Kitabı oku: «Messias Elias», sayfa 2

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„Meinst du die Zehn Gebote?“

„Zehn? Wieso zehn?“ Gott schüttelte den Kopf. „Dreißig Gebote gab ich euch mit auf den Weg, als Orientierungshilfe!“

Ungläubig fragte Elias nach: „Dreißig Gebote? Es waren nicht nur zehn? Das erklärt wohl so einiges!

„Nein, dreißig! Und ganz leicht zu verstehen!“ Der Mann fing an, sie aufzuzählen:

„Erstens: Ich bin dein Gott! Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Denn für diese Welt bin ich zuständig und kein anderer! Gelegentlich kommt es vor, dass ein anderer Gott seine Späßchen treibt und Welten, die von seinem Kollegen verwaltet werden, ein wenig in Unordnung bringt. Die hiesigen Gewitter zum Beispiel stammen gar nicht von mir! Hat ein Kollege dagelassen. Ich habe mich heftig erschrocken, als es das erste Mal blitzte und donnerte!“ Der Mann feixte. „Aber ich fand die Idee ganz witzig, darum habe ich es beibehalten. Als Vergeltung habe ich eine seiner Schöpfungen unter Wasser gesetzt. Das hat ganz schön gezischt, er hatte sie nämlich ursprünglich als Sonne konzipiert! Aber ich schweife ab!

Zweitens: Du sollst dir kein Gottesbild machen. Das würde nämlich nicht klappen, denn euch fehlen, wie vorhin schon erwähnt, siebzehn weitere Sinne, um mich überhaupt wahrzunehmen. Was ihr, damit ausgestattet, zu sehen bekommen würdet, entspräche ganz sicher nicht euren Vorstellungen!

Drittens: Du sollst dich nicht vor Göttern niederwerfen. Denn das mögen wir nicht! Ist uns peinlich! Diese Unterwürfigkeit.“ Er verzog das Gesicht. Elias lächelte.

„Viertens: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen. Das mögen wir nämlich auch nicht, Herrgott noch mal!“ Grimmig fuchtelte der Mann mit der Faust herum. Elias schien es, als hinterließe sie dabei ein paar kleine Fünkchen in der Luft.

„Fünftens: Gedenke des Sabbats, halte ihn heilig! Am Samstag soll nicht gearbeitet werden. Freitag ist natürlich auch frei, wie der Name schon sagt.“

„Ach so? Beide Tage frei?“ fragte Elias verblüfft. „Ja sicher!“ antwortete Gott.

„Also bei uns muss man freitags arbeiten! Manchmal auch samstags.“

„Ist ja unglaublich!“ empörte sich Gott. „Warte kurz!“ Sein erhobener Zeigefinger gebot Einhalt, als er seine Lider schloss und sich ein paar Gedächtnisnotizen machte. Verwundert sah Elias ihm dabei zu. Nachdem Gott fertig war, öffnete er die Augen und fuhr fort:

„Sechstens: Der siebte Tag ist ein Ruhetag!“

„Ach so? Das wären ja drei freie Tage hintereinander!“ freute sich Elias. „Aber klar! Wozu sich abschuften?“ fragte Gott verständnislos.

„Na, zumindest der Sonntag ist bei uns ein Ruhetag. Außer vielleicht für Kellner. Oder Busfahrer. Oder Piloten … Zugbegleiter … Fitnessstudiomitarbeiter …“

Empört stemmte Gott die Fäuste in die Hüften. Bei jedem weiteren aufgezählten Beruf vertieften sich die Zornesfalten auf seiner Stirn. „Ist ja ungeheuerlich!“ schnaubte er wütend. „Aber gut, das klären wir noch!

Siebtens: Ehre deinen Vater und deine Mutter. Ich meine, das ist ja wohl selbstverständlich!“ Elias hatte kurz wieder das Bild seines Vaters im Gedächtnis und nickte stumm.

„Du sollst nicht morden. Also, wenn ich mich hier auf der Erde so umsehe …“ Vorwurfsvoller Blick. „Aber auch das klären wir noch!

Neuntens: Du sollst nicht die Ehe brechen. Also echt, fremdgehen geht gar nicht! Bist du schon mal fremdgegangen?“ Die Frage kam völlig unerwartet.

„W…w…wer … ich? Aber nöö, nicht doch, das würde ich doch niemals, nie … “ stotterte Elias und wurde rot.

„Du sollst nicht lügen und betrügen!“ fuhr Gott unbeirrt fort. „Aber ich lüge doch gar …“

„Nein, das ist das nächste Gebot“, unterbrach ihn der Mann. Nachdenklich griff er sich an die Schläfe. „Und was kam danach?“ Sinnierend blickte er zur Decke hinauf. Erneut gebot der Zeigefinger Einhalt: „Warte kurz!“ Er schloss die Augen, seine Augäpfel zitterten blitzschnell hoch und runter.

Elias fragte: „Was machst du da?“

„Sssccchhht!“ zischte Gott. „Ich sehe meine Notizen durch.“ Kurz darauf hatte er wohl gefunden, wonach er gesucht hatte.

„Ah ja, genau … du sollst nicht stehlen! Du sollst nicht nach dem Land deines Nächsten verlangen. Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen. Auch nicht nach seiner Frau, nach seinem Rind, seinem Esel, seinem Auto, seinem Kommunikationsinstrument oder nach irgendetwas anderem, das deinem Nächsten gehört.“

„Kommunikations… äh …instrument? Ach so, verstehe!“ Elias’ Blick war auf sein Handy gefallen.

„Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen. Ich meine, Leute unberechtigterweise anscheißen, das gehört sich einfach nicht!“ Elias schmunzelte. Hatte Gott soeben ein unanständiges Wort benutzt?

„Vierzehntens: Halte dich fern von vergorenem Traubensaft und den Extrakten von gewissen Pflanzen, also Mohn zum Beispiel. Oder Hanf. Oder Pilzen … Echt, Leute, das ist nichts für euch! Ihr Menschen macht immer so dämliche Sachen, wenn ihr angetütert seid!

Na ja, und dann kommt noch was mit – du sollst die Natur achten. Halte sie am Leben und verunreinige sie nicht. Du sollst Tiere nicht quälen, sondern mit Respekt behandeln. Du sollst anderen gegenüber keine Gewalt anwenden. Du sollst keine Waffen bauen und an andere veräußern. Du sollst dein Geld mit anderen teilen, wenn du viel davon hast. Du sollst keine Wucherzinsen erheben, wenn du Geld verleihst. Du sollst nicht wetten und um Geld spielen. Du sollst Kinder beschützen und dich ihnen nicht in sexueller Absicht nähern. Du sollst Sex nur mit Erwachsenen deiner eigenen Spezies haben. Nach den Erfahrungen mit Sodom hielt ich es für angebracht, diesen Punkt mit aufzunehmen.

Als gewählter Anführer deines Stammes sollst du die Interessen der Menschen vertreten, die dich auserwählt haben, für sie zu sprechen. Du sollst nicht spucken, nicht popeln, deine Umwelt nicht mit lauten Geräuschen belästigen. Nicht schreien, nicht fluchen, nicht beleidigend werden … Ich glaube, das war’s!“

Elias folgte baff Gottes Ausführungen. „Also diese Liste ist ja wirklich komplett, da hast du nichts Wichtiges vergessen!“

„Tja, man macht so seine Erfahrungen. Auch ich habe mal klein angefangen, war naiv und unerfahren.“ Es schien ihm peinlich zu sein.

„Schau, Elias – nach dem Reinfall mit den Dinosauriern erschuf ich die Säugetiere, damals ein brandneues Konzept. Etwas später bastelte ich die Affen zusammen.“ Er tippte mit dem Zeigefinger der einen auf den Daumen der anderen Hand, so als wollte er mitzählen. „Ich musste erforschen, wie sich diese Konstruktion bewährt. Und ich sah, dass sie gut war.

Nach ein paar hunderttausend Jahren wählte ich einen männlichen Vertreter der erfolgreichsten Affenart und gab ihm mittels Gentechnik den Verstand. So erschuf ich Adam. Weil er ganz gut zurechtkam, entnahm ich seiner Rippe etwas Genmaterial und erschuf daraus Eva.“ Er seufzte.

„Eigentlich sollten die beiden sich um die Erde kümmern, Getreide anbauen, Bäume pflanzen, Tiere züchten. Aber als sie in die Pubertät kamen, hatten sie nur noch das eine im Kopf. Da hab ich sie rausgeschmissen. Meine kostbare Zeit war mir echt zu schade, um sie an zwei Sexsüchtige zu verschwenden! Ich hatte gehofft, der Verstand würde sie zu Höherem geleiten. Doch ich hatte wohl die natürlichen Bedürfnisse unterschätzt.“

„In der Bibel steht, mit der Vertreibung aus dem Paradies seien auch Krankheit und Tod über die Menschen gekommen. Ist das wahr?“ Gott schaute Elias fragend an. „In der … was? Äh, warte kurz!“ Der Zeigefinger sprang wieder empor. Oszillierende Augäpfel durchstöberten die Notizen.

„Ah, hier ist es ja! Bibel: Religiöse Textsammlung des Christentums. Warte kurz …“ Gott überflog den Inhalt des Alten und Neuen Testaments in wenigen Sekunden.

„Na, sieh mal an, da sind sogar ein paar historische Ereignisse beschrieben! Aber recht ungenau. Ich muss es wissen, ich war schließlich dabei!

Nein, Krankheiten und früher Tod sind das Ergebnis von genetischen Schäden, verursacht durch Inzucht. Wenn es anfangs nur zwei Menschen gab, von denen alle anderen abstammen, nämlich Adam und Eva, dann müssen sich in der zweiten Generation zwangsläufig Brüder und Schwestern miteinander gepaart haben. Anschließend Cousins und Cousinen. Ich hatte euch für damalige Verhältnisse nahezu perfekt konstruiert: exzellente Zähne, die immer wieder nachwachsen, kein Haarausfall, keine Plattfüße! Aber Adam und Eva mussten ja unbedingt ihren niederen Trieben frönen!“ Selbst nach so langer Zeit war ihm die Enttäuschung noch immer anzumerken.

„Adam wurde 930 Jahre alt! Was ist heute noch davon übrig geblieben? Wenn ihr Menschen 80 Jahre alt werdet, seid ihr schon alt, klapprig und runzelig.“

„Manche werden heute über hundert!“ warf Elias zur Ehrenrettung ein. „Lächerlich!“ konterte Gott. „Ein Mensch, der heute seinen 930sten Geburtstag feiern würde, wäre bereits im Jahr 1090 geboren worden. Er wäre Zeuge vom Bußgang Kaiser Heinrichs des Vierten zum Papst in Canossa geworden. Er hätte die Erfindung des Buchdruckes erlebt, die Eroberung Amerikas, die Entdeckungen Galileo Galileis, die überwältigende Musik von Bach und Mozart. Das ist ein hohes Alter!“

Erneut wurde Elias bewusst, in welch kümmerlichen Ausmaßen sich ein normales Menschenleben doch abspielte. Dann fielen ihm plötzlich Bruchstücke der Schöpfungsgeschichte ein und deren Widerspruch zu Gottes Aussage: „In der Bibel steht irgendwas von einer Schlange, die ähh …“, Elias mühte sich durch seine lückenhaften Kindheitserinnerungen, „… Eva irgendwie überredete, ähh … eine Frucht von, ähh … vom Baum der Erkenntnis zu essen. Oder so ähnlich. Stimmt das?“

Gott erhob sich murrend vom Bett. „Da kannst du mal sehen, wie sehr sich Geschichten verändern, wenn man sie mündlich weitergibt und erst Jahrtausende später schriftlich notiert! Das ist natürlich totaler Quatsch! Eva spielte mit ähh, … nun ja, Adams … ähh …“ Jetzt war er es, der ins Stottern kam, doch eher aus Verlegenheit. Er ruderte mit beiden Händen in der Luft herum, und Elias war sich nun sicher, dabei Fünkchen entstehen zu sehen. „… ähh … Schlange.“

„Was?“ Elias hatte den Faden verloren. „Sie spielte mit einer Schlange?“ Gott druckste herum. „Nein, nicht mit einer Schlange, mit seiner Schlange! Herrgott, muss ich denn wirklich noch deutlicher werden?“ Dabei stellte Gott fest, dass er soeben erneut gegen das vierte Gebot verstoßen und seinen eigenen – den Namen des Herrn missbraucht hatte.

Elias verzog ratlos das Gesicht, bis es endlich Klick machte. „Du meinst, sie hat ihn … sie hat seine Schlange, seinen … ähh …? Oh! Ich verstehe!“

„Genau! So wurden sie sich ihrer Fruchtbarkeit bewusst! Also vielleicht nicht gleich, aber doch kurze Zeit später. Erkenntnis der Fruchtbarkeit, nicht Frucht vom Baum der Erkenntnis. Alles klar?“

„Jaja, verstanden!“ All das scheinheilige Getue um religiöse Themen hatte Elias vergessen lassen, dass die nüchterne Wahrheit meist auf einem schnöden, alltäglichen Kern basierte. So wie auch Gottes Auftrag, die Menschheit zu retten, einen alltäglichen Kern in sich barg.

„Wie genau stellst du dir das vor? Soll ich einfach so durch die Gegend ziehen und Menschen zum Guten bekehren?“ fragte Elias. „Ja, genau so! Mach ihnen klar, dass sie verloren sind, wenn sie sich nicht sofort ändern! Vorgabe dafür, wie sie ihr Leben auszurichten haben, sind meine Dreißig Gebote. Du kennst sie nun. Bring sie unter die Menschen!“

„Okay, aber wer wird mir glauben?“ fragte Elias den alten Mann, während er sich selbst fragte, ob er die Dreißig Gebote aus dem Gedächtnis wieder zusammenbekommen würde. „Du weißt doch selbst, wie Menschen sind – grausam und gewalttätig! Du hast ja schon mal einen Sohn von dir losgeschickt, um Liebe und Frieden zu predigen. Er wurde dafür ans Kreuz genagelt!“

Gott richtete seinen Blick zur Decke. „Sohn von mir? Ans Kreuz genagelt? Wer macht denn so was? Keine Ahnung, wen du meinst!“

„Na, Jesus!“

„Wer?“

Elias ergänzte verwundert: „Jesus Christus? Gottes Sohn?“

Gott grübelte. „Ähh … warte kurz!“ Zeigefinger, Augenzucken. Die unfassbare Menge an Notizen aus Jahrmilliarden raste vor seinem inneren Auge vorbei. „Ah, hier … richtig! Du meinst Jesus von Nazareth! Interessante Geschichte! Mutter, Maria. Vater, ein römischer Soldat. Unehelich gezeugt, was zur damaligen Zeit eine Steinigung der Mutter wegen Ehebruches bedeutet hätte. So kam sie auf die Idee mit der Zeugung durch den Heiligen Geist, was sie auch ihrem Sohn Jesus so beibrachte. Klassischer Fall von Messias-Komplex durch mütterlicherseits induzierte religiöse Wahnvorstellungen.“

„Sie ist fremdgegangen? Er war also gar nicht dein Sohn?“ Der alte Mann schüttelte den Kopf: „Nöö, nicht dass ich wüsste. Maria hatte also gleich gegen zwei meiner Gebote verstoßen: ,Du sollst nicht lügen und betrügen‘ sowie ,du sollst nicht die Ehe brechen‘. Okay, ich versteh’s zwar nicht, aber die Sache mit dem Sex scheint euch Menschen aus irgendeinem mir vollkommen unplausiblen Grund sehr wichtig zu sein. Als sie dann schwanger wurde, was hätte sie tun sollen, außer die Wahrheit ein klein wenig … sagen wir mal … umzudichten? Die Leute damals waren noch recht leichtgläubig. Oder anders formuliert, es war eine religiös sehr angeregte Epoche. Würde deine Freundin heute nach Hause kommen und behaupten, der Heilige Geist hätte sie geschwängert, würdest du es glauben?“

„Sie kommt nicht mehr, fürchte ich. Sie hat kürzlich mit mir Schluss gemacht“, bekannte Elias traurig. Gott lief zum Kopfende des Bettes, setzte sich neben ihn und legte seinen Arm um Elias’ Schulter. Seine Hand fühlte sich ungewöhnlich warm an. „Aber das ist doch prima! Keine Freundin, kein Job, keine Wohnung – bessere Bedingungen für einen Neustart kann man sich gar nicht wünschen! Elias, du bist frei! Du kannst tun, was immer ich will!“ Gott lachte und Elias tat es ihm gleich. „Jaja … was du willst …“

„Also dann los, raus aus dem Bett! Ich verspreche, es wird spannend!“ Gott zog Elias die Bettdecke weg und fand ihn darunter splitternackt vor. „Oh, Verzeihung, das wusste ich nicht! Ich meine, eigentlich wusste ich es schon, ich bin schließlich Gott, nur war ich nicht darauf gefasst, mit deiner … äh … Schlange konfrontiert zu werden.“ Peinlich berührt, wandte er sich ab.

Elias zog sich flink eine Unterhose an: „Darf ich noch duschen und mir die Zähne putzen?“ Gott lächelte: „Ich bitte darum!“

Als Elias aus dem Badezimmer zurückkehrte, fragte er: „Was ist mit frühstücken? Wovon werde ich unterwegs leben? Ich verdiene doch kein Geld mehr! Wie soll ich mir etwas zu essen kaufen? Wo werde ich schlafen?“

Der alte Mann hatte es sich auf dem Bett gemütlich gemacht. Er lag da, lächelnd, den Rücken durch einige Kissen aufgerichtet, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die Beine übereinandergeschlagen. „Mach dir mal darüber keine Gedanken! Ich kümmere mich schon um dich! Es wird dich auch niemand ans Kreuz nageln. Vertrau mir! Vertraust du mir?“

Elias sah ihn stumm an. Wem sollte er sonst vertrauen können, wenn nicht Gott? „Ja … ich vertraue dir!“

„Gut! Dann komm, lass uns gehen!“ Sie stiegen die Treppe hinauf. Als sie auf der Straße standen, fiel Elias auf – er hatte gar nichts eingepackt! Keinen Koffer, keinen Rucksack, das Portemonnaie lag noch unter dem Kopfkissen, die Schlüssel, die Uhr, das Handy und der Mietvertrag, meine Güte, er müsste die Wohnung ja eigentlich in renoviertem Zustand übergeben, und die beiden letzten Möbel, der Schrank und das Bett, waren zwar alt und abgenutzt, aber auf dem Flohmarkt hätten sie vielleicht doch noch ein paar …

„Mach dir keine Sorgen! Ist schon erledigt.“ Gott griff sich Elias’ Hand und legte ein paar Geldscheine hinein. Es waren so um die zweihundert Pfund. Durch das Fenster knapp über dem Boden sah Elias die Wände in makellos weißem Zustand, sie glänzten sogar noch ein wenig, so als wären sie feucht. Die Möbel waren verschwunden, der Fußboden gewischt und gewienert. In den Jackentaschen spürte er rechts sein Handy und links das Portemonnaie. Erstaunt schaute er Gott an. Der lächelte verschmitzt. „Ich sagte doch, ich kümmere mich um dich!“

„Tja, vielen Dank!“ Mit einem Mal war das unangenehme Ziehen im Magen verschwunden. Er wusste, alles würde gut werden. Auch das fehlende Frühstück hatte er schon vergessen.

Aufbruch

Sie durchstreiften Haupt- und Nebenstraßen, anscheinend ziellos in Richtung Südwesten, wie Elias anhand des Sonnenstandes abschätzte. Was wollten sie da? Was befand sich dort? Ach so, das Zentrum Londons!

Der alte Mann kam gut voran, jedenfalls schneller, als es seine menschliche Hülle hätte vermuten lassen. Elias musste sich anstrengen, um mit ihm Schritt zu halten. Sie überquerten einen Friedhof, Tower Hamlets Cemetery Park, wie auf einem Hinweisschild geschrieben stand. Hier war Elias noch nie gewesen, obwohl er fast sein ganzes Leben in der Stadt verbracht hatte. Der Park war sehr verwildert, was ihm etwas Romantisches, Urtümliches verlieh.

Gott warf im Vorbeieilen einen Blick auf die Grabsteine links und rechts des Weges: „Merkwürdig, warum sind auf vielen Steinen Kreuze abgebildet?“ Elias schloss zu ihm auf. „Vermutlich waren sie gläubige Christen.“

„Was sind denn Christen?“ fragte Gott zurück, ohne auch nur eine Sekunde an Tempo zu verlieren. „Na, Anhänger von Jesus Christus. Dein … äh … beziehungsweise doch nicht dein Sohn“, korrigierte sich Elias. „Auch wenn er vorgab, in deinem Auftrag zu handeln.

Hier in London befindet sich übrigens das Grab eines anderen ,Heiligen‘! Er hieß Karl Marx, war dir aber wohl nicht besonders zugetan. Er sagte … äh …“ Elias grübelte. Der alte Mann kam ihm zuvor: „Religion ist das Opium des Volkes.“ Elias fragte verblüfft: „Woher weißt du das? Hast du schnell in deinen Notizen geblättert?“

„Nein, ich habe schnell in deinem Gedächtnis nachgesehen und gefunden, was du gerade gesucht hattest.“ Elias überging den Umstand, dass ihn diese Tatsache beunruhigte und sagte: „Das Verhalten seiner Anhänger hatte teilweise auch fanatisch-religiöse Züge angenommen, doch letzten Endes sind sie gescheitert. Der Kommunismus brach Anfang der Neunzigerjahre zusammen.“

„Siehst du, das kommt davon, wenn man sich nicht an meine Dreißig Gebote hält!“ belehrte der alte Mann. Elias fragte: „Sag mal, wenn ich nun in deinem Auftrag die Menschheit bekehren soll, was … ich meine … wie soll ich mich ihnen vorstellen? Als Gottes Assistent? Stellvertreter? Oder Sekretär?“

Gott blieb abrupt stehen. „Wie nanntest du mich gestern Abend? In deinem Gebet? Vater? Also wenn du mich Vater nennst, nenne ich dich Sohn. Warum also stellst du dich nicht einfach als Sohn Gottes vor? Das würde bei dir besser passen, als bei diesem Jesus, mit dem ich ja nun gar nichts zu tun hatte!“ Er nahm das Tempo wieder auf und verließ den Park durch ein offenstehendes, verrostetes, altes Torgitter. Elias stand noch sinnierend herum: Elias, der Sohn Gottes. Das klang doch irgendwie nett!

„Trödel nicht rum, mein Sohn, wir wollen weiter!“ ermahnte Vater Gott. Hurtig spurtete Elias hinterher und trug ein seliges Lächeln im Gesicht, als er ihn eingeholt hatte.

Sie durchquerten die Twine Terrace mit niedrigen, schmucklosen Reihenhäusern. Dahinter ein weiterer Park, Mile End, luftiges Grün, mitten in der Großstadt. „Wo wollen wir denn hin?“ keuchte Elias. „Ins Stadtzentrum.“

„Und wohin genau?“

„Wart’s ab!“ antwortete Gott, während er quer über eine frisch gemähte Wiese latschte. Elias konnte kaum noch mithalten. „Vielleicht wäre es besser, mit dem Bus zu fahren. London ist groß, wir wären viel schneller.“

„Wieso?“ fragte Gott. „Hast du’s eilig?“

„Nein, aber …“ Elias blieb stehen, beugte sich nach vorn, die Hände auf den Oberschenkeln abgestützt. „… du, wie mir scheint!“ Er rang nach Luft. Der alte Mann lächelte, schlenderte die wenigen Schritte zurück, legte den Arm um Elias’ Schulter und zog ihn behutsam mit sich. Zusammen ging es besser und Elias kam wieder zu Kräften.

Gott sprach: „Vermeide wenn möglich die Nutzung örtlicher Transportsysteme, sondern bewege dich immer zu Fuß, wenn du neu an einem Ort bist! So lernst du ihn besser kennen und entdeckst vieles, was dir sonst verborgen geblieben wäre!“

„Aber ich wohne doch schon lange hier! Den Park kenne ich schon!“ Der alte Mann schmunzelte: „Ich auch! Aber er hat sich in den letzten paar tausend Jahren schon ein wenig verändert!“

Im Park tummelten sich zu dieser frühen Stunde bereits erstaunlich viele Menschen. Einige Jogger, Mütter mit Kinderwagen, ältere Leute, auf den Bänken sitzend und erzählend oder die Tauben fütternd, trotz der kühlen Jahreszeit. Doch die Sonne schien und wärmte mit ihren Strahlen die Besucher.

Die beiden verließen den Park und bogen auf die A11 ein, welche direkt in die City führte. Auch wenn weit vorn am Horizont einige bekannte Sehenswürdigkeiten auftauchten, so zog sich der Marsch dennoch unerfreulich lange hin. Elias spürte allmählich seine engen Schuhe und versuchte sich zu erinnern, wann er jemals eine so weite Strecke zu Fuß zurückgelegt hatte.

Bei Aldgate East standen die ersten Hochhäuser. Kurz darauf passierten sie Gherkin, ein Bürogebäude, das aussah, wie ein langgezogenes Fabergé-Ei. Oder halt wie eine Gurke.

Weitere Hochhäuser aus Glas und Metall säumten den Weg, dahinter tauchten die ersten klassischen Gebäude der Altstadt auf, wie sie in allen Metropolen der alten Welt zu finden sind. Am Mansion House Place mit seinen fünf aufeinandertreffenden Straßen verloren sie die Orientierung, und hätte der alte Mann verraten, wo genau er hinwollte, ganz sicher hätte Elias ihm auch helfen können, denn hier kannte er sich wieder aus. Aber das Zögern dauerte nur kurz, dann wies Gott zackig mit der Hand in die Queen Victoria Street. Anschließend die Cannon Street entlang, danach noch ein Stückchen bis zum großen Platz, bis sie endlich vor dem anvisierten Ziel standen: Saint Balls Cathedral.

Gott stand, die Fäuste in die Hüften gestemmt, breitbeinig da, schaute zu den beiden Türmen empor und strahlte über das ganze Gesicht. Mit breitem Lächeln rief er: „Prachtvoll, nicht wahr?“ Dabei bewegte er die linke Hand mit einer graziösen Bewegung in Richtung des Eingangs, als wollte er Wassertropfen abschütteln. Stattdessen lösten sich ein paar Fünkchen, tanzten ein paar Sekunden umher und erloschen wieder. „Ein Gebäude, erbaut einzig und allein mir zu Ehren!“

„Sag mal, was sind das eigentlich für Funken, die sich aus deinen Händen lösen, wenn du sie bewegst?“ wollte Elias wissen, nachdem er sich nun sicher war, sie wirklich gesehen zu haben. „Ist doch klar: Ich bin ein echt heißer Typ!“ rief Gott mit stolzgeschwellter Brust und schritt auf den Eingang zu. „Komm, mein Sohn, lass uns mal nachschauen, was die dort drin so treiben!“

Es war Sonntag, Viertel nach Zehn, genau die richtige Zeit, denn die Messe begann, kaum dass sie den Raum betreten hatten. Gott wollte die vorderen Bänke ansteuern, aber die ersten Reihen waren bereits vollständig besetzt.

„Na gut, nehmen wir kurz weiter hinten Platz, ich denke, ich werde ohnehin gleich nach vorne gebeten“, sagte Gott und zog Elias mit sich. Ein paar Besucher drehten sich mit langen Gesichtern um. Der alte Mann nickte ihnen jovial zu und rief mit beschwichtigender Geste: „Hallo, schön Sie zu sehen! Danke, dass Sie extra gekommen sind!“ Die Worte waren nicht laut vorgetragen, die tiefe Stimme erzeugte in dem riesigen Innenraum dennoch einen weithin hörbaren Nachhall.

„Pssst! Seien Sie doch still!“ zischte eine ältere Dame. „Der Bischof möchte endlich anfangen!“

Verdutzt wegen dieser herben Zurechtweisung, setzte Gott sich gehorsam auf die Bank. Elias saß bereits und blickte zur Kanzel. Sie war leer, also suchte er deren Umgebung ab und erspähte den Bischof unten vor dem Altar. Der schaute zurück zu den beiden Nachzüglern. Ein mildes, bittersüßes Lächeln hatte sich im Gesicht des Kirchenmannes festgefressen, und wenn Blicke töten könnten, so hätten Elias und der alte Mann die Kirche zumindest mit leichten Blessuren verlassen. Aber die Blicke konnten nicht töten, zumindest nicht die des Bischofs. Darum richtete er sie zurück auf das Blatt mit der vorbereiteten Predigt, ließ sie anschließend noch einmal über die Besucher streifen, hob seine Arme empfangend empor und rief: „Halleluja!“ Dann bekreuzigte er sich: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes – Amen!“

„Siehst du, er meint uns beide – Vater und Sohn!“ Gott knuffte Elias mit dem Ellenbogen in die Seite. Elias knuffte vorsichtig zurück. „Ja, uns und den Heiligen Geist, das hast du wohl überhört.“ Gott runzelte die Stirn: „Welchen Heiligen Geist? Etwa den, der angeblich Maria geschwängert haben soll?“ Die resolute alte Dame zischte sie erneut an. „Werden Sie jetzt endlich still sein? Sie verderben die ganze Predigt!“

Betreten sah Elias zu Boden und Gott kniff verärgert die Lippen zusammen. Als weitere Worte des Bischofs zu ihnen drangen, verfinsterte sich seine Miene noch etwas mehr.

„Im Namen unseres Herrn Jesus Christus …“

„Was? Jesus? Von Nazareth? Was hat der denn hier zu suchen?“

„… den Herrn loben und preisen und sich an ihm freuen …“ Gott schloss die Augen. „Was redet der da?“

„… Märtyrer, die uns zeigen, dass es jemanden gibt, für den es sich lohnt, zu leben und auch zu sterben …“

„Lohnt, zu sterben? Seit wann lohnt es sich, zu sterben? Und für welchen Herrn?“ knurrte der alte Mann. „Er meint dich!“ beschwichtigte Elias. „Oder vielleicht auch Jesus“, korrigierte er sich, „ich weiß nicht genau.“

„Aber weshalb sollte jemand für mich sterben wollen? Was bringt denn das?“ Gott sprach nun wieder deutlich lauter, sodass einige aus der Reihe davor die Köpfe zu ihnen hindrehten. Die alte Dame klatschte sich auf die Schenkel, riss die Arme mit vorwurfsvollem Gesicht nach oben, als wollte sie rufen: ,was soll denn das?‘

Der Bischof hatte die Unruhe durchaus bemerkt, aber als oberster Hirte seiner Schäfchen durfte er sich von kleineren Unruhen nicht gleich aus dem Konzept bringen lassen. Er setzte wie geplant zu seinem liturgischen Gesang an: „… darum bitten wir durch Jesus Christus unsern Herrn und Gohohohooott …“

Unter seinem Hintern spürte Elias, wie die Bank begann, leicht zu vibrieren. Auch roch es plötzlich nach verbranntem Holz. Verwundert blickte er nach unten, dann neben sich und bemerkte, wie Gott seine Finger in die Sitzfläche krallte, bis es qualmte. „Schon wieder dieser Jesus!“ fauchte er. „Erstes Gebot: Du sollst neben mir keine anderen Götter haben! Und warum jammert der so? Das ist ja nicht zu ertragen!“

Die alte Dame stand wutentbrannt auf und wechselte zu einem weiter entfernten Sitzplatz. Im Weggehen warf sie zornige Blicke zurück. „So was hab ich ja noch nie erlebt! Unverschämtheit!“

Eine andere, wesentlich jüngere Frau mit blau gefärbten Zöpfen und auffallend farbenfroher Kleidung wandte sich Kaugummi kauend um: „Mir wäre es auch lieber, er würde das Gejammer lassen und stattdessen ein paar erbauliche Worte sagen, hinsichtlich der Probleme der Menschheit.“ Der neben ihr sitzende, vornehm gekleidete Herr bemerkte höflich: „Sie werden verzeihen, meine Dame, aber was würde das an den Problemen der Menschheit ändern?“

Der Bischof versuchte, mit lauter, fester Stimme die aufkommende Unruhe in den letzten Reihen zu bändigen. Scheppernd drang sein Singsang aus den plärrenden Lautsprechern: „… der Herr sei mit euch und mit deinem Geiste aus dem heiligen Evangelium nach Johannes …“

„Wozu wedelt der da mit dem rauchenden Topf herum? Er will doch nicht etwa dieses herrliche Gebäude in Brand stecken?“ Elias wies den alten Mann auf seine in die Bank gekrallten Finger hin: „Wenn du nicht aufhörst, so fürchte ich, wirst du wohl eher derjenige sein, der die Kirche anzündet.“ Inzwischen glühte das Holz bereits an den Rändern um die Hände herum. „Oh, Verzeihung! Das habe ich nicht gewollt!“ Gott lockerte den Griff und versuchte, die Glut zu löschen, indem er darauf herumpatschte, was aber nur zu einem verstärkten Funkenflug führte. Der höfliche Mann auf der Bank vor ihnen lehnte sich zurück und goss etwas Wasser aus seiner Flasche über die Glut. Blauzopfbuntgirly hatte den Vorgang auch bemerkt und rief gedehnt: „Cool! Wie haben Sie das denn gemacht? Man sieht ja Ihre Handabdrücke im Holz. Sieht aus wie die Abdrücke der Stars am Hollywood-Boulevard!“

Auf der anderen Seite von Gott saß ein junger Student mit einem zerknitterten Anzug und einer Nickelbrille. Er neigte sich zu Gott hinüber, deutete in Richtung des Altars und erklärte: „Das ist Weihrauch! Damit kann die Kirche all ihre Missetaten beweihräuchern!“ Er grinste böse. Gott fragte entgeistert: „Welche Missetaten?“ Ungläubig musterte ihn der Student. „Sie waren wohl schon lange nicht mehr hier?“ Gott antwortete: „Etwa 8000 Jahre!“ Der Student grinste erneut: „Hey, Sie sind witzig! Ihr Humor gefällt mir! Ich meinte die Hexenverbrennungen, die Inquisition im Mittelalter, die Kreuzzüge, Behinderung von Fortschritt und Wissenschaft und die in letzter Zeit bekannt gewordenen Vorwürfe des hundertfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Ja, die Kirche war in viele Schweinereien verwickelt! Geldgeschäfte. Immobilienspekulationen. Die Liste ist endlos lang!“

„… denn der Messias trägt viele Namen: Jesus, Christus, Sohn Gottes, Sohn Davids, Menschensohn …“ Der Bischof hatte seinen Gesang beendet und fuhr mit seiner Predigt fort. „… Lamm Gottes, der wahre König, in ihm sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis enthalten, weil er der Schöpfer ist, weil er der Erlöser ist, in ihm gründet alles. So demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. All eure Sorge werft auf ihn …“

An dieser Stelle stöhnte Gott laut auf. „Was, auf mich? Wieso denn ausgerechnet auf mich?“ Durch den Widerhall wurden auch die Besucher einige Bänke weiter vorn aufmerksam und drehten sich um.

„… denn er sorgt für euch. Seid nüchtern und wacht, denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe …“

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