Kitabı oku: «Buchstäblichkeit und symbolische Deutung», sayfa 36

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Die sechste Strophe bringt die eigentliche Rebellion. Die Fragekette der fünften Strophe geht nun über in eine Anklage. Vorwurfsvoll wird der Ton. Nicht die Götter haben PrometheusPrometheus erwachsen gemacht, sondern die Zeit hat das getan. Prometheus ist erwachsen (V. 42: „die allmächtige Zeit“) und hart geworden (V. 41: „zum Manne geschmiedet“, bereits die Metapher signalisiert die Anstrengung und Gewalt, die nötig waren, um aus Prometheus das zu machen, was er geworden ist). Auch Zeus selbst muss sich letztlich der Herrschaft der Zeit unterwerfen. Schonungslos deckt damit Prometheus auf, dass die Macht der Götter keineswegs allumfassend ist, dass es mächtigere Mächte gibt, nämlich die Zeit und das Schicksal und den rebellierenden Sohn. Prometheus bringt damit einen tragischen Aspekt mit in das Gedicht ein. Dem Schicksal (‚moira‘) vermag sich nach griechischer Auffassung niemand zu entziehen, es ist jene Macht, die einen Geschehensverlauf als tragischen bestimmt, wenn es kein Entrinnen und keine Entscheidungsalternativen gibt. Gleichgültig, wie sich der Held verhält, das Geschehen endet stets tragisch. Dargestellt wurde dieser Schicksalsmechanismus in der griechischen Tragödie.

Die Schlussstrophe in GoethesGoethe, Johann Wolfgang Gedicht bringt aber den eigentlichen Unterschied zur Tragödie. Das Gedicht endet nicht tragisch, sondern programmatisch. Prometheus ist kein Suchender, anders als FaustFaust, Johannes (Georg) sucht er nicht nach Erkenntnis. Prometheus ist entschlossen, er hat eine Entscheidung bereits getroffen und befindet sich dabei zu handeln. Prometheus handelt, denn er formt Menschen nach seinem Bild. Auch dies ist eine beziehungsreiche Anspielung auf den biblischen Schöpfungsmythos. Das gesamte Gedicht ist so gesehen die Darstellung eines perlokutiven Akts. Es endet mit dem Anspruch von Prometheus, selbst Menschen zu bilden, welche die Autorität des Vaters nicht zu achten brauchen. Darin kann man ein poetologisches Selbstbekenntnis des Autors lesen. Die literarische und ästhetische Selbstständigkeit, die der Sturm und Drang beanspruchte, erfährt hier nochmals bekenntnishaften Ausdruck. Auch führt Goethe die Themen des Selbsthelfertums („Hast du’s nicht alles selbst vollendet / Heilig glühend Herz?“, V. 31f.) sowie der Rebellion gegen die Vaterautorität an, sei sie als ästhetisch-dramatische Norm gedacht, sei sie als religiöse, gesellschaftliche oder als familiale Vaterinstanz erfahren („Ich dich ehren? Wofür?“, V. 36).

Neben dem Verständnis von Prometheus als Sinnbild poetischer Schöpferkraft kann die Berufung auf den Prometheus-Mythos auch den grundsätzlichen Anspruch einer Demokratisierung des Wissens meinen. Dem entspricht im Selbstverständnis des Sturm und Drang die Absicht, Volkslieder zu sammeln. Literatur ist in diesem Sinne allgemein und das heißt für alle da, unabhängig vom Bildungsgrad und unabhängig von Geburts- und Ständeprivilegien. PrometheusPrometheus stiehlt das Feuer und das Wissen ums Feuermachen vom Himmel, er stellt es allen Menschen zur Verfügung. Poesie ist somit nicht länger das „Privaterbteil“31 weniger privilegierter Menschen, wie GoetheGoethe, Johann Wolfgang im zehnten Buch von Dichtung und WahrheitDichtung und Wahrheit schreibt. Dieses Verständnis des rebellierenden Göttersohns als Personifikation bürgerlicher Freiheitsrechte wird besonders deutlich bei Gottfried August BürgerBürger, Gottfried August formuliert. In seinem PrometheusPrometheus betitelten Gedicht von 1785 heißt es: „Ist’s weise, daß man dich verdamme, / Gebenedeite Gottesflamme, / Allfreie Denk- und Druckerei?“32 In der Prosaversion wurde Bürger noch deutlicher, mit Blick auf den Flammenraub schrieb er: „Dabei könntest du, Flamme Gottes, Denk- und Preßfreiheit, einem einfallen!“33 Auch Klinger hatte schon in seinem OrpheusOrpheus-Roman (1778/80) gefragt: „Wer kann die Flamme erweken, die Prometheus Fakel in uns anzündete?“34, dabei freilich nicht an die Rede- und Schreibfreiheit gedacht. Vielmehr bleibt im Orpheus offen, ob die Fackel die göttliche Inspiration symbolisiert, prometheusgleich ein Werk zu schaffen, oder ob diese Fackel – was von der Konzeption und vom Inhalt des Romans her gesehen ebenso möglich, möglicherweise wahrscheinlicher ist – im heinseschenHeinse, Wilhelm Sinne als Liebessymbol zu verstehen ist. KlingerKlinger, Friedrich Maximilian würde damit an eine Variante des Prometheus-Mythos angeknüpft haben, die er bereits in seinem Sturm-und-Drang-Sturm und DrangDrama OttoOtto (1775) beiläufig erprobt hatte. Dort sagt der von Eifersucht getriebene Graf Normann: „Und ich fürchte keinen Jupiter, keinen Adler – ich wills ausführen“35. Der Mythos des antiken Selbstretters wird hier mit heftigem Begehren konnotiert. Heinse hatte diesen anderen Deutungshorizont der Prometheus-Gestalt, der auch bei der Betrachtung von Goethes PrometheusPrometheus nicht übersehen werden sollte, in seinem frühen Gedicht Die KirschenDie Kirschen (1773) eröffnet und damit den Mythos als Ausdrucksform eines Begehrensdiskurses nutzbar gemacht. Dort heißt es über die Liebesgeschichte zwischen Lisette und Peter:

„Und was mit allem dem, käm Amor nicht hieher?

Der weiß allein den Geistern aufzutischen:

Ein Mädchen ist nur Leim, Prometheus ist er,

Den Schlummer muß er ihm erst aus den Augen wischen.“36

GoethesGoethe, Johann Wolfgang PrometheusPrometheus schafft sich seine Menschen selbst, geschlechterdifferentGeschlechterdifferenz betrachtet heißt dies, nach seinem (Frauen-)Bild erschafft er sich die Frauen. Und zugleich droht ihm aus diesem Akt sein eigener Untergang. Denn sind die prometheischen Menschen so wie ihr Schöpfer selbst („wie ich“, V. 56), so muss Prometheus mit derselben Ablehnung rechnen, die er seinem Göttervater entgegenbringt. Man kann also insgesamt durchaus von einem Doppelgebrauch der Metapher Prometheus sprechen, die Schöpferkraft und Manneskraft, Genialität und SexualitätSexualität umfasst und damit einen zentralen Themenkomplex der Sturm-und-Drang-Sturm und DrangLiteratur formuliert. In dieser Literatur gibt es kaum einen respektloseren und damit provokanteren Text als Goethes PrometheusPrometheus-Ode, der die Themen der individuellen Selbstbestimmung, des Selbsthelfertums, der Rebellion gegen die väterliche Ordnung und die poetologische Selbstrechtfertigung auf solch unterschiedlichen Sinn- und Verweisungsebenen formuliert. Gekonnt und kritisch spielt der Text mit den Traditionen der biblischen und der antiken mythologischen Sinnverständigung. Der Beschreibung des psychohistorischen Konflikts eignet nicht nur eine individuell-familiäre Seite, die Auflehnung gegen den Vater, sondern auch eine sozialhistorische, die Auflehnung gegen Vaterautoritäten in Gesellschaft und Literatur. Prometheus erscheint dann als Widerständler gegen herrschende Normen. Die Gestalt des Gottvaters Zeus im Gedicht erschiene so gesehen als projizierte Vaterfigur oder als despotischer Landesfürst (in diesem Sinne wurde Prometheus wiederholt als Personifikation von Macht- und Autoritätsansprüchen verstanden, das Gedicht selbst musste insgesamt als Beleg für die politische, antifeudalistische Intention des Sturm und Drang dienen). Poetologisch lässt sich der Text als Programm der Absage an ein tradiertes Literaturverständnis lesen, gleichsam als eine metaphorische PoetikPoetik des Sturm und DrangSturm und Drang. In diesem Kosmos der Deutungsvielfalt darf aber nicht übersehen werden, dass PrometheusPrometheus letztlich in ein Dilemma gerät, denn er kann in der Schlussstrophe nicht den Vater meinen, dies wäre er selbst, sondern – genealogisch exakt gesehen – den Großvater. Ihm selbst sollen seine eigenen Geschöpfe den gleichen Respekt zollen, den Zeus von seinen Göttersöhnen erwartete. Der Konflikt zwischen Prometheus und seinen „Menschen“ (V. 50) ist unausweichlich, auch Prometheus’ Söhne und Töchter werden gegen ihren Vater rebellieren. Unwissentlich formuliert Prometheus hier, was er zu gewärtigen hat. Aus der Autorperspektive und der Rezipientenperspektive erscheint Prometheus als Figur der maßlosen Selbstüberschätzung als Folge des Geniewahns. Liest man Goethes Gedicht als poetologischen Subtext zum Sturm und Drang, so ist im Schluss der PrometheusPrometheus-Ode bereits das Wissen um das Ende des Sturm und DrangSturm und Drang eingeschrieben. Eine einheitliche Deutung gibt es nicht, das Gedicht lebt gerade von dieser Mehrdeutigkeit. So bleibt am Ende jener Wunsch stehen, mit dem bereits HederichHederich, Benjamin im Jahr 1770 seinen Prometheus-Artikel, der ja GoetheGoethe, Johann Wolfgang nachweislich bekannt war, beendet hatte und der nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat: „Mehrere solche Deutungen kann sich ein jeder selbst machen.“37

Merck: Gedichtete Fabeln und lyrische Gedichte

„Wenn ich nicht fürchtete, eben so ein grämlicher Schwätzer zu werden, als manche von meinen Herren Collegen, so würde ich einige von den Fäden meiner Philosophie vor Ihren Augen aufziehen, und Sie würden vielleicht herzlich über den groben Teppich lachen“ (Br, S. 56)1. Das schreibt Johann Heinrich MerckMerck, Johann Heinrich an Sophie von La RocheLa Roche, Sophie von unter dem Datum des 21. Septembers 1771. Am Ende dieses Briefes stellt er der Adressatin in Aussicht, bald auch einige Verse zu schicken. Ob er dies ausgeführt hat, wissen wir nicht, an welche Verse er dachte, ist uns ebenfalls nicht bekannt. Waren es versifizierte Fabeln, waren es die empfindsamen Lieder oder beschäftigte sich Merck mit anderen, neuen Gedichten?

Der GoetheGoethe, Johann Wolfgang-Freund und Förderer Merck wurde 1741 in Darmstadt geboren und starb ebenda 1791, und in der Höhle des Löwen, um gleich ein Fabeltier zu nennen, sollte man nicht unbedingt mit einem Aufklärungslämpchen archäologische Arbeiten verrichten wollen. In seiner Fabel Die Fackel und das LichtDie Fackel und das Licht lässt Merck den Streit darüber, wer von beiden bedeutender, wichtiger für die Menschen sei, so enden: „O gebt euch beyde doch zufrieden! / Sie da ist gröser – sprach er zu dem Licht, / Und du bist nützlicher. – So war der Streit entschieden“ (W, S. 92)2. Merck spielt damit auf die Fackel als SymbolSymbol der AufklärungAufklärung an. Auch wenn diese Fackel der Aufklärung, die stets eine Aufklärung des Verstandes bedeutet, schnell abgebrannt ist, so bleibt uns immer noch das Licht, das die Besserung der Herzen erhellt. Für diese Allusion gilt, was Merck am 28. Juni 1774 Friedrich NicolaiNicolai, Friedrich brieflich erklärt: „Der Deuter genießt immer ein sicheres Vergnügen, wenn er den Sinn der Allusion getroffen zu haben glaubt“ (Br, S. 114).

Es mag also erstaunen, vielleicht sogar befremden, dass Johann Heinrich Merck als Lyriker angesprochen wird. Ist er uns denn als Gedichteschreiber bekannt? Finden wir seine Verse etwa in Schulauswahlen oder in Anthologien?3 Merck, der Prosaist, Merck der Briefschreiber, MerckMerck, Johann Heinrich, der kulturelle Redakteur, der in den wenigsten Fällen geschäftlich erfolgreiche Unternehmer in der Res publica litteraria, der aufgeklärten Gelehrtenrepublik des 18. Jahrhunderts, Merck, der Rezensent und Beiträger der wichtigsten Literaturzeitschriften des 18. Jahrhunderts, Merck, der Paläontologe und naturwissenschaftlich interessierte und gebildete Laie,4 schließlich Merck, der GoetheGoethe, Johann Wolfgang-Freund oder Merck, der Kriegsrat – all diese Etikettierungen sind uns hinlänglich bekannt. Aber Merck, der Lyriker? Ein Autor, zu dessen Lebzeiten niemals ein Gedichtband erschienen ist?

Es nimmt nicht wunder, wenn wir einen Blick in die einschlägige, gleichwohl spärliche Forschungsliteratur zu Johann Heinrich Merck werfen, dass seine Lyrik keineswegs Gegenstand großen wissenschaftlichen Interesses bislang gewesen ist. Franz MunckerMuncker, Franz sieht in seinem Merck-Artikel in der Allgemeinen Deutschen Biographie (1885)5 in den Fabeln LessingsLessing, Gotthold Ephraim und in Mercks lyrischen Versuchen den Einfluss der Dichter des Halberstädter und Göttingischen Kreises, aber auch den Einfluss HerdersHerder, Johann Gottfried am Werk. Muncker bescheinigt diesen Gedichten gleichwohl tiefe und zarte Empfindung.6 1911 bietet Hermann Bräuning-Oktavio in einem Aufsatz neu entdeckte Gedichte von Merck.7 In Helmut Prangs Monografie Johann Heinrich Merck. Ein Leben für andere (1949)8 finden sich nur marginale Bemerkungen zum Thema. Anders verhält es sich in einer späteren Publikation Hermann Bräuning-Oktavios, er veröffentlicht 19619 in einem Aufsatz auszugsweise, dann 1962 in einer Buchpublikation erstmals vollständig alle Fabeln aus der Feder Mercks. Es handelt sich dabei um die Darmstädter Handschrift, die heute in der Hessischen Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt aufbewahrt wird.10 Zuvor waren von den 73 Fabeln, von denen insgesamt nur noch 71 erhalten sind, schon 17 durch Karl Wagner 1835 veröffentlicht worden, allerdings teilweise mit erheblichen Weglassungen durch den Herausgeber. Gerhard Sauder würdigt die Fabeln und Gedichte Mercks in seinem Jubiläumsaufsatz von 1991.11 Walter Pabst (1993)12 druckt in seinem Aufsatz MercksMerck, Johann Heinrich Gedicht Michel Angelo ab und schließt eine 21-zeilige Paraphrase an. Zum 210. Todestag und 260. Geburtstag Mercks legte Walter Schübler ein Buch vor mit dem Titel Johann Heinrich Merck 1741–1791. Biographie (Weimar 2001). Diese Arbeit ist eine durch Kommentare unterbrochene Auslese aus Mercks Briefen, seinen Schriften und zeitgenössischen Dokumenten, eben ein „kaleidoskopisches Porträt“13. Auch hier finden wir über Mercks Lyrik wenig.

Man muss es also deutlich sagen, wenn es um die Geschichte der deutschsprachigen Lyrik im 18. Jahrhundert geht, wird ein Name nie genannt, Johann Heinrich Merck. Über ihn als einen Lyriker zu sprechen bedeutet daher, sich einer poetischen Produktivkraft zu erinnern, die es erst freizulegen gilt. Wenn wir uns über Mercks Lyrik verständigen, müssen wir zwischen drei kleinsten Werkgruppen unterscheiden. Da sind zunächst die Fabeln zu nennen, dann die empfindsamenEmpfindsamkeit oder die lyrischen Gedichte (einschließlich der sogenannten Kasuallyrik) und schließlich die Satiren.14 Nach Arthur Henkel sind die Fabeln „wohl vor 1770“ (W, S. 633) entstanden. Hermann Bräuning-Oktavio datiert sogar genauer zwischen 1760 und 1770,15 doch gibt es für eine verlässliche Datierung keine Anhaltspunkte. Einige der Fabeln wurden im Göttinger Musenalmanach 1770, andere erst später von dem Merck-Forscher und Merck-Editor Karl Wagner 1835 oder sogar erst 1962 durch Bräuning-Oktavio zum Druck befördert. Die lyrischen Gedichte sind überwiegend in der Zeit Anfang der 1770er-Jahre geschrieben worden, Bräuning-Oktavio datiert die meisten dieser insgesamt 27 Gedichte hingegen auf das Jahr 1771.16 Doch ist das nicht mehr als ein Mittelwert, da er an anderer Stelle die Jahre 1770 bis 1772 als Entstehungszeitraum angibt.17 Die meisten davon wurden in zeitgenössischen Zeitschriften auch gedruckt. Spät, im November 1778, wird MerckMerck, Johann Heinrich WielandWieland, Christoph Martin für dessen Teutschen Merkur ein Gedicht schicken, das vorgeblich von einem Fräulein geschrieben sein soll. Im Merkur wurde es nicht gedruckt, und ob Mercks Angabe richtig war, lässt sich nicht mehr feststellen. Schwer jedenfalls ist es sich vorzustellen, dass Merck sieben Jahre nach dem Ende seiner empfindsamenEmpfindsamkeit Phase nochmals ein Gedicht aus jener Zeit hervorholt und es Wieland zum Druck anbietet. Die Schottischen LiederSchottische Lieder, die zu den lyrischen Gedichten gerechnet werden, sind Übersetzungen Mercks aus dem Englischen und wurden 1776 veröffentlicht. Zu den Verssatiren gehören schließlich insgesamt drei Texte in Reimform: die Rhapsodie von Johann Heinrich Reimhardt, dem JüngerenRhapsodie von Johann Heinrich Reimhardt, dem Jüngeren (1773), eine „burleske Prosodie in Knittelversen“,18 Pätus und Arria. Eine Künstler-RomanzePätus und Arria (1775) und die Matinée eines RecensentenMatinée eines Recensenten, die zwar schon 1776 an WielandWieland, Christoph Martin geschickt, aber erst 1838 durch Wagner veröffentlicht wurde. Aus der Zeit nach 1776 liegen kein Gedicht, kein einzelner Vers, keine Satire und keine Fabel von Mercks Hand vor. Das wirft natürlich die Frage auf, weshalb Merck, der von der Forschung treffend als „Autor der Diskontinuität“19 beschrieben wurde, nahezu plötzlich seine lyrische Produktion abbricht. Ein kleiner historischer Exkurs erlaubt eine Annäherung an die Antwort auf diese Frage. Dass Literatur gefährlich, genauer, dass ein Bürgerliches TrauerspielBürgerliches Trauerspiel und mithin der Umgang mit Literatur bisweilen tödlich enden kann, zeigt das Ende des 78-jährigen hessischen Landgrafen Ludwig VIII., der während einer Theateraufführung tot zusammenbrach. Am 17. Oktober 1768 gab die Leppertsche Gesellschaft von George LilloLillo, George den Kaufmann von LondonDer Kaufmann von London auf dem Darmstädter Hoftheater. Von Charlotte BuffBuff, Charlotte erfahren wir Genaueres:

„Es rührte ihn [den Landgrafen] sehr, wie natürlich und ihm gewöhnlich; er fand es schön, erwähnte gegen den Prinzen George die darin steckende Moralen und bemerkte die guten Stellen; er klatschte in die Hände, und plötzlich sank er tot, unter einem Bravo! in die Arme des Prinzen George. […] Die jetzige Frau Landgräfin […] hat das Comödien-Haus zunageln lassen, wie es heisst, und will nie wieder Comödien in Darmstadt spielen lassen“20.

Vielleicht liegt die historische Lehre dieses Vorfalls darin, dass es ein Adliger war, der ein Bürgerliches TrauerspielBürgerliches Trauerspiel gesehen hat und dabei einen Schlaganfall erlitt. Die Fabeltheoretiker nennen dies Fabula docet, also das Epimythion, die Moral der Geschicht, und dem späten MerckMerck, Johann Heinrich, dem Sympathisanten der Französischen RevolutionFranzösische Revolution, hätte dieser Vorfall, hätte er sich 1790 ereignet, sicherlich einige beißende Bemerkungen entlockt. Denn wie kritisch Merck Despotismus, Günstlingswirtschaft und Hofschranzentum gegenüber eingestellt war, belegen über die Jahre hinweg die Fabeln, zahlreiche einschlägige Briefstellen und Bemerkungen in seinen Prosaschriften.

Betrachten wir uns nun etwas genauer das Fabel-Werk und bleiben wir gleich bei diesem ersten Aspekt, der politischen Dimension von Mercks Fabel-Dichtung. Nicht die Form dieser Fabeln, sondern der Inhalt, also Mercks Gedanken „zu ethischen und sozialen Fragen“21 seien das eigentlich Interessante an diesen Gedichten, meinte Bräuning-Oktavio. Andere hingegen sahen in den Fabeln mehr oder weniger unbedeutende Jugendarbeiten. „Mehr als Gebrauchs- und Unterhaltungslektüre für den Geschmack des Tages“ (W, S. 33) seien sie schon damals nicht gewesen, sie erhöben sich nirgends über die zeitgenössische Bildungs- und handwerkliche Kunstfertigkeit, meinte Peter Berglar in seiner Einleitung zur Werkausgabe von 1968.

Merck bietet Höpfner am 16. November 1769 einige seiner Fabeln zum Druck an, fünf werden im Göttinger Musen-Almanach 1770 veröffentlicht.

„Ob Sie meine Fabeln in den Almanach sollen druken lassen? – Sie können sich doch vorstellen daß ein Bettler wegen seines schlechten Rocks nicht darf besorgt seyn, wenn man ihn dem Volck unter einer Versammlung reichgekleideter Männer zeigt – Es wird sich niemand über ihn aufhalten, weil niemand auf ihn Achtung giebt, und so kommt er doch mit Ehre zum Thor hinaus. Machen Sie mit was Sie wollen, schneiden Sie ab, setzen Sie zu, nehmen Sie was Sie wollen, aber setzen Sie nur meinen Namen unter nichts“ (Br, S. 33).

Merck bedient sich vorwiegend der Tradition der Tierfabeln, so finden sich in dieser Werkgruppe Titel wie Der Hahn und der Fuchs, Der sanftmüthige Wolf, Der Esel und das Pferd, Der Hahn und das Pferd, Der Adler und die Taube usf. Daneben greift MerckMerck, Johann Heinrich auch auf mythologische und historische Themen zurück, wie beispielsweise Sokrates, und Antisthenes, Der Gott Merkur und Amor, Prometheus und Jupiter, Pyrrhus und Xerxes. Mercks Fabeln sind Lehrfabeln, ohne dass sie sich in einem Tugendmoralismus erschöpfen. In dem Gedicht Der Mönch und die Junge FrauDer Mönch und die Junge Frau, worin der Geistliche seine Worte so verdreht, dass seine Verführungsabsichten camoufliert werden, ist weniger die Handlungsintention des Mönchs entscheidend als vielmehr die diskursive Gewalt, die er gegenüber der unwilligen, weil unverständigen Frau aufbringt. Am Ende spricht das lyrische Ich – und wir können darin durchaus den Autor selbst erkennen:

„So sieht ein jeder das, was er zu sehen hofft,

Und so betrügen wir uns offt.

So geht die Wahrheit stets verlohren,

Zwey Critiker beweisen, schimpfen sich,

Ein Jeder glaubt: die Wahrheit nur seh ich.

Und ich, ich seh zwey Thoren“ (W, S. 54).

Der politische Inhalt der meisten von Mercks Fabeln ist evident. Ich will in diesem Zusammenhang nur an zwei Äußerungen Mercks erinnern. Einmal verwendet er den Begriff der „KönigsSau“ (Br, S. 150), um den landgräflichen Autokraten zu kennzeichnen. Und zum zweiten notiert Merck nach dem Tod der Landgräfin, der Ton sei nun abscheulich geworden, das ganze Land seufze unter dem „Despotismus“ (Br, S. 157) des Landesherrn und seiner Vasallen. Mehr denn je ist Merck nun, 1777, darauf angewiesen, Kontakt mit Freunden brieflich herzustellen und zu pflegen (vgl. Br, S. 159). Fremde beträten kaum mehr Darmstädter Boden. „Ich bin hier in der hundetummsten Gesellschafft, u. höre das Jahr durch kein Wort, das mich freut. Es ist also kein Wunder, wenn ich ganz u. gar versaure“ (Br, S. 200f.), klagt er in einem Brief an Wieland vom 7. November 1778. Darmstadt nennt er gar den Lumpenort, er spricht von der elenden Lage „unsers lieben Örtgens […], wo man nichts als dummes Zeug sieht u. hört“ (Br, S. 207).

Schon Bräuning-Oktavio hat mehrfach darauf hingewiesen, dass Mercks Fabeln soziale, ethische und politische Fragen enthalten.22 Ein unvoreingenommener Leser kann dem nur zustimmen, und es nimmt auch nicht wunder, dass dem so ist, dient doch die Gattung der Fabel seit ihrer äsopischenÄsop Gebrauchsform auch als Medium der teils subtilen, teils deutlichen Machtkritik. Im Jahrhundert der AufklärungAufklärung erlebt diese Gattung eine förmliche Renaissance und Weiterentwicklung. Man hat dies in der Forschung u.a. auch mit der Emanzipationsbewegung des BürgertumsEmanzipation des Bürgertums zu erklären versucht.23 So ruft denn der Fabeldichter MerckMerck, Johann Heinrich den Königen zu: „Ihr Wort kann alles – nur allein / Den innern Werth kans nicht verleyhn“ (W, S. 56). An anderer Stelle, in einem Streitgespräch zwischen Springbrunnen und Bach, argumentiert der Brunnen, dass er Teil der höfischen Repräsentationskunst sei, der Bach hingegen nur dem Pöbel diene. Der Bach erwidert, niemals wolle er mit dem Springbrunnen tauschen, denn so hoch dessen Strahl steige, so tief sei auch sein Fall (vgl. W, S. 58f.). In der Fabel Der Hund, das Pferd und der StierDer Hund, das Pferd und der Stier beklagen sich diese drei Tiere bei Zeus darüber, dass sie unglücklich mit ihrem Los seien. Der Hund moniert, stets treu und wachsam zu sein und dafür von seinem Herrn an die Kette gelegt zu werden. Zeus verspricht ihm eine Sklavenmoral, zukünftig solle der Hund gerne an der Kette liegen. Der Hengst fürchtet, jetzt zwar noch als Reittier gebraucht zu werden, dann aber als Ackergaul zu enden. Zeus beruhigt ihn, er gebe ihm das Bewusstsein seiner Stärke, jederzeit könne er zukünftig seinen Reiter abwerfen. Schließlich tritt der Stier hervor, er beklagt, dass er zu jeder Jahreszeit schwere Arbeit leisten müsse und diese stetig zunehme. Der Göttervater verleiht ihm die Eigenschaften der Trägheit und der Langsamkeit, um sein Joch zukünftig geduldiger zu tragen. Das Fabula docet am Ende enthält den Schlüssel zur politischen Lektüre dieser Fabel und hat folgenden Wortlaut:

„Wer sieht in diesem Bild nicht die polit’sche Sitten

Der Deutschen, Frantzen und der Britten,

Da ists die Freyheit, die der Bürger Hertz erhitzt,

Dort ists die Liebe zu den Potentaten,

Und hier die Trägheit, die den mächtigsten der Staaten

In seiner alten Form beschützt“ (W, S. 91f.).

Die Frage ist nur, welchem Sinnbild welche Nation zugeordnet wird.

Die Fabel Der Löwe und der BucklichteDer Löwe und der Bucklichte indes kann als eine Parabel auf MercksMerck, Johann Heinrich Leben als Autor gelesen werden:

„Der Löw verließ von Wuth entbrannt,

Sein Lager, um den Thäter zu entdecken,

Der seine Jungen ihm entwandt,

Sein Schmertz erfüllt das Land mit Schrecken,

Itzt traf er einen häßlich Kleinen Mann,

Der Bucklicht war, im Walde schlafend an.

Sein Grimm, geschäfftig sich zu rächen,

Weckt bald den Armen Fremdling auf.

‚Wer bistu Freund? – du willst nicht sprechen?

Erschrocken sah der Fremdling auf:

Ich bin Aesop. – ‚Aesop?

‚Der Richter über Ruhm und Lob?

‚Dich muß ich wol zufrieden lassen,

‚So schlecht es mir auch itzt gefällt,

‚Wenn ich nicht will, daß noch die spätste Welt

‚Mich soll als einen Wütrich hassen.

Ihr, die ihr von Natur nicht menschenfreundlich seyd,

Ihr Grossen seyds, weil es die Klugheit euch gebeut.

Beschützet das Talent, den Redner und den Dichter

Sie geben die Unsterblichkeit.

Die NachWelt, die nicht gern verzeyht,

Hört sie allein, als eure Richter.“ (W, S. 100)

Der Dichter als Bucklichter, in der Gestalt des Fabeldichters ÄsopÄsop, kann nicht auf Schutz und Förderung durch seinen Landesherrn hoffen. Zugleich ist ihm, dem Autor Merck, diese Aufgabe zu gering, nur für die Unsterblichkeit und den Ruhm der Mächtigen zu sorgen. Welche Konsequenz Merck aus dieser Einsicht gezogen hat, können wir nur vermuten. Tatsache hingegen ist, dass Merck plötzlich aufhört Fabeln zu schreiben. Weshalb? War es die Erkenntnis der so oft beschworenen Wirkungslosigkeit der Literatur? Waren seine Fabeln gelehrte Spielereien mit einer antiken Tradition? Oder war es die Einsicht, dass die Adressaten seiner Fabeln sich nicht um die politische Intention oder kritische Programmatik dieser Art von Literatur scherten?

Im 18. Jahrhundert können wir eine rege Gattungsdiskussion der Fabel beobachten. Der prominenteste Vertreter ist zweifelsohne LessingLessing, Gotthold Ephraim, doch dürfen dabei die zeitgenössisch breit rezipierten, anderen Fabeldichter und Fabeltheoretiker nicht übersehen werden, wie beispielsweise de La MotteLa Motte, Antoine Houdar de, La FontaineLa Fontaine, Jean de, LichtwerLichtwer, Magnus Gottfried, PestalozziPestalozzi, Johann Heinrich, PfeffelPfeffel, Gottlieb Konrad, GellertGellert, Christian Fürchtegott, HagedornHagedorn, Friedrich von, BreitingerBreitinger, Johann Jakob, BodmerBodmer, Johann Jakob, TrillerTriller, Daniel, GleimGleim, Johann Wilhelm Ludwig und GottschedGottsched, Johann Christoph. Gellert habe sogar, so konnte Bräuning-Oktavio nachweisen, in seinen letzten Vorlesungen 1769 die Fabeln Die Fichte und die EicheDie Fichte und die Eiche und Die Tanne und die EicheDie Tanne und die Eiche von Merck als beispielhafte Muster dieser Gattung vorgetragen.24 Doch anders als Gellert reduziert MerckMerck, Johann Heinrich nicht die Inhalte seiner versifizierten Fabeln auf ein tugendpädagogisches Programm. Und Merck setzt sich auch in Widerspruch zu LessingLessing, Gotthold Ephraim. Waren also die Fabeln Mercks möglicherweise eine Reaktion auf Lessings Fabeltheorie? Ohne hier nun einen akademischen Streit nur beginnen, aber nicht mit guten Argumenten zu Ende bringen zu wollen, sei wenigstens so viel gemutmaßt: Mercks versifizierte Fabeln können – und das wäre in der Forschung ein Novum – als Kontrafakturen zu Lessings Fabeltheorie gelesen werden. Hatte sich Lessing vehement gegen die Versifizierung und stattdessen für die Episierung der Fabel ausgesprochen, so unterminiert Merck genau dies, er setzt sich einfach über das Vorbild Lessing hinweg. Salopp gesagt: Merck macht 1770 etwas, das Lessing 1759 tabuisiert hatte. Lessing hatte in seinem Buch Fabeln. Drei Bücher. Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten InhaltsFabeln. Drei Bücher. Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts (1759) folgende Definition einer – selbstredend guten – Fabel gegeben: „Wenn wir einen allgemeinen moralischen Satz auf einen besondern Fall zurückführen, diesem besondern Falle die Wirklichkeit erteilen, und eine Geschichte daraus dichten, in welcher man den allgemeinen Satz anschauend erkennt: so heißt diese Erdichtung eine Fabel“25. In der Verbindung von Moral und Poesie sah Lessing, der auch als der „intellektualistische Fabeldichter“26 des 18. Jahrhunderts bezeichnet wurde, die besondere Herausforderung dieser Gattung. Eine eigene Untersuchung wäre es wert, die Nähe zwischen den Fabeln von Gottlieb Konrad Pfeffel (vgl. etwa dessen Poetische VersuchePoetische Versuche von 1761) und denjenigen Mercks zu diskutieren.

In der zweiten Werkgruppe der lyrischen oder empfindsamenEmpfindsamkeit Gedichte27 begegnen wir Titeln wie An Herrn LeibMed. L., Bey einer Schlittenfahrt, An den Mond, Bey Wiederkunft des Mond im Monat May, An den Mond. 2, Den 1ten Aug., Lila an ihr Lämmchen, Lila über ihren Stab, Bey einer OhnMacht oder Bey den Klagen Lila’s über die Langsam ankommenden Briefe. Diese Gedichte sind überwiegend situationsgebunden, Gelegenheitsgedichte eben, Gebrauchsgedichte, Widmungsgedichte, Huldigungs- und Auftragsgedichte und im Rollenspiel versteckte Liebesgedichte. Verglichen mit den Liebesgedichten von Jakob Michael Reinhold LenzLenz, Jakob Michael Reinhold, denen MerckMerck, Johann Heinrich immerhin wahre LeidenschaftLeidenschaften bescheinigt (vgl. Br, S. 145), ist dies ein Ton, den er selbst nie getroffen hat, möglicherweise auch nicht treffen wollte.

Das erste Gedicht der Sammlung kann gleichsam als Introitus gelesen werden, der rückblickend Bilanz zieht.

Elegie

„Wohin? – was seh ich weit und breit?

Verflogne Jugendträume –

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
3110 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783772002151
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
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