Kitabı oku: «Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention», sayfa 8

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1. Grundprinzipien der Rechtsordnung

Eine Grenze der kirchlichen Selbstverwaltung findet sich jedoch in jedem Fall in den Grundprinzipien der Rechtsordnung, insbesondere im Willkürverbot (Art. 3 GG), im Verbot der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) und im ordre public (Art. 6 EGBGB).410

a. Willkürverbot

Das allgemeine Willkürverbot, das aus Art. 3 GG abgeleitet wird, ist verletzt, wenn die zu prüfenden Rechtsanwendungen „bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen.“411 Dieses Prinzip ist nicht nur grundrechtlich abgesichert, sondern ausdrücklich auch dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG zu entnehmen.412

Anknüpfend an diese Formel und an das oben Gesagte lässt sich für den kirchlichen Bereich also festhalten, dass willkürlich diejenigen Loyalitätsobliegenheiten wären, denen kein nachvollziehbarer Bezug zum kirchlichen Proprium zugrunde liegt. Dies darf aber nicht gleichsam formell mit der Nähe der konkreten Tätigkeit zum kirchlichen Sendungsauftrag im Sinne einer Stufung verwechselt werden.413 Vielmehr geht es unabhängig von der Tätigkeit um einen materiellen Sachbezug zu kirchlich-religiösen Vorstellungen und Aussagen. Wiederum muss der Jurist also hier der Verlockung widerstehen, sich das ekklesiologische Mandat zuzusprechen.414 Richtig ist aber, dass den kirchlichen Arbeitgeber hier im Zweifelsfall die Darlegungs- und Beweislast trifft.415 Gefordert werden kann also nur, dass die entsprechende Loyalitätsobliegenheit in ihrem Bestand und ihrer Notwendigkeit überhaupt auf einen kirchlichreligiösen Grund zurückgeführt werden kann und dieses auch belegbar ist. Den Grund selbst zu bewerten steht den staatlichen Gerichten nicht zu.416 Die Relevanz des Willkürverbots ist in dieser Hinsicht also gering.

Deutlich relevanter ist das Willkürverbot, wenn man direkt auf die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer abstellt. Auch im Arbeitsrecht ist der Arbeitgeber an die von ihm selbst gesetzte Norm gebunden.417 Auch der Arbeitgeber darf demnach wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich, wesentlich Ungleiches nicht willkürlich gleich behandeln.418 In dieser Hinsicht stellen die Loyalitätsrichtlinien aber Selbstbindungen dar, die – auch – gerade dazu erlassen wurden, dies zu vermeiden.419 Man mag aber vor diesem Zusammenhang eher die generalklauselartige Formulierung insbesondere der RL.EKD nachvollziehen können, die die Selbstbindung grundsätzlich verringert. Die Selbstbindung wird aber schließlich nicht nur durch die Kodifizierungen der Loyalitätsobliegenheiten, sondern auch durch deren konkrete Anwendung im Einzelfall erreicht. Gleich geartete Fälle müssen also von den Kirchen gleich behandelt werden,420 wobei wiederum die kirchliche Deutungshoheit zu beachten ist.

Dütz schließt darüber hinaus aus dem Willkürverbot ein Gebot der Vermeidung von Überforderungen und deutet daher an, dass nur gestufte Loyalitätsobliegenheiten den Anforderungen des allgemeinen Willkürverbots genügen könnten.421 Überzeugend ist dies aber nicht. Man mag zustimmen, dass die Loyalitätsobliegenheiten in gewisser Hinsicht eine Überforderung der kirchlichen Arbeitnehmer darstellen können.422 Das Willkürverbot schützt jedoch nicht vor jeglicher Überforderung, sondern eben nur vor willkürlicher Überforderung, so dass der Begriff als solcher keinen Erkenntnisgewinn beinhaltet und auf das oben Gesagte verwiesen werden kann. Schließlich kennt auch der normale, d.h. der säkulare Arbeitnehmer keinen Schutz vor Überforderung, im Gegenteil: die mangelnde Eignung des Arbeitnehmers – und damit verbunden dessen Überforderung – berechtigt den Arbeitgeber zur personenbedingten Kündigung.423

Das Willkürverbot verbietet also die Auferlegung völlig sachfremder Loyalitätsrichtlinien und verpflichtet die Religionsgemeinschaften weiterhin zur Gleichbehandlung im Rahmen ihrer eigenen Selbstbindung.

b. Sittenwidrigkeit

Der unbestimmte Rechtsbegriff der guten Sitten umfasst nach der allgemein anerkannten Formel dasjenige, was vom Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden umfasst ist.424 Diese Formel bleibt weitgehend inhaltsleer, weshalb grundsätzlich von einem hohen Begründungsaufwand auszugehen ist.425 Der Anwendungsbereich der Sittenwidrigkeit im Arbeitsrecht ist daher insgesamt gering426 und nach dem Inkrafttreten des AGG nochmals geschrumpft.427

Für die vorliegende Fragestellung mag indes relevant sein, dass auch die Grundrechte über das Konzept der mittelbaren Drittwirkung Eingang in den Begriff der guten Sitten finden.428 Freilich kann aber nicht jeder Grundrechtsverstoß das Vorliegen der Sittenwidrigkeit begründen; zu fordern ist zumindest objektiv ein gewisses Gewicht sowie das Vorliegen eines subjektiven Tatbestands.429 Fällt es also schon deshalb schwer, sich kirchliche Loyalitätsobliegenheiten, die gegen dieses Verbot verstoßen, auch nur vorzustellen, so verstärkt sich dieses Empfinden noch, wenn man sich vor Augen führt, dass eben der anzulegende Maßstab – vordergründig außerrechtliche Normen wie Ethik, Moral und gesellschaftliche Konventionen430 – in nicht geringem Umfang von den Kirchen selbst geprägt wird.431

Die Bedeutung der Sittenwidrigkeit ist in diesem Kontext also nicht sonderlich hoch einzuschätzen. Probleme wären allenfalls dort denkbar, wo Loyalitätsobliegenheiten die Grundrechte der Arbeitnehmer vollständig negieren.

c. Ordre Public

Der ordre public umfasst gemäß Art. 6 EGBGB „die wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts“, insbesondere die Grundrechte. Damit ist der Anwendungsbereich umfangreicher als der der vorgenannten Grenzen432 oder umfasst diese sogar schlichtweg.433 Geregelt wird die Frage der (Nicht-)Anwendbarkeit ausländischen Privatrechts; fraglich ist damit also, wie die Frage des „staatskirchenrechtlichen ordre public“434 zu bewerten ist. Nach den Grundsätzen des internationalen Privatrechts wäre eine Regelung dann nicht anzuwenden, wenn die Regelung offensichtlich mit tragenden Grundsätzen des deutschen Rechts nicht vereinbar, d.h. schlechthin untragbar wäre;435 für die Grundrechte fehlt das Merkmal der Offensichtlichkeit in Art. 6 S. 2 EGBGB.436

Freilich handelt es sich wiederum nicht um eine Grundrechtsprüfung dergestalt, dass jeglicher Verstoß bereits die Unanwendbarkeit der Norm zur Folge hätte: Art. 6 EGBGB ist nur ein „vergröberter Grundrechtsfilter“.437 Erst bei schlechthin untragbaren Verstößen, etwa dem Eingriff in den Menschenwürdegehalt der Grundrechte,438 wird diese Schranke also eingreifen; zu diesen könnten Arbeitnehmer nach dem oben Gesagten ohnehin schon gar nicht wirksam arbeitsvertraglich zustimmen, da diese einen zu weit gehenden Grundrechtsverzicht begründen würden.439

Weitere Prinzipien, die hier in Frage kommen könnten, wären das Prinzip des Vertrauensschutzes,440 der Bestimmtheitsgrundsatz,441 der Grundsatz der Privatautonomie oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung.442 Etwaige Probleme wären hier freilich nur im Bereich der Bestimmtheit zu besorgen.

Diese Betonung des ordre public, die Quasi-Gleichsetzung der Religionsgemeinschaften mit einer „befreundeten Macht“443, betont die weit reichende Autonomie der Kirchen, so dass dem religiösen Selbstverständnis stets ein besonderes Gewicht beizumessen ist.444 Überträgt man diese Wertungen des internationalen Privatrechts also auf das Staatskirchenrecht, so bleibt festzuhalten, dass wie der Inlandsbezug im internationalen Privatrecht445 der Bezug zum staatlichen Recht im Staatskirchenrecht eine entscheidende Rolle spielt: Je größer der Bezug zum staatlichen Recht – und damit gleichzeitig je weiter entfernt die Regelungsmaterie vom innersten kirchlichen Bereich ist –, desto schwerer wiegt der ordre public und damit das Einfallstor für die vergröberte Grundrechtsprüfung. Verstöße sind jedoch auch hier nur im extremen Einzelfall zu bejahen.446

d. Weitere

Nachdem das BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung die hier erwähnten Grundprinzipien in einer nicht abschließenden Aufzählung benannte,447 stellt sich die Frage, ob hier weitere Grundprinzipien der Rechtsordnung Eingang in die Prüfung zu finden haben. Richtigerweise sind diese aber bereits als Teil des ordre public Gegenstand der Prüfung, was im Übrigen durch die sehr ähnlichen Formulierungen des BVerfG und des Art. 6 EGBGB belegt wird.448 Vor diesem Hintergrund sind also auch das Willkürverbot und der Begriff der guten Sitten exemplarisch und als Teil des ordre public zu verstehen.449

2. Konsequenzen für die konkrete Rechtsanwendung im Einzelfall

Die beschriebene Grundsatzentscheidung des BVerfG hatte eine erstaunlich geringe Menge an Kritik zur Folge.450 Umstritten waren vielmehr die Rechtsfolgen der erwähnten Entscheidung, m.a.W.: wie der materielle Aussagegehalt dieser Judikatur zu interpretieren ist. Diese Fragestellung resultiert aus dem Umstand, dass das BVerfG einerseits postulierte, dass die Feststellung und Gewichtung von Verstößen gegen Loyalitätsobliegenheiten den Kirchen überlassen bleiben sollte,451 die Anwendung des Kündigungsschutzes – der grundsätzlich auf der zweiten Stufe nach Feststellung der generellen Eignung des Kündigungsgrundes eine Interessenabwägung beinhaltet – aber „umfassender arbeitsgerichtlicher Anwendungskompetenz“452 unterliege.

Zur Beantwortung dieser Frage wird oft differenziert: Einerseits sei zu untersuchen, wie weit die vorgenannte Anwendungskompetenz im konkreten Fall reiche, insbesondere in Bezug auf die Interessenabwägung; andererseits sei in einem zweiten Schritt zu entscheiden, ob und inwieweit konkurrierende Grundrechte der Arbeitnehmer zu berücksichtigen seien.453 Dies soll aus Gründen der Übersichtlichkeit auch hier so geschehen; verkannt werden darf aber nicht, dass die Beantwortung der ersten Frage durchaus eine präjudizielle Wirkung auf die Letztere hat: Für eine Berücksichtigung von Grundrechten ist nur dort Raum, wo auch eine umfassende Abwägung vorgenommen wird; umgekehrt würden Grundrechte dort keine eigenständige Rolle spielen, wo die Interessenabwägung einseitig von den Religionsgemeinschaften definiert und vorgegeben wird.

a. Reichweite der fachgerichtlichen Prüfungskompetenz

Die Meinungen reichen hier von der Annahme einer umfassenden – gleichsam „normalen“ – arbeitsgerichtlichen Prüfungskompetenz bis zur umfassenden Betonung der Kirchenautonomie, was eine Quasi-Ablehnung der Güterabwägung im bekannten Sinne zur Folge hätte.

Eine verbreitete Ansicht verlangt nach einer umfassenden arbeitsgerichtlichen Prüfungskompetenz, d.h. die Kirchenautonomie würde hier nur auf der ersten Stufe eine Rolle spielen, auf welcher die generelle Eignung des Kündigungsgrundes zu untersuchen ist. Die Interessenabwägung auf zweiter Stufe obläge dann aber allein dem Arbeitsgericht.454 Begründet wird dies mit dem Argument, dass pauschale Lösungen keine hinreichende Gerechtigkeit bieten könnten,455 und mit dem Hinweis, dass eine Prüfung nach Gleichbehandlungskriterien nur im Einzelfall Sinn machen könne.456 Dem kirchlichen Selbstverwaltungsrecht solle auch „im Positiven keine Sonderstellung“ zukommen.457

Hiergegen wendet sich die Gegenansicht.458 Eine solche Abwägung würde gerade nicht den von der Verfassung vorgeschriebenen und vom BVerfG bestätigten Anforderungen der Kirchenautonomie genügen.459 Vielmehr würde die gebotene religiöse Neutralität des Staates verletzt und einer staatlichen Kirchenhoheit Vorschub geleistet.460 Dies würde eine Abwägung im Einzelfall zwar nicht per se ausschließen, aber eben auch nur dann annehmen, wenn sie von den Kirchen selbst vorgesehen ist (s. Art. 5 III GrO, § 5 I RL.EKD).

Eine vermittelnde Ansicht schließlich bejaht im Grundsatz die Notwendigkeit einer zweistufigen Prüfung mit Interessenabwägung durch das Fachgericht, will aber im Zuge dessen der kirchlichen Selbstverwaltungsgarantie ein besonderes Gewicht beimessen.461 Nur so ließen sich die jeweiligen Kritikpunkte an den übrigen Meinungen vermeiden: Die kirchliche Deutungshoheit bliebe ebenso gewahrt wie der Bestand des – staatlichen – Kündigungsschutzrechtes der §§ 1 KSchG, 626 BGB.462 Im Ergebnis würde so freilich oftmals dasselbe Ergebnis erreicht wie auch bei der vorgenannten Meinung.463

Die Argumente der zweitgenannten Ansicht überzeugen. Akzeptiert man – und dies ist aufgrund der gebotenen staatlichen Neutralität schlechthin kaum diskutabel – die kircheneigene Kompetenz zur Festlegung und Gewichtung der Loyalitätsobliegenheiten, so ist es denklogisch schlicht unmöglich, den Arbeitsgerichten die Kompetenz zu umfassender Interessenabwägung im Einzelfall zuzusprechen, denn Gewichtung bedeutet immer auch Vergleich.464 „Die Festlegungen, was grundsätzlich kündigungserhebliche Gründe sind, und welches Gewicht sie haben, lassen sich nicht trennen.“465 Der erstgenannten Meinung kann schon deshalb nicht gefolgt werden.

Der vermittelnden Ansicht ist dagegen tatsächlich zuzugeben, dass die Anwendung des Willkürverbots im Gegensatz zum ordre public als Rechtsanwendungskontrolle466 erst auf der Ebene des Einzelfalls Sinn ergibt.467 Dieses Argument trägt jedoch nicht, wenn man sich die hier vertretene Meinung genau vor Augen führt: Diese trifft keinesfalls eine Absage an eine Interessenabwägung per se, vielmehr kann auch hier eine zweistufige Prüfung durchgeführt werden – nur eben nach den Vorgaben der Kirchen.468 Diese füllen insoweit den § 1 KSchG mit Leben. Dies ist nichts als die logische Fortdenkung der – unbestrittenen – Tatsache, dass die Kirchen die Gewichtung der Loyalitätsverletzungen selbst festlegen dürfen.469 Ist die Schwere des Verstoßes von den Kirchen zu bestimmen, so kann folgerichtig kaum in einer Interessenabwägung von den staatlichen Gerichten bestimmt werden, welche Aspekte auf Arbeitnehmerseite schwerer wiegen könnten. Kritiker an dieser Meinung verkennen auch die Bedeutung des ordre public: Sähe eine Loyalitätsrichtlinie für etwaige Verstöße ein alles-oder-nichts-Prinzip ohne Berücksichtigung jeglicher Arbeitnehmerinteressen vor, so verstieße sie ohne weiteres gegen den ordre public oder auch gegen das Willkürverbot; Arbeitnehmer könnten sie auch nicht durch Rechtsgeschäft zum Bestandteil ihres Arbeitsvertrages werden lassen.470

Die vermittelnde Ansicht muss sich zudem vorwerfen lassen, dass sie zur Rechtsunsicherheit beiträgt, wenn sie einerseits eine fachgerichtliche Interessenabwägung verlangt, andererseits aber doch in den meisten Fällen einen Automatismus zugunsten der Kirche bejaht.471 Anders ausgedrückt: Es erscheint zweifelhaft, wieso die kirchliche Deutungshoheit in Frage zu stellen ist, wenn man ihr im Ergebnis doch den Vorrang zumessen will.

Auch unter Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen Schranke und Kirchenautonomie gelangt man zu keinem anderen Ergebnis. Das Prinzip der Wechselwirkung verkäme zur inhaltsleeren Hülse, wollte man auf diesem Weg die kircheneigene Kompetenz beschneiden und eine staatliche Deutungshoheit installieren.

Damit haben sich die Arbeitsgerichte im Kündigungsschutzprozess an die Vorgaben der Religionsgemeinschaften zu halten. Dies ist keine generelle Absage an eine zweistufige Prüfung mit Interessenabwägung; vielmehr ist diese von den Kirchen in den meisten Fällen sogar ausdrücklich vorgesehen.472 Vorgaben der Religionsgemeinschaften, die die Interessen der Arbeitnehmer vollständig negieren, verstoßen von vornherein gegen die Schrankentrias, so dass das Arbeitsgericht nunmehr nicht mehr an sie gebunden wäre.

b. Insbesondere: Berücksichtigung kollidierender Arbeitnehmergrundrechte?

Das Gesagte lässt sich im Grundsatz auch auf die Frage übertragen, ob und inwieweit etwaige widerstreitende Grundrechte der gekündigten Arbeitnehmer in die Prüfung mit einzubeziehen wären. Denkbar wären, ihre Prüfungsrelevanz einmal vorausgesetzt, insbesondere Eingriffe in die Grundrechte der Religionsfreiheit (Art. 4 GG), die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) und die Freiheit der Ehe und Familie (Art. 6 GG). Grundsätzlich entfalten die Grundrechte über die mittelbare Drittwirkung ihre Wirkung auch im Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts.473 Die Frage lässt sich wiederum auf eine mehrdeutige Aussage des BVerfG zurückführen: War diese Problematik ursprünglich noch ausdrücklich offen gelassen worden,474 so urteilte das BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung, dass Gekündigte sich „nicht mit Erfolg auf grundrechtlichen Schutz, etwa aus Art. 5 GG, berufen“ könnten.475 Interpretieren lässt sich diese Aussage in zweierlei Richtung: Möglich ist zunächst, dass der Gekündigte sich hier zwar nicht mit Erfolg auf Art. 5 GG berufen könne, dies grundsätzlich aber schon in Frage käme; oder aber, dass ein solches Vorgehen generell nicht möglich ist.

aa. Berücksichtigung der kollidierenden Arbeitnehmergrundrechte

Befürworter der ersten Meinung476 verweisen insbesondere darauf, dass bei Nicht-Berücksichtigung von Grundrechten eine Klerikalisierung des Laienstandes477 zu befürchten sei, wenn die kirchlichen Vorgaben – zumindest in der Theorie – grenzenlos das vollständige Leben des Arbeitnehmers umfassen könnten. Damit würden die Grundrechte der kirchlichen Arbeitnehmer auf Null – und damit unter den Menschenwürdegehalt oder die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 II GG – reduziert.478

Die kirchliche Autonomie sei als Teil der Gesamtordnung des Grundgesetzes ebenfalls Bestandteil des Grundsatzes der Einheit der Verfassung.479 Aus dem konstitutiven Charakter der Grundrechte für die Verfassungseinheit folge ohne weiteres die „Verpflichtung zur Verfassungsinterpretation im Sinne einer praktischen Konkordanz.“480 Auch aus dem Neutralitätsgebot des Staates folge nichts anderes, als dass bei einer Kollision zweier durch das Grundgesetz geschützter – und damit gleichwertiger – Positionen sich keine von beiden derart durchsetzen dürfe, dass die andere bereits „im Kern negiert“ würde.481 Ein möglichst schonender Ausgleich – die praktische Konkordanz – sei also nur nach einer umfassenden Prüfung im Einzelfall zu erreichen. Ähnlich verneint Vogler als Folge des rechtlichen Charakters der Selbstverwaltungsgarantie als mögliches Freiheitsrecht sui generis die prinzipiell unbegrenzte Schutzwürdigkeit, die demnach einer Abwägung mit den Grundrechten offen sein müsste.482

Teils wird die Heranziehung der Grundrechte weiterhin damit begründet, dass diese als „allgemeines Gesetz“ i.S.d. Art. 137 III WRV zu verstehen seien, denn als Bestandteil einer objektiven Werteordnung hätten sie durchaus auch verpflichtenden Charakter.483 Die Gegenansicht verweist auf die Problematik, dass diese dann wiederum im Lichte der Kirchenautonomie auszulegen wären, und sucht die Lösung auf der Ebene des Verfassungsrechts: Die Grundrechte seien eine verfassungsimmanente Schranke und schon deswegen zu berücksichtigen.484

Dafür spreche auch, dass im umgekehrten Fall eine kirchliche Souveränität zu befürchten sei,485 was sich darin äußern würde, dass den Kirchen die Kompetenz-Kompetenz für das Postulieren absoluter Kündigungsgründe zugesprochen würde.486 Der kirchliche Arbeitnehmer sähe sich also nicht zuletzt auch einer Rechtsschutzlücke gegenüber.487

Die Berücksichtigung kollidierender Arbeitnehmergrundrechte folge schließlich auch aus dem strukturellen Machtungleichgewicht im Arbeitsrecht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber; ein Aspekt, der sich noch einmal verstärke, wenn man sich die Quasi-Monopolstellung der Kirchen in bestimmten Bereichen wie Caritas und Diakonie zumindest in regionalen Strukturen vor Augen führe.488 Schließlich gehöre die Berücksichtigung von Grundrechten der Arbeitnehmer im Rahmen der Interessenabwägung zu den grundlegenden Prinzipien des Kündigungsschutzprozesses.489

Einen dogmatisch differenzierteren Weg geht Dütz, der zwischen der Normabwägung zwischen zwei konkurrierenden Verfassungsbestimmungen, namentlich den Grundrechten sowie der Kirchenautonomie, und der einfachrechtlichen Interessenabwägung – die er ebenfalls bejaht, s.o. – differenziert.490 Eine Normabwägung zwischen im Grundgesetz verankerten Positionen erfordere eine Abwägung im Sinne einer praktischen Konkordanz, wobei hier allerdings gewisse Bereiche von vornherein auszuklammern seien. Soweit die Selbstverwaltungsgarantie prinzipiell schwerer wiege, sei eine automatische Freistellung der Kirchen geboten, so dass die Grundrechte in diesen Fällen zurücktreten müssten.491 Dies sei bei Verstößen gegen grundlegende kirchliche Grundsätze der Fall.492 Exemplarisch wird hier insbesondere der Kirchenaustritt oder das öffentliche Eintreten für den Schwangerschaftsabbruch genannt.493

Eine weitere Stütze sieht diese Meinung in der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG. Dieses hatte in zwei Kammerentscheidungen unter ausdrücklichem Verweis auf die beschriebene Grundsatzentscheidung494 ausgesagt, dass Grundrechte der Arbeitnehmer „mit dem ebenfalls Verfassungsrang genießenden Recht der Kirchen, in den Schranken der für alle geltenden Gesetze den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer verbindlich zu machen“ kollidieren und demzufolge eine Abwägung geboten sei.495 Dass also kollidierende Grundrechtspositionen zu berücksichtigen sind, könne nicht zweifelhaft sein.496 Dies entspreche seit dem Lüth-Urteil des BVerfG497 gesicherter Erkenntnis dergestalt, dass die objektiven Wertaussagen der Grundrechte über das Einfallstor der Generalklauseln durch den Zivilrichter zu berücksichtigen seien.498

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