Kitabı oku: «Das Werk der Artamonows», sayfa 4
Alexej tat einen Schritt, als wäre er gefesselt, der Onkel packte ihn aber bei der Schulter:
»Man müßte mit dir anders reden. Mein Vater hat mit mir mit der Faust gesprochen. Geh!«
Dann rief er ihn nochmals zurück und fügte mit Nachdruck hinzu:
»Du sollst etwas Großes werden, verstanden? Ich will von dir in Zukunft keinen Sterbenslaut mehr hören … «
Als er allein war, stand er, den Bart in der Faust zusammenpressend, lange am Fenster und sah zu, wie der nasse, graue Schnee zu Boden fiel. Als es aber draußen dunkel wie in einem Keller wurde, ging er in die Stadt. Das Tor der Bajmakowa war schon geschlossen. Er klopfte ans Fenster. Uljana öffnete ihm selbst und fragte ärgerlich:
»Wann kommst du denn eigentlich?«
Er trat, ohne zu antworten und ohne sich auszukleiden, ins Zimmer, warf seine Mütze auf die Erde, setzte sich an den Tisch, stützte sich auf die Ellbogen, vergrub die Finger in den Bart und erzählte von Alexej:
»Er ist mir fremd. Meine Schwester hat sich mit dem gnädigen Herrn abgegeben. Das zeigt sich nun.«
Uljana sah nach, ob die Fensterläden dicht geschlossen waren und löschte das Licht. Nur in der Ecke vor den Heiligenbildern leuchtete es schwach aus dem blauen Lämpchen im Silbergestell.
»Verheirate ihn bald, dann bindest du ihn«, sagte sie.
»Ja, das wäre nötig. Das ist aber noch nicht alles. Pjotr hat gar nichts Forsches, das ist das Unglück! Ohne Courage kann man aber weder gebären noch töten. Er arbeitet, als wäre es nicht für sich selbst, sondern für den gnädigen Herrn, er ist noch immer der Leibeigene, er fühlt die Freiheit nicht, verstehst du? Ich spreche nicht von Nikita: der ist ein armer Kerl und hat nur Gärten und Blumen im Sinn. Ich erwartete, Alexej würde sich der Sache richtig annehmen.«
Die Bajmakowa beruhigte ihn:
»Du regst dich zu früh auf. Warte, bis das Rad sich flotter dreht, dann reißt es alle mit, und sie kommen in Schwung.«
Sie unterhielten sich bis zur Mitternacht Seite an Seite in der warmen Stille des Zimmers, in dessen Ecke die trübe Wolke bläulichen Lichtes wogte und die schüchterne Feuerblume zitterte. Bei seinen Klagen über den Mangel an geschäftlichem Schneid bei den Kindern vergaß Artamonow auch die Städter nicht:
»Sie sind engherzige Menschen.«
»Man liebt dich nicht, weil du Erfolg hast. Wir Frauen lieben euch deswegen, Männern aber ist fremder Erfolg ein Dorn im Auge.«
Uljana Bajmakowa verstand zu trösten und zu beruhigen. Ilja Artamonow räusperte sich dagegen nur unwillig, als sie ihm sagte:
»Ich fürchte nur eines wie den Tod: von dir schwanger zu werden … «
»In Moskau gibt es noch zu tun, da brennt alles lichterloh!« fuhr er fort, erhob sich und umfaßte sie. »Ach, wärest du doch ein Mann … «
»Leb wohl, mein Trauter, geh!«
Er küßte sie innig und ging …
… In der Butterwoche brachte die Jerdanskaja Alexej zerlumpt, verprügelt und besinnungslos in einem Schlitten aus der Stadt nach Hause. Sie und Nikita rieben seinen Körper lange Zeit mit geriebenem Meerrettich und mit Sprit. Er stöhnte nur und sprach kein Wort. Artamonow fuhr wie ein wildes Tier im Zimmer herum, krempelte sich die Hemdärmel auf, ließ sie wieder herunter und knirschte mit den Zähnen. Als Alexej aber zu sich kam, brüllte er ihn mit geballten Fäusten an:
»Wer hat es getan? Sprich!«
Alexej öffnete kläglich sein böses, verschwollenes Auge und krächzte, Blut spuckend und nach Atem ringend:
»Gebt mir den Gnadenstoß … «
Die erschrockene Natalia weinte laut, der Schwiegervater stampfte mit dem Fuß auf und schrie sie an:
»Still! Hinaus!«
Alexej packte seinen Kopf mit den Händen, als wollte er ihn abreißen und stöhnte.
Dann warf er sich mit ausgebreiteten Armen auf die Seite und erstarrte mit offenem, blutigem, schnarchendem Mund; auf dem Tisch beim Bett flimmerte das Licht, über den verunstalteten Körper krochen Schatten, und Alexej schien immer schwärzer und verschwollener zu werden. Zu seinen Füßen standen schweigend und bedrückt die Brüder, der Vater schritt durch das Zimmer und fragte jemanden:
»Ist es denn möglich, daß er nicht am Leben bleibt, he?«
Nach acht Tagen stand Alexej aber auf, er hustete, hatte Auswurf und spuckte Blut; er ging oft ins Dampfbad und trank gepfefferten Branntwein; in seinen Augen glühte ein düsteres, dunkles Feuer, was sie noch verschönte. Er selbst wollte nicht sagen, wer ihn verprügelt hatte. Die Jerdanskaja brachte jedoch in Erfahrung, daß ihn Stepan Barski, zwei Feuerwehrleute und ein Mordwine, Woroponows Hausknecht, so zugerichtet hatten. Als Artamonow Alexej fragte, ob das stimme, antwortete er:
»Ich weiß nicht.«
»Du lügst!«
»Ich habe es nicht gesehen; ich glaube, sie haben mir von rückwärts einen Kaftan oder sonst irgend was über den Kopf geworfen.«
»Du verbirgst irgend etwas«, meinte Artamonow. Alexej sah ihm mit böse flackernden Augen ins Gesicht und sagte:
»Ich werde schon wieder gesund werden.«
»Iß mehr!« riet Artamonow und brummte sich in den Bart: »Dafür sollte man ihnen den roten Hahn aufs Dach setzen und ihnen die Pfoten braten!«
Er behandelte Alexej noch aufmerksamer und in seiner rauhen Art freundlicher. Er stellte seine eigene Arbeit zur Schau und verbarg nicht die Absicht, die Kinder durch seine Leidenschaft zum Schaffen zu begeistern.
»Macht alles, habt vor nichts Scheu!« belehrte er sie, tat vieles, was er nicht zu tun brauchte und legte bei allem die aufmerksame Geschicklichkeit eines Tieres an den Tag. Das erlaubte ihm genau festzustellen, wo der Widerstand seiner Kraft gegenüber am hartnäckigsten war und wie man ihn am leichtesten überwinden konnte.
Die Schwangerschaft der Schwiegertochter zog sich unnatürlich in die Länge, und als Natalia nach zwei qualvollen Tagen am dritten ein Mädchen gebar, sagte er betrübt:
»Nun, das will ja nichts heißen … «
»Danke Gott für die Gnade,« sagte Uljana streng. »Heute ist der Tag der flachstragenden Jelena.«
»Stimmt das auch?«
Er griff nach dem Kalender, sah hinein und freute sich wie ein Kind:
»Führe mich zu meiner Tochter!«
Er legte der Schwiegertochter ein Rubinenohrgehänge und fünf Dukaten auf die Brust und rief aus:
»Da hast du! Wenn es auch kein Junge geworden ist, – mir ist es doch recht!«
Und er fragte Pjotr:
»Nun, was ist, du Fischblut? Freust du dich? Ich hab' mich so gefreut, als du geboren wurdest!«
Pjotr blickte ängstlich in das blutleere, gequälte, fast fremde Gesicht seiner Frau; ihre müden Augen lagen tief in schwarzen Höhlen und blickten von dort aus so auf Menschen und Dinge, als erinnerten sie sich an längst Vergessenes; sie beleckte, langsam die Zunge bewegend, die zerbissenen Lippen.
»Warum schweigt sie?« fragte er die Schwiegermutter.
»Sie hat lange genug geschrien«, erklärte Uljana und stieß ihn aus dem Zimmer hinaus.
Zweimal vierundzwanzig Stunden hatte er bei Tag und bei Nacht das Wehklagen seiner Frau angehört; zuerst hatte er sie bedauert und hatte befürchtet, daß sie sterben würde, dann wurde er durch ihr Schreien betäubt und durch den Trubel im Hause abgestumpft und war nun zu müde, um zu fürchten und zu bedauern. Er hatte nur das Bestreben, möglichst weit fortzugehen, wohin das Jammern der Frau nicht drang; es gelang ihm jedoch nicht, dem zu entgehen, das Kreischen erklang irgendwo mitten in seinem Kopf und erregte ungewöhnliche Gedanken. Und überall, wo er hingehen mochte, sah er Nikita mit einer Axt oder mit einem eisernen Spaten in Händen: der Bucklige hackte und zimmerte etwas zurecht, grub Löcher und lief in der lautlosen Art eines Maulwurfs irgendwohin; er schien sich im Kreise zu bewegen, denn man stieß immer auf ihn.
»Sie wird vielleicht gar nicht niederkommen«, sagte Pjotr zu seinem Bruder. Der Bucklige versenkte den Spaten in den Sand und fragte:
»Was meint die Hebamme?«
»Sie tröstet und verspricht. Warum zitterst du?«
»Ich habe Zahnschmerzen.«
Am Abend nach der Niederkunft saß er mit Nikita und Tichon auf den Stufen des Hauseinganges und erzählte, nachdenklich lächelnd:
»Meine Schwiegermutter legte mir das Kind in den Arm, ich fühlte vor Freude gar kein Gewicht und hätte meine Tochter fast zur Zimmerdecke hinaufgeschleudert. Es ist schwer zu begreifen: es ist etwas so Kleines und verursacht solche ungeheuren Qualen.«
Tichon Wialow kratzte sich die Backen und sagte ruhig, wie immer:
»Alle Menschenqualen entstehen durch etwas Kleines.«
»Wieso denn?« fragte Nikita streng. Der Hausknecht antwortete, gleichgültig gähnend:
»Ja, es ist nun schon mal so … «
Aus dem Hause wurde zum Abendbrot gerufen.
Das Kind war groß und schwer zur Welt gekommen, starb aber nach fünf Monaten an einer Kohlengasvergiftung; auch die Mutter wäre beinahe gestorben, da auch sie etwas von der Vergiftung abbekam.
»Nun, laß nur«, tröstete der Vater Pjotr auf dem Kirchhof. »Sie wird wieder gebären. Und wir haben jetzt ein eigenes Grab hier, das heißt, wir haben unseren Anker hier tief versenkt. Du hast das, was dir gehört bei dir und unter dir, auf der Erde und unter der Erde, – das gibt dem Menschen festen Halt!«
Pjotr nickte und sah seine Frau an; mit plump gebeugtem Rücken blickte sie sich vor die Füße, auf den kleinen Hügel, auf den Nikita ganz vertieft mit dem Spaten losschlug. Sie wischte sich mit den Fingern so krampfhaft schnell die Tränen von den Wangen, als fürchtete sie, sich an ihrer verschwollenen, roten Nase zu verbrennen und flüsterte:
»O Gott, o Gott … «
Alexej ging zwischen den Kreuzen im Kreise herum und las die Aufschriften; er war abgemagert und sah älter aus, als er war. Sein Gesicht war nicht das eines Bauern und erschien durch die darauf sprießenden dunklen Haare verbrannt und rußig, die dreisten, tief unter schwarzen Brauen liegenden Augen blickten alle unfreundlich an; er sprach mit etwas dumpfer Stimme von oben herab und wie mit beabsichtigter Undeutlichkeit. Wenn er aber gefragt wurde, kreischte er:
»Du verstehst mich nicht?«
Und schimpfte. In sein Verhältnis zu den Brüdern kam etwas Häßliches, Höhnisches. Er schrie Natalia wie eine Arbeiterin an, und wenn Nikita vorwurfsvoll zu ihm sagte:
»Du beleidigst Natascha grundlos«, erwiderte er:
»Ich bin eben ein kranker Mensch.«
»Sie ist ja so sanft.«
»Dann soll sie's nur ertragen.«
Von seiner Krankheit sprach Alexej oft und fast immer mit Stolz, als wäre sie ein Vorzug, der ihn von den anderen Menschen unterschied.
Als er mit dem Onkel vom Kirchhof zurückkehrte, sagte er zu ihm:
»Wir müßten uns unseren eigenen Kirchhof anlegen. Es ist selbst für einen Toten unschicklich, mit diesem Volk beisammenzuliegen.«
Artamonow schmunzelte.
»Wir werden das schon einrichten. Wir werden alles haben: eine Kirche, einen Kirchhof, eine Schule, ein Krankenhaus! Warte nur ab!«
Als sie über die Watarakschabrücke gingen, stand dort, sich am Geländer haltend, jemand, der wie ein Bettler aussah. Er trug einen fuchsroten, schäbigen Kaftan und sah aus wie ein durch Trinken herabgekommener Beamter. In seinem schwammigen, mit grauen, rasierten Borsten bewachsenen Gesicht bewegten sich behaarte Lippen und ließen die Reste schwarzer Zähne sehen; die nassen Äuglein leuchteten nur trübe. Artamonow wandte sich ab und spuckte aus; als er aber bemerkte, daß Alexej diesem scheußlichen Menschen ungewöhnlich freundlich zunickte, fragte er:
»Wer ist denn das?«
»Der Uhrmacher Orlow.«
»Man sieht, daß er etwas Besonderes ist!«
»Er ist klug«, sagte Alexej mit Nachdruck. »Man hat ihn zu Tode gehetzt.«
Artamonow schielte zu seinem Neffen hinüber und schwieg.
Es kam ein trockener und heißer Sommer. Jenseits der Oka brannten die Wälder, bei Tag schwebte über der Erde eine opalfarbene Wolke beißenden Rauches, des Nachts war der kahle Mond unangenehm rot; die Sterne, die im Nebel ihre Strahlen verloren hatten, sahen wie Köpfe von Messingnägeln aus; das den trüben Himmel widerspiegelnde Flußwasser erinnerte an Schwaden kalten und dichten unterirdischen Rauches.
Nach dem Abendbrot tranken die Artamonows, atemlos vor Hitze, im Garten, im Halbring der Ahorne, Tee. Die Bäume entwickelten sich gut, doch konnten die üppigen Kronen mit ihren durchbrochenen Blättern in dieser dunstigen Nacht keinen Schatten spenden. Die Grillen zirpten, an Blechspielzeug erinnernde Käfer brummten, der Samowar summte. Natalia hatte die oberen Knöpfe ihrer Jacke aufgemacht und schenkte schweigend Tee ein. Die Haut ihrer Brust hatte den warmen Ton von Butter; der Bucklige saß mit gesenktem Kopf da und hobelte Stangen für Vogelkäfige zurecht. Pjotr zupfte sich am Ohrläppchen und sagte leise:
»Es ist gefährlich, die Menschen zu reizen, der Vater reizt sie aber immer.«
Alexej blickte mit trockenem Hüsteln in der Richtung der Stadt und schien mit vorgestrecktem Hals auf etwas zu warten.
In der Stadt ertönte die Glocke.
»Ist das die Sturmglocke? Feuer?« fragte Alexej, mit der Handfläche die Stirn berührend und aufspringend.
»Was hast du? Der Glöckner läßt ja nur die Uhr schlagen.«
Alexej erhob sich und ging, Nikita sagte aber leise nach einem Schweigen:
»Er träumt immer von Feuer.«
»Er ist böse geworden«, bemerkte Natalia vorsichtig. »Dabei war doch früher soviel Heiterkeit in ihm!«
Pjotr machte, wie es einem Älteren ziemt, beiden in eindringlicher Weise Vorwürfe:
»Ihr seht ihn beide so dumm an; euer Mitleid beleidigt ihn. Komm schlafen, Natalia.«
Sie gingen. Der Bucklige blickte ihnen nach, erhob sich gleichfalls, ging in die Laube, wo er auf Heu schlief und setzte sich auf die Schwelle. Die Laube stand auf einem Rasenhügel. Man sah von hier aus über dem Zaun hin die dunkle Häuserherde der Stadt, die von den Glockentürmen und dem Feuerwehrturm bewacht wurde. Die Dienstboten räumten den Tisch ab, die Tassen klapperten. Am Zaun kamen Weber vorbei, einer trug ein Zugnetz, ein anderer klapperte mit einem eisernen Eimer, ein dritter schlug aus einem Zündstein Feuer und bemühte sich, Zunder zum Brennen zu bringen, um seine Pfeife anzurauchen. Ein Hund knurrte. Tichon Wialows ruhige Stimme unterbrach die Stille:
»Wer kommt da?«
Die Stille war straff wie ein Trommelleder über die Erde gespannt, so daß selbst das leise Knirschen des Sandes unter den Füßen der Weber unangenehm deutlich wiederhallte. Nikita gefiel diese Lautlosigkeit der Nächte sehr. Je vollkommener sie war, desto mehr richtete er die ganze Kraft seiner Phantasie auf Natalia, desto heller leuchteten die lieben, stets etwas erschrockenen oder erstaunten Augen. Und er konnte sich leicht verschiedene, für ihn glückliche Ereignisse ersinnen: jetzt hat er einen kostbaren Schatz gefunden und übergibt ihn Pjotr, und der tritt ihm Natalia ab. Oder: sie werden von Räubern überfallen, und er begeht solche außergewöhnliche Heldentaten, daß Vater und Bruder ihm zum Lohn von selbst Natalia überlassen. Es bricht eine Seuche aus und von der ganzen Familie bleiben nur zwei am Leben: er selbst und Natalia! Dann wollte er ihr zeigen, daß ihr Glück nur in seiner Seele verborgen lag.
Es war schon nach Mitternacht, als er bemerkte, daß über der Herde der Stadthäuser aus den regungslosen Gärten noch eine Wolke erstand und langsam zum dunkelgrauen, trüben Himmel emporstieg; eine Minute später war sie von unten hochrot erleuchtet. Er begriff, daß das eine Feuersbrunst war, und lief zum Hause; da sah er, wie Alexej rasch über eine Leiter auf das Dach des Schuppens stieg.
»Feuer!« schrie Nikita. Alexej antwortete, immer höher steigend:
»Ich weiß schon. Was willst du denn?«
»Du hast es erwartet«, erinnerte sich der Bucklige und blieb erstaunt mitten im Hofe stehen.
»Und wenn ich es erwartet habe? Was besagt das? Bei einer solchen Dürre gibt es immer Feuer.«
»Wir müssen die Weber wecken … «
Tichon hatte sie aber schon geweckt, und sie liefen einer hinter dem andern mit lustigem Geschrei zum Flusse.
»Komm zu mir herauf«, forderte Alexej, oben auf dem Dachfirst sitzend, ihn auf. Der Bucklige kam gehorsam nach und sagte:
»Wenn nur Natascha nicht erschrickt.«
»Fürchtest du nicht, daß Pjotr dir mal den Buckel vollhaut?«
»Wofür?« fragte Nikita leise und vernahm:
»Sieh dir die Augen nicht nach seiner Frau aus?«
Der Bucklige konnte lange kein Wort erwidern. Ihm schien, er gleite vom Dach und müsse sofort fallen und auf die Erde aufschlagen.
»Was redest du? Überlege doch«, murmelte er.
»Nun, schon gut! Ich sehe ja … Fürchte dich nicht«, sagte Alexej so fröhlich, wie er schon seit langem nicht war. Er blickte unter der vorgehaltenen Handfläche auf die dicken Feuerzungen, die sich schaukelten, die Stille durchbrachen, sie dumpf erdröhnen ließen, und erzählte lebhaft:
»Es brennt bei Barski. Sie haben an die zwanzig Fässer Teer auf dem Hof. Das Feuer erreicht die Nachbarn nicht, die Gärten halten es auf.«
»Wir müssen hinlaufen«, denkt Nikita und blickt in die Ferne, in das vom Feuer zerrissene Dunkel. Dort, in der rötlichen Luft standen wie aus Eisen gehämmerte Bäume, über die rötliche Erde liefen geschäftig kleine, spielzeugartige Menschen, man sah auch, wie sie lange, dünne Stangen ins Feuer schoben.
»Es brennt schön«, lobte Alexej.
»Ich gehe ins Kloster«, dachte der Bucklige.
Auf dem Hof brummte Pjotr schläfrig und zornig; als Antwort ertönten träge Tichon Wialows Worte und wie in einem Rahmen stand am Fenster des Hauses Natalia und bekreuzte sich.
Nikita saß so lange auf dem Dach, bis auf der Feuerstätte ein Kohlenhaufen goldig aufleuchtete und die schwarzen Säulen der Ofenrohre umfing. Dann stieg er auf die Erde hinab, ging aus dem Tor und stieß mit dem nassen und rußigen Vater zusammen, der ohne Mütze, im zerrissenen Wams daherkam.
»Wohin?« schrie der Vater mit außergewöhnlicher Wut und stieß Nikita in den Hof zurück. Als er aber Alexejs weiße Gestalt auf dem Dach erblickte, befahl er noch wütender:
»Was hockst du da oben? Steig herab! Du mußt deine Gesundheit schonen, Dummkopf … «
Nikita ging in den Garten, setzte sich dort vor dem Fenster des Vaters auf eine Bank und hörte bald darauf, wie der Vater mit Gewalt die Tür zuschlug und halblaut mit dumpfer Stimme fragte:
»Willst du dich zugrunde richten? Und Schande über mich bringen, he? Ich schlag dich tot … «
Alexej antwortete kreischend:
»Du hast mich selbst darauf gebracht.«
»Schweig! Danke Gott, daß jener Schuft der Sprache beraubt ist … «
Nikita erhob sich und ging leise, aber eilig in die Gartenecke, zur Laube.
Des Morgens erzählte der Vater beim Tee:
»Es ist Brandstiftung! Als der Schuldige wurde dieser Trunkenbold, der Uhrmacher, festgestellt. Man hat ihn verprügelt, er wird gewiß sterben. Barski hat ihn wohl zugrunde gerichtet, und er war auf seinen Sohn Stiopka böse. Es ist eine dunkle Sache!«
Alexej trank ruhig seine Milch. Nikita aber fühlte, daß ihm die Hände zitterten, und er steckte sie zwischen die Knie und preßte sie fest zusammen. Der Vater, der diese Bewegung bemerkte, fragte:
»Warum duckst du dich so?«
»Mir ist nicht wohl.«
»Euch allen ist nicht wohl. Bloß ich bin gesund … «
Er stieß zornig das nicht geleerte Teeglas von sich und ging.
Artamonows Werk bevölkerte sich rasch; zwei Werst von der Fabrik entfernt wurden auf den mit Ginster bedeckten Hügeln, inmitten des spärlichen Tannengehölzes kleine, niedrige Hütten ohne Höfe und Zäune erbaut, die von weitem an Bienenkörbe erinnerten. Für einsame und unverheiratete Arbeiter baute Artamonow über einem nicht zu tiefen Hohlweg, dem Bett eines ausgetrockneten Flusses, dessen Namen man vergessen hatte, eine langgestreckte Baracke mit einem einseitig geneigten Dach und mit drei Schornsteinen darauf. Die Fenster waren klein, um die Wärme zu erhalten; sie verliehen der Baracke eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Stall, und die Arbeiter benannten sie »Der Hengstpalast«.
Ilja Artamonow prahlte immer lauter, ohne aber den Hochmut der Reichen anzunehmen. Er war im Verkehr mit den Arbeitern schlicht, schmauste auf ihren Hochzeiten, taufte ihre Kinder und plauderte gern an Feiertagen mit den alten Webern; sie lehrten ihn, die Bauern zu veranlassen, den Flachs auf früheren Äckern und in abgebrannten Wäldern zu säen,, was sich als sehr günstig erwies. Die alten Weber waren über das Entgegenkommen des Prinzipals entzückt und belehrten die Jugend, da sie in ihm noch den Bauer sahen, dem das Schicksal gnädig lächelte:
»Seht, wie man Geschäfte führen muß!«
Ilja Artamonow belehrte dagegen seine Kinder:
»Bauern und Arbeiter sind vernünftiger als Bürger. Die Städter haben schwaches Fleisch und einen abgenutzten Verstand; der Städter ist gierig und feige. Bei ihm ist alles kleinlich und nichts von Dauer. Die Städter können nie Maß halten; der Bauer verbleibt aber unverrückbar in den Grenzen der Wahrheit, ohne sich hin- und hertreiben zu lassen. Auch seine Wahrheit ist einfach: zum Beispiel: Gott, Brot, der Zar! Der Bauer ist in allem einfach, haltet euch an ihn! Du sprichst zu kühl mit den Arbeitern, Pjotr, und immer nur von der Arbeit, – das gehört sich nicht, man muß auch über Dummheiten zu plaudern verstehen. Man muß scherzen können: ein lustiger Mensch wird besser verstanden.«
»Ich verstehe nicht zu scherzen«, sagte Pjotr und zupfte sich gewohnheitsmäßig am Ohr.
»So lerne es. Ein Scherz ist im Augenblick erdacht und wirkt eine Stunde lang nach. Auch Alexej geht mit den Leuten ungeschickt um, er schreit immer gleich und hat an allem etwas auszusetzen … «
»Sie sind alle Schwindler und Faulpelze«, erwiderte Alexej herausfordernd.
Artamonow schrie ihn streng an:
»Was weißt du viel von den Menschen?« Dabei lächelte er sich aber in den Bart hinein und hielt sich, um das Lächeln zu verbergen, die Hand vor; es fiel ihm ein, wie kühn und verständig Alexej mit den Städtern über den Kirchhof gestritten hatte: die Driomower wollten Artamonows Arbeiter nicht auf ihrem Kirchhof beerdigen lassen. Man war genötigt, Pomialow einen großen Teil seines Erlengehölzes abzukaufen und einen eigenen Kirchhof anzulegen.
»Ein Kirchhof«, sann Tichon Wialow nach, als er mit Nikita die dünnen, schwächlichen Bäume wegschlug. »Wir überlegen uns die Sache nicht. Kirchhöfe sind Höfe, wo man eine Ewigkeit lang zu Gast ist. Kirchhöfe sind Häuser, Städte.«
Nikita sah, daß Wialow leicht und geschickt arbeitete und dabei mehr Verstand bewies als in seinen dunklen und stets unerwarteten Worten lag. Er fand, ebenso wie der Vater, bei jeder Sache rasch den Punkt des geringsten Widerstandes, sparte an Kraft und wirkte durch List. Doch war der Unterschied deutlich sichtbar: Der Vater packte alles mit Eifer an, während Wialow anscheinend ungern und nur aus Gnade arbeitete, wie ein Mensch, der weiß, daß er zu etwas Besserem befähigt ist. Er sprach auch ebenso: wenig, herablassend, mit Nachdruck, mit einer gewissen Lässigkeit und in Andeutungen: »Ich weiß noch sehr viel, ich könnte noch ganz andere Dinge sagen … «
Und immer glaubte Nikita in seinen Worten irgendwelche Andeutungen zu hören, die in ihm Ärger, Furcht und eine scharfe, unruhige Neugierde in bezug auf diesen Menschen erregten.
»Du weißt viel«, sagte er zu Wialow. Der erwiderte ohne Hast:
»Darum lebe ich auch. Es schadet nicht, daß ich viel weiß, – ich weiß es nur für mich selbst. Mein Wissen ist bei einem Geizhals im Koffer versteckt, – es ist für niemanden sichtbar, sei nur ruhig … «
Es war nicht zu merken, daß Tichon die Menschen nach ihren Gedanken ausfragte; er prüfte sie nur zudringlich mit den vogelartigen, blinzelnden Augen und, nachdem er die fremden Gedanken gleichsam herausgesaugt hatte, sprach er plötzlich von Dingen, die er nicht hätte wissen sollen. Manchmal wünschte Nikita, Wialow möchte sich die Zunge abbeißen, er möchte sie sich ebenso abhacken, wie er es mit seinem Finger gemacht hatte, – er hatte sich auch den Finger nicht so abgehackt, wie er es hätte tun sollen: es war der Ringfinger und nicht an der rechten, sondern an der linken Hand. Der Vater, Pjotr und alle übrigen hielten ihn für dumm, Nikita war aber anderer Ansicht. In ihm wuchs immer mehr das gemischte Gefühl von Neugierde und von Furcht diesem seltsamen Mann mit den breiten Backenknochen gegenüber. Das Gefühl der Furcht verstärkte sich besonders, als Wialow auf dem Rückwege aus dem Walde plötzlich zu Nikita sagte:
»Und du grämst dich immerzu! Du solltest es ihr doch sagen, du seltsamer Kauz! Sie wird mit dir Mitleid haben, sie scheint gut zu sein.«
Der Bucklige blieb stehen, vor Schreck erstarrte ihm das Herz. Die Füße waren wie versteinert, und er murmelte fassungslos:
»Was soll ich sagen? Wem?«
Wialow blickte ihn an und schritt weiter. Nikita packte ihn beim Hemdärmel, da stieß Tichon verächtlich seine Hand weg.
»Nun, warum heuchelst du?«
Nikita warf die im Walde ausgegrabene Birke von der Schulter auf die Erde, er wollte Tichon in das rauhe Gesicht schlagen und ihn zum Schweigen bringen, doch der blickte mit blinzelnden Augen in die Ferne und sprach ruhig, als wäre es etwas ganz Gewöhnliches:
»Und wenn sie auch nicht gut ist, kann sie sich doch dir zuliebe eine Stunde lang so stellen. Die Weiber sind neugierig, eine jede will einen andern Mann auskosten und erfahren, ob es etwas gibt, das noch süßer als Zucker ist. Braucht denn unsereiner viel? Eins, zwei – und man ist satt und gesund! Du verzehrst dich aber! Versuch' doch, es ihr zu sagen, – vielleicht ist sie einverstanden.«
Nikita glaubte aus seinen Worten ein Gefühl freundschaftlichen Mitleids herauszuhören; das kam ihm neu und fremd vor und verursachte ihm ein bitteres Brennen in der Kehle. Zugleich schien ihm aber, daß Tichon ihn entkleidete und entblößte.
»Du hast dir etwas Unsinniges ausgedacht«, sagte er.
In der Stadt läuteten die Glocken und riefen zur Abendmesse. Tichon schüttelte die Bäume auf seiner Schulter, ging, mit dem eisernen Spaten auf die Erde klopfend, weiter und sagte ebenso ruhig:
»Du brauchst von mir nichts zu befürchten. Du tust mir ja leid, du bist ein angenehmer, eigenartiger Mensch. Ihr Artamonows seid alle sehr eigenartig. Du hast in deinem Charakter gar nichts von einem Buckligen und bist doch bucklig.«
Nikitas Schrecken schmolz in heißer Trauer dahin, die ihm die Augen trübte, ihn wie einen Betrunkenen stolpern ließ und in ihm den Wunsch wachrief, sich lang auf die Erde zu legen und sich auszuruhen. Er bat leise:
»Schweige davon.«
»Ich habe ja gesagt: es ist wie in einem Koffer verschlossen.«
»Vergiß es! Laß dir vor ihr nichts entschlüpfen.«
»Ich spreche mit ihr nie. Wozu sollte ich es ihr sagen?«
Beide legten den Heimweg schweigend zurück. Die blauen Augen des Buckligen waren jetzt größer, runder und trauriger, er sah an den Menschen vorbei, hinter ihre Schultern, er wurde noch schweigsamer und unscheinbarer. Natalia merkte irgend etwas:
»Warum gehst du so traurig herum?« fragte sie.
Nikita antwortete:
»Es gibt viel zu tun.«
Er ging schnell weg. Das verletzte Natalia; sie hatte schon mehr als einmal gefühlt, daß der Schwager mit ihr nicht so freundlich wie früher war. Sie führte ein langweiliges Leben. Im Laufe von vier Jahren hatte sie zwei Mädchen geboren und war schon wieder schwanger.
»Warum bringst du lauter Mädchen zur Welt, was soll man mit ihnen anfangen?« brummte der Schwiegervater, als sie mit dem zweiten niederkam und schenkte ihr diesmal nichts. Er beklagte sich bei Pjotr:
»Ich brauche Jungs – keine Schwiegersöhne. Habe ich denn das Werk für fremde Leute in Gang gebracht?«
Jedes Wort des Schwiegervaters weckte in der Frau ein Schuldgefühl; sie wußte, daß auch ihr Mann unzufrieden mit ihr war. Wenn sie des Nachts neben ihm lag, blickte sie durchs Fenster auf die fernen Sterne, strich sich über den Leib und bat im stillen:
»Herr – schenk' mir ein Söhnchen … «
Manchmal wollte sie aber ihrem Mann und dem Schwiegervater laut ins Gesicht schreien:
»Mit Absicht, euch zum Trotz will ich Mädchen gebären!«
Und in ihr erstand der Wunsch, irgendetwas Seltsames, allen Unerwartetes, Gutes zu tun, damit alle Menschen freundlicher zu ihr seien, oder aber etwas ganz Böses, damit sie alle erschräken. Doch sie konnte sich weder das Gute, noch das Böse ausdenken.
Sie stand beim Morgengrauen auf, ging in die Küche hinunter und bereitete zusammen mit der Köchin den Imbiß zum Tee. Dann lief sie nach oben, um die Kinder zu füttern, darauf gab sie dem Schwiegervater, dem Mann und den Schwägern ihren Tee, fütterte wieder die Kinder, nähte, besserte für alle die Wäsche aus und ging nach dem Essen mit den Kindern in den Garten, wo sie bis zum Abendtee blieb. In den Garten sahen kecke Spulerinnen hinein und bewunderten schmeichlerisch die Schönheit der kleinen Mädchen. Natalia lächelte, glaubte aber dem Lob nicht, – ihre Kinder erschienen ihr häßlich.
Manchmal tauchte zwischen den Bäumen Nikita auf, der einzige Mensch, der zu ihr freundlich gewesen war. Wenn sie ihn aber jetzt aufforderte, bei ihr zu sitzen, antwortete er mit schuldiger Miene:
»Verzeih, ich habe keine Zeit.«
In ihr erstand unmerklich ein kränkender Gedanke: der Bucklige sei mit ihr nicht aufrichtig freundlich gewesen; ihr Mann habe ihn nur als Wächter angestellt, um ihr und Alexej aufzupassen. Sie fürchtete sich vor Alexej, denn er gefiel ihr; sie wußte, der schöne Schwager brauchte nur zu wollen, und sie würde nicht widerstehen. Er wollte aber nicht, er schien sie nicht einmal zu sehen; das beleidigte sie und erregte in ihr feindselige Gefühle gegen den kecken, schlagfertigen Alexej.
Um fünf Uhr wurde Tee getrunken, um acht Abendbrot gegessen. Dann wusch Natalia die Kleinen, fütterte sie und brachte sie zu Bett; sie betete lange auf den Knien und legte sich zu ihrem Mann in der Hoffnung, einen Sohn zu empfangen, wenn der Mann im Bett brummte:
»Jetzt ist's genug. Komm ins Bett!«
Sie bekreuzte sich eilig, unterbrach das Gebet, ging zu ihm und legte sich gehorsam nieder. Manchmal, sehr selten, scherzte Pjotr: