Kitabı oku: «Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?», sayfa 9

Yazı tipi:

Ein spekulationsbereiter Partner:
Die Preußische Staatsbank

Alle Unternehmenskäufe waren kreditfinanziert, und Ende 1924 war der Barmat-Konzern hoch verschuldet. Das galt für die meisten deutschen Firmen. Die brisante politische Frage lautete, warum gerade ein »Ausländer-Konzern« Kredite in dieser Höhe erhalten hatte, und mehr noch, ob es dabei mit rechten Dingen zugegangen war.26 Vor allem die Preußische Staatsbank befand sich angesichts der Barmat gewährten Kredite in Erklärungsnot, zumal dieses öffentliche Kreditinstitut nicht gerade auskunftsfreudig war und die Tatsachen nie auf den Tisch legte. Darüber hinaus verfolgte die Bank zu keiner Zeit rechtliche Schritte, weder gegen Julius Barmat noch gegen seine Amexima.

Die am Berliner Gendarmenmarkt gelegene Bank zählte zu den altehrwürdigen Institutionen des preußischen Staates – 1922 wurde das 150. Gründungsjubiläum gefeiert. Wie im ursprünglichen Namen »Seehandlungsgesellschaft« zum Ausdruck kommt, war diese staatliche Einrichtung zunächst als Transport- und Warenhandelsgesellschaft tätig gewesen. Im Übergang vom Merkantilismus zur frühen Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es dann zu einer Verschiebung der Aufgaben: Nun nahm die Gründung und Führung von Unternehmen einen wichtigen Platz ein. Durch Kabinettsorder war die Seehandlung seit 1820 ganz offiziell auch die Bank des preußischen Staates. Dieses Tätigkeitsfeld überwog, was sich ab 1904 auch im offiziellen Namen »Königliche Seehandlung (Preußische Staatsbank)« widerspiegelte. Die Bank galt als eine primär fiskalische Institution und unterstand ab 1848 dem Finanzministerium. Das Bewirtschaften der öffentlichen Gelder der verschiedenen Zweige der Staatsverwaltung sowie die Ausgabe von Staatsanleihen waren wichtige Aufgaben, während das Privatkundengeschäft eine nur marginale Rolle spielte. Dem eigenen Selbstverständnis nach diente man dem Gemeinwohl und grenzte sich von den gewerblichen Interessen der privaten Banken ab.27 Kurz: Hinter den dicken Mauern der Tradition funktionierte die Preußische Staatsbank mit einem fiskalisch-bürokratischen Apparat, der sich anschickte, sich dem rauen privatwirtschaftlichen Kapitalismus auszusetzen – und dabei auf Männer wie Julius Barmat, Iwan Kutisker und Jakob Michael setzte.

Kredit im Strudel von Inflation und Deflation

Tatsächlich änderte sich die Geschäftsausrichtung der Bank in der Nachkriegszeit, insbesondere während der Hyperinflation und der Währungsstabilisierung. Der neue Fokus auf die Privatwirtschaft hatte verschiedene Gründe: Erstens brachte die Hyperinflation einen Bedeutungsschwund der Staatsbank als Kreditinstitut für die Staatsregierung mit sich, sodass man auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern war. Wichtiger war jedoch ein zweiter Antrieb: Die Inflation hatte tiefe Spuren in der Geschäftsbilanz hinterlassen. Denn im Gegensatz zu Privatbanken waren der Preußischen Staatsbank risikoreiche und damit eher spekulative Geschäfte verboten gewesen. Die Rücksichtnahme auf hohe Liquidität in Verbindung mit der Unmöglichkeit, über Devisengeschäfte Währungsverluste auszugleichen, hatte die Bank ausbluten lassen. Die rückwirkend zum 1. Januar 1924 erstellte Goldmarkeröffnungsbilanz wies gerade noch ein Eigenkapital von 10 Mio. GM und Reserven in Höhe von 3 Mio. GM auf. Das waren knapp 8 Prozent des Eigenkapitals der Vorkriegszeit.28 Solche Verluste galt es auszugleichen. Dazu musste man, wie der für die Kreditvergabe an Barmat mitzuständige Oberfinanzrat Hans Hellwig in seiner Festschrift zum 150-jährigen Bestehen der Bank vollmundig formulierte, neue Wege beschreiten: Das altehrwürdige Institut wollte sich von einem fiskalischen Staatsunternehmen zu einer modernen Geschäftsbank mausern. Dieses neue Geschäftsmodell provozierte später manchen bitter-spöttischen Kommentar, und Hellwig musste sich seine früheren Formulierungen vorhalten lassen. Denn die Strategie, wagemutig neue Wege zu beschreiten, mündete in ein Desaster.29

Überall wurden nach der Hyperinflation Forderungen erhoben, dass die öffentlichen Finanzinstitutionen angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage eine aktive Rolle spielen sollten, ja mussten, auch indem sie der Privatwirtschaft öffentliche Gelder zur Verfügung stellten. Das war angesichts der wirtschaftlichen und finanzpolitischen Verhältnisse leichter gefordert als getan. Der Preußischen Staatsbank flossen Steuern und sonstige Einnahmen des Staates sowie von Teilen der öffentlichen Wirtschaft einschließlich der Reichspost zu; außerdem parkten Privatbanken angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheit ihr Geld bei dem Institut. Diese Praxis war ein Symptom der Wirtschaftskrise und des infolge der Hyperinflation zerrütteten Bankensystems: »Das Geld wird lieber Tag für Tag der Seehandlung anvertraut und das selbst zu niedrigen Zinsen. Auf diese Weise wurden beträchtliche Summen der Wirtschaft brach gelegt und das zu einer Zeit, als Kreditmangel herrschte.«30 Das war insofern eine unbefriedigende Konstellation, als seitens der »Realwirtschaft« allenthalben Klagen über unerträgliche »Kreditknappheit« und exorbitante Zinsen zu hören waren, und zwar häufig mit der Unterstellung, das Geld werde »Schieberkonzernen« günstig zur Verfügung gestellt.31

Vor diesem Hintergrund – den Bemühungen um eine Rekapitalisierung der Staatsbank, der Bekämpfung der Kreditnot und dem stillen Wettbewerb der Banken untereinander – sind die Kreditbewilligungen nicht nur an Barmat und seinen Konzern, sondern auch an Iwan Kutisker und Jakob Michael zu sehen. Die damit verbundenen Risiken waren immens. Denn wenn Banken angesichts der unsicheren wirtschaftlichen Lage es scheuten, Kredite an die Wirtschaft zu vermitteln, warum sollten andere mit weniger Erfahrung auf diesem Gebiet besser in der Lage sein, solche Risiken richtig einzuschätzen? Diese Frage richtete sich nicht zuletzt an die Beamten der Staatsbank mit ihrem, wie die Ermittlungen zeigten, fast grenzenlosen Vertrauen darin, dass man mit solventen Personen wie Barmat nichts falsch machen könne. In seiner beißenden Kritik geißelte der bekannte, der Demokratischen Partei nahestehende Journalist Georg Bernhard die konservative Bankleitung: Seiner Meinung nach »spielten die Beamten Bankdirektoren, die nicht wußten, daß die Begabung eines Bankdirektors sich viel weniger darin zeigt, Geschäfte zu machen, als Geschäfte zu unterlassen«.32

Wie bereits dargestellt wurde, begannen die Geschäftsbeziehungen zwischen der Amexima und der Staatsbank im Mai 1923, und bis zur Währungsstabilisierung erhielten Barmat’sche Unternehmen sieben große Kredite, die im Strudel der Hyperinflation untergingen.33 Nach der Markstabilisierung wuchsen die Kredite der Amexima bis zum Jahresende 1923 auf umgerechnet 1,6 Mio. GM; Ende Januar 1924 waren es schon 3,1 Mio. GM. Bis Ende März stieg die bewilligte Summe auf 8,1 Mio., bis zum 19. Mai auf 9,5 Mio. und zum 13. Juni auf 10,5 Mio. GM. Rückzahlungen im August verminderten die Summe, während sich gleichzeitig Zinsen ansammelten, sodass die Amexima am Ende des Jahres mit 9,5 Mio. Schulden in den Büchern der Preußischen Staatsbank stand. Dazu addierten sich die Kredite einzelner Betriebe des Konzerns, darunter der Deutschen Merkurbank, der Berliner Burger Eisenwerke und der Roth A. G. Die Gesamtschulden des Barmat-Konzerns bei der Preußischen Staatsbank beliefen sich zum Jahresende auf 14,5 Mio. RM. Das war ungefähr ein Sechstel aller von der Bank an die Privatwirtschaft ausgegebenen Kredite – eine in der Tat ungewöhnlich und unverantwortlich hohe Summe. Das Bild wird noch dramatischer, wenn man bedenkt, dass die drei privaten Großkunden Barmat, Iwan Kutisker und Jakob Michael zeitweise mit insgesamt 35 Mio. GM an Krediten in den Büchern der Staatsbank standen.34

Das Ganze gibt auf den ersten Blick Rätsel auf, erklärt sich aber damit, dass beide Seiten, Kreditgeber wie Kreditnehmer, noch ganz dem Inflationsdenken verhaftet waren. Tatsächlich deutet alles darauf hin, dass Barmat nicht an das »Wunder der Rentenmark« glaubte. Auf jeden Fall setzte er sich auch nach deren Einführung mit einigem Erfolg dafür ein, dass der größte Teil seiner Kredite ohne Sicherungsklauseln (für den Fall einer Geldentwertung) vergeben wurden; d.h. konkret: Wäre die Inflation erneut aufgeflammt, hätten Kreditnehmer wie Barmat enorm profitiert. Die Staatsanwaltschaft sah darin (im Gegensatz zum Gericht, das diese Fragen gar nicht weiter verfolgte) nicht nur ein Versäumnis, sondern eine Pflichtverletzung der Leitung der Staatsbank. Denn ohne solche Entwertungsklauseln hätten angesichts des ungewissen Erfolgs der Währungsstabilisierung und damit der Gefahr einer erneuten Inflation erst gar keine festen Vertragslaufzeiten über drei oder gar sechs Monate abgeschlossen werden dürfen.35

Entscheidend ist, dass die zuständigen Beamten der Staatsbank das unternehmerische Vabanquespiel zunächst mitspielten, ja mehr noch, dass sie offenbar ebenfalls dem Geist vergangener Tage verhaftet waren: Nach dem Desaster der vergangenen Inflation wollten sie dieses Mal auf die richtigen Pferde setzen, zum Vorteil der Bank und, das war die Frage, die das Gericht zu beantworten hatte, möglicherweise zu ihrem eigenen Vorteil, indem sie Barmat zu Diensten waren. Barmat erschien als der geniale Finanzier und Organisator, von dem man profitieren konnte.

Bad Governance

Von den Barmat-Krediten in Höhe von knapp 10 Mio. GM will die Generaldirektion der Staatsbank erst im Mai 1924 erfahren haben, alle seien »überrascht« gewesen. Tatsächlich hatte erst eine interne Revision, die in einem anderen Zusammenhang erfolgt war, gezeigt, dass Julius Barmat bzw. die Amexima mit zu den größten Schuldnern der Staatsbank gehörte. In einer wichtigen Sitzung schon am 19. Mai fasste das Direktorium den Beschluss, die Kredite der drei Großkunden Barmat, Kutisker und Michael nicht nur nicht weiter zu erhöhen, sondern abzubauen. Die Summe stünde in keinem Verhältnis weder zum massiv geschrumpften Eigenkapital der Bank noch überhaupt zu den eingelieferten Sicherheiten, hieß es. Die Konten sollten langsam verringert und auf keinen Fall mehr erhöht werden.36

Das hinderte die zuständigen Beamten in der Folgezeit jedoch nicht, weitere Kredite zu vergeben. Forderungen nach schneller Rückzahlung und Verstärkung der Sicherheiten gingen noch im Juni Hand in Hand mit neuen Krediten in Höhe von 3,5 Mio. GM, die die Merkurbank und die Handelsbank erhielten. Mit den Betrieben Roth und Burger kamen weitere Schulden hinzu. War darin ein Verstoß gegen die Dienstpflichten zu sehen, wie die Staatsbank vermutete? Die Beamten verteidigten sich damit, nicht an der Sitzung am 19. Mai teilgenommen und von dem Beschluss keine Kenntnis erhalten zu haben.37 Das sagt viel über die Kommunikations- und Führungsstrukturen im Haus am Gendarmenmarkt aus. Im Rückblick geißelte Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht die dilettantische Geschäftsführung und ließ kein gutes Wort weder an der Bankverfassung noch an den Beamten einschließlich ihrer Spitze, die »keine volkswirtschaftlich irgendwie nützlichen Kredite« vergeben hätten.38 Für die Staatsanwaltschaft (im Gegensatz zum sehr viel milderen Gericht) war das einmal mehr eine Verletzung der Dienstpflichten, da es die Aufgabe der Dezernenten gewesen wäre, Kreditgeschäfte dieses Umfangs in der Generaldirektion nach unten zu kommunizieren.39 Als die Staatsbank der Amexima schließlich die Pistole auf die Brust setzte und sie aufforderte, bis zum 15. Juli 1924 »mindestens einiges zurückzuzahlen«, erklärte sich Barmat dazu außerstande – die Staatsbank gewährte ihm daraufhin eine Stundung der Schulden.40

Wirtschaftliche Strategien der Staatsbank nach der Inflation und eine schlechte Unternehmensführung erklären nicht allein das grenzenlose Vertrauen der Beamten in die Geschäfte Barmats. Weder in den hitzigen öffentlichen Debatten noch in der Aufarbeitung durch die Justiz fand ein anderer Punkt Beachtung, der interessanterweise bei den Verhandlungen des preußischen Untersuchungsausschusses angesprochen, aber auch hier nicht weiter verfolgt wurde: Julius Barmat hatte sich schon im Oktober 1923 de facto voll und ganz der Preußischen Staatsbank ausgeliefert, indem er dieser seine deutschen und niederländischen Vermögensanteile in den Niederlanden in Form von Blankoakzepten in die Hände legte. Das war die entscheidende Voraussetzung für die schon genannten riskanten Kredite während und nach der Währungsstabilisierung. Seit dem Sommer 1924 bemühte sich Julius Barmat darum, diese Akzepte gegen eine Geldsumme auszulösen und gegen andere Sicherungen umzutauschen. Darauf wiederum ließ sich die Bank nicht ein, versicherte ihm in diesem Zusammenhang aber wiederholt, dass er ihr vertrauen könne.41 Das war ein Versprechen, das, wie im Folgenden noch zu sehen sein wird, nicht eingehalten wurde. Und das hat mit Ereignissen zu tun, die in die Reichspost führten.

Reichspostminister Höfle auf Abwegen

Ein anderer Handlungsstrang in Bezug auf die Barmat’schen Kreditgeschäfte führte zur Reichspost und von dort über andere öffentliche Kreditinstitute wieder zurück zur Preußischen Staatsbank. Es ist eine vertrackt-komplizierte Geschichte mit einer Reihe von Akteuren: Dazu zählt der aus dem Rheinland stammende 57-jährige Zentrumspolitiker und Reichstagsabgeordnete Hermann Lange-Hegermann, den Barmat offenbar im April 1924 im Zusammenhang mit dem Erwerb der Berliner Merkurbank kennengelernt hatte. Der Sohn eines Bottroper Schneidermeisters war zunächst in die Fußstapfen seines Vaters getreten, baute noch vor dem Krieg dessen Geschäft zu einem Großhandel für Baumwollwaren aus und verlegte sich im Krieg erfolgreich auf die Kriegsproduktion von Bekleidungsstücken und Zündern. Nach 1918 stieg er ins Verlagsgeschäft ein und kaufte die Recklinghauser Volkszeitung, ein Zentrums-Blatt. In seiner Partei hatte er sich über die Jahre hinweg langsam hochgearbeitet. 1920 rückte er für das Zentrum in den Reichstag ein, wo er als Sachverständiger für Finanz- und Wirtschaftsfragen sowie für die besetzten Gebiete galt. Mit seinen farbigen Halbschuhen und Seidenstrümpfen stach der gewiefte, elegant auftretende »Bottroper Schneidergeselle«, der, wie ein kritischer Beobachter meinte, den Anschluss an die »Inflations- und Deflationsgewinnler« gefunden habe, nicht zuletzt auch in seiner eigenen Partei hervor.42

Lange-Hegermann saß seit der Gründung der Merkurbank 1922 in deren Aufsichtsrat. Die Bank wurde zur Zentralstelle des gesamten Barmat’schen Unternehmens in Deutschland, wobei, wie schon gezeigt, nicht klar war, ob der neue Besitzer, Barmat bzw. die Amexima, auch den Kurs bestimmen konnte. Die Merkurbank war ebenfalls bereits im Besitz maroder Firmen, darunter die niederschlesische Westerwälder Braunkohle A. G. Als sich 1924 ihre Verbindung mit Julius Barmat und die Kapitalerhöhung herumsprachen, wurde die Bank mit Anfragen Not leidender Firmen wegen Darlehen und Übernahmen von Aktienpaketen überhäuft. Lange-Hegermann orchestrierte nun offenbar in vielen Fällen sehr weitgehend den Ankauf solcher Firmen, deren Besitzer einmal mehr Julius Barmat die Kreditbeschaffung überließen, und zwar gegen Überschreibung von Anteilen oder Aktien der jeweiligen Gesellschaft.43

Von mindestens ebenso großer Bedeutung war Lange-Hegermann bei der Erschließung von neuen Geldquellen. Frisches Geld brauchte der Konzern dringend, da die Preußische Staatsbank im Sommer ja auf eine Abzahlung der Schulden drängte. Hier zahlten sich Lange-Hegermanns Verbindungen zum Reichspostminister Anton Höfle (Zentrum) aus. Beide kannten sich aus Vorkriegstagen im Volksverein für das katholische Deutschland in Mönchengladbach, einer Massenorganisation des politischen Katholizismus. Außerdem entstammten beide Politiker demselben Wahlkreis. Es besteht kein Zweifel daran, dass Lange-Hegermann nicht zuletzt aus Eigennutz Höfle für Barmat einzunehmen vermochte (auch wenn das Gericht später diese von der Staatsanwaltschaft gelegte Spur nicht verfolgen sollte).

Effizienz und Wirtschaftlichkeit – das neue Mantra der Reichspost

Über die Art und die Motive der Verstrickungen Höfles in die Geschäfte Barmats mochten die Meinungen auseinandergehen. Bei der Einschätzung seiner Person war man sich dagegen einig. Für den Vorwärts-Redakteur Anton Schiff, der mit der Schrift Die Höfle-Tragödie eine Apologie des Postministers lieferte, war er ein »Pfälzer von leichtlebigem, gutmütigem Wesen […]; ein guter Familienvater, fromm, naiv und ohne Argwohn«.44 »Naiv« war eine der wiederkehrenden Charakterisierungen und traf offenbar die Sache. Nach Ansicht seines prominenten, nicht nur im Wirtschaftsrecht bewanderten Berliner Anwalts Max Alsberg war Höfle in geschäftlichen Angelegenheiten »absolut nicht bewandert« und dachte in diesen Dingen »ganz primitiv« – ein bemerkenswertes Urteil, bedenkt man, dass Höfle eine Promotion in Volkswirtschaft vorweisen konnte und zeitweise – höchst dilettantisch – die Kassen seiner Partei, des Zentrums, verwaltete.45

Ähnlich wie die Preußische Staatsbank spielte auch die Reichspost auf dem deutschen Geldmarkt eine neue Rolle. Das am 1. April 1924 in Kraft getretene Reichspostgesetz sah vor, dass die Reichspost und der Telegrafenbetrieb als selbstständiges Unternehmen unter der Bezeichnung Deutsche Reichspost vom Reichspostminister unter Mitwirkung eines Verwaltungsrates nach Maßgabe des Gesetzes verwaltet werden sollte. Dazu zählte auch die Trennung des Vermögens und des Haushalts der Reichspost – darin eingeschlossen waren die Guthaben der Postscheckkunden – vom Reichshaushalt. Im Hinblick auf die Verwaltung der Gelder kam es im Frühjahr zu einer Vereinbarung mit der Reichsbank, wonach liquide Mittel, sofern sie nicht dem Reich zur Verfügung gestellt wurden, an die Reichsbank oder, bei Zustimmung der Reichsbank, an andere große Geldinstitute auszuleihen waren. Dazu zählten die Staatsbanken Preußens, Bayerns und Württembergs, die Deutsche Girozentrale, die für den agrarischen Kredit wichtige Preußenkasse sowie die großen D-Banken und die Commerz- und Privat-Bank. Tatsächlich entstanden jedoch auch vielfach Beziehungen direkt zu einzelnen Kreditnehmern, an welche die zugelassenen Banken das Geld weitergeben konnten. Dazu vermittelte die Post die Kreditsuchenden, darunter die Kommunen in den besetzten Gebieten, zunächst an eine der zugelassenen Banken und stellte dieser dann die erforderlichen Mittel zur Verfügung.46

Das neue Mantra war Kundenfreundlichkeit, Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Post und Eisenbahnen sollten »kaufmännisch wirtschaften« und sich von den »Schlacken bürokratischer Schwerfälligkeit« freimachen; Maßstab war der Erfolg der viel bewunderten, expandierenden Großunternehmungen in der Privatwirtschaft. Zudem galt es, dem Staatshaushalt kräftige Einnahmen zu verschaffen. Wie die Vossische Zeitung rückblickend kommentierte, machte sich Höfle an diese Aufgabe »mit dem Temperament, aber auch mit der Unbesonnenheit eines Menschen, der bisher in den Schranken bürokratischer Buchführung gehalten war und nun plötzlich plein pouvoir« erhielt und zudem keiner parlamentarischen Kontrolle ausgesetzt war.47 Auf jeden Fall vertraute der Reichspostminister Julius Barmat, in dem er einen innovativen und aufstrebenden Unternehmer erblickte: »Ich kenn ihn auch als einen sehr tüchtigen Bankier, der des öfteren neue und gute Ideen in das Bankwesen hineingebracht hat«, schrieb der Postminister im Zusammenhang mit Vorbereitungen von Clearingverhandlungen im internationalen Postverkehr, wozu Barmat Kontakte nach Großbritannien und zur Regierung MacDonald aufnahm, den er 1919 auf dem Sozialistenkongress in Amsterdam kennengelernt hatte.48

In der Praxis sah sich das Postministerium nicht an die Reichsbank gebunden, sondern entschied vielfach nach eigenem Gutdünken – zum Wohle der Wirtschaft, wie es hieß.49 So beantragte Lange-Hegermann im Namen der Not leidenden Industrien des besetzten Gebietes und der Rheinpfalz einen Kredit über 2 Mio. GM, der auf Veranlassung Höfles von der zuständigen Abteilung der Reichspost in München ausgezahlt wurde und für den die Preußische Staatsbank und die Merkurbank die Ausfallbürgschaft übernahmen. Im Zuge der Ermittlungen gegen Barmat kam die Staatsanwaltschaft diesem und anderen – dubiosen – Geschäften auf die Spur, die immer wieder zu Lange-Hegermann und anderen Zentrumspolitikern in Sachsen und im Rheinland führten. Aus diesen ersten Anfängen entwickelten sich verzweigte Kreditgeschäfte, in die zunächst die Deutsche Girozentrale und über dieses Institut dann auch andere öffentliche Kassen, darunter die Kur- und Neumärkische Ritterschaftliche Darlehenskasse, die Brandenburgische Girozentrale und die Oldenburgische Staatsbank, involviert waren. Immer garantierte Postminister Höfle die Kredite, die sich auf über 16 Mio. GM beliefen. Das mit Fristen von bis zu drei Monaten vergebene Geld floss über die Barmat’sche Merkurbank an Konzernteile, und ein kleiner Teil diente zur Abdeckung von fälligen Schulden bei der Preußischen Staatsbank. Alles deutet darauf hin, dass sämtliche Beteiligten ihre Kreditrisiken auf die breiten Schultern der Reichspost abzuwälzen versuchten.50

War der Barmat-Konzern schon im Sommer 1924 zahlungsunfähig? Und wer konnte das wissen? Das war justizrelevant, denn dann hätte es sich bei den Krediten möglicherweise um eine Straftat gehandelt (wie auch die Staatsanwaltschaft meinte). In der Staatsbank führte man die finanziellen Schwierigkeiten primär auf strukturelle Ursachen, nämlich die vorherrschende Illiquidität in der deutschen Wirtschaft nach der Währungsstabilisierung, zurück. De facto befand sich ein großer Teil der Wirtschaft zumindest bilanztechnisch in einer Schieflage; Deckungen für Bankkredite waren ins Bodenlose gefallen.51 Aber auch in der Deutschen Girozentrale machte man sich bald Gedanken, die aber in eine andere Richtung zielten. Wie es im Protokoll heißt, wurde von »mehreren Herren betont, daß die Hergabe derartiger umfangreicher Kredite zu verhältnismäßig niedrigem Zinssatz an ausländische Gesellschaften von national-politischem Bedenken aus bedenklich sei«.52 In einem Gespräch, das der Präsident der Deutschen Girozentrale zehn Tage später am 18. August 1924 auftragsgemäß mit Höfle führte, will er diese Bedenken konkreter angesprochen haben: Bei der Amexima handle es sich, wie es in einem Aktenvermerk hieß, »um einen in der Presse viel besprochenen ausländischen Konzern, der, die Not der deutschen Industrie ausnutzend, deutsche Unternehmungen für billiges Geld aufkaufe. Der Aufsichtsrat steht auf dem Standpunkt, daß in der Öffentlichkeit eines Tages festgestellt werden könnte, daß diesem ausländischen Konzern die Überfremdung deutscher Unternehmungen mit deutschem öffentlichem Kapital erst ermöglicht worden sei und daß die Hineinziehung der Deutschen Girozentrale in diese Erörterungen die schwersten Bedenken hervorrufen müsse.«53 Wie in dem Vermerk ebenfalls zu lesen war, erklärte Höfle, dass er »solchen etwaigen Erörterungen in aller Ruhe entgegensehe«: Die Regierung fürchte sie nicht, da Barmat ihr außerordentliche Dienste erwiesen habe, etwa mit der Finanzierung der deutschen Lebensmittelversorgung unmittelbar nach dem Krieg. Außerdem müssten die Aufkäufe des Konzerns auch noch von einem anderen Gesichtspunkt betrachtet werden: Barmat habe dadurch einer großen Zahl von Fabriken, die andernfalls hätten stillgelegt werden müssen, durch die Kapitalzufuhr neues Leben gegeben, sie der Volkswirtschaft erhalten und einer großen Zahl von Arbeitern ihr Brot gesichert. Es sei auch zu berücksichtigen, »daß diese Erhaltung deutscher Industrien nicht nur mit deutschem, sondern auch mit ausländischem Kapital erfolgt sei«. Höfle wies in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass Barmat außerdem Geschäftsverbindungen mit der Preußischen Staatsbank pflegte.54

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
791 s. 20 illüstrasyon
ISBN:
9783868549362
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок