Kitabı oku: «Isargrauen», sayfa 2

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In der Gerichtsmedizin

Jana hatte bereits zu Mittag gegessen, als Olli am nächsten Tag zu ihr kam. Er war völlig übermüdet und hatte eine Whisky-Fahne. Als erstes machte er sich ein Bier auf, dann drehte er sich einen Joint. Jana wußte nicht, daß es bereits sein dritter war, seit es hell geworden war. Das Problem war das Runterkommen nach dem High. Endlich schlafen können, wenn der Körper längst ausgelaugt war und das Hirn sich in sinnlosen Kreisen drehte.

Trotz ihrer Zweifel war Jana froh, ihn zu sehen.

Sie saß in der Küche, er ging hektisch auf und ab.

„Die suchen einen Beleuchter bei ihrer Produktionsfirma. Frank Durroux ist dort Produktionsleiter. Die machen eine Pilot-Folge für eine Serie. Sie haben mir einen Job angeboten. Hört sich nicht schlecht an.“

„Ich mache mal Kaffee“, sagte sie.

Den Nachmittag über sprachen sie wenig miteinander. Es war sinnlos, solange er so nervös war. Er war mit sich selbst beschäftigt.

Sie ging in den Englischen Garten laufen, in den großzügigen Park mitten in München, den sie liebte. Sie lief dort regelmäßig. Sie konnte dabei gut nachdenken, die Gedanken kamen und gingen. Die Bewegung tat ihr gut, sie baute so Streß ab. Als sie nach dem Laufen nach Hause kam, schlief er bereits.

Am Montag sagte Olli den neuen Job zu. Er meinte, daß er eine Zeitlang nichts gegen eine Daily Soap einzuwenden hätte. In der Branche kannten alle die Vorteile. Es war nine to five für Filmleute. Eine geregelte Arbeitszeit, keine Überstunden, keine Arbeit am Wochenende, leichte Dreharbeiten, weil man täglich viel Sendezeit drehen mußte, und das ging nur, weil vieles gleich blieb und man nicht allzu pingelig war. Das Licht war leicht zu setzen. Knallhell, voll ausgeleuchtet, keine Tiefe. Daily Soap-Licht eben.

Der Nachteil war, daß man seinen Namen mit etwas wenig Anspruchsvollem in Verbindung brachte und man dann vielleicht nicht mehr für Kinoproduktionen engagiert wurde, was die meisten Filmschaffenden wollten, zumindest irgendwann einmal. Werbung machten hingegen alle, weil das sehr gut bezahlt war.

Dagegen, daß ein solcher Daily Soap-Job seine Vorteile hatte, konnte Jana nichts sagen. Sie wollte schon, daß er in der Münchner Filmszene zurecht kam und als Beleuchter Jobs bekam. Aber mußten es ausgerechnet diese Typen sein? Als Olli sagte, sie werde schon noch sehen, daß Frank schon ganz in Ordnung sei, meinte sie, das glaube sie nicht.

Der Fund der Leiche hatte für Aufregung im Polizeipräsidium gesorgt, bis ganz nach oben. Das hieß für Arnold Gassinger, daß er die Ermittlungen nicht so frei führen konnte, wie er es sich gewünscht hätte. Man würde ihm dabei immer über die Schulter schauen, auch wenn er der leitende Beamte war, sobald es sich um Mord handelte. Doch der Polizeipräsident sah es als seine Aufgabe an, seinen Untergebenen mehr als nur beratend zur Seite zu stehen. Und die Ruhe in der Bevölkerung war für ihn ein hohes Gut, das man nicht leichtfertig und durch unangebrachten Aktionismus aufs Spiel setzen durfte.

Die Wahlen hatten zwar gerade stattgefunden, aber im Rathaus und in der Staatskanzlei war man schlechten Nachrichten immer abgeneigt. Es mußte grundsätzlich vermieden werden, daß die Kravallblätter von einer „Folter-Leiche auf Luxus-Baustelle“ berichteten und daß die Zeitungen, die vorgaben, seriös zu berichten, sich in langen Artikeln über böse Spekulanten ausließen und der Polizei Unfähigkeit unterstellten.

Genau auf solche Gefahren war Gassinger von seinem Vorgesetzten aufmerksam gemacht worden. Der hatte ihm auch gleich das wahrscheinlichste Ermittlungsergebnis mitgeteilt. Es handelte sich um eine Einzeltat, bedauerlich natürlich, aber beruhigenderweise ohne Zusammenhang mit irgend etwas außer vielleicht dem Täter. Aber Gassinger war schon lange im Geschäft. Er hatte nicht nur einmal erlebt, daß beim Erklimmen der Karriereleiter eine wundersame Verwandlung vom kompromißlosen Bullen in ein weitsichtiges und alles abwägendes politisches Wesen stattfand.

Und was die Ermittlungen anging, schufen ein paar Photos, die zur rechten Zeit auf geheimnisvolle Weise den Weg zu einer Zeitung fanden, unabweisbare Fakten.

Als er wieder in sein Büro trat, wartete sein Assistent Rudolf Wörl bereits mit dem Obduktionsbericht auf ihn. Gassinger vertiefte sich darin und als er damit fertig war, machte er sich auf den Weg zu Dr. Werner Karg, dem Rechtsmediziner, der um diese Zeit im Institut war.

Er fand ihn in dem kleinen Büro, das neben den gekachelten und mit stählernen Tischen versehenen Sezierräumen lag. Der Arzt war hager und sehnig, er wirkte wie ein Marathonläufer, hatte aber für Sport jeder Art nur Verachtung übrig. Dafür rauchte er drei Packungen Zigaretten täglich.

Er bot Gassinger einen Stuhl an.

„Einen Kaffee?“, fragte er.

„Danke, mach dir keine Mühe.“, antwortete Gassinger.

„Interessant, oder? Hatten wir so was schon mal?“

„Nein, sieht nicht so aus. Im Bericht ist die Rede von über fünfzig Einzelverletzungen. Und die Todesursache ist ein Stich durchs rechte Auge.“, sagte Gassinger.

„Ja, genau.“, antwortete Werner Karg.

„Dann mal raus damit, laß hören“, meinte Gassinger.

Deswegen war er zu Karg gegangen. Ihn interessierte, was er ihm im persönlichen Gespräch sagen würde, Vermutungen aller Art, vielleicht auch nur Eindrücke, die Rückschlüsse auf den Täter geben konnten. Er wollte gerade auch das wissen, was vielleicht nicht im Bericht stand, weil es zu spekulativ war.

„Todeszeitpunkt etwa 24 Stunden vor dem Fund. Womit wir es zu tun haben, ist eine Folterung. Das Ganze hat sich über mehrere Stunden hingezogen, vier bis fünf. Das Opfer wurde auf einem Stuhl fixiert, und zwar an den Füßen, an den Händen und am Hals. Der letale Stich durchs Auge wurde mit einer Art Dolch ausgeführt, der nicht besonders scharf war. Die anderen Schnittverletzungen wurde mit zwei verschiedenen Werkzeugen zugefügt, einem ziemlich stumpfen Messer, vielleicht einem Kochmesser, und einem sehr scharfen Messer, könnte ein Skalpell gewesen sein. Die Brandverletzungen wurden mit Zigaretten, Zigarren und offenen Feuerquellen, zum Beispiel Feuerzeugen, beigebracht. Der Folterer hat kein medizinisches Fachwissen. Ein Koch ist da auch nicht dabei. Ich würde eher unter Grobmotorikern suchen.“ Er lächelte nicht ohne Bitterkeit.

„Sprich weiter“, sagte Gassinger.

Der Mediziner zündete sich eine neue Zigarette an der alten an.

„Also, man muß es schon aushalten können, einen Menschen so lange leiden zu sehen. Das Opfer muß mehrfach vor Schmerz ohnmächtig geworden sein. Dann hat man gewartet, bis es wieder bei Bewußtsein war – und weitergemacht.“

„Und das Koks im Blut?“, fragte Gassinger.

„Das wurde zuletzt einen Tag vor den Verletzungen eingenommen, allerdings nicht regelmäßig. Und nur eine geringe Menge. Wie jemand, der es einmal probiert. Koks wäre auch kontraproduktiv – jedenfalls aus Sicht der Täter. Die wollten Schmerz erzeugen.“

„Also ein Rachemotiv?“, fragte Gassinger.

„Möglich. Aber eher kühl ausgeführt. Kein Affekt. Ein Sozio- oder Psychopath. Oder ein Auftrag.“

„Mafia?“, fragte Gassinger.

„Die foltern zwar, aber dann sieht das anders aus. Ich kann es dir nicht sagen. Sicher ist nur, wer immer beteiligt ist, zeichnet sich durch außergewöhnliche Empathielosigkeit aus. Ich meine, ich bin kein Psychiater. Aber das ist leicht zu sehen. Hier sind wir am oberen Ende der Skala. Extremer Narzißmus. Extremer Sadismus. Sehr gefährlich.“

Bei ARRI

Jana war häufig bei ARRI, das war ein ganzer Gebäudekomplex, in dem sich auch Studios und eine Post-Production befanden. Sie mußte dort meistens zum Kameraverleih. Die meisten Münchner, die dort hingingen, wollten ins gleichnamige Kino, das einen modernen Vorführsaal mit bequemen Sesseln hatte. Die wenigsten wußten, daß Arnold und Richter auch erstklassige Filmkameras bauten und dafür ständig Oscars bekamen. Die Münchner Produktionen liehen sich die ARRI-Kameras und die passende Ausrüstung dann eben beim Kameraverleih.

Es war Aufgabe der Kameraassistenten, das Material abzuholen, meist am Tag vor Produktionsbeginn, und es dann gleich dort zu testen. Dafür gab es einen Raum neben der Ausgabe, wo sie die Kamera aufbauten, eine Optik daraufschraubten und dann auf eine Wand sahen, wo eine Graphik aufgemalt war, die ein wenig so aussah wie ein Testbild im Fernsehen. Wenn die Produktion viel Geld hatte, nahmen sie eine 35 mm-Kamera. Die Kamera, aber auch die passenden Objektive, kosteten mehr Miete, außerdem ging natürlich das Material ins Geld, dafür war die Bildqualität unvergleichlich gut. Wenn weniger Geld da war oder ohnehin fürs Fernsehen produziert wurde, wählte man die 16 mm-Variante.

Das Testen der Ausrüstung war nicht nur wichtig, damit die Kameraassistenten nicht mit fehlerhaftem Equipment zum Dreh kamen und dann der ganze Drehtag im Eimer war, sondern auch, weil es teuer wurde, wenn etwas kaputt war. Wenn in Wohnungen oder Häusern gedreht wurde, rechneten die Produzenten eine Summe für Schäden mit ein, weil erfahrungsgemäß immer eine Vase zu Bruch ging, ein Stativ durch ein Fenster kippte oder ein Produktionsfahrer einen Zaun umfuhr. Das machte das Filmgeschäft genau aus: mörderischer Streß, wobei jeder Fehler fatal sein konnte, gewürzt mit einer ordentlichen Prise Streit.

Jana lernte früh, daß es wichtig war, daß der Ruf alles war und sich Fehler in Windeseile herumsprachen. Ein Fahrer, der mehrfach irgendwo dagegen rumpelte, konnte sich etwas anderes suchen. Ein Regieassistent, der keine Menschenmassen dirigieren konnte, war für den Job ungeeignet, ein Produktionsleiter, der, wenn jemand plötzlich ausfiel, nicht ruckzuck einen Ersatz aus dem Hut zaubern konnte, war seiner Aufgabe eben nicht gewachsen.

Wenn Jana sich bei einer Produktionsfirma bewarb, für die sie noch nicht gearbeitet hatte, schaute sie dort natürlich zu Bürozeiten vorbei, wenn nicht gerade alle mitten im Produktionsstreß waren. Sie gab ihren Lebenslauf ab, auf dem ihre bisherigen Jobs aufgelistet waren. Die neue Firma rief dann einfach jemanden von der Liste an, in der Branche kannte ohnehin jeder jeden, und fragte nach Jana. Dann hieß es: das macht sie gut. Das reichte. Wenn dann jemand gebraucht wurde, bot man ihr den Job an. Natürlich für etwas zu wenig Geld, dann sagte Jana, es müsse schon ein wenig mehr sein, dann sagte man, ja aber die Produktion sei doch so schrecklich arm, dann sagte Jana, ja trotzdem, und dann bekam sie, was anständige Fahrer eben bekamen. In allen Abteilungen war es das gleiche, gute Leute kosteten eben gutes Geld. Die Amerikaner sagten: if you pay peanuts, you get monkeys.

Aber als Jana anfing, war alles neu und ungewohnt und besonders. Als sie das erste Mal bei ARRI war, lief ihr dort eine Fernsehmoderatorin über den Weg. In einem der Studios wurde täglich eine Nachmittags-Talkshow aufgezeichnet. Einmal schaute Jana zu, wie ein Anheizer das Publikum mit Witzen in Stimmung brachte, bevor es losging. Während die Show lief, leuchtete immer wieder ein Applausschild auf, damit das Publikum auch wußte, wann es zu klatschen hatte.

Ein Woche später war sie wieder bei ARRI, da wurde im Studio daneben ein Werbespot gedreht. Sie mußte eine Schauspielerin vom Flughafen Riem abholen, die aus London eingeflogen wurde. Sie spielte die Hausfrau, die sich enorm freute, daß der Pulli nach dem Waschen wieder so weich war. Jana hatte eine Zeitlang nichts zu tun, also schaute sie beim Drehen zu. Der Regisseur trug wallende weiße Gewänder und bewegte sich eigentümlich. Jemand sagte ihr, wer es war. Jana war beeindruckt. Er hatte zwei Münchner Fernsehserien gemacht, die jeder kannte. In einer wurde das München der Schickeria aufs Korn genommen, mit dem sie selbst immer mehr in Berührung kam.

Durch irgend etwas wurde der Dreh aufgehalten und als klar war, daß es etwas dauern würde, bis weitergedreht werden konnte, sagte der Regisseur, sie sollten ihn holen, wenn es weiterginge und ging einfach davon. Er wohnte auf der Rückseite des Studios und wartete offenbar lieber in seiner Wohnung.

Jana wurde bald klar, daß in der Filmbranche nicht alles so war, wie es schien. Und darum ging es natürlich auch: Dinge anders aussehen zu lassen, als sie waren. Daß das aber mitunter sehr viel weiter ging, als sie sich vorstellen konnte, sollte sie bald erfahren.

Jana

Gassinger fuhr wieder in sein Büro in der Ettstraße. Sein Assistent Wörl kam ins Zimmer.

„Interpol ist jetzt informiert, ich habe unsere Anfrage übermittelt“, sagte Wörl.

„Gut“, meinte Gassinger, „dann schau, ob irgendwo in Europa in der letzten Zeit etwas Vergleichbares passiert ist. Ich denke vor allem an Italien, Frankreich, Österreich, Schweiz. Frag dort auch an. Die haben vielleicht etwas, was nicht über Interpol läuft, vielleicht auch etwas Älteres. Haben sich ansonsten noch Anlieger gemeldet, haben die Befragungen am Fundort etwas gebracht, haben wir Aussagen, hat irgend jemand etwas gesehen?“

„Nein“, sagte Wörl, „wir haben nichts. Alle haben brav geschlafen.“

Gassinger seufzte. Jetzt mußte er auf die Ergebnisse aus der Forensik hoffen. Die Untersuchung der Plastikfolie, des Klebebandes und der Kleidung der Leiche. Ausweise, Schmuck oder irgendwelche anderen Hinweise auf die Identität des Toten waren nicht gefunden worden. Das Opfer wurde auf Mitte dreißig geschätzt. Gassinger hoffte auf brauchbare Fingerabdrücke oder irgend etwas anderes, das Rückschlüsse auf die Identität des Toten, auf den oder die Täter oder wenigstens auf den Tatort liefern konnte.

Es war abzusehen, daß die Ermittlungen schwieriger würden als bei den Tötungsdelikten, mit denen er sonst zu tun hatte. Mord aus Leidenschaft, Mord im Affekt, Eifersucht, Jähzorn, ein kurzes Aufflackern und dann ein Leben lang Reue. Beziehungstaten. In einer überwältigenden Mehrzahl der Fälle gab es ein Näheverhältnis zwischen Opfer und Täter. Hier konnte es auf den ersten Blick auch so wirken. Aber dies war nicht, was man Übertötung nannte, niemand hatte im Zorn oder aus lange gehegtem Haß zehnmal geschossen oder wie wahnsinnig auf das Opfer eingestochen. Hier paßte nichts zusammen, es gab extreme Gewalt und doch wirkte es gestellt und seltsam. Gassinger konnte sich das nicht erklären. Aber er mußte es verstehen, um den Fall zu lösen.

Zwischen Jana und Olli lief es wieder besser. Die neue Produktion, bei der Olli jetzt Scheinwerfer schleppte, ließ sich gut an. Er wirkte zufrieden. Sie drehten in den Bavaria-Studios. Mit dem Oberbeleuchter kam Olli gut klar, der Kameramann namens Rollmann war verträglich, und das Essen war gut. Wenn er vom Dreh kam, war er exzellent gelaunt. Aber schon nach wenigen Tagen war die schöne Zeit wieder vorbei.

Am Mittwoch kam Olli erst spät vom Dreh nach Hause, bleich, nervös, sie wußte gleich, was los war. Snief-snief. Am Donnerstag das gleiche. Sie saß in ihrem Zimmer und wartete, daß er zu ihr kam. Aber das Warten war anders als früher. Sie entfremdeten sich.

Es war die Phase zwischen zwei Drehs, die Ruhephase, an die sie sich immer erst wieder gewöhnen mußte, wenn sie gedreht hatte. So ging es jedem, vom Fahrer bis zum Produzenten. Eine ständige Anspannung während der Drehzeit, die schon vor dem ersten Drehtag begann. Dann dauernd auf Adrenalin mit Spitzen von extremem Streß. Nach dem letzten Drehtag fiel man in ein Loch. Eine seltsame Leere, die nur langsam in echte Entspannung überging. Genau in dieser Phase war Jana jetzt. Sie hatte ein paar Tage frei, bevor der nächste Dreh begann. Zeit, um über sich und Olli nachzudenken.

Sie war zurückhaltend und öffnete sich Menschen nicht leicht. Er war da ganz unverkrampft, locker, schnell, berlinerisch: Weeste, weeste, haste, kannste. Als sie sich bei dem Dreh in Berlin kennengelernt hatten, hatte Jana als Set-Aufnahmeleiterin gearbeitet, was sie sonst nicht machte. Sie war eingesprungen, weil jemand kurzfristig erkrankt war und der Produktionsleiter Michael Gerstmann schnell Ersatz gebraucht hatte. Es war ohnehin ein üblicher Weg, beim Film Karriere zu machen. Erst war man Fahrer. Im Laufe der Zeit und durch die Erfahrungen bei vielen Produktionen lernte man, welche Abteilungen es gab, welche Aufgaben zu welcher Position gehörten und wie die einzelnen Räder ineinandergriffen, damit die komplizierte Maschinerie, die die Dreharbeiten waren, reibungslos funktionierte. Als Fahrer hatte man sowieso dauernd vor allem mit der Produktionsabteilung zu tun, also mit Aufnahmeleitern und Produktionsleitern, die einem die Tagesdisposition und die Fahrten gaben. Man sah, was sie machten und wie sie es machten. Irgendwann traute man sich das selbst zu und bekam eine Chance, wenn man wollte. Manche machten vorher noch eine Assistenz. War man längere Zeit Aufnahmeleiter, konnte man Produktionsleiter werden, und dann vielleicht irgendwann Produzent.

Jana wollte bei dem Dreh in Berlin nicht Karriere machen, sondern Gerstmann einen Gefallen tun. Die Bezahlung stimmte auch, drei Wochen Dreh in Berlin waren eine nette Abwechslung, das Hotel war in Ordnung und die Crew war nett.

Bei diesem Dreh lernte sie Olli kennen. Zum ersten Mal sah sie ihn beim Catering. Er biß von einer Wurst ab und sagte, ohne eine Miene zu verziehen: „Gar nicht mal so lecker.“ Jana verschluckte sich fast vor Lachen. Er war lustig, er sah toll aus. Gesund, fröhlich, fit. Sie wollte ihren Olli zurück. Aber es war zu spät. Er hatte sich verändert oder sie oder sie beide, jedenfalls ging es so nicht weiter.

Am nächsten Tag sprach sie mit Olli.

„Ich brauche eine Veränderung. Ich kann so nicht weitermachen. Vielleicht sollten wir mal eine Auszeit nehmen“, sagte Jana.

„Willst du dich trennen?“, fragte Olli.

„Ehrlich gesagt, eigentlich schon.“

Olli war überrascht, aber er fiel nicht aus allen Wolken. Er hatte bemerkt, daß sie ihm gegenüber zuletzt anders gewesen war. Vielleicht hatte er insgeheim sogar damit gerechnet.

„Okay, dann sollte ich heute vielleicht lieber bei Moritz schlafen“, meinte Olli, „aber bei unserem Filmabend bleibt es, oder?“

„Ja, klar“, sagte Jana.

Keine von Janas Beziehungen hatte allzu lange gedauert. Sie konnte nicht sagen, wieso, aber ihre Freundschaften und Liebschaften endeten immer bald, nachdem die ersten Enttäuschungen einsetzten. Dabei fand sie nicht, daß sie zu schnell aufgab. Ihr Vertrauen wurde mißbraucht und sie zog sich zurück. Ein Fluchtimpuls, der sich ihrer bemächtigte. Wenn die Beziehung beendet war, blieb oft das Gefühl zurück, dem Falschen vertraut zu haben. Sie hatte sich so sehr gewünscht, daß es diesmal klappen würde, daß Olli einer war, der ihr Vertrauen verdiente.

Die Sache mit dem mißbrauchten Vertrauen zog sich schon durch ihr ganzes Leben.

Am Abend ihres 15. Geburtstages war ihr Vater wie so oft schwer betrunken nach Hause gekommen, doch diesmal war es nicht beim üblichen Spannen geblieben. Diesmal bedrängte er sie körperlich und ließ keinen Zweifel daran, wie es weitergehen sollte. Aber sie schrie wie am Spieß und biß in seine Hand, als er versuchte, ihr den Mund zuzuhalten. Sie riß ihr Knie hoch, traf ihn gut und konnte weglaufen. Sie versteckte sich im Wald und als ihr zu kalt wurde, ging sie zum Pfarrer, der ihr glaubte und sie im Pfarrhaus übernachten ließ. Am nächsten Tag ging er zu ihren Eltern und ließ durchblicken, daß er sie, falls so etwas wieder passierte, sofort anzeigen würde.

Ihre Eltern wußten, daß er Wort halten würde. Er lag mit dem halben Dorf im Streit und war bekannt für seinen Starrsinn. Er predigte, daß Gier und Habsucht ins Verderben führten. Das kam bei den niederbayerischen Bauern nicht gut an. Es kam erschwerend hinzu, daß er aus Polen stammte und von einem „Polacken“ ließ man sich dort aus Prinzip nichts sagen, und mochte auch der Papst selbst einer sein.

Ihre Mutter deckte den Vater, wie üblich, und wurde in der Folge nur noch kälter ihr gegenüber. Sie hatte nie etwas dagegen getan, wenn der Vater die nackten Töchter begaffte, es störte sie offenbar nicht, daß er eine ganze Sammlung mit Photos und Super 8-Filmen hatte, die vor allem entstanden waren, wenn die Familie beim Baden war.

Doch ihre Eltern waren nur ein Teil des Gefängnisses ihrer Kindheit. Es war der Ort, in dem sie lebte, es war die Schule, die Lehrer. Jeder hatte seinen Platz und seinen Status, und daran gab es nichts zu rütteln. Die Großbauern hatten das Sagen und der Herr Bürgermeister und der Herr Apotheker. Alle anderen hatten den Mund zu halten. Als Kind eines Angestellten mit kleinem Einkommen hatte Jana in der Schule keinen guten Stand. In ihrer Klasse gab ein tyrannisches Zwillingspaar den Ton an, dessen Familie den Nachbarort Tag und Nacht mit dem Gestank einer Schweinezuchtanlage mit ein paar tausend Schweinen beglückte.

Auch die Lehrer folgten der sozialen Hackordnung, und für Janas Eltern wäre der Gedanke völlig absurd gewesen, sich zur Abwechslung auch mal auf die Seite ihrer Tochter zu stellen, wenn es Streit mit anderen Schülern oder Ärger anderer Art gab.

In der einen Sache, die Jana liebte, dem Zeichnen, unterstützten sie sie natürlich auch nicht. Die Kunstlehrerin sah Janas Talent und ließ das ihre Eltern auch wissen, aber das bewirkte gar nichts. Im Gegenteil, von da an sahen sie das als nutzlose Beschäftigung, wer konnte schon von so etwas leben, Jana jedenfalls nicht, entschieden ihre Eltern.

Jetzt wohnte sie in einem Hinterhaus in der Schellingstraße in einer Altbauwohnung. Im Hof stand eine mächtige Kastanie, darunter konnten die Hausbewohner im Sommer sitzen. Im Haus wohnten ein paar alte Leute, die ein Münchnerisch sprachen, das schon selten geworden war. Auch die Familie, die vor Jahrzehnten aus Jugoslawien gekommen war, sprach bayerisch, die Eltern Rado und Milena noch vermischt mit Jugo-Slang, deren Strebersohn machte an der Technischen Universität Karriere. Außerdem wohnte im Haus auch eine neapolitanische Familie, die bei Mario arbeitete. Im Hof erklangen also häufig die Wörter cazzo und kuraz, wenn alltägliche Handlungen einer Betonung bedurften. Insgesamt eine bunte Mischung, in der jeder Teil selbständig war. Das war nach Janas Geschmack.

Die Presse machte Druck, und die Polizeiführung wollte sich wieder mit Gassinger „abstimmen“, wie sie es nannte. Also fand sich Gassinger wieder im obersten Stockwerk des Polizeipräsidiums ein. Das Wort, das nicht fallen sollte, sagte man ihm, war Sonderkommission. Eine SOKO erweckte Aufmerksamkeit. Gab es eine SOKO, gab es auch Gefahr und etwas zu berichten und wenn die Journalisten zu wenig Informationen hatten, stellten sie blöde Fragen oder erfanden etwas. Meistens beides. Was verschweigt die Polizei? Sind die Bürger noch sicher? Kommt die Mafia jetzt auch zu uns?

Auch Gassinger wollte keine SOKO. Er brauchte im Moment keine. Er wollte nur ungestört seine Arbeit machen, und falls es sich als nötig erweisen würde, könnte er immer noch eine fordern.

„Was machen wir mit der Presse?“, fragte man ihn.

„Wir geben Ihnen etwas, nicht viel, gerade genug, damit sie zufrieden sind“, antwortete Gassinger.

„Einverstanden“, sagte sein Vorgesetzter.

Also sorgte Gassinger dafür, daß etwas durchsickerte. Ein paar Photos vom abgesperrten Fundort hatten die Pressephotographen bereits ergattert. Also gab es noch ein paar Details dazu und das reichte für eine knallige Schlagzeile: Mafia-Mord! Folter-Opfer sollte mitten in Schwabing einbetoniert werden. Aus gut unterrichteter Quelle in der Mordkommission habe man erfahren, daß die Polizei von einem Mafia-Krieg ausgehe. Näheres könne man nicht sagen, aber die Bevölkerung mußte kaum befürchten, zwischen die Fronten zu geraten. Es wurde nicht erwähnt, welche Mafia, aber bei dem Wort dachten sowieso alle automatisch an Sizilien und damit war die Sache erledigt. Nach ein paar Tagen interessierte sich niemand mehr dafür.

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