Kitabı oku: «Der Gottstehunsbei», sayfa 4

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4 Die Hochwürdige und die Durchlauchten

»Wartet hier und setzt Euch, Herr«, sagte die vergrämt blickende Pförtnerschwester des Angerklosters zu Tassilo und wies auf den einzigen Holzschemel, der in dem kahlen Raum stand. Das Parlatorium, nur hier durften weltliche Besucher empfangen werden. Die Schwester war noch jung, doch alles an ihr strahlte Leid aus. »Ich werde die hochwürdige Mutter informieren.« Dann faltete sie ihre Hände unter der weißen Schürze über den dicken Wanst und rauschte davon. Tassilo setzte sich. Er kannte das Prozedere von seinen Besuchen. Es gab nur eine Sitzgelegenheit, damit niemandem einfiel, es sich gemütlich zu machen und damit die Sprechzeiten mit Klosterschwestern kurz blieben.

»Mein lieber Tassilo!«, rief die Äbtissin erfreut aus, als sie das Parlatorium schwungvoll mit dem nonchalanten Selbstbewusstsein einer Frau von Macht und Einfluss betrat. Hinter ihr schlurfte die Schwester Pförtnerin herein.

»Hochwürdige Frau Margaretha.« Tassilo verbeugte sich und deutete einen Kuss auf die ihm hingestreckte Hand mit dem Siegelring an. Die Hand roch nach Salbei. Die Pförtnerschwester schenkte ihm einen verachtenden Blick und verließ den Raum.

»Verzeiht, Hochwürdige, aber kann es sein …«, Tassilo kratzte sich am Kinn, während er der Schwester Pförtnerin hinterherschaute, »… kann es sein …« Er brach ab. Ihm lag eine dumme Frage auf den Lippen, die sich nicht geziemte.

»Kann was sein, mein lieber Tassilo?«

»Nichts. Verzeiht.«

»Gut. Selbstverständlich ist mir der Grund Eures Besuchs bekannt. Doch bei unseren letzten Treffen hatten wir kaum Gelegenheit zu sprechen.«

»Bei offiziellen Anlässen seid Ihr eine begehrte Gesprächspartnerin, Hochwürdige. Es ist schwierig, zu Euch vorzudringen.«

»Ach was.« Die Äbtissin winkte für ihr Amt eindeutig zu kokett ab. »Sagt, Tassilo, sagt mir zunächst, wie geht es Euch, wie stehen die Geschäfte?«

»Alles bestens, Hochwürdige. Ich arbeite an einem neuen Lied. Und die Geschäfte laufen blendend, da ganz München baut. So tragisch der Brand letztes Jahr auch war, er zahlt sich für uns aus. Unsere Ziegelöfen brennen von Frühmorgens bis spätabends. Alle brauchen gebackene Steine. Die Bestellungen reichen bis weit ins nächste Jahr hinein.«

»Wie wunderbar. Und was machen die liebe Gurkenhemma und der liebe Bub Christoffel?«

»Hemma betet inzwischen zu so vielen neuen Heiligen, dass ich den Überblick verloren habe. Und sie ist einfältig wie immer. Aber sie sorgt für mich wie eine Mutter. Stoffel gedeiht prächtig, er ist ein richtig strammer Bursche geworden, fast schon ein Mann. Er ist sehr geschickt und alles andere als einfältig. Ihr wisst, dass ich ihm das Lesen und Schreiben beigebracht habe?«

»Ach, die Jugend! Ja, lasst ihn lesen und schreiben, wenn er möchte, Tassilo. Solange es gottgefällige Texte sind. Hier«, sie zog ihre linke Hand unter der weißen Schürze hervor und überreichte einen kleinen Kuchen. »Den habe ich der Schwester Köchin aus der Vorratskammer stibitzt.« Sie kicherte schelmisch. »Gebt ihn dem Stoffel. Den mag er gewiss.«

»Alle jungen Burschen mögen Kuchen. Ihr seid zu gütig, Hochwürdige.«

»Er ist ein armes Findelkind, er hat alle Güte der Welt verdient.«

»Sicher, Hochwürdige.« Tassilo sah zu Boden.

Die Äbtissin wurde ernst. Sie blickte kurz zur Tür und senkte die Stimme. »Hör zu, lassen wir die Formalitäten, Tassilo. Lass uns wie früher reden.«

»Wie Ihr … wie du meinst, werte …« Er brach ab, als sie verärgert ihr Gesicht verzog.

»Die erschütternden Nachrichten aus Oberhaching beunruhigen mich«, sagte Äbtissin Margaretha. »Als ich davon erfuhr, war mir klar, dass ich nur einem wirklich vertrauen kann, die Dinge dort aufzuklären. Dir.«

»Das ehrt mich, Marga, aber ich bin sicher nicht die beste Wahl. Irgendeine Bestie, sei es Mensch, sei es Tier, sei es ein Dämon, hat einen Bauern zerteilt. Das kann am besten der Richter vor Ort aufklären …«

»Dieser Ludwig Gröbner?« Die Äbtissin schnaubte verächtlich. »Was für ein selbstverliebter Stutzer.« Sie bekreuzigte sich sofort und murmelte irgendwas von »Vergebung« zum Herrgott. »Gut, ich möchte seine Fähigkeiten nicht bezweifeln. Womöglich könnte er es tatsächlich irgendwie schaffen, einen Mord aufzuklären.«

»Du kennst den Landrichter aus Wolfratshausen?«

»Mein Lieber!« Die Äbtissin lachte mitleidig. »Was denkst du? Nur weil ich eine Klarisse bin? Armut und Demut beherrschen mein Leben hinter diesen Mauern. Ich bin aber die Äbtissin des ältesten und größten Münchner Frauenklosters. Du musst doch zugeben: Wir beide sehen uns häufiger bei offiziellen Empfängen und Banketten als hier! Nächste Woche wieder. Beim Fest zu Ehren der Pfalzgräfin Beatrix.«

»Stimmt. Beatrix kommt in die Stadt«, grummelte Tassilo.

»Sie liebt die Jacobidult. Nun, wer liebt sie nicht, unsere Dult.« Die Äbtissin räusperte sich. »Im Übrigen suchen die Durchlauchten oft meinen Rat. Außerdem sehe ich zweimal im Jahr nach dem Rechten auf unseren Ländereien. Also, ja, ich hatte schon das eine oder andere Mal das Vergnügen, die Gesellschaft dieses Herrn Landrichters Ludwig Gröbner ertragen zu müssen. Zurück zum Thema. Es geht hier nicht um einen Mord. Es geht nicht darum, dass ein paar besoffene Bauern glauben, den Bilwis tanzen gesehen zu haben. Ja, ich habe davon gehört! Abergläubisches Pack. Getreidedämonen! Wer glaubt solchen Unsinn! Neulich war eine Schwester aus dem Böhmischen bei uns zu Gast, die hat von der Mittagsfrau erzählt, die Punkt zwölf Uhr mittags über die Felder geht und mit ihrer goldenen Sichel faule Erntehelfer köpft. Eine Mitschwester! Und dann abergläubisch! Heidnische Dämonen gibt es nicht. Den Teufel hingegen schon. Es geht darum, dass der Gottstehunsbei gesehen wurde. Der Gott! Steh! Uns! Bei! Was das einfältige Volk dem Leibhaftigen für einen Namen gegeben hat. Nun denn. Wenn sich der Leibhaftige zeigt, ist die Zeit des Tändelns vorbei. Dann müssen wir unverzüglich handeln, wir, die wir fest im Glauben sind. Keinen Fußbreit machen wir Platz für Satanas! Wenn er es denn ist. Das muss geklärt werden. Wobei ich kaum daran zweifle. Begreifst du, Tassilo, dass sich unsere Bauern nicht mehr auf die Felder trauen? Dass sie sich weigern, ihrer Arbeit nachzugehen? Sie verschanzen sich in ihren Höfen. Es ist fast Ende Juli! Bald kommt die Erntezeit. Was soll ich tun? Mal eben schnell eine Kutsche nach Taufkirchen oder Schäftlarn besteigen und dort nach dem Rechten sehen und das abergläubische Pack zum Arbeiten antreiben?«

»Zum Beispiel.«

»Ja, das könnte ich. Aber das nimmt ihnen nicht die Angst. Sicher, ich bin ihre Herrin, und sie würden sich meinem Willen beugen. Ich könnte ihnen Gottes Trostbotschaft erneut vermitteln, aber dazu haben sie ihre Pfaff… Dorfgeistlichen. Doch ich möchte Aufklärung, was wirklich passiert ist und vielleicht noch passiert. Ich möchte, dass mein Land nicht geschändet wird, dass mein Land wieder sicher ist.«

»Die Ernte ist ohnehin verregnet«, warf Tassilo ein.

»Rede nicht solchen Unsinn. Es kann immer noch etwas gerettet werden. Wovon sollen wir die Armen speisen, wenn wir nichts haben?«

»Die Sorge um die Armen treibt dich also um, Marga?« Tassilo lachte.

»Nein.« Sie sah ihm hart in die Augen. Sie war zehn Jahre älter als Tassilo. Um ihre Augen furchten feine Linien durch die Haut. »Die Sorge um unser Land. Es ist unser Land, verstehst du?«

»Ja, Vater hat es dem Kloster übereignet.«

Die Äbtissin schnaubte und tippte Tassilo auf die Brust. »Das Kloster … Darum geht es nicht. Es ist unser Land, mein Bruder. Stubenrußland. Und das gebe ich nicht kampflos auf.«

Tassilo sah seine ältere Schwester nachdenklich an. »Das Land hat Vater als Mitgift überschrieben, als du ins Kloster eingetreten bist.«

»Ich bin eingetreten? Nun ja, ich würde eher sagen, ich wurde eingetreten.«

»Ich dachte, du …«

»Du warst noch ein Kind, Tassilo. Du hättest das nicht verstanden. Und nun ist auch nicht der geeignete Zeitpunkt, darüber zu reden. Unser Vater hat mir damals befohlen, ins Kloster zu gehen. Also habe ich getan, was von einer braven Tochter erwartet wird, obwohl … Egal. Warum glaubst du, dass ich recht schnell erst Oberin und dann Äbtissin wurde? Weil Vater dafür mit Land und Gold gezahlt hat.«

»Das war mir nicht klar, Marga. Du dauerst mich.«

»Ich brauche dein Mitleid nicht, Bruder.« Die Äbtissin lächelte. »Ich brauche deine Mithilfe.«

»Verzeiht, hochwürdige Mutter«, die Schwester Pförtnerin stand urplötzlich im Türrahmen. Tassilo schrak zusammen. »Es ist Zeit.«

»Sicher, Schwester Josepha. Ich komme.« Die Äbtissin wandte sich zum Gehen. Die Pförtnerin verschwand. »Ich kann also auf dich zählen, mein kleiner Bruder?«

»Ich überlege es mir«, sagte Tassilo zaghaft.

»Überlege nicht zu lange. Ach, sag, was wolltest du mich fragen, als ich hereingekommen bin?« Sie vergaß aber auch gar nichts.

»Hmmm, das könnte peinlich sein«, druckste Tassilo herum. Andererseits war diese Schwester Pförtnerin nicht wirklich freundlich zu ihm gewesen.

»Sag schon. Du hast als Bub nie ein Blatt vor den Mund genommen.«

»Kann es sein, dass die Schwester Pförtnerin in froher Erwartung ist?«, platzte er flüsternd heraus.

»Josepha?« Die Äbtissin sah kurz zur Tür und lächelte. »Gibt es etwas, was dir entgeht? Du mit deinen Adleraugen.« Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Und wenn schon. Wir sind alle Kinder Gottes und keiner ist ohne Fehl. In einem schwachen Moment konnte der Teufel sie davon überzeugen, dass sie dem Gärtner mehr Hingabe schulde als unserem Herrgott. Sie tut nun Buße, glaube mir. Lass uns nicht unnötig Zeit verplempern mit Geschwätz über meine sündhaften Schwestern. Geh, Bruder. Bring mir den Kopf des Gottstehunsbei.«

Immer wenn er aus dem Kloster ins Freie auf den Dultplatz trat, fühlte sich Tassilo Stubenruß wie befreit. Als würden Steine vom Gemüt kullern. Stoffel stürzte sich sofort auf seinen Herrn und strahlte ihn erwartungsvoll mit Riesenaugen an.

»Diesmal hat sie nichts für dich mitgegeben«, raunzte Tassilo.

»Das glaube ich Euch nicht, Herr.« Stoffel lächelte welpenhaft weiter. »Es wäre das erste Mal, dass die hochwürdigste Mutter nichts für mich mitgegeben hätte.«

»Hochwürdige, Christoffel, sie ist die hochwürdige Mutter, nicht die hochwürdigste.«

»Für mich ist sie aber die hochwürdigste aller Mütter.«

Tassilo verdrehte die Augen. »Manchmal wünschte ich, du wärest strunzdumm.«

»Nein, Herr, das wünscht ihr nicht. Dann könnte ich Euch nämlich nicht so gut dienen.«

»Gscheithaferl, elendiges. Hier.« Er holte den kleinen Kuchen hervor. »Mit besten Grüßen von der hochwürdigsten aller Mütter.«

»Danke, Herr!« Stoffel wickelte das Gebäck in ein Stück Tuch und verstaute es vorsichtig in der Satteltasche seines Maultiers. »Im Übrigen, Herr, kam vorhin ein Bote seiner Durchlaucht Ernst. Die beiden Herzöge wünschen Euch zu sehen.«

»Wann?«

»Am besten gleich, sagte der Bote. Die Durchlauchten erwarten Euch.«

»Na, großartig.« Seinen Plan, zurück auf die Burg Untergiesing zu reiten und den Nachmittag mit Dichten zu verbringen, konnte Tassilo begraben. Sie überquerten den Kleinen Angerbach und den Dultplatz. Der Weg zum Alten Hof, der Stadtburg der Herzöge, wäre durch die kleinen Gässlein bei der Roßschwemme und beim Heilig-Geist-Spital vermutlich kürzer gewesen, aber Tassilo bevorzugte die breiten Gassen, die durch das Innere Sendlinger Tor führten, einem Rest der ersten Stadtmauer aus der Zeit, als München noch nicht einmal halb so groß war wie jetzt. Auf dem Markt lärmten Händler und Käufer. Immer wieder aber flatterten Satzfetzen vorbei, in denen es um den Teufel ging, der sich München nähere. Die Alten zeterten, was nur aus dem Land geworden sei.

Der Schandpfahl war leer. Der darüber enttäuschte Stoffel drängte darauf, am Narrenhäusl vorbeizugehen, das an der nordwestlichen Ecke des Rathauses stand. Es war kein Häusl, eher ein großer Käfig aus Eisenstäben. Über der Gittertür prangte das Bild eines Narren. Es war immer interessant zu sehen, wer zu tief in den Humpen geschaut hatte und zur Ausnüchterung eingesperrt worden war. Diesmal hockten zwei Burschen darin. Einer schlief eingerollt und lauthals schnarchend seinen Rausch aus. Der andere saß mit schamvoll gesenktem Kopf auf dem Boden und bemühte sich, die Schmährufe der Kinderschar vor den Gitterstäben zu überhören. Spätestens gegen Abend würde man beide freilassen. Im Narrenhäusl zu landen war nicht ehrenrührig – ganz im Gegensatz zum Schandpfahl. Burschen schlossen Wetten darüber ab, wer wann darin eine Nacht verbringen würde. Selbst Tassilo war es schon einmal in jüngeren Jahren passiert.

In München gab es nur zwei Straßen. Die Weinstraße und die Burgstraße. Alles andere waren je nach Breite entweder Gassen oder Gassl. Warum das so war, wusste niemand. Die Burgstraße führte hinein in die Alte Burg. Doch als Tassilo die Richtung einschlug, zog Stoffel ihn am Ärmel.

»Nicht die Alte Burg, Herr. Die Durchlauchten erwarten Euch in der Neuveste.«

»Kannst du das nicht gleich sagen, depperter Bub? Kaum hält man dir einen Kuchen hin, schon leidest du unter Hirnfraß.« Also die Dienergasse hinunter, am Judenviertel und dann am Barfüßerkloster vorbei zur Wasserburg.

Die Herzöge unterhielten zwei Höfe in München. Das lag daran, dass es im Jahr 1384 eine unangenehme Konfrontation zwischen Bürgern und den drei regierenden Herzögen Johann, Stephan III. und Friedrich gegeben hatte. Ungünstig für die rebellierenden Münchner war, dass sie nur sich selbst hatten, die Herzöge hingegen konnten auf die Unterstützung des Fürstenbundes bauen. Flugs tummelten sich bedrohlich bewaffnete Heere diverser Herzöge und Grafen plünderungsbereit vor den Toren der Stadt. München blieb nur die Kapitulation. Einhundert Bürger mussten bußfertig nach Dachau ziehen und auf Knien um Gnade wimmern. Die Herzöge zeigten sich gnädig, unter anderem aufgrund der Summe von 6 000 Gulden Sühnegeld, hauptsächlich jedoch, weil sie nun der Stadt den Bau einer neuen Burg abpressen konnten. Denn in baulichen Angelegenheiten hatten die Landesherren der Stadt normalerweise nichts vorzuschreiben. Die alte Burg lag wenig wehrhaft und leicht zu erstürmen mitten in der Stadt. Die neue Burg, umgeben von einem Wassergraben, ließen die Herzöge östlich des Schwabinger Tors knapp außerhalb der Stadtmauern errichten. Von der Stadt aus konnte man nur auf zwei Brücken hineingelangen. Zudem besaß die Anlage im Norden ein eigenes Tor. Ein idealer Ort, um sich bei Aufständen sicher zu verschanzen und im Bedarfsfall vor ihnen zu fliehen.

Die Wachen an der Brücke ließen Tassilo ohne Kontrolle passieren. Ernst und Wilhelm, die gemeinsam regierenden Herzöge von Bayern-München, erwarteten Tassilo im Hof der Neuveste. Wilhelm III., der jüngere und jovialere der Brüder, kam umgehend auf Tassilo zu. Der knickste so tief es eben ging, ohne dabei mit den Knien den immer noch feuchten Erdboden zu berühren, wobei er wackelte wie ein krummbeiniger Storch im Sturm.

»Lasst das, mein lieber Herr Tassilo«, sagte Herzog Wilhelm. »Doch nicht hier in Staub und Kot. Erhebt Euch und gesellt Euch ein wenig zu uns. Wir überlegen gerade, was man aus diesem Juwel hier noch alles machen könnte.«

»Wir überlegen? Wir überlegen eher nicht«, sagte Herzog Ernst frostig. Tassilo verneigte sich wackelig kniebeugend erneut so tief wie möglich. »Wir überlassen es lieber unseren Nachkommen, etwas aus dieser Burg zu machen.«

»Wenn wir etwas Land dazubekommen, können wir, oder unsere Nachkommen, werter Bruder, eine prächtige Residenz daraus machen«, sagte Wilhelm und breitete die Arme aus. Tassilo sah hinauf zu den Wehrgängen. Armbrustschützen beobachteten sie. »Wir werden kommende Woche die Feierlichkeiten zum Besuch unserer Nichte zur Abwechslung einmal hier ausrichten lassen. Auch wenn wir nicht persönlich anwesend sein können.«

»Eine hervorragende Idee«, antwortete Tassilo. Er musste sich konzentrieren, denn das »Wir« verwirrte ihn angesichts der Herzöge jedes Mal aufs Neue. Sprachen sie nun von sich beiden oder benutzten sie den Pluralis Majestatis? Man musste auf der Hut sein, um nicht falsch zu antworten. »Ihr seid nicht anwesend, Durchlauchten?«, schob er nach.

»Wir müssen unser Land bereisen, besonders in unruhigen Zeiten«, sagte Ernst und strich sich über den weißen Bart. »Wir brechen übermorgen nach Straubing auf.« Die Herzöge pflegten stets umherzureisen, blieben mal hier, mal dort, mal in Straubing, mal in Tölz, mal in Schwandorf, mal in Deggendorf. Häufig genug in München. Sich regelmäßig seinem Volk zu zeigen, hatte sich über Jahrhunderte bewährt.

»Sagt, Herr Tassilo«, plauderte Wilhelm fort. »Wir haben gehört, dass Ihr hübsche Gedichte schreibt.«

»Zu gütig, Durchlaucht.« Tassilo verneigte sich.

»Eine Ode an den Maikäfer, nicht wahr? Wir finden das erstaunlich, ja, etwas wunderlich. Warum verschwendet Ihr Euer Talent an so ein schädliches Insekt, das uns die Bäume kahl frisst?«

»Hirschkäfer, Durchlaucht. Nicht Maikäfer. Meine Ode ging an den Hirschkäfer.«

»Soso. Ist Käfer nicht Käfer?«

»Verzeiht, wenn ich widerspreche …«, setzte Tassilo an.

»Ja, wir sind der Ansicht, dass Käfer Käfer ist.« Herzog Ernst – grantig und zielorientiert wie immer. »Doch wir sind nicht hier, um mit Herrn Tassilo über diese Art von Schädlingen zu disputieren.« Dass er momentan arge Probleme mit seinem Sohn hatte, dem einzigen männlichen Nachkommen derer von Bayern-München, dem Erbprinzen Albrecht, war landesweit bekannt und sorgte seit zwei Jahren für Tratsch und Klatsch. Seit Albrecht diese unstandesgemäße Liebschaft zu der Augsburger Baderstochter Agnes Bernauer pflegte, konnte man regelrecht dabei zuschauen, wie sich die Sorgen- und Wutfalten tiefer in Herzog Ernsts Stirn gruben. Albrecht war im Februar 1428 über beide Ohren verliebt von einem Turnier zurückgekehrt und hatte versucht, seine Agnes als offizielle Mätresse am Hof einzuführen. Eine Baderstochter! Als gschlampertes Verhältnis – bitte sehr, das stand einem Prinzen an, aber keinesfalls als offizielle Geliebte und schon gleich gar nicht als Gattin. Tassilo fühlte sich irgendwie mit für die Verhältnisse verantwortlich. Er pflegte mit dem Erbprinzen eine Bekanntschaft, Freundschaft konnte man es nicht nennen, denn der Standesunterscheid verbot Derartiges. Tassilo begleitete Albrecht gerne zu Turnieren, als Nichtadeliger durfte er nur zuschauen. Er war damals in Augsburg dabei gewesen, hatte die Liebe in Albrechts Augen aufflammen sehen, als diese zugegebenermaßen sehr resche Agnes den Raum betreten hatte. Damals, in jener wilden Nacht voller Wein, versetzt mit Alraune, Stechapfel und Weiß-der-Teufel-welchen-anderen-Rauschmitteln sowie Weibern, die mit einem totalen Aussetzer endete, weshalb sich Tassilo nicht wirklich an Details erinnern konnte. Er war halb nackt irgendwo in einem Heuschober aufgewacht, wohin ihn sein treuer Diener Stoffel geschleppt hatte. Seit damals riet er Albrecht stets, die Bernauerin loszuwerden, um sich seinen standesgemäßen Aufgaben zu widmen. Den Widerstand seines Vaters und vor allem den seiner drei Schwestern würde Albrecht ohnehin nicht brechen können. Würde Albrecht seine Geliebte zur Gattin machen, bräuchte es einen neuen Thronfolger im Bayernland, denn Herzog Ernst hatte nur noch drei Töchter, zwei gut verheiratet, eine im Kloster. Schon sah sich der bislang als hartnäckiger Frauenverächter bekannte Wilhelm gezwungen, nötigenfalls den Bund der Ehe einzugehen, um Söhne zu zeugen und die Dynastie zu erhalten. All das hatte Herzog Ernst verhärmt.

»Wir haben vernommen«, so Ernst weiter, »dass Ihr die Last auf Euch genommen habt, diese unschöne Geschichte mit dem Leibhaftigen aufzuklären, die unser Land aufs Ungünstigste erschüttert.« Die beiden Brüder bekreuzigten sich bei »Leibhaftigen«. Tassilo schloss sich sicherheitshalber an.

»So würde ich das nicht formulieren, Durchlaucht«, sagte Tassilo. »Ich habe diese Last bisher nicht auf mich genommen. Denn ich glaube nicht, dass ich der Richtige bin.«

»Das ist bedauerlich.« Herzog Wilhelm zog die linke Augenbraue hoch. »Man hört so viel Gutes über Euch, Herr Tassilo. Man sagte uns, der Rat und auch die Hochwürdige haben Euch bereits beauftragt.«

»Ich habe den Auftrag aber bisher nicht angenommen.«

»Ist das so?«, fragt Wilhelm. »Wir schätzen die Hochwürdige sehr. Es stünde Euch gut an, die Hochwürdige nicht zu enttäuschen.«

»Ich schätze die Hochwürdige ebenfalls sehr.« Tassilo wurde zunehmend unwohl. »Doch dieser Auftrag …«

»Dann beauftragen wir Euch«, unterbrach Ernst, kein weiteres Widerwort duldend. »Es ist unser Wunsch.«

»Natürlich, Durchlaucht.« Tassilo innerlich kochend, verbeugte sich. Er saß in der Falle. So schnell konnte es dann doch gehen. »Wenn es Euer Wunsch ist.«

»Man berichtete uns«, so Ernst weiter, »dass sich vor dem Isartor bereits wieder die Tanzwütigen sammeln.«

»Das ist mir neu, Durchlaucht.« Tassilo erinnerte sich dann an die eine Bäuerin vom Vortag, die begonnen hatte zu tanzen. Die Tanzwut grassierte in regelmäßigen Abständen unter dem Volk, vor allem, wenn die Zeiten so schlecht waren, dass man den Herrgott besänftigen musste, indem man sich ihm opferte. Mitunter fanden sich Hunderte zusammen, die bis zur völligen Erschöpfung oder gar bis zum Tod tagelang tanzten. Nicht selten gesellten sich Selbstgeißler dazu.

»Wir dulden keine Tanzwut vor der Stadt«, fuhr Ernst fort. »Schon gar nicht am Isartor, wo es zum Floßhafen geht. Münchens Hafen ist eine unserer Lebensadern, nicht wahr? Wir haben den Platz räumen lassen.«

»Sehr weise, Durchlaucht.«

»Wegen all dieser Umstände erwarten wir, dass Ihr unseren Wunsch ernst nehmt.«

»Selbstverständlich.« Tassilo verneigte sich verärgert. Es gab kein Entkommen.

»Nun, nun, Herr Tassilo.« Wilhelm III. legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter. »Wir wollen Euch doch zu nichts zwingen. Am Ende werdet Ihr dann nicht aufmerksam genug arbeiten. Und jeder Fehler wäre angesichts des Leibhaftigen fatal.« Bekreuzigung. »Wir dachten uns, dass wir Euch vielleicht einen kleinen Anreiz geben, damit Euch diese Aufgabe leichter fällt. Ihr besitzt doch die ehemalige Burg Untergiesing?«

»Ja, Durchlaucht. Mein Vater hatte einst das Vergnügen, bei Euch die Burg eintauschen zu dürfen.« Was man so hochtrabend als »Burg« bezeichnete, konnte man im klassischen Sinn nicht wirklich so nennen. Es handelte sich eher um einen befestigten Gutshof oben am Hochufer der Isar. Er diente einst tatsächlich als Sitz derer von Giesing, bis diese sich partout nicht mehr fortpflanzen wollten und ausstarben. Als dann 1402 die Münchner wieder einmal gegen die Herzöge rebellierten – gut, dass Ernst und Wilhelm da schon die praktische Neuveste zur Zuflucht hatten –, holten sich die Bürger Herzog Ludwig den Gebarteten von Bayern-Ingolstadt als Unterstützung. Ludwig der Gebartete kaufte flugs ein paar Burgen rings um die Stadt, so die in Untergiesing, um von dort aus seine Vettern mit Krieg zu überziehen. Doch Ernst und Wilhelm siegten über den gebarteten Ingolstädter, und die Münchner mussten wieder einmal Buße tun. Da sich die Stubenrußens nach alter Familientradition politisch geschickt indifferent verhalten hatten, genossen sie weiterhin sowohl das Vertrauen der Herzogsbrüder als auch der Städter. Tassilos Vater tauschte schließlich lehmreiche Ländereien im Dorf Berg am Laim gegen das Anwesen in Untergiesing. So bekamen die Herzöge ihre eigenen Ziegelgründe und die Stubenruß einen schmucken, »Burg« genannten Landsitz.

»Wenn man eine Burg hat, dann wäre es doch schön, ein richtiger Burgherr zu sein, oder?« Wilhelm lächelte vielsagend, was den Blick auf sein recht ruiniertes Gebiss freigab.

»Sicher doch, Durchlaucht.«

»Machen wir es kurz«, ergriff Ernst wieder das Wort. »Wir bieten Euch an, Untergiesing wieder zum Edelsitz zu erheben. Ihr würdet den zugehörigen Ort als Hofmark bekommen mit entsprechenden Rechten und Pflichten.«

Tassilo bemühte sich, die Aufregung nicht nach außen treten zu lassen. Sein Hirn brauste, die Ohren glühten, das Herz pulsierte frenetisch, und die Knie zitterten. Ein Edelsitz! Eine Hofmark! Richtige Untertanen! Er würde in den Landadel aufsteigen. Er würde ein Edler, vielleicht sogar Ritter oder Freiherr werden. Erblicher Adel. Das wäre der gesellschaftliche Aufstieg. Er würde ein adeliges Fräulein ehelichen können. Eine Hofmark! Untergiesing war im Gegensatz zum benachbarten großen Bauerndorf Obergiesing zwar nur ein winziger Flecken mit ein paar Gütln, Leerhäusln und Sölden, aber dennoch. Tassilo von Stubenruß oder lieber Tassilo von Giesing? Jessasmariaundjosef, er hörte förmlich die Gurkenhemma durchdrehen.

»Ihr seid zu gütig, Durchlauchten«, stammelte er.

»Nimmt Euch das den Zweifel?« Ernst zog den linken Mundwinkel schräg. Es sollte wohl ein Lächeln darstellen. »Scheut Ihr nun noch die Begegnung mit dem Leibhaftigen?« Bekreuzigung.

»Sofern es überhaupt der Leibhaftige ist!«, antwortete Tassilo entschlossen. Bekreuzigung. »Da bin ich mir nicht so sicher.«

»So gefällt uns das«, schmunzelte Wilhelm.

Als sich Tassilo entfernte, hörte er noch, wie sich die hohen Herren offenbar über seine Dichtkunst unterhielten. Stolz ließ er seine Brust schwellen. Hätte er besser hingehört, hätte er es wohl unterlassen. Denn Herzog Ernst sagte zu seinem Bruder: »Sehr elegant habt Ihr das formuliert, das mit der Dichtkunst dieses Dilettanten.«

»Hätten wir ihm die Unsäglichkeit seiner Poesie vorhalten sollen?« Herzog Wilhelm sah seinen Bruder an. Dann prusteten beide los.

»Ode an den Hirschkäfer«, japste Ernst und wischte sich die Lachtränen weg.

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