Kitabı oku: «Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis», sayfa 4
9. Seele und Beseelung, Animismus, Fetischismus
Sobald der Mensch dazu gelangt ist, an sich selbst den Körper von der Seele zu unterscheiden, wird er naturgemäß das gleiche auch für alle anderen Lebewesen und für die von ihm lebend gedachten Wesen tun. Wann der Mensch „seine Seele entdeckt“ hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Den Unterschied zwischen einem lebenden Tiere und einem getöteten kennen anscheinend auch Tiere selbst. Der Mensch aber muß zu irgendeiner Zeit diesen Unterschied tiefer aufgefaßt haben und so zu einer Zweiteilung seines Ich gekommen sein. Gegenwärtig scheint kein Volk zu existieren, das den Begriff der Seele nicht kennt. Und man möchte auch glauben, daß, sobald der Mensch die Ursächlichkeit hinreichend bewußt anzuwenden gelernt hat, er durch den Anblick des Toten neben dem Lebenden zu der Ansicht gezwungen werden mußte, jenem fehle etwas, das dieser besitzt und was, eben weil körperlich der Tote zunächst sich vom Lebenden noch gar nicht unterscheidet, das Leben bedingen muß. Der Tote hat also etwas verloren, das Leben in ihm, wir sagen die Seele. Der Naturmensch faßt die Seele als körperlich auf, namentlich als Atem. Das tut er ja mit dem Menschen überhaupt, man denke an ψυχή, anima, bei den Griechen und Römern, die ein „Wehen“ bedeuten, an ruach, nephesch bei den Hebräern, die das gleiche aussagen. Das deutsche „Seele“ soll auch mit einer derartigen Auffassung zusammenhängen, mit seîvan = sich bewegen, seivs = das Meer, in Verbindung stehen. Mitunter wird die Seele auch als „Schatten“ bezeichnet und zwar nicht metaphorisch, sondern konkret, denn der Naturmensch sieht den Schatten für ein Körperliches an, etwa wie die Luft, und wir haben ja selbst Sagen, die von dem gleichen Gesichtspunkt ausgehen. Der Teufel, erzählt Jakob Grimm, unterhielt in einer Gruft zu Salamanca sieben Schüler mit der Bedingung, daß der siebente nach Beendigung des Studiums das Gelag zahlen sollte. Als er seine Schule entließ, wollte er den letzten Schüler zurückbehalten. Dieser aber wies auf seinen Schatten, der wäre der letzte. Da mußte der Teufel den Schatten nehmen, und der Schüler blieb ohne Schatten, wie – Peter Schlemihl. Sonst also ist die Seele etwas Luftartiges, und darum kann sie auch den ganzen Körper durchdringen und überall in ihm sein, während sie andererseits wie Luft nicht gesehen wird. Mitunter freilich wird die Seele unmittelbar als ein Lebewesen betrachtet, entweder als ein dem Menschen gleichendes Bild – weshalb die Griechen sie auch bildlich als εἴδωλον, kleines, den Verstorbenen, zuweilen sogar in der Tracht, nachahmendes Menschlein darstellten —, oder noch derber als Schmetterling, Wiesel, Vogel, am meisten als Schlange aufgefaßt. Auf anderen Stufen wird die Seele auch als Pflanze betrachtet; Jakob Grimm scheint in seiner deutschen Mythologie damit die Metamorphosen verfolgter Menschen, namentlich Mädchen, wie Daphne und Syrinx, in Verbindung zu bringen. „Ursprünglich,“ sagt er, „mag aber die Idee eines unmittelbaren schnellen Übertritts der Seele in die Gestalt der Blume (wofür er einige Beispiele aus deutschen, romanischen und slawischen Sagen beiträgt) zugrunde liegen, wie aus bloßen Blutstropfen, die nur einen kleinen Teil des Lebens enthalten, eine Blume entspringt, im Blut hat die Seele Sitz, mit seinem Verströmen flieht sie hin.“ Die Tschechen nennen die auf Sandgrabhügeln wachsende Quendelblume „Mutterseelchen“. Aber da die Seele dem Körper Leben verliehen hat, schreibt der Mensch ihr höhere Eigenschaften zu als der Mensch als solcher besitzt.
Übertrug nun der Mensch die Entdeckung an sich auch auf die anderen Lebewesen und auf die ihm belebt scheinenden Gegenstände, so gewann er rings um sich Seelen, die er im allgemeinen seiner Seele ähnlich achten mußte. Und so wurden die Tiere wie er beseelt und füllten sich Sonne, Mond, Gestirne, Bäume, Berge, Felsen, Meer, Flüsse und Naturerscheinungen mit Seelen. Max Müller sagt zwar: „Ich kann nicht umhin, es vernunftwidrig zu nennen, wenn man uns weismachen will, daß zu irgendeiner Zeit in der Geschichte der Welt ein Mensch so einfältig gewesen sei, daß er nicht imstande war, zwischen leblosen und belebten Wesen zu unterscheiden, eine Unterscheidung, bei der selbst die höheren Tiere kaum jemals fehlgehen; oder gar, daß sich der Mensch darin gefiel, der Sonne und dem Mond, Bäumen und Flüssen Leben oder eine Seele zuzuschreiben, obwohl er sich dessen vollkommen bewußt war, daß sie weder Leben noch Seele besäßen.“ Aber gerade dieses letztere kann angesichts der außerordentlichen Zahl von Tatsachen nicht zugegeben werden. Der Mensch war sich eben nicht bewußt, daß die Gegenstände weder Leben noch Seele besäßen, er hat eben gerade das Gegenteil angenommen. Und man kann sagen, daß die Entdeckung der Seele als eines Sonderdinges ihm geholfen hat, die Schwierigkeiten, die sich aus der offensichtlichen Leblosigkeit vieler Gegenstände ergeben, zu verringern. Denn er sah an sich, daß er zu Zeiten – im Schlaf – gleichfalls wie leblos erscheint. Da konnten die Seelen der Gegenstände ähnlich sich in Schlummer oder Halbschlummer befinden. Er sah, daß Menschen leblos sind, sobald die Seele aus ihnen schwindet; das konnte auf die Gegenstände gleichfalls Anwendung finden, wo etwa der Augenschein gegen ein Leben allzusehr sprach.
Mit der Einführung der Seele als Sonderding und Lebensprinzip, was selbstverständlich nur sehr allmählich geschah, nahmen nun die Religionen eine neue Wendung. Sie geht nach verschiedenen Richtungen. Wir unterscheiden zunächst Fetischglaube, Seelenglaube, einschließlich Schamanismus, Ahnenglaube, einschließlich Totemismus, Geister- und Dämonenglaube, Götterglaube. Man darf nicht annehmen, daß es sich hier um nacheinander entstandene oder – wenigstens gegenwärtig – auch nur getrennte Religionsgebiete handelt. Alles geht durcheinander, und wir haben ein solches Gewirr von Angaben und Meinungen, daß es kaum möglich ist, zu sagen, was bei diesem oder jenem Volke das Wesentliche ist. Daher auch die sich oft widersprechenden Definitionen und Ergebnisse der einzelnen Forscher und die Verschiedenheiten in der Bedeutung, die sie, je nach Ansicht, den besonderen Anschauungsformen beimessen. Nur allgemeine Grundzüge lassen sich feststellen.
Es entspricht, wie schon bemerkt, der Natur des Menschen, daß ungewohnte, neue oder seltene Gegenstände seine besondere Aufmerksamkeit erregen. Tritt die Beseelung hinzu, so kann Furcht oder Erwartung an diese Gegenstände sich knüpfen. Sie werden als zauberkräftig im Schlimmen oder Guten angesehen, und der Mensch sucht sie durch Gaben zu versöhnen oder sich günstig zu stimmen. Darauf etwa beruht der Fetischismus, wie die Portugiesen ihn in Afrika zuerst kennen gelernt und aus ihrer Sprache (feitiço, Zauber) benannt haben. Hiernach kann alles Fetisch sein oder werden: Töpfe, Steine, Holz, Haar, Geflecht usf. Charakteristisch ist eine Erzählung aus Afrika. Es wurde ein Anker gefunden, ein jedenfalls ungewohntes oder gar unbekanntes Ding. Einer brach ein Stück davon ab und starb kurze Zeit darauf. Sofort heißt es, der Anker wäre ein Fetisch, und der Mann hätte sterben müssen, weil er durch Verletzung diesen Fetisch gekränkt hätte. In Ozeanien sollen chinesische Töpfe als Fetische verehrt werden. Tausende sind der Beispiele, die für den Fetischglauben aus allen Teilen der Welt beigebracht und Tausende auch die Fetische, die in unsere Museen und Sammlungen versetzt sind. Orte, wo üble Fetische sich befinden, werden gemieden und nur zu Kulthandlungen aufgesucht. Gute Fetische nimmt man nach Hause oder tut sie in besondere Hütten. Erfüllen solche Fetische die Erwartungen nicht, oder zeigen sie sich unwirksam, so werden sie mitunter wohl gezüchtigt, und wenn das nichts nützt, fortgeworfen, als gänzlich leblos erkannt. Fetische können von selbst wirken und ihrem Besitzer Glück und Gesundheit bringen und erhalten – solche haben wir ja in Unzahl ebenfalls z. B. in den Amuletten. Oder sie reagieren nur auf Anrufung durch einen Sachverständigen. Daraus ergibt sich nun der ganze Unfug des Zauberwesens und der Zauberer, der überall auf der Erde sich findet und überall die gleichen Züge trägt. Betrügende Betrüger und betrogene Betrüger spielen da ihre verhängnisvolle Rolle. Bei der Beurteilung darf man nicht vergessen, daß der Wilde so wenig Mittel gegen Krankheit, Hungersnot, Tiere usf. besitzt und darum naturgemäß zu allem greift, davon er irgend glauben kann, daß es ihm nützen möchte. Wir finden das gleiche auch bei uns, wo der Mensch von bessern Hilfsmitteln verlassen ist und irgendwelche Beispiele ihm bekannt sind, daß dieses oder jenes, wenn auch noch so Absurde, irgendwo und wann geholfen hat. Wir sehen aber, daß der Fetischglaube rein auf Furcht und Egoismus gebaut ist, und dementsprechend ist der Kult der Fetische eingerichtet. Mit dem guten Fetisch wird wie mit einem Liebling verkehrt; er erhält Gaben an Essen und Getränk, Sitz und Lager. Manche schaffen sich Hunderte und Tausende von Fetischen an; Steine, über die sie stolpern, Blätter, die zu ihren Füßen geweht werden, Holzstücke, die ihnen auffallen, Figuren usf. Und sie sitzen mitunter in der großen Masse von solchen Gegenständen und bitten sie schmeichelnd und verehrend, ihre Kraft ihnen zu weihen. Gefürchtete Fetische können zu furchtbaren Götzen sich auswachsen, die nur durch blutige Opfer zu versöhnen sind, wozu namentlich auch Menschenopfer gehören. Der Fetischismus wird vielfach, so von Comte, Lippert, Schultze u. a. in viel weiterem Sinne aufgefaßt, was später noch zur Sprache kommt. Ich habe die beschränktere Umgrenzung gewählt, um nicht bei einer allgemeinen Untersuchung sogleich ins Uferlose zu geraten. Gibt es doch auf der anderen Seite Forscher, welche von einem Fetischglauben überhaupt nichts wissen wollen.
Der Seelenglaube erschöpft sich nicht in dem Glauben an eine Seele, sondern er geht auch auf die Beschaffenheit und Eigenheit der Seele ein. Sie kann ihre Behausung überall nehmen, hält sich jedoch am liebsten am gewohnten Orte auf. Da sie immerhin unheimlich wirkt, sucht man sie entweder zu bannen oder man überläßt ihr ihren gewohnten Aufenthalt. So wird oft ein Topf oder ein Korb hingestellt und die Seele des Gestorbenen gebeten, darin ihren Platz zu nehmen. Dem Körper entsprechend, den sie bewohnt hat, zieht sie Nachbildungen aus Holz oder Ton oder Stein vor. Hat sie sich in eine solche Nachbildung begeben, so kann letztere Fetisch werden und darum haben so viele Fetische Menschen- und Tiergestalt. In anderen Fällen sucht man sie den gewohnten Eingang in die Behausung vergessen zu machen und greift zu so kindlichen Mitteln, daß man den Toten rennend mehrmals um die Hütte herumträgt, oder daß man den Toten nicht durch die Türe, sondern durch ein zu diesem Behufe gemachtes Loch hinausschafft, das nachher wieder geschlossen wird.
Lippert erzählt eine tragikomische Geschichte aus unserer eigenen Zeit (1879) und unserem eigenen Vaterlande, die ebensogut in Afrika hätte passieren können. In einem Dorfe bei Zittau hatte sich ein Militärmusiker entleibt. Der Hauswirt gestattete unter keinen Umständen die Hinausbeförderung der Leiche durch den gewöhnlichen Ausgang, weil „in diesem Falle die Seele des Selbstmörders im Hause bleibe und darin spuke“. Die Träger mußten fort und kamen, da es spät war, erst am nächsten Tage mit den Gensdarmes wieder. Wie erstaunt waren sie, die Leiche vor dem Hause in einer hölzernen Kiste zu finden. Der Hauswirt hatte sie in der Nacht mit Hilfe einiger Freunde in die Kiste getan und an einem Strick durch das Fenster hinabgelassen. Wie es bei uns auch von Spukgeschichten wimmelt, brauche ich kaum hervorzuheben.
Geht man ganz nachsichtig vor, oder hat man besondere Gründe, so wird der Tote in der Hütte oder unter dem Eingang der Hütte begraben. Im ersteren Fall wird die Hütte wohl auch von den Angehörigen verlassen, damit die Seele ungestört bei ihrem Körper verweilen kann. Oder es wird der Seele eine besondere Hütte gebaut, in der eben der Tote beigesetzt wird. Dieses letztere berührt sich zwar mit Kulturgepflogenheiten, hat aber einen anderen Sinn, lediglich den, der Seele einen festen Aufenthaltsort zu geben, ohne sie zu kränken. Endlich werden Tote auch unter Bäumen und Felsen oder in Höhlen beigesetzt. Ihr Gebiet geht dann, soweit der Schatten des Baumes, Felsens oder der Höhle reicht. Nach mohammedanischem Glauben bleibt die Seele des Abgeschiedenen noch eine Nacht bei ihm. Wilde verlängern die Zeit beliebig. Damit die Seele nicht herauskomme, werden dem Toten alle körperlichen Öffnungen verstopft, oder es werden die Teile, in denen man die Seele vermutet, wie Hirn, Herz und namentlich Niere herausgenommen und vernichtet, oder als „Medizin“, als Zaubermittel gegen Unfälle und für Stärkung der eigenen Kräfte verwendet. Namentlich Feinden gegenüber, wie Raubtieren und menschlichen Feinden, wird so verfahren, wenn die Feinde nicht ganz aufgezehrt werden, um ihre Seele in sich aufzunehmen. Der Drang nach solcher Medizin ist so groß, daß, wo der Glaube herrscht, die Seele gehe mit der Leichenflüssigkeit ab, selbst dieser widerliche Saft getrunken wird. Frobenius, der davon als vom Fananybrauch spricht, teilt mehrere Beispiele aus Afrika und Polynesien mit. Nicht selten führt der Glaube zu gemeinen Mordtaten, und der Mörder hat nur den Wunsch, etwa die Niere des Getöteten zu verschlingen; er hat dann zwei Seelen, ist also kräftiger und darf auf längeres Leben hoffen. Auch der Glaube scheint zu bestehen, daß man die Seele verhindern kann, mit dem Toten zurück ans Tageslicht zu kehren, wenn man der Leiche Hände und Füße bindet. Der Brauch scheint uralt zu sein, denn auch in prähistorischen Gräbern Europas hat man Skelette mit Fesseln an Händen und Füßen gefunden. Wie sehr die Körperlichkeit der Seele ein Grundgedanke des Naturmenschen ist, ergibt auch die Ansicht, daß die Seele in der Form ganz dem Körper folgt. Fehlt einem Menschen ein Glied, so besitzt auch die Seele dieses Glied nicht. Daher schneiden Wilde den Toten den Daumen der rechten Hand ab, damit die Seele nicht nach ihnen ihre Geschosse schleudern kann. Es wird erzählt, daß, als auf einer Plantage viele Neger Selbstmord begingen, um im Jenseits als freie Seelen zu leben, der Besitzer zuletzt den Leichen Hände und Füße abschlagen ließ. Das wirkte: die Neger fürchteten nun, ihr jenseitiges Dasein so verstümmelt verbringen zu müssen. Daher die Vernichtung der Seele durch absolute Zerstückelung oder besser durch Verbrennen des Körpers (S. 71). Die Seele krankt und altert sogar mit dem Körper, und darum fürchten so manche Wilde bei Siechtum oder Alterschwäche, im Jenseits nicht mehr imstande zu sein, von den dort gebotenen Freuden hinreichend genießen zu können. Daraus hat man die grausame Sitte so mancher Naturvölker erklären wollen, die Alten und Siechen zu töten; man will sie dem Jenseits noch in einiger Kraft erhalten. Eine Sitte, die auch bei Germanen, Kelten und Slawen sich nachweisen läßt.
Eine Seele kann auch Ummauerungen nicht durchdringen. Daher muß, wo der Körper von einem Grabhügel umschlossen ist, an diesem Hügel ein Loch zu ihm gelassen werden, damit Speise und Trank der Seele zugeführt werden können; die neben das Grab getane würde die Seele nicht erreichen.
10. Schamanismus, Totemismus, Seelen-, Ahnenkult
Da die Seele eine gewisse Freiheit vom Körper genießt, so kann sie sich mitunter aus diesem auch bei Lebzeiten entfernen. Und so glaubt der Naturmensch, daß Gestalten, die er im Träumen sieht, entweder Seelen dieser sind, die sich von ihnen gelöst haben und nun zu seiner Seele gekommen sind, oder daß seine Seele aus seinem Körper gegangen ist und jene Seelen aufgesucht hat. Dabei bieten die leblosen Gegenstände keine Schwierigkeit, denn diese werden ja auch beseelt gedacht. Es kann nicht meine Absicht sein, das unheimliche Kapitel der Träume zu behandeln; ich habe nur das hervorzuheben, was für die Anschauung von Bedeutung ist. Wie sehr es in der Natur des Menschen liegt, sich mit seinen Träumen zu plagen, kann selbst der Vorurteilsfreieste an sich gewahren. Und alle Aufklärungen der Physiologen und Biologen nützen nur wenig dem, der von einem bösen Traum betroffen ist; er liegt ihm den Tag über in allen Gliedern; der Träumer ist froh, wenn dieser Tag vorüber, da seltsamerweise im allgemeinen der Wert eines Traumes auf die Zeit zwischen Nacht und Nacht beschränkt wird. Nicht wenige Ethnologen und Anthropologen sind geneigt, die Seelen- und Religionsanschauungen überhaupt aus den Traumerscheinungen abzuleiten. Indessen träumen auch Tiere. Etwas Besonderes muß also beim Menschen wohl hinzukommen, ihm die Reflexion oder den Einfall aus jenen Anschauungen zu erwecken. Manchen Menschen wird die Fähigkeit zugeschrieben, ihre Seele nach gewissen Vorbereitungen, die meist auf Hervorrufung einer Ekstase oder dumpfen Betäubung abzielen, beliebig aus ihrem Körper nach bestimmten Orten hinauszusenden, um dort Erkundigungen über Diebstähle, Feindespläne, Heilmittel, Schicksale von Menschen und Tieren einzuziehen. Der betreffende Mensch liegt gleich einem Toten, seine Seele geht inzwischen, wohin er sie entsandt hat. Nachdem sie das Gewünschte erfahren, kehrt sie in ihn zurück, er erwacht und weiß nun alles. Unzählig sind die Mitteilungen von solchen Seelenentsendungen und den wunderbaren Erfolgen, namentlich bei den Völkern Nordasiens, Nordeuropas und Nordamerikas, und auch Afrikas. Und manche davon sind so auffallend, daß sie selbst unter gebildeten Reisenden Glauben gefunden haben. Die Leute mit solcher Macht über ihre Seele gehören meist zur Klasse der Priester und Zauberer, oder, wie wir sie gemeinhin heißen, weil sie auch Krankheiten heilen und für alle möglichen Fälle Mittel besitzen und verabreichen, „Medizinmänner“. Bei den verschiedenen Völkern führen sie verschiedene Namen. Der bekannteste ist der der Schamanen (aus dem indischen Çramana), und in Verbindung mit gewissen Geisterkulten sprechen wir von Schamanismus als einer Religionsäußerung.
Solche Ansichten kennen auch die arischen Völker. Odhin soll mitunter schlafen und dabei soll seine Seele als Vogel, Fisch oder Schlange die Welt durchstreifen, um dem Herrn, was sie erkundet, mitzuteilen. Eine seltsame Erzählung hat uns der Geschichtschreiber der Langobarden, Paulus Diaconus, aufbewahrt, die ich nach Jakob Grimm (Deutsche Mythologie) wiedergebe. „König Gunthram (der bekannte Frankenkönig) war im Wald ermüdet auf dem Schoß eines treuen Dieners entschlafen. Da sieht der Diener aus des Herrn Munde ein Tierlein, gleich einer Schlange, laufen und auf einen Bach zugehen, den es nicht überschreiten kann. Jener legt sein Schwert über das Wasser, das Tier läuft darüber hin, und jenseits in einen Berg. Nach einiger Zeit kehrt es auf demselben Wege in den Schlafenden zurück, der bald erwacht und erzählt, wie er im Traum über eine eiserne Brücke in einen mit Gold erfüllten Berg gegangen sei.“ Schlangen gehören zu den auf der ganzen Erde verbreiteten Bildern und Verkörperlichungen der Seele. Die Schlange also war König Gunthrams Seele. Paulus Diaconus teilt übrigens noch mit, daß man an der betreffenden Stelle nachgegraben und in der Tat viel verstecktes Gold gefunden habe. Die Seele hat also das Richtige ermittelt. Von dem Gold ließ der König einen Kelch machen, den er dem heiligen Marcellus in seiner Residenz Châlons widmete, wo der König selbst begraben wurde.
Auch fremde Seelen vermag der Kundige zu senden, wohin er will. Die Könige von Dahome, so oft sie den Rat eines Gottes einholen wollten, töteten einen Menschen, dessen Seele zum Gott ziehen und von ihm das Nötige in Erfahrung bringen sollte, um es dem Zauberer dann zu offenbaren. Ähnliches erzählt bekanntlich Herodot von den thrakischen Goten: „Alle fünf Jahre wählen sie einen von ihnen durch das Los, den schicken sie als Boten an Zalmoxis und tragen ihm ihr jedesmaliges Anliegen auf.“ Die Entsendung geschieht, indem drei Leute Wurfspieße halten und der zu Sendende hochgeworfen wird, daß er auf die Spieße fällt. Ist er gleich tot, so wird das als gnädiges Zeichen des Gottes betrachtet, sonst wird ein anderer Bote in gleicher Weise entsandt. Herodot fügt hinzu: „Sie geben ihm aber den Auftrag, wenn er noch lebt“. So gleichen sich Anschauungen in voneinander so fernen Landen und so weit abstehenden Zeiten, zum Beweise wie gleichartig die Menschen denken, schließen und handeln!
Die Anerkennung der Obergewalt mancher Menschen über sich führt dazu, daß deren Seelen besonders hoch bewertet werden. An den Seelenglauben knüpft sich so der Ahnenglaube als das Natürliche und der Übergeordnetenglaube als das oft Aufgezwungene. Den Ahnenglauben finden wir fast auf der ganzen Welt und zu allen Zeiten verbreitet. Vielleicht mangelt er selbst denjenigen Völkern nicht, die ihre alten Väter und Mütter aussetzen oder gar töten. Es liegt ja nahe, daß der Ernährer der Familie eine eigene Stellung einnimmt und seine Seele besonders geachtet wird. Offenbar wird sie besonders geneigt sein, den Zurückgebliebenen die gleichen und mehr Wohltaten zu erweisen wie im Leben. Da der Wilde absoluter Realist ist, sucht er sich ihre Zuneigung zu wahren. Und dieses hat zu einem eigenartigen Seelen– und Ahnenkultus geführt, der sich überall vorfindet und, wie zu anmutenden Gebräuchen, so auf der Wildenstufe zu den schändlichsten Grausamkeiten geführt hat, die in den merkwürdigsten Formen vertreten sind. Alles dieses steigert sich ins Ungemessene, wenn es sich um die Seele eines mächtigen Zauberers oder eines Häuptlings handelt, so daß hier deren Tod ein wahrer Jammer in des Wortes bösester Bedeutung für ein ganzes Volk werden kann. Wir haben schauerliche Funde aus prähistorischen Zeiten, und entsetzenvolle Erzählungen aus Vergangenheit und Gegenwart. Indessen ist es nicht meine Aufgabe, die Kulte zu besprechen, nur die Anschauungen gehören hierher. Diese aber führen, wie man sieht, zu einer Stufung in den Seelen. Der niedrige Sklave hat eine niedrige Seele, die nichts vermag, der Ahne, Priester und Häuptling besitzen bedeutende Seelen. Und je höher der Rang, je größer die Gewalt, desto mächtiger auch die Seele im Guten und namentlich im Bösen. Diese Differenzierung ist von großer Wichtigkeit; sie hat zu Theorien geführt, wonach die Religionen überhaupt aus Seelen- und Ahnenglaube (wenn wir unter Ahnen allgemein Übergeordnete verstehen) hervorgegangen seien. Ich komme darauf später zu sprechen.
Die Tiere erachtet der Naturmensch als von sich nicht verschieden, er verleiht ihnen Seelen, der seinigen gleich. Sprechen doch manche afrikanische Stämme davon, daß gewisse Menschen beliebig als Menschen oder als wilde Tiere leben können. Und wenn Polynesier von Leuten erzählen, die sich beliebig in Raubtiere, Vögel, Fische oder Schlangen verwandeln, so meinen sie das nicht nach Art unserer Sagen und Fabeln, sondern rein reell. So hat sich neben einem Menschenseelenglauben auch ein Tierseelenglaube ausgebildet und daran ein Tierseelenkult angeschlossen, der Totemismus. Und wunderlich berührt es, wenn als Ahnenseelen auch Tierseelen angenommen werden, wie das namentlich bei den Indianern der Fall ist, wo nicht bloß Familien, sondern auch ganze Stämme irgendein Tier: Bär, Rabe, Schlange, Schildkröte, Spinne usf. als Urahnen bezeichnen. Wenn ich Lippert recht verstehe, will er freilich nicht die Tierseele als die Ahnenseele anerkennen, sondern eine Menschenahnenseele annehmen, die in das Tier gefahren ist, in ihm ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat. Damit würde übereinstimmen, daß Ahnentiere in der Regel nicht getötet und nicht gegessen werden dürfen, aber wiederum nicht dazu passen, daß bei gewissen Festen gerade solche Tiere verzehrt werden müssen. Indessen besteht über den Totemismus überhaupt keine rechte Sicherheit. Manche wollen in den Ahnentieren nichts weiter als Wappenbilder sehen, und zweifellos machen solche auch vielfach diesen Eindruck. Oder sie erklären sie lediglich durch Tiernamen menschlicher Ahnen, die durch Mißverstand zur Annahme von Tieren als Ahnen geführt haben. Das eine oder das andere wird in vielen Fällen zutreffen. Sicher aber ist, daß Tierseelen mitunter nicht mindere Bedeutung haben wie Menschenseelen und gleichfalls Verehrung genießen. Familie und Stamm halten ihr Totem (der Name stammt von den Algonkinindianern her, „Dodaim“) hoch und nennen sich nach ihm Bär, Wolf, Hirsch usf.