Kitabı oku: «Das Buch der Tiere», sayfa 3

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DIE BUNTEN AMEISEN

AUTOR: Gabriel García Márquez

TITEL: Hundert Jahre Einsamkeit (aus dem Spanischen von Curt Meyer-Clason)

ORIGINALFASSUNG: 1967



In der Betäubung ihrer Leidenschaft sah sie, wie die Ameisen den Garten verwüsteten und ihren prähistorischen Hunger am Holzwerk des Hauses stillten, sie sah den Gießbach der lebenden Lava von neuem die Veranda begraben, doch sie bekämpfte ihn nur, wenn er in ihr Schlafzimmer einbrach.

Nirgendwo anders in der Literatur wird die Macht der Natur so eindrücklich geschildert. Menschen, die von dem da draußen Albträume haben, fürchten sich vor genau diesem Bild: den Fluten von kreuchenden und fleuchenden Insekten, die alles und jeden nicht nur unter sich begraben, sondern auch Stück für Stück verspeisen.

Dieser magische Realismus ist von filmischer Echtheit, und das, obwohl Gabriel García Márquez sich zeitlebens gegen eine Verfilmung seines (buchstäblichen) Jahrhundertromans sträubte.

Und obwohl die Buntheit der bunten Ameisen niemals im Detail besprochen wird: Ist jede einzelne Ameise bunt? Eingefärbt mit Zuckerlösung wie in Pseudowissenschaftssendungen im Fernsehen? Oder handelt es sich bei den hormigas coloradas um einen vielfältigen Schwarm monochromer Individuen, die womöglich die Buntbären bei Walter Moers unbewusst inspirierten?

Es ist eine der vielen Ursulas in Hundert Jahre Einsamkeit, eine Art Stammesmutter, die die Natur über Generationen hinweg noch mit Mühe unter Kontrolle hält. Mit ungelöschtem Kalk, den sie in die Löcher streut, tötet sie die Ameisen ab, ohne die Plage je ganz ausmerzen zu können.

Auch Ursula unterliegt dabei jedoch Regeln des Schicksals. Eine von einem fahrenden Zigeuner ausgesprochene Prophezeiung an die Familie Buendía im Dorfe Macondo besagt: »Der Erste der Sippe wird an einen Baum gebunden, und den Letzten werden die Ameisen fressen«.

Es darf nicht als Spoiler gewertet werden, wenn man andeutet, dass es genauso auch passiert. Und, auch so eine Regel: Nach dem Regen (der immerhin vier Jahre, elf Monate und zwei Tage anhält) muss Ursula, auch wenn es sie anstrengt, sterben.

Das ist das Stichwort für die bunten Ameisen: Plötzlich trauen sich die farbenfroh leuchtenden Tiere, die eben während dieser »Sintflut gediehen waren«, schon tagsüber auf die Veranda, und Ursulas Nachfolgerin Amaranta Ursula schafft es nicht mehr, sie im Keim zu bekämpfen. Sie vergisst beinahe die Kalkkur, kommt mit dem Ausrotten nicht mehr hinterher, und jeder Tag Überleben ist nur ein neuer Stellungskrieg gegen den Wucher der Natur.

Obendrein sind sie auch noch laut und machen ein Getöse, von dem man nachts kaum schlafen kann. Nein, es gibt aus menschlicher Perspektive wirklich nichts Gutes über diese Tiere zu berichten.

Am Schluss haben sie es prophezeiungsgetreu sogar auf Kinder abgesehen – und da hört der Spaß endgültig auf. Genauso übrigens wie die Familie Buendía.

GATTUNG: Solenopsis invicta

LEBENSRAUM: Macondo

ERNÄHRUNG: Allesfresserinnen

ARTENSCHUTZ: nicht empfohlen

HERKUNFT: Regen

BESTES GEGENMITTEL: Kalk

MERKMAL: Leuchten

NATÜRLICHE FEINDIN: Ursula I.

GOTH

AUTOR: Kenneth Oppel

TITEL: Silberflügel (Aus dem Amerikanischen von Klaus Weimann)

ORIGINALFASSUNG: 1997



Goth konnte erkennen, dass sogar einige von den Pflanzen künstlich waren, die Farnwedel steif und geruchlos. Glaubten die Menschen wirklich, er wäre so dumm? Dieser Ort war überhaupt nicht wie sein Zuhause, der wirkliche Dschungel, wo sie ihn vor einem Monat gefangen hatten. Dieser Ort war ein Gefängnis.

Drei Folgen, ein Prequel: In diesem aus Fledermaussicht geschilderten Epos tummeln sich naturgemäß zahlreiche Tiere. Allen voran Schatten, der Protagonist, der sich im Laufe des ersten Teils der Silberflügel-Trilogie vom verniedlichten Flaumbaby zum Mann fledermausert – zum »Batman« sozusagen.

Goth hingegen ist nicht nur ein Tier, sondern auch ein veritabler Schurke. Zu Beginn des vierten Kapitels von Silberflügel flieht er mit seinem Kumpanen Throbb aus einer Art Reptilienzoo und lacht sich den unfreiwilligen Abenteurer Schatten und seine neu gewonnene Freundin Marina an, damit diese ihm den Weg dorthin weisen, wo Schattens Kolonie überwintert.

Goth und Throbb kommen aus dem Dschungel und sind daher nicht für den Winter ausgestattet. Als sie gefangen wurden, hatten sie gewissermaßen keine Zeit zu packen.

Sie unterscheiden sich aber noch durch etwas anderes von den jungen, leicht beeinflussbaren, aber natürlich – Coming-of-age as Coming-of-age can – tapferen und wissbegierigen Jünglingen: Sie sind größer, gefräßiger, haben keine Angst vor Vögeln und ernähren sich bevorzugt von Fledermausfleisch. Genau, Goth ist ein Vampir, ein Kannibale vor dem Herrn.

Ach ja, apropos Herr: Auch das bietet Stoff für eine Kontroverse. Denn der Kampf zwischen Gut und Goth, also zwischen Schatten und Böse, ist auch ein religiöser: Während die Silberflügel an Nocturna glauben, eine Nachtgöttin, die ihnen angeblich versprochen hat, eines Tages wieder die Sonne sehen zu dürfen und vielleicht gar zu Menschen zu werden, ist Goth ein Anhänger von Cama Zotz und hält sich großspurig für dessen Auserwählten im Kampf gegen alle anderen Tierarten. Auch die Frage, ob die Menschen nun grundsätzlich helfen oder grundsätzlich schaden wollen, spaltet die Ideologien. Wenn die Tiere nur wüssten, dass diese Frage echt nicht so einfach zu beantworten ist!

Goth ist schlau, aber empathielos. Seinen Kollegen Throbb unterdrückt er permanent mit der Drohung, ihn aufzufressen. Schatten und Marina lässt er lange in dem Glauben, auf ihrer Seite zu stehen, während er insgeheim schon wie Gargamel das Fledermausmenü plant. Fun Fact: Auf den Seychellen ist bat curry auf den Speisekarten der meisten Restaurants zu finden.

Wie viele gute Antagonisten wird Goth von den Haupthelden längere Zeit für tot gehalten, ist aber nicht umzubringen. Je nachdem, ob man ihn fürchten oder verlachen möchte, sollte man sich den lateinischen Namen seiner Gattung, Vampyrum spectrum, vor Augen führen oder den prosaischeren deutschen: Große Spießblattnase.

GATTUNG: Vampyrum spectrum

LEBENSRAUM: Dschungel

GESCHLECHT: Männchen

ERNÄHRUNG: Glanzflügelfledermäuse

SCHWÄCHE: friert leicht

STÄRKE: gute Echoortung

TIER/SCHURKE-SCORE: hoch

RELIGIONSBEKENNTNIS: c.z. (Cama Zotz)

FROSCH

AUTOR: Haruki Murakami

TITEL: Frosch rettet Tokyo (aus dem Japanischen von Ursula Graefe)

ORIGINALFASSUNG: 2000



Nennen Sie mich bitte einfach Frosch«, sagte der Frosch mit kräftiger, sonorer Stimme.

Es ist verständlich (und »Verständnis ist äußerst wichtig«, sagt Frosch), dass Haruki Murakami nach dem fatalen Erdbeben von Kyoto am 17. Januar 1995 Angst hatte. Gleich mehrere seiner Geschichten kreisten um das Beben, auf Deutsch sind sie im Band Nach dem Beben zusammgefasst.

Die Schreckensfantasie, es könnte auch Japans Hauptstadt Tokio treffen, teilt Murakami mit einer seiner Hauptfiguren, dem Bankangestellten und Schuldeneintreiber Herrn Katagiri.

Ihm – uns allen! – zur Erleichterung eilt ein mannshoher Frosch mit Schwimmhäuten zwischen den Händen. Der erklärt Herrn Katagiri, er brauche seine Hilfe beim unterirdischen Kampf gegen Wurm, den Wurm, der nämlich sonst am 18. Februar 1995 die Erde bei Tokio zum Erbeben bringen und 150.000 Todesopfer fordern würde.

»Sind Sie ein echter Frosch?«, fragt ihn Katagiri. »Natürlich, das sieht man doch«, antwortet Frosch. »Keine Metapher, kein Zitat, keine Dekonstruktion, keine Attrappe oder sonst etwas Kompliziertes. Ein Frosch, wie er leibt und lebt. Soll ich mal ein bisschen quaken?«

»Keine Metapher«, das ist natürlich gelogen. Der Frosch symbolisiert unsere innere Kaulquappe, indem er sich aus Katagiris Fantasie heraus entpuppt hat und ausgerechnet den gesellschaftsscheuen Durchschnittsmenschen, der keine Freunde und keine Frau hat, zum Anfeuern für den ultimativen Kampf benötigt.

Ein Superheld auf glitschiger, lurchiger Unterlage. Ein Superheld aber auch, der Tolstoi und Dostojewski liest und selbstironisch sagt: »Es ist eine Frage der Männlichkeit. Ich habe ja leider keine. Hahaha.« Ein perfekter Freund.

Murakami wäre nicht Murakami, würde diese epische Schlacht tatsächlich stattfinden (dann wäre er J.K. Rowling oder J.R.R.R. Martin oder ein anderer Autor mit Initialen als Vorname). Denn am Abend davor erleidet Katagiri einen Zusammenbruch. Als er im Spital erwacht, ist der Kampf vorbei. Frosch besucht ihn und dankt ihm für seine Mithilfe, die wohl eine rein geistige, traumartige war. Frosch ist daher auch so müde, dass er neben dem Krankenbett einschläft, übersät von Wunden, Beulen und Striemen.

Und dann, dann platzt Frosch. Ja, einfach so. Und mit wohligem Grinsen erkennen wir, dass Frosch, der Frosch von seinem Schöpfer nur ersonnen wurde, damit der ihn am Ende platzen lassen konnte. Murakami wäre nämlich auch nicht Murakami, wenn er einen Frosch vorkommen ließe, der kein veritabler Knallfrosch ist.

GATTUNG: Anura

LEBENSRAUM: Tokio

GRÖSSE: > 2 m

STIMME: kräftig und sonor

LACHEN: laut und hell

ERNÄHRUNG: Tee

SYMBOLFAKTOR:

BESTER-FREUND-DES-MENSCHEN-FAKTOR:

LIEBLINGSBUCH: Anna Karenina

NATÜRLICHER FEIND: Wurm

C. LACHRYPHAGUS

AUTORIN: Andrea Grill

TITEL: Das Paradies des Doktor Caspari

ORIGINALFASSUNG: 2015



Mein Verhältnis zu diesen Schmetterlingen gleicht, könnte man sagen, und nicht einmal nur in Retrospektive, nein, bis jetzt, bis zu diesem Augenblick, in dem ich das niederschreibe, einer Ehe im Sinne Dostojewskis; große Gefühle, endlose Missverständnisse, Enttäuschungen, Erklärungsversuche, Geldknappheit – und all das zu niemandes Nutzen, weder für mich noch für andere.

Doktor Franz Wilhelm Caspari hat diese Schmetterlinge wiederentdeckt, er hat ihnen das Leben gerettet – kein Wunder, dass da eine besondere Bindung entsteht. Und das, obwohl keiner von ihnen einen Namen hat, alle nur nach Geburtstag, Häutungsdatum und Anzahl der Verpaarungen katalogisiert werden, ein kurzes Leben leben und er sie auch so pragmatisch entsorgt, dass seine Freundin Shambhavi ihn für herzlos hält. Aber schließlich haben Falter ja auch kein Herz, oder?

Auf der Insel Mangalemi im Indischen Ozean hat er sich verschanzt, wie einer dieser durchgeknallten Wissenschaftler, die an atomaren Weltherrschaftsplänen brüten. Aber Caspari brütet nur Schmetterlinge. Er ist Biologe, arbeitet an seinem großen Durchbruch. Der Haken dabei: Dass die als ausgestorben geltende Art Calyptra lachryphagus von ihm neu belebt wurde, darf noch keiner wissen.

Auch die Menschen im Ort kennen nicht die ganze Wahrheit. Sie halten den etwas über Dreißigjährigen für einen schrulligen Kulturphilologen, weil er so gerne ihre Begräbnisse besucht. Der wahre Grund für den Trauerfetisch ist aber ein anderer: Casparis Schmetterlinge ernähren sich von den Tränen der Menschen.

Als daher eine Zeit lang niemand auf der doch überschaubaren Insel stirbt, sieht Franz Wilhelm sich gezwungen, ins Gefühlsleben etwa seiner Haushälterin vorzudringen und sie mit geschürten Sorgen über ihre kranke Mutter zum Heulen zu bringen. Evil scientist und Emo in einem. »Der Tod erleichtert mir das Leben«, schreibt Caspari einmal.

Durch die salzhaltige Ernährung gestärkt, pflanzen sich die Lachryphagen (der Name sagt es eigentlich: Tränenfresser, schade nur, dass unter den Insulanern offenbar niemand Altgriechisch gelernt hat) fort und sterben dann auch bald.

»Ohne sich anzusehen hängen sie aneinander, die Leiber verbunden, festgesaugt, rühren sich nicht, berühren sich nur an einer einzigen Stelle; Kuss fiele mir ein, das Wort; schwer zu lösen, Austausch von Körperflüssigkeiten, eine Eigenart von Kuss. Wäre eine nicht unzutreffende Beschreibung, aber verboten in meiner Art Wissenschaft.«

Nun, deshalb hat die Österreicherin Andrea Grill die Biologie auch zugunsten der Belletristik hinter sich gelassen. Der eloquenteste Schmetterlingsfanatiker unter den Schreibenden wird zwar noch länger Vladimir Nabokov bleiben, aber Grill flattert ziemlich eifrig mit ihren bunten literarischen Flügeln.

SPITZNAME: Mützchen

ANZAHL BISHER: 38669

LEBENSRAUM: Mangalami, Indischer Ozean

ERNÄHRUNG: Tränenflüssigkeit

HOBBY: Knutschen

ARTENSCHUTZ: empfohlen, aber gar nicht so einfach

BESTER-FREUND-DES-MENSCHEN-FAKTOR:

Die
Kreuchenden
und Fleuchenden


DIE SCHLANGE

TITEL: Das Alte Testament

(aus dem Althebräischen, Altaramäischen und Altgriechischen von Martin Luther)

ORIGINALFASSUNG: ca. 440 v. Chr.



Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von den Früchten der Bäume im Garten?

Wie sah die Schlange wohl früher aus, als sie beim Herrn noch nicht in Ungnade gefallen war?

Die Geschichte ist bekannt, es ist gewissermaßen die älteste Geschichte der Welt (auch wenn das natürlich überhaupt nicht stimmt, es ist sehr schwer, die Entstehungsgeschichte des Alten Testaments festzunageln). Adam und sein Weib – das zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal einen Namen brauchte – tollten nackt, unschuldig und glücklich durchs Paradies. Das klügste Tier im Garten war auch gleichzeitig das fieseste. Unter anderem konnte es sprechen und verführte die namenlose Frau zum Ungehorsam, nämlich dazu, die Früchte vom Baum der Erkenntnis zu pflücken und zu essen, obwohl der Herr ihnen das extra verboten hatte. Es war die Schlange.

Daraufhin erfand der Herr die Plagen Schwangerschaft und Arbeit. Vor allem aber machte er Adam und Eva Beine und nahm der Schlange die ihren weg. »Auf deinem Bauche sollst du gehen und Erde essen dein Leben lang« sagte er (»Eat that!«, rufen bis heute gehässige Sieger englischer Zunge). »Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Samen und ihrem Samen. Derselbe soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.«

Vermutlich eher in umgekehrter Reihenfolge. Diesen letzten Satz jedenfalls musste er der Schlange wahrscheinlich nicht zweimal sagen, ihr prominentestes Opfer sollte die ägyptische Königin Kleopatra VII. werden.

Aber wie war das vorher? Wie viele Beine hatte die Schlange? Zwei, vier? War der erste Verführer des Christentums vielleicht ein Tausendfüßler?

Bald schon im Alten Testament bekommt die Schlange Gelegenheit, sich mit Zauberkunststückchen zu rehabilitieren. Als Moses sich fürchtet, das Volk Israels anzuführen und zu erretten, weil man ihm dies nicht zutrauen würde, lässt der Herr ihn seinen Hirtenstab zu Boden werfen. Er verwandelt sich in eine Schlange; als er die am Schwanz packt, wird sie wieder zum Stock.

Der »falschen Schlange« hilft das wenig. Spätestens im Neuen Testament identifiziert das Christentum sie endgültig mit Satan. Seither packen Mafiosi sie in Kartons und legen sie vor Türen Einzuschüchternder, um Zeichen zu setzen. Vor Apotheken windet sie sich lasziv und macht Werbung für die Pharmaindustrie.

Bei den alten Hopi-Indianern war die Schlange noch ein Fruchtbarkeits-symbol, wurde sie doch mit der Nabelschnur verglichen. Nun, dieses Verhältnis ist seit Langem vergiftet.

GATTUNG: Serpens satanicus

LEBENSRAUM: Paradies

SOZIALVERHALTEN: inakzeptabel

WWF-FAKTOR:

FABELTAUGLICHKEIT:

BEINE: hm, schlechtes Thema

ERSTES KUNSTSTÜCK: der Stocktrick

ERNÄHRUNG: Fersen

NATÜRLICHER FEIND: der Herr

JÖRMUNGANDR

AUTOR: Snorri Sturluson

TITEL: Prosa-Edda (aus dem Altisländischen von Karl Simrock)

ORIGINALFASSUNG: ca. 1220



Die Midgardschlange speit Gift aus, daß Luft und Meer entzündet werden; entsetzlich ist ihr Anblick, wenn sie dem Wolf zur seite kämpft.

Erstaunlich, wofür es alles eine eigene Bezeichnung gibt. Ein Ouroboros (Plural: Ouroboroi) ist wörtlich übersetzt ein Schwanzverzehrer.

Und jetzt bitte hier keine kannibalistischen Sexfantasien.

Gemeint ist ein Tier (häufiger jedoch ein Bild von einem Tier), das sich selbst in den Schwanz beißt und folglich den Eindruck kreisförmiger Unendlichkeit erweckt. Solche Ikonografien gab es schon im alten Ägypten.

Jörmungandr, die Midgardschlange, muss also Hobbyägyptologin gewesen sein und sich gedacht haben: Das probiere ich auch. Dabei umschlang sie die ganze Welt.

Die Seeschlange ist die gemeinsame Tochter des göttlichen Scherzkekses Loki und der Riesin Angrboda, geboren nach dem Wolf Fenrir und vor dem … undefinierbaren Zwischenwesen Hel. Ein mittleres Kind also, dessen Name »Erdenzauberstab« oder »gewaltiges Ungeheuer« bedeuten kann: Da sind die Probleme vorprogrammiert, vor allem bei so einem Riesenbaby, das dafür schon sehr früh, spielerisch und durch praktische Anwendung lernt, dass die Erde keine Scheibe ist.

Einmal lässt sich Jörmungandr in eine Katze verwandeln, die aber auch nicht weniger riesig ist. Thor soll die Katze anheben, um seine Stärke zu beweisen, und schafft immerhin ein Bein – wahrscheinlich kann Jörmungandr vor dem Hintergrund ihres gewohnten Schlangendaseins mit Beinen nicht so gut umgehen (und doch gibt es Gemälde davon – von einem gewissen Johann Heinrich Füssli!).

Ein andermal erschreckt sie Thor und den Riesen Hymir bei deren Angelausflug, als sie sich von ihnen in ihrer gigantischen, wahrhaft welthaltigen Größe aus dem Wasser ziehen lässt. In altnordischen Zeiten wurde kein Motiv so oft bildnerisch verewigt wie dieses.

Am Ende der Welt schließlich, zur Ragnarök, der Götterdämmerung, großspurig auch »Weltenbrand« genannt, wird die Midgardschlange den Himmel vergiften. Sie wird nebenbei auch Thor vergiften, der aber gerade lange genug durchhalten wird, um – bei ihrer dritten Begegnung – der Schlange mit seinem berühmten Hammer (genannt: Mjölnir) den Garaus und danach noch genau neun Schritte zu machen, bevor alles, alles endet.

Und eine neue Welt entsteht. Vielleicht ist die ja dann gut genug, um von wohlmeinenderen Ouroboroi umarmt zu werden.

GATTUNG: Serpens ouroboros?

LEBENSRAUM: die ganze Welt

NAMENSBEDEUTUNG: Erdenzauberstab

BERUF: Kosmologin

ÖKOLOGIEVERSTÄNDNIS: umfassend

FABELTAUGLICHKEIT:

SOZIALVERHALTEN: FREE HUGS

ERNÄHRUNG: Schlangenschwanz

NATÜRLICHER FEIND: der Hammer

DIE STRUDLHOF-SCHLANGE

AUTOR: Heimito von Doderer

TITEL: Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre

ORIGINALFASSUNG: 1951



Ein graues Schleppen und Ziehen geschah auf dem erdigen Hang und von da an in den Zipfel der versumpften Stelle hinein; und jetzt auch schon auf der anderen Seite wieder heraus. Da hatte René den Kopf der schlange bereits entdeckt, der größten, die ihm je in freier Natur begegnet war.

Dieser eine Moment in der Pubertät, der das ganze Leben verändert, den man nie vergessen und der das Erwachsenenleben prägen wird! Nicht der erste Kuss oder etwas ähnlich Konkretes – sondern etwas, das, obwohl es einen nicht erkennbar betrifft, tiefe Wunden der Rührung hinterlässt.

Heimito von Doderer schaut mithilfe eines gigantischen Exemplars der Gattung Tropidonotus natrix in geradezu satanischer Manier ins Innere seiner Figur René Stangeler. Obergescheit, wie der 16-jährige Gymnasiast nun einmal ist, kennt er natürlich sofort den lateinischen Namen seiner bahnbrechenden Entdeckung, ist sich aber nicht sicher, ob er sie auf Deutsch als Lindwurm, Natter oder Blindschleiche bezeichnen soll. Oder – wenn man Doderers obsessiven Fetisch kennt: vielleicht ja als Drachen. Denn nichts anderes ist diese Schlange für den Verfasser als das Maximum an Fantasy, das er sich in sein hyperrealistisches, komplexes Monumental-psychogramm einer Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts einzufädeln erlaubte.

»René fühlte jede Bewegung der Natter, als sei er’s selbst, der sie ausführte, nur gleichsam umgeschlagen in sein Inneres: das Treffen auf ein Hindernis beim Kriechen, Ast oder Stein, während der lange Leib noch in Bewegung blieb und sich in engeren Windungen hinter dem zögernden Kopfe nachdrückend staute, das plötzliche Vorgleiten des nun gestreckten Halses aus dem entstandenen Knäuel heraus und dessen Übergehen in flachere Bogen, Schub um Schub …«

Und so weiter. Erotik pur. Stangeler überlegt denn auch, dass »eine Ringelnatter von solcher Ausgewachsenheit Schnürungen an seinen Armen bewirken könnte, die weit wirksamer wären als jene, wie sie auch die kleineren Stücke des öfteren versucht hatten«. Was immer er genau damit meint, jedenfalls entbrennt – kurz bevor er dann das Mädel Paula Schachl kennenlernt – »Liebe zu dem Tier«.

Die hält aber nicht allzu lange, denn bald schon wird ihm bewusst, »daß er hier zum ersten Male beim Anblick einer Schlange Ekel empfand. Vielleicht weil sie so groß war.« Vielleicht hält es die Online-Ausgabe der Welt deshalb für angemessen, von einer Würdigung ebendieser Szene durch den Autor Daniel Kehlmann direkt auf die Schlagzeile »Riesenschlange verschlingt Känguru auf Golfplatz« zu verlinken.

In diesem Wald, in der ekligen Natur jedenfalls, beginnt der Ernst des Lebens für René Stangeler. Wiewohl am Land, »schaltet« Doderer in Renés Kopf von diesem Sündenfall direkt weiter zur Assoziation von »Rampe über Rampe, Bühne über Bühne«. Und dort schlängelt sich – genau – die Strudlhofstiege.

GATTUNG: Tropidonotus natrix

LEBENSRAUM: Österreich

GIFTIG: nein

STÄRKE: windige Wendigkeit

FABELTAUGLICHKEIT:

BEUTESCHEMA: Stangeler

ERFOLGTE HÄUTUNGEN: >100

FASCHINGSKOSTÜM: Drache

₺669,87
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
288 s. 115 illüstrasyon
ISBN:
9783903005877
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