Kitabı oku: «Schwarzer Kokon», sayfa 5

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Scharfrichter und Henker

Baine schickte seine beiden Begleiter alleine zu den Stallungen. Er selbst entschied sich um und schlug den direkten Weg zum ›Schlund‹ ein. Dort saß bereits der junge Vorarbeiter verängstigt hinter Gittern.

»Holt ihn raus und bindet ihn fest«, befahl Baine. »Und bringt mir die Geißel.«

Die Geißel war eine der Peitschen, die als grausamstes Foltergerät verwendet wurde. Aus ihrem Stiel mündeten mehrere Lederriemen mit dicken Knoten an deren Ende. So war sichergestellt, dass jeder Hieb auf dem Rücken eines Menschen tiefe Wunden hinterließ.

Zwei Wachen zerrten den jungen Vorarbeiter aus dem ›Schlund‹, rissen ihm das Hemd vom Oberkörper und banden ihn mit Seilen an ein neben dem ›Schlund‹ aufgestelltes Holzkreuz. Der junge Neger wehrte sich mit aller Kraft, war aber chancenlos und in kürzester Zeit fest am Kreuz gefesselt. Im Boden verankerte Eisenschellen fixierten seine Fußknöchel, sodass der zu Geißelnde breitbeinig am Kreuz hing.

Clexton stellte sich hinter den Zitternden, der irgendetwas Unverständliches murmelte. Es war für Clexton das erste Mal, dass er die Bestrafung eigenhändig vornahm – er war nun Scharfrichter und Henker in einem. Schlingernd hielt er die Peitsche in seiner Hand; dann holte Clexton aus und schlug die Riemen knallend auf den Rücken des Gekreuzigten nieder. Sein erster Schlag traf unsauber und die Riemen schnalzten zuerst am Ohr des Gefolterten, um schließlich seitlich den Rücken zu streifen. Doch verfehlten die Riemen nicht ihr Ziel, Schmerz zuzufügen. Das rechte Ohr des Mannes wurde zur Hälfte abgerissen und sofort sprudelte Blut dessen Hals hinab. Laut schrie der Gepeinigte auf, sein ganzer Körper spannte sich schmerzverzerrt, bis er zitternd erschlaffte.

Wieder holte Clexton aus und dieses Mal traf er mit voller Wucht entlang der Wirbelsäule. Die hohe Geschwindigkeit der Riemen durchschnitt die Luft und verursachte einen lauten Knall des Peitschenhiebes. Jeder einzelne Knoten der Riemen riss sich in die dunkle Haut des Rückens. Aus roten Striemen, die das rohe Fleisch sichtbar machten, quoll Blut. Wieder und wieder zischte die Peitsche auf das Opfer nieder. Heftig zuckte der Geschlagene unter seinen Schmerzen, bis er letztendlich das Bewusstsein verlor. Wie im Blutrausch griff Clexton zu einem Eimer Wasser. Er schüttete das kalte Nass über das Haupt seines Vorarbeiters, sodass sich eine Lache aus Wasser und Blut auf dem ausgetrockneten harten Boden bildete. Clexton zerrte dessen Kopf nach hinten, bis seine Lippen direkt am linken, gesunden Ohr des Negers waren.

»Wo sind die beiden?«, flüsterte er eindringlich und seine Worte züngelten sich in die Ohrmuschel wie eine Giftschlange.

Der Sklave hing geschunden und bluttriefend am Kreuz. Er hörte Baine nicht mehr. Sein ganzer Körper war ausgefüllt von den donnernden Worten, die sich erst vor wenigen Stunden in seinen Verstand eingebrannt hatten: »Uqando gejuna daque. Uqando gejuna daque.« Die Sturmflut dieses Mantras erlöste ihn und sein Herz hörte auf zu schlagen.

Gelingt die Flucht?

Die Nacht war hereingebrochen. Gewaltige, schwarze Gewitterwolken öffneten ihre Schleusen und ergossen sich in strömendem Regen. Während die Suchtrupps mit Fackeln am Ufer des Ashley Rivers unterwegs waren, wartete Baine allein auf der Veranda. Schnell würde es sich unter den Sklaven herumgesprochen haben, dass er den Neger zu Tode gepeitscht hatte. Keiner wagte es, Baine anzusprechen. Weder seine Frau noch Tumelo wurden von ihm nach seiner Rückkehr befragt und beide zogen es vor, ihm nicht über den Weg zu laufen.

Veronika hatte sich mit Jos ins Schlafzimmer verkrochen, während Tumelo, neben sich eine Ledertasche gefüllt mit Proviant, in seinem Zimmer saß. Eine mystisch bedrohliche Atmosphäre lag über der ins Dunkel gehüllten Plantage. Tumelo starrte aus dem Fenster. Er hatte Angst. Er musste zu den Stallungen, um sich mit Mr. Haskins zu treffen. Doch er war wie gelähmt. Wir werden alle sterben, alle! Er dachte an die vielen Wachen, die mit Fackeln das Ufer absuchten. Die vielen Gewehre. Wieder überkam ihn die Vorstellung, wie Mr. Baine über Zola liegt – sie vergewaltigt. Seine Zola! Der Gedanke daran ließ die Angst von ihm weichen und Zorn gewann die Oberhand. Er musste gehen. Er musste Zola helfen. Er war es ihr schuldig. Hätte er besser auf sie aufgepasst, wäre es nicht so weit gekommen.

Den Proviantsack umgeschnallt, öffnete er sein Fenster und sprang ins Freie. Ein Blitz zuckte am nächtlichen Himmel, erhellte für Sekunden das ganze Tal, gefolgt von tief grollendem Donner. Gebückt rannte Tumelo zu den Stallungen und kam völlig durchnässt an.

Sam trat aus seinem Versteck hervor, als er die Silhouette von Tumelo erkannte. »Wo warst du so lange?«

Ohne darauf zu antworten, zeigte Tumelo den Ledersack.

»Gut, dann los.«

Schlechte Sicht, des starken Regens wegen, sowie die stockfinstere Nacht machten es ihnen leicht, unentdeckt bis in die Nähe des Ufers zu gelangen, wo sie sich tagsüber von Aba und Zola getrennt hatten. Sie erkannten viele helle Fackeln, die wie Glühwürmchen in Flussnähe unterwegs waren. Hinter Gestrüpp versteckt warteten sie auf Aba und Zola. Nichts regte sich. Tumelo griff nach zwei Steinen und klopfte diese leise und vorsichtig aufeinander. Sein Klopfzeichen hatte Erfolg. Nicht unweit vor ihnen hörten sie ebenfalls einen Klopflaut.

»Zola«, zischte Tumelo weiterhin geduckt, um nicht gesehen zu werden, sollte das Zeichen nicht von Aba und Zola gekommen sein.

Es raschelte, bis zwei Schatten vorsichtig gebückt aus dem Unterholz schlichen.

»Leise«, mahnte Sam, der sie als Erster erkannte. Anschließend erklärte er ihnen seinen Plan.

Sam lief zum Ufer und sah einen Wachposten, der mit einem Gewehr im Anschlag direkt auf ihn zukam. »Nicht schießen!«, schrie Sam durch den Regen. »Ich bin es, Sam Haskins.«

Die Wache trat näher und erkannte Sam.

»Mr. Baine hat mich beauftragt, mitzusuchen. Aber meine Fackel ist ausgegangen.«

Der Neger griff an seinen Hosenbund und gab Sam eine neue. Mit seiner eigenen entzündete er das am Holzstiel in Wachs getränkte Baumwolltuch.

»Habt ihr schon irgendwas entdeckt?«

»Nichts«, sagte sein Gegenüber, während Regenwasser ihm über das dunkle Gesicht lief. Er fixierte Sam mit hellen wachen Augen.

»Ich werde weiter flussabwärts suchen«, schrie Sam, denn ein erneut lauter Donner dröhnte durch Mark und Bein. Zustimmend nickte der Neger, deutete auf eine Gruppe Suchender, derer sich Sam augenblicklich anschloss.

Nach zehn Minuten entlang des Ufers fand er die Stelle, an der er Tage zuvor seine Barke vertäut hatte. Langsamer werdend ließ er sich vom Rest der Gruppe zurückfallen und verschwand im Ufergestrüpp. In der Hoffnung, unbeobachtet zu sein, entfernte er hastig das der Tarnung dienende, durchnässte Geäst und Gestrüpp von seinem Boot. Der Augenblick war günstig, den Kahn ins Wasser zu lassen. Er zog an dem kleinen Schiff, welches sich sonst leicht über den sandigen Boden bewegen ließ. Doch der Kiel sank tief in den weichen, schlammigen Untergrund, was das Gleiten erheblich erschwerte. Sam benötigte wesentlich mehr Zeit und Kraft als erhofft – ständig in Gefahr sich nähernder Wachposten. Seine Muskeln brannten unter der Anstrengung, bis er endlich, den matschigen Ufersand hinter sich gelassen, das Boot ins Wasser schob. Mit einem Satz landete er im schaukelnden Kahn, legte seine brennende Fackel vorsichtig auf den Bootsboden, holte sein Paddel und ruderte leise einige Meter zur Mitte des Flusses. Hoffend, man könne in der Dunkelheit das Boot vom Ufer nicht mehr ausmachen.

So flach wie möglich paddelte er gebeugt gegen die Strömung an. Nach fünfzehn Minuten erreichte er die Höhe des Verstecks der drei anderen. Er setzte alles auf eine Karte und ruderte ans Ufer. Sam rechnete damit, denn sofort waren auch schon drei Farbige bei ihm. Einer von ihnen war der Wachposten, welcher ihm noch kurz zuvor die Fackel gegeben hatte.

»Ich habe den Fluss abgesucht«, schrie Sam und sein Ton wurde fordernd, während er den Kahn zu einem Drittel auf Sand setzte. »Ich bin mir sicher, dort hinten am Ufer Schatten gesehen zu haben.« Er deutete flussabwärts. »Es waren zwei Gestalten, die ohne Fackeln unterwegs waren. Sie können nicht weit sein! Ihr müsst dort suchen.«

Die Wachen sahen sich etwas unsicher an, dennoch folgten sie seiner Anweisung. Immerhin kam sie von Mr. Haskins, einem Weißen.

Sie waren keine zwanzig Meter entfernt flussabwärts, als Tumelo, der aus sicherem Versteck heraus die Szene beobachtet hatte, gefolgt von den Fliehenden angeschlichen kam. Sam rief laut durch den peitschenden Regen, an Zola und Aba gewandt: »Rudert so weit, wie es geht, ans andere Ufer und lasst euch dann flussabwärts treiben. Jetzt seid ihr auf euch gestellt.«

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, geschah es! In dem Moment, als Zola ins Boot stieg, traten zwei Wachen aus dem Unterholz und eilten auf die Flüchtigen zu. Tumelo warf geistesgegenwärtig den Proviantbeutel zu Zola ins Boot, stieß es ins Wasser, drehte sich dann blitzschnell zu Sam und schlug unvermittelt mit seiner Faust zu. Von der Wucht des überraschenden Schlages getroffen, fiel Sam in den matschigen Ufersand. Aba verpasste die Chance, ins Boot zu springen, und ging mit erhobenen Fäusten schreiend auf den vermeintlichen Verräter Tumelo los. Dieser packte Aba, riss sie nieder, warf sich auf sie und flüsterte in ihr Ohr: »Es tut mir leid. Vertraue mir.«

Dann schrie er laut: »Ich habe sie, ich habe sie!«

Abas Verhaftung

Schüsse fielen.

Die beiden Wachen feuerten in Richtung des Bootes. Sam rappelte sich auf und warf sich dazwischen: »Hört auf zu schießen, ihr Idioten! Glaubt ihr, da irgendjemanden zu treffen? Da ist niemand im Boot! Wir haben sie!« Hektisch deutete er auf Aba, die noch immer unter Tumelo lag.

Durch die Schüsse alarmiert, hetzten umgehend vier weitere Wachen auf die Gruppe zu. Tumelo blieb regungslos liegen, während er leise zu weinen begann.

Trotz des Fausthiebes von Tumelo, der noch an seinem Kiefer pochte, behielt Sam einen klaren Kopf. »Packt das Miststück, das mich niedergeschlagen hat, und bringt es in den ›Schlund‹.«

Die Wachen staunten sichtlich verwirrt. Einer von ihnen ergriff als Erster das Wort: »Mr. Baine haben befohlen zu erschießen.«

»Und ich sage euch, bringt sie in den ›Schlund‹, die anderen suchen weiter. Nur so haben wir eine Chance, die Zweite zu finden! Solange die Mutter noch lebt, wird die Tochter nicht abhauen. Los jetzt!«

Sam war so bestimmend, dass keiner es wagte, ihm zu widersprechen. Zwei der Wächter zerrten Aba unsanft in die Höhe, verschwanden mit ihr in der Dunkelheit, während Sam und Tumelo Abas Silhouette nachsahen, die sich stolpernd im Vorhang des Regens auflöste. Dann wandte sich der Blick beider Männer aufs Wasser. Vom Boot war nichts mehr zu sehen.

Der Fluch

Eine Stunde später saß Aba durchnässt und schlammbedeckt, scheinbar hilflos, im ›Schlund‹. Ein schweres Vorhängeschloss an der Türe verhinderte jeden weiteren Fluchtversuch. Sie hatte ihre Tochter verloren! Wieder spürte sie den Zorn in sich aufsteigen. Dunkles Grollen und stärker werdende Donnerschläge hüllten sie ein. Regen prasselte ihr ins Gesicht, als sie sich langsam erhob. Wie bei einem Hurrikan, den ›Schlund‹ in dessen Auge, wirbelten fluoreszierende Wellen um den Käfig. Ohrenbetäubendes Tosen umgab Aba. Wie ein Wesen der Unterwelt, beide vom Morast bedeckten Arme in den Himmel gestreckt, schrie sie aus tiefster Seele heraus: »Zooooolaaaaa.«

Der Schrei Abas explodierte in den Nachthimmel, füllte die pechschwarzen Gewitterwolken, begleitet von einem Feuerwerk an Blitzen, die vom Himmel gespien kamen. »Zooooolaaaaa« erzitterte über die gesamte vierhundert Hektar große Plantage und hallte wie das Orgelspiel in einer Kathedrale.

Abas Augen begannen grün zu glühen und sie durchschritt wie ein Wesen aus einem anderen Universum die Gitterstäbe ihres Gefängnisses, so als wären diese nicht existent. Wie in Trance bewegte sie sich an verängstigt zurückweichenden Wachen vorbei, die es nicht wagten, diesem vom Schlamm bedeckten Wesen mit seinen glühenden grünen Augen entgegenzutreten.

Baine stand indes noch immer auf der Veranda und wartete auf Nachricht der erhofften Erschießung von Zola und deren Mutter. Ein unnatürlich hallender Schrei durchdrang das Regenmeer, während der Name Zolas gleich einem Donner vom Himmel vibrierte, begleitet von unzähligen Blitzen, die sekundenlang den Nachthimmel erhellten und ein gespenstisches Spiel aus Licht und Schatten erzeugten.

Über seinen Rücken lief ein eiskalter Schauer, derweil Zolas Name sich in seine Brust brannte. Etwas Unnatürliches war im Gange und eine Welle der Furcht durchflutete seinen Körper. Schaudernd griff Baine mit eiskalt gewordenen Fingern nach seiner Steinschlossbüchse, die neben ihm an einem Pfosten lehnte. Der sintflutartige Regen verhinderte wie ein Vorhang zu erkennen, was unterhalb der Veranda vor sich ging. Angsterfüllt, die Waffe im Anschlag, blickte er in die Nacht und verspürte in seinem tiefsten Inneren, dass aus dem Jäger der Gejagte wurde.

Sam und Tumelo waren gerade an den Stallungen angekommen, als sie der Schrei durch die Nacht überraschte. Sie sahen einander kurz an, dann rannten sie weiter zum Herrenhaus.

Veronika stand am Fenster ihres Schlafzimmers. Jos lag schlafend in seiner Wiege. Die leblosen Fensterscheiben vibrierten, als Zolas Name wie Donner gegen sie hallten. Veronika konnte nichts erkennen, ahnte jedoch, dass unterhalb auf der Veranda Clexton stand.

Wieder zuckten grelle Blitze am Himmel, verwandelten die stürmische Landschaft in ein riesiges, bewegtes Schattentheater. Baine konnte durch den Sturm hindurch weder hören noch genau sehen, was außerhalb der Veranda vor sich ging. Er spürte die drohende Gefahr, die im Anzug war, als er glaubte, etwas zu erkennen. Aus dem aufgeweichten Boden erhob sich eine dunkle Erscheinung. Baine erblickte vage Umrisse einer gebeugten Gestalt, langsamen Schrittes auf die Veranda zukommend.

Als ob himmlische Mächte ihren Zorn bekundeten, erhellte sich der Himmel unheilvoll durch die Entladung von Billionen von Watt. Wie riesige Blutadern durchzog eine Welle von Blitzen sekundenlang den nächtlichen Himmel, gefolgt von krachenden Donnerschlägen. Was folgte, war eisige Dunkelheit. Einzig das Prasseln des Regens war zu hören. Clexton verharrte, ahnend, dass direkt vor ihm jemand – etwas stand. Äußerlich zu Stein erstarrt, ließ sein Herzschlag die Adern pulsieren, roter Lebenssaft pochte über den Hals hinauf in seine Ohren.

Die Stimme, die jetzt zu ihm sprach, ließ augenblicklich sein Blut gefrieren. Es war nicht die Stimme eines Menschen, vielmehr die einer Gottheit, die ihre Gebote ins Land zu senden schien. Dunkel, hallend, mächtig.

»Vervloek jy en jou nageslag!« –›Verflucht bist du und deine Nachkommen!‹

»Jou kuit geslagte ons lyding weet!« –›Generationen deiner Brut sollen unser Leid erfahren!‹

Die Worte drangen bis in Baines Gedärme vor und außerstande, sich zu bewegen, konnte er nichts erkennen, lediglich Worte, die in einer unnatürlichen Tonart das Dunkel durchzogen.

Tumelo ergriff aus der Angst heraus Sams Oberarm. Beide standen seitlich der Veranda, während Tumelo, unfähig, das Geschehene zu begreifen, der Einzige war, der in diesem Augenblick zumindest den Sinn der Worte verstand.

Plötzlich hallte es wieder aus dem Nichts: »Damn dit al, damn dit al!« –›Verflucht ihr alle, verflucht ihr alle!‹

Immer stärker werdendes goldenes Licht umrahmte wie eine Aura die Gestalt von Aba, die hocherhobenen Hauptes direkt vor der Veranda stand. Gleißend grüne Augen starrten bannend direkt auf Baine. Wieder schrie Aba ihren Fluch. Drohend, von Schwingungen des Lichtes begleitet, erhob sie ihre ausgestreckte Hand, deutete auf den Verfluchten.

Wie aus einem Traum erwacht, riss Baine angsterfüllt seine Flinte in die Luft. Aba, schreiend, beide Arme gen Himmel gereckt, war nun ein perfektes Ziel. Der Schuss traf sie direkt in die Brust. Der Aufprall der Kugel riss Aba augenblicklich rückwärts zu Boden. Tumelos Aufschrei ging indes im krachenden Gewehrlaut unter.

Dann Stille.

Alle Blicke waren gebannt zu jener Stelle gerichtet, an der ein lebloser, toter Körper lag. Noch immer währende Sekunden der Stille. Doch plötzlich, zum Entsetzen aller, streckte die Tote einen Arm mit weit auseinandergespreizten Fingern in die Höhe, danach ein zuckender, sich aufrappelnder Körper. Aba bäumte sich zu ihrer vollen Größe, ihr durchdringender grüner Blick auf Baine gerichtet, dessen Trommelfelle brannten.

Erneut grollte die Botschaft aus Aba: »Damn dit al, damn dit al!«

Baine stolperte fassungslos nach hinten. Bevor die Umstehenden vollends begriffen, was soeben geschehen war, begann Aba schwerelos über dem Boden zu schweben. Ihr ganzer Körper hing wie eine Marionette, deren Fäden man losgelassen hatte. Hell schimmerndes Licht strahlte aus ihrer Brust, an jener Stelle, wo die Kugel sie durchbohrt hatte. Klare, weiße Leuchtkraft überstrahlte den ganzen Platz wie Scheinwerfer das Amphitheater – die Zuschauer des übernatürlichen Schauspiels blendend. Noch flirrte ihr Körper lichterfüllt in der Luft, als es plötzlich aufhörte zu regnen.

Totenstille zur Einleitung des letzten Aktes.

Das leise Zwitschern der Sperlinge, eine komponierte Symphonie. Aus der hell erleuchteten Brust Abas heraus gebar es einen Sperling, der fröhlich singend, flatternd tanzte. Es folgten weitere und stimmten ihre Instrumente mit ein. Wie Engelsgesang zwitscherten Hunderte Sperlinge ihr Lied, flirrende Flügelschläge umhüllten Abas Körper wie eine sanfte Frühlingsbrise. Nach und nach trugen sie das Licht in den Kosmos, bis auch der letzte Sperling seinen goldenen Lichtschimmer hinauf, durch dunkle Wolken hindurch, mit sich nahm. Dann folgten Dunkelheit und völlige Stille, wie kurz vor dem tosenden Applaus des Publikums, deren Herzen die Emotionen des gerade Aufgeführten noch genießen.

Veronika liefen kalte Tränen über die Wangen.

Es verging eine gefühlte Ewigkeit, bis Sam zwar benommen, doch langsamen Schrittes sich zu der Stelle vorwagte, an der Aba soeben noch gelegen hatte. Er suchte nach ihr, doch der Platz war leer. So, wie sie aus der Nacht gekommen – aus dem Nichts –, so verschwand sie in einem gleißenden Lichtermeer.

Die Todesstrafe?

First Street, NE, einen Block östlich des Capitols, 2001

Frank Brown saß im Büro von Richter Rudolph, welches sich im ersten Stock des Supreme Courts, dem Obersten Gericht der Vereinigten Staaten, befand. Bereits vor einer Stunde hatte er das fünfstöckige, über 28 Meter hohe Gebäude aus den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, das aus reinem Marmor bestand, betreten. Seine braune, lederne Aktentasche durchleuchtet, durchschritt er die Sicherheitszone, gefilzt von Metalldetektoren. Nun wartete er schon über dreißig Minuten, was bei Richter Rudolph keine Seltenheit darstellte. Er grübelte, ob der Richter ihn aus Absicht warten ließ, um deutlich zu machen, welch wichtiges Amt er bekleidete.

Endlich ging die Türe auf und würdevoll, doch mit sportlichem Elan begrüßte Richter Rudolph beim Eintreten seinen Gast: »Hallo, Senator Brown. Entschuldigen Sie, dass ich Sie warten ließ.«

Nachdem sie sich freundlich die Hände geschüttelt hatten, nahmen beide in einer Sitzecke auf abgewetzten Ledersesseln Platz. Es folgte eine gegenseitige kurze Musterung in der Art, als ob sie gleich sagen wollten: ›Hey, alter Knabe, fit schaust du heute aus. Gut gevögelt?‹

Senator Brown ergriff zuerst das Wort: »Richter Rudolph, Sie ahnen, warum ich hier bin?«

»Geht es um Jeff Sanders?«

»Genau, Jeff Sanders.«

»Den schwarzen Jeff Sanders, der sich einer Polizeifestnahme entzog und einen Officer der USCP mit gezieltem Stich in den Hals förmlich hingerichtet hat?«

Brown missfiel dieses Frage- und Antwortspiel. »Richter Rudolph, wir stehen als Senat vor der gleichen Frage wie Sie. Können wir die Verhängung der Todesstrafe verantworten?«

Samuel Rudolph schlug seine Beine übereinander und lehnte sich entspannt im Sessel zurück. »Was soll ich Ihrer Meinung nach tun, Senator? Ist es aus Ihrer Sicht nicht mehr eine Frage Ihrer Wählerstimmen? Wenn ja, dann würde ich mich an Ihrer Stelle für die Todesstrafe aussprechen. Kommen Sie allerdings aus tief ethischen Beweggründen, so sollten Sie sich die Frage stellen, ob Sie nicht bei den Demokraten besser aufgestellt wären.«

Rudolphs angriffslustiges Verhalten verwirrte, beleidigte Brown und er stellte sich insgeheim die Frage, was der Richter hiermit bezwecken wollte. »Weder noch«, entgegnete er. »Für mich sind es in diesem Fall rein sachliche Gründe, die mich erwogen haben, das Gespräch mit Ihnen zu suchen.« Was nicht der Wahrheit entsprach.

»Ihnen sind die Beweisvideos bekannt?« Browns Stirn schlug Falten.

»Sicher doch, und in der Tat stellen diese ein gewisses Problem dar, wenn nicht moralisch, so könnten sie doch einen anderen Eindruck als den tatsächlichen Tathergang vermitteln. Senator Brown, entschuldigen Sie, wenn ich eben etwas barsch war. Doch hier geht es nicht um die Frage, ein zutiefst verwurzeltes Recht des guten amerikanischen Bürgers auszuhebeln. Das Recht der Sicherheit auf unseren Straßen, das Recht, das jedes einzelne Kind, jede Frau und jeder Mann in diesem Staat vor Ungemach schützen soll. Wissen Sie eigentlich, wie lange dieses Recht auf Todesstrafe schon besteht? Seit 1608, in den britischen Kolonien Nordamerikas. Ein naturgewolltes Gesetz, ohne dieses wir nicht das wären, was wir heute sind. Ein freier Staat mit zu schützenden Bürgern.«

Brown kam die Rede einstudiert vor und er fragte sich, wie oft der Richter diese schon vorgetragen hatte.

»Aber auf Ihre Frage zurückkommend. Ja, ich kenne diese Videos und sie machen die Entscheidung sehr kompliziert. Hier geht es nicht allein um die Todesstrafe. Hier geht es um Farbig und Weiß. Wir haben bereits genug Probleme mit angeblichen Übergriffen auf die schwarze Minderheit. Haben Sie schon mal versucht, sich wirklich intensiv in die Rolle eines US-Cops zu versetzen? Jede Fahrzeugkontrolle, jeder Zugriff auf einen Schwarzen könnte der letzte sein.«

»Genau wie jeder Zugriff auf einen Weißen«, erwiderte Brown.

»Aber das steht doch in unserem Fall gar nicht zur Debatte! Hier geht es um einen Farbigen, der einen US-Marshal niedergestochen hat. Wenn ich richtig informiert bin, mit kleinen Kindern und Frau, die er hinterlässt. Sie wollen meine Meinung wissen, wenn Sie hier zur Türe hinausgehen? Ich sage sie Ihnen: Wir müssen uns an das Gesetz halten. Das Gesetz schreibt eindeutig die Todesstrafe vor, wenn die Beweislast als erdrückend anerkannt wird. Zumindest in unserem Bundesstaat, und daran muss und werde ich mich als Vertreter der Gesetzgebung halten müssen. Meine persönliche Auffassung ist hier hinten angestellt. Doch sehen Sie, ich kann die Beweise des Berufungsantrags nicht unter den Teppich kehren. Die Videos belegen eindeutig, dass hier aus Notwehr gehandelt wurde.«

Rudolph hatte es geschafft und Brown verblüfft. Die ganze Zeit vermittelte der Richter den Eindruck, er würde dem Antrag, Jeff Sanders hinzurichten, stattgeben. Stattdessen hing nun die Aussage klar im Raum, dass dieser, entgegen seiner persönlichen Überzeugung, die Videos als Beweis zur Berufung zulassen würde.

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22 aralık 2023
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