Kitabı oku: «Museumsschiff», sayfa 4
»Ende der Warpphase«, sagte jemand, dessen Stimme mir bekannt vorgekommen wäre, wenn sie nicht aus dem Inneren meiner Rückenlehne gesprochen hatte.
Ich kniff die Augen zu und öffnete sie behutsam wieder. Die Formen der Brücke, die vorübergehend einem Weichzeichner zum Opfer gefallen waren, hatten sich wieder präzisiert. Jennifers Pferdeschwanz schwang in einer Pendelbewegung aus, deren Beginn in eine andere Epoche gefallen war. Jenseits der großen Bugscheibe waren zehntausend Galaxien an der gleichen Stelle festgefroren, die sie vor dem Sprungversuch innegehabt hatten. Unser Versuch war fehlgeschlagen.
»Scheiße«, stöhnte ich. »Was ist schiefgegangen?«
Die beiden Pilotinnen widmeten sich ihren Instrumenten. Sie waren unansprechbar wie Mütter, die sich über ihre Kinderwägen beugen. Neben mir löste Reynolds seinen Gravitationsgurt. Er aktivierte seine Konsole und begann schweigend, irgendwelche Daten abzufragen. Hinter ihm hockte Taylor in seinem Sessel und glotzte starr vor sich hin. Alles geschah in vollkommener Lautlosigkeit. Für einige Zehntelsekunden erwog ich, ob ich einen Hörsturz erlitten hatte. Ich räusperte mich zur Probe und bildete mir ein, mich hören zu können. Ein kleiner Laserpointer stürzte in aufreizender Zeitlupe zu Boden.
»Was soll schiefgegangen sein?«, antwortete Jennifer zerstreut.
Ich kapierte gar nichts mehr. Langsam, weil ich immer noch in Watte gepackt war, schaltete ich die GraviGurte aus und erhob mich. Meine Beine gehorchten mir. Ich ging die zwei Schritte nach vorne, bis ich Jennifer über die Schulter sehen konnte. Aus dem Datenwust, der über ihre Konsole ratterte, wurde ich nicht schlau. Sie offensichtlich auch nicht. Das erfüllte mich mit Besorgnis.
»Pilotin«, sagte ich. »Ich erwarte Ihre Meldung!«
»Es ist alles in Ordnung, Commander«, sagte Reynolds, der auf einmal neben mir stand. Ich hatte nicht mitbekommen, wie er aufgestanden war.
»Parallaxenkontrolle abgeschlossen«, meldete Jennifer in diesem Augenblick. »10,2 Lichtjahre.«
»Der Flug war erfolgreich«, stellte Reynolds nüchtern fest.
Die ENTHYMESIS war zehn Lichtjahre durch den Raum gesprungen. Das war zufällig genau die Entfernung von der Erde zum Sirius, die die MARQUIS DE LAPLACE auf ihrem Jungfernflug überwunden hatte. Aber noch niemals hatte ein Schiff der ENTHYMESIS-Klasse eine solche Distanz bewältigt. Optisch waren wir an der gleichen Stelle wie zuvor. An Steuerbord kreisten die Galaxien der Lokalen Gruppe, von denen Andromeda und unsere Milchstraße die lichtstärksten waren. Der Virgohaufen hob sich kaum deutlich ab. Und an Backbord dehnte sich die Große Mauer. Der Korridor, der zwischen den beiden Strukturen verlief, bemaß sich nach hunderten von Millionen Lichtjahren. Bezogen auf seine verstörende Weite hatten wir uns nicht bewegt.
»Positionsbestimmung abgeschlossen«, bestätigte Jennifer. »Die MARQUIS DE LAPLACE befindet sich in 10,235 Lichtjahren Entfernung auf 192 Grad. Allerdings wird sie erst in neun Jahren und acht Monaten auf unseren Schirmen erscheinen.«
Sie ließ ihre Konsole auf Automatik gehen und warf sich in ihrem schwenkbaren Sessel herum. Ihr Strahlen brachte mich in die Gegenwart zurück.
»Mein Gott«, stöhnte ich. In gespielter Drohgebärde schüttelte ich die Faust gegen Reynolds. »Wenn Ihre Dinger nicht funktionieren, sind wir geliefert!«
»Sie werden funktionieren«, lächelte er gleichmütig.
»Und auf die ENTHYMESIS können wir uns verlassen«, warf Jennifer ein. »Das hat sie wieder einmal unter Beweis gestellt.«
Mit einem Ruck stand Taylor auf, sah energiegeladen von einem zum anderen und sagte markig: »Los, Mädels! An die Arbeit!«
Damit stiefelte er davon. Wir hörten, wie er den Gang zum Drohnendeck hinunterstapfte, und blickten uns dabei amüsiert an. Ich überlegte, ob ich ihn zurückpfeifen und ermahnen sollte. Zum einen hatte er sich, wenn er Offizier werden wollte, seinen Baustellenjargon abzugewöhnen, zum anderen musste er sich damit abfinden, dass auf einem Schiff der Kommandant die Kommandos zu geben pflegte. Aber ich mochte ihn, seit uns die Ereignisse von Pensacola zusammengeschweißt hatten, viel zu sehr und verfolgte seinen ehrgeizigen Aufstieg mit zu viel Wohlwollen, als dass ich es fertiggebracht hatte, ihn wegen guter Laune und Arbeitseifer zu maßregeln.
»Ihr habt’s gehört«, sagte ich. »Keine Zeit verlieren!«
Reynolds verzog die schmalen Lippen zu einem väterlichen Grinsen und entfernte sich dann. Lambert meldete sich förmlich ab und lief ebenfalls davon. Ich blieb mit Jennifer auf der Brücke zurück.
»Bist du okay?«, fragte sie. In ihrer Stimme schwang Belustigung.
»Klar«, machte ich.
Sie ließ ihre Konsole, die sie schon an die Automatik übergeben hatte, noch einmal online gehen und führte ein Drehmanöver um 180 Grad aus. Langsam glitten die Spiralnebel und Kugelsternhaufen der Lokalen Gruppe vor uns vorbei, bis die stumpfe Schnauze der ENTHYMESIS in die Richtung wies, aus der wir gekommen waren. Rechterhand dehnte sich die opaleszierende Struktur der Großen Mauer.
»Hier draußen ist es doch was anderes«, sagte Jennifer.
»Ich glaube, ich werde langsam zu alt für sowas«, gab ich zurück und versuchte zu lächeln.
Sie sah mich an. Dabei glitzerte in ihren Augen der Triumph. Sie hatten ihren fliegerischen Meisterleistungen eine weitere hinzugefügt. Vermutlich sah sie schon den Orden vor sich, den sie für diese Mission erhalten würde. Der erste Explorerflug im Lichtjahrbereich!
Ich begab mich in die Messe und trank ein Glas Wasser. Aber als ich auf die Brücke zurückkehrte, ließ ich mich neben Jennifer auf den Platz der Zweiten Pilotin nieder und rief Reynolds und die anderen im Drohnendeck. »Hier spricht der Kommandant. Fertigmachen zum Ausklinken der Sonde. Übergabe an Automatik der Hauptsteuerung in fünf Minuten.«
Auf einem Bildschirm verfolgten wir, wie Taylor mit dem Schwebekran hantierte und die Ionensonde aus ihrer Verankerung hievte. Im Generatorfeld des Kranes hängend, wurde sie dann zur Schleusenkammer bugsiert. Reynolds und Lambert überwachten den Vorgang. Unser WO setzte Markierungen auf seinem MasterBoard. Er sah auf dem kleinen Monitor der Deckkamera wie ein beliebiger Vorarbeiter aus, der einen untergeordneten Baustellenabschnitt leitete. Konzentriert studierte er seine Anzeigetafel, tauschte sich halblaut mit Jill aus, gab Taylor einige Anweisungen und machte dann mit unbewegter Miene das Good-to-Go-Zeichen zur Kamera hin.
An Jennifers Konsole blinkte ein rotes Kontrolllicht auf, als die Sonde in die Schleusenkammer geglitten und die Luft aus der Schleuse gepumpt worden war. Ich nickte ihr zur Bestätigung der Freigabe zu, dann öffnete sie die Außenklappe. Die ENTHYMESIS hob die rechte Flügeldecke. Auf den Bildern der Außenkameras sahen wir, wie der schwarze Zylinder ins Freie schwebte. Gerade eben, als Taylor mit dem turmhohen Geschoss hantiert hatte, hatte es noch mächtig und eindrucksvoll gewirkt. Jetzt, als die Kameras es neben den wuchtigen Leitwerken der ENTHYMESIS zeigten, war es auf einmal klein und zerbrechlich. Ein kleines Metallstiftchen, das sich von den Antennen, Instrumenten und Aufbauten des Explorers gelöst zu haben schien und langsam in der Schwerelosigkeit davonglitt.
Jennifer aktivierte die Zündungssequenz. Das Ionentriebwerk glühte auf. Die Sonde, die wir der Übersichtlichkeit halber Lambda I genannt hatten, schob sich längsseits an der ENTHYMESIS vorbei, wurde im Bugfenster sichtbar und beschleunigte dann rasch in den leeren Raum hinaus. Wir warteten, bis Reynolds und die anderen vom Drohnendeck zurückgekehrt waren, um von der Brücke aus dem Versuch beizuwohnen, und leiteten dann den Countdown für den Warpsprung ein. Es sah genauso aus wie während der missglückten Vorführung vor einigen Wochen. Die Sonde reduzierte sich auf den blauglühenden Ionenstrahl, der wie ein Dolch die Schwärze durchschnitt. Dann verschwand sie in einem hellen Lichtblitz. Wir hielten den Atem an.
In der totalen Schwärze, die jenseits der großen Scheiben brodelte, tauchte ein winziger hellblauer Funke auf. Er kam rasch näher, während die Instrumente der ENTHYMESIS ansprachen und eine Sekunde später die Identifizierung des fernen Objekts bekannt gaben. Es war die Lambda III. Sie war unmittelbar, nachdem Lambda I in den Ereignishorizont der MARQUIS DE LAPLACE eingetreten war, abgefeuert worden, in den Warpraum gesprungen und hatte dann in wenigen Sekunden einhunderttausend Milliarden Kilometer überwunden.
Der Triumph war vollkommen. Wir sprangen und tanzten auf der Brücke herum, johlten und grölten und lagen uns in den Armen. Jennifer umhalste Reynolds, während Lambert ihm einen feuchten Kuss auf den grauen Bart drückte. Ich presste seine Hand und gratulierte ihm. Am meisten freute uns, dass er am Ende Frankel mit seinen eigenen Waffen geschlagen hatte. Die Hardware-Variante war geglückt, aber nur dank der akribischen und präzisen Berechnungen eines gewissen WO Reynolds, Mitglieds der Fliegenden Crew des Explorers ENTHYMESIS. Taylor strahlte über beide Ohren. Auch ihm war klar, dass dies sein Eintritt in die Annalen der Union war. Er hatte gesehen, dass hier eine Geschichte lief, und es geschafft, ein Teil von ihr zu werden, indem er sich dem richtigen Team anschloss. Der Jubel wollte kein Ende nehmen.
Die Sonde war unterdessen, von uns unbemerkt, auf uns zugeschossen. Wenige Kilometer vor der unausweichlichen Kollision hatte die Hauptsteuerung unseres Schiffes sich ihrer Automatik aufgeschaltet und die Bremsraketen gezündet. Auf Kleiner Fahrt schob die Sonde sich näher heran und ging längsseits. Eine Minute später glitt sie mit sanftem metallischen Klacken in die Aufhängung der Schleusenkammer.
»Ich gratuliere Ihnen«, sagte Jennifer zu Reynolds. »Das ist jetzt wirklich der Durchbruch!«
Er dankte ihr bescheiden. »Das ist bloß der Anfang«, sagte er. »Die eigentliche Arbeit fängt jetzt erst an.«
Kapitel 2. Die Diaspora
Der erste Schritt war getan. Wir hatten bewiesen, dass auch kleine Flugkörper von der Masse einer Lambda-Ionensonde warpfähig waren. Nun musste die Technologie verbessert und ausgebaut werden, bis der Radius so erweitert war, dass man eine regelmäßige Kommunikation mit den terrestrischen Stellen aufnehmen konnte. Und es war auch der erste Schritt auf dem dornenvollen Weg, mit dem sinesischen Vorsprung gleichzuziehen.
In den nächsten Tagen wurden die Sondenversuche zur Routine. Jeden Tag feuerten wir eine oder auch zwei Sonden zur MARQUIS DE LAPLACE hinüber, die sie, mit neuen Informationen versehen, zurückschickte. Als dieses Manöver sich zu einem leicht zu reproduzierenden Standard entwickelt hatte, verlegten wir die ENTHYMESIS um zwanzig weitere Lichtjahre in die Tiefe des Raumes, und dann noch einmal um vierzig. Jeder Abschuss und jede Ankunft einer Sonde füllte die Speicher der ENTHYMESIS mit unvorstellbaren Datenmassen, vor denen selbst Reynolds hätte kapitulieren müssen, wenn er nicht automatische Tools entwickelt hätte, die die Informationsflut für ihn durchmusterten und die wesentlichen Aussagen herausfilterten.
Dabei lernten wir das Phänomen der Warp-Signaturen kennen. Jedes Objekt, das wir in den Hyperraum schossen oder das aus diesem zurückkam, löste eine relativistische Schockwelle aus. Wie die Oberfläche eines Gewässers durch ein abtauchendes Projektil und sogar durch einen Torpedo, der sich in seiner Tiefe bewegt, beeinflusst wird, so bildeten sich auch an der Oberfläche des Raumzeitkontinuums Strukturen, die unmittelbar von dem es durchbrechenden Ereignis herrührten und Rückschlüsse auf die Art dieses Ereignisses erlaubten. Mit der Zeit lernten wir, diese Warp-Signaturen zu lesen. Als wir ein Vierteljahr an Bord der ENTHYMESIS waren und nur noch alle acht bis zehn Tage ein Experiment durchführten, genügte Reynolds ein flüchtiger Blick auf das Datenmuster, das die Instrumente unseres Schiffes auf seinen Monitor zauberten, um genaue Angaben über Masse, Ausgangsgeschwindigkeit, Sprungwinkel und Sprungweite im Warpraum machen zu können.
Erst sehr viel später kam uns der Gedanke, dass, was für uns ein praktisches Hilfsmittel bei der Durchführung unserer Versuche war, auch von Dritten nachvollzogen werden konnte, und dass das hilfreiche Phänomen sich, in den falschen Händen, auch in eine Gefährdung verwandeln konnte. Noch waren wir froh über die Kondensstreifen aus Verwerfungsenergie, die unsere Geschosse an den schwarzen Himmel malten; wir ahnten nicht, dass sie auch von anderen gesehen und an ihren Ursprungsort zurückverfolgt werden konnten.
Schließlich kehrten wir zur MARQUIS DE LAPLACE zurück. Wir ließen es bei dem bisher Erreichten bewenden. Zwar war der eigentliche Durchbruch nicht gelungen, die Kommunikation mit der Erde mittels Warp-Sonden war nach wie vor unmöglich, aber wir hatten viel erreicht. Die ENTHYMESIS flog in den Hangar des Großen Drohnendecks ein. Wir wurden von einer Abordnung des Kommandanten empfangen und wie Helden begrüsst.
»Bei etwa einhundert Lichtjahren liegt eine Grenze«, fasste Reynolds unsere Ergebnisse im offiziellen Bericht zusammen, als wir in der Großen Messe zur Besprechung zusammenkamen. »Diese Entfernung konnten wir mit der ENTHYMESIS gerade noch überwinden. Sie bezeichnet den größten Abstand, in dem wir zum Mutterschiff operierten.«
»Das war eine enorme Leistung«, konstatierte Wiszewsky.
»Und ein menschliches Wagnis«, fügte Dr. Rogers hinzu. »Noch nie hat ein so kleines Schiff unabhängig in einer solchen Tiefe des Kosmos operiert.«
»Für die Bewegung und Kommunikation innerhalb einer Milchstraße würde es genügen«, warf Frankel ein, der uns im weißen Laborkittel als einziger eher frostig empfangen hatte. »Aber so ...«
Reynolds beeilte sich, das Wort wieder an sich zu ziehen.
»Sie haben recht«, meinte er lapidar. »Wo es um Distanzen von Tausenden oder Millionen von Lichtjahren geht, gelangt die Technologie an eine Mauer, die uns vorläufig nicht zu überwinden gelungen ist. Die Sonden gingen verloren oder sie wurden bei dem Austritt aus dem Warpraum zu Strahlung zerrieben. Eine Instabilität, die ich mir bislang nicht mit zuverlässigen mathematischen Modellen zu erklären vermochte, lässt die Warpkorridore bei einer Erstreckung von etwa 80 bis 100 Lichtjahren kollabieren. Da wir fürchteten, den Kontakt zur MARQUIS DE LAPLACE zu verlieren, mussten wir behutsamer vorgehen. Wir verfielen auf den Gedanken, die Sonden nicht auf einmal über die ganze Distanz springen zu lassen, sondern sie eine Abfolge von mehreren kurzen Sprüngen absolvieren zu lassen. Hierbei addierten sich jedoch die Fehler, die bei der jeweiligen Neuausrichtung auftraten, sodass die präzise Steuerung über die gesamte Distanz immer schwieriger und am Ende unmöglich wurde.« Er lächelte zerstreut. »Ein abgeplatteter Stein, den man über das Wasser titschen lässt, beschreibt eine Kurve, die sich nicht mehr bis zur letzten Bogensekunde vorherberechnen lässt. Und so unterlagen auch die Sonden einer geheimnisvollen Drift, die sich bei einer Abfolge von mehreren Sprüngen verhängnisvoll auswirkt. Der Warpraum scheint einer höherdimensionalen Krümmung unterworfen, die wir bis jetzt noch nicht handhaben können.«
»Warum richten wir nicht einen Kurierdienst mit den Explorern ein?«, schlug Svetlana an dieser Stelle vor. »Einmal im Monat fliegt die ENTHYMESIS in den erdnahen Raum, tauscht Informationen aus und nimmt Vorräte an Bord.«
Sie blinzelte mich an, als habe sie diesen Geistesblitz ganz allein mir zuliebe ausgearbeitet. Ich konnte ihre Illusion leider nicht bestehen lassen.
»Der Energieaufwand wäre viel zu groß. Nach unserem bisherigen Kenntnisstand kann einzig ein Schiff von der Größe und der Energie der MARQUIS DE LAPLACE diese Weiten überwinden. Nur sie kann die Warpmauer überwinden, die für kleinere, masseärmere Objekte ab einer gewissen Schwelle auftritt.« Ich wandte mich unmittelbar an Commodore Wiszewsky und an General Rogers. »Es kann noch Jahre dauern, bis wir dieses Problem gelöst haben.«
Wiszewsky nickte mir zu. »Und solange sitzen wir hier fest.«
»Ich fürchte ja.«
»Dann müssen wir unsere Strategie ändern«, warf Rogers ein.
Der Chronist
Die Geschichte ist eine Geschichte der Kolonisation. Die griechischen Poleis in Ionien und auf Sizilien. Die Proselytenmacherei der arabischen Reiterheere. Die deutsche Ostkolonisation und die spanischen Pflanzstädte in der Neuen Welt. Und die Geschichte der Kolonisation ist die Geschichte der Kriege. Die Perserkriege hätten nicht stattgefunden, wenn die kleinasiatischen Kolonien Griechenlands nicht existiert hätten. Moslems und Christen haben sich jahrhundertelang nicht im Geiste, sondern in Raub- und Kreuzzügen abgeglichen. Römer und Briten errichteten ihre Weltreiche, indem sie strategisch notwendige Provinzen erwarben, und deutsche Divisionen kämpften um Lebensraum. Es war der ältere Ash, der es wie folgt formulierte: »Wie der Einzelne nicht in seinen vier Wänden sitzen bleiben kann, so auch die Völker nicht in ihren angestammten Gebieten. Die Menschen sind Nomaden. Noch die häuslichsten und sesshaftesten von ihnen, die wie die Engländer den Komfort zu lieben scheinen, können diesen nicht erhalten, ohne ihren Nachbarn zur Last zu fallen oder auf der anderen Seite des Globus Waffengänge anzuzetteln.« Freilich gibt es Unterschiede. Den einen genügte eine ausgeklügelte Abfolge von Felsen in den Weltmeeren, auf denen sie ihre Stützpunkte und Flugzeugträger errichteten, während andere Kontinente unterwerfen mussten, die sie eigentlich nur als Aufmarschglacis benötigten. Doch immer geht es darum, sich eine Basis zu schaffen und zugleich den Gegner seines Hinterlandes zu berauben. Als die Griechen vor Troia landeten, verwüsteten sie zunächst das Umland und schleiften Städte bis hinunter nach Ephesus und Smyrna. Und Alexander gründete Dutzende von Ansiedlungen, die sein Reich wie ein Gangliensystem durchzogen, Garnisonen und Knotenpunkte, Machtzentren, Handels- und Verkehrsplätze und Relaisstationen. Kriegsgeschichte ist Wirtschaftsgeschichte, und jede Provinz, die erobert oder verwüstet wird, nur ein Äquivalent für ein bestimmtes Kontingent an Rohstoffen, Gütern oder Arbeitskräften. Man kämpft um Kohlegruben und Uranlager, deren Besitz es ermöglicht, den Kampf fortzusetzen. Man schlachtet einander ab um einer Brücke willen, einer Bahnlinie, um des Besitzes eines Hafens. Man verblutet sich für einen Punkt auf einer Karte, der an sich vollkommen wertlos ist, aber als Befehlsstand für das folgende Scharmützel benötigt wird. Der Krieg ist ein tausendarmiges und -beiniges Reptil, das sich mit seinen gepanzerten Gliedern übers Land schiebt, das alles zerstört, was es berührt, und das statt Fußstapfen eine Spur von Ruinen zurücklässt; es selbst jedoch hat kein Ziel. Mit tausend stählernen Füßen dreht es sich über der Mitleidenschaft von Weltteilen. Doch jede seiner Bewegungen geschieht im Zeichen der Befreiung, der Inbesitznahme, der Wohltaten der Zivilisation.
*
Am nächsten Morgen wurde ein neuer Marschbefehl ausgegeben. Die Gänge und Decks der MARQUIS DE LAPLACE verwandelten sich in das Innere eines Bienenstocks, dessen Volk sich zum Schwärmen rüstet. Schotte wurden geschlossen, Roboter und Drohnen in ihren Verankerungen verstaut und gesichert, Generatoren überprüft, Treibstofftanks umgepumpt und Außenhüllen kontrolliert. In den Hecksegmenten wurden die Hauptreaktoren angeworfen, die fast ein Jahr lang stillgelegen hatten. Obwohl die Feldgeneratoren die Erschütterungen kompensierten, spürte man das tiefe Dröhnen der gewaltigen Reaktorblocks doch durch das ganze Schiff. Der Vorgang dauerte mehrere Stunden. Die Wissenschaftlichen Abteilungen wurden geschlossen, medizinische Einheiten in Alarmbereitschaft versetzt, die Wachmannschaften in verdoppelte Schichten eingeteilt. Das riesige Schiff erwachte zum Leben. Auf den langen Fluren musste man aufpassen, nicht von Sanitätsstaffeln oder Reparaturdroiden überrannt zu werden, und auf allen Kanälen prasselten Durchsagen und Anweisungen auf einen ein. Die MARQUIS DE LAPLACE führte mehrere kleinere Manöver aus, um sich auf das große vorzubereiten. Immer wenn man gerade an einem der Fenster vorbeikam, deren Polarisation zunehmend verstärkt wurde, bis sie beinahe erblindeten, sah man ferne Galaxien durch das Sichtfeld rollen und konnte seine Rückschlüsse auf die komplizierten dreidimensionalen Drehbewegungen ziehen, mit denen das Schiff sich in eine neue Position wälzte und anhand weit entfernter Strahlungsquellen ausrichtete.
»Ich habe kein gutes Gefühl«, sagte Laertes, mit dem ich, kurz bevor alle Bars geschlossen wurden, auf einen letzten Drink zusammenkam. »Wir begeben uns unseres einzigen Vorteils, der Unsichtbarkeit, die wir der endlosen Leere verdanken.«
»Wir können nicht ewig hier bleiben«, entgegnete ich.
Über unseren Köpfen ging die Große Mauer auf, um kurz danach seitlich wegzuknicken und wieder unter den Horizont zu sinken. Die MARQUIS DE LAPLACE hatte eine Rolle rückwärts zelebriert.
Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, sagte aber vorläufig nichts. Nach einer Weile des Schweigens fragte er listig: »Hast du eigentlich nichts zu tun?«
Ich lächelte der Ordonnanz zu, die hinter ihrer Bar damit beschäftigt war, die Gläser und Flaschen in die erschütterungsfreien, von Feldgeneratoren stabilisierten Schränke zu räumen.
»Nein«, sagte ich. »Die Explorerflotte ist gesichert. Die Tanks sind leergepumpt, Sekundärsysteme wie Sonden, Drohnen und so weiter sind verstaut, die Automatik ist online mit dem Hautrechner des Mutterschiffs, der die Generatorfelder koordiniert.« Ich prostete ihm zu. »Wir können nur noch warten.«
Er nickte und widmete sich seinem Glas. »Hoffen wir, dass alles gut geht.«
»Wir benötigen Rohstoffe«, sagte ich, auf seine anfängliche Frage zurückkommend. »Plasma und schwere Elemente. Was sollen wir denn hier draußen?«
»Ich fürchte, du hast recht«, erwiderte er müde. »Und ich fürchte, dass diese Unfähigkeit, in der Verborgenheit auszuharren, uns noch so manche Verwicklung bescheren wird.«
Wenig später kam die Ordonnanz an unseren Tisch und teilte uns mit, dass die Bar jetzt geschlossen werde.
»Warum denn?«, fragte ich in gespielter Ahnungslosigkeit. »Es ist doch noch früh am Tag.«
»Sir«, sagte die Kleine artig. »Die MARQUIS DE LAPLACE wird verlegt. Das ist doch wirklich kein Geheimnis.“
Ich leerte mein Glas und blinzelte nach ihrem Namensschild, das sie als Xanýa auswies. Das wusste ich natürlich längst, auch wenn es heute der erste Besuch in der Sky Lounge seit unseren Sondenversuchen war. Weil ich in störrischer Stimmung war, die ich mir selbst nicht erklären konnte, beschloss ich, es ihr zu sagen.
»Mehrere Monate lang habe ich mich dort draußen herumgetrieben«, brummte ich und nickte zur großen Panoramakuppel. »Und statt sich zu freuen, mich heil und gesund wiederzusehen, weisen Sie mich ab.«
Sie war viel zu erfahren im Umgang mit Angetrunkenen, als dass sie sich etwas hätte anmerken lassen. »Commander«, sagte sie lächelnd, »ich mache Sie lediglich darauf aufmerksam, dass sämtliche Erholungs- und Vergnügungseinrichtungen an Bord dieses Schiffes in spätestens fünf Minuten geschlossen sein müssen.«
»Das ist aber schade«, schmollte ich.
Sie legte uns die Chips vor, auf denen wir unsere Rechnung mit unseren IDs quittieren mussten. Die Mischung aus professionellem Lächeln und charmanter Strenge, die durch die makellose weiße Uniform, den blonden Zopf und die stahlblauen Augen unterstrichen wurde, versetzte mich in aufgestachelte Stimmung, die ich nicht mehr allein dem Whisky zuschreiben konnte.
»Wenn Sie alles so genau wissen«, reizte ich sie, »Xanýa, dann sagen Sie uns doch mal, wo wir hinfliegen!«
Ein winziges Zucken ihrer Mundwinkel teilte mir mit, dass ihr Lächeln um eine Nuance angestrengter wurde, aber sie gab es nicht auf. »M 42«, gab sie Auskunft. Dann verschob sich ihre Stimme noch um ein paar Grad zum Geschäftsmäßigen hin. »Aber mit Verlaub, meine Herren, ich muss jetzt wirklich schließen.«
»Was sollen wir denn in M 42?!«, entfuhr es mir. »Warum nicht M 53?«
Laertes legte mir die Hand auf den Arm. Auch er wahrte noch die Maske des amüsierten Schmunzelns, aber in seinen Augen las ich, dass ich dabei war, den Bogen zu überspannen.
Die Kleine hatte unsere Chips eingesteckt und Haltung angenommen. Ihr Gesicht war förmlich, ihre Blicke gingen ins Leere wie bei einem Soldaten, der strammsteht, um neue Befehle entgegenzunehmen.
»Xanýa«, hörte ich mich sagen, »ich habe Sie etwas gefragt.«
Die Kleine stand in tadelloser Haltung da, ohne etwas zu erwidern. Aber ich sah, wie sie unter der peinlichen Situation litt. Ihr Atem ging schwer, und ihre Wangen lagen unter einem Anflug von Röte. Ihr Gesicht war plötzlich ganz nackt. Das Mädchen war von schmerzhafter blasser Schönheit. Die enggeschnittene Uniform brachte ihre schlanke Figur zur Geltung. Die Linie, die von der Andeutung ihrer Brust über die Taille und die schmalen Hüften lief, versetzte mich in Selbstmitleid. Ich musste den letzten Rest an Selbstbeherrschung aufwenden, um mich zusammenzunehmen.
»In Ordnung«, stammelte ich und erhob mich unsicher. »Dann wünsche ich Ihnen einen guten Flug.«
Sie salutierte. Laertes war ebenfalls aufgestanden und beeilte sich, mich hinauszubringen. Vor dem gravimetrischen Lift, der uns 80 Decks nach unten bringen würde, wandte ich mich trotzdem noch einmal um. »Wann gedenken Sie denn wieder zu öffnen?«
»Sowie die MARQUIS DE LAPLACE wieder auf einem stabilen Orbit liegt«, antwortete sie kühl.
»Ist es gestattet, sich dann wieder hier einzufinden?«, fragte ich.
»Selbstverständlich«, gab sie zurück. Und indem sie ihr professionellstes Strahlen anknipste, fügte sie noch hinzu: »Ich freue mich, Sie beide bald wieder hier begrüßen zu dürfen, Commander.«
Ich nickte und trat neben Laertes in den Aufzug. Dass er während der Fahrt tief ins Innere des riesigen Schiffes meine Entgleisung mit keinem Wort kommentierte, rechnete ich ihm hoch an. Dann strandeten wir auf dem Deck, das die Hauptkommandoebene beherbergte. Die Gänge lagen im orangerot pulsenden Licht der Alarmleuchten. Es sah tatsächlich aus, als befinde sich das Schiff im Gefecht. Überall dröhnten Generatoren auf, rasteten schwere metallische Türen ein, wurden Sektoren abgeriegelt und beeilten sich Uniformierte, noch rechtzeitig in ihre Einsatzgebiete zu kommen. Die einzelnen Segmente des Schiffes wurden hermetisch voneinander abgeschlossen. Das große Generatorfeld, das den ganzen Titancorpus wie ein riesiger Cocon umgab, wurde in seiner Leistung so erhöht, dass es als bläuliche spindelförmige Corona sichtbar wurde. Laertes hatte erklärt, er werde den Sprung auf seiner privaten Kabine verbringen. Ich begab mich dagegen auf die Brücke, wo die gesamte Führung der MARQUIS DE LAPLACE und ein Großteil der Fliegenden Crew bereits anwesend war. Am obersten Befehlsstand war General Rogers, umgeben von seinen Adjutanten, gerade damit beschäftigt, ein letztes Mal die Instrumente zu prüfen und den Status des Schiffes abzufragen.
»Wo bleibst du denn?«, zischte Jennifer, als ich neben ihr Platz nahm. Sie würdigte mich keines Blickes und verweigerte mir, als sie meiner Whiskyfahne gewahr wurde, den Kuss. »Puh«, stöhnte sie und fächelte sich theatralisch frische Luft zu.
Ich streckte behäbig die Beine aus, vergewisserte mich, dass meine GraviGurte aktiviert waren und widmete dann meine ganze Aufmerksamkeit dem spannenden Geschehen auf der Brücke.
Eine Stunde später flogen wir in den Nebel ein, der seit Jahrhunderten als M 42 in den Sternkarten geführt wurde und der schon den alten Assyrern bekannt gewesen war. Nach einem Sprung über mehrere hunderttausend Lichtjahre verließ die MARQUIS DE LAPLACE den Warpkorridor, den ihre Generatoren geöffnet hatten, und kehrte in den realen Raum zurück. Jenseits der Panoramascheiben wurden Sternzusammenballungen und riesige protostellare Staub- und Gaswolken sichtbar. Der blau fluoreszierende Cocon, der das Schiff in einer langgezogenen Spindel umgeben hatte, wurde unsichtbar, als die Abschirmung auf die gewöhnlichen hundert Prozent zurückgenommen wurde. Energieschnüre wanden ihre Tentakeln um die Aufbauten des Schiffes, zerflossen aber allmählich, als die ungeheure Kraftentfaltung, die dem Titanstahlleib abgefordert worden war, verebbte. Die Warpspulen, die unvorstellbare Energien umgesetzt hatten, wurden heruntergefahren. Allerdings brannten die Triebwerke noch, als das Schiff auf seiner gewohnten Reisegeschwindigkeit in den Nebel einflog.
Strukturen von den Ausdehnungen vieler Sonnensysteme zogen in einiger Entfernung vorbei. Wie Goldstaub glühende protostellare Wolken, die wie die lautlosen Eruptionen eines Vulkans in der Schwerelosigkeit aufstiegen und in denen Dutzende Sonnen ausgebrütet wurden. Alle paar Jahre flammte wieder der Ionenblitz auf, mit dem ein neuer Stern geboren wurde. Das war wahrhaftig Chaos; das Brodeln und Kochen vom Anbeginn der Welt, als der Kosmos einem schlammigen Geysir glich, der blubbernd Sternhaufen und Galaxien auswarf.
Wir waren viel zu weit entfernt und bewegten uns bei konventionellem Antrieb viel zu langsam, als dass wir eine Verschiebung der Perspektive hätten herbeiführen können. Die Strukturen verharrten unverändert auf ihrer Position. Trotzdem trat ihr räumlicher Charakter gut zutage. Es waren Fontänen und Stränge von nichtmassiver, durchscheinender Materie. Natürlich vollzogen sich auch die Bewegungen in dieser Sternenküche viel zu langsam, als dass sie sich unseren sterblichen Sinnen mitgeteilt hätte. Wir hätten einige Jahrtausende ausharren müssen, um etwas zu sehen, was sich als Vorgang hätte beschreiben lassen. Dennoch schien es, als ob unablässig Staubwolken und Plasmaeruptionen aus einem verborgenen Abgrund aufstiegen. Schlote von der Höhe der Marsbahn wurden emporgetrieben. Bukette vom Halbmesser der Beteigeuze entfalteten sich. Zimtfarbene und rostrote, im Licht embryonaler Sterne glühende Wolken breiteten sich aus. Ein gefrorenes Feuerwerk. Flammensäulen in Dimensionen, die einen Schöpfer eingeschüchtert hätten. Es war eine kosmische Brutkammer, in der nicht nur einzelne Sterne entfacht wurden, sondern eine ganze Galaxie im Werden war.