Kitabı oku: «Messias Elias», sayfa 3
Gott schlug jammernd die Hände vors Gesicht: „Der Teufel? Das darf nicht wahr sein!“
Der Bischof hielt tapfer durch: „… und … ähh … und sucht, wen er verschlinge. Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht, in alle Ewigkeit, amen.“
„Ich muss hier raus!“ Ungestüm sprang Gott von der Bank auf, drängelte sich rücksichtslos an den neben ihm sitzenden Besuchern vorbei und lief eilig aus der Kirche. Elias folgte ihm, sehr verwundert, nahm sich jedoch mehr Zeit, die anderen Besucher höflich um Durchlass zu bitten.
Er fand Gott, mental etwas derangiert, am Fuße der Treppe vor dem Eingang. „Jesus Christus? Unser Herr? Heiliger Geist? Ja, sind denn alle verrückt geworden? Hast du das auch gehört? Der Teufel? Was redet der Mann da nur für einen Unsinn? Dieses sinnlose Geseier! Wieso trägt er diese merkwürdigen Frauenkleider und die lächerliche Mütze?“
Mit einem Mal schlug sein Entsetzen in Wut um. Er stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Eine leichte Erschütterung rollte über den Platz und die Mauern der Kirche hinauf, wo sie sich in einem tiefen, lauten Glockenschlag entlud. Die Menschen auf dem Platz, zum überwiegenden Teil wohl Touristen, zuckten erschrocken zusammen, denn der Glockenklang kam nicht oben vom Kirchturm, der ganze Himmel schien ihn abzustrahlen, er war überall, und er klang furchterregend, klar und tief, wie eine Totenglocke.
Mit ernster Miene nahm Gott Elias in die Pflicht, als er zurück zum Eingang zeigte. „Deine Zeit ist gekommen! Meine Aufgabe für dich beginnt hier und jetzt! Geh wieder hinein und fordere den Mann auf, sofort mit dem Unsinn aufzuhören!“
Die Totenglocke hatte Elias verschreckt. Folgsam fragte er: „Was soll ich ihm sagen? Ich meine, wie soll ich das begründen?“
„Mit den Dreißig Geboten! Du erinnerst dich doch?“ Mit schrägem Kopf ermahnte der alten Mann Elias. „Lerne die Gebote auswendig! Für heute will ich dir noch mal auf die Sprünge helfen: Du sollst neben mir keine anderen Götter haben! Du sollst Kinder beschützen und dich ihnen nicht in sexueller Absicht nähern! Jetzt geh!“
Gehorsam stieg Elias die Stufen hinauf und verschwand im Inneren der Kirche. Es vergingen etwa zwei, drei Minuten, bis die Türen sich öffneten und Elias von zwei Ministranten hinauseskortiert wurde.
Missmutig schlurfte er die Treppe hinunter. „Ich habe noch nie besonders überzeugend auf andere gewirkt. Das war schon immer so. Deswegen war ich wohl auch nicht so erfolgreich in meinem Job.“
Gott musterte ihn aufmerksam. „Mhm. Ich sehe schon, ich werde dich vielleicht ein wenig unterstützen müssen.“ Er fuhr sich durch den Bart. Im selben Moment zitterte, nein – vibrierte die Hand deutlich sichtbar. Gott schaute sie erstaunt an. „Nanu? Hier? Um diese Zeit? Er steckte sich den Daumen ins Ohr, spreizte den kleinen Finger ab und rief: „Hallo? Gott hier! Ja? Oh! Aha! Ich verstehe! Ouha! Verstehe! Na klar! Verstehe! Ich verstehe! Mach ich, Chefchen!“ Freches Grinsen. „Bin sofort da!“ Er nahm den Daumen wieder aus dem Ohr.
„Ähm … hör mal, Elias, ich muss kurz weg! Beteigeuze ist kurz vor dem Abschmieren. Da muss ich mich drum kümmern und neuen Brennstoff nachlegen.“
„Beteigeuze? Ist das nicht ein Sternbild?“ versuchte Elias sich zu erinnern. „Das ist ein Stern. Eine Sonne. Aber eine richtige! Tausendmal so groß wie eure hier und zehntausendmal so hell!“ Elias staunte: „Zehntau…“
„Sie darf auf keinen Fall ausgehen! Hinterher muss ich noch zu GN-z11, das ist die am weitesten von euch entfernte Galaxie. Sie hat ihre Endphase erreicht und muss kontrolliert zusammengeführt werden, damit sie anschließend mit einem präzisen Urknall neu gestartet werden kann. Verstehst du?“
Elias Gesichtsausdruck ließ erahnen, dass die Angelegenheiten, von denen Gott da gerade berichtete, eine Nummer zu groß für ihn waren. „Äh … alles! Wird das lange dauern? Ich meine, kommst du noch mal zurück?“
„Keine Sorge, ich bin ja nicht weg! Ich bin überall! Nur konzentriert sich ein Großteil meiner Aufmerksamkeit vorübergehend auf ein paar andere Aufgaben. Du wirst schon sehen!“ Er zwinkerte Elias noch einmal zu, drehte sich um, rannte zwei, drei Schritte, federte sich mit dem letzten Schritt kräftig ab und sprang ins Nichts. Er löste sich einfach auf, blendete sich aus … oder …
Es ging so schnell und unspektakulär, dass Elias nicht einmal hätte beschreiben können, wie es genau passierte. Ratlos stand er da und schaute der … ,Entscheinung‘ hinterher.
Was nun? Es war fast Mittag. Wäre er noch in Lohn und Brot, würde er früh zum Essen gehen. Aber er hatte ja leider nichts zum Bezahlen.
Augenblick mal! Der alte Mann hatte ihm doch etwas Geld zugesteckt! Der Erlös von den alten Möbeln. Na, prima!
Direkt gegenüber lag das La Strada, ein italienisches Restaurant. Er schlenderte zufrieden auf die andere Straßenseite, trat ein und setzte sich. Der Kellner brachte die Karte, aber Elias hatte bereits gewählt. Risotto Luganica: Reis mit Fleischbällchen, Schinken und Pilzen. Das kannte er schon und aß es immer wieder gern. Wozu also experimentieren?
Etwas später brachte der Kellner die Rechnung und wies auf den Fernseher. „Haben Sie das mitbekommen? Schauen Sie nur, das muss wohl gerade erst passiert sein.“
Auf dem Bildschirm berichtete ein Nachrichtensender über die merkwürdigen Vorkommnisse während der Messe in der Saint Balls Cathedral. Die Kamera zeigte einen Reporter mit der Kirche im Hintergrund. Er erzählte, ein anscheinend verrückter älterer Mann habe die Veranstaltung gestört und versucht, die Inneneinrichtung in Brand zu stecken. Möglicherweise bestehe ein Zusammenhang zwischen dem Vorfall und der merkwürdigen Fehlfunktion der Glockensteuerung. Augenzeugen kamen zu Wort: Der Glockenschlag sei nicht von der Kirchenglocke erzeugt worden, die klinge doch ganz anders, viel heller, und der Ton hier sei überall im Himmel zu hören und viel tiefer gewesen. Der Mann senkte seine Stimme und versuchte, das Geräusch nachzuahmen. Zwei junge Mädchen hinter ihm kicherten, was ihn verunsicherte. Schnitt auf Blauzopfbuntgirly: „Er hat nicht gekokelt, er berührte die Bank einfach nur mit seinen Händen und setzte sie in Flammen. Er hatte etwas Magisches, ach ich wünschte, es gäbe mehr solche Männer!“ Schnitt auf den Reporter: „Die Polizei sucht nach einem jüngeren Komplizen, der möglicherweise genauere Angaben zu dem älteren Mann machen kann. Laut Zeugen habe dieser sich in … äh, nun ja … in Luft aufgelöst. Also … der alte Mann, nicht der Komplize.“ Eine Zeichnung des mutmaßlichen Komplizen wurde gezeigt.
Argwöhnisch huschten die Augen des Kellners zwischen dem Bildschirm und Elias hin und her. „Also, ich weiß nicht! Sieht Ihnen die Zeichnung nicht irgendwie ähnlich?“ fragte er. Elias wurde blass. „Öhm, nicht dass ich wüsste, nein, eigentlich gar nicht!“ Der Kellner hatte Lunte gerochen: „Aber klar, sehen Sie doch nur, die Augen, die Gesichtszüge … hey, wo wollen Sie denn hin?“
Elias ließ reichlich Geld auf dem Tisch liegen, damit der Kellner nicht noch auf die Idee kam, ihn zu verfolgen, und dieser Trick funktionierte auch. Aber er kam dennoch nicht weit. Ein gellendes Kreischen hallte über den Platz. „Daaa, das da! Das ist er!“ Blauzopfbuntgirly hüpfte aufgeregt herum und zeigte auf Elias.
Ich hätte doch lieber ein anderes Restaurant wählen sollen, ging es ihm durch den Kopf, als zwei Polizisten ihn festnahmen.
Ausbruch
„Soso. Das war also Gott! Höchstpersönlich.“ Der Ermittler schien äußerst unerfreut. Es war Sonntag, man hatte ihn extra aus dem wohlverdienten Wochenende ins Polizeirevier beordert. Verdacht auf einen terroristischen Anschlag. Ein alter Mann hatte angeblich versucht, Londons berühmte Kirche in Brand zu stecken. Nun saß er seinem mutmaßlichen Komplizen gegenüber und bekam nichts Brauchbares aus ihm heraus.
„Also noch mal: Wer sind Sie?“
„Ich bin Elias, der Sohn Gottes. Er hat mich beauftragt, die Menschheit zu retten.“
„Die Menschheit retten. Ja, das sagten Sie schon. Wie genau soll das funktionieren? Haben Sie schon einen Plan?“
„Ich denke, ich werde die Regierungen besuchen und daran erinnern, dass sich alle an die Dreißig Gebote zu halten haben.“
Der Ermittler nickte bedächtig. „Sie sind wirklich ein Genie! Die Regierungen verteilen die frohe Botschaft weiter ans Volk oder wie? Dann wird alles gut, glauben Sie?“ Der unverhohlene Sarkasmus verunsicherte Elias. „Also … so genau habe ich mir das noch gar nicht überlegt“, gestand er ein. „Ich nehme an, wenn sich herumspricht, dass die Botschaft direkt von Gott kommt, werden sich die Menschen schon danach richten.“
„Mhm. Nehmen Sie an! Wo genau ist denn dieser Gott jetzt?“
„Er hatte … er … ähh … musste …“
Brennstoff bei Beteigeuze nachfüllen? Galaxie GN-z11 kontrolliert zusammenführen? Das kann ich unmöglich erzählen! Die werden mich in die Psychiatrie einweisen! Aber sagte Gott nicht, er passt auf mich auf? Wem sonst sollte er vertrauen können, wenn nicht Gott?
Er erzählte es. Der Ermittler machte anschließend ein sehr ernstes Gesicht und betrachtete ihn schweigend mehrere Minuten lang. Liefen gerade beängstigende Bilder durch seine Gedanken? Von einstürzenden Welten und erlöschenden Sonnen? Wusste er überhaupt, was Beteigeuze ist? Noch während Elias darüber nachdachte, ob er es erklären sollte, stand der Mann auf und ließ ihn allein in der Zelle zurück.
Es vergingen einige Stunden; durch das kleine, vergitterte Fenster sah er den Tag schwinden. Erst lag er auf der Pritsche, dann wurde er ungeduldig und lief den schmalen Raum auf und ab. Als sich noch immer nichts rührte, lehnte Elias seine Stirn gegen die Wand, dort wo weder Pritsche, noch Stuhl und Tisch davorstanden.
Verzweiflung machte sich breit. Wieso nur habe ich mich darauf eingelassen? Gott? So ein Unsinn! Habe ich das geträumt? Werde ich verrückt? Wer war der alte Mann, der mit seinen Zauberkunststückchen zu imponieren wusste? An welch fernem Ort befand er sich, jetzt, wo er gebraucht wurde? Vielleicht wirkten seine Tricks ja auch bei der Polizei!
Von wegen – ,keine Sorge, ich bin ja nicht weg!‘ Elias begann, seine Stirn leicht gegen die Wand zu stoßen. ,Ich bin überall.‘ Ein zweites Anstoßen. ,Ich werde dich unterstützen.‘ Lächerlich!
Das dritte Anstoßen ging ins Leere. Exakt in dem Moment, als die Haut kurz davor war, mit der Farbe auf dem Beton Kontakt aufzunehmen, glitten die Atome beider Seiten elegant aneinander vorbei und durchdrangen sich, ohne sich zu berühren, so wie Tänzer beim Karneval, die durcheinander laufen.
Er fühlte nichts, keinen Widerstand, keine Reibung. Als wäre die Wand gar nicht da, fiel Elias durch sie hindurch. Und er fiel weich. Denn genau hinter der Wand saß der Ermittler, der ihn vor ein paar Stunden noch verhört hatte, an seinem Schreibtisch, grübelnd in seine Aufzeichnungen vertieft.
Elias fiel ihm genau auf den Rücken, mit den Armen instinktiv auf der Tischplatte Halt suchend.
Unbeabsichtigt hatte er damit eines der grundlegendsten Prinzipien des Lebens verletzt und dem Ermittler damit ein Trauma beschert, von dem er sich nie wieder erholen sollte. Nämlich die Sicherheit, die man empfindet, wenn man sich in einem geschlossenen Raum aufhält. Mit einer stabilen Tür als einzigem Zugang und einer massiven Betonwand im Rücken, die zu durchdringen unmöglich ist und die daher absoluten Schutz vor Gefahren von hinten bietet.
Der Ermittler schrie, erfasst von einer schlagartig einsetzenden Panik, versuchte den plötzlich aus dem Nichts gefallenen, auf ihm lastenden Körper abzuschütteln, verhedderte sich dabei vollkommen mit dem ebenfalls hilflos herumrudernden Elias. Nach endlos scheinenden Sekunden fiel Elias seitlich neben dem Bürostuhl auf den Boden, der Ermittler sprang, immer noch schreiend, um den Tisch herum, in Richtung Tür. Er riss sie auf und rannte in panischer Angst zum Umkleideraum, um die in seinem Spind eingeschlossene Dienstpistole zu holen.
Irgendetwas sagte Elias, dass es nun Zeit wäre, sich schnellstmöglich aufzurappeln und zu verschwinden. Den Raum durch die Tür zu verlassen, traute er sich nicht. Noch immer hörte er das ferne Schreien, verstärkt und unnatürlich verfremdet durch den vom langen Flur erzeugten Hall. Einige Türen schienen sich zu öffnen. Die anderen Mitarbeiter schauten wohl nach dem Rechten.
Also blieb nur eine Flucht durch die Wand!
Elias versuchte abzuschätzen, in welche Richtung es am schnellsten nach draußen ging, wollte jedoch nicht in den Flur hinausschauen. Er wählte einfach die Wand, die entgegengesetzt dem sich jetzt wieder nähernden Schreien lag und klopfte mit der Stirn dagegen. Doch auch nach dem dritten Klopfen tat sich nichts. Er versuchte es noch mal. Eins, zwei, drei. Nichts. Das Schreien war nun in ein Schimpfen übergegangen, wie bei jemandem, der entsetzlich wütend, verstört und leicht irre geworden war.
Ich will da jetzt durch! Gleich beim ersten Berühren der Wand fiel Elias durch sie hindurch. Er blieb auf den Beinen, trotz des überraschend verschwundenen Widerstandes. Im Büro hinter ihm heulte jemand laut auf. Dann waren schnelle Schritte zu vernehmen, über den Flur, um die Ecke und den Nachbargang zurück zur Zelle. Schlüsselgeräusche, wütendes Schimpfen.
Elias warf ein paar prüfende Blicke umher. Ein verlassener Besprechungsraum. Jetzt aber los!
Er lief zur gegenüberliegenden Wand, dachte kurz nach, kam zu dem Schluss, dass dreimaliges Klopfen nicht den gewünschten Effekt auslöste, sondern einfach nur der Wille, die Wand zu durchdringen. Mit den gedachten Worten ,hindurch!‘ landete Elias im Sekretariat.
Mit einem kurzen Schrei sprang die Sekretärin, die sich nach dem neugierigen Blick vor die Tür gerade erst gesetzt hatte, einer erschrockenen Katze gleich, aus ihrem Bürostuhl. Der Satz, den sie dabei machte, war gewaltig, denn sie stieß den Schreibtisch um und den Stuhl gegen die Wand, wo er abprallte und wieder zurückschnellte. Dabei schlug er gegen die Kniekehlen der Frau, die daraufhin wieder aufs Sitzpolster fiel, erneut aufsprang, um schließlich hysterisch kreischend aus dem Raum zu eilen.
Zusammen mit dem Ermittler gründete sie später eine Selbsthilfegruppe namens ,Sichere Räume erleben‘, um die Geschehnisse des heutigen Abends besser verarbeiten zu können. Beide blieben weitestgehend unter sich. Nur einmal verirrte sich ein Mann mit Schlafproblemen zu ihnen. Er hatte sich verlesen und meinte auf dem Schild den Text ,Sichere Träume erleben‘ gesehen zu haben.
Bloß weg hier! Elias stieg über die am Boden verstreuten Stifte, Blumen, Scherben der Blumenvase und tausend anderen Dinge, die sich eben noch auf dem Schreibtisch befunden hatten.
Hindurch! Die gegenüberliegende Wand bereitete keine Probleme mehr, Elias lief einfach durch sie hindurch. Wieder ein leeres Büro. Dahinter folgten noch zwei weitere Wände.
Das Brandschutztreppenhaus; hier würde ihm sicher niemand begegnen. Glück gehabt! Er hatte sich schon Sorgen gemacht, mit seinem letzten Schritt hinter der Außenwand im zwanzigsten Stock eines Hochhauses zu enden.
Elias hastete die Stufen hinab. Noch ein letztes ,hindurch!‘, um die alarmgesicherte Glastür zu durchdringen, schon stand er auf der Straße und rannte davon, so schnell er konnte.
Erst im Kennington Park kam er keuchend zum Stehen. Erschöpft, hungrig und durstig, setzte er sich auf eine der wenigen Bänke. Das schnelle Laufen hatte ihn aufgeheizt, doch erst jetzt, als sein Kreislauf wieder zur Ruhe kam, bemerkte er, dass er nichts weiter bei sich hatte, als die Kleidung, die er am Leib trug. Jacke, Handy, Geld – all das wurde ihm auf dem Revier abgenommen. Es war Februar, nachts. Tagsüber waren die Temperaturen zu ertragen, aber nach Sonnenuntergang war es kalt, die feuchte Atlantikluft trug ihren Teil dazu bei. Elias rubbelte über die Oberarme, um sich ein wenig aufzuwärmen. Aber es nützte nichts, die Kälte hatte bei dem dünnen Pullover leichtes Spiel. Etwas Essen oder eine Tasse warmer Tee, das wäre jetzt wundervoll!
Ein schwaches Leuchten neben ihm auf der Bank erregte Elias’ Aufmerksamkeit. Zuerst nahm er es nur aus den Augenwinkeln wahr, aber als er den Kopf drehte, entdeckte er ein Glas, eingefasst in einen goldenen Teeglashalter, kunstvoll verziert mit blumigen Ornamenten, gefüllt mit einer sonnig leuchtenden Flüssigkeit. Erstaunt hob Elias das Glas zum Gesicht empor und drehte es hin und her. Der Inhalt schien geringfügig dickflüssiger als Wasser zu sein, denn er folgte den Bewegungen mit träger Verzögerung. Das faszinierende Leuchten ging tatsächlich von der Flüssigkeit aus, in ihr schien es zu glitzern wie Sterne am Nachthimmel.
Ach, was soll’s! Einfach mal kosten wird nicht schaden! Was soll schon passieren? Elias setzte das Glas an die Lippen, doch die Flüssigkeit hatte ihre eigenen Regeln. Das Aroma stieg in die Nase, es betörte und verführte, mit einem Duft nach Honig, reifen Früchten, fruchtbarem Sommer, geernteten Feldern, feuchter Erde, liebevoller Umarmung, wohltuender Wärme und einem spritzigen Hauch von Erfrischung. In einem einzigen Zug leerte Elias das Glas mit dem paradiesisch duftenden Tee.
Eine Welle von Glück und Verzückung, von Geborgenheit und Frieden durchströmte Körper und Verstand, erreichte jede Faser, jedes Molekül. Elias fühlte, wie ihm die Sinne schwanden und fügte sich sorglos und unendlich erleichtert seinem Schicksal. Bereits in tiefen Schlaf versunken, neigte sich sein Körper, wie von einer höheren Macht geführt, langsam zur Seite, rollte sich zusammen und begann, wenige Millimeter über der Sitzfläche zu schweben. Ein Nebel aus goldenem, kaum sichtbarem Licht umhüllte das besinnungslose Menschenwesen, und hätte man es mit einer Lampe angestrahlt, so wäre dem Betrachter vielleicht nicht verborgen geblieben, wie der Regen, der nun einsetzte, von der schwach leuchtenden Schicht abperlte, als wäre sie die Schale einer frisch gepflückten Orange.
„Er sieht aber gar nicht aus wie ein Penner!“
„Was kümmert es mich, wie er aussieht? Er liegt auf meiner Bank, das kann ich nicht ab, verdammt! Hey, du!“ Ein Tritt gegen die Bank ließ Elias aus dem Schlaf hochschrecken. Beunruhigt richtete er sich auf, schaute sich um, bemerkte, dass es schon hell war. Die Sonne war bereits zur Hälfte zu sehen und sandte ihre Strahlen flach durch die Baumwipfel des Parks.
„Hast du was an den Ohren, Mann? Du sollst verschwinden!“
Ach ja, und noch etwas bemerkte Elias. Drei Halbwüchsige, die breitbeinig aufgeplustert vor der Bank standen und ihn taxierten. „Was fällt dir ein, auf meiner Bank zu pennen, du Penner?“ Der stämmige Typ in Jeans und schwarzer Lederjacke war wohl der Anführer. Der kleinere, links neben ihm, trug ein verkehrt herum aufgesetztes Basecap, einen weißen Anorak und hellgraue weite Jogginghosen. Dazu auffallend große Turnschuhe, die aussahen wie Raumschiffe. Er stachelte den Rädelsführer an: „Du solltest Miete verlangen!“
Bis eben noch fühlte sich Elias frisch und gut gelaunt, doch das fiese Lachen brachte ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend zurück. Er versuchte, sich Mut zu machen; keine Angst, der alte Mann sorgt für dich! Es wird schon nichts passieren!
Doch der immer aggressiver auftretende Typ in der Mitte ließ Elias erstarren. Vermutlich handelt es sich um eine Art urzeitlichen Überlebensinstinkt, sich tot zu stellen, wenn man angebrüllt wird, um sein Gegenüber nicht noch mehr herauszufordern. Vielleicht wäre es aber besser, zurückzubrüllen? Um sein Revier zu markieren und zu verteidigen?
Ein kurzes Aufflackern von Widerstand – meine Güte, mit diesen drei Jungspunden wirst du doch wohl zurechtkommen, setz’ dich zur Wehr …
„Ja, genau, du schuldest mir Geld!“ schrie der Typ und lehnte sich lässig mit dem Ellenbogen auf die Schulter des Kumpels zu seiner Rechten. Der war groß und korpulent, aber mit einem lächerlichen Babygesicht ausgestattet. Mit hellem Stimmchen rief er: „Schau doch mal in seinen Taschen nach, wie viel er dabei hat!“
Der Anführer musterte Elias von oben bis unten. „Aber … der hat ja gar nichts dabei. Keine Tasche. Nicht mal ’ne Jacke. Hey, du Arschloch, wo hast du dein Geld?“ Eingeschüchtert antwortete Elias leise: „Ich … ich habe nichts, die Polizei hat mir alles abgenommen.“
Der Stämmige wurde jetzt echt wütend. Er packte Elias am Pullover und riss ihn von der Bank hoch. Die andere Hand ballte er zur Faust und zielte auf sein Gesicht. „Du hast fünf Sekunden, mir dein Geld zu geben, sonst kracht’s. Fünf … vier …“
Herrgott, tu doch irgendwas! Aber die zitternden Knie waren weich wie Butter. Woher nur haben manche Menschen die Kaltschnäuzigkeit, sich einfach zu nehmen, was sie wollen, ohne Rücksicht auf andere, ohne Mitleid, vor allem aber ohne Furcht? Woher den Mut, herumzuschreien, zu pöbeln, zu prügeln, und woher das Glück, stets damit durchzukommen?
„… drei …“
Warum schaffe ich es jetzt nicht, einfach zuzuschlagen, den Aggressor in die Schranken zu weisen und mich freizukämpfen? Trotz des Rechts auf Notwehr an meiner Seite? Warum nur, Gott, hast du Mut und Tapferkeit so ungerecht verteilt?
„… zwei …“
Sicher, die Evolution begünstigt stets jene, die es schaffen, sich durchzusetzen. Der Stärkere gewinnt, nicht nur die Kämpfe, auch die Weibchen, gesunde Nachkommen, viele Freundschaften, Reichtum, ein schöneres Leben am oberen Ende der Nahrungskette …
Aber sollte die Menschheit es nicht besser wissen? Müsste die Besonderheit des humanen Intellekts derart archaische Prinzipien nicht längst überwunden haben?
„… eins …“
Elias schluckte. Stumm und schicksalsergeben schloss er die Augen.
Der Anführer schlug zu, hart und gnadenlos, mit aller Kraft. Denn die Angst seines Opfers, die vollkommene Wehrlosigkeit, hatte ihn in seiner Angriffslust nur bestärkt. Es würde keine Gegenwehr geben. Bis die Polizei eintraf, wären sie längst über alle Berge …
Elias spürte die Faust direkt auf seiner Nase einschlagen, registrierte das Brechen der Knochen, hörte das Knacken, das durch den Resonanzraum seines Schädels noch verstärkt und zum Innenohr weitergeleitet wurde.
Doch merkwürdig! Er empfand keinen Schmerz! Er fühlte auch keine kinetische Energie seinen Kopf zurückwerfen. Müsste er jetzt nicht umfallen? Verwundert öffnete er die Augen.
Der Schläger stand noch immer vor ihm, hielt seinen Kragen gepackt. Doch der Griff hatte sich gelockert. Mit sprachlosem Entsetzen starrte er auf seine Faust. Die Finger sahen merkwürdig deformiert aus. Das jeweils erste Fingerglied von Zeige- und Mittelfinger war weit nach innen gedrückt, die zweiten und dritten Glieder standen hingegen unnatürlich schräg nach vorn ab. Die Mittelhandknochen der ersten drei Finger sahen irgendwie arg zusammengestaucht aus. Der Daumen hing einfach herunter und baumelte hilflos herum. Die Hand füllte sich bedenklich schnell mit Flüssigkeit. Es war Blut. Die Knochensplitter hatten wichtige Adern verletzt, die Hand schwoll an wie ein Ballon.
Nun schien auch der Schmerz einzuschießen, denn der Typ schrie laut auf und hielt sich den Arm. Er sah ungläubig auf Elias. Es hatte sich angefühlt, als hätte er mit voller Kraft auf die Kante einer Betonwand geschlagen, die keinen Millimeter nachgegeben hatte.
Sein Kumpel mit dem Basecap wütete: „Alter, was bist du denn für ein Freak? Soll ich dir die Fresse polieren?“ Er baute sich vor Elias auf, bereit, zuzuschlagen. Doch der hatte wieder Mut gefasst, weil ihm – quasi schlagartig – alles klar geworden war. Ich kann mich auf ihn verlassen! Er ist für mich da! Er achtet auf mich! Er!
Elias sah den Typ im Anorak furchtlos an: „Gott sprach: Du sollst nicht stehlen! Du sollst nicht schreien, nicht fluchen, nicht beleidigend werden! Du sollst anderen gegenüber keine Gewalt anwenden!“
Sein Gegenüber schaute verständnislos zurück und schimpfte: „Du blödes Arschloch!“ Dann wandte er sich kopfschüttelnd seinem verletzten Kumpel zu, dem inzwischen schlecht geworden war. Er lag halb besinnungslos vor Schmerz am Boden und jammerte. „Los, komm, Alter, du musst ins Krankenhaus!“ Die beiden Begleiter versuchten, ihm hochzuhelfen, dabei ergriff der Anorakträger den Unterarm. Der Junge am Boden schrie auf. „Nein … nicht! Ich glaube der Arm ist auch gebrochen!“ Die Hand hatte eine bedrohlich runde Form angenommen und war komplett blau angelaufen, die Haut bis zum Äußersten gespannt. Irgendwie bekamen ihn seine Freunde aber doch auf die Füße und schleppten ihn aus dem Park.
Hinter einem Baum klang heiteres Gelächter hervor. Der alte Mann trat aus der Deckung. „Na? War das nicht ein herrliches Spektakel?“ Er näherte sich mit ausgelassener Stimmung und klopfte Elias auf die Schulter. Bei dem meldete sich sein Mitleid. „Ich glaube, er ist schwer verletzt. Die Hand sah gar nicht gut aus. Kann sein, dass er sie nie wieder richtig benutzen kann.“
„Deine Menschlichkeit ehrt dich! Aber sie ist fehl am Platze. Wäre er nicht verletzt, hättest du jetzt das Problem! Möchtest du gern mit ihm tauschen und deine eingeschlagene Nase beweinen?“ Elias stotterte verlegen: „Äh, nein … ich glaube nicht. Aber …“ Gott unterbrach ihn. „Kein Aber! Ich habe Regeln aufgestellt, an die sich jeder zu halten hat! Wer dagegen verstößt, darf sich nicht wundern, wenn er die Quittung dafür erhält. Durch diese sofortige Bestrafung hat er eine Lektion gelernt, die er nicht mehr vergisst. In Zukunft wird er sich jedes Mal, wenn ihn die Lust zur Rauferei packt, an den Schmerz erinnern, den er heute verspürt hat.“
Sie schlenderten zum Ausgang des Parks, als Gott ergänzte: „Aber auch du hast heute eine Lektion gelernt, mein Sohn!“
„Ach ja? Welche denn?“ fragte Elias. Gott öffnete die Arme und rief lachend: „Du bist unverwundbar! Sollen die Römer doch mal versuchen, dich ans Kreuz zu nageln! Was haben die denn geglaubt? Dass ich ihnen meinen Sohn schutzlos ausliefere? Ich bin doch nicht bescheuert!“
Unverwundbar! Das würde eine Menge erleichtern! Elias begann zu ahnen, welch großartige Möglichkeiten sich daraus ergaben. Kugelsicher sein und durch Wände gehen können. Die ultimative Macht!
„Die Römer gibt es übrigens nicht mehr. Deren Imperium zerbrach, schon vor über tausend Jahren“, erläuterte Elias. „Ach so? Also erst vor kurzem! Mhm.“ Gott wiegte nachdenklich den Kopf. „Ich denke, wie müssen die Sache ganz anders angehen! Ganz oben! Wer ist der mächtigste Herrscher dieser Welt?“
„Das dürfte der Präsident der Vereinigten Staaten sein. Er verfügt über die schlagkräftigste Armee.“ Gott überlegte. Dann sagte er: „Okay! Du wirst ihn treffen und mit ihm sprechen. Komm!“
Er winkte ein Taxi heran. „Nach Heathrow zum Flughafen bitte!“
Knapp eine Dreiviertelstunde später erreichten sie den Flughafen. Gott blickte dem pakistanischen Taxifahrer tief in die Augen, bis dieser selig lächelte.
„Ich habe kein Geld mehr, all meine Sachen liegen noch bei der Polizei. Kannst du bitte bezahlen?“ Doch Gott wies ihn an, auszusteigen.
Den Haupteingang ansteuernd sagte er: „Ist schon geregelt! Ich habe ihm gegeben, was er sich seit vielen Jahren sehnlichst wünscht. Seine Frau ist unfruchtbar. Nun bald schon wird sie ein Kind gebären.“
„Was heißt das – ist schon geregelt? Wie kannst du so was regeln?“ fragte Elias. „Na, wie wohl? Ich bin Gott, der Meister des Universums! Ich habe euch erschaffen! Natürlich kann ich so eine Kleinigkeit beheben!“
In der Eingangshalle standen beunruhigend viele Polizisten und beobachteten aufmerksam die Neuankömmlinge. Elias versteckte sich unauffällig hinter einer Ecke, um den Blicken zu entgehen. „Verdammt, die suchen vielleicht noch nach uns. Ich denke, wir sollten uns irgendwie tarnen! Hast du eine Idee?“ Weil die erwartete Antwort ausblieb, schaute Elias sich suchend um, aber der alte Mann war nirgends zu entdecken. Hat er mich schon wieder verlassen?
Eine ihm unbekannte ältere Frau hakte sich unvermittelt bei ihm ein. „Können wir? Du wirst sonst deinen Flug verpassen!“ Elias sah sie entgeistert an. „Vater? Bist du’s?“
„Nicht Vater. Mutter!“ antwortete die Frau und zwinkerte ihm zu. „Wenn überhaupt, suchen sie nach einem alten und einem jungen Mann, richtig? Zwei Frauen werden sie wohl nicht verhaften. Besonders wenn eine davon so attraktiv ist wie du!“ Elias verstand nicht. Dann schaute er an sich hinunter und traute seinen Augen nicht. Unter seinem Pullover hoben sich zwei wohlgeformte Brüste ab. Und in der engen Jeans, dort, wo sich vorher … nun ja … seine Schlange wand, befand sich jetzt eine Schlangengrube. Über dem Pullover trug er eine aufreizende schwarze Lederjacke.
Seine ,Mutter‘ ähnelte eher einer streng katholischen Nonne im Ruhestand. Sie hatte die grauen Haare zurückgekämmt und hochgesteckt, eine bunte Bluse nebst grauem Rock, darüber eine beigefarbene Jacke sowie langweilige hellbraune Schuhe. Um den Hals hing eine seltsam unpassende Kette, wie aus einer anderen Welt, bestehend aus unzähligen blauen, grünen und ein paar roten Edelsteinen in Silberfassungen. Sie schien sehr alt zu sein und funkelte dennoch mit faszinierendem Farbenspiel. „Indianisch“, erklärte der alte Mann, dem Elias’ fragender Gesichtsausdruck nicht entgangen war. „Die Europäer raubten oft den wertvollen Schmuck, nachdem sie die amerikanischen Ureinwohner getötet hatten. Na, komm Töchterchen, ich bringe dich noch zum Check-in!“
„Wieso kommst du denn nicht mit?“
„Ich habe viel zu tun! Wenn auch vieles im Universum unendlich ist, so ist die Anzahl meiner göttlichen Erscheinungen dennoch begrenzt.“
„Wie … es gibt dich mehrmals?“ staunte Elias. „Nein, es gibt mich nur einmal, aber ich kann an verschiedenen Orten und in verschiedenen Dimensionen gleichzeitig sein. Ich sagte ja schon – das, was du hier von mir siehst, ist nur die simple Projektion einer menschlichen Hülle. In Wirklichkeit bin ich vielschichtiger, als du es dir vorstellen kannst!
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