Kitabı oku: «Westend 17», sayfa 4

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05 »Echt, ich fasse es nicht«, fluchte Arslan. »Diese kleine Drecksschlampe!«

»Jetzt krieg dich wieder ein, Alter«, sagte Tayfun und holte die zweite eiskalte Flasche Augustiner aus dem Rucksack. Er öffnete die Biere mit dem Feuerzeug und hielt Arslan eine Flasche hin. »Trink mal nen Schluck und komm runter.«

Die beiden jungen Männer saßen auf dem Erdboden neben Arslans provisorischem Zelt und lehnten sich gegen die Backsteinmauer des Bahnwärterhäuschens. Die Sonne wärmte angenehm. Sie stießen an, und Arslan nahm einen sehr langen Schluck.

»Meine Klamotten und das andere Zeugs …«

»Was denn noch für Zeugs?«, fragte Tayfun neugierig.

»Na, Zeugs halt. Zeugs! Was man so dabei hat. Verfickte Scheiße.«

»Geld? Schlüssel?«

»Nein, habe ich bei mir.« Arslan klopfte auf seine linke vordere Jeanstasche. »Einmal ausgeraubt werden langt mir.«

»Damals hast du es auch bei dir am Körper gehabt, und trotzdem isses nun weg, Alter.«

»Ja, Mann. Ich könnte mich immer noch in den Arsch beißen!«

»Die Scheißkerle finden wir schon noch. Keine Sorge. Dann mach ich die platt, Alter.« Tayfun, das hatte Arslan von Anfang an gemerkt, war niemand, mit dem man es sich leichtfertig verscherzen sollte. Er strahlte eine gewisse Grundaggressivität aus. Es war ganz klar, dass Tayfun das Alphamännchen in der WG war und das Sagen hatte – sofern Cem nicht da war. So lautete die Hackordnung: Cem – was er sagte, war Gesetz. Dass über Cem nominell die geile Kröte stand, interessierte niemanden. Die geile Kröte hieß in Wahrheit Jürgen Eisele, doch dank seines plumpen Körpers und vor allem dank seiner glupschäugigen Krötenvisage nannten ihn alle nur die geile Kröte. Geil, weil er jede Gelegenheit nutzte, die Jungs zu betatschen. Dabei war Eisele verheiratet und hatte zwei Kinder.

Nach Cem kam Tayfun, der geschickt mit Cem zu taktieren wusste. Dann lange niemand, dann alle anderen und ganz am Schluss Mesut. Und genau Mesut hatte den Anlass gegeben, dass Arslan Tayfun bisher nur ein einziges Mal körperlich aggressiv erlebt hatte. Damals, als der fette Mesut sich völlig unsinnig über zwei nicht abgespülte Becher in der WG aufgeregt hatte und Arslan eine reinhauen wollte, wenn der nicht sofort die Küche in Ordnung bringen würde. Mesut war so dumm, wie er fett war, weshalb diskutieren nicht viel brachte. Er hatte schon früher ganz unten in der Hackordnung der WG gestanden, alle nannten ihn nur Schwabbel. Und dann war Arslan in die WG gekommen: feingliedrig, groß und schlaksig, wortkarg und scheu – und Mesut vor allem intellektuell haushoch überlegen. Mesut hatte Arslan vom ersten Tag an nicht leiden können und ihn auf dem Kieker gehabt. Hatte gehofft, er könnte endlich seine Außenseiterrolle loswerden und Arslan zum allgemeinen Fußabtreter machen. Das mit den schmutzigen Bechern in der Küche war Mesut als willkommener Anlass erschienen. Er hatte erst nur rumgebrüllt, als Test. Und dann hatte zunächst tatsächlich niemand Partei für Arslan ergriffen. Mesut hatte sich sicher gefühlt und noch einen draufgelegt: Schläge. Doch da war plötzlich Tayfun dazwischengegangen. Tayfun. Groß und durchtrainiert. Tayfun machte Kickboxen, und er hatte Schwabbel sehr deutlich gemacht, dass der Zusammenhalt in der WG das Wichtigste überhaupt und der zentrale Punkt für ihr aller Überleben sei. Arslan stand fortan unter Tayfuns persönlichem Schutz. Arslan wollte nun auch dringend Kickboxen lernen. Dass Tayfun mit allen Wassern gewaschen war, hatte Arslan schnell gemerkt, auch dass er sich nicht darum scherte, was andere von ihm hielten. Und Arslan war sich auch bewusst, dass man seinem WG-Kumpel nicht unbedingt alles glauben sollte und ihm nicht zu sehr vertrauen durfte. Doch Arslan war einsam, und er wollte endlich mal wieder jemandem vertrauen. Also vertraute er Tayfun. Zumindest vorübergehend. Manchmal war Tayfun echt schwierig zu nehmen, dennoch schien er ein zuverlässiger Freund zu sein.

»Tröste dich«, fuhr Tayfun fort. »Mich haben sie ja auch mal abgezogen, als ich neu in München war. Handy weg, Geld weg, alles weg, Alter. Wir müssten dich halt woanders unterbringen. Für die Illegalen mag die Bruchbude hier reichen. Aber für dich ist das kein Ort.« Er deutete auf das Backsteinhäuschen. »Da kümmere ich mich drum. Etwas mit Dusche und richtigem Klo und gutem Essen, versprochen, Alter.« Er lachte. Arslan knurrte und lachte dann auch.

»Ich geh aber nicht ins Pennerheim an der Pilgersheimer Straße! Da stinkts, und es hat nur Junkies, Alkies und Asseln!«, rief Arslan.

»Woher willst du denn das wissen?«

»Hat Janko erzählt. Fuck, ich will endlich wieder heim!« Arslan bemerkte, dass er die WG das erstmalig als sein Daheim bezeichnet hatte.

»Noch ein paar Tage Geduld, Mann. Hast du noch Geld?«, fragte Tayfun.

»Für die paar Tage reichts noch, sofern es wirklich nur ein paar Tage sind.«

»Wie viel?«

»Ich habs nicht auf den Cent gezählt, aber es reicht, glaubs mir.«

»Und Klamotten?«, fragte Tayfun.

»In der Wohnung sind ja noch Sachen von mir. Wäre klasse, wenn du mir die mitbringen könntest«, antwortete Arslan und zündete sich eine Zigarette an.

»Kein Thema. Ich kann dir auch was von mir leihen. Wir sind ja ungefähr gleich groß. Auch wenn ich viel geilere Muskeln habe.« Tayfun knetete die Unterlippe und trank dann seine Bierflasche leer. »Wir müssen irgendwie zu Geld kommen, verstehst du? Damit meine ich nicht ein paar hundert Euro oder so, sondern richtig Geld, Alter. Wie viel brauchst du noch mal?«

»Das weißt du ganz genau«, antwortete Arslan trotzig.

»Zwölftausend«, sagte Tayfun und blies langsam Rauch aus den Lungen. »Verdammt viel Geld. Und warum du genau diese Summe brauchst, willst du mir wirklich nicht erzählen?«

»Nein«, knurrte Arslan. »Ich brauchs. Fertig.«

»Pass auf. Ich wüsste da was … Etwas, das sich richtig lohnt!« Tayfun machte eine bedeutungsschwangere Pause und sah Arslan schief an.

»Vergiss es«, sagte Arslan. »Ich werde nie wieder dealen!«

Tayfun lachte.

»Und ich zieh keine Leute ab.«

Tayfun lachte wieder. »Wer sagt denn so was, Alter. Relax. Ich meine ja auch keinen Kleinkram! Ich meine zwanzig-, dreißigtausend Euro, vielleicht sogar fünfzigtausend … Dein Anteil von mindestens zwölftausend ist jedenfalls sicher …«

»Willst du eine Bank überfallen? Jemanden entführen? Ohne mich«, fiel ihm Arslan ins Wort. »Das alles hört sich schon jetzt so kriminell an, dass ich auf keinen Fall mitmache. Ich bin vielleicht verzweifelt, aber nicht so. Ich habe nicht teuer für meine Freiheit bezahlt, um sie mal eben so aufs Spiel zu setzen.«

»Stell dich nicht so an. Stell dir lieber vor, was du mit dem Geld alles machen könntest. Weggehen, egal wohin. Dir ein neues Leben aufbauen …«

»Hat ja schon einmal ganz toll geklappt«, warf Arslan sarkastisch ein.

»Hör dir erst mal an, was ich vorhabe, Alter. Keine Angst, es läuft alles ganz ohne Gewalt ab. Niemand kommt zu Schaden. Wir tun niemandem was. Ich weiß von einem, sagen wir mal Schatz, der einfach so rumliegt, ohne dass der Besitzer den wahren Wert kennt. Wir gehen einfach rein, holen uns den Schatz und gehen wieder raus.«

»Ich klaue auch keine Juwelen oder so«, sagte Arslan trotzig.

»Du bist echt so spießig! Ein Scheißspießer. Echt, Alter.« Tayfun war mehr amüsiert als verärgert. »Dann geh doch zurück nach Hause und vergiss deine Träume. Wärst ja nicht der Erste. Mehmet hat das letztes Jahr gemacht. Hat den Druck und das Heimweh nicht mehr ausgehalten. Dafür hat er jetzt sein Leben lang die Hölle auf Erden. Oder hast du Bock, wie Ali zu enden?«

Arslan bekam eine Gänsehaut, wenn er an Alis Schicksal dachte. Er hatte Ali zwar nicht kennengelernt, denn das passierte lange vor seiner Zeit, doch jeder in der WG kannte die Geschichte von Ali. »Ich habe nur keinen Bock, im Knast zu landen. Ich bin damals mit Sozialstunden davongekommen und …«

»Wir landen nicht im Knast. Das versprech ich dir, Alter.«

06 »Bekomme ich auch einen von deinen sensationellen Espressi?«, fragte Paul Freudensprung, als sie allein in Pfeffers Büro waren.

Max Pfeffer schmunzelte und befüllte seine heilige Kaffeemaschine.

»Fast wie in alten Zeiten, hmmm?«, sagte Freudensprung.

»Aber auch nur fast«, sagte Pfeffer.

»Dir gefällt nicht, dass ich hier bin, oder?«

»Nein, das ist voll okay. Mich wundert nur, dass wir noch nicht einmal offiziell eine Soko gegründet haben, und schon werden uns die Leute aus aller Herren Länder ins Team gepackt. Kannst du damit leben, dass wir dir einen Schreibtisch bei Bella ins Büro stellen? Das mit der Materialausgabe für den ganzen Bürokram weißt du sicher noch. Ach, lass dir von den Jungen helfen. Schadet nix, wenn der Erdal dein Zeugs besorgt.« Die Maschine zischte, und frischer Kaffeeduft zog einmal mehr durch Pfeffers Büro. »Hier, dein Espresso, heiß und stark und schwarz.«

»Danke.« Hauptkommissar Paul Freudensprung pustete vorsichtig, bevor er den ersten Schluck nahm. »Sauguad. Hör mal, Max, ich war auch nicht so begeistert, als ich davon gehört habe, dass ich als LKA-Kontakt in die Soko soll. Auch wenn ich mich zugegebenermaßen freue, mal wieder mit dir und Bella zusammenzuarbeiten. Glaubst du, die haben mich abgestellt, weil ich mit einer Türkin verheiratet bin?«

»Was glaubst du?«, fragte Pfeffer zurück. Für ihn selbst war die Antwort klar.

»Vermutlich ja, oder?« Paul Freudensprung hatte seine Frau Aische vor einigen Jahren bei den Ermittlungen zum Mord an einem Galeristen kennengelernt. Damals war er noch in Pfeffers Team, und Max Pfeffer war später Trauzeuge gewesen. »Die kommen immer zu mir, wenn es irgendwas mit Türken zu tun hat. Wenn die wüssten, dass Aische so was von völlig untürkisch ist. Sie kann nicht mal richtig Türkisch. Ich mein, ihr Bruder ist Schauspieler. Das sagt doch schon alles. Und sie stammt aus einer Istanbuler Intellektuellenfamilie, nicht aus Anatolien. Die sind kack-liberal! Wie dein Erdal Yusufoglu übrigens auch.«

»Woher kennst du Erdals Familie?«, fragte Pfeffer erstaunt.

»Kenn ich nicht. Ich habe mich nur über die neuen Kollegen erkundigt. Das ist doch ganz logisch, dass man sich über seine neuen Kollegen informiert. Seine Eltern sind in München geboren. Sein Vater ist Professor für Neue Deutsche Literatur – ja, da staunst du – und die Mutter gilt als Expertin für orientalische Miniaturen aus dem frühen Mittelalter. Erdal spricht fast kein türkisch und ist nicht mal Moslem …«

»Sondern?«

»Gar nix. Wie seine Eltern. Tja, so viel zum Thema Türkei-Kompetenz in deiner Soko!«

»Toll«, sagte Pfeffer trocken.

»Na, sei es, wie es sei. Ich wollte jedenfalls nicht unbedingt in die Soko mit den ganzen Quoten hier. Ich war zuletzt nämlich in dem Team, das gegen den Chinesen und seinen Clan ermittelt.«

»Dann gibt es ihn wirklich, den geheimnisumwitterten Chinesen?«, fragte Pfeffer eher amüsiert.

»So geheimnisumwittert ist der eigentlich gar nicht. Wir wissen, wer er ist. Ich kann ihn dir beizeiten mal vorstellen. Ist natürlich ein ganz normaler braver Geschäftsmann, verwitwet, eine wunderschöne Tochter. Macht in Import und Export und zahlt ganz pünktlich seine Steuern. Absolut teflonbeschichtet, an dem bleibt nichts von der Scheiße haften, für die er verantwortlich ist. Egal, nicht unser Thema jetzt. Gehts dir gut?«

»Danke, geht«, sagte Pfeffer, der Smalltalk prinzipiell nichts abgewinnen konnte, aber brav mitspielte. »Flo ist seit einigen Wochen aus England zurück, pünktlich zum neuen Schuljahr. Du weißt doch, dass er zwei Jahre dort in die Schule gegangen ist. Nun wollte er doch zurück nach Good Old Germany und hier sein Abitur machen. Ist vermutlich besser so. Hat außer ›not really‹ praktisch kein Englisch gelernt. Aber er entwickelt sich ganz gut, der Kleine.«

»Und der Große? Cosmo?«

»Cosmo ist immer noch in Berlin.« Cosmo war Pfeffers älterer Sohn, der eigentlich Cosmas hieß, aber von allen nur Cosmo genannt wurde.

»Wusste ich gar nicht.« Paul Freudensprung trank seinen Espresso mit einem Schluck aus. »Studiert er?«

»Nein.« Pfeffer lachte trocken. »Abhängen nach dem Abi. Eigentlich sollte das nur ein Jahr dauern, nun gehts munter weiter. Na, er finanziert es sich weitgehend selbst, Tim steckt ihm immer wieder was zu, und wenns gar nicht reicht, kommt er zu mir gekrochen. Ich frag nicht groß. Ich wette, dass er an seiner Karriere als neuer Superstar arbeitet. Dabei fände ich es langsam an der Zeit, dass er was Vernünftiges macht.«

»Berlin ist doch voll out«, sagte Freudensprung.

»Sagt der Mann, der sich in solchen Sachen bestens auskennt.«

»Na eben, wenn selbst jemand wie ich das weiß.«

»Brauchst du mir nicht sagen! Sag das meinem Sohn. Wobei er neulich schon meinte, dass Warschau nun das neue heiße Ding sei …«

Die Tür wurde aufgerissen und Erdal Yusufoglu stürzte herein. »Wir haben ihn!«

»Was? Wen?« Pfeffer zog die Stirn zweifelnd kraus. »Unseren Toten? So schnell?«

»Jep.« Yusufoglu schwenkte stolz ein Blatt Papier, den Schwarzweißausdruck eines Fotos. Mittlerweile war auch Bella Scholz ins Büro gekommen. Sie hielt sich den Bauch.

»Ganz ein Flotter, der junge Kollege«, keuchte sie.

»Na ja«, Erdal Yusufoglu lächelte verschämt, »in München und Umgebung gibt es momentan nur sehr wenige Vermisste, und niemanden, auf den das Profil hätte passen können. Also bin ich schnell die bundesweiten Daten durchgegangen. Hier. Hasan Birol. Gemüsehändler aus … haltet euch fest … Berlin. Seine Frau hat ihn vorgestern als vermisst gemeldet.«

Pfeffer nahm das Blatt von seinem Kollegen und legte es neben das Foto des Toten. Die Ähnlichkeit war eindeutig. »Glückwunsch«, sagte Pfeffer. »Sieht wirklich so aus, als wäre das unser Mann. So, und dann die Fragen: Warum war er in München? Wo hat er gewohnt? Und vor allem: Warum musste er hier sterben?« Er sah Hauptkommissarin Scholz auffordernd an.

»Okay«, sagte die. »Das Foto geht raus an die Kontaktbeamten, und wir machen uns auch auf die Suche. Alle Pensionen und Hotels checken. Vor allem in der Ludwigsvorstadt und im Westend.« Erdal Yusufoglu nickte. »Aber, Leute, bitte denkt dran, dass wir nicht bekannt geben, warum wir ihn suchen. Auf die Frage nach dem Warum antworten wir, dass wir dringend mit ihm sprechen müssen, okay?«

»Noch etwas«, sagte Pfeffer. »Wenn unsere Täter aus der rechten Szene kommen sollten, dann können die Deppen doch eh nicht ihre Mäuler halten. Daher bitte ein paar Kollegen dazu abstellen, die einschlägigen Chats und Foren zu durchforsten, ob es da irgendwelche Hinweise gibt.«

»Und was machen wir mit der Familie?«, fragte Bella Scholz. »Es müsste jemand von den Birols herkommen und den Toten identifizieren.«

»Es müsste erst einmal jemand zu denen hinfahren und die Todesnachricht überbringen«, sagte Pfeffer.

»Ich verständige die Berliner Kollegen«, antwortete die Hauptkommissarin.

»Okay.« Pfeffer nickte. »Nein. Warte.« Er sah aus dem Fenster und tat so, als würde er überlegen, obwohl sein Entschluss bereits feststand. »Wir haben noch Nachrichtensperre für den Fall. Die Bosse wollen erst am Montag auf der Pressekonferenz über den Fall berichten. Da wäre es ungut, wenn die Kollegen in Berlin oder wer sonst noch durch die Gegend laufen und Geschichten in die Welt setzen.«

»Und jetzt?«, fragte Paul Freudensprung. »Oh, verstehe. Du willst nach Berlin.«

»Richtig. Bella, kümmerst du dich bitte um einen Flug für mich. Heute noch, wenn es geht. Danke.«

Für Max Pfeffer gab es noch einen weiteren wichtigen Grund, warum er die Familie persönlich benachrichtigen wollte. Die Jahre im Polizeidienst hatten ihn gelehrt, dass man die Witwe eines türkischen oder orientalischen Opfers am besten alleine über den tragischen Verlust informieren sollte. Denn dann bekam man echte Reaktionen und vielleicht auch ehrliche Antworten. Wenn Verwandtschaft dabei war, war automatisch Showtime mit großen Gesten, schrillem Gekreische und dramatischen Zusammenbrüchen.

Und dann gab es den wichtigsten und ausschlaggebenden Grund: Er wollte seinen Sohn Cosmo besuchen.

»Schön, dass hier immer noch alles beim Alten ist«, sagte Paul Freudensprung, als er mit Bella Scholz und Erdal Yusufoglu alleine war.

Die Hauptkommissarin lachte lauthals auf. »Da kannst du drauf wetten, dass der sich nicht ändert.«

»Tja, früher war es ja meine Rolle«, schmunzelte Freudensprung. »Jetzt leitest du die Ermittlungen …«

»Und die ganze Arbeit macht trotzdem er.« Es klang fast resigniert.

»Kurze Frage«, mischte sich Erdal Yusufoglu ein. »Also, der Chef ist doch Kriminalrat, oder? Warum bleibt er dann nicht wie alle anderen Räte hinterm Schreibtisch? Er muss doch gar nicht mehr vor Ort ermitteln …«

Bella und Freudensprung zogen gleichzeitig scharf die Luft ein und prusteten dann los. »Sehr gute Frage, Erdal«, sagte Bella schließlich lachend. »Aber an der Hintern-Schreibtisch-bleiben-Sache haben sich schon viele die Zähne ausgebissen. Die oberste Chefin Staubwasser hats jedenfalls längst aufgegeben, Pfeffer von der Straße zu holen.«

»Nach Berlin?« Tim drehte sich vom Herd zu Pfeffer um und zog die Augenbrauen fast bis unter den Haaransatz hoch. Wie fast immer, wenn Tim kochte, duftete es verführerisch nach der Küche ferner Länder, nach Curry, Jasminreis und Kokosmilch. »Morgen schon?«

»Ja«, sagte Pfeffer. »Ich muss. Ich wollte heute schon, aber da gibt es keinen Flug mehr. Morgen früh zehn vor sieben. Das heißt, ich muss schon um … wann aufstehen?«

»Toll. Monsieur macht sich ein schönes Wochenende in Berlin«, maulte Tim und rührte im Topf.

»Das ist Arbeit! Und du warst letzte Woche drei Tage in Hamburg.«

»Das war wirklich Arbeit!« Tim arbeitete als freier Coach für verschiedene Unternehmen und hielt Seminare in ganz Deutschland.

»Schon klar«, stichelte Pfeffer. »Hast dich durch ganz Hamburg gearbeitet.« Er machte Anführungszeichen in die Luft.

»Heiße ich Max Pfeffer? Ich weiß, was du damals in Berlin gemacht hast!« Tim war nicht wirklich sauer.

»Das weiß ich auch, was ich damals in Berlin so alles gemacht hab.« Pfeffer grinste frech. »Aber damals war ich noch ziemlich hetero.«

»Und was war mit Kurt?«

»Das war …«, sagte Pfeffer extra lang gedehnt, »… als ich später schon nicht mehr so ganz hetero war …«

»Ach!«

»Ja, auch ich habe eine Vergangenheit.«

»Und das weiß niemand besser als ich …« Trotz allen Gefrotzels konnte man heraushören, dass bei Tim ein gewisses Maß an Eifersucht mitschwang.

»Was hab ich gehört, du fliegst nach Berlin?«, fragte Florian, der eben zur Tür hereinkam und seine Schuhe auszog, indem er hinten auf die Fersen trat und mit den Füßen herausschlüpfte. »Cool. Besuchst du Cosmo? Nimm mich mit! Boah, geil, gibts Bombay Curry? Mjam!«

»Nix, Flo«, sagte Pfeffer und strich seinem jüngsten Sohn einer alten Gewohnheit folgend über den Kopf. Florian, mitten in der Pubertät, schnitt eine Grimasse und zog den Kopf weg. »Ich fliege nicht zum Spaß nach Berlin. Arbeit. Ich werde Cosmo wohl nur kurz sehen. Ich hab das Hotel nur für eine Nacht. Und ich habe dir schon zigmal gesagt, dass du die Schuhe nicht so ausziehen sollst! Die gehen viel zu schnell kaputt, wenn du hinten die Fersen runtertrittst. Bück dich und mach die Schnürsenkel auf.«

»Zu spät«, entgegnete Flo frech.

»So ein Käse«, sagte Tim. »Da rufst du jetzt an und verlängerst das ganze Wochenende. Dann kannst du Cosmo besuchen, im Berghain abstürzen und ein wenig Hauptstadtluft schnuppern.«

»Ich weiß nicht, ob ihr das schon mitgekriegt habt«, sagte Pfeffer, »vielleicht habe ich es auch versehentlich noch nicht richtig verbalisiert: Ich habe in Berlin beruflich zu tun.«

»Kommt Gaudi mit?«, fragte Tim.

»Nein, warum sollte er?«

»Wohnt nicht sein Schwager jetzt in Berlin? Levent, der sexy Türkenkommissar mit dem tollen Hintern?«

»Drum schaust du also immer den Tatort?«, frotzelte Pfeffer.

»Ich hab halt eine Schwäche für gut aussehende Bullen mit Knackärschen«, antwortete Tim.

»Uuuuaaarrrghhh«, gab Flo angewidert von sich und verzog das Gesicht. »Gehts noch? Wenn ihr jetzt auch noch rumknutscht, kotz ich!«

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