Kitabı oku: «Das Geheimnis der Anhalterin», sayfa 2

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4. Kapitel

Am späten Vormittag machte ich mit Edmund einen Spaziergang zum Dorf, dann hinaus über die Felder, um die Umgebung ein wenig kennenzulernen. Die Straße wurde bald brüchig, ein einsames Gehöft tauchte auf, es schien völlig menschenleer zu sein, nur ein einzelner Hahn pickte auf dem Weg, er suchte wohl Käfer im ockerfarbenen Staub, zwischen Mauern, die aussahen, wie aus den Wunden der Erde gerissen. Es war still hier, sehr still. Die Stille stritt mit der Einsamkeit.

Wir verließen die Straße und gingen durch brusthohe vertrocknete Felder, gelbe Blumen wuchsen zwischen dem Getreide, liefen auf trockenen Wegen, aus denen die kleinen wilden Gladiolen sprossten. Dann durch Mandelbaum-plantagen. Viele der Bäume waren tot; nackt und schwarz standen sie in Reih und Glied auf nackter roter Erde. Wieder Gehöfte wie Burgen, wieder endlose Wege zwischen Steinmauern.

Die Hitze stand wie ein flimmerndes Fieber über der Landschaft. Ab und zu wurden wir umschwirrt von einer riesigen roten oder blauen Libelle, oder von den grünschillernden Käfern des Glücks. Hoch oben über uns kreisten zwei Adler.

In einem Zitronenhain, der gesäumt war von Zypressen, legten wir uns auf eine Wiese, in den Schatten, um ein wenig auszuruhen. Ich fürchtete in dieser Gluthitze einzuschlafen, weil ich Angst hatte, in einem anderen Körper aufzuwachen, so sehr hatte mir die Hitze zugesetzt. Um mich wachzuhalten, begann ich ein Gespräch mit Edmund. Das war wirklich schön an diesen Ferien, die Aussicht, daß ich mich fast zu jeder Zeit mit Edmund unterhalten konnte.

"Kann man sich in eine Seele verlieben?", fragte ich, ohne recht zu wissen, wieso ich auf diesen Gedanken gekommen war, "In die Seele einer Frau?"

Edmund antwortete erst nicht, er war anscheinend kurz eingenickt. Er gähnte und es dauerte eine geraume Zeit, bis er zu sich kam,

"Vielleicht ist die Frage falsch gestellt," sagte er, "vielleicht hättest du fragen sollen: 'Kann man sich in eine Frau ohne Seele verlieben!'"

"Und wie ist die Antwort?"

"Zweifellos ja! Das passiert sogar sehr häufig!"

Ich erschrak vor der Bitterkeit in seiner Stimme, und spürte eine Welle von Mitgefühl, vielleicht auch von Mitleid für Edmund. Wie leer und traurig mußte sein Leben mit Michelle sein, daß er soetwas sagen konnte! Edmund lächelte schmerzlich, als hätte er meine Gedanken erraten, und sagte:

"Ich denke, die Männer sind nicht geschaffen, nur eine Frau zu lieben. - Ich würde gern frei sein! Irgendwo sein, wo ich niemandem Rechenschaft schuldig bin!"

"Frei?", fragte ich, "Wirklich frei sind wir nur wenige Minuten, dann melden sich schon wieder irgendwelche Bedürfnisse, Zwänge, andere Menschen mit ihren Anforderungen."

"So will man immer das haben, was man nicht hat!" erwiderte Edmund.

Ich nickte, stand auf und begann ein paar wilde Blumen abzupflücken. Edmund sah mir dabei zu.

"Für wen sind sie?" fragte er.

"Ich weiß es nicht. Komm, pflück du auch welche!"

"Für wen?"

"Für Michelle!" sagte ich. Er zögerte, dann sagte er:

"Meinst du?"

"Versuch's!" Schließlich pflückten wir jeder einen Strauß Feldblumen und waren sehr vergnügt bei diesem unschuldigen Tun.

Als wir endlich wieder im Kastell eintrafen, herrschte die größte Mittagshitze. Michelle war in das Dorf gegangen, hörten wir, sich eine Illustrierte zu kaufen.

Edmund sah sie durch die Glastür aus dem kleinen Flur kommen und ging mit dem Strauß auf sie zu. Ich sah sofort, Michelle freute sich nicht über die Blumen. Sie schaute den Strauß an mit einem Blick, der vermutlich bedeutete: 'Was soll ich mit wilden Blumen, die überall umsonst wachsen?' Sie wollte die Blumen nicht einmal annehmen. Edmund war darüber so überrascht und verlegen, daß er nicht wußte, was tun, bis ich eingriff.

"Gib her!", sagte ich und nahm ihm den Strauß, den er ratlos in den Händen hin und her drehte, ab.

Da sah ich, daß das junge Mädchen, Anna, wieder in ihrem Liegestuhl lag. Sie war bleich, zusammengekrümmt und ganz in sich selbst versunken. Anna blickte auch nicht hoch, als sie uns hörte. Sie sah so traurig und verloren aus, daß ich mir vornahm, sie hinterher anzusprechen und irgendwie zu versuchen, sie zu trösten.

"Was hat die Kleine?", fragte Michelle leise. In einer plötzlichen Regung ging ich zu der kleinen Anna und gab ihr die Blumen, die sie zögernd und von Rot übergossen entgegennahm. Mir schien dabei, als ob sie jede Falte meines Lächeln suchte.

Sie stand sogar auf, machte einen kindlichen Knicks, danach einen übertriebenen Theater-knicks, hatte sich aber schnell wieder in der Gewalt. Dann lachte sie auf, wie über einen kleinen Scherz. - Was war mit diesem halben Kind?

5. Kapitel

Nun waren wir also in diesem Kastell von Milfontes. Es gehörte einer alten Condessa. Edmund hatte schon allerhand Fabelhaftes von der alten Dame gehört, sodaß meine Neugierde recht gespannt war, sie kennenzulernen. Und dann sollte es noch eine hübsche Nichte oder Tochter geben, von der man sich allerhand Seltsames erzählte, die recht eigenwillig sein sollte und fast so selten zu sehen wie ihre Tante oder Mutter. Doch ich war sehr enttäuscht, daß sich die alte Dame während des ganzen Aufenthaltes im Kastell nicht einmal zeigte. Aber bald sollte eine andere Person meine Aufmerksamkeit mehr als beanspruchen.

Das Personal des Hotels war ein wohltemperiertes Quintett: der dezente Diener, das adrette Stubenmädchen, die resolute Hausdame, die rundliche Köchin, und die einfache Frau zum Abwaschen.

Edmund und Michelle hatten das Zimmer Nummer drei bekommen, ich Nummer vier, 'Heather room'. Gegenüber auf der anderen Seite des Flurs lagen die Bäder: alt und schrecklich, aber sauber. Mein Zimmer hatte zwei Betten mit grüngeblümten Decken. Pfosten, Stühle, Schrank-Ecken, Griffe; - alles aus naturverkrümmtem Kastanien-Astholz.

Das Kastell steht an der Mündung des Flusses Mira in den Atlantik. Vor der Wut des Ozeans und dem ewigen Westwind wird es geschützt durch die Felsen und Dünen weit draußen. Es war zum Schutze der kleinen Stadt gegen arabische Piraten erbaut worden. Eine geschwungene Straße führt zum Strand hinab, der streckenweise steinig ist. Im Norden der Bucht liegen Dünen, dann eine Steilküste. Im Südosten streckt sich das Dorf aus, - oder die kleine Stadt: - Vila nova de Milfontes.

Edmund und ich wollten am Nachmittag endlich schwimmen gehen. Michelle war noch müde von der langen Autofahrt, und wollte lieber etwas schlafen.

"Michelle ist keine Frau, sondern ein Murmeltier." war Edmunds betrübter und resignierter Kommentar.

Es war nur der Himmel über uns und Luft und Licht - und in der Ferne schlief blau das Meer. Wir wanderten ein wenig am Strand entlang, neben den Dünen, bis zum Beginn der Steilküste, oder eines Kliffs; ihm gegenüber ragte fahl und grau und schemenhaft, fast körperlos der Felskegel der Möweninsel auf, wie eine zweite unwirkliche Festung. Überall lag das moderne Strandgut, abgeschabte Plastikflaschen, Beutel, Kanister, von der rauhen Zunge des gierigen Meeres beleckt. Es war unwirtlich hier, der Wind war kalt, das Wasser eisig.

Auf dem Rückweg sanken unsere Füße tief im Schwemmsand ein, in einem Sand, der wie Sumpf war. Dann wurde der Sand wieder fester und wir kamen an einem kleinen hübschen Strandrestaurant vorbei, einem Holzpavillon in Weiß und Blau.

"Schade, daß wir dort nicht zu Abend essen werden!" sagte Edmund bedauernd, denn wir hatten Vollpension bestellt. Bald danach überquerten wir die Straße und warfen einen Blick in die kleine Welt am Hafen, dann gingen wir noch in den Ort - oder in das Dorf. Niedrige, meist nur zweistöckige Häuser mit Ziegeln gedeckt oder flach. Die Gärten mit Mauern oder Hecken aus Bambusschilf eingefaßt. Dazwischen standen einige ältere, vornehmere Häuser mit schönen Balkonen. Und alles wurde überragt von der Kuppel der Kirche Nossa Senhora de Piedade.

Ein Menschentypus tauchte vor meinem geistigem Auge auf, fraglich, verschlossen, mit dem Tod auf vertrautem Fuß. Die Frauen glatt gescheitelt, die lockigen Haare straff zusammengebunden, - so wie Michelle manchmal ihre Haare trug. Die Männer mit zwei unbezähmbaren Stirnlocken und grauen Augen, von der Art des silbernen Mondlichts über den Klippen. Der Sohn im steten Kampf mit dem Vater.

Bald wurde es uns dort langweilig und wir gingen zurück zum Meer, zur Bucht. Die Mündung des Flusses Mira ist eine weite, sich zum Meer hin wieder verengende Bucht, wie eine Mundhöhle, vorn die Lippen und Zähne, 'zweimal täglich mit Salzwasser spülen!' so sagte es Anna später. - Anna!

Am Strand dort, zwischen den Agaven und dem Müll, saßen nur wenige Menschen. Doch hier war kaum Wind und wir zogen uns aus.

"Los!" rief Edmund, "Komm mit hinein!" und damit stürzte er sich in die Flut. Ich folgte ihm kurz darauf nach. Doch wir waren beide erschrocken, wie das Wasser uns empfing. Jetzt erst sahen wir, daß die Badestelle im Wasser mit einer rotweißen schwimmenden Schnur eingegrenzt war. Jetzt erst merkten wir auch, warum: Wir schwammen auf der Stelle, so stark war die Strömung, die uns hinaustragen wollte. Ich schwamm Schmetterlingsstil, aber nur einige schlaffe Schläge. Die Kälte lähmte mich, sie preßte mir die Schläfen zusammen in einem heftigen Schmerz.

Nach kurzer Zeit schon mußten wir das Wasser verlassen, trocketen uns ab und gingen zurück zum Kastell. Dort schien noch die Sonne. Meine helle Hose war naß geworden vom Salzwasser, das mir beim Umziehen von den Armen und Schultern getropft war.

"Das wird Flecken geben!" sagte ich leicht bestürzt.

"Um halb neun müssen wir pünktlich an der Tafel sitzen. Pünktlich und sauber!", sagte Edmund kalt. Ich wollte die Hose auf die Felsen legen, um sie trocknen zu lassen, doch der Wind nahm sie und trug sie davon; glücklicherweise nicht sehr weit. Als ich sie wieder eingefangen hatte, blickte ich zufällig hoch zur Zinne des Kastells. Dort oben, im Gegenlicht, stand eine schlanke Frau mit langen Haaren und schien sich über mein Mißgeschick gut zu amüsieren. In einer Art Schreck ließ ich meine Hose wieder in den nassen Sand fallen.

"Was denkst du über Michelle?" fragte Edmund, der mich inzwischen eingeholt hatte. Ich bückte mich gerade, um meine Hose aufzuheben.

"Eine reizende Frau!", sagte ich ohne zu überlegen, richtete mich wieder auf und starrte hoch zur Zinne. Es schien mir, als ob die Gestalt oben auf dem Kastell spöttisch zu mir herabsah.

"Eine interessante Frau." sagte ich.

"Ich glaube, sie mag dich!", sagte Edmund.

"Wirklich?", sagte ich abgelenkt und blickte immer wieder verstohlen nach oben. Endlich sah ich, wie die Frau oben sich einen Moment schwer auf die Brüstung lehnte, als wollte sie unten im Graben etwas suchen. Meine Gedanken gerieten in Aufruhr. Doch weshalb?

"Wir müssen gehen!", drängte Edmund.

"Sie hat einen guten Mann verdient ...", sagte ich mechanisch.

"Wer?", fragte Edmund, "Ich rede von Michelle!"

"Achso!", sagte ich, "entschuldige!". Die Frau auf der Zinne wich zurück, ohne noch einmal zu mir herabzusehen.

Meine Hose war voller Flecke. Braune schmierige Flecke vom Sand, häßlich sah es aus auf dem hellgelben Stoff.

"Wird man uns so überhaupt einlassen?", fragte Edmund im Scherz, "Ich kenne dich jedenfalls nicht!"

Verwundert schaute ich ihn an, er grinste, und wir beide fingen an zu lachen. Doch die Flecken trockneten schnell, und der Sand ließ sich sicherlich abbürsten.

Wir standen jetzt oben am Tor des Kastells. Im Graben, unter der Zugbrücke, konnten wir die haarigen Krabben beobachten, die dort zwischen den Steinen herumkletterten, offenbar war Ebbe und das Meer war weit zurückgewichen.

Edmund zog an der Glockenschnur, diesmal kräftig und energisch.

"In das grünende Haus der Venus und ihrer Tochter drin-gen wir ein!", sang ich leise die berühmte Stelle aus dem Tannhäuser vor mich hin. Der Diener öffnete auf unser Läuten und ließ uns wortlos ein. Er schien auf diese Weise sein Mißfallen an unserem Aufzug kundtun zu wollen. Er schloß das schwarze feste Tor hinter uns, drehte sich mit einer angedeuteten Verbeugung um und ging.

6. Kapitel

Wir machten uns fertig für das Abendessen, Als ich us dem Zimmer auf den Flur trat, und Michelle neben Edmund erblickte, erschrak ich beinahe. Sie hatte ein feines schwarzes Hängekleid angezogen, das ihren rundlichen Körper seltsam deutlich modellierte. Sie hatte sogar ihre Fingernägel lackiert, die leuchteten wir rosa Plastikrosen. Ich machte ihr ein höfliches Kompliment, worauf sie huldvoll lächelte. Dann gingen wir alle zusammen hinab in den Innenhof des Kastells.

In einer Ecke des Innenhofes entdeckten wir eine Tür, mit grüner Gaze verschleiert. Dahinter lag die Bar; daneben die Bibliothek, die natürlich unsere Neugierde erregte.

Auf der einen Seite stand ein Regal mit englischen Kriminalromanen: Wahllos griff ich mir eines der Bücher, es war 'The Striptease Murders', und las ein wenig darin: ' er hatte nur Theater gespielt, seine Augen waren trocken ...' Schnell stellte ich das Buch zurück. An der andern Wand: Französisch. Vieles unaufgeschnitten. Theatre de Alexandre Dumas fils. Die Kameliendame und ähnliches. - Doch da kam schon der Diener, und bat uns mit Gesten zu Tisch, in das Eßzimmer.

Was war das für ein Raum? Die Fenster waren zum Teil verhangen, der Raum wirkte dadurch dumpf und sogar ein wenig feucht. In einer Ecke stand ein alter japanischer Wandschirm mit der Darstellung von Störchen - den Sinnbildern langen Lebens. Die Wände waren mit Holz verkleidet, glattgehobeltem lasierten Pinienholz.

Der Diener hatte jetzt eine weiße Jacke an, die bis zum Hals hochgeknöpft war. Er wies uns stumm die Plätze an, schweigend setzten wir uns. Edmund saß natürlich neben Michelle, ich setzte mich den beiden gegenüber. Ziemlich weit von mir entfernt saßen die zwei blonden Damen, vermutlich Mutter und Tochter, die wir im Flur beim Telephonat gesehen hatten. Zwei Plätze an der Tafel waren nicht besetzt. Für wen waren diese Gedecke bestimmt?

Wir waren uns fast alle fremd und musterten uns schweigend. Leise, fast flüsternd begann eine zögernde Unterhaltung, dort in Englisch, da in Portugiesisch, hier in Französisch. War die grauhaarige Dame am Ende des langen Tisches die alte Condessa, die Besitzerin des Kastells? Aus ihren Blicken strahlte die kluge herzliche Güte des Alters. Wer diese alte Frau sah, hätte sie zur Großmutter haben wollen.

Neben der alten Dame saß das junge Mädchen, Anna. Anna erregte immer wieder meine Aufmerksamkeit. Sie schien nicht nur ziemlich altklug zu sein, sondern zeigte Andeutungen eines theatralischen Talents. Wenn sie sich unbeobachtet glaubte, spielte sie kleine Grimassenszenen für sich, so als ob sich zwei Leute pantomimisch miteinander unterhielten. Anna konnte ihr Gesicht kaum ruhig halten. Und immer wieder sah sie mich kurz und verstohlen mit einem verschwöre-

rischen Lächeln an.

'Nun, das bedeutet hungrig bleiben!' dachte ich, während ich die leeren Teller betrachtete und die Wohlerzogenheit, mit der alle warteten. Doch dann ertönte ein leiser Gong, aus der Küche offenbar, und der Diener verschwand. Er kam wieder, eine große Platte in der Hand, die er wie eine Opfergabe vor sich hertrug. Er beugte sich vor, wie in einem tiefen Hofknicks, und sank damit auf den Tisch. Offenbar wollte er die Ellbogen abstützen, denn die Platte war schwer, er verfehlte aber dabei den Tisch, und fiel beinahe, doch er hielt sich in letzter Sekunde und lächelte devot. So ging es reihum. Der Diener brachte uns noch mehrere Schüsseln und Platten. Zum Zeichen, daß man anfangen durfte, trat er zurück an die Tür.

Ich kostete als erstes den Wein.

"Der Wein ist billig und schlecht!", flüsterte ich Michelle zu, "Wahrscheinlich Rhone-Poulenc oder Algerien, douze degrées, irgendein giftiges Zeug. 'Palmenblut!' - so heißt er wahrscheinlich! Solch eine Barbarei! Noch dazu in einem Land des Weins wie Portugal, wo ich schon so aus-gezeichneten Wein getrunken habe."

Michelle lächelte gnädig.

Der Diener, der ein breites rundes Gesicht hatte, und eine platte, etwas aufgestülpte, arabisch wirkende Nase, stand neben der Tür und wartete darauf, daß die Gäste ihm Anweisungen gaben - vielmehr gab er uns mit seinen Blicken Anweisungen, wie ein Zeremonienmeister.

Ich hatte nicht erwartet, so fremdartige Kost vorzufinden, doch vom zweiten Gang an hörte ich auf zu probieren und aß das übrige ohne jede Analyse einfach auf. Ich vermute, daß gedünstete Austern dabei waren, oder irgendwelche anderen Mollusken, die ähnlich schmeckten. Zum Schluß geriet ich an etwas Süßes, eine Birne, die mit einer roten süßen Tunke übergossen war.

Endlich löste sich die erste Befangenheit, die Inseln der halblaut geführten Unterhaltung lösten sich auf, und das Gespräch wurde lauter und lustiger. Doch jedesmal, wenn die Tür ging, schreckte ich zusammen und blickte hoch. Erwartete ich noch jemanden?

Es war nicht die Condessa, die Besitzerin des Hotels, erfuhr ich, sondern Annas Großmutter, die schweigend neben ihrem gesprächigen Gatten saß, lächelnd, erblondet, verblüht.

Einen Teil des Hungers konnte ich, wie ich es gewohnt war, mit Brot stillen. Das Brot, ein helles, mit Sesam bestreutes Weizenbrot, war frisch und schmeckte ganz ausgezeichnet. Ich wollte mich gerade zum zweiten Mal über den Braten hermachen, da bemerkte ich, die anderen hatten längst aufgehört zu essen, also ließ ich es. Dem Diener schien es gefallen zu haben, daß alle so tüchtig zugelangt hatten. Nunmehr brachte er eine dampfende Kanne. Ich glaubte, es würde jetzt Tee angeboten, doch Edmund erklärte mir, daß es heißes Wasser sei, um sich die Fingerspitzen zu waschen.

"Als ob wir Hummer gegessen hätten!" Doch Hummer, bei Gott, war nicht dabei!

"Wir kennen auch die Glöckchen!", sagte Edmund.

"Wer hat Ihnen davon erzählt?", staunte die blonde Dame, die Mutter. An jedem Ende des langen Tisches stand ein kleines Messing-glöckchen. Die Condessa sah schlecht. Wenn sie das Mahl beendet hatte, läutete das Glöckchen. Am anderen Ende des Tisches nahm der letzte Gast das Glöckchen, läutete ebenfalls. Dann durften alle aufstehen.

Heute durfte Anna läuten. Sie wischte sich die Lippen mit den Gebärden einer alten Frau, rollte die Damastserviette umständlich zusammen, schob sie in den silbernen Serviettenring, schaute sich um und läutete. Das andere Glöckchen stand neben Michelle. Sie schob es mit der Rechten zwei Zentimeter von sich, hoffte auf ein Vergessen dieses Brauches.

Als alle den Speiseraum verließen, drängte sich Anna dicht an mir vorbei. Sie schob mir ein Papier in die Hand. Ich nahm es und steckte es weg, ohne Anna anzusehen und vergaß es sofort wieder. Die jüngere blonde Dame, also offenbar die Tochter, bedachte mich mit einem verwunderten Blick, daß ich Michelle zeremoniell den Arm bot, was diese mit einem schmerzlichen Lächeln belohnte, - während ich mich wunderte, wen ich eigentlich während des Essens vermißt hatte.

7. Kapitel

Es war noch früh am Abend, Madame W., wie wir zu Gast im Kastell, hatte die anderen Gäste in den Salon zu einer kleinen Geburtstagsfeier eingeladen. Edmund und Michelle hatten keine Lust mitzukommen. Edmund war erschöpft von einer langen Diskussion mit Michelle, seiner Frau, die mit dem Komfort im Kastell unzufrieden war und auf eine baldige Abreise oder Quartier-wechsel drängte. Weil er sich geweigert hatte, hatte sie ihre Migräne bekommen und war seitdem nicht wieder aus dem Zimmer hervorgekommen, - und so ging ich allein.

Innenhof des Kastells traf ich auf die blonde Dame, die etwas ältere, also die Mutter. Sie kam auf mich zu, lächelte ein bezauberndes Lächeln.

"Wissen Sie, wo hier diese Geburtstagsfeier stattfindet?" fragte sie. Sie wollte also auch in den Salon.

"Vermutlich dort!" erwiderte ich und wies auf einige Fenster im Erdgeschoß des Kastells, wo sich hinter den Scheiben Menschen bewegten, die plauderten.

Unschlüssig sah ich die blonde Dame an, die Dame blickte mich an, beide, als warteten wir auf einen höheren Befehl.

"Ich bin sehr schüchtern!", sagte sie endlich, "Gehen Sie doch bitte voraus!"

Die Tür öffnete sich, ein schlanker Herr stürzte heraus, warf einen verwirrten Blick auf die blonde Dame und durchquerte den Hof. Und so gingen wir hinein in den Salon als ein Paar, was mir einen erstaunten, vielleicht sogar strafenden Blick einer Frau mittleren oder etwas mehr als mittleren Alters eintrug, die in der Mitte des geräumigen Salons stand, umgeben von einigen Gästen.

Sie hatte die schwarzen Haare streng gescheitelt, trug eine durchsichtige Bluse über einer weißen Spitzenbluse, einen gelben Seidenschal und einen weiten blauen Rock, was alles sehr raffiniert und elegant wirkte. Es war Madame W., die Gastgeberin, die mich sofort in Beschlag belegte, als ich mich bei ihr vorgestellt hatte.

"So sind Sie hier in diesem schönen Flecken Erde, einem wahren Garten in Eden, gelandet. Der Himmel ist nirgends so wunderbar blau wie hier!"

"Ja, Madame," erwiderte ich, "Sie haben recht! Aber dieses Blau hier, so schön es ist, macht mich müde!"

Madame W. wirkte leicht verstört, aber sie versuchte, über meinen Scherz zu lachen.

Was jetzt nicht zu vermeiden war, es kam das Gespräch auf die Psychologie der Farben. Madame W. saß in der gelben Pracht ihres Schals und lobte die Sonnenfarbe.

"Gelb ist meine Lieblingsfarbe!", bekannte sie und strahlte.

"Blau!", sagte ich, "Blau ist meine liebste Farbe! - So wie Ihr Rock!" Ich wagte es und beugte mich vor: nein, ich hatte mich getäuscht, er war blau und grau gestreift. Ruhig duldete sie die Musterung und lächelte verschämt. Mir wurde es unbehaglich und heiß.

"Denken Sie," berichtete mir dann Madame W, ohne Zusammenhang mit dem bisherigen Gespräch, "Neulich habe ich drei Tagetis-Pflänzchen gekauft," Sie neigte sich dabei näher zu mir, wobei ich bemerkte, daß ihre Haare sauer nach Erde rochen, "und auf das Grab meines Mannes gepflanz. Ein paar Tage lang habe ich sie täglich begossen, um sicher zu sein, daß sie anwachsen. Sechs Wochen später kam ich wieder auf den Friedhof, und denken Sie, - da standen tatsächlich drei große Tomatenstauden." Als sie meinen erstaunten Blick bemerkt, fuhr sie fort, "Ja, ich habe die Tomaten natürlich geerntet! Drei Pfund waren es insgesamt!", sagte sie voller Stolz. Glücklicherweise mußte sie jetzt andere Gäste begrüßen; ich konnte aufstehen und mich ein wenig umsehen.

Die Seitenwände des Kamins waren mit Azulejos bedeckt, den handbemalten blauen portugie-sischen Kacheln. Die geheimnisvollen Briefe waren verschwunden. Auf dem Kaminsims standen Fotos: der Conde, die Condessa, alt, sich gegenseitig stützend und lächelnd. An den Wänden hingen Ölgemälde mit dem hageren Kopf des Conde, Pastelle, und holländische Landschaften.

Gelangweilt las ich im Gästebuch, das immer noch dort lag: 'Love by nature, live by chance, kill by profession.' Ein Name, Captain, US Army. Was sollte ich in dieses Buch schreiben, in dem Firmen-Präsidenten und Mörder ihre Spuren gezeichnet hatten? Einen Moment überlegte ich, nahm den Stift und schrieb: 'Eine Zeit, mit Efeu, wildem Wein und mit dicken Mauern aus dem Leben ausgeschnitten, Marée basse, Marée haute.'

Schließlich setzte ich mich auf eine Couch, neben einen Herrn, der sich mir nicht vorgestellt hatte, dem ich sein Leben aber am Gesicht ablesen konnte:, acht Stunden arbeiten, vier Stunden fernsehen, acht Stunden schlafen.

Ich nahm eines der sparsam verabreichten Zitronen-Plätzchen, sah mich kurz um, - alle diese Gesichter! - und verneinte heftig, das Gesicht heiß von Heuchelei, eine mir völlig gleichgültige Behauptung des Herrn neben mir über die asiatische Grippe. Endlich, als der erste Teedurst und der kleine Appetit nach Näschereien mit Zitronenplätzchen gestillt war, konnte ich mich auch von meinem neuen Gesprächspartner lösen.

Die blonde Dame hatte inzwischen einige Gäste um sich geschart. Sie blühte. Sie hatte eine aufschwellende Brust. - War es dieselbe, die im Innenhof hinten in der Sonne gelegen hatte, dunkel zwischen den Schenkeln? Ich trat näher. Es gab kleine Feuerwechsel Lächeln zwischen ihr und mir. Mehr Blut!, wollten die Wangen.

Ihre Tochter, die neben ihr stand, - es mußte wirklich ihre Tochter sein, denn die Ähnlichkeit war überzeugend, - hatte den Rücken schmal geschnürt über den Hüften: Castello San Angelo, Haar-Wald und Efeu. Doch die Mutter trug heute die Strahlenkrone; sie war, obwohl offenbar Engländerin, ein flämischer Frauentyp, ganz weiche, schmiegende Formen, schwere Waden, schwere Schultern, mit nur schmalen weißen Trägern auf der geröteten Haut.

Wir redeten über das, über was man in den Ferien so redet, über das Wetter, das Meer, den Strand, das Essen, dabei pendelten meine Blicke zwischen der Mutter, die glühte, zur Tochter, die glomm. Die beiden Frauen waren wie zwei elektrische Felder, die mich aufluden, - doch jedesmal, wenn die Tür ging, schreckte ich zusammen und blickte hoch. - Erwartete ich noch jemanden?

Dann gab es noch ein jüngeres, asketisch wirkendes Paar aus Frankreich; er war Naturforscher, ein Herr mit Bart und spitzem Kinn, sie Lehrerin, schlank und ätherisch. Sie sahen aus wie zwei verhinderte russische Revolutionäre. - Er beobachte Vögel, erklärte er mir.

Noch von meiner Thailandreise, wo ich ständig Englisch hatte sprechen müssen, wechselte mein Kopf ständig von Französisch zu Englisch. Ich versuchte, den Naturforscher aus seiner Reserve zu locken,

"What do you think about this invitation?"

"Sie sprechen englisch zu mir!", sagte der Naturforscher, der nichts verstanden hatte.

Die blonde Dame hatte viel grau im blonden Haar. Grüngraue Augen, strahlend im goldenen Licht der Blumenstoff ihres Kleides, gelb und rot und grell. Ihre Tochter hieß Mildred. Mildred hatte schwimmende unerfahrene Augen, und gönnte mir nur scheue, enge Blicke! Die Mutter hatte meine Blicke aber bemerkt und schmollte.

Ich versuchte sie damit zu trösten, daß ich ihr vertraulich ins Ohr flüsterte, wie sehr ich gehofft hatte, nach meiner langen Beschäftigung mit einem verrückten Amerikaner, der in Thailand Mönch geworden war, hier an der See, in diesem kleinen Ort, in den Ferien, gesündere Menschen anzutreffen, wenigstens, was die seelische Gesundheit anginge.

Die blonde Dame blickte mich begeistert an, mit strahlender, unverwüstlicher seelischer Gesund-heit, und rief:

"Die werden Sie hier finden!"

Ich machte so erschrockene Augen, daß die blonde Dame verwirrt war und vielleicht an ihrer eigenen Gesundheit zu zweifeln schien,

"Meinen Sie nicht?", fragte sie unsicher.

"Doch, natürlich ..." sagte ich. Die blonde Dame schwieg einen Moment, wurde rot und lächelte verschämt, sie faßte sich an die Bluse, um sich mehr Luft zu verschaffen, - so verletzliche Haut! - und ein schweres Dekolleté, das sie behutsam öffnete, bedächtig, und nur einen Atemzug tiefer. 'Würdest du denn meinen Händen vertrauen?', dachte ich.

Die Zuhörer bei unserem kleinen Gespräch, auch die Tochter, wanderten zu anderen Unterhaltungen, und wir standen uns unvermittelt allein gegenüber.

"Ich muß Sie immerzu anschauen!", sagte die blonde Dame, und hatte plötzlich diese Röte im Gesicht!, "Hoffentlich hat Sie das nicht irritiert! Kennen wir uns nicht?"

"Nicht daß ich wüßte, ...", sagte ich, auf einmal schüchtern.

"Doch, ich bin sicher: Wir kennen uns!"

"Woher? Helfen Sie mir!"

"Vielleicht aus einem früheren Leben ..."

Ich bin kein Freund von Esoterik - nach meine Thailandreise vielleicht noch weniger - und hatte Mühe, meinen gelinden Schrecken zu verbergen. Als ich mich wieder gefaßt hatte, erwiderte ich galant:

"Wenn ich Sie da hätte treffen können, würde ich gern das Risiko eines früheren Lebens auf mich nehmen!"

"Die Engel würden applaudieren, wenn sie Sie so reden hörten!"

Endlich erfuhr ich ihren Namen, Mrs. Habarth, und daß wir hier im gleichen Flur wohnten, im oberen Stockwerk.

"Nein, so ein Zufall, und wir haben uns noch niemals gesehen? Wie ist denn das möglich?"

"Nun, wir sind erst gestern eingetroffen!" erwiderte ich.

Im großen Kamin brannte das Feuer jetzt hell und die Langeweile loderte mit kalter unsichtbarer Flamme in all diesen Gesichtern, wahrscheinlich auch in meinem. Unauffällig und von fern musterte ich, - dank der anscheinend bei mir sehr früh beginnenden Altersweitsichtigkeit war das möglich! - die Bücher in dem schmalen Regal neben dem Kamin; auch hier reihenweise englische Kriminalromane.

Mrs. Habarth mußte jetzt unbedingt ein unscheinbares älteres Paar begrüßen, und nachdem sie anschließend einem jovial lächelnden Herrn mit schwarzen buschigen Augenbrauen und einem gewaltigen Schnurrbart auf die Wange geküßt hatte, flötete sie, immer noch mit einem Hauch Röte im Gesicht:

"Verehrter Monsieur Pharmacien. Ich bin ja so erstaunt, Sie hier wiederzutreffen, und ja vielen Dank, das Körbchen mit den Erbeeren habe ich bekommen."

Da tauchte Anna auf, das junge, vielleicht gar nicht mehr so junge Mädchen. Anna trug ein weißes Kleid mit rosa Schleifen, einen breiten weißen Gürtel. Ihre schwarzen schweren Locken waren nur lose mit einem weißen Band zusammengebunden; ganz 'höhere Tochter' war sie jetzt.

Anna blieb abwartend zwei Meter entfernt von mir stehen und sah durch mich hindurch. Und da kamen auch schon ihre Großeltern.

"Ist's möglich?" rief der Herr mit dem Schnurrbart, der Apotheker, ihr entgegengehend, "Anna? Meine kleine Anna? Komm her, teures Mädchen, umarme mich. Nein! Küsse mich hier auf die Wange und gib acht auf den Schnurrbart, daß er dir nicht die Augen aussticht!"

Die Großmutter befahl aufmunternd:

"Aber Anna, so gib doch endlich dem Monsieur Pharmacien einen Kuß auf die Wange!"

Anna hob sich auf die Zehenspitzen und gab dem älteren Herrn einen flüchtigen, formellen Kuß auf die Wange, und ich wunderte mich, weil Anna dabei so böse oder unglücklich aussah.

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