Kitabı oku: «"... es ist ein zu starker Contrast mit meinem Inneren!"», sayfa 9
Einer der frühen Verkaufserfolge von Johannes Brahms: Erstausgabe der Partitur des Streichsextetts op. 18, erschienen bei Simrock im Dezember 1861.
Clara Schumann hatte andere Ambitionen, die von manchen missverstanden wurden. »Sie tat sehr wichtig mit einer ›musikalischen Arbeit‹«, schilderte ihre Klavierschülerin Luise Adolpha Le Beau die Begegnungen, und zitierte Claras Worte: »›Ich schreibe den ganzen Tag Noten!‹ – Da glaubte ich, sie komponiere mindestens ein Oratorium oder dergleichen. Als sich nun aber später herausstellte, daß sie ganz einfach Lieder ihres Gatten für Klavier übertragen mußte, also eine mechanische Arbeit ohne eigene Erfindung – da kam mir dies Getue doch recht lächerlich vor.«240
Das Engagement als Herausgeberin wurde zu einem weiteren wesentlichen Schwerpunkt von Claras Tätigkeiten. Sie sah sich als Kulturbotschafterin herausragender Musik und freute sich stets, wenn es ihr wie beispielsweise in Paris gelang, dass sie »den Musikern, d. h. den Besten hier, Respect für Johannes eingeflößt« hatte.241
Johannes Brahms schrieb fortan Musik, die Clara Schumann als eine der Ersten zu sehen bekam. Sie sei »empfänglicher wie nur irgendjemand!«, frohlockte er gegenüber einem Freund. »Ich sende ihr immer meine Arbeiten im Manuskript ein, sie lernt alles zuerst kennen, und da sehe ich dann wie sie alles enthusiastisch aufnimmt, bis auf’s letzte Nötchen. Wie sie dann schwärmt und sich derlei dutzendmal auswendig vorspielt!«242 Aber sie sparte auch nicht mit Kritik, wenn ihr etwas zu simpel vorkam oder als noch zu wenig durchdacht erschien. Dann gab sie wichtige Anregungen für Details. Sie gehörte auch zu den ersten, die Brahms’ Kompositionen in der Öffentlichkeit interpretierten.
Beide legten eigene Schwerpunkte bei Editionen. Clara gab überwiegend Briefe und Kompositionen von Robert heraus. Der Verlag Breitkopf & Härtel warb ausdrücklich mit ihrem Namen als Gütesiegel: Wie die »vielen begeisterten Verehrer des großen Meisters« werde »gewiss mit uns das musikalische Publikum begrüssen, dass Frau Dr. Clara Schumann sich auf unseren Wunsch entschlossen hat, die kritische Ausgabe der Werke zu übernehmen«, hieß es 1879 in einer Anzeige.243 Als sie sich zunehmend der Ausbildung des Nachwuchses widmete, publizierte sie auch Fingerübungen und Studien aus Czerny. Johannes edierte mit einem umfassenden historischen Bewusstsein auch Musik des 18. Jahrhunderts wie Mozarts Requiem sowie Violinsonaten des mit seiner Heimatstadt Hamburg verbundenen und einst in ganz Europa geachteten Carl Philipp Emanuel Bach. Hinzu kamen Werke von Chopin, Couperin, Händel, Schubert und die Unterstützung Claras bei der Schumann-Ausgabe. Die jeweiligen Editionen und Konzerttourneen von Clara und Johannes bildeten eine Einheit in der Vermittlungstätigkeit, bei der sie von Freunden unterstützt wurden. Der unterschiedliche Zugang führte gelegentlich zu Unstimmigkeiten, da bei Johannes der Blickwinkel des Schöpfers überwog, bei Clara der der Interpretin. Das bezeichnendste Beispiel wurde die d-Moll-Sinfonie von Robert Schumann: Sie war 1841 in Leipzig entstanden und uraufgeführt worden. Nach zwei weiteren Sinfonien hatte er sie in Düsseldorf wieder aus der Schublade geholt, um sie für das dortige Orchester anzupassen. Diese zweite, 1853 erstaufgeführte Fassung wurde im gleichen Jahr vom Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel veröffentlicht. 1882 legte Clara in ihrer Edition »Robert Schumanns Werke, Serie I: Symphonien« auf den Seiten 310 bis 405 eine korrigierte Ausgabe vor. Robert hatte jedoch fast dreißig Jahre zuvor Johannes das Autograph der nie wieder aufgeführten Originalfassung geschenkt. Dieser fand Gefallen an der transparenteren Instrumentierung der Urversion und ließ es zu, dass sie mit Unterstützung des Dirigenten Franz Wüllner 1891 ebenfalls bei Breitkopf & Härtel als Alternative erschien. Die für das Leipziger Gewandhausorchester gedachte Fassung zeigt Robert Schumanns ursprüngliche Ideen und belegt sein souveränes Orchestrieren stärker als die spätere Version, in der er die Mängel des Düsseldorfer Orchesters durch Verdoppelung mancher Instrumentalstimmen und Vereinfachungen kaschieren wollte. Clara war über die konkurrierende Edition sehr erbost, weil ihr als ausübender Musikerin die Ausgabe letzter Hand maßgeblich erschien; Johannes hingegen hatte als Komponist den Schaffensprozess im Blick. Er berücksichtigte, dass andere Voraussetzungen vor Ort zwar zu Anpassungen führen konnten, dass aber schließlich den ursprünglichen Einfällen der Vorzug zu geben sei, zumal die Unterschiede der Editionen weitgehend in Details zu finden sind.
In späteren Jahren gelang es Clara durch ihre hervorragende Selbstorganisation und Disziplin, ihre künstlerischen Intentionen sowie ihre Vorstellungen von Interpretation an ihre Schüler und Schülerinnen weiterzugeben. Für sie blieb es eine wertvolle Erfahrung, dass sie als jugendliche Pianistin gelegentlich auch komponiert hatte. Dies half ihr, die Werke und die Absichten von Komponisten mit der Zeit tiefer und besser zu verstehen und ihr Ideal – »eine Uebereinstimmung der geistigen wie technischen Ausführung«244 – zu erreichen. Aber: Sie war in erster Linie eine Vermittlerin und faszinierte die Menschen von Großbritannien bis Russland in ganz Europa als eine Art Botschafterin der deutschen Kultur. Während manche bei ihrer zweiten Konzertreise nach Russland irritiert waren, dass sie ein sehr fokussiertes Repertoire und nicht mehr effektvolle Paradestücke à la Thalberg und Liszt präsentierte, schwärmte der Komponist Mili Balakirew, sie sei »die erste wirkliche Klavierspielerin, die ich höre«.245
Bei biografischen Publikationen blieb sie wie Brahms zögerlich. Von dem mittlerweile in Bonn wirkenden Musiker und Musikwissenschaftler Wilhelm Joseph von Wasielewski erwartete sie, dass bei einem geplanten Buch über Robert die Darstellung der Ereignisse und der Persönlichkeit ein »Freundschaftsbeweis« sein sollte. Allerdings zweifelte sie grundsätzlich an dem Projekt, weil zu viele Briefe, Schriften und Zeitschriftenbeiträge noch zu ordnen waren. Obgleich es sich bei Wasielewski um Robert Schumanns ehemaligen Konzertmeister beim Städtischen Musikverein Düsseldorf handelte, zeigte sich Clara nicht bereit, ihn bei seinen Recherchen zu unterstützen. Sie könne auf gar keinen Fall »mit unvollkommenem Material beistehen«, argumentierte sie, denn sie »habe in Absicht, in späteren Jahren selbst eine Biographie vorzunehmen«.246 Doch Clara ist nie als Autorin in Erscheinung getreten, ausschließlich als Herausgeberin. Obwohl der Witwe »eine vollständige Biographie« ihres verstorbenen Mannes »jetzt unmöglich« und »viel zu früh dünkt«, brachte Wasielewski sein Buch 1858 in Dresden heraus. Es erschien bis 1906 in vier Auflagen und blieb bis zu Hermann Aberts Schumann-Buch von 1903 die einzige Informationsquelle für interessierte Leser. Clara empfand Wasielewskis Publikation als ein »Malheur« voller »Unrichtigkeiten« und »Lieblosigkeiten«. Johannes Brahms pflichtete ihr bei. »Die Wasielewskische Biographie habe ich wieder weggebracht«, teilte er der Freundin mit. »Ich will sie mir doch nicht kaufen, wie ich erst vorhatte. Man hat keine Spur von Genuß darin und ich glaube, das wird sogar ganz unbeteiligten Lesern auch so gehen. Eine Biographie kann nach meinem Gefühl doch nur ein schöner (?) Freund und ein Bewunderer schreiben. Unparteilichkeit ist gut (freilich auch schwer), aber sie darf nicht Kälte sein.«247
Immerhin zeigte ihnen diese als unzulänglich empfundene Lebensbeschreibung, dass noch ein harter Kampf bevorstand, um dem Künstler Robert Schumann, der nicht mehr für sich selbst eintreten konnte, Anerkennung zu verschaffen.
Eine verschleierte Sinfonie
Als sich Johannes letztendlich dazu durchrang, ein Klavierkonzert aus den Manuskriptseiten einer unvollendeten Partitur und einem Skizzenberg zu formen, konnten ihm alle traditionellen Werke dieser Gattung kaum Anhaltspunkte liefern, um die aktuellen Gestaltungsprobleme in den Griff zu bekommen. »Denken Sie, was ich die Nacht träumte: Ich hätte meine verunglückte Symphonie zu meinem Klavierkonzert benutzt und spielte dieses«, schrieb er an Clara bereits im Februar 1855 aus Düsseldorf. »Vom ersten Satz und Scherzo und einem Finale, furchtbar schwer und groß. Ich war ganz begeistert. Viel habe ich auch von Ihnen geträumt und schönes.«248 Die detaillierte Ausarbeitung beanspruchte viel Zeit, sodass Clara erst Anfang Oktober in ihrem Tagebuch notierte, Johannes habe »einen prächtigen ersten Concertsatz componiert, der mich ganz entzückt durch seine Großartigkeit und Innigkeit der Melodien«.249 Clara mutierte zur heimlichen Muse der neu zu gestaltenden Sätze. »Ich schreibe dieser Tage den ersten Satz des Konzerts ins Reine, erwarte den letzten Satz begierig von J. [Joachim]«, teilte er ihr Ende 1856 mit. »Auch male ich an einem sanften Porträt von Dir, das dann Adagio werden soll.«250 Auf der ersten Seite im Autograph des »Adagios« trug Brahms eine Zeile ein, die dem Messetext der katholischen Liturgie entnommen ist: »Benedictus, qui venit, in nomine Domini!« – Gesegnet, wer im Namen des Herrn kommt. Es war eine private Botschaft an die Freundin: Einst hatte Clara über die bedeutungsvolle Begegnung mit Johannes in Düsseldorf in ihrem Tagebuch notiert, dieser geniale Musiker käme »wie eigens von Gott gesandt«. Johannes unterlegte also das Adagio in seinem Klavierwerk, das durchaus für ihre Fähigkeiten und ihr Repertoire geeignet war, mit ihren eigenen Worten.
Zusammen mit Clara probierte Johannes das Werk mehrfach an zwei Klavieren aus. Daraufhin »vereinfacht und erleichtert« er den ersten Satz, wie er Joachim bei der Übersendung der Neufassung mitteilte. Nachdem sich eine von Joachim angeregte persönliche Besprechung mit Johannes nicht ergab, schickte er Brahms das Manuskript mit seinen Anmerkungen zurück. Manches erschien ihm noch »zu fragmentarisch, nicht fortströmend genug – mehr unruhig als leidenschaftsvoll«. Zudem bedauerte er, dass »nach dem bedeutenden Anfang und wunderbar schönen ersten Moll-Gesang ein entsprechend großartiges 2tes Motiv abgeht«.251
Johannes war sich der Mängel durchaus bewusst. Den Ankündigungen eines Robert Schumann wollte er mit einem an Gehalt, Form und Dimensionen ausgereiften Werk gerecht werden. Nachdem er die Anregungen von Clara und Joseph Joachim auf sich hatte wirken lassen, begannen erneut die Mühen der Überarbeitung. Johannes hatte das Gefühl, er »habe kein Urteil und auch keine Gewalt mehr über das Stück«,252 besonders den ersten Satz hielt er für »durch und durch verpfuscht«, doch »ich reiße ihn jetzt ordentlich herum und was nicht will das lasse ich«.253 Die sich über Jahre hinziehende Entstehung seines Sonaten-Sinfonie-Klavier-Konzerts spiegelt auch eine gewisse Orientierungs- und Heimatlosigkeit wider. Bereits in den Liedersammlungen der 1850er-Jahre wurden Empfindungen »in der Fremde« (op. 3, Nr. 5 und 6) beschrieben: »Aus der Heimat hinter den Blitzen rot / Da kommen die Wolken her«, ja, »Vöglein, die ihr fernab fliegt, / Sagt, wo meine Heimat liegt?«, hieß es in den von ihm gewählten Eichendorff-Texten. Bei Hoffmann von Fallersleben musste das poetische Ich »schmachten, bangen, spähn und trachten« (op. 6, Nr. 5) und auch in einigen volksliedhaften Romanzen wurden die »Sehnsucht« und das »Scheiden«, das dem »jungen Herzen weh« tut, besungen (op. 14, Nr. 8 und 1).
Eine Lebensabschnittsheimat bot Joseph Joachim dem Freund in Hannover, nachdem eine für den März 1858 beim Hamburger Musikverein angestrebte Aufführung nicht zustande kam, da Brahms »der einzige brauchbare Flügel hier« schlussendlich »verweigert« wurde, wie er wütend an Joachim schrieb. Besonders verdross ihn »der Grund, weil – er so echt Hamburgisch ist«.254 Joseph Joachim verfügte über den entsprechenden Einfluss und die Kontakte, um zu helfen. Er ermöglichte Ende des Monats eine Feuertaufe für das vorerst abgeschlossene, aber dennoch unfertige Klavierkonzert mit der inoffiziellen Aufführung der Urfassung bei einer Probe der Hannoverschen Hofkapelle. Höchstpersönlich leitete Joachim das Orchester, während Brahms den Klavierpart übernahm. An ihren Halbbruder Woldemar Bargiel schrieb Clara kurz danach, dass »die Probe heute prächtig abgelaufen; zwar blieb nicht mehr Zeit als das Concert einmal durchzuspielen, es ging aber fast ohne Anstoß, und zündete sogar unter den Musikern«.255
Dennoch zeigte sich Johannes mit einigen Details unzufrieden und verbesserte später sein Werk weit über die ersten Aufführungen hinaus. Er feilte an Kleinigkeiten, nachdem ihm Clara noch knapp acht Monate nach der Uraufführung darauf hinwies, ihr wolle im ersten Satz »im dritten Solo der plötzliche Übergang nach D-dur nach dem langen Fis-moll nicht behagen«.256 Am Ende geriet Johannes – wie so manches – auch das erste Klavierkonzert als Ergebnis vielfältiger Metamorphosen zur »verschleierten Sinfonie«. Die Musiker, die in Hannover am 22. Januar 1859 an der Uraufführung beteiligt waren, wussten, welche Anforderungen bei dem Werk auf sie zukamen. Fast vier Minuten lang musste das Orchester auftrumpfen, als gelte es, eine neue Sinfonie aus der Taufe zu heben. Erst dann schlich sich zurückhaltend das Pianoforte in die Instrumentierung. Selbst im weiteren Verlauf agierte die Klavierstimme, als sei sie ein besonderer Farbtupfer unter den Orchesterstimmen und nicht – wie früher üblich – Partner und Widerpart des gesamten Klangkörpers. Vor dem hohen Hannoverschen Adel und einem anspruchsvollen bürgerlichen Publikum meisterten alle ihre Rolle mit Bravour. »Es wurde das Concert sogar durch Hervorruf des Spielers und Componisten geehrt, dessen Bücklinge so aussahen, als wollte er nach Untertauchen im Wasser die Feuchtigkeit aus den Haaren schütteln«, berichtete Joachim Clara Schumann. »Er hat sich aber sonst sehr gut aufgeführt, namentlich sehr erträglich und im Tacte gespielt, und ist wirklich ein ganzer Kerl!«257 Manche würdigten jedoch weniger die Individualität der neuen musikalischen Stimme, vielmehr wurde auch in Hannover, so Joachim an Brahms, »von ›Zukunftsmusik‹ in optima forma gefaselt«.258
Von diesen Kreisen mochte Johannes sich lieber fernhalten. Fünf Tage später vermisste er im Leipziger Gewandhaus die moralische Unterstützung der anderweitig beschäftigten Clara. Selbst wenn er das Orchester »ausgezeichnet« fand und nach den Anspannungen der Uraufführung sein eigenes Spiel aus dem Manuskript »bedeutend besser als in Hannover« ausfiel, stand der Auftritt bereits seit Beginn der Einstudierung unter unvorteilhaften Vorzeichen. »Die erste Probe erregte keinerlei Gefühle bei den Musikern oder Zuhörern«, berichtete er Joachim. »Zur 2ten kam aber kein Zuhörer und bei keinem Musiker bewegte sich eine [sic] Gesichtsmuskel.«259 Den Konzertabend mit dem wie seinerzeit noch üblichen gemischten Programm eröffneten eine Ouvertüre und ein »Ave Maria« von Cherubini unter der Leitung von Julius Rietz. Brahms’ fünfzigminütiger Koloss war das gewichtigste Werk des Abends, bevor dem erschöpften Publikum Auszüge aus Webers Freischütz, Beethovens Musik zu Kotzebues Die Ruinen von Athen sowie Haydns Sinfonie D-Dur Nr. 7 als leichtere Kost geboten wurde. Probleme kamen schließlich von für Clara unerwarteter Seite, denn Kritik hagelte es nicht von den progressiven Kreisen, sondern von den Traditionalisten. »Du weißt wohl schon, daß es vollständig durchgefallen ist«, berichtete Johannes seiner Freundin über die Leipziger Aufführung seines d-Moll-Klavierkonzerts. »In den Proben durch tiefstes Schweigen, in der Aufführung (wo sich nicht 3 Leute zum Klatschen bemühten) durch ordentliches Zischen.«260 Eine solche Reaktion war katastrophal in Zeiten, in denen – bei Gefallen – noch Beifallsbekundungen nach jedem einzelnen Satz üblich waren.
In den Signalen für die musikalische Welt ließ man kein gutes Haar an dem Stück. Das »Concert des Herrn Johannes Brahms« sei »gar nicht danach angethan, daß es irgend eine Befriedigung und einen Genuß gewähren könnte«, denn letztendlich bleiben nur »eine Oede und Dürre, die wahrhaft trostlos ist«. Für den Rezensenten, der die Klassiker präferierte, fand sich in dem Klavierkonzert »an keiner einzigen Stelle etwas Fesselndes und Wohlthuendes; die Gedanken schleichen entweder matt und siechhaft dahin, oder sie bäumen sich in fieberkranker Aufgeregtheit in die Höhe, um desto erschöpfter zusammenzubrechen; ungesund mit einem Worte ist das ganze Empfinden und Erfinden in dem Stücke«. Im Grunde genommen grenze sich der junge Musikus zu deutlich von den Standardwerken der Gattung ab: »Mit vollstem Bewußtsein hat überdies auch Herr Brahms die Prinzipalstimme in seinem Concert so uninteressant wie möglich gemacht; da ist nichts von einer effectvollen Behandlung des Pianoforte, von Neuheit und Feinheit in Passagen, und wo irgend einmal etwas auftaucht, was den Anlauf zu Brillanz und Flottheit nimmt, da wird es gleich wieder von einer dichten orchestralen Begleitungskruste niedergehalten und zusammengequetscht.« Nicht zuletzt saß zum Verdruss des Rezensenten kein Tastenvirtuose am Klavier, sondern ein Mann, der nach den Ansprüchen an den Unterhaltungswert von Klavierdarbietungen technisch »nicht auf der Höhe derjenigen Anforderungen steht, die man heutzutage an einen Concertspieler zu machen berechtigt ist«.261 In dem Konkurrenzblatt, der Neuen Zeitschrift für Musik, vertrat man die Ansicht, dass »wegen der Seltenheit der späteren Kundgebungen des in ziemlicher Abgeschlossenheit lebenden Künstlers« sein Auftreten »an diesem Abend unsere Aufmerksamkeit erregen« musste. »Trotz der zugestandenen Mängel der äußeren Erscheinung halten wir dieses Werk seinem inneren dichterischen Gehalte nach für ein unverkennbares Zeugnis einer bedeutenden Schöpfungskraft von echt poetischer Ursprünglichkeit und Originalität«, wertete das Blatt. »Dem abfälligen Urteile einer gewissen Seite des Publikums und der Kritik gegenüber betrachten wir es für unsere Pflicht, für diese achtungswerten Seiten des genannten Werkes einzustehen und gegen die wenig achtbare Art und Weise seiner Beurteilung zu protestieren.«262
Clara grollte empört darüber, dass »der böse Wille zu überwiegend war«. In einem Brief von einer Tournee teilte sie Johannes aus Wien mit, dass sie von der Sängerin Livia Frege erfahren habe »von dem entschieden bösen Willen aller, namentlich Rietz’, und ich fürchte, daß Dir dieser schon in den Proben so die Lust benommen, daß Du es auch nicht so gut gespielt hast als wie Du es gekonnt, denn sonst könnte ich mir die Bemerkung, daß Du technisch dem Werke nicht gewachsen seiest, nicht erklären, denn an so etwas denkt man doch gar nicht, wenn ein Komponist selbst seine Werke spielt.« Sie sollte auch in Leipzig auftreten, hat »aber immer so ein Gefühl, als müßte ich es nicht tun, weil sie Dich so schlecht aufgenommen!«263
Trotzig behauptete Johannes gegenüber Clara: »Mir hat das keinen Eindruck gemacht.«264 Und Joachim ließ er wissen: »Trotz alledem wird das Konzert noch einmal gefallen, wenn ich seinen Körperbau gebessert habe, und ein zweites soll schon anders lauten.« Allein die langwierige Entstehungsphase des Konzerts hatte ihm gezeigt, dass noch umfangreiche Studien vor ihm lagen. »Ich glaube, es ist das beste, was einem passieren kann; das zwingt die Gedanken, sich ordentlich zusammen zu nehmen und steigert den Mut«, lautet sein Resümee der Leipziger Erfahrung. »Ich versuche ja erst und tappe noch. Aber das Zischen war doch zu viel?«265
Völlig entsetzt ließ Joseph Joachim den Musikpädagogen und -schriftsteller Avé-Lallemant in Hamburg wissen, dass seiner Meinung nach die Leipziger »in ihrer Blasiertheit ein Testimonium der Ärmlichkeit und Herzlosigkeit gegeben« haben.266 Aber »bei den meisten Intelligenten, die ich aus dem Publikum und Orchester gesprochen, hat sich eine hohe Meinung über Brahms als Musiker kund gegeben; über sein eminentes Spiel sind selbst Gegner seines Konzerts einig.« Und Joachim war bereit, sich weiterhin für das Werk einzusetzen: »Nun mögt Ihr in Hamburg tun, was Ihr wollt; aber wenn Sie, lieber Freund, das Konzert im Philharmonic [sic] bringen, so komme ich und dirigiere, das ist ja längst ausgemacht.«267
Die Aufführung in Johannes’ Geburtsstadt beim Philharmonischen Konzert sieben Wochen später bestätigte die Anerkennung in Hannover und relativierte die Reaktionen in Leipzig. »Der Donnerstag abend lief gut und schön ab«, schilderte er die Ereignisse für Clara. »Daß Joachim und Stockhausen gerufen wurden, versteht sich, aber auch mir geschah das, und heute lesen wir schon die höchst anerkennende Rezension meines Werks von Heller. Das Konzert war enorm besucht. Hunderte konnten keine Karte mehr bekommen. Joachim studierte mein Konzert prächtig ein und spielte wundervoll.« Das Publikum und »die Herren vom Komitee« zeigten sich »sehr entzückt« und so konnte Johannes beruhigt resümieren: »Kurz, die Leipziger Kritiken haben nichts geschadet.«268 Dass er von der Presse seiner Heimatstadt, wie etwa dem Feuilletonredakteur der Hamburger Nachrichten, Robert Heller, wohlwollend beurteilt wurde, mochte nicht sonderlich große Auswirkungen haben. Als wesentlich folgenreicher erwies sich aber bald darauf das Engagement des norddeutschen Komponisten Carl Grädener, der schon Clara bei Konzertreisen in Kiel beherbergt hatte. Er setzte sich in seiner ausführlichen, in bissiger Prosa verfassten Besprechung für die Neue Berliner Musikzeitung mit den von »Gereiztheit dictirten Schmähungen« der negativen Rezension aus den »Leipziger Signalen« auseinander. »Schlüge dem Schreiber obigen Aufsatzes nur eine Spur musikalischer Ader: er hätte nicht sich mit der grossen Menge von dem bescheidenen Namen ›Clavier-Concert‹ täuschen lassen«, schrieb der Rezensent, »sondern – wohl wissend, daß seit Beethoven jedes ächte Concert eine Symphonie mit obligatem Piano, ein Symphonie-Concert – hätte er auch in diesem Werke ein solches und eben nur ein solches, also mehr als blosses Virtuosen-Concert erkannt. Er hätte nicht von schreienden (! was schreit und wem schreit’s?) Dissonanzen geredet, wie sie uns Beethoven (und wie schön!) als nothwendige und aus der Natur der Sache hervorgehende Ingredienzen aller Orten im reichlichsten Maasse bringt. (Der Himmel bewahre uns vor all’ dem saft- und kraftlosen – exempla sunt odiosa! – Virtuosen- oder Salon-Gesäusel!).« Der Komponistenkollege lobte die seiner Meinung nach »der neunten Beethovens würdigen Motive« und den Aufbau des Ganzen als etwas »Neues, Unerhörtes, noch nicht Dagewesenes«. Die behutsam geführten Kantilenen, die einfühlsamen Seitenmelodien, die Keckheit, die Erregtheit, die thematischen Vor- und Rückverweise, die dramatischen Steigerungen, die »mannigfaltig und stets mit fester Hand« entworfene Instrumentierung – »Und das Alles hörten Sie nicht, Mann mit der fertigen Zunge und der hinkenden kritischen Feder?«, ätzte er gegen den Kritiker aus Leipzig. Nicht minder absurd wie die Vorwürfe gegen die Komposition selbst erschienen Grädener die Herabsetzung des Pianisten Brahms. Letztendlich erfordere diese Art von Klavierkonzert einen neuen Typus von Pianisten, lautet sein Resümee, denn »schon ein Clavier-Concert der Schwierigkeit, wie das seine, mit Ruhe, Sicherheit und makellos spielen, heisst: spielen können«.269
Grädeners Rezension in einer Fachzeitschrift in Berlin – jenem Ort, der Leipzig in den folgenden Jahren den Rang als Musikmetropole streitig machen sollte – war kaum weniger bedeutend als Robert Schumanns sechs Jahre zuvor erschienener Artikel. Erstmals lag von dem jungen Komponisten ein großes Werk vor, von dem es hieß, dass es »mehr, als so manches andere der Gegenwart entsprossene Aller Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen verdient«. Der Verfasser reihte Brahms’ Klavierkonzert in d-Moll in eine »historische Entwicklung der Geister« ein, die von Beethoven und Mozart ausging, die einst auch missverstanden wurden.270
Sein erstes Klavierkonzert sollte den Pianisten Brahms fast sein ganzes Leben lang begleiten. Für den Komponisten wurde es zum Schlüsselwerk für die Bewältigung komplexer orchestraler Strukturen und die instrumentale Anverwandlung emotionaler Befindlichkeit. Damit bereicherte er die Gattung des Instrumentalkonzerts um neue Facetten: Die Virtuosität wurde zur Nebensache und die Ausdrucksfähigkeit des Interpreten zum neuen Maßstab. Clara war von dem Stück begeistert und bedankte sich, sie habe »genußreiche Stunden« mit dem Werk gehabt, ja, »ich kann sagen glückliche«.271 Claras Anspruch an sich selbst, eine aufrichtige, einfühlsame und zugleich intellektuelle Interpretin zu sein, erleichterte ihr das Verständnis von Johannes’ Absichten. Sie »beherrscht mit unbeschränkter Macht alle Gebiete musikalisch darstellbarer Empfindungen und ihre Ausdrucksformen«, hieß es in Rezensionen. »Es ist der neuschöpferische Genius in der Reproduction der Meisterwerke verschiedenster Art und Styles, es ist die Tiefe des psychologischen Durchdringens, das Eingehen auch auf das geringste und geheimste Detail des musikalischen Ausdrucks, das wahrhaft pathologische Versenken bis in die feinsten Nuancen der seelischen Stimmung in sämmtlichen von ihr ausgeführten Tonstücken, welche uns dieser Frau den Vorzug vor vielen lebenden Meistern des Clavierspiels zuerkennen läßt.« Bei ihr gingen »Geist, Phantasie und Empfindung« ganz »unmittelbar und mit regster Lebhaftigkeit in ihr Spiel über, in Bewegung, beredten Ausdruck, musikalische Gestaltung, feinste Schattirung des Vortrags: so daß wir ein individuell und poetisch beseeltes Tonbild empfangen«.272 Clara beeindruckte auf dem Podium und wirkte im Verborgenen, indem sie sich bei Verlegern, Musikfreunden, Kollegen und Konzertveranstaltern für das Erbe ihres Mannes und das Œuvre von Brahms einsetzte – ganz gleich, wie verletzend und außermusikalisch motiviert die Kritik auch sein mochte. Zudem tauschten sich Clara und Johannes regelmäßig über Honorare aus und gelegentlich mahnte sie bei dem Freund auch an, er müsse »endlich einmal wieder etwas herausgeben«, denn »zu lange Pausen sind nicht gut«.273 Clara verstand etwas davon, wie man im Gespräch bleibt.
Ihr Engagement für die Kunst von Robert und Johannes war durchaus riskant. In anderen Städten und Ländern, darunter auch aufstrebenden Musiknationen wie den USA und England, wusste man sie mehr zu würdigen. In den deutschsprachigen Landen blieben sie als Musiker umstritten. Wäre Brahms gescheitert, weil er keine gehaltvollen Werke mehr zustande gebracht hätte, könnte man Schumanns Prophezeiungen als Verirrung eines allmählich gestörten Verstandes abtun. Nun aber hatte man sich mit der verschleierten Sinfonie eines Pianisten auseinanderzusetzen, der äußerst lernfähig war. Die Rezension von Grädener erhöhte den Druck: Im Rheinland hatte sich Johannes einen zuverlässigen Freundeskreis aufgebaut, in Sachsen war er zum neuen Hoffnungsträger der jungen Komponistengeneration ausgerufen worden und in der Hauptstadt Preußens nannte man seinen Namen in einem Atemzug mit Mozart und Beethoven. Clara unterstützte ihn dabei, den Anforderungen gerecht zu werden. Sie spielte sein d-Moll-Klavierkonzert erstmals 1861. Auch für sie stellte es eine Herausforderung dar, aber sie schaffte es, auch andere für diesen neuartigen Tonfall zu begeistern. »Es ist gar zu schön, und ist mir in Leipzig sehr gelungen«, berichtete sie Johannes über einen ihrer Auftritte. »Das Orchester war gut, aber nicht frei, das konnte auch nicht sein bei einem ihnen so fremden und schweren Stücke. Reinecke hat sich große Mühe gegeben – ich hatte in nichts über ihn zu klagen – das Publicum verhielt sich respectvoll, sie riefen mich, die Musiker aber und Musikfreunde, deren eine Masse waren, kamen Alle und dankten mir, daß ich ihnen dies herrliche Werk vorgeführt, und das machte mir denn doch große Freude.«274
Es sollte das einzige seiner Konzerte in ihrem Repertoire bleiben, denn ab den 1880er-Jahren war Clara wegen rheumatischer Beschwerden nicht mehr in der Lage, derart strapaziöse Werke aufzuführen. Johannes sorgte zunächst einmal dafür, dass sein erstes Konzert Anerkennung fand, bevor er ein zweites folgen ließ. Bis zu einer Aufführung mit dem fast 53-jährigen Brahms am 9. Februar 1886 in Köln trug er sein erstes Klavierkonzert öffentlich in 35 Konzerten vor. Claras Geburtsstadt spielte nach Johannes’ Debakel von 1859 eher eine Nebenrolle für beide und wurde zumeist zu einer Durchgangsstation auf Konzerttourneen. Erst 1878 präsentierte Johannes selbst in Leipzig wieder sein erstes Klavierkonzert einer neuen Generation von Musikliebhabern.
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