Kitabı oku: «Tatort Bodensee: Der Fall Winterbergs», sayfa 5
Cristinas Abend in St. Moritz
Februar 2011
Natürlich werde ich immer wieder gefragt: Wie habt ihr zwei euch eigentlich kennengelernt? Ich versuch’s meist mit der Wahrheit, zumindest was die Fakten angeht. Und das sind folgende: Ich war im Winter 2011 in St. Moritz bei einem Fotoshooting. Meine besten Modeljahre auf dem Laufsteg waren zwar vorbei, aber immer wieder kamen einzelne kleinere Aufträge: mal da Bademode in der Karibik oder eben mal dort Skimode in den Alpen. Ich war nicht mehr so dünn und angesagt wie die jungen Mädels, aber ich verkörperte immerhin den Typ Frau, der sich die sündhaft teuren Stückchen Stoff leisten konnte.
Nach dem letzten Shooting und zum Abschluss der Arbeit im Engadin gingen meine Kollegin Vanessa und ich ausnahmsweise noch auf einen Absacker. Glauben Sie mir, das war wirklich eine Ausnahme. Ein Shooting ist nämlich harte Arbeit, vor allem im Winter: stundenlang rumstehen, frieren und dabei trotzdem gut aussehen. Wir waren froh, hatten wir den Job ohne Frostbeulen überstanden und gönnten uns auf dem Heimweg in unser sehr durchschnittliches und wenig mondänes Dreisternehotel einige Drinks in der Bar des Fünfsternehauses Palace St. Moritz. Im Ausgang wurden wir meist nach kurzer Zeit von Herren angesprochen und zu den Getränken eingeladen. Ja, da staunen Sie: So waren wir damals. Wir ließen uns einladen und gaben den Männern dafür einen Hauch von einem Flirt. An jenem Abend war nicht viel los in der Bar. Vanessa und ich rechneten schon mit dem Schlimmsten und zählten unsere Franken zusammen, in der Hoffnung, die beiden letzten Bloody Marys würden nicht den Rahmen unserer Barschaft sprengen. Da trat endlich ein älterer, aber durchaus gut aussehender Mann zu uns an die Theke.
Vanessa und ich ergänzten uns optisch perfekt. Darum wurden wir beide auch für diesen Job gebucht. Sie kam aus Norddeutschland, hatte lange, glatte blonde Haare und eine Oberweite, die sämtlichen physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu trotzen schien. Ich hatte meine dunklen schwarzen Locken kunstvoll hochgesteckt und zeigte statt Dekolleté Bein. Da war für jeden Geschmack etwas dabei. »Hätten die Damen noch ein Plätzchen frei?« Der Mann versuchte gar nicht erst, originell zu sein. Kommentarlos rückten wir unsere Hocker etwas auseinander und ließen ihn zwischen uns an die Bar. Die ersten fünf Minuten würden entscheiden, ob er sich mehr Vanessa oder mir zuwenden würde. Und es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich die mit weniger Aufmerksamkeit innert nützlicher Frist zurückzog und der anderen das Feld überließ.
»Robert Winterberg mein Name. Noch zwei Drinks für die Damen?« Schnörkellos. So war er schon damals. Vanessa ließ sich ein Glas Champagner servieren, während ich mich für einen Gin Tonic entschied. Nachdem der Barkeeper schließlich zwei Gins servierte, war der Fall schnell klar. Vanessa saß eine halbe Stunde später im Taxi zum Hotel, während ich einen kürzeren Weg hatte: drei Stockwerke nach oben.
Roberts Abend in St. Moritz
Februar 2011
Mein Jagdinstinkt riet mir eigentlich zur prallen Blondine. Die versprach etwas versauteren Sex als die Dunkelhaarige, die dafür zu schön schien. Aber die Blondine verschwand nach einer halben Stunde plötzlich. Kein Plan, womit ich die vertrieben hatte. Die Zweite, die sich mit »Cristina« vorstellte, war alles andere als ein Trostpreis. Wissen Sie, was ich auf Anhieb bei ihr ganz bezaubernd fand – und bei Gelegenheit auch heute noch bezaubernd finde? Die kleinen Grübchen bei den Mundwinkeln, die sich zeigen, wenn sie lacht. Nun gut, vielleicht hat sie heute nicht mehr so viel Grund zum Lachen wie an jenem ersten Abend in St. Moritz. Der Gin jedenfalls machte mich gesprächiger als üblich. Für einmal schaffte ich es auch, den Mund zu halten und zuzuhören, als sie von ihrer schweren Jugend im italienischen Hinterland erzählte. Und als die Rede auf ihre früh verstorbene Mutter kam, setzte ich sogar meinen legendären Dackelblick auf. Wie gesagt: Ich war in Hochform an diesem Abend.
So kam eins zum anderen. Verlangen Sie jetzt keine schlüpfrigen Details aus jener Nacht. Ich mag mich tatsächlich an nichts mehr erinnern, kein Wunder nach acht Gins für mich und fünf für Cristina, wie die Hotelrechnung später dokumentierte. Als ich aufwachte, fühlte es sich jedenfalls richtig an. Zum ersten Mal seit Gabrielas Tod. Nicht dass Sie denken, ich sei das erste Mal seit anderthalb Jahren neben einer anderen Frau aufgewacht. Aber es fühlte sich anders an, weniger falsch. Sonst ergriff ich meist so schnell es ging die Flucht. Mit Cristinas warmem Körper in der Nähe wurde ich ruhig. Entspannte mich. Schaute am Morgen dem makellosen Gesicht beim Schlafen zu. Und war einfach glücklich. Der Winterberg, verliebt? Ja, lachen Sie ruhig. Das trauen Sie dem alten Zyniker wohl nicht zu! Dabei verehre ich die Frauen. Sie inspirieren mich, sie treiben mich an. Der ganze Erfolg, der Ruhm, die Ehre, das Geld. Das ist nicht für mich oder meine beiden, leider ziemlich missratenen, Kinder. Das war und ist für die Frauen an meiner Seite.
Als Cristina und ich uns in den folgenden Monaten die ersten Male zusammen in der Öffentlichkeit zeigten, tuschelten die Leute natürlich. Der alte Bock und das fast 30 Jahre jüngere Fotomodell. Und was war doch noch mal mit seiner ersten Frau und dem nie ganz geklärten Todesfall? Egal ob an einer Vernissage oder einem Fußball-Match, ob bei einem wichtigen Geschäftsessen oder einem Spaziergang am Ufer des Bodensees, Cristina und ich standen unter dauernder Beobachtung. Träumen Sie ruhig weiter vom Berühmtsein, Sie kleines Rädchen im Getriebe der Bedeutungslosigkeit. Ich sag’s Ihnen, wie’s ist: Das ist nicht immer angenehm. Da fährst du mit dem Maserati auf den Parkplatz des Seehofs und die Leute zeigen mit dem Finger auf dich. Dabei möcht’ ich meist nur meine Ruhe und einen freien Tisch für mich und die Frau an meiner Seite.
Im Herbst desselben Jahres heirateten Cristina und ich. Sie leistete sich ein zusätzliches »h« und nannte sich ab sofort Christina. Das Fest war bescheiden. Nur etwas über einhundert Gäste trafen sich im Garten des Schlosses zur Feier. Dass wir beide auf eine kirchliche Zeremonie verzichteten, verzieh uns Christinas Vater nie. Er blieb dem Anlass fern. Genau wie zwei nahe Verwandte von mir: Alexander und Stephanie. Meine Kinder.
Ein Kellerkind
6 Tage nach dem Mord
Natürlich würden sie nichts finden. Aber deshalb gar nicht erst zu suchen, war auch keine Option. Missmutig beobachtete Herbert Hutter die Arbeit seiner Beamten und versuchte dabei, ihnen möglichst wenig im Weg zu stehen. Das Schloss hatte 14 Zimmer, dazu unzählige verwinkelte Gänge, einen riesigen Estrich und einen Keller, der zu einem großen Teil mit Weinflaschen gefüllt war, fein säuberlich sortiert nach Herkunft und Jahrgang. Naiv stellte sich Hutter den Bierkönig beim Biertrinken vor. Das schien er nicht immer zu tun. Die Haushälterin bot mehrfach ihre Hilfe an. Er lehnte anfangs höflich ab. Aber nach dem dritten Nein wurde es Hutter zu bunt: »Ja dann holen Sie uns halt diesen Giacometti.«
Monika Reuter schaute ihn für einen Moment ratlos an, stieg dann in den Weinkeller und kehrte nach einigen Minuten mit einer verstaubten Flasche zurück: Ob ein Gialdi auch recht wäre? Hutter schaute anstandshalber auf das Etikett: ein Merlot aus dem Tessin. Wenn die Frau nicht sofort aus seinem Blickfeld verschwände, würde der Gialdi zur Mordwaffe. »Geben Sie das Ding her! Ich bring es selber zurück.« Hutter war perplex. In seiner Unzufriedenheit gelangen ihm zwei komplette Sätze mit Verb und Substantiv.
»Wie Sie meinen. Falls ich weiterhin zu Diensten sein kann …«
Hutter ließ Frau Reuter stehen und machte sich auf den Weg Richtung Keller.
14 Zimmer! Laut Auskunft der Schlossherrin bewohnten außer ihr und ihrem Mann nur noch die Haushälterin und die Tochter aus erster Ehe, Stephanie, das Anwesen. Das gab reichlich leeren Raum, reichlich Platz, um eine Bronze-Büste irgendwo verschwinden zu lassen. Die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen! Nicht zu vergessen die Stallungen. Winterbergs züchteten Araber-Pferde. Angefangen damit hatte noch Ehefrau Nummer eins. Nun kümmerte sich vor allem Tochter Stephanie um die Tiere. Er würde sich so bald wie möglich mit der einen Hausbewohnerin, die er noch nicht kannte, unterhalten, nahm sich Hutter auf dem Weg in den Keller vor. Er stieg eine Art Wendeltreppe nach unten. Dort war es stockdunkel. Hutter erinnerte sich daran, dass sein iPad auch eine Taschenlampe war. Die Lehmann hatte ihm die entsprechende App und noch einige weitere nützliche Anwendungen vor Kurzem heruntergeladen. Dafür gab es Praktikantinnen. Braves Mädchen! Er stellte die Weinflasche kurz ab und fischte das Gerät aus den Tiefen seines Wintermantels. Die Identifikation per Fingerabdruck ersparte ihm, sich ein Passwort zu merken. Und tatsächlich wurde es Licht. Ein schwaches zwar nur, aber Hutter hatte einmal mehr nicht aufgepasst, als ihm Lehmann die Einzelheiten der App erklärt hatte.
Hutter schlurfte leise vor sich hin fluchend in die Richtung, wo er den Weinkeller vermutete. Es roch feucht und seine Schritte echoten leicht verzögert von den Wänden. Es fühlte sich gespenstisch an. Sollte er umkehren? In die Arme der Haushälterin laufen? Vorwärts!, mahnte er sich. Und endlich: In einer Ecke weiter vorne lag eine dunkelgrüne Glasscherbe auf dem Boden. Er schien auf der richtigen Spur zu sein. Der Kommissar bog um die Ecke und war tatsächlich am Ziel: Hunderte von Flaschen lagerten hier, vermutlich Millionen wert. Hutter staunte, wie es Monika Reuter geschafft hatte, in dieser Menge die eine Flasche zu finden, die wenigstens halbwegs nach Giacometti tönte. Er hatte keine Lust, Gialdis wahre Herkunft zu ergründen. Die Weinflaschen schienen seit Jahren hier zu lagern. Sie waren mit einer dünnen Staubschicht bedeckt und trugen Etiketten mit vorwiegend französischen oder italienischen Namen. Hutter versuchte, darin eine Ordnung zu erkennen, als er plötzlich ein Geräusch hinter sich hörte.
»Hallo?« Er drehte sich um. Da traf ihn der scharfe Strahl einer Taschenlampe im Gesicht. »Hutter. Kripo Thurgau!« Die schwere Tür wurde zugezogen und der Strahl verschwand. Er hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte. Ruhe kehrte ein. Hutter hielt sein iPad in der einen und die Flasche Gialdi in der anderen Hand. Er war jetzt ein armer Gefangener im Kerker eines Schlosses. Verbindung zur Außenwelt hatte er hier keine. Und der Akku des Lichtspenders sank in dem Moment von elf auf zehn Prozent. Das war ärgerlich. Er hoffte, dass der Suchauftrag seiner Beamten baldmöglichst von »Giacometti« auf »Giacometti und Hutter« ausgedehnt würde. Das setzte allerdings voraus, dass ihn überhaupt jemand vermisste.
Fehler im System
»Was heißt denn hier abgemeldet? Ich brauch den Mann!« Fromm war außer sich, als ihm Debbie die Nachricht überbrachte, dass Oliver Tschanz krank war. Fromm war bekannt für seine cholerischen Ausbrüche. Und alle, die damit Erfahrungen gemacht hatten, also in diesem Fall die gesamte Belegschaft der Zeitung, wussten, dass es nur eine Verhaltensregel gab: schweigen, keinen Blickkontakt und bei der erstbesten Gelegenheit den Rückzug antreten. Redaktionsassistentin Debbie Sutter war sich gewohnt, Überbringerin von schlechten Nachrichten zu sein, und schaute darum besonders routiniert zu Boden und wartete. »Die Geschichte müsste man mehr melken, den Teig der Toten weiter kneten«, murmelte Fromm vor sich hin und vergaß jeden Skrupel vor schrägen Bildern. Wenn das jemand konnte in der journalistischen Ödnis hier, war es Tschanz. Und ausgerechnet der machte schlapp. »Wenn weiter nichts ist …«, versuchte Debbie ihren Rückzug einzuleiten.
»Was, nichts?« Fromms Lautstärke nahm wieder bedrohlich zu. Debbie duckte sich leicht. »Natürlich gibt’s da noch was! Als Erstes die Nummer von Tschanz!«
»Sämtliche Angaben zu allen Angestellten sind im System hinterlegt«, flüsterte Debbie und lispelte dabei vor lauter Respekt etwas.
Nun nahm Fromm richtig Fahrt auf: »Im System. Soso. DAS SYS-TEM?« Die letzten Silben trennte er theatralisch. Alles, was Informationen im Computer betraf, war für Fromm des Teufels. Das System, ein Labyrinth, nur darauf ausgelegt, dass er sich darin verlief. »Sagen Sie dem System, es kann mich mal. Ich will die Zahlen handschriftlich und leserlich auf einem Zettel, 100 Prozent analog!« Debbie glaubte, Fromms Mundgeruch über das Pult hinweg zu riechen. Allzu gerne nahm sie deshalb den Auftrag entgegen, um möglichst schnell den Raum zu verlassen. Kaum war dies geschehen, gab Fromm dem Papierkorb einen unbeherrschten Tritt und verletzte sich dabei leicht den großen Zeh.
»Tschanz?«
»Fromm am Apparat. Wie geht’s?«
Tschanz räusperte sich. »Geht … so …«
»Schön, wenn es wieder geht. Also auf geht’s!«
»Der Magen … ’tschuldigung.« Tschanz deckte kurz das Mikrofon seines Handys ab, um seiner Aussage zusätzliches Gewicht zu verleihen.
»Ich brauch Sie hier. Verstehen Sie, Mann? Winterbergs Fall! Wer soll sich sonst darum kümmern?«
»Sobald ich wieder …«
»Homeoffice!«, unterbrach Fromm und erschrak kurz selbst über seinen Vorschlag. Sämtliche Gesuche darum, von zu Hause aus zu arbeiten, waren von ihm in der Vergangenheit mit einem kurzen Tobsuchtsanfall in Grund und Boden verdammt worden. Er wollte seine Journalisten hier unter Aufsicht und nicht zu Hause, damit sie dort den Kleinen Cornflakes ins Maul schaufelten oder bei den Hausaufgaben halfen.
Am anderen Ende der Leitung herrschte Ruhe. Tschanz schien seine Optionen zu checken. »Natürlich nur als Ausnahme«, schob Fromm nach. »Wegen dem Magen.« Tschanz schwieg weiter. Fromm spürte, wie seine Halsschlagader zu pochen begann. Für was hält sich der denn?
»Ein Dreispalter mit neuem Material zum Thema Winterberg. Mehr verlange ich nicht.«
»Bis wann?« Tschanz schaute in der Agenda nach, wann der Termin mit der Haushälterin vom Conradsberg anstand.
»Übermorgen?«
Verdursten im Weinkeller?
Seit der Akku seinen Geist aufgegeben hatte und er im Dunkeln saß, hatte Kommissar Hutter jegliches Zeitgefühl verloren. War es schon Abend, hatten seine Leute das Schloss bereits verlassen? Falls ja, war das schlampige Arbeit. Sonst wären sie ja im Weinkeller vorbeigekommen und hätten ihn bei dieser Gelegenheit aus seiner misslichen Lage befreit. Mittlerweile fröstelte er etwas, war hungrig und vor allem durstig. Allerdings wagte er nicht, eine der unzähligen Flaschen zu öffnen. Erstens mangelte es am geeigneten Werkzeug, und zweitens, was hätte das für einen Eindruck gemacht, wenn er räuschig gefunden worden wäre? Andererseits war ihm der Gedanke, in einem Weinkeller zu verdursten, auch völlig zuwider. Aber noch war es nicht so weit.
Ein Stockwerk höher bereitete Monika Reuter das Nachtessen für die Damen des Hauses vor. Ein Risotto mit Steinpilzen und Zwiebeln. Normalerweise wurde um acht Uhr diniert. Aber was war schon normal in diesen Tagen? »Dazu einen schweren Italiener«, verlangte Christina Winterberg, um ihren Ärger runterzuspülen. Mist, warum hatte sie die Flasche Gialdi auch dem Kommissar mitgegeben? Dabei zwickte ihr linkes Knie in letzter Zeit beim Treppensteigen. Und das war bei den vielen Treppen im Hause sehr unangenehm. Doch der Gang in den Keller war wohl nicht zu vermeiden. Aber zuerst das Risotto ansetzen.
»Hören Sie mal, dafür bezahlen wir Sie nicht!« Christina Winterberg war sehr erbost. »Soso, den ganzen Tag vor Gericht! Und was meinen Sie, was hier los war? Ich hatte den ganzen Tag die Polizei im Haus.« Nach über sechs Stunden hatte Sebastian Hess endlich zurückgerufen. Ein Gerichtstermin hin oder her. Sie war sich sicher, dass der Anwalt ihren Mann nicht so lange hätte warten lassen. »Ob sie was gefunden haben? Keine Ahnung, die erzählen einem ja nichts. Nicht einmal, was sie überhaupt gesucht haben. Sie haben nach Roberts Computer gefragt. Aber den hat er ja zum Glück nicht hier im Haus, sondern in der Brauerei. Da habe ich einfach mit den Schultern gezuckt und die Unwissende gespielt. Ich denke, die haben mir das abgenommen.« Mit dem Hinweis, sich morgen mit der Polizei in Verbindung zu setzen, und dem Tipp, ein anderes Mal die Kanzlei zu alarmieren und nicht direkt auf sein Handy anzurufen, verabschiedete sich Hess.
»Kreizkruzefix!« Eigentlich war das meiste Bayrische aus Monika Reuters Wortschatz verschwunden, außer einigen Fluchwörtern. Ein solches rutschte ihr nun heraus, als sie endlich den mühsamen Gang nach unten antrat. Natürlich hatte sie in den vergangenen zwei, drei Jahren einige Kilos zugelegt und die drückten unbarmherzig auf ihre Gelenke. Hutter hörte Schritte auf dem groben Kies des Kellerbodens. Endlich nahte Hilfe. Zur Sicherheit nahm Hutter die Flasche Gialdi in die rechte Hand, damit er sich wehren könnte, falls sich die mutmaßliche Rettung nicht als solche herausstellen sollte.
Monika hilft
Wissen Sie: Ich habe keine Mühe zu dienen. Das habe ich mein Leben lang gemacht. Kein Thema. Aber das Knie, das bereitet mir Mühe. Bis vor Kurzem hatten wir noch einen Gärtner auf dem Schloss, der mir bei Arbeiten zur Hand ging, wenn es galt, etwas Schweres rumzulupfen. Aber als Bruno in Pension ging, wurde er nicht mehr ersetzt. »Autsorsing«, nannte das Winterberg. Keine Ahnung, fragen Sie mich nicht. Seither kommen Leute von auswärts fürs Rasenmähen, Rosenpflegen oder Heckenschneiden. Das sei günstiger. Aber jetzt, wo nach Bruno auch Robert weg ist, haben wir meist gar kein Mannsbild mehr im Haus, wenn ich mal eins bräuchte. Jenu.
Gewundert habe ich mich schon, dass die Tür zum Weinkeller abgeschlossen war. Ist sie sonst nie, müssen Sie wissen. Aber vermutlich war Kommissar Hutter halt ein ganz Ordentlicher, habe ich gedacht. Kein Wunder, bei dem Beruf. Ich schloss also auf. Stellen Sie sich den Schock vor, als derselbige im Weinkeller stand. »Nicht erschrecken!«, sagte er als Erstes. Aber da war’s schon zu spät. Der Schreck ist schon passiert, war sozusagen über mich gekommen, ohne dass ich mich gegen ihn hätte wehren können. Eventuell entfuhr mir sogar ein spitzer Schrei, keine Ahnung. »Frau Reuter. Ich bin es«, beruhigte mich Hutter. Als ob das meinen Schrecken im Nachgang kleiner gemacht hätte. »Aus is’!«, dachte ich mir. Als ich wieder bei Sinnen war, fragte ich zurück: »Ja was machen denn Sie noch hier?«
»Wurde eingesperrt, als ich die Flasche in den Keller bringen wollte.« Er hob den Gialdi in der rechten Hand. »Die lassen wir jetzt aber schön hier«, sagte ich. »Sonst wäre es Diebstahl und ein Fall für die Polizei.« Ich denk, die Situation war ihm etwas peinlich. Sich von einer Frau befreien zu lassen. Jedenfalls schwieg er einen Moment. Und wo wir so rumstehen und schweigen, sagt er plötzlich: »Ich habe Durst.« Durstig in einem Weinkeller! Sehen S’, da soll noch einer die Männer verstehen.
Auf dem Weg nach oben
Auf dem Weg aus dem Keller kamen Hutter und Reuter die beiden Damen Winterberg entgegen. »Ich habe einen Schrei gehört, und da habe ich die Steffi geholt, um zusammen nachzuschauen.« Christina Winterberg traute ihren Augen nicht: »Monika! Herr Hutter? Was tun Sie beide da unten?«
»War eingesperrt«, sagte der Kommissar kleinlaut.
»Wie bitte? Eingesperrt? Von wem?«
»Wenn ich das wüsste.«
»Heute Nachmittag ist Hutter mit der Flasche Wein nach unten verschwunden und mir ist nicht aufgefallen, dass er nicht mehr nach oben kam«, versuchte die Haushälterin die Situation zu erklären. Hutter war sich gewohnt, dass sein Verschwinden fast nie jemandem auffiel. »Nur weil ich noch einen schweren Italiener fürs Nachtessen holen wollte, fand ich Herrn Hutter da unten. Die Tür war von außen verschlossen, was sie sonst nie ist. Hier stiehlt ja niemand Wein im Haus.«
Hutter wollte sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn den Damen heut’ Abend der Sinn nicht nach etwas Alkoholika gestanden hätte. »Danke jedenfalls«, murmelte er.
»Wollen Sie mir vielleicht jetzt verraten, was Sie gesucht haben? Das da wohl kaum«, meinte Christina Winterberg spöttisch mit Blick auf die Flasche, die Hutter noch immer in der Hand hielt. »Einen Giacometti wollt’ er«, fuhr Monika Reuter dazwischen, bevor Hutter eine Antwort geben konnte. »Er sagte wörtlich: ›Dann holen Sie mir diesen Giacometti.‹ Da dachte ich halt zuerst an einen Wein.«
Hutter gab auf. »Im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt Cohen ist ein solcher verschwunden. Ein Giacometti. Danach suchen wir, und nach anderen Spuren, die uns bei der Aufklärung der Tat helfen.«
»Ein Giacometti? Hier? Das wüsste ich«, bemerkte Christina Winterberg.
»Kann mich nicht erinnern, dass ich je einen Giacometti geöffnet hätte«, sagte Monika Reuter mehr zu sich selbst.
»Das ist kein Wein. Mehr so … Kunst halt.« Hutter wollte dem Theater hier möglichst schnell ein Ende bereiten und nur noch nach Hause. Er schaute streng in die Runde. »Ich wäre sehr froh, wenn das mit der Suche diskret behandelt würde.« Erst jetzt fiel ihm die zweite Frau auf, die zwei Treppenstufen höher als Christina Winterberg stand und die bisher geschwiegen hatte. Sie war nicht nur sehr schweigsam, sondern auch fast durchsichtig. Jegliche Farbe schien aus ihrem Gesicht gewichen zu sein. Als sie Hutters Blick traf, verzog sie keine Miene. »Ich glaube, wir wurden einander noch nicht vorgestellt«, sagte der Kommissar und ging auf die Frau zu. »Hutter.«
»Winterberg«, war die knappe Antwort. Nachdem nun alle Anwesenden schwiegen, wurde es der Haushälterin als Erster zu bunt: »Wenn sonst nichts mehr ist, geh ich jetzt zum Risotto.«
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