Kitabı oku: «Das Buch-Buch», sayfa 3

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Nun der vorher angekündigte, seltsam ähnliche Text aus dem Schriftbündel: „…fern von Feinden, Missgünstlingen und quälenden Liebschaften, unerreichbar für Lärm und synthetische Farben, wartet ein Ort, der mir vertraut ist und unheimlich zugleich. Dahin führt mich an Abenden mit länger werdenden Schatten vom tiefen Verlöschen eine unerklärliche, sanfte Macht. Da stehe ich geborgen in hohen Büschen, wie keine Burg besser bergen könnte, wäre nicht hinter den Blättern und dem Geäst abgrundleere Dunkelheit, dass ein sehendes Auge sowenig zu erkennen vermag wie ein blindes. Verweilend, eine süsse Müdigkeit lockt mich, selbstvergessen bin ich gefangen in der sanften Macht, im unwiderstehlichen Ziehen, dem leichten Stossen mit verstummend fragendem Wohin. Die Dunkelheit erscheint, als läge in ihr meine Heimkehr, und die Erde verspricht mir bei einem Niedersinken innige Wonne, wie ein Federbett im Winter, gewärmt mit der Liebsten, vereint im Traum der Ungeborenheit. Zeitlos kommt die Nacht; mein Ich verliert sich in dunkelstem Licht, in einer unermesslichen Stille in mir, weit hinter mir. Abschied von Allem: Die Hingabe in das endlich endende Sehnen bringt eine wunderbare Fülle von nie geahnt glückseligen Empfindungen – voller und voller und trägt mich in einen köstlichen Rausch von namenloser Wollust, mehr und mehr, in einen verklärten Kristall aus puren Lichtstrahlen, heller und heller, inmitten von ungezählten, riesig wallenden Wogen, in ein strömendes Meer endlosfeinstrukturierter Ornamentbahnen aus zerschmelzenden Wasserfeuerwerken, verwandelnden Lichtbrunnen, transparenten Spiralwolken, wirbelnd und schwebend in niegesehener Schönheit mit lieblichdonnernden Klängen verwebt. Schillerndglimmendes-zitternd-glitzerndes Funkeln, aufbäumend-durchdringendes Niedersinken zerbricht, zerfällt, zerstäubt sich ordnend in eine pulsierende Harmonie tausend tanzender Reigen von Tränen der gesättigten Freude, ewigvereint mit ungebändigt-zarten Küssen von reinen Honiglippen. In dieser grenzenlosen Glorie, einmalig im Wechsel des Unveränderlichen, ist ohne Anfang am Ende der Unendlichkeit alles absolut g…. „Du“ – ein laut gesprochenes Wort. Erwachend zwischen hohen Büschen bin ich kraftlos von der Hingabe. Ein falscher Freund steht an meiner Seite, spricht von Glück und Ruhm, Kampf und Geld, Erinnerungen und Erwartungen. Ich heisse ihn willkommen. Gemeinsam belächeln wir den wieder einmal aufdringlich-kitschig gewesenen Sonnenuntergang, der von einem schlechten Dichter mit viel Pathos beschrieben worden wäre, und in dieser nun nüchternen Nacht verlassen wir ziellos den mir unheimlichen und zugleich vertrauten Ort.“



In der Wirklichkeit ist es jedoch noch ziemlich früh am Morgen. Ich nehme mir wieder einige Blätter aus dem aufgeschnürten Schriftbündel, und es wird von einem Atelier berichtet, in dem der schwarze Martin vor vielen Jahren lebte (oder sind es Spuren von einem dunklen Märchen?): «Die unbunte Farbe Schwarz», Schloss Schwarzenbach. Im königlichen Schloss Schwarzenbach arbeitete Martin Schwarz zwei Jahre, Sommer 1985 bis Sommer 1987. Nur wenige Minuten vom SBB-Bahnhof Schwarzenbach bei Wil (St. Gallen) steht das stattliche Schloss Schwarzenbach, durch Rudolf von Habsburg im Jahr 1273 erbaut. Die Mutter von ihm war Hedwig von Kyburg – von der schlossartigen Burg bei Winterthur. Im gleichen Jahr trat Rudolf von Habsburg als Hauptmann der Zürcher Truppen (mit denen er zuvor die Uetliburg, Burg Baldern, Burg Wulp im Küsnachter Tobel und das Städtchen Glanzenberg an der Limmat gestürmt und zerstört hatte) zurück, da er Anno 1273 zum König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewählt wurde. In der Folge war er gezwungen, das ihm durch seine Wahl übertragene Königsamt gegen den Gegenkönig Ottokar von Böhmen, der sich diese Würde selbst zugelegt hatte, zu verteidigen. Mit seinen Stammtruppen, Aargauern, Zürchern, Thurgauern und St. Gallern sowie mit den aus den übrigen deutschen Landen stammenden Zuzugstruppen zog er Ottokar entgegen, schlug diesen und konnte in der Folge österreichische Lande annektieren. Als König bestätigte Rudolf von Habsburg den Zürchern und den Urkantonen ihre Rechtsunmittelbarkeit und verlieh ihnen weitere Rechte. Er war ihnen, insbesondere den Zürchern, bis zu seinem Tode dankbar und diese sowie die anderen deutschen Lande waren in ihren Geschichtsbüchern bis ins 19. Jahrhundert voll des uneingeschränkten Lobes über ihn. Der Aargauer und Zürcher Hauptmann gilt als Gründer eines während rund 650 Jahren an der Macht gebliebenen Kaiserhauses, das wie kein anderes die europäische Geschichte während Jahrhunderten beeinflusst hat. Rudolf von Habsburg muss daher als die geschichtlich bedeutendste Persönlichkeit, die aus der Schweiz stammte, bezeichnet werden.


Hier eine Aufzählung der Bilder, die im Schloss ausgestellt worden sind: «Hommage an die nicht gedachten Gedanken», schwarzes Bild, das Glas rückseitig mit schwarzer Farbe vollständig bemalt, 50 x 50 cm. Eine später erstellte Replik in breitem schwarzen Rahmen, Bildgrösse 100 x 70 cm, ebenfalls Glas rückseitig vollständig schwarz bemalt. «Im Schatten der Nacht gewachsene Nachtschattengewächse»: «Atropa Belladonna (Tollkirsche)», «Hyosciamus Niger» (Bilsenkraut), «Datura Stramonium» (Stechapfel), «Atropa Mandragora» (Mandragorawurzel), 1971, Collage aus schwarzem Papier, 50 x 50 cm. Variante: 1971/73 Mischtechnik auf Plexiglas 100 x 70 cm. Im Schloss ist ein Zimmer reserviert für die fiktive Nachtigallerator-Kammer von Professor Dr. Abdul Nachtigaller und Walter Moers. Dies wäre der dunkelste Ort im ganzen Universum! Schon bei halber Kraft erreicht dieser Generator Werte um 400 Nachtigall – das entspricht der Dunkelheit von 400 luftdicht ineinander geschlossenen Kühlschränken. Der Nachtigallerator, ein Triumph der Dunkelheitsforschung (Nachtigallik), schneidet besonders dunkle sternenlose Stücke aus dem Nachthimmel, filtert sie und füllt sie ab. Zurück bleiben abgrundtief schwarze Löcher, über deren Herkunft sich Physiker bis heute den Kopf zerbrechen.


Hier ein zusätzlicher Ausstellungsbeitrag zur unbunten Farbe schwarz. Ein noch nicht gemaltes Bild nach Kasimir Malewitsch: Das Romantische und das Absolute. Kasimir Malewitsch gilt als der Erfinder des schwarzen Quadrates für die Kunst. Dieses scheinbar allereinfachste Bild, 79,5 x 79,5 cm zu malen (1914 oder 1915), erschöpfte ihn nach eigener Erzählung so sehr, dass er eine ganze Woche weder trinken, essen noch schlafen konnte. 1935, bei seinem Tod, wurde an seiner Grabstätte ein weisser Holzkubus mit einem schwarzen Quadrat auf der Frontseite aufgestellt. Dieser Holzkubus verwitterte und verfiel im Laufe weniger Jahre. Eine Foto zeigt die Grabstätte in einer romantischen Umgebung. Von der Grabstätte existiert eine Fotografie mit Gebüschen, Wiesen und einem grossen Baum in der Bildmitte. Diese Idylle ist für Martin Schwarz die Vorlage für das Bild «Das Romantische und das Absolute». Aber nicht nur das Grab von einem berühmten Künstler interessierte den schwarzen Martin. Er empfand die Nähe von Leben und Tod so nahe nebeneinander, wie nur durch eine durchsichtige Wand getrennt. Er suchte auch diese Empfindung auf seinen Wegen zwischen fremden Grabstätten, mit manchmal bereits verwitternden oder ganz verlorenen Namen. Er berichtet: Am Abend eines düsteren Tages sah ich auf dem Melaten-Friedhof in Köln einen Grabstein, auf dem der Name «Martin Schwarz», welcher auch mich benennt, eine Weile der Vergänglichkeit trotzt. Empfand der Träger dieses schwarzen Namens vor seiner ewigen Nacht so wie ich, sich selbst manchmal nur als einen Schatten und sein Leben als einen Irrtum und einen Traum? Suchte er sich selbst, im Dunkeln tappend, oft vergebens? Oder schlich er, wie eine Blindschleiche durch im Schatten der Nacht gewachsene Nachtschattengewächse schleicht, blind durch das Leben? Wurde Schwarz einer schwarzen Seele, eines schwarzen Herzens bezichtigt, weil die Welt es liebt, das Strahlende zu schwärzen, obwohl auch schwarzes Licht nicht schwärzer als schwarz sein kann? Wird vergessen, dass er und ich durch dieses Anschwärzen an Glanz gewinnen, wie das Leuchten der Sterne um so mehr erscheint, je dunkler der klare Nachthimmel ist. Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann, weil viele im Dunkeln munkeln, dass man sich nicht zu dem gesellen soll, durch den man in den Schatten gestellt wird? Kein rabenschwarzes Pech wirft seine Schatten voraus, denn wir sehen nicht schwarz, wenn eine schwarze Katze unsern Weg kreuzt, und wir haben eine weisse Weste als Schwarzfahrer, Schwarzseher und Schwarzarbeiter, so brauchen wir keine nächtlichen schwarzen Messen mit schwarzer Magie im tiefen Schwarzwald. Wir ärgern uns auch nicht schwarz, wenn wir auf schwarze Listen kommen, weil wir im Schwarzen Meer baden oder auf dem Schwarzen Markt kaufen. Nur die düster-schweren Gedanken um die schwarzen Löcher hinter dem Licht im weiten Weltall könnten auch uns umnachten, sind mit dem schwärzesten Humor nicht zu erhellen, und so denken wir lieber an die anderen schwarzen Löcher, die Pupillen, das schwärzeste am Menschen, durch die die Welt in ihrem Licht zu erkennen ist, denn welcher Lebendige, Sinnbegabte, liebt nicht vor allen Wundererscheinungen des verbreiteten Raumes um ihn, das allerfreuliche Licht. Ebenso lieben wir die Finsternis und sagen zu uns selbst: Ja, kehre nur der holden Erdensonne entschlossen deinen Rücken zu! Und zu diesem Schritt sich heiter zu entschliessen, und wär› es mit Gefahr ins Nichts dahin zu fliessen (Goethe). Nicht aus diesem Grunde tragen wir schwarze Kleider, aber auch nicht wie andere nur zu besonders feierlichen Anlässen, denn wir wissen, auch schwarze Kleider machen keine Leute, so wie wir auch wissen, dass, wenn jemand Schwarz heisst und er Maler ist, er deswegen kein Schwarzmaler sein muss, denn sonst wären wir, wenn wir Süss heissen würden, unbedingt Zuckerbäcker oder sogar ein mariengläubiger Zuckerbäcker.



Aus weiteren Schriftblättern: Maria, „Über die Schönheit von einem Namen“ von Alphons von Liguori geschrieben und gesammelt: Der erhabene Name Maria, welcher der Mutter Gottes gegeben wurde, ist nicht auf Erden erfunden worden, auch nicht von dem Verstande oder den Absichten der Menschen erdacht worden, wie dies bei allen anderen Namensgebungen der Fall ist. Er ward vom Himmel gewählt und nach göttlichem Ratschlusse verliehen. Er ist über alle anderen Namen erhaben und verleihet solche Majestät und Macht, dass, so er ausgesprochen wird, alle auf ihren Knien ihn verehren sollen; der Himmel und die Erde und die Hölle (Dedit tibi, Maria, tota Trinitas nomen quod est super omne nomen, post nomen Filii tui, ut in nomine tuo omne genu flectatur caelestium, terrestrium et infernorum. De Land.B.M.1.1.c.2.). Der Name dieser jungfräulichen Mutter ist ihren Verehrern eine Wonne im Herzen, Honig im Munde, Wohlklang im Ohre. Der ehrwürdige Pater Juvenal Ancina, Bischof von Saluzzo, empfand, wie in seinem Leben erzählt wird, beim Nennen des Namens Maria eine so grosse Süssigkeit, dass er sogar seine Lippen ableckte, und eine Frau in Köln habe dem Bischofe Marsilius bezeugt, dass sie, so oft der Name Maria ausgesprochen werde, einen Geschmack im Munde verspüre, der süsser sei als Honig. Richard von St. Lorenz stellte die Frage, warum die Engel nach den Worten des Hohenliedes bei der Himmelfahrt Maria’s so oft nach dem Namen dieser Königin fragten und antwortet, weil sie begehrten den ihnen so süssen Namen Maria zu hören (Forsitan quia dulce nomen sibi desiderant responded. De Land. B.M.loc.cit.). Doch will ich nicht von der fühlbaren Süssigkeit sprechen, welche für gewöhnlicht nicht jedermann empfängt, sondern von der heilsamen Süssigkeit des Trostes, der Liebe, der Freude, des Vertrauens, der Stärke, welche der Namen Maria all denen bringt, welche ihn mit Andacht aussprechen. Diese Süssigkeit bezeugte auch der seelige Heinrich Suso, als er sagte, dass er im Aussprechen des Namens Maria sich zu solchem Vertrauen erhob und mit so freudiger Liebe entzündet fühlte, dass er nur unter Tränen der Freude diesen geliebten Namen hervorbringe und glaube, es steige sein Herz aus der Brust in den Mund; indem der süsseste Name in den Tiefen der Seele wie eine Honigwabe zerfliesse. O süssester Name pflegte er auszurufen, o Maria, was musst du selber sein, wenn schon dein Name so lieblich und gnadenvoll ist!

Jetzt sind wir wieder bei mir, der Anna: zugeneigter Leser, ja ich bin noch da, ich – Anna-Chronista die Malerin und verstehe diese Marienbewunderung vom schwarzen Martin wenig und ich muss schmählich eingestehen: ich bin nicht nur fast, sondern wirklich ein wenig eifersüchtig auf diese unschlagbare Konkurrenz, welche seine Emotionen bindet. Mit Schmerz und auch etwas Agression wende ich mich der Malerei zu. Wie soll ich mein Befinden beschreiben, zu malen, ohne an die Malerei zu glauben, da mein Innerstes vom Martin ganz ausgefüllt ist? Denn alle Leinwände oder sonstigen Bildträger schmücken sich oder bedrängen den Betrachter mit Farbe und Form, ob entstanden im Wettbewerb der Schmierfinke oder als geometrische Konstruktionen in neu renovierten Räumen für mathematische Lehrveranstaltungen. So werde ich nun wieder den Pinsel schwingen, und in meiner Sucht nach dem Duft von Terpentin verteile ich die Farbe weiter auf der Leinwand in sich überschlagenden Farbfleckenwellen, in kleinen Pinselstrichen, die sich zu grösseren Flächen ergänzen, mit Emotionen begleitetes, rhythmisches Schraffieren, wie die Visualisierung von Musik in einem Farbenfest mit spannender Disharmonie von geglückten und missglückten Pinselstrichen. Zerstörte Ornamente, die sich neu arabesk ordnen und in den Details so gemalt sind, wie wenn diese ein imposant-grosses Bild zeigten. Malen und weitermalen bis zur Erschöpfung, bis zum Pinsel weglegen und mich etwas ganz anderem zuwenden. Nein, doch noch weitermalen! Malen und das Tempo beibehalten, zufällige Farbverläufe zulassen. Gefällige Formenlinien unterbrechen, um zu erreichen, dass mein Gemälde eine überraschende Wendung im Duktus erhält. Dann versuche ich unbestimmte Bilder, die sich um die Wörter in meinen Gedanken ranken, in Farben umzusetzen: Der prächtige Königsmantel mit dem grauen Topf vom armen Tropf. Meine Malerei beginnt, wenn die Farben aus der Tube auf meine Palettenteller gedrückt werden. Dies ist der Urgrund, aus dem meine Bilder entstehen und zu diesen gehören. Der Zufall (gibt es den überhaupt?) gestaltet meine Tellerfarbpaletten und diese Farbmischungen übermale ich teilweise später. Wiederum und ebenso Dinge, die um meine Malwerkzeuge sind. Nun gehe ich Farben kaufen. Gehe ich nach links, gehe ich nach rechts? Kaufe ich Farben oder lasse ich es sein? Warum bin ich da und nicht dort, jetzt, nicht gestern und nicht erst morgen? Jetzt ist Sommeranfang 2004. Dann, völlig unvorbereitet begegne ich Dir, und im selben Moment empfinde ich: da steht mein Mann vor mir! Wie ein plötzliches Himmelszeichen, und ich bin verwundert, erstaunt und fast erschrocken. Aber warum, warum nur mein Allerliebster, Du mein Martin, als wir im Dunkel unseres Blickes versanken, warum, warum zögerten wir uns an der Hand zu nehmen und in Liebe verfallen einen unbekannten Weg zu gehen? Ich weiss, wir beide dachten dasselbe: Da bist Du! …mein Leben und mein Tod! Was ich nicht weiss, eben warum wir zögerten. Alles hätten wir sein lassen sollen und sofort ein Plätzchen suchen, und wenn es nur die Geborgenheit von einem ganz fremden Hotelzimmer ist, denn von liebendem Begehren erfüllt, benötigen wir als erstes und unbedingt das Ausschliessen von aller Welt, die etwas anderes als unser Wir ist und das Angenehme von einem weichen Bett, um die anfänglich schüchternen Zärtlichkeiten spüren zu können, der feine Hauch unseres Atmens, das Herzklopfen im Zueinanderschmiegen, das mit den Fingern Ineinanderspielen. Das Erleben der Ohnmacht im Glück in einem zeitlosen Jetzt. In der Körperwärme werden uns köstliche Gedanken geschenkt mit gewaltig-feinen Empfindungen. Da bin ich nun gelassen von Dir – mein Glück, du mein Martin, allein mit meinen Farben, ohne unser gemeinsames Schauen und Erleben. So will ich mich malen so gut ich kann in meinem schönsten rot-schwarzen Kleid umgeben von geöffneten weissen, textlosen Büchern, die eben nicht einmal berichten können von dem ungelebten Leben – unserem nicht Zusammenleben. So will ich auf diese Weise mich Dir zeigen und hoffen, Du kannst das Bild bald einmal sehen. Das Bild ist keine Klage, es ist vielleicht das Nichtsein von etwas Göttlichem, einer in unendliches Nichts führenden Perspektive. Du weisst ja, ich bin, wie man dies nennt – religiös, darum glaube ich, mein Leiden muss einen höheren Sinn haben. Ich sehe die Welt nur noch durch eine Tränenwand – und doch und ach, wenn ich jetzt daran denke, dass Du nicht bei mir bist, steigert sich die Sehnsucht, und wenn ich daran denken muss, dass Du vielleicht nie mehr bei mir bist, verwandelt sich die Sehnsucht in eine Angst und mein liebendes Herz befindet sich in einem Labyrinth einer grenzenlosen Verzweiflung und drängende und ziehende Kräfte in meinem Innern lähmen mich, ich kann kaum mehr atmen und nicht mehr weiter schreiben, schreiben, schreiben… sehr…





Darum, komm, nimm Dir meinen Stolz. Komm doch, nimm Dir meine Ehre, mein Geld, meine Gesundheit, nimm Dir von mir alles – jedoch lass Dich lieben! Zerstöre mich, erniedrige mich, missachte mich – jedoch lass Dich von mir lieben. Du Martin, sei noch mehr in meinen Gedanken, Du sei ganz meine Gedanken – sei mein Ich und lass Dich lieben!

Aber Du bist nicht da und deshalb vertiefe ich mich weiter in Deinen von Dir gesammelten Texthaufen. Auf dem Gefälle der PapierSchichtungen auf der Rückseite gegenüber von meinem Sitzplatz ist ein quirliges Leben von Kleinsttieren: Fliegen, Mücken, Marienkäfer und vorwiegend Bienen tummeln sich, sirren und kriechen. Ein bernsteinfarbener Lebensraum von getränkten Papieren, durchscheinend glänzend und stellenweise in tiefrotem Leuchten und in hellrosa Verfärbungen. Es ist eine Höhle, mit Wänden triefend von Kirschenmarmelade und Honig. Verklebte Seiten aus dem Buch von Maurice Maeterlinck «Das Leben der Bienen» lässt mich an einem königlichen Hochzeitsausflug teilnehmen: Sehen wir indessen zu, auf welche Weise sich die Begattung der Bienenkönigin vollzieht. Auch hier hat die Natur ausserordentliche Massregeln ergriffen, um die Vereinigung der beiden Geschlechter aus verschiedenen Stöcken zu begünstigen, ein seltsames Gesetz, zu dem sie durch nichts gezwungen wird, eine Laune vielleicht oder Unachtsamkeit, deren Wiederausgleichung die wundervollsten Kräfte ihrer Wirksamkeit verschlingt. Es ist höchst wahrscheinlich, dass, wenn die Natur zur Erhaltung des Lebens, zur Milderung des Leidens, zur Herbeiführung eines sanfteren Todes, zur Fernhaltung der schrecklichsten Zufälle halb soviel Geist aufgewandt hätte, als sie für die kreuzweise Befruchtung und einige andere willkürliche Einfälle vergeudet, das Rätsel des Daseins uns minder unbegreiflich und erbarmungswürdig erschienen wäre, als so, wie es sich jetzt unserer Wissbegier darstellt. Doch wir dürfen unser Bewusstsein und den Anteil, den wir am Dasein nehmen, nicht aus dem schöpfen, was vielleicht hätte sein können, sondern aus dem, was ist. Die jungfräuliche Königin lebt also in der kribbelnden Enge des Bienenstockes mit einigen hundert sie umschwärmenden Drohnen oder männlichen Bienen, die voller Übermut in stetem Honigrausche leben und keinen anderen Daseinsgrund haben als die Vollziehung eines Aktes der Liebe. Aber trotz der ewigen Berührung der beiden Geschlechter, die überall woanders alle Widerstände überwinden, findet die Begattung niemals im Bienenstock statt, und es ist noch nie gelungen, eine eingesperrte Königin zu schwängern. Die sie umringenden Drohnen kennen sie nicht, solange sie in ihrer Mitte weilt. Sie fliegen aus und suchen sie im Luftraum, in den verborgensten Winkeln des Horizontes, ohne zu ahnen, dass sie sie eben verlassen haben, dass sie mit ihr auf derselben Wabe schliefen und sie bei ihrem ungestümen Aufbruche vielleicht angerannt haben. Man möchte sagen, ihre prachtvollen Augen, die ihren ganzen Kopf mit einem blinkenden Helme bedecken, erkennen sie und verlangen nur dann nach ihr, wenn sie im blauen Äther schwebt. Jeden Tag von Mittag bis um drei Uhr, wenn die Sonne am höchsten steht, fliegt ihre federgeschmückte Horde zur Eroberung der Gattin aus, die königlicher und unvergleichlicher ist, als die unerreichbarste Märchenprinzessin, denn zwanzig oder dreissig Stämme sind von allen Stöcken der Nachbarschaft herbeigeströmt und umschwärmen sie: ein Gefolge von mehr als zehntausend Freiern, von denen ein einziger zu einer einzigen minutenlangen Umarmung auserkoren wird, die ihn dem Glücke, aber auch dem Tode vermählt, während alle anderen das engverschlungene Paar als unnütze Begleitung umschwirren und bald darauf umkommen werden, ohne das schicksalsvolle Zauberbild wiedergesehen zu haben.



Ich halte ein nächstes Schriftblatt in Händen. Es ist ein gewelltes Blatt von der Arche Noah, und ich lese: „…sie, die Anna, ist glühend vor Liebe, und nicht weniger harmlos als ein Jäger, der sich durch das Gestrüpp des dicksten Urwaldbusches kämpft. Auf die Zähne beissend mit fast starrem Blick und angespannten Gesichtsmuskeln drängt sie durch städtische Menschenmassen. Anrempeln da – wegdrängen dort und keine Konventionen lebend. Sie ist voll und ganz der lautere Wille zu ihm zu kommen. Fast wie ein wildes, getriebenes Tier – selten-schön und im Schweiss badend kleben ihr die Haare, wie ein wirres Ornament um ihr Antlitz. Das lange, rot-schwarze Kleid ist am unteren Saum mehrfach eingerissen, ausgefranst, strassendreckbeschmutzt. Ohne Schuhe, mit roten, aufgeschürften Knöcheln. Ein fieberndes Glück erfüllt sie: Ich will zu Dir! – ich bin bald bei Dir! – dann können wir uns verschmelzend Einswerden. Ungeduld, ungezähmt vorwärtstreibend zwischen vielen Fremden – Gesichter sehen und sogleich übersehen, eigentlich gar nicht sehen. Herzklopfen, Händezittern, ausser Atem sein. Ich will zu Dir! – ich bin nur dieses Wollen und die Erwartung ist schon jetzt der schöne Schmerz der Erfüllung im Beieinandersein. Tapfersein – durchstehen – weitergehen. Nicht mehr sehen – weitergehen - näher kommen.

So berichte ich weiter von dem durch Regenwasser gewellten Papier. Oft sind die Schriften völlig ausgewaschen oder nur fragmentarisch lesbar und ich erkenne dennoch: Von mir steht geschrieben - ich bin es! Ich bleibe die Närrin im Liebeswahn. Der Geliebte ist überall und spricht durch alle Mitmenschen. Bei allen, die sich verabschieden und sagen: «Auf Wiedersehen», vermeine ich zu hören: «Du wirst ihn bald Wiedersehen!» Bekomme ich von einem fremden Chef zu hören: «Auf sie ist kein Verlass!» verstehe ich: «Der Geliebte wird sie nicht verlassen, – bestimmt!» Ja bestimmt, denn mit jedem wiederkehrenden Atemzug und jedem Regentropfen kommst Du zu mir und bleibst bei mir. Auch jedes Lüftchen weht Dich zu mir, Du mein Windbräutigam – Du streichelst und beseligst meine Haut und verzückst mein Innerstes. So bist Du da – leg Dich zu mir in unser Bett und halte mich, komm nahe, erzähl ein wenig, wie es Dir ergangen ist und dann nimm mich……

1. Nachtrag von Unbekannt:

Es ist mir eine Freude, dass ich berichten kann, die Anna nahm meine psychologische Hilfe an. Ich habe ihr alles erklärt: Der Lebensund Liebestrieb als die schönste Krankheit (die einen glauben zwar, es sei das wahre Leben), die Gefühlsduselei wie in den französischen Chansons oder den deutschen, schnulzigen Pop-Songs usw. usw. … Auch die gefundenen Aufzeichnungen mit bombastischen Formulierungen ihrer Herzensregungen grenzen fast an Kitsch und gehören doch eher ins 19. Jahrhundert – ein vernünftiger Mensch von heute macht sich aus der Liebe keine so grosse und schwere Sache. Sie sagte nach jedem Satz nur: «Ach so, Aha, Ach so – ach so». So musste ich ihr den Unterschied von den alten Zeiten zu den modernen verdeutlichen. Früher: Bettina von Arnim an Achim von Arnim: „Ach, ich wollt, ich hing an Deinem Hals, und dürft nur Dich ansehn, bis in den Tod“. Heute: Sie sagt zu ihrem Liebsten: „Wenn ich einmal nicht genau zu dem Zeitpunkt an dem Ort bin, an dem wir uns begegnen wollten, und Du nicht gleich befürchtest, dass mich vielleicht der Tod geholt hat – dann hast Du mich nicht lieb.“ Wieder sagte Anna „ach so“, es schien mir jedoch, sie kann den feinen Unterschied nicht verstehen. Das Gespräch endete in Schweigen. Sie hatte das Malen gelassen und doch noch zu ihrem Martin gefunden, und beide leben jetzt fortwährend bescheiden, zufrieden, ziemlich normal und glücklich zusammen.

2. Anzuzweifelnder Bericht zu der Anna auch von Unbekannt:

Bei der von Sagen umrankten Kirche oberhalb vom Dorf Laudenbach ist sie in einer sehr gegensätzlichen seelischen Verfassung aufgefunden worden. Mal still in sich versunken, mal wiederholend fast trotzig immer vom selben erzählend und sie behauptete unentwegt: „Ich möchte leben wie die Mitmenschen um mich herum und ich habe auch bereits ein verlockendes Ziel, ein viel versprechendes Restaurant (Befremdlicherweise betonte sie dieses Wort so, dass ich hörte: „Rest o Rand“ und gleich an die Traueranzeigen in Zeitungen denken musste) in das ich mich einfügen werde – so gut es mir möglich ist“ und sie zitierte aus einem bunten Werbe-Faltblatt. Die Anna ist dann weitergegangen, und ich kann nicht mehr von ihr berichten. Nur das Faltblatt ist mir geblieben mit den Informationen zum Ort der gesuchten und wohl missglückten Sehnsuchtserfüllung und da ich nur so wenig von ihr habe, will ich wenigstens dieses fast vollständig zitieren – so ist es eben heute an der romantischen Strasse: Herzlich Willkommen! An einer der längsten und schönsten Theken im Taubertal ist jeder Gast zu Hause. Ob beim Bier, Milchkaffee oder einem Glas Wein, hier sitzt man im Mittelpunkt und hat Einblick auf die Wettkämpfe beim Bowling oder Kegeln. Unsere Küche bietet alles, was das Herz begehrt, äussern Sie Ihre Wünsche, wir sind flexibel, vielseitig und gut. Ob Kaffee, Kuchen oder Eisbecher, gemessen Sie einfach in Ruhe den Blick zu den Bergen der Winzer. Auf unseren vier Bowlingbahnen geht es trotz Spannung und Anstrengung sehr gemütlich zu. Die einzigartig bemalten Wände mit ihren Konturen, sowie die bequemen Sitzecken, unterscheiden uns von der herkömmlichen Bowling-Center-Atmosphäre. Im Stammtischbereich trifft man sich zum Plaudern, Kartenspielen oder Essen und kann nebenbei alle Sportevents im Fernsehen live miterleben. Die 4 Bundeskegelbahnen können Sie, ausser an Wettkampftagen, telefonisch buchen. Seltenes Highlight unserer Anlage sind Computerspiele für Hobbykegler, welche den Abend schnell vergehen lassen und für Kindergeburtstage bestens geeignet sind. Von der Theke aus verfolgen Sie spannende Punktspiele der heimischen Mannschaften auf unseren modernen Segmentbahnen. Im Sommer gibt es direkt nebenan die Möglichkeit zum Beach-Volleyballspiel. Unser Saal bietet Familienfeiern und Versammlungen bis zu 85 Personen Platz. Dieser wunderbar helle Raum ist abteilbar und kann somit für zwei kleinere Feiern zeitgleich genutzt werden. Beim Sonntagsbrunch haben Sie direkten Zugang vom Frühstücksbuffet auf unsere Sonnenterrasse.“



In Laudenbach jedenfalls ist die Anna-Chronista nicht mehr.

Am Boden liegt ein beschriebener Zettel und niemand weiß, wo er hingehört – Hölderlin in einem Brief an Neuffer vom 16. Februar 1797: „Wen die Götter lieben, dem wird große Freude, großes Leid zuteil. Auf dem Bache zu schiffen ist keine Kunst. Aber wenn unser Herz und unser Schicksal in den Meeresgrund hinab und an den Himmel hinauf uns wirft, das bildet den Steuermann.“

Von dem sehr kommunikativen Michael von Poser, mit dem ich angeregte Gespräche führte, erhielt ich zu meiner Ausstellungseröffnung 1991 im Schloss Schrozberg die Rede, die er selbst – selbstverständlich nicht schweigend – vorgetragen hatte:

”Die Versorgung mit Schweigen. Bei sintflutartigem Regen ist der Schirm des Schweigens aufzuspannen. Dabei muss überlegt werden, welcher der passende ist. Die Sorten des Schweigens sind nicht gleich gut. Wähle ich das Purpurstoffschweigen oder das aus Segeltuch? In welchen Ausnahmefällen ist das goldene richtig? Wo darf das steinerne angewandt werden, bei dem die ganze Person in der Unlust, Erklärungen abzugeben, halb mitversteinert? Beim Schweigen sind die Form- und Materialfragen viel schwieriger als beim Reden. Dieses geht leicht vor sich, ist in der Regel jetzt elektrisch oder papieren. Man redet, weil es den Anschein hat, dass man am Leben ist, solange man redet. Wer einhält, gibt sich verloren. Der Ankündigung folgt das Werk, dem folgt die Kritik, der folgen die Materialien, wieder eine Kritik, eine Gegenkritik, ein Gespräch, eine Enthüllung, eine Stellungnahme. Bei zu großem zeitlichen Abstand käme jedes in Beziehung zum anderen zu spät. Eine Stellungnahme darf nicht im nächsten Jahr abgegeben werden! Die Stellungnahmen jagen sich und werden doch nie tönend. Würde das auf dem Papier Stehende sich in Schall verwandeln, wäre die Atmosphäre bis zum Rande mit Stimmgewirr gefüllt. Ich höre dieses Stimmgewirr aus Klanglosigkeit, es ist eine spezielle Nervenstörung. Das Schweigen, das mir zur Abwehr dient, trage ich nur ansatzweise in mir, ich muss mir zusätzliche Quarantänen aus weiter Ferne beschaffen, aus Weltraumgegenden, wo ein Sphinxstern einsam steht, unberührt von Konservendosen mit Boogie-Woogie, aus Klostermauern ‚ in denen der Bann der Exerzitien noch herrscht, aus wüster Landschaft und aus Gräbern. Mein Schweigen ist importiert und teuer bezahlt, denn es nimmt die Gedanken hin zu jenen Gebieten, woher es kommt, die voll sind mit Schweigen, und zu ihrem Wahnsinn. Das tiefe Schweigen lässt sich allerdings gut weiterverarbeiten. Man kann nebst Schutzvorrichtungen eine Herme daraus machen, die Ähnlichkeit hat mit den frühen, aus italienischem Boden ausgegrabenen Götterbildern. Deren Mund ist zu einem bösen Lächeln verzogen. Sie haben Jahrtausende in Schutt und Sand gelegen und immer böse gelächelt. Das ist ihre Stellungnahme, sie erklären sich nicht darüber hinaus. Ich habe eine Vorliebe für die schlanke Darstellung des Schweigens, kann aber verstehen, wenn einer Üppigeres will und sich etwa dem Buddha zuwendet. Sein fülliges Schweigen entführt uns ins Wolkenreich jenseits von Leben und Tod, wo es wirklich keinen Zweck hat, erfahren zu wollen, was jemand meint. Es ist so schön, wenn jemand nichts meint und dann darüber auch nicht spricht. Besinnt er sich doch und schreibt auf, was er nicht meint und worüber zu reden er keine Lust hat, dann kann es ein Essaychen werden wie dieses hier, meistens jedoch wird es ein dickes Buch. Gerade die voluminösesten Werke aller Sparten verraten am wenigsten von sich. Und oft ist die kurze Unterbrechung des Schweigens am unangenehmsten. Der Atemlose sagt drei Worte und hat schon alles preisgegeben, schon ist es zuviel, eine kleine, unwillkommene Steigerung der Sturmflut des Redens. Der auf eine Hauswand geschmierte Satz kann den Frieden einer ganzen Gegend stören und ruft den alten Zweifel hervor: Welches Schweigen wäre richtig, um das wieder gutzumachen?“

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