jung und kräftig seid und, was man so hört, auch gut mit Schwert und Armbrust umgehen könnt. Nennt uns einen anderen aus unserer Ratsherrenriege, der es auf ähnliche Vorzüge bringt. Seht uns an, wir sind alte Männer.«
»Sehr schmeichelhaft, die Herren, aber ich würde gerne auf die Ehre verzichten. Um gegen den Leibhaftigen zu ziehen, bedarf es eher eines Geistlichen, nicht wahr? Wenn Ihr wollt, teile ich es der Mutter Äbtissin gerne selbst mit.«
»Es war nicht der erste derartige Vorfall«, platzte der Landrichter heraus. »Im Februar wurde im Wald die Leiche einer Magd aus Schäftlarn gefunden. Eine Afra. Ähnlich geschändet wie diese hier. Damals haben wir dem Vorfall noch nicht diese Bedeutung beigemessen wie heute. Die Verletzungen waren wie beim Koberbauern. Damals dachten wir noch an einen kranken Lustmörder. Doch nun … Es sieht uns doch sehr nach einem teuflischen Ritual aus.«
»Vielleicht haben die Ziganischen etwas damit zu tun«, mischte sich Bürgermeister Wilprecht ein. »Dass die Herzöge die auch ins Land lassen! Da sieht man, was dabei rauskommt. Die haben sicher ganz ähnliche Riten wie diese gottlosen Juden, die uns mehr als einmal die Pest gebracht haben.«
»Habt Ihr Ziganische im Umland, Herr Landrichter?«, fragte Tassilo.
»Nein, haben wir nicht.«
»So viel dazu.«
Paul Wilprecht lachte trocken. »Als ob die sich nicht nachts anschleichen würden! Ganz dumm sind die ja auch nicht.«
»Wie gesagt, meine Herren«, Tassilo wollte die Angelegenheit beenden. »Es ehrt mich, dass Ihr alle und die hochwürdige Mutter Äbtissin mich für klug genug haltet, dieses Rätsel zu lösen, aber ich werde es leider ablehnen müssen. Ich arbeite an einem neuen Lied, einem großen Lied, einem umfassenden Werk und bin daher unabkömmlich.«
»Bedrängt den jungen Herrn nicht so«, sagte Oberrichter Fenggenbartel jovial. »Das alles kommt für ihn sehr plötzlich. Lasst ihn eine Nacht darüber schlafen. Morgen soll er mit der Mutter Äbtissin sprechen, und vielleicht ergibt sich eine Audienz bei den Herzögen …«
»Die Durchlauchten wissen davon?«, fragte Tassilo überrascht.
»Sicher doch, ich habe die Durchlauchten persönlich informiert. Und sie haben entschieden, dass dieser Fall nicht beim Landgericht bleibt, sondern an die Stadt geht. Wir sind also zuständig. Es dürfte übrigens selbstverständlich sein, dass das alles hier unter uns bleibt! Nur wenige wissen Bescheid, und so soll es bleiben.«
»Verzeiht, aber dazu ist es zu spät«, bemerkte Tassilo lakonisch. »Bereits an der Brücke war der Leibhaftige bei allen das beherrschende Gesprächsthema.«
»Gegen den allgemeinen Klatsch kommen wir nicht an«, sagte der Fenggenbartel. »Lasst die Leute über den Teufel reden. Was ich meinte: Wir sind die einzigen Ratsherren, die Euren Auftrag kennen. Haltet Euren Auftrag geheim. Nun geht. Oh, habt Ihr eine Bleibe für die Nacht? Ich gewähre zwar bereits dem Herrn Landrichter das Gastrecht, doch mein Haus ist groß. Ihr könnt gerne bei mir nächtigen.«
Tassilo glaubte herauszuhören: Und ich habe eine Tochter namens Petronella im heiratsfähigen Alter, die ich dringend unter die Haube bringen möchte, weil ich sie sonst in ein Kloster stecken muss, wenn sie nicht bald einen Kerl findet.
Der Fenggenbartel hatte nämlich im Gegensatz zu seinem Bruder nur Mädchen in die Welt gesetzt. Und seine Petronella stand ganz oben auf der Liste der Heiratskandidatinnen für Tassilo, wenn es nach seiner Schwester, der Gurkenhemma und den Fenggens ging. Wobei Tassilo theoretisch durchaus Gefallen an Petronella fand, ein hübsches Ding. Für Tassilo eine Eroberung, ein Abenteuer wert, wie so viele andere Töchter aus gutem Hause, die seinem Charme erlegen waren. Doch Petronella blieb stets kalt wie Eis. Die demonstrative Sittsamkeit und Keuschheit mochte andere reizen, ihn nicht. Man konnte es mit der Keuschheit auch übertreiben. Außerdem – da war er ganz Poet und Romantiker – wollte Tassilo aus wahrer Liebe heiraten.
»Danke, das ist ein überaus großzügiges Angebot, aber ich werde bei Eurem Neffen erwartet. Beim Mathes.«
»Ich verstehe.« Oberrichter Fenggenbartel schenkte seinem Bruder einen vernichtenden Blick.
Im Gehen wandte sich Tassilo noch einmal um. Verdammtes, lästiges Verantwortungsgefühl. »Was passiert mit der Magd?«
»Die bringe ich unter«, antwortete der Fenggenmuck. »Das arme Ding ist ganz verstört und braucht Ruhe. Und wenn Ihr dann morgen oder übermorgen losreitet, könnt Ihr sie mitnehmen …«
»Wenn? Ich würde eher sagen: Falls!«
3 Beim Fenggenmathes
»Die sind doch alle nicht bei Sinnen«, fluchte Tassilo vor sich hin, als er in ausladenden Schritten über den Marktplatz stob. Stoffel, der Pferd und Maultier führte, hatte Schwierigkeiten, mit seinem Herrn Schritt zu halten. Die Bauern waren dabei, ihre Stände abzubauen, denn die Sonne senkte sich hinter dem Schönen Turm der Nacht entgegen. Bei Sonnenuntergang hatten alle Bauern, Fischer, Arbeiter, Bettler, Aussätzigen – kurz, alle die nicht das Münchner Bürgerrecht genossen, außerhalb der Mauern zu sein. Zwei Männer legten auf den Fischerbrunnen einen schweren, zweiteiligen Holzdeckel und schlossen ihn ab. Die lebenden Fische blieben für gewöhnlich über Nacht im Brunnen.
»Ich bin ein Mann der schönen Künste! Nicht wahr, Stoffel?«
»Ja, Herr!«
»Und niemand, der in aufgeschlitzten Leibern herumwühlt und Gedärme herausnimmt.«
»Oh nein, Herr!«
»Und dem Beelzebub fröhlich entgegentritt und ihn in Ketten legt.«
»Ganz sicher nicht, Herr. Aber es wäre hilfreich, wenn ich wüsste, wovon Ihr überhaupt sprecht, Herr.«
»Das werde ich dir schon noch sagen, Stoffel, verlass dich drauf.« Tassilo rempelte unbedacht eine Bäuerin zur Seite, die das Gleichgewicht verlor und »Verzeiht, Herr« keuchend ihre Körbe mit den nicht verkauften Eiern platt drückte. »Oh, Herr, meine Eier!«, rief sie verzweifelt. »Meine Eier!«
»Ja, und?« Tassilo stapfte weiter. »Ich sollte jetzt gleich zur hochwürdigen Frau Äbtissin ins Angerkloster gehen …«
»Tut das nicht, Herr!«, rief Stoffel. »Man würde Euch zu dieser späten Stunde ohnehin nicht mehr vorlassen.«
»Die sind alle nur in Panik, weil nächste Woche die große Dult losgeht. Da soll das Land sicher sein.« Abrupt blieb Tassilo bei einem Kräuterweiberl stehen. »Ach, du meine Güte! Was waren wir fahrlässig!« Er hustete kräftig und stieß energisch die Luft aus der Nase, unterließ es dann sofort, als Rotz mit herausflog. »He, du da, Weib. Gib mir Rosmarin, Myrrhe, und hast du Weihrauch? Nein? Dann Wachholder. Mehr!« Er warf der Frau eine Münze hin und zerrieb die Kräuter in seiner rechten Faust und hielt sie sich vor die Nase. Er inhalierte, so tief er konnte, saugte den Kräuterduft in die Lungen. »Was für leichtfertige Personen!«, stieß er hervor. »Warum habe ich nicht vorher daran gedacht!«
»Was ist denn, Herr?«
»Miasmen! Ich war in diesem widerwärtigen Keller einer Menge Miasmen ausgesetzt. Jeder, wirklich jeder weiß doch, dass die Ausdünstungen von Leichen übelste Krankheiten mit sich bringen. Und je verwester der Zustand, desto giftiger die Miasmen.«
»Sicher, Herr, die schlimmen Miasmen!«
»Eben. Selbst du weißt das! Aber glaubst du, dass nur einer von denen da unten im Keller daran gedacht hat, uns mit Kräutersäckchen oder Essigschwämmchen gegen diese Miasmen zu schützen?« Er klang nasal, weil er sein Gesicht so tief in den Kräutern verbarg. »Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät, mein lieber Stoffel. Wenn ich mir in dieser üblen Luft die Pest geholt haben sollte, dann verfluche ich die dort anwesenden Herren bis in die fünfte Generation, dass allen männlichen Nachkommen ihre kleinen Lanzen verfaulen und abfallen mögen!«
Schnaufend stapfte Tassilo weiter über den Marktplatz, dann machte er auf dem Absatz kehrt, ging zurück zu der verzweifelten Eierfrau und warf ihr einige Münzen hin.
»Glaubst du, ich merke nicht, dass du die ganze Zeit versuchst, meinen Hinterkopf mit vorwurfsvollen Blicken zu durchlöchern, Stoffel«, knurrte er beim Weitergehen. »Und jetzt wisch dir dein dämliches Grinsen aus dem Gesicht.«
»Grinsen, Herr?«
»Halt die Klappe.«
»Und die Gurkenhemma nennt das immer meinen Welpenblick«, kicherte Stoffel. »Mein Gschau, mit dem ich alle umhau!« Er folgte seinem Herrn geradeaus in die Kaufinger Gasse und dann rechts ins Dunkle Gassl, an dessen Ende Matthäus Fenggen sein Haus besaß.
Das Haus war für den Sohn eines der reichsten Salzhändler der Stadt nicht gerade repräsentativ, doch der Vater gestand seinem Sohn nicht mehr zu. Mathes schien sich nicht daran zu stören. Selbst der Ausblick war ihm egal. Man sah direkt auf den Friedhof, der die Marienkapelle umgab. Der Tod war allgegenwärtiger Teil des Lebens. Auf den Gräbern weideten Ziegen.
Mathes wurmte es höchstens, dass sein Vater direkt nebenan in einem deutlich prächtigeren Haus wohnte. Er fühlte sich durch den Alten beobachtet und gegängelt.
»Ja, so ist das. Das Blut gerät durch die Empörung wieder in Wallung«, sagte Mathes, als sie bei gewürztem Wein im Garten hinter dem Haus zusammensaßen, man musste jede regenfreie, halbwegs warme Abendstunde genießen. Ein kleines Windlicht ließ die Schatten tanzen. Es roch nach Heckenrosen und nach Pferden wegen der nahen Remisen. Glücklicherweise wehte nur sehr gelegentlich ein Lüftchen den Gestank vom nahen Abort herbei. Der typische Geruch in den Stadtgärten. »Das ist üblich.«
»So etwas weißt du?«, fragte Tassilo.
»Sicher doch.«
»Hast du das schon einmal erlebt?«
»Wie bitte?« Mathes richtete sich empört auf. »Hör mal, ich habe viele Dummheiten in meinem Leben gemacht, aber noch nie wurde ich zu einer Leiche geführt, um eine Blut…«
»Entschuldige! So meinte ich das nicht«, beschwichtigte Tassilo.
»Das will ich auch gemeint haben. Da siehst du es, Tassilo, wenn du immer nur über Gedichten und Liedern brütest, entgeht dir die wahre Welt da draußen.«
»Von der bekomme ich schon genug mit. Mehr als genug«, brummte Tassilo.
»Allerdings ist das, was du heute gesehen hast, gar kein Beweis«, sinnierte Mathes. »Diese Magd, Anni, die kann sehr wohl die Täterin sein. Was, wenn sie zum Beispiel den Teufel beschworen hat? Da braucht sie gar nicht selbst Hand anlegen.«
»Meinst du, sie ist eine Unholdin?«
»Wer weiß das schon?« Mathes zuckte mit den Schultern. »Womöglich wendet sie einen Zauber an, damit das Blut des Opfers eben nicht in Wallung gerät. Oh, wechseln wir das Thema, da kommt meine Gattin und Teufelsspuk ist ihr nicht zuträglich …«
Rosa Fenggen rauschte nur kurz vorbei, um Tassilo zu begrüßen, weil es sich so gehörte, und sich dann sofort wieder zu entschuldigen, weil sie unpässlich sei. Sie strich sich dabei über den kaum sichtbaren Schwangerschaftsbauch. Tassilo konnte sich nicht erinnern, dass Rosa jemals pässlich gewesen war, schwanger oder nicht. Rosa war ein blutjunges Ding aus Reichenhall, recht hübsch, aber nach Tassilos Ansicht überaus reizlos. Dazu ein wenig schlampig, denn unter ihrer Haube lugten immer ein paar ungezähmte Strähnen dunkelbraunes Haar hervor. Rosa war gerade achtzehn Jahre alt geworden, die Familie hatte sich schon gesorgt, dass man keinen Bräutigam mehr für sie finden würde. Das hatte Mathes berichtet. Rosa benahm sich stets wie eine große Dame bei Hofe. Sie sprach betont Münchnerisch, um ihren ländlichen Dialekt zu verbergen. Sie mochte Tassilo nicht. Daraus hatte sie nie einen Hehl gemacht. Es beruhte auf Gegenseitigkeit.
»Wann ist es so weit?«, fragte Tassilo, obwohl es ihn kaum interessierte.
»In zwei Monaten, sagt ihre Hebamme. Ich bin heilfroh, wenn es endlich vorbei ist. Ihre Laune ist nicht zu ertragen.« Mathes trank Wein und verzog den Mund. »Zu viel Nelke drin, oder?«
Tassilo nickte. »Schon gut, lässt sich trotzdem trinken.«
»Oh, da fällt mir etwas ein. Ich wollte dir noch etwas Gutes tun. Entschuldige mich bitte einen Moment.« Mathes stand auf, verschwand kurz im Haus und kam mit einer kleinen Tonpfeife zurück, die er mit getrocknetem Huflattich füllte. Dann zündete er sie an und reichte sie Tassilo. »Hier, rauch das. Das tut den Lungen gut und bekämpft mögliche Miasmen.«
Während Tassilo inhalierte, erinnerte er sich daran, dass er die Penisse der anwesenden Herren und ihrer männlichen Nachkommen verflucht hatte, also auch den seines Freundes Fenggenmathes. Kurz meldete sich sein schlechtes Gewissen, dann beruhigte er sich mit dem Gedanken, dass er dank der Kräuterdämpfe gute Chancen hatte, gesund zu bleiben.
»Pass auf, Tassilo: Ich sage dir als dein alter Freund, dass du den Auftrag der Ratsherren annehmen solltest! Wenn schon die Mutter Äbtissin der Klarissen mit dabei ist und offenbar auch die Herzöge, dann bleibt dir gar keine andere Wahl. Ich verstehe sowieso nicht, warum du dich so sträubst. Du kommst mal raus aus deiner Giesinger Burg …«
»Sensation!«, rief Tassilo sarkastisch. »Ich komme bis nach Oberhaching und Schäftlarn. Welch Reise. Da bleibe ich lieber in meiner Giesinger Burg.«
»Reisen wird allgemein überschätzt«, lachte Mathes höhnisch. »Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.« Es war etwas über zwei Jahre her, da hatte der Fenggenmuck die Nase voll von dem Unsinn, den sein Sohn trieb – Hurerei, Glücksspiele, Turniere, Saufgelage, Schlägereien. Das war zwar für einen Sohn aus reichem Hause nicht ungewöhnlich, doch Vater Fenggen drängte darauf, dass der Spross den Ernst des Lebens und vor allem Demut kennenlernen sollte, um eines Tages sein Erbe antreten zu können. Ausschlaggebend waren wilde Nächte mit dem Erbprinzen Albrecht und Tassilo nach einem Turnier in Augsburg. Tassilo konnte sich kaum noch erinnern, was damals alles geschehen war – nur, dass es wild war. Und wie!
Kaum zurück in München befahl Vater Fenggen dem überraschten Sohn an einem kalten Februarmorgen, seine Sachen sofort zu packen und auf Reisen zu gehen. Hinaus in alle Himmelsrichtungen zu den Handelspartnern der Fenggens. Als Begleiter gab er Mathes einen gestrengen Kartäuserpater aus dem Kloster Christgarten bei Ederheim mit. Nun waren die Kartäuser bekannt dafür, dass sie Einsamkeit und Schweigen als bestmöglichen Weg zu Gott sahen. Der Fenggenmuck hatte diesen Orden mit Bedacht gewählt und genug gezahlt, damit selbst der menschenscheuste Eremit seine Kartause verließ. Mit einem wortkargen, jede Gesellschaft verachtenden, alles Weltliche hassenden Geistlichen namens Julius durch Europa zu reisen, war nicht wirklich nach Mathes Gusto. Doch man widersetzte sich den Befehlen des Vaters nicht. Als Mathes nach rund eineinhalb Jahren im November 1429 heimkehrte – übrigens ohne den Kartäuser Julius, der hatte sich nur wenige Wochen vor der Rückfahrt nach München in Turin einfach abgesetzt, warum, darüber schwieg Mathes –, schien er tatsächlich gereift. Zumindest verändert. Und dann holte der Vater zum finalen Schlag aus und setzte Mathes eine Braut vor die Nase. Rosa Pichler, die Tochter eines Salzhändlers aus Reichenhall. Nein, dem Befehl seines Vaters widersetzte man sich nicht. Mathes nahm sogar den Weg nach Reichenhall auf sich, um die Künftige vor Ort pflichtschuldig zu heiraten und nach München zu führen.
Nicht zuletzt deshalb fand Tassilo, dass ihre Freundschaft gelitten hatte. Die unbeschwerten Zeiten der Adoleszenz waren endgültig vorbei. Gut, wer so viele Monate auf Wanderschaft geht, kehrt niemals unverändert zurück, das war Tassilo klar gewesen. Mathes schien vor allem eines bei seinem Reisebegleiter gelernt zu haben: Schweigen. Wobei er durchaus gerne und viel redete, doch er sagte wenig. Er erzählte kaum von seiner Reise oder seinen Interessen oder den Liebschaften. Tassilo hatte die äußerst zurückhaltende Mitteilsamkeit zunächst gefuchst. Schließlich hatte er damals dem Mathes alles erzählt, als Tassilo einst unsterblich und unglücklich in Prinzessin Beatrix, die Tochter von Herzog Ernst, verliebt gewesen war und wie sehr ihn die Prinzessin gedemütigt hatte. Das empörende Verhalten der Prinzessin, inzwischen durch Heirat eine Pfalzgräfin, zehrte bis heute an Tassilo und insgeheim schmiedete er immer noch verwegene Rachepläne.
»Wie ich schon sagte«, griff Mathes das Thema wieder auf. »Ich an deiner Stelle würde es machen. Du befragst ein paar Leute, und das war es dann. Einfältige Bauern und dumme Knechte. Die werden dir alle möglichen Erlebnisse mit Dämonen und Geistern berichten. Die sehen ihren eigenen Schatten und beten vor Schreck sofort zum heiligen Korbinian. Vielleicht findest du in den Wäldern fahrende Gaukler, die sich verstecken, weil sie keine Genehmigung haben, das Land zu durchqueren. Ja, und? Was soll passieren? Niemand erwartet ernsthaft, dass du dem Leibhaftigen gegenübertrittst.« Er bekreuzigte sich nachlässig.
»Ich hatte schon den Eindruck.«
»Und wenn, dann hast du immer noch deinen Stoffel an deiner Seite, der für dich alles tun würde, inklusive dem Teufel in die Hölle folgen.«
»Da hast du recht. Aber willst du mich nicht lieber begleiten, Mathes?«
Da er eben einen Schluck getrunken hatte, prustete Mathes Wein über den Tisch. »Tut mir leid, mein Freund. Das mache ich mit Sicherheit nicht. Das wirst du alleine schaffen. Abgesehen davon wird mich mein Vater nicht weglassen. Pfffh, und mein Weib schon gleich gar nicht. Ich könnte mich ja versehentlich amüsieren … Die Knute des Vaters zu ertragen mag schicklich sein, ist manchmal aber eine schwere Prüfung für einen Sohn. Sei froh, dass du dein eigener Herr bist!«
»Mein eigener Herr? Du kennst meine ältere Schwester!« Tassilo zog amüsiert die Augenbrauen hoch.
»Stimmt.« Mathes lachte, beugte sich über den Tisch und flüsterte fast. »Hast du schon gehört, dass es einen interessanten Neuzugang im Haus der gemainen Töchterlein gibt?«
»Nein.« Tassilo war ganz Ohr. Neuzugänge im Bordell waren immer interessant. Und typisch für Mathes, dass er darüber Bescheid wusste. Trotz Gattin. Vielleicht auch deswegen. Verheirateten war der Besuch im Frauenhaus streng verboten. Aber das hielt kaum einen Verheirateten vom Besuch ab. Die reichen Herren konnten sich die Strafen finanziell leisten. Der Fenggenmathes pflegte sich für die nächtlichen Abenteuer zu verkleiden. Meist als Scheffler.
»Eine Mohrin«, wisperte Mathes und schnalzte mit der Zunge.
»Nein!« Tassilo hatte noch nie eine Mohrin gesehen. Wie absolut aufregend und voller Exotik das Leben in der großen Stadt doch war.
»Wenn ich es dir sage. Eine echte Mohrin aus dem Mohrenland. Ich werde ihr heute noch einen Besuch abstatten. Man muss um Termine ersuchen und diese einhalten. Erwarte also nicht, dass ich dir den ganzen Abend Gesellschaft leiste und morgen früh anwesend bin.«
»Absolut verständlich!« Es war nicht das erste Mal, dass Mathes Tassilo in seine Fremdgehaktivitäten einweihte. Tassilo beschloss, so bald als möglich den Henker aufzusuchen, der für das Bordell zuständig war und eine Verabredung mit der Mohrin zu vereinbaren.
»Und du bist sicher, dass du nichts essen möchtest?«, fragte Mathes.
»Danke, der Appetit ist mir vorhin vergangen.«
»Schade. Meine Köchin hat für uns Blancmanger vorbereitet.«
»Blancmanger? Mandelpudding mit Huhn oder Fisch?«
»Diesmal mit Hecht.«
»Ach. Hecht. Nein danke. Iss ruhig.«
»Etwas Leichteres vielleicht? Wir haben sicher noch Veilchenpaste mit Schmalz im Haus. Das hast du doch immer gerne. Oder ein Karbenada hat die Köchin auch schnell gezaubert.«
»Karbenada klingt jetzt doch verlockend.« Tassilo schnalzte mit der Zunge. Scharf angebratener Bauchspeck, ordentlich gesalzen – »Keine Scheu, salzt ordentlich! Salz wird in diesem Haus nicht mit Gold aufgewogen«, wie Mathes stets zu scherzen pflegte –, zuletzt gewälzt in Zimt und Zucker, darüber reichlich gehackte Petersilie, dazu Brot und Wein … Der Hunger war wieder da.