Kitabı oku: «Das Buch-Buch», sayfa 2
Goethe: „Krone des Lebens, Glück ohne Ruh, Liebe bist du!“
Nun entdecke ich eine biografische Notiz zu Goethe aus einem Buch von Hugo Hertwig: „…Dann kommt der Tod Christianes, der ihn zwar tief ergreift, aber nicht verhindert, dass sich ein Mensch, der wie er das Leben bis zum Ende bejaht, noch einmal leidenschaftlich, schmerzlich und hoffnungslos zugleich in die 19jährige Ulrike von Levetzow verliebt. Goethe ist 74 Jahre alt und lässt durch den Großherzog um ihre Hand bitten. Die Mutter bittet geschickt um einen Aufschub. Das genügt Goethe; er reist ab und schreibt unterwegs die bekannte „Marienbader Elegie“. Dieses letzte Liebeserlebnis bringt ihm außer der schweren seelischen Depression eine gefährliche körperliche Krisis, welche die Arzte das Schlimmste befürchten lässt.“ Zur Vergegenwärtigung muss ich mich selbst erinnern, dass der ganze Kofferinhalt sich auf mich als Künstler beziehen soll, wenn auch oft wohl nur am Rande und vereinzelt mit doppelbödigen Wortironien: Verlegen muss ich eingestehen, dauernd finde ich meine Manuskriptseiten nicht, verlegt zwischen allerlei Anderem – also bin ich ein tüchtiger Verleger. Da sind die ersten vier Seiten aus einem Heft, oben handschriftlich bezeichnet von einer unbekannten Person … ”für Befugte!“ – also folge ich dieser Anweisung, indem ich die übereinander geschichteten Blätter zu einem schmalen Streifen falte und stopfe ihn in eine Fuge zwischen zwei Bodenbretter … dann frage ich mich, ob ich dazu meinen Raum noch musikalisch befugen soll, mit einer Fuge von …? So, nun nehme ich noch einen Stapel Papier aus dem Koffer hervor, schliesse diesen endgültig und stosse als Erstes auf ein von mir nicht autorisierten Nachruf meiner selbst – es ist bedrückend unangenehm, bereits zu Lebzeiten eine solche Lebenszusammenfassung geschrieben zu sehen – also werfe ich den Nachruf in den Papierkorb und rufe diesem nicht nach! Sogleich kommt Egon Plüsch in mein Verlags-Büro, bückt sich über den Papierkorb und ruft: “Echo wo bleibst du?“ und verschwindet ebenso nullkommaplötzlich wieder durch die Türöffnung, durch die er eben hereingekommen ist.
Ein von ihm mitgebrachter Zettel liegt neben dem Papierkorb – ein Spiel für zwei sprechend Personen – „Das teilnehmende Echo“.
Ein Musiker ging einst über Feld und Au. (Echo fröhlich): au! Da sah er eine Schnitterin, die ward bald seine Frau. (Echo bedenklich): au! au! Sein Glück, das währte einen Tag, dann traf den Armen Krach auf Krach. (Echo klagend): ach! ach! Da kam der Blitz endlich dazu und half der Frau zur ewigen Ruh. (Echo jammernd): uh! uh! Fritz war ein munterer Bursche, gesund und lebensfroh. (Echo heiter): o! Er schweifte gern ins Weite und schlief wohl auch auf Stroh. (Echo bedenklich): o! o! Jetzt liegt er längst begraben in einem tiefen See. (Echo erstaunend): Eh! Die Mutter sitzt am Wasser und klagt: O weh! O weh! (Echo jammernd): weh! weh!
Anschliessend an den überraschenden Besuch stosse ich in der Erforschung des Papierstapels auf eine Sammlung von bedeutungsschwammigen Buchstabenaugenblicken und ich bewege mich mit meiner Wahrnehmung in die unauslotbaren Tiefen mit psychologischen Benennungen. In meinen Händen halte ich nun eine von mir nicht akzeptierte „fiktive Pathographie“ nach Lange-Eichbaum von Tina Ramses: Martin Schwarz, weltfremder Schwärmer, fortwährender Wechsel der Stimmung, disharmonisch, Hang zum Vergänglichen, vergisst vieles, Zeit, Stunde, Menschen, Bekannte, manchmal sogar seinen Namen. Oft zerstreut, abwesend, gedankenfixiert. Ubermass von Erregbarkeit und innerer Unruhe mit körperlichen Reaktionen: Ohrensausen, Magenknurren, Wippen mit den Beinen. Oft Fehlen jeder psychischen Hemmung, Zornmütigkeit, Klagen über eingebildetes Elend (lamentieren), Tränenseligkeit ohne Grund, wenig liebenswürdige Würde. Zeitweise Verschwendungssucht, dann wieder Geiz. Schulversager, als Kompensation geltungsbedürftig mit zwanghaft verhülltem Exhibitionismus. Überempfindlich, reizbar, labil, euphorisch, ausfallend, zwischen autistischem Traumdenken und pathetischem Welt-Ich-Gegensatz hin und her pendelnd. Mangel an Wirklichkeitsfreude, Uberwiegen des Gedrückten, Verstimmten, Gespannten. Erwartungen an das Leben, welche es nie erfüllen kann. Masslosigkeit im Fühlen und Urteilen. Er behauptet, die Kunstgeschichte sei eine Wahrheit voller Lügen. Seine phantastischen Deutungen sind aus dem herrschenden Gedankenkreise aufzufassen. Geheimniskrämerei. Dennoch, sein gewaltiges Selbstgefühl steigert sich aber nie zum ausgesprochenen pathologischen Grössenwahn. Eitelkeit? – «Bescheidenheit ist eine Zier, die steht allen, nur nicht mir». Im Verhalten, entgegen seiner Vorliebe für unbunte Farben, chamäleonartig. Manchmal trauriger Blick. Unbefriedigtes Sehnen nach etwas, das ihn von sich und seinem mächtigen Innenleben befreit. Nervenschwäche, Schlafstörungen, Schwarzseherei, diffuse Angstzustände vor seinem eigenen Schatten. Zweiteilung in Wille und Vorstellung aus Zwiespalt und Duplizität des eigenen Wesens. Glaubt unter anderem an die Lehre des treibenden Willens, aus eigener überstarker Triebanlage. Selbstvorwürfe wegen seiner Heftigkeit und Streitsucht. Periodische Selbstzweifel bis zur Lethargie als Abwehr von Konfliktlösung – „Nichts, das ist mir schon zuviel“. Humorlos, dennoch brillanter Sarkasmus zumindest in seiner Kunst. Sehr empfindlicher Egoismus mit Schuldgefühlen. Undankbar oder dankt gleich masslos. Kühl gegen andere, sofern sie seinem Ich nicht schmeicheln. Distanziert zur Mutter. 21.12.1978, Heirat mit sich selbst. Fixierung im Gefühl, Kritik und Enttäuschung im Verstand. Körperlich zart, dennoch verhältnismässig gesund und entgegen seinem eigenen Glauben viril. Stimme zaghaft. Unschuldige Lasterhaftigkeit. Ungeordnet in der Lebensführung. Manchmal scheint es ihm, er sei nicht mehr, was er war. Leichte Rechtschreibschwäche: Weiss oft nicht mehr, hat jetzt wieder das Wort «Nahmen» ein «H» oder das Wort «Ramen» kein «H». Zeichnet linkshändig, schreibt rechtshändig. Ambidexter? Spiel mit der Schizophrenie und anderen verrückten Geisteszuständen. Merkwürdig seine Furcht vor dem Dämonischen. Verschrobene Einsichten. Sagt manchmal zu sich: «Lieber schlecht leben, als gar nicht. Tot sein kann ich noch lange genug.» In seinem obskuren Werk neurotische Auseinandersetzung mit dem Tod. Sonderbare Naivität: Es gibt Momente, da kann er sich einbilden, dass, wenn er sich mit aller Kraft gegen einen Felsen stemmt, sich die Erdkugel etwas schneller dreht; ein anders Mal ist ihm das Blei zu schwer im Stift. Sieht sich selbst als Fremder. Gewürztes Rauchen steigert die Fülle und Deutlichkeit der Anschauungsbilder. Sieht dann Ungewöhnliches in unnatürlicher Bewegung. Trinkt auch Rotwein. Gewisse Alkoholintoleranz aus bionegativem Unbehagen. Ausschweifende Phantasie. Wenige Halluzinationen, mehr bewusste Imagination. Gehemmte Möglichkeiten, dies in der Kunst darzustellen, wegen seiner Neigung zur Akribie im Schaffen. Latente Über-Ich-Forderungen – es konnte ihm gelingen, was er wollte, erfüllend war es nie. Gewann er bei einem «Kunst am Bau»-Wettbewerb den 1. Preis, so war er unzufrieden, dass er sein Projekt ausführen musste. Mit dem 2. Preis ärgerte er sich, dass er nur Zweiter wurde. Sein ganzes Liebesieben, an Rätseln reich, nur verständlich aus seiner niemals glatt überwundenen infantilen Fixierung auf mädchenhafte Frauen. Vampir an Frauen, welche wiederum Vamp an ihm sind. Sehnsucht sich hinzugeben, Angst sich zu verlieren. Aus Verzweiflung über den quälenden Dämon der Leidenschaft ein Streben nach «reiner» Ideenmalerei. Am Anfang als Künstler Schüchternheit, Verlegenwerden, Stottern, Erröten, murmelnde Selbstgespräche. Er suchte stundenlang im Lexikon nach seiner Identität. Obwohl grosses zeichnerisches Jugendwerk (teilweise erhalten) nicht besonders frühreif. Zeigte sich bis zum 33. Altersjahr viel an Ausstellungseröffnungen, krankhaft ehrgeizig. Hat sich mit seiner Kunst oft auf dem Kunstmarkt hervorgetan, und mit ebensolcher Lust in Privatklubs, Weihern und Wäldern, Badeanstalten, Kuhställen, heiligen Hallen und feuchten Gewölben und so weiter. Kein Publikum ist ihm unwürdig als Gegenüber seiner Werke. Beeinträchtigtes, beschädigtes Genie wegen verschwendeter Begabung. Werke durch psychische Erschütterungen nicht geschädigt, Qualität vielmehr dauernd ansteigend. Die abwesende Mona Lisa, frühkindliches Trauma der abwesenden Mutter wegen Fabrikarbeit. Sabotiert sich seinen eigenen Erfolg, Trieb zur Selbstbeschädigung und einen Hang sich selbst anzuschwärzen. Zunehmende Unfähigkeit zur Wirklichkeitsanpassung, gesteigerte reaktive Zustände. Kein Spielball von Kunstsnobs. Wenn er an die damals aktuellen Ausstellungen nicht zur Beteiligung eingeladen wurde, war er gekränkt und litt unter leichter Paranoia von übler Nachrede, und dass er und seine Arbeit nicht geschätzt und geliebt werden. Zu Unrecht, dem ist nicht so. Die zahlreichen Urteile widersprechen sich zwar beständig. Hätte er über sich selbst eine Pathographie verfasst, hätte er sich verhüllend verstellt, und dabei Ehrlichkeit gezeigt, die unerkennbar geblieben wäre. Ich verweise auf meine frühere Originalarbeit und betone, dass ich diese in allem Wesentlichen noch keineswegs für veraltet halte, wie einige gerne annehmen, um die klärenden Lichtblicke wenigstens auf diese Weise aus der Welt zu schaffen. Nicht bloss der unbefangene Mensch von heute hat dabei das dunkle Gefühl: „In diesem Leben, an diesem Manne ist irgend etwas nicht in Ordnung, da stimmt etwas nicht, sein Werk wäre aber ohne dies nicht so wertvoll geworden. Die Akten sind noch nicht geschlossen.“
Die abgeschriebene fiktive Pathographie ist in mir nicht bestimmbaren Teilen durch den Lauf der Zeit überholt, denn das ursprünglich vermerkte Datum bezieht sich auf das Jahr 1982. “Fünf vergrabene Grabsteine“, realisiert für die Ausstellung „Kunst – Natur», im Gebiet des Fünfweiher, Lenzburg 1982. Auszug aus dem Katalog, Text von Annelise Zwez: «Ein auf verschiedensten Ebenen immer wiederkehrendes Uema ist der Tod. Die Friedhofsatmosphäre ist Martin Schwarz vertraut und unheimlich zugleich. Den Tod erlebt er als Sehnsucht wie auch als Bedrohung. In diesen Rahmen gehört die Aktion «Fünf vergrabene Grabsteine». In fünf alte, abgetretene Grabsteine mit teilweise pathetischen Sprüchen hat Martin Schwarz seinen Namen eingravieren lassen (Ausführung: Gregor Frehner). In einer stillen Aktion hat Martin Schwarz sie an fünf verschiedenen Orten entlang dem Ausstellungspfad vergraben. Ist er damit seiner unterschwelligen Todessehnsucht gefolgt und hat sich selbst symbolisch begraben? Dieses Element schwingt zweifellos mit, auch wenn es Schwarz nicht formuliert hat. Für ihn sind andere Komponenten vordergründig: z.B. die Absurdität, einen Grabstein zu vergraben, oder auch der Kontrast zu den übrigen Teilnehmer/innen, dann aber auch der Gedanke, dass der Tod etwas Unsichtbares ist und darum auch unsichtbar dargestellt werden soll. Ein weiterer Aspekt ist das Bewahren in der Erde, der Prozess des Vergrabens, des Zudeckens… wohl halt doch der eigenen Identität.»
Nun bin ich bereits mehrere Tage in meinem Büro und lese mich unkonzentriert durch den Blätterstapel und ich habe immer noch keinen Überblick über den Inhalt. Ab und zu ist auch Egon Albert Plüsch, das Zettelmaterial sortierend, bei mir – jedoch meistens ist die unüberblickbare alles enthaltende Arbeit ausschliesslich meine eigene und so finde ich sinnigerweise die in einer ähnlich vereinnahmenden Situation verfasste Beschreibung eines «Milchmädchen» von Heinrich Heine:
«Ich war die letzte Zeit nicht aus dem Pandektenstall herausgekommen, römische Kasuisten hatten mir den Geist wie mit einem grauen Spinnweg überzogen, mein Herz war eingeklemmt zwischen den eisernen Paragraphen selbstsüchtiger Rechtssysteme, beständig klang es mir noch in den Ohren wie «Tribonian, Jusinian, Hermogenian und Dummerjahn», und ein zärtliches Liebespaar, das unter einem Baume sass, hielt ich gar für eine Corpusjuris-Ausgabe mit verschlungenen Händen. Auf der Landstrasse fing es an lebendig zu werden. Milchmädchen zogen vorüber, auch Eseltreiber mit ihren grauen Zöglingen». Das Briefleinklein von Christoph Martin Wieland aus dem Buch: «Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalvax»: Er ging also in die Hütte hinein, fand aber niemand darin als ein junges Milchmädchen in einem schneeweissen Leibchen und Unterrocke. Sie war eben im Begriff, etliche Ziegen zu melken, die an einer diamantnen Krippe angebunden standen. Der Melkkübel, den sie in ihrer schönen Hand hielt, war aus einem einzigen Rubin gemacht, und statt des Strohes war der Stall mit lauter Jasmin- und Pomeranzenblüten bestreut. Alles das war bewundernswürdig genug; allein der Prinz bemerkte es kaum, so sehr hatte ihn die Schönheit des Milchmädchens geblendet. In der Tat Venus, in dem Augenblicke da sie von den Zefyrn ans Gestade von Pafos getragen wurde, oder die junge Hebe, wenn sie halb aufgeschürzt den Göttern Nektar einschenkt, waren weder schöner noch reizender als dieses Mädchen. Ihre Wangen beschämten die frischesten Rosen, und die Perlenschnüre, womit ihre Arme und ihre kleinen netten Füsschen umwunden waren, schienen bloss da zu sein, um die blendende Weise derselben zu erhöhen. Nichts konnte zierlicher und reizender sein als ihre Gesichtszüge und ihr Lächeln; über ihr ganzes Wesen war ein Ausdruck von Zärtlichkeit und Unschuld verbreitet, und ihre kleinsten Bewegungen hatten den namenlosen Reiz, dem die Herzen beim ersten Anblick entgegen fliegen».
„Hören sie mir zu, Herr Plüsch!“ sagte ich eines Tages zu ihm – und fragte: „Können Sie sich wirklich denken, dass wir mit all diesem Zettelmaterial, welches Sie mir hier anlasten, wenigstens einen Flick-Werk-Roman zustande bringen können?“ Er, meine Hoffnung und tätige Hilfe, antwortete zu meiner Enttäuschung und brachte mich so nahe an eine Resignation: „Wohl kaum – eher nur einen Rapport über den Versuch der Herstellung eines Flick-Werk-Romans – um wenigstens einen Versuch zu wagen, vorwärts zu schreiten, könnten wir doch vorerst mal einen Buchtitel festlegen.“ Und er machte gleich drei Vorschläge: „Ein Bett für Bücher“ mit dem Untertitel – „Ein Roman für Bibliophile“, als zweiter Vorschlag: „Der kurze Schatten einer langen ungeschriebenen Erzählung“ oder „Der entschlüpfte Roman“. Ich begehrte auf und erwiderte: „Alle drei Titel sind negativ oder komisch formuliert, und der dritte führt in eine grosse Weite mit Assoziationen von schmutzigen Fantasien.“ „Kommt auf den einzelnen Menschen an – wie er es versteht und welche Bedeutung er dem Ganzen gibt!“ behauptete er und referierte weiter: “…gerade Gestern machte ein Schulpsychologe mit dem Moritz einen Test. Vor seinen Augen zeichnete er einen Kreis an die Tafel und fragte: „An was denkst du, wenn du das siehst? Aufmerksam schaute sich Moritz die Zeichnung an, dann äusserte er: „an ein Mädchen“. Der Psychologe wunderte sich, zeichnete eine Pyramide an die Tafel und fragte: “Und an was denkst du nun?“ Abermals guckte sich Moritz die Zeichnung eine Weile an, dann antwortete er: “Ich denke wieder an ein Mädchen“. Nachdem Moritz auch noch beim Anblick eines Quadrates und eines Würfels Mädchen sehen will, springt der Psychologe erbost auf und schreit: “Kannst du nicht einmal an etwas anderes denken als immerzu an Mädchen?“ Da antwortete Moritz empört: “Nun, hören Sie mal! Wer zeichnet denn hier die Mädchen an die Tafel – Sie oder ich?“
Mit Egon Plüsch diskutierte ich danach nochmals weitschweifig seinen favorisierten Titel „der entschlüpfte Roman“ im Umfeld von Jugendstil-Damenschlüpfern, entgleitenden Fischen, Koitus Interruptus, sachliches Entschwinden usw. – beim alternativen Titel: „Ein ausgeschlüpfter Roman“ würde fast jeder an ein aufgebrochenes Hühnerei denken und verdeutlichte nicht unsere Bestrebungen, eine Romanform zu bilden. Ausführlich vom Arbeitsgespräch zu schreiben, habe ich keine Absicht. Auch von Herrn Plüsch kann ich nichts Weiteres berichten, er entzog sich darauf elegant dem Gespräch – er ist so quasi entschlüpft. Ich werde dann bei unserem nächsten Zusammentreffen versuchen, die disharmonischen Knitterungen wieder auszubügeln.
Im Koffer sind noch ungezählt viele schriftliche Aufzeichnungen verwahrt. Auf einer gefundenen Notiz von Lavinia Meduluso ist das berühmte Rezept vermerkt, welches die charakteristische Arbeitsweise des klassischen Surrealismus in der Objektkunst umschreibt:
„Das unverhoffte Zusammentreffen von einem Regenschirm und einer Nähmaschine auf dem Operationstisch“. Genau nach dieser Vorgehensweise habe ich eine Variation erstellt: „Das unverhoffte Zusammentreffen von einem Bügeleisen und einem Buch auf einem Gemälde“. Dazu ein Textblatt mit der Überschrift „Bügeln ist die Herstellung von einem Nichts an Knitterung“. Das BügeleisenBuch-Gemälde Objekt ist vorgesehen für die Sammlung des Bügeleisen-Museums im Dorf Nordbroek, 27 km östlich der Stadt Groningen in Holland. Anstelle eines Kataloges wurde von den Museums-Initianten ein Buch veröffentlicht: «Strijken, Streek, Gestreken» (zu Deutsch: «Wir bügeln, wir bügelten, wir haben gebügelt), von G.J. den Besten und L.S.J. den Besten-den Burger, dieses ist inzwischen vergriffen. Hier jedoch eine Buchbesprechung, von Vittorio Di Martino aus dem Journal des «Club der Sammler antiker Bügelgeräte in der Schweiz»: Kapitel I und II zeigen das Thema und den geschichtlichen Hintergrund auf, einschliesslich der Reproduktion eines Marksteins in der Entwicklung der Bügeleisen – dem ältesten holländischen Patent von August 1603. Kapitel III, IV und V beantworten die Fragen «Wie wurde gebügelt», «Wie werden Eisen erwärmt» und „Wie hält man die Griffe kühl?“. Wie das Buch aufzeigt, wurden über ein Dutzend einfallsreiche Wege gefunden, um ein Übertragen der Hitze auf den Griff zu verhindern: durch ein Stück Tuch oder eine Holzzwinge, durch Verwendung eines nicht leitenden Materials für den Griff, durch dünnere Stützen, um so den Abstand zwischen Eisenkörper und Griff zu erhöhen, durch Griffe aus einfachen oder durchlöcherten Röhren, durch Erhitzen des Eisens mittels eines eingeführten Bolzens, durch ein Hitzeschild, um die aufsteigende Hitze abzuschirmen. Wir sind jetzt bei Kapitel VI und den Kohleneisen. Louise und Guus den Besten stellen ein solches Eisen – 1980 an der Elfenbeinküste erworben – als Beispiel für dessen Überleben bis in unsere Zeit vor, überraschend, aber sicherlich keine Seltenheit. Selbst jetzt, nach dem Beginn des 3. Milleniums, werden noch Kohleneisen in vielen Entwicklungslandern hergestellt, in denen die Elektrifizierung noch nicht abgeschlossen oder die Stromkosten für einen Teil der Bevölkerung unbezahlbar sind. Kapitel VII behandelt Eisen mit einer eingeführten Hitzequelle, Kapitel VIII die Flacheisen (Anlegeeisen) und Kapitel IX die kleinen Eisen. Kapitel X ist ein Abstecher in die Welt der Hilfsmittel für besondere Bügelvorgänge – es behandelt Schneidereisen, Reisebügeleisen, Tolleisen, Eikolbeneisen, Pilzeisen, Hut- und Handschuheisen, Kappeneisen, Korsetteisen, Plissier- und Saumeisen. Kapitel XI beschreibt technische Innovationen, und das Kapitel XII befasst sich mit Ästhetik und Design von frühen handgefertigten Eisen bis hin zu denen des Art Nouveau zum Ende des 19. Jahrhunderts und den stromlinienförmigen Eisen der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Kapitel XIII beantwortet die Frage des „Woher?“, während Kapitel XIV, XV und XVI Accessoires beschreibt, wie z.B. Zugschieber, Untersetzer und Bügelbretter.
Ich möchte an dieser Stelle darauf verweisen, dass diese vielen Wörter benötigt werden, das künstlerische Konzept konsequent darzustellen auch wenn 99.9% der auf dieser Welt lebenden Menschen wenig Sinn haben für das Spezielle eines Glätteeisens. Marcel Duchamp war elitär, obwohl er sich mit den allergewöhnlichsten Dingen beschäftigte. Ich suche weiter im Schriftenstapel nach … Jetzt weiss ich auch nicht, nach was. Ich stosse auf ein begonnenes Buchkonzept aus dem Engadin in den Schweizer Alpen: Giovanni Segantini und Friedrich Nietzsche lebten manchmal zur selben Zeit im Engadin am Silser-See und könnten sich auch begegnet sein. Von welchem der Beiden soll ich berichten? Aus dem Kunstkammerallerlei ein Nietzsche-Zitat zur Liebe: „Die Liebe ist der Zustand, wo der Mensch die Dinge am meisten so sieht, wie sie nicht sind.“ Ein weiteres Zitat: ”Man soll weder Gott noch den Teufel an die Wand malen. Man verdirbt damit seine Wand und seine Nachbarschaft.“ Dem Zitat beigefügt ist eine Fotografie der Diaprojektion des um-nachteten Nietzsche, mit einer Zeichnung vom Ende des 19. Jahrhunderts von Hans Olde, auf die Hausfassade vom Nietzsche-Haus in Sils-Maria am 29.9.1994, anlässlich des Nietzsche-Kolloquiums. „Zum redenden Buch“: Während der Ausstellung meiner Werke im Nietzsche-Haus in Sils-Maria wurde mehrmals gefragt, ob das Buchobjekt mit den eingebauten Zähnen das Gebiss von Nietzsche sei. Nietzsche-Zitate: ”Meinem Leser: Ein gut Gebiss und einen guten Magen – Dies wünsch ich dir! Und hast Du erst mein Buch vertragen, verträgst du dich gewiss mit mir“! Und: ”Der Autor hat den Mund zu halten, wenn sein Werk den Mund auftut.“
Um etwas weniger Bekanntes weitergeben zu können, hier ein Bericht der Zugsreise des seit einigen Tagen geisteskrank gewordenen Nietzsche von Turin nach Basel. «Overbeck soll sehr ängstlich und viel aufgeregter als Nietzsche selbst gewesen sein. Der andere Reisebegleiter, der Zahnarzt Leopold Bettmann, hat sich während der Fahrt ein abstossendes künstliches Gebiss aufgesetzt, um zu verhindern, dass andere Reisende in ihr Abteil zustiegen» (nach der Erzählung von Overbecks Tochter und zitiert von Pia Daniela Volz in ‚Nietzsche im Labyrinth seiner Krankheit‘). Heiraten hätte Herr Nietzsche sollen, zumindestens sich selbst. Doch gibt es ein grösseres Glück, als sich selbst zu heiraten! Ein Versuch sei dann eine Seite weiter beschrieben.
Nun fällt es mir nicht leicht, mich von Egon Plüsch zu verabschieden. Es ist noch keine lange Zeit verstrichen, seit ich ihn als Romanfigur zum Leben erweckte, und nun wurde er bereits ziemlich frech. So behauptet er grundlos, ohne dass ich dieses Wort überhaupt in meinem Text verwendete und dies auch nicht im Sinn hatte – Afrika schreibt sich mit einem doppelten Buchstaben „ff‘ also Affrika. Ich verneinte selbstverständlich vehement. Er äusserte: „Der Wortstamm geht auf das Wort Affe zurück“, und bei seiner rechthaberischen Erklärung vergrösserte er seinen Unterkiefer, indem er ihn hervorschob. Er wollte mir meine Entgegnung partout nicht glauben „nicht die Affen haben Afrika erschaffen.“ Also schickte ich ihn in die grosse Buchhandlung an der Winterthurer Marktgasse. Dort fragte er die Verkäuferin: „Haben sie hier keine Wörterbücher?“ Sie antwortete: „Keine Wörterbücher finden sie im Untergeschoss – hier gibt es keine Taschenbücher.“ Auf dem Rückweg zu mir – ohne ein Buch – traf er, wie er erzählte, einen weitherum bekannten Lektor, und der kam eben von der Konferenz für die endgültige Festlegung der Rechtschreibreform. Er fragte diese Kapazität: „Was haben sie an der Konferenz gesagt?“ Er: „Nichts!“ Darauf meinte Egon: „Das dachte ich mir sowieso – jedoch mit welchen Worten haben sie dies formuliert?“ Solche grotesken Sachen erzählte mir meine von mir erschaffene Roman-Figur, und der Leser wird nun verstehen, dass ich Egon Plüsch aus diesem Romanentwurf verabschieden will, wenn auch vielleicht nicht für immer. In behutsamer Freundlichkeit entlasse ich ihn, gelöst von meinen Worten in die Freiheit, und mit auf den Weg gebe ich ihm noch zwei Gedanken:
Jeanne Hersch aus einem Gespräch mit Gabrielle Dufour-Kowalska: „Die Freiheit ist es, die das Menschsein zu etwas Einzigartigem macht, das es verdient, mehr als alles andere geliebt zu werden. Wir sind nicht wie alle anderen Lebewesen, einfach von aussen getrieben, Gefangene im System von Ursachen und Wirkungen. Alles was Ursache und Wirkung ist, hat an sich keinen Sinn. Damit ein Sinn entsteht, muss ein Ziel sein. Damit ein Ziel ist, muss sich eine Freiheit bewegen, muss auf einen Wert gerichtet sein, auf etwas, was noch nicht ist und es wert ist, zu sein.“
Doch in aller Freiheit soll auch der folgende Gedanke berücksichtigt werden. Willem Frederik Hermans: „Der Mensch kann nicht anders, als in Vorstellungen leben; jede Vorstellung fordert Sinn, Sinn aber ist nicht verifizierbar. Vielleicht ist es so, dass Bewusstsein, Wille, Hoffnung und Furcht nichts anderes als Manifestationen des Mechanismus sind, der die menschlichen Moleküle dazu bringt, sich im unermesslichen Dunst der kosmischen Materie zu bewegen.“
Jetzt komme ich zu dem vorher angekündigten Versuch einer Glücksfindung – ein Fragment – gefunden neben der Romantischen Strasse zwischen Würzburg und Rothenburg ob der Tauber.
Das plötzliche Himmelszeichen im Dunkeln der Augen.
Aus den Aufzeichnungen der Anna-Chronista – die Malerin. …..in meiner Erinnerung schweife ich nochmals zurück in die manchmal doch so mildtätige Wirklichkeit und zum Anfang, wie ich auf das Schriftenbündel aus Kärtchen, Zetteln und gefalteten Blättern gestossen bin, von dem ich hier erzählen will: …Ziemlich früh am Morgen wandere ich unterhalb des Städtchens Bartenstein am Biergarten der Gaststätte zum “Ettetal“ vorbei auf dem moosigen Weg in die Wald-Landschaft. Im Gehölz versteckte Ruinen bezeugen, dass hier vor einigen hundert Jahren Menschen wohnten. Als ein wenig begangenes Gebiet birgt dies für einen Wanderer in überschaubarem Umfeld alles, was sich dieser von einer harmonischen Natur wünschen kann. Schon bald, nachdem ich mich in die “drei Täler“ genannte Landschaft begebe, sehe ich am Fuss eines Waldes, der von einem üppig überwachsenem Hang gesäumt wird, eine riesige, ungefähr fünf Meter hohe Sintersteinwand. Feuchtes, dunkelgrünes Moos hängt schwer am aufragenden Grund, und stellenweise verfärbt sich das Grün in einen leuchtend orange-ockergelben Farbton, und darunter funkeln kleine Rinnsale, und an feinen Flechten glänzen und schillern die Tröpfchen. Der Hang ist noch grösstenteils im Schatten und doch von einer rätselhaften Schönheit. Ein leises Gurgeln und ein feines Plätschern klingen von dem wunderlichen Hain. Einzelne Sonnenlichtflecken im Naturwerk umwerben meine Aufmerksamkeit, und die Pracht eröffnet sich beim detailgenauen Schauen. Bezaubert bin ich von dem entdeckten farbig gesprenkelten Käferchen und ich bin von der kleinen Welt so erfüllt, dass ich mich mittendrin fühle und staunend verweile. Etwas weiter geleitet der Weg mich über einen Bach, der seltsam geordnete Steine als Grund hat, und es lässt sich schwer entscheiden, ob dies ein angelegtes Bachbett ist, oder eine überflutete Strasse. Dann verdeutlichen gemähte Wiesen, dass ich mich nicht in einer unberührten Natur befinde, und ich gehe unter Bäumen weiter in das tiefe Tal und überquere wieder das Bachbett zur Seite gegen den Schattenhang hin, der bald steil nach oben ansteigt. Weiter aufwärts stehen rechts und links hintereinander die Bäume ähnlich wie Säulen einer Kathedrale, und die Äste bilden oben ein Dach in einer Regelmäßigkeit wie in einem erdachten, komponierten Muster eines Himmelszeltes. Die Wipfel neigen sich seltsam symmetrisch zueinander und berühren sich und unterstützen so den sakralen Eindruck. Beim Aufwärtsgehen denke ich an den schwarzen Martin, der in meiner Nähe im Schloss Bartenstein wohnt und arbeitet. Wie oft denke ich an ihn? Um es mit dem französischen Schriftsteller Stendhal und seinem Symbol der «Kristallbildung» auszudrücken: “Was geht binnen vierundzwanzig Stunden im Kopf eines Liebenden vor? Es ist dies: Wirft man in den Salzbergwerken von Salzburg einen entlaubten Zweig in die Tiefe eines verlassenen Schachts und zieht ihn nach ein paar Monaten wieder hervor, so ist er mit glänzenden Kristallen überzogen. Auch die kleinsten Äste, nicht grösser als der Fuss einer Meise, sind mit zahllosen lockeren, funkelnden Diamanten bedeckt. Der kahle Zweig ist nicht wiederzuerkennen. Kristallbildung nenne ich die Tätigkeit des Geistes, der bei jedem Anlass neue Vorzüge bei der Geliebten entdeckt.“
Oben auf dem Hügel gelange ich zu einem sehr dicken, massiven Brett auf zwei Pfählen als einen einfachsten, langen Holztisch und darauf platziert ist ein Bündel Papier, mit gelockerter Schnur ein wenig geöffnet. Dieses wurde wohl auch schon einige Mal verregnet, und die darin enthaltenen Papiere sind zum Teil gewellt und zusammengeklebt. Eben diesen Haufen sehe ich verwundert von dessen kunterbuntem Inhalt, von dem ich hier berichte, und der wohl Martin Schwarz gehörte und auf den sich der Inhalt auch bezieht. Auch bin ich darin auf ein zusammengefaltetes Textblatt gestossen, welches dichterisch überhöht, seltsam ähnlich ist, wie meine Naturerlebnisse auf dem Weg zum hier entdeckten Schriftenbündel, wie wenn eine Person mit denselben Empfindungen die Natur erlebte… doch vorher noch dieses:
Jetzt, da ich meine Gedanken an Dich richte, aufmerksamer Leser, ordne ich Buchstaben zu Wörtern und diese zu Zeilen. Ich frage mich, ob für den beabsichtigten Satz die Zeilen dieser Seite zu knapp aneinander gereiht stehen und deshalb mehr Abstand hätten haben sollen. Denn durch einen weiten Zeilenabstand wird das Lesen erleichtert, die geschlossene Wirkung jedoch gestört. Eine gute Lesbarkeit ist das erste Erfordernis jeder Druckschrift. Neben einem ausgewogenen Zeilenabstand, kann eine gute Lesbarkeit nur erreicht werden, wenn das Bild eines Buchstabens den zur Verfügung stehenden Raum möglichst ausfüllt, wenn das Bild nicht zu schmal erscheint. Es darf aber deshalb nicht gleich an halbfette Schriften gedacht werden. Schon eine geringe Verdickung der Haarstriche lässt das Bild wesentlich kräftiger und somit lesbarer erscheinen. Dass jede Verzierung und Verschnörkelung wegzubleiben hat, ist selbstverständlich, denn durch solch überflüssiges Beiwerk verliert jedes Schriftbild vor allem an Deutlichkeit.