Kitabı oku: «Das Lachen des Schmetterlings», sayfa 2
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Das Geheimnis des Bergmonsters
„Kiara, hast du alles gepackt?“
Kiki, die nur von ihrer Mutter Kiara genannt wurde, sah ein fünftes Mal ihren Koffer durch. „Ja, es ist alles drin!“, schrie sie die Treppe hinunter.
Ihre Familie wollte nämlich in den Urlaub und drehte deshalb vollkommen durch. Ihre Mutter war hysterisch und hatte Angst, etwas zu vergessen. Ihr Vater sah sich tausendmal die Strecke an, die sie fahren wollten. Sie hatten zwar ein Navi, aber dem traute er nicht über den Weg. Ihrem kleinen Bruder Kai war das alles egal. Er las wie immer sein Micky-Maus-Heft und überlegte sich wahrscheinlich schon die nächsten Streiche, die er seiner Schwester spielen wollte. Das war eines seiner größten Hobbys.
Was er ihr nicht alles schon angetan hatte. Das Schlimmste war bis jetzt gewesen, als er Farbe in ihr Shampoo gemischt und sie mit lilafarbenen Haaren in die Schule gemusst hatte. Das war kein schöner Tag für Kiki gewesen.
Kiki freute sich vor allem auf den Urlaub, weil sie mit den Beckers fuhren. Die Beckers waren eine befreundete Familie, allerdings mit zwei Jungs. Jonas war der jüngere, acht Jahre wie Kikis kleiner Bruder. Sein älterer Bruder war Christian und der war Kikis bester Freund. Solange sie denken konnte, hatten Christian und sie alles zusammen gemacht. Und jetzt fuhren sie sogar gemeinsam in den Urlaub.
Nur war der Ort nicht unbedingt das, was sie wollten. Wandern in den Bergen war nicht unbedingt die Aktivität, die die beiden sich ausgesucht hätten. Nur waren ihre Eltern unheimlich begeistert von der Idee.
Endlich ging es los. Sie setzten sich ins Auto und Kiki steckte sich direkt ihre Kopfhörer in die Ohren. Ihren kleinen Bruder wollte sie nicht ständig quasseln hören.
Sie schmiedete Pläne, was sie mit Christian alles anstellen könnte. Sie würde ihn erst in dem gemeinsamen Ferienhaus treffen. Tja, was sollte man schon in den Bergen anstellen? Gab es da noch was außer Wiesen und Hügeln?
„So, alle aussteigen!“
Kiki erschrak. Sie war eingeschlafen und wurde von den lauten Worten ihres übermotivierten Vaters aufgeweckt.
Mit verschlafenen Augen sah sie aus dem Autofenster und entdeckte ein kleines Haus. Es sah eigentlich gar nicht schlecht aus. Neben dem Haus war ein kleiner Spielplatz und von dem führte ein Weg in den Wald. Alles in allem ganz nett.
Kiki stieg aus und im selben Moment drückte Christian die Tür vom Haus auf und schrie begeistert ihren Namen. Die Beckers waren offenbar vor ihnen angekommen.
Am Abend grillten sie alle miteinander und Michael, Christians Vater, begann am Lagerfeuer, eine Geschichte zu erzählen.
„Kennt ihr die Geschichte vom Bergmonster?“ Alle schüttelten den Kopf.
Kiki liebte seine Geschichten, die hatte sie schon immer gemocht.
„Nun gut, also, die geht so: Ein verliebtes Pärchen machte eines Abends einen gemeinsamen Spaziergang ...“
„Ihhh“, schrie Jonas. „Ich hasse Liebesgeschichten.“
Michael schnaubte. „Nun hör doch erst mal zu. Also, sie tätigten einen gemeinsamen Spaziergang. Während sie liefen, kamen sie an einen See und setzten sich auf den Steg. Auf einmal hörten sie ein Rascheln. Erst dachten sie, es wäre nur ein kleines Tier, aber dann wurde das Rascheln lauter. Es musste ein großes Tier sein. Sie bekamen es beide mit der Angst zu tun und beschlossen, auf schnellstem Weg umzukehren. Doch immer wieder hörten sie dieses Rascheln. Sie wagten es nicht, sich umzuschauen. Irgendwann wurde der Mann zu neugierig und wandte sich doch um. Er sah ein Monster, doppelt so groß wie er selbst, und es bestand aus purem Stein. Jetzt sah auch die Frau hinter sich und sog scharf die Luft ein. Das Paar schaute einander an, drehte sich um und rannte weiter. Plötzlich stolperte die Frau und dann ...“
Kai fing an zu kichern. „War ja klar, immer diese Weiber.“
Jetzt schnaubte auch Kiki. „Oh Mann, Kai, du machst die ganze Spannung kaputt. Du bist so nervig.“
Michael stand auf und setzte sich zwischen die beiden Streithähne. „So, soll ich jetzt weitererzählen?“
Beide nickten mit rotem Kopf.
„Die Frau stolperte also, dann stellte sich das Steinmonster vor sie hin. Der Mann flehte das Monster an, seine Freundin in Ruhe zu lassen, doch es war zu spät. Die Augen des Ungetüms fingen an zu leuchten und die Frau versteinerte. Der Mann wurde wütend und versuchte, das Monster mit anderen Steinen zu erschlagen. Doch kein Stein war groß genug und das Wesen zerschmetterte einen nach dem anderen. Schließlich gab der Mann auf und rannte weg. Doch das Monster verfolgte ihn weiter. Der Mann wusste, dass er es nicht ansehen durfte, sonst würde auch er zu Stein werden. Doch das Ungetüm trickste ihn aus. Der Mann versteckte sich hinter einem Baum, als er wieder das Rascheln des Monsters hörte. In einer Pfütze sah er das unheimliche Wesen und dessen leuchtende Augen. Doch nun passierte etwas Seltsames. Der Mann wurde nicht zu Stein, sondern er verwandelte sich ebenfalls in ein Steinmonster. Was danach geschah, weiß niemand.“
„Cool“, sagte Christian und selbst Jonas und Kai waren beeindruckt.
„Schade, dass es so was nicht in Wirklichkeit gibt“, überlegte Kiki.
„Woher willst du das wissen?“, fragte Michael. „Die Geschichte steht in einem Buch über Sagen und Legenden aus den Bergen. Wer weiß, vielleicht läuft das Steinmonster hier in diesem Wald hinter uns herum.“
Jetzt fingen alle an zu lachen und Jonas und Kai spielten die Geschichte nach. Natürlich war Kai das Steinmonster.
Am nächsten Tag fuhren sie gemeinsam mit dem Fahrrad an einen Bergsee. Der war toll, es gab eine kleine Rutsche und einen Felsen, von dem aus man ins Wasser springen konnte. Die Mütter hatten ein riesiges Picknick vorbereitet, es gab von Wassermelone bis hin zum Hähnchenschenkel einfach alles. Da es wirklich warm war, machte es gar nichts aus, dass der See eiskalt war.
Ursprünglich war der Plan gewesen, noch ein kleines Stück zu wandern, aber allen gefiel es dort so gut, dass sie bis zum Abend blieben.
Jonas und Kai taten so, als wäre der See derjenige aus Michaels Geschichte. Die beiden Jungs hatten so einen Spaß bei ihrem Spiel, dass sie alle mit ansteckten. Schließlich waren ihre Väter die Bergmonster und jagten die Kinder. Auch Kiki und Christian ließen sich mitreißen und zum Schluss rannten alle wie wild durch die Gegend. Doch bei ihnen verloren die Bergmonster. Sie wurden von den Kindern gekonnt in den See geschubst.
Als sie spät am Abend bei ihrem Ferienhaus ankamen, schliefen alle direkt ein. Kiki hatte feststellen müssen, dass die Berge bis jetzt gar nicht mal so schlecht waren.
In der Nacht wachte Kiki wegen eines Geräuschs auf. Sie stupste Christian an. „Du, hör mal! Was ist das?“
Christian sah sie verwirrt an und begann zu lauschen. Er fing an zu grinsen und sagte: „Das Bergmonster.“
Kiki schlug ihm auf die Schulter. „Hör auf, das ist nicht witzig. Komm, lass uns mal schauen.“
Beide stiegen aus ihren Betten und schlichen vor die Tür. Man sah nichts, deshalb gingen sie ein paar Schritte weiter. Und was sie dann entdeckten, hätten sie sich nie vorstellen können. Das konnte doch nicht wahr sein ... das Steinmonster ging am Spielplatz vorbei in Richtung Wald!
Sie mussten hinterher. Heimlich schlichen sie weiter, immer wieder hinter einem Baum in Deckung gehend.
„Du, ich habe eine Idee“, meinte Christian. „Wenn man sich in ein Steinmonster verwandelt durch einen Blick auf sein Spiegelbild. Vielleicht verwandelt es selbst sich dadurch ja in einen Menschen zurück.“ Das hielt Kiki für eine gute Idee.
Sie lockten das Wesen durch Steine, die sie warfen, in Richtung Bergsee. Doch irgendwann wurde das Monster wütend. Kiki und Christian rannten, so schnell sie konnten, und sprangen in das eiskalte Wasser. Das Monster stapfte ihnen hinterher und erblickte prompt sein eigenes Spiegelbild. Es begann zu schreien. Doch was weiter geschah, sahen die Freunde nicht.
Am anderen Ende des Sees verließen sie das Wasser, rannten zu ihrem Haus zurück und legten sich schnell wieder ins Bett.
Am nächsten Morgen waren sich beide nicht sicher, ob sie sich das ganze Geschehen vielleicht nur eingebildet hatten.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Kikis Vater stand auf und öffnete sie. Christian und Kiki spitzten die Ohren.
Vor der Tür stand ein Mann, der verwahrlost und verwirrt aussah. „Hallo, es mag merkwürdig klingen, aber glauben Sie mir, ich sage die Wahrheit. Ich war ein Monster und jetzt bin ich wieder ein Mensch.“
Kiki und Christian sahen sich geschockt an. Es war also doch kein Traum gewesen ...
Anna Wissenbach ist gebürtige und vor allem stolze Hessin. Schon in frühen Kindheitstagen fing sie an, sich die wildesten Geschichten auszudenken und niederzuschreiben. Heute hat sie sich ganz dem Fantasy-Genre verschrieben. Ihre erste Kurzgeschichte wird im Frühjahr 2018 veröffentlicht.
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Kathi und die Königin
„Hast du für mich auch einen solchen Hut?“, fragte Kathi ihren Opa. Heute durfte sie ihm bei der Honigernte helfen.
„Ja, da, und steck den Saum des Schleiers unter deinem Jackenkragen fest.“
Kathi setzte den Strohhut mit der breiten Krempe auf und Opa überprüfte, ob zwischen dem Bienenschleier und dem Jackenausschnitt auch keine Lücke klaffte. Dann nahm er etwas zur Hand, das aussah wie eine Blechdose mit einem schrägen Ausblasrohr. Er tat eine Handvoll Hobelspäne hinein und zündete sie an. Bald quoll Rauch aus dem Rohr des Miniöfchens.
„Wozu ist der Rauch gut?“, fragte Kathi.
„Die Bienen glauben, ihre Wohnung brennt, geben Feueralarm und bereiten die Flucht vor. Als Wegzehrung saugen sie sich schnell mit Honig voll. Damit sind sie so beschäftigt, dass sie gar nicht erst auf die Idee kommen, uns zu stechen. Das Ding da heißt übrigens Smoker.“ Opa betätigte den kleinen Blasebalg der Rauchdose und qualmte ein wenig in die Einfluglöcher seiner Bienenstöcke hinein. „So, wenn ich jetzt den ersten Stock aufmache, kannst du räuchern“, sagte Opa und reichte Kathi den Smoker. Die probierte den Blasebalg gleich einmal aus. Pft, pft, pft, das machte Spaß!
Opa hatte den Deckel der ersten Bienenbehausung abgenommen. Magazinbeute nannte man das, erklärte Opa, sie bestand aus gefalzten Holzzargen, die aussahen wie Holzkisten ohne Boden und Decke. Man konnte sie aufeinanderstapeln und ineinanderklinken. Drei Stockwerke hatten Opas Bienenbeuten. In jede dieser Zargen waren zehn Honigwaben eingehängt. Das waren rechteckige Holzdinger, die aussahen wie Bilderrahmen, und in diese Rahmen hatten die Bienen ihre Wachswaben gebaut und mit Honig befüllt. An der Oberseite stand der Holzrahmen beidseitig ein Stück vor, damit man ihn in die Zarge einhängen konnte. Opa hob Wabe um Wabe aus der Zarge und schüttelte die Bienen, die auf ihnen herumkrabbelten, ab, zurück in ihren Stock. Die hartnäckigen, die sich nicht abschütteln ließen, kehrte er mit einem schmalen Handbesen von den Waben ab. Die sauberen Waben verstecke er eilig vor den Bienen in einer verschließbaren Transportkiste.
Kathi drückte eifrig den Blasebalg und ließ Rauchwölkchen um Rauchwölkchen aufsteigen. „Gut machst du das“, lobte sie Opa.
„Wo ist eigentlich die Königin?“, fragte Kathi.
„Im Brutnest, das ist meistens in der untersten Zarge, also im Erdgeschoss des Bienenstocks, den Honig lagern die Bienen darüber. Schauen wir einmal, ob wir sie finden.“ Und wirklich, auf einer Wabe in der Mitte des Brutnests entdeckte Opa die Königin. Sie war deutlich größer als ihre Arbeiterinnen und trug ein gelbes Plättchen auf dem Rücken. „Heuer ist die Jahresfarbe Gelb. An der Farbe erkennt man, wie alt die Königin ist. Die da ist in diesem Jahr geschlüpft, deswegen habe ich ihr ein gelbes Plättchen aufgeklebt.“ Neugierig musterte Kathi durch ihren Bienenschleier hindurch die Bienenkönigin. „Herrscherin und Mutter von rund vierzigtausend Bienen. Nur die Königin kann Eier legen, die anderen Bienen tun die Arbeit. Lauter Damen übrigens. Die Männchen heißen Drohnen und sind nur für die Fortpflanzung da, als lebender Genpool sozusagen. Im Herbst werden sie aus dem Stock geworfen, denn im Winter wären sie nur unnütze Fresser.“
„Ja, das hat uns die Frau Lehrerin in der Schule auch schon erzählt. Aber eine lebendige Bienenkönigin hat noch niemand aus meiner Klasse gesehen,“ meine Kathi voller Stolz.
„So, fertig!“ Opa schloss die Bienenbeute und karrte mit Kathi die Wabenkiste ins Haus. Jetzt konnte es losgehen mit dem Schleudern und Honigschlecken!
Franziska Bauer, geboren 1951 in Güssing, wohnhaft in Großhöflein (Nähe Wien), Gymnasiallehrerin im Ruhestand, Tochter und Ehemann, literarisch tätig, schreibt Lyrik, Essays und Kurzgeschichten, veröffentlicht in Zeitschriften und Anthologien, Mitglied der Schreibinitiative beim Literaturhaus Mattersburg.
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Beste Freundin
„Eva, hast du gestern Tarzan in Gefahr gesehen?“, fragt Manuela.
Wir spazieren durch den lichten, kleinen Eichenwald am Rande unseres Dorfes. Manuela geht zwei Meter vor mir. In ihrer rechten Hand hält sie einen Stock, den sie energisch schwingt und hin und wieder gegen Sträucher und Baumstämme schlägt.
„Ja“, antworte ich geistesabwesend, denn in meiner Fantasie bin ich momentan nicht Eva, sondern eine wunderschöne Prinzessin. Dieser Wald hier gehört zu meinem riesigen Reich. Manuela ist mein persönlicher Leibwächter, hält mir den Weg frei und beschützt mich vor Schlangen und Wölfen. Es belustigt mich, dass Manuela nichts von der Rolle weiß, die ich ihr insgeheim zugeteilt habe.
„Und ist dir etwas an Tarzan aufgefallen?“, stört Manuela mich schon wieder. Ihre Stimme klingt ungeduldig. „Na? Ob dir etwas aufgefallen ist, will ich wissen.“
In so einem Ton redet doch kein Leibwächter mit seiner Prinzessin!
„Nein“, sage ich und fühle mich unbehaglich.
„Dann hör mir jetzt gut zu.“ Manuela bleibt abrupt stehen, dreht sich um und fixiert mich aus blauen Augen. Fast wäre ich gegen sie gerannt. „Ich war der Tarzan im Fernsehen!“ Triumphierend streckt sie ihr Kinn nach vorne.
„Blödsinn. Du bist doch viel kleiner als der Tarzan.“
„Ich bin auf Stelzen gegangen und auf einem Schemel gestanden“, sagt sie schnell und blinzelt mich listig an. „Natürlich immer so, dass die Zuseher es nicht erkennen können.“
„Ach, Manuela, du bist ein Mädchen, hast blonde Haare ... du bist das Gegenteil von Tarzan!“ Ich schüttle den Kopf, gehe an ihr vorbei und weiter den Waldweg entlang.
„Schon etwas von Schminke gehört und von Perücken? Glaub mir, Eva, die können viel, die vom Fernsehen. Sie haben mich so gut geschminkt, dass ich wie Tarzan aussah. Echt, ich schwöre!“, läuft sie aufgeregt neben mir her. „Da, schau!“ Sie überholt mich, stellt sich mir in den Weg und zieht den rechten Ärmel ihres Pullovers hoch. Ich sehe einen großen blauen Fleck auf ihrem Oberarm. „Hier haben mich die Elfenbeinjäger verletzt, als sie mich gefangen nahmen. Zum Glück hat Chita mich dann befreit.“ Manuela öffnet weit ihren Mund, legt ihre Hände darum, wirft den Kopf in den Nacken und brüllt: „AAUUAAUUAA! Das war der echte Tarzanschrei. Na, was sagst du jetzt?“
„Du hast Mundgeruch“, erwidere ich trocken.
Manuela sieht mich böse an. „Du bist nicht mehr meine beste Freundin“, zischt sie, schlägt wütend mit ihrem Stock auf einen Baumstumpf, knapp vorbei an einer Weinbergschnecke, die sich sogleich in ihr Gehäuse zurückzieht. Manuela hält kurz inne und schlägt dann leicht auf das Schneckenhaus ein.
„Aber, Manuela, was machst du da?“
„Komm raus, Schnecke“, sagt Manuela streng. „Niemand ist sicher in seinem Haus – auch du nicht.“ Sie schlägt fester zu. Die Schale splittert. Ich sehe nackte, feuchte Schneckenhaut schimmern.
„Spinnst du?!“, rufe ich fassungslos.
„Ah, wegen einer Schnecke regst du dich auf. Aber dass mich die Elfenbeinjäger gestern schwer verletzt haben, das ist dir egal.“ Manuela schleudert ihren Stock in einen Strauch. „Du bist echt keine Freundin.“
Ich kann nichts sagen, meine Kehle ist wie zugeschnürt, ich bin schockiert und traurig. Was ist nur los mit Manuela? Seit einigen Wochen verhält sie sich ganz anders als früher. Von einer Sekunde auf die andere wird sie wütend und ungerecht, dann wieder ist sie ganz still und traurig. Und nie, niemals hätte sie früher einem Tierchen etwas zuleide getan so wie vorhin der Schnecke.
Da biegt plötzlich ein Radfahrer in den Waldweg ein und bremst, als er uns sieht. Es ist Max aus der Klasse über uns, den weder Manuela noch ich leiden können.
„Guten Tag, die Damen“, grinst er und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
„Auf Wiedersehen, der Herr.“ Manuela zieht mich am Ärmel. „Komm, Eva, gehen wir.“
Doch Max fährt langsam neben uns her, als wir losgehen. „Wie geht es deinem Stiefvater? Hat er sich schon erholt?“, fragt er Manuela, die starr geradeaus blickt und schneller geht. „Ich habe ihn nämlich gesehen, weißt du“, sagt Max nun im Plauderton an mich gewandt, „gestern Morgen, als ich auf dem Weg zur Schule war.“
„Hör sofort auf, sei still!“, schreit Manuela mit plötzlich hochrotem Gesicht und schubst Max so fest, dass er beinahe vom Rad fällt.
„Er ist mitten auf dem Gehsteig gelegen. Stockbesoffen ...“
„Halte deinen Mund, du ... sonst ...“ Manuela hebt blitzschnell einen großen Stein auf, hält ihn in Wurfposition.
Max schaut Manuela an, den Stein, dann mich. „Such dir besser eine andere Freundin“, ruft er mir zu, während er sein Rad wendet und wegfährt. „Die da ist ja echt das Letzte.“
Manuela lässt den Stein fallen und brüllt Max nach: „Und du bist das Allerletzte!“ Zu mir sagt sie: „Du glaubst doch diesem Lügner nicht.“ Tränen treten in ihre Augen. Sie wischt sie weg, doch es kommen immer neue.
Sie tut mir leid. Deshalb muss ich auch weinen. „Komm, vergiss es, gehen wir zu mir“, sage ich.
Schweigend laufen wir den Waldweg entlang, dann durch die zwei kurzen Gassen bis zu meinem Elternhaus. Meine Mama arbeitet gerade im Garten, sie winkt uns zu und lächelt, als sie uns kommen sieht. Ich stürze mich in ihre Arme.
„Meine Kleine.“ Sie drückt mich zärtlich an sich und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Dann schaut sie Manuela an, die blass und verweint aussieht. „Manuela, schön, dass du zu uns kommst“, sagt Mama. Sie streicht ihr sanft übers Haar.
Manuela wischt sich über die Augen.
Mama geht vor ihr in die Hocke, nimmt sie an den Händen. „Liebes“, sagt sie, „ich weiß nicht, was passiert ist, sehe aber, dass du sehr traurig bist. Du weißt, du kannst jederzeit mit mir reden. Über alles.“
Ich liebe Mama in diesem Moment so sehr, dass es in meinem Bauch ganz warm wird und kribbelt.
Manuela nickt, schaut zu Boden und schweigt.
Mama geht mit uns ins Haus hinein. Wir essen gemeinsam Kuchen, trinken Saft und spielen dann mit meiner Katze Mira. Später sitzen Manuela und ich in meinem Zimmer und malen. Ich male eine wunderschöne Prinzessin, die alleine in ihrem gepflegten Schlossgarten unter einem Baum steht. Manuela lässt auf ihrem Blatt Papier eine dunkelrote Sonne in einem wilden tiefblauen Meer versinken.
„Hast du gestern nach Tarzan Superman in Not gesehen?“, fragt Manuela plötzlich.
„Superman? Kam gestern gar nicht.“
„Doch, um acht Uhr. Ich weiß es ganz sicher, denn ich war Superman.“
Ich sage nichts, tauche den Pinsel ins Wasser, dann in die schwarze Deckfarbe und beginne, zum Schutze der Prinzessin eine hohe Mauer um den königlichen Garten zu malen.
„Du glaubst mir nicht! Dabei bin ich auch über euer Haus geflogen. Ich habe sogar an dein Fenster geklopft, aber du hast schon geschlafen. Über das ganze Dorf bin ich geflogen. Ich habe Saltos geübt, hoch oben, und dann habe ich mich an der Kirchturmspitze verletzt. Es hat sehr wehgetan. Da, schau her, wenn du mir nicht glaubst!“ Sie springt auf, wendet mir den Rücken zu und zieht ihren Pullover bis zu ihren Schulterblättern hoch.
Erschrocken erkenne ich blaue Flecken und rote Striemen auf Manuelas Haut.
„Und, glaubst du mir jetzt?“ Manuela zieht den Pullover wieder hinunter, dreht sich zu mir um.
„Manuela, wer hat das getan?“
„Du bist so gemein!“ Meiner Freundin schießen Tränen in die Augen. „Ich habe dir doch vorhin erzählt, wie es passiert ist. Nie glaubst du mir. Du bist nicht mehr meine beste Freundin!“ Sie greift fahrig nach ihrem Zeichenblatt, zerknüllt es und wirft es auf mich.
Abwehrend fange ich es mit der linken Hand. Das Blau des Meeres rinnt vermischt mit dem Rot der Sonne über meinen Handrücken.
Manuela wendet sich ab, geht zum Fenster und starrt hinaus. Ich sehe auf meine Zeichnung. Sie gefällt mir nicht. Die Prinzessin wirkt einsam hinter der dunklen Mauer. Ich zerknülle das Papier. Und plötzlich weiß ich ganz genau, was ich tun muss.
„Doch, Manuela“, sage ich und gehe zu ihr ans Fenster. „Doch, ich bin deine beste Freundin. Und Freundinnen sind immer füreinander da. Bitte, reden wir mit Mama. Sie kann uns helfen, das weiß ich.“
Manuela sagt lange nichts, dann fragt sie mit ganz leiser Stimme: „Meinst du wirklich?“
„Ganz bestimmt“, sage ich. „Komm!“
Ich nehme sie an der Hand, wir gehen zu Mama. Und dann erzählt Manuela. Sie erzählt, dass ihr Stiefvater in letzter Zeit oft zu viel Alkohol tränke und dass er dann sie und ihre Mama schlüge, dass ihre Mama sich von ihm trennen wolle, es aber noch nicht geschafft habe. Und sie sagt zu mir, dass sie das mit dem Tarzan und dem Superman nur erfunden habe, weil sie sich geschämt hätte für ihren Stiefvater. Und dass es ihr leid tue wegen der Schnecke und weil sie in den letzten Wochen so oft gemein zu mir gewesen sei.
Ich umarme sie und sage ihr, dass ich das alles verstehe. Und Mama erklärt, dass sie sehr stolz wäre auf uns beide. Auf Manuela, weil sie so mutig sei und uns alles erzählt habe, und auf mich, weil ich mich so verhalten hätte, wie sich eine echte Freundin verhalten müsse.
Mama telefoniert anschließend lange mit Manuelas Mama. Wir dürfen inzwischen einen lustigen Zeichentrickfilm ansehen, essen Chips und streicheln Mira, die mit dem hinteren Teil ihres Katzenkörpers auf meinem Schoß und mit ihrer vorderen Hälfte auf Manuelas Schoß liegt und schnurrt.
Mama setzt sich nach dem Telefonat zu uns und sagt, dass Manuelas Mama sich nun endgültig von Manuelas Stiefvater trennen würde. Die Polizei und der Frauenschutz würden sie dabei unterstützen. Manuelas Mama würde noch heute Abend zu uns kommen. Erstens, weil sie Manuela sehen und in die Arme schließen wolle, und zweitens, weil sie Kleidung, Spielzeug und Schulsachen von Manuela vorbeibrächte, denn, wenn wir beide damit einverstanden seien, würde Manuela so lange bei uns wohnen, bis alles geklärt, der Stiefvater ausgezogen und alle seine Sachen aus Manuelas Haus geräumt wären.
Manuela strahlt. Ich freue mich. Und ob wir damit einverstanden sind! Wir fallen zuerst Mama um den Hals und dann umarmen Manuela und ich einander und Manuela flüstert mir ins Ohr: „Eva, du bist meine aller-, aller-, allerbeste Freundin.“
Claudia Dvoracek-Iby, geboren 1968, verheiratet, zwei Kinder, wohnhaft in Wien. Veröffentlichte bereits mehrere Kurzgeschichten in diversen Anthologien.
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