Kitabı oku: «Das Werk der Artamonows», sayfa 3
»Jetzt komme ich dran.«
Artamonow wunderte sich über seine Art und musterte den stämmigen Körper des Erdarbeiters.
»Was ist mit dir: bist du stark oder bist du nur ein Prahlhans?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte jener ernst.
Sie packten einander beim Gürtel und stampften lange auf einem Fleck herum. Ilja blickte über Wialows Schulter auf die Frauen und blinzelte ihnen schamlos zu. Er war größer, aber schmäler als der Erdarbeiter und etwas besser gebaut. Wialow stemmte die Schulter gegen des andern Brust und bemühte sich, den Gegner aufzuheben und über sich hinüberzuwerfen. Ilja erriet das und rief ihm zu:
»Du bist nicht schlau, Bruder, du bist nicht schlau!« Und auf einmal schrie er auf und schleuderte Tichon mit solcher Gewalt über seinen Kopf hinüber, daß er sich beim Sturz auf die Erde beide Beine verletzte. Der Erdarbeiter sagte beschämt, als er im Grase saß und sich den Schweiß vom Gesicht wischte:
»Er ist stark.«
»Das sehen wir«, wurde ihm spöttisch erwidert.
»Er hat Kraft«, wiederholte Wialow.
Ilja streckte ihm die Hand hin:
»Steh auf!«
Der Erdarbeiter versuchte aufzustehen, ohne die Hand zu nehmen, er konnte es aber nicht und streckte wieder die Beine aus, indem er der Menge mit seltsamen, gleichsam hinschmelzenden Augen nachblickte. Nikita kam auf ihn zu und fragte teilnahmsvoll:
»Tut es weh? Soll ich helfen?«
Der Arbeiter lächelte:
»Die Knochen schmerzen. Ich bin ja stärker als dein Vater, aber nicht so geschickt. Nun, wollen wir ihnen folgen, Nikita Iljitsch, du bist ein schlichter Mensch!«
Er faßte den Buckligen freundschaftlich unter den Arm und schloß sich der Menge an, wobei er mit den Füßen aufstampfte und so den Schmerz zu beschwichtigen hoffte.
… Die durch schlaflose Nächte ermatteten Neuvermählten schoben sich willenlos, den Menschen zur Schau, inmitten der bunten, lärmenden, betrunkenen Menge durch die Straßen; sie aßen und tranken, gerieten bei den schamlosen Scherzen in Verlegenheit, bemühten sich krampfhaft, einander nicht anzusehen und schwiegen, als wären sie sich fremd, während sie Arm in Arm herumgingen oder, wie immer, nebeneinander saßen. Das gefiel Matriona Barskaja sehr, die Ilja und Uljana prahlerisch befragte:
»Ist dein Sohn nicht gut abgerichtet? Das will ich meinen! Sieh nur, Uljana, wie ich deine Tochter erzogen habe! Und dein Schwiegersohn ? Er stolziert wie ein Pfau einher, als ginge ihn das ganze gar nichts an!«
Wenn Pjotr und Natalia aber heimgingen schlafen, warfen sie zugleich mit den Kleidern alles ab, was man ihnen aufgezwungen hatte und was sie demütig auf sich genommen hatten, und besprachen den verflossenen Tag:
»Wie bei euch aber getrunken wird!« staunte Pjotr.
»Trinkt man denn bei euch weniger?« fragte die junge Frau.
»Dürfen die Bauern denn so trinken ?«
»Ihr seht gar nicht wie Bauern aus.«
»Wir gehörten zum Hofgesinde. Das ist schon beinahe so gut wie Edelleute.«
Manchmal umfaßten sie einander und setzten sich ans Fenster. Sie atmeten die appetitlichen Gartengerüche ein und schwiegen:
»Warum schweigst du?« fragte leise die junge Frau. Ihr Mann erwiderte ebenso leise:
»Ich habe keine Lust, gewöhnliche Worte zu sagen.«
Er wünschte ungewöhnliche Worte zu hören; doch kannte Natalia keine. Wenn er ihr aber von der grenzenlosen Weite und Freiheit der goldenen Steppen erzählte, fragte sie:
»Gibt es denn dort keine Wälder oder sonst irgend etwas? Oh, wie schrecklich muß das sein!«
»Der Schrecken lebt in den Wäldern«, sagte Pjotr etwas gelangweilt. »Was findest du denn an der Steppe schrecklich? Dort ist die Erde, dort ist der Himmel, dort bin ich… «
Als sie einmal so am Fenster saßen und schweigend die Sternennacht bewunderten, hörten sie im Garten, beim Badehaus ein Rumoren,–jemand lief da, streifte und zerbrach die Ruten der Himbeersträucher, darauf ertönte ein leiser, zorniger Ausruf:
»Was fällt dir ein, du Teufel ?«
Natalia sprang erschrocken auf.
»Das ist ja die Mutter!«
Pjotr beugte sich zum Fenster hinaus, das er durch seinen breiten Rücken verstellte; er sah, daß sein Vater seine Schwiegermutter umfaßt hielt, sie gegen die Badehauswand preßte und auf die Erde zu werfen versuchte, während sie mit den Händen rasch ausholte, ihn auf den Kopf schlug und atemlos laut flüsterte:
»Laß mich, ich schreie sonst!«
Und dann schrie sie mit ganz fremder Stimme:
»Liebster, rühr' mich nicht an! Hab' Mitleid … «
Pjotr schloß geräuschlos das Fenster und nahm seine Frau auf den Schoß.
»Schau nicht hin.«
Sie zappelte in seinen Armen und rief:
»Was ist das, wer ist's ?«
»Der Vater«, sagte Pjotr, sie fest an sich pressend. »Verstehst du denn nicht?«
»Ach, was ist das bloß?« flüsterte sie voll Scham und Angst. Ihr Mann trug sie zum Bett und sagte demütig:
»Wir dürfen über die Eltern nicht zu Gericht sitzen.«
Natalia hielt sich mit den Händen den Kopf und jammerte, sich hin und her wiegend:
»Welche Sünde!«
»Es ist nicht unsere Sünde«, sagte Pjotr und dachte an die Worte des Vaters: ,die Herrschaft hat sich noch ganz andere Dinge erlaubt'. »So ist es sogar besser: nun wird er sich nicht über dich hermachen. Für die Alten ist das eine einfache Sache; für sie ist es eine geringe Sünde, sich mit der Schwiegertochter abzugeben. Weine nicht.«
Sie sagte unter Tränen:
»Schon als sie tanzten, dachte ich es mir … Und wie, wenn er Gewalt anwendet, was soll dann bei uns werden ?«
Doch sie schlief bald ein, von der Aufregung ermattet und ohne sich auszukleiden. Pjotr öffnete das Fenster und blickte forschend in den Garten; es war niemand da, und er atmete den den Morgen verkündenden Wind ein, während die Bäume das vom Wohlgeruch erfüllte Dunkel in Bewegung setzten. Er ließ das Fenster offenstehen, legte sich neben seine Frau und dachte, ohne die Augen zu schließen, über das Vorgefallene nach. Wie schön wäre es, mit Natalia in einem kleinen Gutshaus zu leben! …
… Natalia erwachte bald; ihr schien, das Mitleid mit der Mutter und die ihretwegen erduldete Kränkung hätten sie geweckt. Sie ging barfuß und im bloßen Hemd nach unten. Die des Nachts stets geschlossene Tür zum Zimmer der Mutter stand halb offen, was die junge Frau noch mehr erschreckte. Als sie aber in die Ecke bückte, wo sich das Bett der Mutter befand, sah sie unter dem Laken eine weiße Erhöhung und auf dem Kissen die ausgebreiteten dunklen Haare.
»Sie schläft. Sie hat geweint und sich abgehärmt … «
Natalia mußte irgend etwas beginnen, die gekränkte Mutter irgendwie trösten. Sie ging in den Garten; das kalte, taunasse Gras kitzelte die Füße; soeben war hinter dem Wald die Sonne aufgestiegen, deren schräge Strahlen die Augen blendeten. Sie wärmten kaum. Sie pflückte ein vom Tau versilbertes Huflattichblatt, hielt es erst an die eine und dann an die andere Wange, und als sie ihr Gesicht erfrischt hatte, begann sie Träubchen roter Johannisbeeren zu pflücken und in das Blatt hineinzutun, während sie ohne Zorn an den Schwiegervater dachte. Er pflegte sie mit der schweren Hand auf den Rücken zu klopfen und dabei schmunzelnd zu fragen:
»Nun, wie steht es, lebst du ? Atmest du? Nun gut, lebe nur!«
Er schien für sie keine anderen Worte zu haben, das freundliche Tätscheln beleidigte sie aber ein wenig, so pflegt man Pferde zu liebkosen.
»So ein Räuber!« dachte sie und zwang sich, an den Schwiegervater feindselig zu denken..
Es sangen die Finken und Rotkehlchen, es zwitscherten die Zeisige, die Baumblätter raschelten leise und seidig, irgendwo am Stadtrande blies ein Schäfer, vom Ufer der Watarakscha, wo die Fabrik lag, tönten Menschenstimmen herüber und schwebten langsam durch die helle Stille. Irgend etwas schnappte zu, Natalia erhob, zusammenzuckend, den Kopf, – über ihr, auf einem Apfelbaum, hing eine Vogelfalle, ein Zeisig zappelte zwischen den dünnen Ruten.
»Wer fängt hier Vögel? Etwa Nikita?«
Irgendwo knackte ein trockener Ast.
Als sie ins Haus zurückkehrte und in das Zimmer der Mutter hineinsah, lag diese mit nach oben gewendetem Gesicht wach da. Sie hob erstaunt die Augenbrauen und schob die eine Hand unter den Kopf.
»Wer ist da … Was hast du ?« fragte sie beunruhigt, sich auf dem Ellenbogen aufrichtend.
»Nichts! Hier habe ich dir Johannisbeeren zum Tee gepflückt.«
Auf dem Tisch neben dem Bett lag eine große, fast leere Karaffe mit Kwas, der über das Tischtuch gegossen war, der Stöpsel lag auf der Erde. Die strengen, hellen Augen der Mutter waren von bläulichen Schatten umringt, aber nicht von Tränen verschwollen, wie Natalia erwartet hatte; die Augen selbst erschienen dunkler, sie hatten sich vertieft und ihr sonst etwas hochmütiger Blick erschien heute fremd, kam aus der Ferne, war zerstreut.
»Die Mücken lassen mich nicht schlafen, ich will mich lieber in die Scheune legen,« sagte die Mutter und wickelte den Hals in das Laken. »Sie haben mich ganz zerbissen. Warum bist du denn so früh aufgestanden? Warum läufst du barfuß im Tau herum? Dein Rock ist ganz naß. Du wirst dich erkälten … «
Die Mutter sprach unfreundlich, widerwillig und aus irgendwelchen eigenen Gedanken heraus. Die Unruhe der Tochter wurde allmählich von einer nicht wohlwollenden und scharfen weiblichen Neugierde abgelöst.
»Beim Erwachen habe ich an dich gedacht … ich habe von dir geträumt.«
»Was dachtest du?« erkundigte sich die Mutter, auf die Zimmerdecke blickend.
»Du schläfst jetzt ganz allein, ohne mich … «
Es kam Natalia vor, als ob die Wangen der Mutter sich röteten, und als sie lächelnd sagte: »Ich bin nicht ängstlich«, schien ihr dieses Lächeln nicht aufrichtig zu sein.
»Nun geh, Liebling. Deiner ist schon wach, hörst du? er stampft mit den Füßen«, befahl die Mutter, die Augen schließend.Während Natalia langsam die Treppen emporstieg, dachte sie angewidert und beinahe feindselig:
»Er hat bei ihr geschlafen; den Kwas hat er getrunken! Ihr Hals ist fleckig, das sind keine Mückenstiche, das sind Kußspuren. Ich will Petja aber nichts davon sagen. Sie will in der Scheune schlafen. Und doch hat sie geschrien … «
»Wo warst du?« fragte Pjotr, seiner Frau forschend ins Gesicht blickend. Sie senkte die Augen, da sie sich schuldig fühlte.
»Ich habe Johannisbeeren gepflückt und war dann bei der Mutter.«
»Nun, was ist mit ihr?«
»Es scheint nichts zu sein … «
»So?« sagte Pjotr, sich am Ohr zupfend. »So!«
Er seufzte lächelnd und rieb sich das rothaarige Kinn:
»Die dumme Barskaja scheint wohl die Wahrheit gesagt zu haben: glaube weder ihrem Schreien, noch ihren Tränen … «
Darauf fragte er streng:
»Hast du Nikita gesehen?«
»Nein.«
»Wieso denn nicht? Da ist er ja, er fängt im Garten Vögel.«
»Ach,« rief Natalia ängstlich, »und ich bin so, im bloßen Hemd, hinausgelaufen.«
»Das ist es ja eben … «
»Wann schläft er eigentlich?«
Pjotr ächzte laut beim Stiefelanziehen. Seine Frau lächelte, ihn von der Seite anblickend, und sagte:
»Er ist zwar bucklig, hat aber doch was Angenehmes, mehr als Alexej … «
Der junge Ehemann ächzte nochmals, aber leiser … … Jeden Morgen, beim Sonnenaufgang, wenn der Schäfer seine Herde sammelte und dabei schwermütig auf der langen Flöte aus Birkenrinde blies, begann jenseits des Flusses das Hämmern der Äxte, und die Städter, die ihre Kühe und Schafe auf die Straße hinaustrieben, sagten spöttisch zueinander:
»Kaum daß der Morgen graut, geht es schon los, hört ihr? Die Habgier ist der ärgste Feind der Ruhe.«
Manchmal kam es Ilja Artamonow so vor, als habe er die träge Feindseligkeit der Stadt schon überwunden; die Driomower zogen vor ihm ehrerbietig die Mützen und hörten aufmerksam seine Erzählungen von den Fürsten Ratski an, aber stets bemerkte dabei der eine oder der andere nicht ohne Stolz:
»Bei uns sind die Herrschaften einfacher, ärmer, aber strenger als bei euch!«
Des Abends und an den Feiertagen saß er im schönen, schattigen Garten der Schenke Barskis am Ufer der Oka und sagte zu den reichen und angesehenen Bürgern von Driomow:
»Mein Unternehmen wird für euch alle von Vorteil sein.«
»Das walte Gott!« erwiderte Pomialow mit einem kurzen, hündischen Auflachen, und man war sich nicht im klaren, ob er freundlich lecken oder beißen würde. Sein verschwommenes Gesicht war teilweise in einem hanfartigen Bart verborgen, die graue Nase schnüffelte mißtrauisch überall herum, und der Blick der eichelfarbenen Augen war tückisch.
»Das walte Gott!« wiederholte er. »Wir haben zwar auch ohne dich nicht schlecht gelebt, vielleicht werden wir aber auch mit dir irgendwie leben.«
Artamonow runzelte die Stirn:
»Du sprichst zweideutig und nicht freundschaftlich.«
Barski schreit lachend:
»Er ist nun einmal so!«
Barski hat an Stelle seines Gesichts spärliche, hochrote Fleischstücke, sein ungeheurer Kopf, der Hals, die Wangen und Hände, – alles an ihm ist dicht mit grobhaarigem Bärenfell bewachsen, die Ohren sind unsichtbar, die überflüssigen Augen sind in Fettpolstern verborgen.
»Meine ganze Kraft ist in Fett übergegangen«, sagt er lachend und öffnet weit den mit stumpfen Zähnen angefüllten Rachen.
Der Stellmacher Woroponow betrachtet Artamonow mit seinen sehr hellen Augen und belehrt ihn mit klangloser Stimme:
»Man muß seine eigenen Angelegenheiten besorgen, darf aber auch die göttlichen nicht vergessen. Es heißt: ›Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe; eins aber ist not!‹«
Seine hellen und gleichsam leeren Augen blickten so, als ahne Woroponow irgend etwas und als würde er sogleich durch ein ungewöhnliches Wort verblüffen. Manchmal schien er auch einen Anlauf dazu zu nehmen:
»Natürlich hat auch Christus Brot genossen, so daß Martha … «
»Halt,« unterbrach ihn der Lederhändler und Kirchenälteste Shitejkin, »wo willst du hinaus?«
Woroponow verstummte und bewegte seine grauen Ohren. Ilja fragte den Lederhändler:
»Verstehst du etwas von meinem Unternehmen?«
»Wozu denn?« staunte Shitejkin aufrichtig. »Das ist doch deine Sache; da mußt du sie auch verstehen, du seltsamer Kauz! Du hast deine Sache und ich die meinige.«
Artamonow trank starkes Bier und blickte durch die Bäume auf den trüben Streifen der Oka und auf die links aus dem Tannenwald und aus den Sümpfen sich zierlich als grüne Schlange hervorwindende Watarakscha. Dort, auf der Landzunge, auf dem gelben Brokat des Sandes, leuchten ölig die Holzabfälle und Hobelspäne, schimmert rot der Backstein, und inmitten des niedergetretenen Weidengesträuchs breitet sich die langgestreckte, fleischfarbene Fabrik aus, die an einen Sarg ohne Deckel erinnert. In der Sonne funkelt der mit dunklem, noch ungestrichenem Eisenblech gedeckte Schuppen, und der gelbe Rohbau des zweistöckigen Hauses scheint mit seinen in den heißen Himmel emporragenden, straff gespannten, goldenen Dachstuhlsparren wie Wachs dahinzuschmelzen. – Alexej hatte treffend bemerkt, das Haus erinnere aus der Ferne an eine Harfe. Alexej lebt dort, in einiger Entfernung von den Burschen und Mädchen der Stadt; es ist schwer, mit ihm auszukommen, er ist zänkisch und jähzornig. Pjotr ist schwerfälliger als er, in ihm ist etwas Trübes; er begreift noch nicht, was alles ein kühner Mensch vollbringen kann.
Über Artamonows Gesicht gleitet ein Schatten, er blickt, unter den dichten Brauen lächelnd, auf die Städter. Dieses Volk ist nicht viel wert, sie bekunden in ihren Geschäften nur schwächliche Gier, echtes Draufgängertum fehlt ihnen aber.
Des Nachts, wenn die Stadt wie tot schläft, schleicht Artamonow, als wäre er ein Dieb, über das Flußufer und über Hinterhöfe in den Garten der Witwe Bajmakowa. In der warmen Luft summen die Mücken und scheinen über die Erde den appetitlichen Geruch von Gurken, Äpfeln und Dill zu verbreiten. Der Mond rollt inmitten grauer Wolken hin, der Fluß wird von Schatten liebkost, Artamonow steigt über die Hecke in den Garten und gelangt leise in den Hof. Jetzt ist er in der dunklen Scheune, aus einer Ecke empfängt ihn ängstliches Flüstern:
»Bist du unbemerkt hereingekommen?«
Er wirft die Kleider ab und brummt zornig:
»Es ist so ärgerlich, daß ich mich verstecken muß! Bin ich denn ein grüner Junge?«
»Dann mußt du dir eben keine Geliebte nehmen.«
»Ich wäre froh, wenn ich keine hätte, aber Gott hat mir eine gegeben.«
»Ach, was sprichst du, du Ketzer! Wir beide handeln gegen Gottes Willen … «
»Nun gut! Das kommt später dran. Ach, Uljana, was für Menschen es hier bei euch gibt … «
»Laß das, gräme dich nicht«, flüsterte die Frau und tröstete ihn lange und mit wilder Gier durch ihre Liebkosungen. Nachdem sie sich ausgeruht hatte, erzählte sie ihm eingehend von den Leuten: wer zu fürchten wäre, wer klug und wer ehrlos wäre, und wer übriges Geld hätte.
»Pomialow und Woroponow wissen, daß du viel Holz brauchst und wollen die Wälder in der Umgegend zusammenkaufen, um dich an die Wand zu drücken.«
»Sie kommen zu spät, der Fürst hat die Wälder mir verkauft.«
Um sie herum und über ihnen herrscht undurchdringlich, schwarzes Dunkel, sie sehen nicht einmal ihre Augen und flüstern tonlos. Es riecht nach Heu und nach Birkenbesen; aus dem Keller steigt angenehme, feuchte Kühle auf. Schwere, wie aus Blei gegossene Stille umspannt die Stadt, manchmal huscht eine Ratte vorbei, junge Mäuse piepsen, und die zerbrochene Glocke des Nikolausturmes wirft stündlich traurige, krankhaft zitternde Töne in das Dunkel.
»Wie stattlich du bist!« ruft Artamonow entzückt aus und streichelt den heißen, üppigen Körper der Frau. »Und so kräftig! Du hast wohl wenig Kinder geboren?«
»Außer Natalia waren es zwei. Sie waren zu schwach und sind gestorben.«
»Das bedeutet, daß dein Mann nicht viel wert war … «
»Du wirst es nicht glauben,« flüstert sie, »ich wußte ja vor dir garnicht, was Liebe ist. Meine Freundinnen und die Frauen erzählten manchmal davon, ich glaubte es aber nicht, ich dachte: sie lügen aus Scham, und legte mich wie auf die Folter ins Bett. Ich betete zu Gott: er sollte einschlafen und mich nicht anrühren! Er war ein guter Mensch, still und klug, Gott hatte ihm aber kein Talent für die Liebe gegeben.«
Ihre Worte erregen und überraschen Artamonow. Er brummt, ihre üppigen Brüste streichelnd:
»Ich wußte gar nicht, daß sowas vorkommt. Ich dachte: jeder Mann sei dem Weibe angenehm.«
Er fühlt sich stärker und klüger neben dieser Frau, die bei Tag stets die gleichmäßig ruhige und vernünftige Hausfrau ist und die in der Stadt wegen ihres Verstandes und weil sie lesen und schreiben kann, geachtet wird. Einmal sagte er, durch ihre mädchenhaften Liebkosungen entzückt:
»Ich verstehe, was für Unannehmlichkeiten du dich aussetzt. Wir haben einen Fehler begangen, indem wir unsere Kinder miteinander verheirateten: ich hätte lieber dich nehmen sollen … «
»Du hast gute Kinder, und es wäre weiter kein Unglück, wenn sie etwas über uns erfahren sollten. Aber wenn die Stadt davon Wind bekäme … « Sie zitterte am ganzen Leib.
»Was macht denn das?« flüsterte Ilja.
Einmal fragte sie neugierig:
»Sag einmal: du hast ja einen Menschen umgebracht, träumst du nicht von ihm?«
Ilja antwortete, sich gleichzeitig den Bart kratzend:
»Nein, ich schlafe fest, ich träume nicht. Wovon sollte ich auch träumen? Ich habe nicht einmal gesehen, wer er war. Man schlug mich so, daß ich mich mit Mühe auf den Beinen hielt; da schleuderte ich irgendwem die Wurfkugel an den Schädel, dann einem andern, – der dritte lief davon.«
Er seufzte und brummte gekränkt:
»Man wird von irgendwelchen Dummköpfen überfallen und muß sich ihretwegen vor Gott verantworten.«
Er lag einige Minuten schweigend da.
»Schläfst du?«
»Nein.«
»Geh, es wird schon Tag! Willst du jetzt auf den Bauplatz? Ach, du kommst ja durch mich ganz von Kräften … «
»Habe keine Angst, es hat für die Werktage genügt, da wird es auch für den Feiertag reichen«, prahlte Artamonow und kleidete sich an.
Artamonow geht durch die Kühle und durch das perlmutterfarbene Dunkel des Frühmorgens; er schreitet über seinen Grund, hält die Hände auf dem Rücken unter dem Kaftan, der wie ein Hahnenschwanz in die Höhe steht, zerstampft mit dem schweren Fuß Holzstücke und Hobelspäne und denkt:
»Man muß Aljoscha sich austoben lassen, er soll sich die Hörner ablaufen. Ein schwieriger, aber guter Kerl.«
Er legt sich auf den Sand oder auf einen Spänehaufen und schläft rasch ein. Auf dem grünlichen Himmel entbrennt freudig das Morgenrot; jetzt rollt die Sonne prahlend den Pfauenschwanz ihrer Strahlen über der Erde auseinander und folgt ihm dann selbst in goldenem Schimmer nach; die Arbeiter sind erwacht und warnen einander beim Anblick des ausgestreckten großen Körpers:
»Pst! Hier! … «
Tichon Wialow mit den breiten Backenknochen hält einen Eisenspaten auf der Schulter und sieht Artamonow mit den blinzelnden Augen so an, als wollte er über ihn hinübersteigen, als traute er sich aber nicht recht.
Die ameisenartige Geschäftigkeit der Leute, das Schreien und Klopfen weckten den großen Mann nicht, der mit zum Himmel gewandtem Gesicht wie eine stumpfe Säge schnarchte. Der Erdarbeiter geht weg und sieht sich blinzelnd um, als hätte ihn jemand auf den Kopf geschlagen. Alexej tritt in weißem Leinenhemd und blauen Hosen aus dem Hause; leise, als schwebte er durch die Luft, geht er baden und weicht vorsichtig dem Onkel aus, da er ihn durch das leise Knistern der Holzspäne unter den Füßen zu wecken fürchtet. Nikita ist schon beim Morgengrauen in den Wald gefahren; er bringt von dort fast täglich etwa zwei Fuhren Humuserde mit, die er auf der für den Garten freigemachten Stelle ablädt; er hat schon Birken, Ebereschen, Ahorn- und Faulbäume gesetzt und gräbt jetzt in den Sand tiefe Gruben, die er mit Dünger, Schlamm und Lehm füllt; das ist für die Obstbäume. An den Feiertagen hilft ihm Tichon Wialow bei der Arbeit.
»Gärten anlegen ist eine harmlose Sache«, sagt er.
Pjotr Artamonow geht, sich am Ohr zupfend, herum und beaufsichtigt die Arbeit. Die Säge schnarcht, sich mit Behagen ins Holz hineinfressend, die Hobel pfeifen und kratzen, die Äxte hauen dröhnend, man hört das appetitliche Aufklatschen des Kalkes und das Schluchzen des Schleifsteins, der die Axtschneide beleckt. Die Schreiner singen beim Heben der Balken »Das Lied von der Eiche«, und eine junge Stimme läßt laut ertönen:
»Sachari kam zur Base,
Schlug Marja auf die Nase … «
»Sie singen rohe Lieder«, sagt Pjotr zum Erdarbeiter Wialow. Der antwortet, bis zu den Knien im Sande stehend:
»Es bleibt sich gleich, was man singt … «
»Wieso denn?«
»Worte haben keine Seele.«
»Ein seltsamer Mensch«, dachte Pjotr, sich wegwendend, und erinnerte sich, daß Wialow, als der Vater ihm die Stelle eines Arbeiteraufsehers anbot, auf seine Füße sah und antwortete:
»Nein, ich tauge nicht für so etwas; ich verstehe es nicht, den Leuten zu befehlen. Stell' mich lieber als Hausknecht an… «
Der Vater hatte über ihn tüchtig geschimpft.
… Es kam der kalte, nasse Herbst, die Gärten bedeckten sich mit Rost, auch die an schwarzes Eisen erinnernden Wälder wiesen fuchsrote Rostflecken auf, es pfiff ein feuchter Wind und jagte die blassen, zertretenen Holzspäne in den Fluß. Jeden Morgen fuhren mit Flachs beladene, von zottigen Pferden gezogene Wagen vor dem Schuppen vor. Pjotr übernahm die Ware und paßte besorgt auf, daß diese finsteren, bärtigen Bauern keinen »schwitzenden« – des Gewichtes wegen mit Wasser benetzten – Flachs unterschoben und die einfache Ware nicht zum Preise der »langfaserigen« verkauften. Er kam mit den Bauern schwer aus; der ungeduldige Alexej schimpfte wütend mit ihnen herum. Der Vater war nach Moskau gereist, gleich darauf begab sich auch die Schwiegermutter, angeblich zur Wallfahrt, dorthin. Des Abends, beim Tee und Abendbrot beklagte sich Alexej zornig:
»Es ist langweilig, hier zu leben. Ich liebe die hiesigen Leute nicht … «
Dadurch brachte er Pjotr immer auf.
»Es liegt wohl auch an dir! Du suchst mit allen Händel, du prahlst gerne.«
»Ich habe Grund dazu, – da prahle ich eben.«
Er schüttelte die Locken, streckte die Schultern, hob die Brust hoch und betrachtete mit frech blinzelnden Augen die Brüder und die Schwägerin. Natalia wich ihm aus, als fürchtete sie etwas an ihm, und sprach zurückhaltend mit ihm.
Am Nachmittag, wenn ihr Mann und Alexej wieder an die Arbeit gingen, begab sie sich in Nikitas kleines, mönchisches Zimmer und setzte sich, eine Näharbeit in den Händen, in den Sessel, den der Bucklige für sie kunstvoll aus Birkenholz angefertigt hatte. Nikita hatte die Kontorarbeiten übernommen und schrieb und rechnete von früh bis spät; wenn aber Natalia erschien, unterbrach er seine Tätigkeit und erzählte ihr davon, wie die Fürsten lebten, und was für Blumen in ihren Treibhäusern wuchsen. Seine hohe Mädchenstimme klang gespannt und freundlich, und seine blauen Augen blickten zum Fenster hinaus, an dem Gesicht der jungen Frau vorbei, die, über die Näharbeit gebeugt so versonnen, schwieg, wie ein Mensch, der mit sich allein ist. Sie saßen eine bis zwei Stunden da, fast ohne einander anzublicken; ab und zu umfing aber Nikita die Schwägerin vorsichtig und wie unwillkürlich mit der freundlichen Wärme seiner blauen Augen, und seine großen Hundeohren röteten sich merklich. Sein gleitender Blick veranlaßte manchmal die junge Frau, den Schwager auch anzusehen und ihm ein gnädiges Lächeln zu schenken, das seltsam war; manchmal fühlte Nikita darin ein Erraten dessen, was ihn bewegte, manchmal erschien ihm dieses Lächeln aber gekränkt und kränkend, und er senkte im Schuldgefühl die Augen.
Vor dem Fenster rauscht und plätschert der Regen und wäscht die verwelkten Farben des Sommers weg, man hört Alexej schreien, das kürzlich in einer Hofecke festgekettete Bärenjunge brüllen und die Arbeiterinnen in kurzen Schlägen den Flachs schwingen. Alexej tritt lärmend ein; er ist naß und schmutzig, seine Mütze sitzt ihm im Nacken, und doch erinnert er an einen Frühlingstag. Er erzählt lachend, daß Tichon Wialow sich mit der Axt einen Finger abgehackt habe.
»Er tut, als sei es zufällig geschehen, und dabei ist es eine klare Sache: er fürchtet sich vor dem Militär. Ich würde aber gerne Soldat werden, wenn ich nur von hier wegkäme.« Und er brummt finster wie das Bärenjunge:
»Ich bin zu den Teufeln auf den Hinterhof geraten … «
Darauf streckt er gebieterisch die Hand aus:
»Gib mir fünfzehn Kopeken, ich gehe in die Stadt.«
»Wozu?«
»Das ist nicht deine Sache.«
Er trällert im Weggehen:
»Das Mädel geht den Liebsten suchen,
Es bringt ihm eine Menge Kuchen … «
»Ach, er wird so lange herumspielen, bis es zu etwas Bösem kommt!« sagt Natalia. »Meine Freundinnen sehen ihn oft mit Olgunka Orlowa, und die ist noch nicht fünfzehn, hat keine Mutter, und ihr Vater ist ein Trunkenbold … «
Es mißfällt Nikita, wie sie das sagt; er hört in ihren Worten ein Übermaß von Traurigkeit und Unruhe und etwas wie Neid.
Der Bucklige blickt schweigend zum Fenster hinaus, in der nassen Luft wiegen sich die Tatzen der Fichten und schütteln von den grünen Nadeln quecksilberne Regentropfen herab. Er hat diese Fichten gepflanzt; alle Bäume um das Haus herum sind von seinen Händen eingesetzt worden …
Pjotr tritt müde und mürrisch ein.
»Es ist Zeit, Tee zu trinken, Natalia.«
»Es ist noch früh.«
»Ich sage, es ist Zeit!« schreit er, und als seine Frau draußen ist, setzt er sich auf ihren Platz und brummt und klagt:
»Der Vater hat mir das ganze Werk auf die Schultern geladen. Ich drehe mich wie ein Rad und weiß nicht, wohin es mich treibt. Wenn bei mir aber nicht alles klappt, krieg' ich es von ihm … «
Nikita spricht zu ihm sanft und vorsichtig von Alexej und von der kleinen Orlowa; der Bruder wehrt aber mit der Hand ab, sichtlich ohne auf seine Worte zu hören.
»Ich habe keine Zeit, mich mit Mädchen abzugeben! Ich sehe sogar meine Frau nur des Nachts, halb im Schlaf, bei Tag bin ich blind wie eine Eule. Du hast Dummheiten im Kopf … «
Und er zupft sich am Ohr und fügt vorsichtig hinzu:
»So ein Werk ist nichts für unsereinen. Wir sollten lieber in die Steppe ziehen, dort Grund und Boden kaufen und wie Bauern leben … Es wäre weniger Lärm und mehr Nutzen dabei … «
Ilja Artamonow kehrte fröhlich und verjüngt nach Hause zurück. Er hatte sich den Bart stutzen lassen und seine Schultern gingen noch mehr in die Breite, seine Augen leuchteten heller, und seine ganze Person sah wie ein neu geschmiedeter Pflug aus. Er machte sich's wie ein gnädiger Herr auf dem Sofa bequem und sagte:
»Unsere Arbeit muß im Soldatenschritt marschieren. Es wird für euch, für eure Kinder und Enkel genug zu tun geben. Für dreihundert Jahre reicht es! Von uns, von den Artamonows, muß eine große Verbesserung der ganzen Weltwirtschaft ausgehen!«
Er betastete Natalia mit den Augen und rief ihr zu:
»Wirst du aber dick, Natalia! Wenn's ein Junge wird, schenk' ich dir was Schönes!«
Abends, beim Schlafengehen, sagte Natalia zu ihrem Mann:
»Es ist schön, wenn der Vater lustig ist.«
Er schielte zu ihr hinüber und erwiderte unfreundlich:
»Es muß wohl schön sein, er hat dir ja ein Geschenk versprochen.«
Aber nach zwei, drei Wochen wurde Artamonow still und nachdenklich; Natalia fragte Nikita:
»Weswegen zürnt der Vater?«
»Ich weiß nicht. Man wird aus ihm nicht klug.«
An demselben Abend beim Tee erklärte Alexej plötzlich klipp und klar:
»Väterchen, gib mich zum Militär!«
»W–wohin?« fragte Ilja stotternd.
»Ich mag nicht länger hier leben … «
»Geht hinaus!« befahl Artamonow den Kindern. Als aber auch Alexej zur Tür ging, rief er ihm zu:
»Halt, Aljoschka!«
Er hielt die Hände auf dem Rücken verschränkt und betrachtete lange den Burschen mit zuckenden Augenbrauen, dann sagte er:
»Und ich glaubte, ich hätte an dir was Besonderes!«
»Ich kann mich hier nicht einleben.«
»Das ist nicht wahr. Dein richtiger Platz ist hier. Deine Mutter hat dich mir zur freien Verfügung übergeben, geh!«