Kitabı oku: «Gott finden. Wie geht das?», sayfa 2
1
DIE ORDNUNG IN DER NATUR UND IM MENSCHEN
DAS GROSSE »VON-SELBST«
Kosmos und Natur
Wie immer der Kosmos auch entstanden ist: durch »Zufall«, aus einer Energie, durch den Urknall oder durch einen Schöpfungsakt. Logisch einsichtig scheint zu sein, dass das Nichts nicht »knallt«. Wo nichts ist, knallt auch nichts. Aus dem Nichts kann nichts werden. Es sei denn, ein Schöpfer kann aus nichts etwas machen (creatio ex nihilo). Evident ist, dass der Kosmos da ist und sich seit seiner Entstehung in einem ständigen Entwicklungs- und Werdeprozess befindet. Der Kosmos dehnt sich bis heute aus. Sagen wir, er wäre mit dem Urknall entstanden (einige Forscher bezweifeln diese These), dann dehnt er sich seit etwa 14 Milliarden Jahren bis heute kontinuierlich aus: und zwar teilweise mit einer größeren Geschwindigkeit als mit der Lichtgeschwindigkeit, und das sind circa 300.000 Kilometer pro Sekunde. Eine gigantische Dimension. Dieser Prozess geschieht »von selbst«. Der Mensch hat ihn nicht in Gang gesetzt, er kann ihn nicht machen und ihn auch nicht aufhalten. Wenn jemand fragen würde, warum das geschehe, könnte man ihm wohl keine Antwort geben. Die Welt ist einfach entstanden. Andere würden vielleicht sagen, jemand habe sie in Gang gesetzt, geschaffen. Das könnte eine plausible Antwort sein, muss es aber nicht. Andere Erklärungsversuche sagen: Der Anfang bleibt im Dunklen.
Die Planeten haben ihre Bahnen. In den Millionen von Galaxien zeigt sich eine große Ordnung, sonst würde das System kollabieren. Die Gravitationskraft spielt für die Bahnen der Himmelskörper eine zentrale Rolle. Diese Ordnung ist nicht starr vorgegeben, sondern flexibel. Innerhalb der Ordnung gibt es auch Unordnung, Chaos und Zufall. Aber eben nur innerhalb der Ordnung. Wäre alles Zufall, gäbe es den Zufall nicht, und die Welt könnte nicht existieren. Wenn die Sonne zufällig einmal im Osten, einmal im Süden, im Norden oder Westen aufginge, wäre zumindest unser Sonnensystem nicht mehr existent.
Die Sonne geht im Osten auf. Das heißt, sie geht gar nicht auf, sondern es sieht nur so aus. Wir wissen heute, dass sie im Bezug zur Erde stillsteht und die Erde sich um sie dreht. Kosmologisch – und letztlich auch theologisch – ist es sinnvoll, dass die Sonne im Mittelpunkt des Sonnensystems steht und nicht die dunkle Erde. Das war der Paradigmenwechsel vom geozentrischen Weltbild (mit der Erde im Mittelpunkt) zum heliozentrischen (mit der Sonne im Mittelpunkt). Die Sonne »erleuchtet« die Welt. Sie gibt der Erde Licht und Wärme. Ohne Licht gibt es kein höherentwickeltes Leben: Pflanzen, Tiere und Menschen brauchen dieses Licht und auch eine bestimmte Temperatur, dazu den angemessenen Luftdruck und ein passendes Klima.
Die Sonne scheint immer, auch wenn sie hinter den Wolken oder nachts nicht zu sehen ist. Sie scheint »von selbst«. Niemand schaltet sie ein oder aus. Durch die Erddrehung sind immer Teile der Erde im Schatten. Der Schatten, den wir Nacht nennen, ist jene Seite der Erde, die sich von der Sonne weggedreht und »abgewendet« hat. Der Schatten kommt durch das Licht zustande. Ohne Licht gibt es keinen Schatten. Wenn alles dunkel ist, gibt es keinen Schatten. Der Schatten deutet auf das Licht hin. Der Schatten und das Dunkle sind dort, wo das Licht nicht hinkommt. So ist es jedenfalls kosmologisch. Die Sonne ist immer da und scheint, sie verschwindet nicht, sie kann gar nicht verschwinden. Es sei denn, das Ende der Welt wäre gekommen. Physiker und Astronomen sagen, dass der Energievorrat der Sonne begrenzt ist und sie ein Ende haben wird, selbst wenn es erst in Milliarden von Jahren der Fall sein wird. Das wäre auch das Ende des Lebens auf der Erde.
Die Erde ist ein kleiner Teil dieses riesigen Sonnensystems und ein verschwindend geringer des gesamten Kosmos. Astronauten sagen, die Erde sei von außen betrachtet wunderschön und wirke sehr zerbrechlich. Bilder aus dem Weltraum bestätigen das. Bislang ist die Erde der einzige Planet, von dem wir wissen, dass auf ihm Leben in dieser komplexen Weise existiert. Dazu braucht es die Sonne als Licht-, Wärme- und Energiespender, es braucht Wasser, unter anderem, damit die Pflanzen Photosynthese betreiben können. Pflanzen sind eine besondere Grundlage des Lebens. Der grüne Blattfarbstoff Chlorophyll verwandelt Sonne, Wasser und Kohlendioxid in Stärke, also in Zuckermoleküle, die sich in der Pflanze, in Bäumen oder im Gras anreichern. Kühe und andere Tiere können dann zum Beispiel das Gras fressen (Menschen nicht, weil ihnen bestimmte Enzyme fehlen) und beziehen daraus Energie für ihr Leben. Menschen können andere Pflanzen oder auch Tiere essen. So ergibt sich folgende Kaskade: Sonnenenergie wird in Lebensenergie der Pflanze verwandelt (Stärke, Zucker) und diese liefert die Energie für Tiere und Menschen.
Interessant für die gesamte Ordnung der Welt ist, dass Pflanzen Kohlendioxid (CO2) aufnehmen und Sauerstoff (O2) abgeben, während der Mensch O2 aufnimmt und CO2 abgibt. Es sieht so aus, als hätte die Welt nicht nur eine Ordnung, sondern auch eine große innere Logik. Diese Logik drückt sich in den Naturgesetzen aus, die der Mensch nicht gemacht hat, die er aber erforschen kann. Die »Bio-logie« erforscht diese Logik des Lebens. Die Ordnung des Lebens ist Voraussetzung dafür, dass Leben existieren und dass Naturwissenschaft betrieben werden kann. Wäre die Welt nicht geordnet, könnte man in China nicht dieselbe Forschung betreiben wie in Europa. Umgekehrt: Naturwissenschaftliche Forschung kann weltweit nur betrieben werden, weil die Naturgesetze überall auf der Welt gelten. Dies erklärt den Siegeszug der Naturwissenschaften, dass sie eben auf der ganzen Welt betrieben und ihre Ergebnisse in internationalen Journalen publiziert werden können.
Zusammengefasst: Der Kosmos ist nicht aus sich selbst heraus. Er kommt von woanders her. Er ist einfach entstanden oder geschaffen worden, jeder mag hier seine Perspektive einbringen und für sich schauen, ob diese Sicht logisch begründbar ist. Aus nichts wird nichts, das Nichts knallt nicht, das scheint evident zu sein. Die Griechen meinten noch, der Kosmos sei ewig. Das scheint naturwissenschaftlich-kosmologisch widerlegt zu sein. Der Kosmos und die Erde (als ein Teil von ihm) haben einen Anfang und werden auch ein Ende haben. Er unterliegt einem Entwicklungs- und Werdeprozess, das ist das Anzeichen von Endlichkeit in Raum und Zeit. Er trägt das Phänomen des »Von-Selbst« in sich: Planetenbahnen, Sonnenschein, Regen, Wetter, Klima geschehen von selbst, der Mensch kann diese Prozesse nicht machen, aber teilweise beeinflussen und die natürlichen Abläufe gravierend verändern. Selbst vermeintlich kleine Temperaturschwankungen von ein bis zwei Grad können verheerende Folgen für das Klima auf der Erde habe. Daran erkennt man, wie fein abgestimmt dieser ganze Prozess ist. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass er überhaupt funktioniert.
Organismus und Mensch
Auch im menschlichen Organismus gibt es diese Ordnung. Da ist zunächst die Ordnung der Natur und des Lebendigen, in der vieles von selbst abläuft. Der Organismus organisiert sich dabei von selbst: Das Herz schlägt von selbst, die Leber entgiftet den Körper, auch die anderen Organe funktionieren von selbst. Diese Ordnung beginnt sogar schon viel früher: bei der Befruchtung. Hier finden männliche Samen und weibliche Eizelle von selbst zueinander. Wahrscheinlich durch einen Vorgang, den man Chemotaxis nennt. Die Eizelle lockt die Spermien durch Duftstoffe an, ein Spermium dringt dann in die Eizelle ein. Wenn dieser Mechanismus nicht funktioniert, findet keine Befruchtung statt. Sollte ein Spermium z. B. aufgrund möglicher genetischer Schäden nicht in der Lage sein, die dicke Hülle der Eizelle zu durchbrechen, findet ebenfalls keine Befruchtung statt.
Der Embryo wächst von selbst heran: zwei Zellen, vier Zellen, acht Zellen. Aristoteles nennt das die Selbstbewegung des Lebendigen. Es ist ein dynamischer Entfaltungsprozess: Aus wenigen Zellen entwickelt sich von innen heraus ein ganzer Organismus. Die Zellen differenzieren sich beim Menschen ab dem fünften Tag der Embryonalentwicklung in circa 220 verschiedene Zelltypen. Auch diese Zelldifferenzierung geschieht von selbst. Der Organismus als Ganzer steuert den Prozess. Man spricht von der »Selbstorganisation des Organismus«.
Die Zelldifferenzierung geschieht durch sogenannte epigenetische Einflüsse. Diese aktivieren oder inaktivieren Gene. Jede Zelle (mit einigen Ausnahmen) hat dieselbe genetische Grundausstattung und die verschiedenen Zelltypen kommen durch An- oder Abschalten von Genen zustande. Das ist beim Embryo so und später haben auch der Lebensstil, die Umwelt und die Innenwelt des Menschen mit seinem Denken und Fühlen Einfluss auf diese Schaltprozesse. Das bedeutet, dass die Information im Organismus ein »dialogisches« Geschehen zwischen Genetik und Epigenetik darstellt. Diesem Dialog liegt die Ganzheit des Organismus zugrunde. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile oder sogar etwas ganz anderes13: der eine Organismus in der Verschiedenheit der Verschaltungsebenen.
Das »Von-Selbst« geschieht auch auf anderen Ebenen: Ab der vierten Schwangerschaftswoche fängt ein bestimmter Zelltypus von selbst »zu zucken« an. Er tut das dann circa siebzigmal in der Minute und – wenn es gut geht – achtzig oder neunzig Jahre lang. Es sind dies die Herzzellen. Das Herz schlägt von selbst. Auch andere Systeme des Organismus funktionieren von selbst: Das Immunsystem, das Verdauungssystem, die Atmung, die Reparaturmechanismen von Zellen und Geweben. Ohne ein gut funktionierendes Immunsystem, das Bakterien, Viren und andere Fremdstoffe abwehrt, können wir nicht überleben. Das Infektionsgeschehen mit Corona-Viren angesichts der gerade aktuellen Corona-Pandemie zeigt es: Hier reagiert das Immunsystem manchmal zu stark und wendet sich gegen den eigenen Körper. Auch die Sinne funktionieren von selbst: Augen »sehen«, Ohren »hören«, Finger tasten von selbst. Genau genommen sehen nicht die Augen, sondern der Mensch sieht mit Hilfe der Augen, hört mit Hilfe der Ohren und tastet mit Hilfe der Finger.
Ob diese Ordnung und
der Logos auch im
menschlichen Geist
anzutreffen sind.
Zusammengefasst: Auf der Suche nach Phänomenen, die auf einen absoluten Seinsgrund oder etwas Göttliches hindeuten könnten, wurden Phänomene der Ordnung und des »Von selbst« im Kosmos und im Organismus beschrieben. Die erste Frage ist die von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 –1716), warum die Welt überhaupt ist und nicht vielmehr nichts, die zweite ist jene, woher denn die Naturgesetze kommen und als Drittes ist die Beobachtung festzuhalten, dass die Prozesse der Natur weithin von selbst ablaufen, wenn sie nicht vom Menschen zerstört werden. Je nach Perspektive kann man nun sagen, dass das so ist und nicht weiter begründet werden kann, oder man kann zurückgehen auf einen letzten Seinsgrund, aus dem alles entsprungen ist. Dies könnte man dann als Schöpfung bezeichnen. Will man zurückgreifen auf alte Schöpfungsmythen, also Geschichten von der Schöpfung im Alten Testament, dann heißt es dort: Die Erde war wüst und leer, es herrschte Chaos (Tohuwabohu), der Geist Gottes schwebte über den Wassern und schuf aus dem Chaos Ordnung und Kosmos. Hier wurde also eine ordnende Kraft angenommen und ein Logos, der den Naturgesetzen vorausgesetzt ist. Im Folgenden wollen wir hinschauen, ob diese Ordnung und der Logos auch im menschlichen Geist anzutreffen sind.
DIE ORDNUNG DES GEISTES – ASYMMETRIE DER WELT
Will man sich dem menschlichen Geist und damit auch dem Innenleben des Menschen zuwenden, stößt man auf Gedanken und Gefühle. Es geht dabei darum, Gedanken und Gefühle im Inneren wahrzunehmen und sie zu ordnen. Was die Gedanken betrifft, so kann man z. B. darauf achten, logisch zu denken und sich nicht in Widersprüche zu verwickeln. Dass dieses widerspruchsfreie Denken möglich ist, liegt daran, dass der menschliche Geist schon eine Ordnung in sich trägt. Eine erste Form dieser Ordnung des Geistes zeigt sich in der Asymmetrie der Welt. Zu den Gefühlen kommen wir später.
Die Asymmetrie besteht darin, dass die Lüge die Abweichung von der Wahrheit ist und nicht umgekehrt. Das Unrecht ist die Abweichung vom Recht, das Unglück die Abweichung vom Glück, Krankheit die Abweichung von Gesundheit und nicht umgekehrt. Die Orientierung geschieht am Positiven. Es ist der Maßstab der Beurteilung, sonst könnten wir uns in der Welt gar nicht zurechtfinden. Die Wahrheit ist Anzeichen ihrer selbst und des Gegenteils, so heißt es bei Thomas von Aquin (1225 –1274). Wenn man fragt, warum das so ist, kann man wohl wiederum keine Antwort geben außer jener, dass dies daher kommt, weil die Welt so eingerichtet ist. Es gibt Phänomene, die aus sich selbst heraus einsichtig sind, ohne eigens begründet werden zu können, wie eben Axiome in der Mathematik.
Denken kann man nur mit Worten. Worte drücken etwas aus, was in Begriffe gefasst werden kann. Begriffe bilden Wirklichkeit ab und weisen gleichzeitig über sich hinaus. Wenn jemand sagt, dass er krank sei, hat er eine Vorstellung von Gesundheit. Wenn jemand sagt, etwas sei ungerecht, hat er zumindest eine Ahnung von Gerechtigkeit. Vom Negativen aus kann man sich dem Phänomen oft besser nähern, als wenn man eindeutig definieren will, was nun Gerechtigkeit, Glück oder Gesundheit ist. Große Phänomene wie Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit kann man nicht eindeutig fassen. Gleichzeitig haben die »negativen« Begriffe wie Ungerechtigkeit, Unglück, Krankheit auch eine ethische Komponente: Sie besagen implizit, dass eigentlich Gerechtigkeit, Glück und Gesundheit die Normalität sein sollten. Noch einmal anders ausgedrückt: Der Begriff »blind« besagt, dass ein Mensch eigentlich sehen können sollte. Ihm fehlt etwas, er hat einen Mangel. So fragte ein Arzt früher seinen Patienten: Was fehlt ihnen? Der Patient könnte dann sagen: Ich weiß es nicht genau, was mir fehlt, aber ich fühle mich krank, mir fehlt Gesundheit. Es handelt sich um einen Mangel. Im Zusammenhang mit der Ethik sagt Thomas von Aquin, dass das Böse ein Mangel an Gutem sei. Man könnte auch sagen, dass das Böse das pervertierte Gute sei. Es zieht die Kraft aus dem Guten und verdreht (pervertiert) es dann.
Es gibt ein Reich der
Natur, das sich weithin
von selbst organisiert,
und ein Reich der
Freiheit, das mit
Entscheidungen des
Menschen zu tun hat.
Während Naturprozesse – wie schon gesagt – von selbst ablaufen, muss man sich zur Ordnung des Geistes aktiv verhalten. Man kann der Wahrheit zustimmen, oder sie ablehnen. Man kann lügen und ungerecht handeln. Hier kommt die Freiheit des Menschen ins Spiel und mit dieser Freiheit die Verantwortung. Es gibt ein Reich der Natur, das sich weithin von selbst organisiert, und ein Reich der Freiheit, das mit Entscheidungen des Menschen zu tun hat. Der Mensch orientiert sich dabei am Positiven und muss sich entscheiden, ob er diesem Guten folgen will oder nicht.
Das Streben nach Wahrheit und Erkenntnis ist ein Grundphänomen des menschlichen Geistes. Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen«, so hat es Aristoteles formuliert.14 Menschen wollen wissen, wie sich die Dinge verhalten, wie sie wirklich sind. Dieses Wissenwollen ist letztlich die Suche nach der Wahrheit. Auch der Naturwissenschaftler sucht implizit nach der Wahrheit, wenn er wissen will, wie sich die Dinge verhalten. Allerdings findet er immer nur partielle innerweltliche »Wahrheiten«, nicht die ganze Wahrheit.
Diese persönliche
Wahrheitssuche spitzt
sich zu in der Frage,
wer ich »in Wirklichkeit«
bin. Dies ist ein
lebenslanger Prozess.
Es ist ein Weg der
»Selbstentdeckung«.
Der Mensch kann nicht nur über die Phänomene der Welt nachdenken und nach der Wahrheit draußen suchen, sondern er kann sich auch über sein eigenes Leben Gedanken machen und nach der eigenen Wahrheit suchen. Er kann sogar darüber nachdenken, dass er über sich nachdenkt. Er hat diese Möglichkeit zur doppelten Reflexion. Reflexion kommt vom lateinischen Wort reflectere und das heißt: sich nach innen beugen. Dieses »Sich-nach-innen-Beugen« kann bedeuten, über sich nachzudenken, es kann aber auch heißen, sich zu sammeln, still zu werden, zu meditieren oder zu beten. Es kann weiterhin meinen, darauf achtzugeben, was in mir vorgeht, welche Gedanken, Worte und Gefühle in mir aufsteigen. Der Einzelne kann die Welt draußen wahrnehmen und auch sich selbst. Er kann auf die Suche nach sich selbst gehen. Diese persönliche Wahrheitssuche spitzt sich zu in der Frage, wer ich »in Wirklichkeit« bin. Dies ist ein lebenslanger Prozess. Es ist ein Weg der »Selbstentdeckung«.
Diese Selbstentdeckung geht Hand in Hand mit der Entdeckung des Anderen und der Entdeckung der Welt. Der Begriff sagt es bereits: Es ist eine »Ent-deckung«, also ein schrittweises Wegziehen der Decke, die zunächst etwas zugedeckt hat. Dieser Begriff der Entdeckung zielt auf den griechischen Begriff von Wahrheit ab: A-letheia, die »Un-verborgenheit«. Das Verborgene kann schrittweise ans Licht treten und entdeckt werden. Zum einen geht es von selbst, zum anderen kann sich Mensch dazu entscheiden. In einem wunderbaren Wort hat der Kirchenlehrer Augustinus von Hippo (354 – 430) das so ausgedrückt: Die Wahrheit bricht sich Bahn. Dem, der sich ihr öffnet, eröffnet sie sich, dem, der sich ihr verschließt, verschließt sie sich.
Das heißt einerseits, dass sich die Wahrheit von sich aus langsam im Leben Bahn bricht, und andererseits, dass sich der Einzelne aktiv an diesem Wahrheitsfindungs- und Selbsterkennungsprozess beteiligen kann. Weiterhin bedeutet es, dass diese Wahrheit nicht nur einen momentanen Zustand des Menschen abbildet, sondern einen Weg der Wahrheitsfindung beschreibt. In Anlehnung an Begrifflichkeiten des Philosophen Martin Heidegger kann man diesen Prozess der Wahrheitsfindung auch als »Wahrheitung« bezeichnen, oder mit einem Verb ausdrücken: Es »wahrheitet«, es »be-wahrheit-et« sich. Die Wahrheit kann sich im Leben zeigen und bewahrheiten, das heißt, sie kann sich als richtig erweisen. Jede »kleine Wahrheit« kann dabei den Weg zur »ganzen Wahrheit« immer mehr eröffnen. Manchmal kommt die Wahrheit von selbst ans Licht, dann wieder sucht der Mensch nach ihr. Manchmal allerdings bringt der Mensch der ans Licht drängenden Wahrheit auch Widerstand entgegen.
Das liegt daran, dass diese Wahrheit über das eigene Leben nicht immer angenehm ist. Sie lässt den Einzelnen die eigenen Schwächen, Ängste, Sorgen und Unvollkommenheiten unverstellt sehen. Der Mensch kann diese Schwachstellen besser annehmen, wenn er sich von einem letzten Seinsgrund unbedingt angenommen und in ihm geborgen weiß. In dem Ausmaß, in dem er sich sicher ist, angenommen zu sein, kann sein Vertrauen ins Leben wachsen. Selbstannahme ist hier ein anderes Wort für Selbstliebe. Selbstannahme und »Selbst-Wahrheit« im Sinne von Ehrlichkeit sich selbst gegenüber machen den Menschen frei. Er braucht dazu das notwendige Vertrauen, sich seiner Wahrheit stellen zu dürfen. Wahrheit in diesem Sinne ist keine tote philosophische Buchwahrheit, sondern eine lebendig wirkende Wahrheit im Menschen, die sich Stück für Stück zeigt und der sich der Menschen immer mehr öffnen kann. Dies ist ein dialogisches Geschehen. Je mehr der Mensch bereit ist, sich vertrauensvoll seiner eigenen Wahrheit und der Wahrheit »hinter allem« zu öffnen, desto mehr Klarheit gewinnt er über das eigene Leben.
Der Mensch kann diese
Schwachstellen besser
annehmen, wenn er
sich von einem letzten
Seinsgrund unbedingt
angenommen und in
ihm geborgen weiß.
Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück und nehmen eine andere Perspektive ein: Schon das kleine Kind strebt nach Erkenntnis, indem es Dinge anfasst und begreifen will. Es will wissen, wie die Welt ist. Es will aber auch wissen, wer es selbst ist. Es kommt ja gewissermaßen aus der Fremde zu sich selbst zurück. Eltern haben es gezeugt, es spricht zunächst so über sich, wie die Eltern über ihr Kind sprechen: »Hans Auto putt gemacht«. Erst mit der Zeit lernt es »Ich« zu sagen. Dieses Wissen- und Erkennen-Wollen geschieht im Alltag. Je nach Interesse will das Kind oder der Jugendliche genauer wissen, wie sich die Dinge verhalten. Dieses »Wissen-Wollen« kann sich später in einer Lehre oder einem Studium fortsetzen, indem der Erwachsene zu erkennen versucht, wie die Phänomene zusammengehören und welche (Natur-)Gesetze in ihnen wirken. So entwickelt sich schrittweise ein tieferes Verständnis für die Dinge. Womöglich geht das Wissen-Wollen weiter bis hinein in die Philosophie, die danach fragt, warum die Dinge überhaupt sind (Leibniz). Schließlich kann dieses Wissen-Wollen auch in theologische Fragen münden, die nach den »ersten und letzten Dingen« fragen: Was war vor der Erschaffung der Welt und was ist nach dem Tod, warum gibt es das Leid, was ist der Sinn meines Lebens und wer bin ich?
Eine gute Theologie
sollte den Menschen
zu diesem
Weiterfragen
ermutigen.
Wer immer weiter fragt und nach tieferen »Be-gründ-ungen« sucht, kommt schließlich auf einen letzten Grund. Diesen letzten Grund nennen alle Gott, so hat es Thomas von Aquin für das Christentum formuliert, aber jeder ihn nennen, wie er mag. Im Weiterfragen zeigt sich, dass der Mensch implizit nach diesem letzten Grund Ausschau hält, und sich fragt, was die Welt im Innersten zusammenhält, wie es der Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749 –1832) formuliert hat. Die Fragen drängen den Menschen immer weiter nach vorne. Eine gute Theologie sollte den Menschen zu diesem Weiterfragen ermutigen und ihm helfen, weiterzufragen nach den letzten Gründen des Seins. Diese Form des Weiterfragens könnte schon Kindern beigebracht werden, anstatt ihnen zu sagen: Fragt nicht so viel. Es wäre pädagogisch wichtig, das Neugierde-Verhalten und das Interesse von Kindern zu stärken und sie zum Weiterfragen zu ermutigen. Sie könnten so womöglich zu einem Staunen über die Welt und das eigene Dasein gelangen. So hat es jedenfalls Immanuel Kant zusammengefasst: Was mich am meisten fasziniert, ist der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.15
Das Weiterfragen hängt damit zusammen, dass der Mensch von seiner Geiststruktur her nach Erkenntnis sucht und auf das Absolute hin ausgerichtet ist. Er kann das Relative nur als relativ erkennen, weil er immer schon im Raum des Absoluten steht. So hat es der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 –1831) formuliert. Der nach Erkenntnis Strebende findet in allem Endlichen ein »Zuwenig« und strebt darüber hinaus. Das Absolute – so hatten wir gesagt – ist in den Phänomenen der Welt und im Weiterfragen zu finden. Es kann durch Reflexion ans Licht geholt werden. Es ist als Grund von allem immer da und in allem gegenwärtig. Man kann es durch Weiterfragen finden, aber es kann sich auch von selbst in anderer Weise zeigen.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.