Kitabı oku: «Vernunft und Offenbarung», sayfa 3
VII.Kritik am Zionismus
Auf der Basis dieser Voraussetzungen, das heißt auf der Basis eines eigentümlichen Gemisches von rigoroser universalistischer Moral, partiellen Konzessionen an das Rassedenken und einer Deutung des prophetischen Judentums, das in seinem Sinn gerade die Zerstreuung unter die Völker als metageschichtlichen Sinn jüdischen Schicksals akzeptieren mußte, konnte Cohen die damals entstehenden zionistischen Gedanken, etwa Martin Bubers, nur ablehnen. Die Sammlung der Juden und die Beschränkung auf eine womöglich religiös inspirierte Nationalstaatsgründung in Palästina mußten in dieser Perspektive als Verrat am prophetischen Messianismus erscheinen. In doppelter Frontstellung sowohl gegen die ihm als relativistisch erscheinenden Ansichten Moritz Lazarus’, der ihm in seiner Ablehnung der Rassenlehre gewichtige materialistische Einsichten preiszugeben schien, als auch gegen Martin Bubers Partikularismus beharrt Cohen auf dem Gedanken einer jüdischen Nation als weltweiter Kulturnation. Dieses Beharren beruhte, wie kurz darauf sein Eintreten für das kriegführende Deutschland, auf dem, was man als „historisches Bewußtsein“ bezeichnet, was aber in Cohens Variante wenig anderes war als eine Variante geschichtsphilosophischen Fortschrittsglaubens. Wenn Cohen am Ende seines Appells an die amerikanischen Juden von der „Logik“ der Geschichte und des Geschickes der Juden spricht, so handelt es sich dabei nicht um eine nachlässige façon de parler, sondern um ein wohlüberlegtes geschichtsphilosophisches Argument.
Religion war für Cohen ein Teil der allgemeinen kulturellen Entwicklung der Menschheit, einer Entwicklung, die ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt. Den Zionismus lehnte Cohen nicht nur deshalb ab, weil er ihm zu sehr an utilitaristischen Zwecken eines glücklicheren Lebens und zu wenig am Rigorismus des Sittengesetzes orientiert war („Die Kerls wollen glücklich sein […]“), sondern aus der geschichtsphilosophischen Überzeugung heraus, daß er hinter das von den Propheten erreichte Niveau moralischer Universalität zurückfalle. Wo Theodor Herzl etwa aus dem Antisemitismus der Dreyfusaffäre die Konsequenz eines jüdischen Staates zog, beglaubigte Cohen den „geschichtlichen Sinn des Abschlusses der Dreyfusaffäre“:
„Wir dürfen in der Zuversicht leben, daß unser Leiden zu einem glorreichen Abschluß kommt; glorreich nicht etwa nur für uns, sondern für die ganze Menschheit. Es muß Recht auf Erden werden; die Gerechtigkeit darf nicht im Stande der Gnade und Toleranz bleiben. Wie unserem französischen Märtyrer, unserem Glaubensbruder in der französischen Armee, die Ehre wieder hergestellt wird, weil die heilige Gerechtigkeit es erfordert, so dürfen wir ein gleiches Schicksal für alle unsere Märtyrer erhoffen. Und für unsere religiöse Gesamtheit erkennen wir zuversichtlich den Zusammenhang unseres Martyriums mit dem Siege der Wahrheit und mit dem wahrhaften sittlichen Heile dere Menschheit.“24
VIII.Geschichtsphilosophie nach Hegel
Nun sind derlei Meinungen, als politische und religiöse Äußerungen aufs Ganze des deutschen Judentums des neunzehnten Jahrhunderts bezogen, alles andere als ungewöhnlich.
Systematisch stellt sich freilich bei dem methodologisch und wissenschaftstheoretisch versierten Autor des Prinzips der Infinitesimalmethode und seiner Geschichte aus dem Jahre 1883 die Frage nach der Legitimität der Neuformulierung einer Geschichtsphilosophie. Insofern sich nun die jüdische wie auch jede andere Religion in der Geschichte entfaltet hat, „Religion“ aber wie „Geschichte“ ein Begriff ist und alle Begriffe in der Vernunft ihren systematischen Ursprung haben, kann die Aufgabe einer zeitgemäßen Religionsphilosophie in nichts anderem bestehen, als den „Begriff der Religion durch die Religion der Vernunft zur Deckung“ zu bringen.25 Kaum anders als Hegel in seiner Philosophie der Geschichte beharrt auch Cohen auf dem Verfahren einer vernunftgeleiteten Konstruktion der Geschichte, und zwar so, daß ein vernünftiger Begriff von Religion im Reich der geschichtlichen Entwicklung genau die Elemente auffindet, die er ohnehin systematisch zu konstruieren hätte. Gerät damit das geschichtliche, kulturelle, religiöse Material zur blanken Illustration einer auch unabhängig von ihm zu konstruierenden sittlichen Wahrheit? Das ist für den späten Cohen deshalb nicht der Fall, weil auf der Basis seiner Voraussetzung in der Geschichte die menschliche Vernunft immer schon am Werke ist und somit nichts anderes als deren Wirken zutage bringt. Alleine aus diesem Grund hält es Cohen für legitim, die Religion der Vernunft ausgerechnet aus den Quellen des Judentums zu konstruieren:
„Dieser Allgemeinheit, welche zur Grundbedingung sonach für die Religion der Vernunft wird, scheint es nun aber zu widersprechen, daß wir aus den Quellen des Judentums die herleiten wollen: die der geschichtlichen Wirklichkeit ihren einzelnen Erscheinungsformen gegenüber Notwendigkeit verleiht, das ist ja gerade die Allgemeinheit, die sich trotz allen sozialen Hemmnissen und trotz allen Unzulänglichkeiten in der Geschichte der Völker dennoch hindurchzuringen vermöge, und die in diesem Ringen und Sich-an-das-Licht-des-Tages-bringen einen Fortschritt und insbesondere eine Kontinuität vollziehe, in welcher der Sinn der Geschichte sich begründet, in welcher die Geschichte zur Geschichte der Vernunft wird.“26
Cohens stärkstes Argument für diese geschichtsphilosophische Betrachtungsweise besteht somit in seiner Annahme des psychischen und sozialen, somit realen Wirkens der auf Allgemeinheit zielenden Vernunft, des Organs der Gesetze. Das Wesen der Vernunft besteht für Cohen in dem, was er mit einer heute wenig glücklich wirkenden Beleihung eines neutestamentlichen Begriffs als „Gesetzlichkeit“ bezeichnet. Diese „Gesetzlichkeit“, das heißt die Fähigkeit der Menschen zur Bildung allgemeiner Begriffe und zur formalen Überprüfung von Unstimmigkeiten, stelle zugleich das Band zwischen der menschlichen und einer anderen Vernunft dar. Über diese Vernunft kann freilich nur eine begrifflich angeleitete Untersuchung der Religion Aufschluß geben. Dabei geht Cohen realistisch und induktiv vor, das heißt von ihrem Inhalt und ihrem Umfang aus, die Cohen mit einer folgenschweren Entscheidung beide als „Mensch“ bestimmt.27 So ist ein Weg gewiesen, den Menschen seiner – wie Cohen es ausdrückt – „empirischen Zweideutigkeit“ zu entreißen.28 Dabei ist Cohen die Differenz von „Gott“ hier und „Religion“ dort wohl bewußt, ebenso wie der Unterschied zwischen „Religion“ und „Ethik“. Beide gehen vom Menschen aus und beziehen sich auf ihn. Der Beitrag der Ethik besteht demnach darin, den Menschen seiner Individualität zu entreißen und ihn einer Selbstreflexion anheimzugeben, die im Gedanken und Bezugspunkt der „Menschheit“ gipfelt. Nach Maßgabe der Ethik erkennt sich das Individuum erst in der Menschheit und erfüllt sich die Menschheit in der Individualität. Daß die Menschheit alleine kein vollständiges Symbol der Individualität sein kann, sondern es hierzu einer vermittelnden Übergangsgröße bedarf, ist einem im immer noch von Hegel geprägten akademischen Milieu Deutschlands lehrenden jüdischen Philosophen zweifelsfrei gewiß:
„Alle methodische Gefahr ist jetzt von der Ethik entfernt. Die Individualität des Menschen, die sie in der Menschheit begründet, ist alles Scheins der Paradoxie enthoben: der Staat bildet die Vermittlung zwischen dem empirischen Individuum und der Idee der Menschheit, zu deren Träger der Mensch wird. An der Individualität des Staates, an welcher der empirische Mensch mit allen Fasern seines Herzens Anteil nimmt, deren Rhythmus sein eigener Pulsschlag gleichsam nachzittert, realisiert sich das Wunder, welches in der ethischen Lehre von der Menschheit als der Erfüllung des Menschen zu liegen scheinen könnte.“29
IX.Eine neue Sozialphilosophie: Der Mensch als Mitmensch
Hätte es Hermann Cohen dabei belassen, wüßten wir nicht zu sagen, wo die Abweichung zu Hegels Rechts- und Geschichtsphilosophie, wo genau der spezifische Beitrag seines Denkens aus den Quellen des Judentums läge.
Die Vermittlung zwischen Individuum und Menschheit in der Gestalt des Staates übergeht den für Cohen ganz offensichtlichen Umstand, daß das einzelne Individuum neben der gleichsam vertikalen Vermittlung zur Menschheit hin noch einer zweiten Vermittlung bedarf, einer Vermittlung, in der der Mensch nicht nur als autonomes Individuum, sondern als vom Leiden betroffener, sinnlicher, konkreter Mitmensch auftritt, als ein Wesen, dessen sittliche Bildung und Entwicklung unter Voraussetzungen steht, über die es selbst nicht verfügt. Hier entdeckt Hermann Cohen lange vor der Dialogphilosophie Martin Bubers, lange vor Franz Rosenzweigs sprachlicher Philosophie der Existenz den „Menschen als Mitmenschen“.30
Durch eine Reflexion auf das Problem der Theodizee, der metaphysischen Realität des Leidens und des Wesens der Sprache gelingt es Cohen, das Judentum als eine Ethik der Intersubjektivität zu konzipieren. Daß dabei das Werk Schopenhauers ebenso Pate gestanden hat wie Hegel oder der nicht namentlich aufgeführte Fichte – der noch vor Hegel in seiner Grundlage des Naturrechts nach den Principien der Wissenschaftslehre aus dem Jahr 1796 eine intersubjektive Theorie der Anerkennung entworfen hat31 –, ist ebensowenig zu übersehen wie die radikale Originalität von Cohens Einsatz an der menschlichen Sprache. Die unverhüllte und unverkürzte Form der Intersubjektivität wird nämlich erst durch eine Analyse der Sprache und ihrer Personalpronomina deutlich, eine Überlegung, die später Martin Buber in seinem Werk Ich und Du wieder aufnehmen sollte. Am Leitfaden der Sprache, an der dort angelegten Differenz von Teilnehmer- und Beobachterperspektiven gewinnt Hermann Cohen einen Gedanken der Intersubjektivität, der das kantische Instrumentalisierungsverbot in bezug auf andere Menschen begründet:
„Neben dem Ich erhebt sich, und zwar im Unterschiede vom Es, der Er: ist er nur das andere Beispiel vom Ich, dessen Gedanke daher durch das Ich schon mitgesetzt wäre? Die Sprache schützt vor diesem Irrtum: sie setzt vor das Er das Du. Ist auch das Du nur ein anderes Beispiel für das Ich und bedürfte es nicht einer eigenen Entdeckung des Du, auch wenn ich bereits meines Ich gewahr geworden bin? Vielleicht verhält es sich umgekehrt, daß erst das Du, die Entdeckung des Du mich selbst auch zum Bewußtsein meines Ich, zur sittlichen Erkenntnis meines Ich zu bringen vermöchte.“32
X.Die prophetische Neuerfindung des Menschen
Dieser Ausbruch aus dem methodischen Solipsismus einer kantischen, prinzipienprüfenden Ethik ist Cohen aus den Quellen des Judentums, insbesondere aus der Lektüre der prophetischen Schriften erwachsen. In ihnen wird – anders als im ansonsten in Deutschland gepflogenen, an der klassischen Antike ausgerichteten Neuhumanismus – eine Haltung zur Welt deutlich, die weder tragisch noch ästhetisch, sondern mitleidig und engagiert ist. In ihrem Monotheismus ist sie zudem immer schon universalistisch orientiert. Der mitleidige Blick der Propheten drängt in Verbindung mit ihrer Einsicht, daß die Beziehung der Menschen zu Gott zuvor der Überprüfung ihrer Beziehungen untereinander bedarf, zu einer Neuerfindung des Menschen:
„Der Prophet wird zum Ethiker der Praxis, zum Politiker und Juristen, weil er durchaus dem Leiden der Armen den Garaus machen will. Und es ist ihm nicht genug, sich in die genannten mehrfachen Berufe zu verwandeln, sondern er muß auch noch zum Psychologen werden: er muß das Mitleid zum Urgefühl des Menschen machen, im Mitleid gleichsam den Menschen erfinden, den Mitmenschen und den Menschen überhaupt.“33
Die Neuerfindung des Begriffs des Menschen, ja des Menschen selbst durch die Propheten: Die Kühnheit dieses von Cohen zu Beginn des Jahrhunderts gefaßten Gedankens, der die Historizität aller Ethik ebenso eingesteht, wie er die Wahrheit ihrer regulativen Ideen beglaubigt, kann erst ermessen, wer auch jenes Denken, das in bezug auf Buber und Rosenzweig als „Hebräischer Humanismus“ bezeichnet wurde, nicht mehr naiv sieht. Der von Cohen erstmals unternommene Versuch, eine philosophische Ethik nicht nur auf der Basis des antiken Denkens oder der Idee des autonomen Selbstbewußtseins, sondern auf den Schriften der Hebräischen Bibel zu begründen, führte zu einem philosophischen Paradigmenwechsel. Auf der Basis der in der Bibel bekundeten Leidenserfahrungen, ihrer auf dem Gespräch zwischen Gott und Mensch gegründeten Ehtik und dem Ausgreifen des prophetischen Universalismus gelang es dem noch bewußtseinsphilosophisch orientierten Kantianer Hermann Cohen, das Prinzip des methodischen Solipsismus zu überwinden und eine universalistische Ethik zu konzipieren, die ihren formalen Charakter aufgegeben hat und sich konkret der ethischen Gestaltung der ganzen Staaten- und Gesellschaftswelt widmet. Diese messianischen Züge auch in der Moderne zu unterstützen sind die Juden als historisch gewordene Minderheit in besonderer Weise auch und gerade dann geeignet, wenn sie eine Staatsnation im klassischen Sinn nicht bilden:
„Für die Fortbildung des Monotheismus müssen wir eine nationale Individualität bleiben, denn der Monotheismus hat eine geschichtliche Singularität uns aufgeprägt. Und da diese Nationalität von keinem eigenen Staate gehemmt wird, so ist sie vor dem Schicksal der Materialisierung seiner nationalistischen Idee geschützt.“34
Hermann Cohen hat für die Reinhaltung der Idee des jüdisches Volkes als eines Volkes von Priestern und Gerechten vom Nationalismus einen hohen Preis gezahlt. Der Denker, der wie kein anderer in der Moderne am reinsten für den prophetischen Universalismus, für ein nicht-materialistisch begründetes Programm sozialer Gerechtigkeit sowie für eine weltweite Rechtsordnung eintrat, sah die Erfüllung dieser Ziele aus Mitleid mit den unterdrückten Juden Rußlands ausgerechnet im Kriegseintritt des wilhelminischen Reiches. So hellsichtig und vernünftig der Jude und Philosoph wirkte, so verblendet äußerte sich der deutsche Patriot Hermann Cohen in seinem systematischen Bemühen, die kreatürliche Furcht vor dem Tode durch ein Jenseits zu ersetzen, das in nichts anderem besteht als in einer selbstlosen Aufopferung der Individuen zugunsten einer messianischen Idee, die vielfältig ursurpierbar war.
Der Begriff der Offenbarung bei Steinheim und Schelling
I.
Ob Gott nur durch blinden Glauben oder auch durch vernünftiges Denken erfahrbar sei, ist Thema der Religionsphilosophie spätestens seit dem platonistisch denkenden alexandrinischen Juden Philo.
Daß die Hoffart autonomen menschlichen Denkens in Widerspruch zu jenen Behauptungen geraten mußte, die gerade so, wie sie in den heiligen Schriften standen, zu glauben waren, macht die Unruhe nicht nur der Religionsphilosophie, sondern auch der Theologie als des wissenschaftlich kontrollierten Glaubens aus.
Stößt sich die Religionsphilosophie an der Apodiktizität biblischer Geschichte, die sie vor den Richterstuhl der Vernunft zerren möchte, so stößt sich jede Theologie in einer Welt, die eben auch die Vernunft kennt, an dem Umstand, daß die vernünftige Welt dem verkündeten Wort nicht vertraut, ohne Argumente für diesen Glauben gehört zu haben.
Damit steht jede Theologie vor dem fatalen Dilemma, sich entweder mit vernünftigen Argumenten auf einen Disput mit der Philosophie einzulassen – und dabei stets von anderem Gebrauch zu machen denn alleine von Glaubenswahrheiten, und so schließlich den Glauben verraten zu haben – oder aber den Disput an irgendeiner Stelle mit dem Hinweis zu beenden, daß über diese oder jene Wahrheiten des Glaubens nicht mehr debattiert werden könne. Argumentativer Glaube oszilliert stets zwischen der Skylla der Selbstaufgabe an die Vernunft und der Charybdis törichten Beharrens. Aus dieser Schwierigkeit führen zwei Wege heraus, deren ersten die scholastische Theologie beschritten hat, nämlich der Versuch, die menschliche Vernunft in der Übereinstimmung mit der biblischen Wahrheit zu verkünden, also gleichsam die Parallelität von Weltvernunft und Glauben zu konstruieren. Der zweite Weg ist uns nach Immanuel Kant vertraut, er besteht „lapidar gesagt“ darin, Vernunft und Glauben zu entwirren und beiden je ihr eigenes, nicht miteinander konkurrierendes Recht einzuräumen. Unter einem anderen Gesichtspunkt wird sich freilich diese Entzerrung von Vernunft und Glauben als besonders vernünftig erweisen. Dies nachzuweisen, war das Lebenswerk Salomon Ludwig Steinheims, des positivistisch gesonnenen Arztes, dem die Versuchung des Übertritts zum Christentum, der eine ganze Generation deutscher Juden erlag, nicht fremd war. Sein zwischen 1835 und 1865 verfaßtes theologisches Lebenswerk Die Offenbarung nach dem Lehrbegriffe der Synagoge entfaltet in vier Bänden in immer neuen Durchgängen und Erweiterungen die These von der Vernünftigkeit der Trennung zwischen Vernunft und Offenbarung und ist dabei um den Nachweis bemüht, daß im rechtverstandenen rabbinischen Judentum diese Differenz konstitutiv geworden sei; gerade so, wie das historisch entstandene Christentum diese Differenz spätestens seit dem Johannesevangelium zugunsten einer Vermengung von philosophischer Spekulation und messianischem Glauben aufgegeben habe.
Nichts könnte darum auch falscher sein, denn Steinheim als den Philo des neunzehnten Jahrhunderts zu bezeichnen. Denn so sehr Steinheim in Bezug auf Kant das gewesen sein mag, was Philo hinsichtlich Platos war, so sehr nimmt Steinheim gegen Philos Spekulation Stellung, gerade so, wie Kant in der Kritik der reinen Vernunft gegen die rationale Psychologie und Metaphysik des Platonismus Stellung nahm. Mehr noch: Steinheim sah in den großen rationalistischen jüdischen Religionsphilosophen, in Philo von Alexandrien und Baruch Spinoza seine eigentlichen Antipoden, jene Denker, die erst – in der Antike – das Christentum vorbereiteten und dann – im Zeitalter der Aufklärung – die jüdischen Grundideen der Freiheit und Verantwortlichkeit der Menschen verdunkelten. Denn Freiheit und Moralität – so weiß Steinheim von Kant – sind Fakten, die wissenschaftlich und philosophisch nicht beweisbar, sondern als vorgegebene allenfalls zu begreifen sind. Die Freiheit des Menschen aber hängt von Gottes freiem und persönlichem Handeln in der Schöpfung ab; jede Vorstellung von einer an sich ewigen Materie, die der Gott nur gestaltet, oder einer Identität zwischen Gott und Materie zerstört die Grundlagen des sittlichen Lebens. Dieser Umstand war – so Steinheim – Descartes und Kant noch geläufig, während er schon von den jüdischen Hellenisten Aristobul und Philo sowie von Spinoza systematisch verleugnet wurde.
„Das Dasein der Materie war also diesen beiden Denkern [Descartes und Kant, M.B.] dem Vater und dem Reiniger der modernen Philosophie, das Wunder aller Wunder, die Tat des unbegreiflichen, geoffenbarten Gottes. Dies verkennen, oder verdunkeln, oder endlich gar verleugnen, wie es die drei Judenphilosophen, namentlich Philo und Spinoza getan, heißt ‚Gott‘ nicht kennen, sondern nur den schlechten, ohnmächtigen Götzen, der mit dem schwachen Menschen auf einer Linie steht, und der eisernen Notwendigkeit des Faktums und an das Mögliche, was die gleich ihm ewige Materie zuläßt, gebunden, den blinden Mächten des Naturgesetzes unterworfen ist. Wir erblicken in dieser Philosophenlehre mora mathematico den verhüllten Apisdienst, den des goldenen Kalbes, indem sich das zeugend-ordnende Naturferment versinnlicht findet, ein weltordnender Phallus, der nur zeugen, nicht erschaffen kann.“35
Steinheim verbindet in seinem theologischen Werk Motive einer offensiven Polemik frühneukantianischer Art gegen die spekulativen Überlegungen des „Deutschen Idealismus“ auf der Linie Fichte-Hegel-Schelling mit einer soliden geführten Apologetik des Judentums wider rationalistische Religionsphilosophie und romantisch inspirierte Religionsgeschichte. Steinheim hat früh erahnt und richtig gesehen, daß ein sich argumentativ gebender Antijudaismus hier seine stärksten Stützen finden würde. Hier warnte nicht nur das Beispiel Spinoza, sondern auch die unverblümte antijüdische Polemik, wie sie sich im Werk etwa Ferdinand Christian Baurs oder Ignaz von Döllingers, zweier bedeutender Religionswissenschaftler seiner Zeit, findet.36 Und tatsächlich: es war die Religionsphilosophie des Deutschen Idealismus in Verbindung mit Einsichten der religionsgeschichtlichen Schule, die den prononciertesten Antijudaismus nationalsozialistischer Christen, etwa Gerhard Kittels oder Emanuel Hirschs, inspirierte.37
Die Argumentationslinie scheint zwingend: Vor dem Richterstuhl einer aufgeklärten Vernunft gerät nicht nur die Zuverlässigkeit der biblischen Zeugnisse in Beweisnot, sondern auch ihr Inhalt. Wie soll es vernünftig begründet sein, daß Gott sich partikular einem kleinen Hirtenvolk zuwandte und nur ihm die Botschaft von Freiheit und Erlösung vermittelte, nicht aber allen Menschen? Endlich: wenn Vernunft autonom geworden ist, so wird sie sich nicht mehr der Vorgegebenheit eines Textes unterwerfen, sondern das, was sie allein als Gott begreifen kann, nämlich das Absolute, aus eigener Kraft konstruieren. Zudem: historische Forschung schien zu zeigen, daß das Judentum weder die älteste, noch gar die erhabenste Religion war. Die entstehende Orientalistik entdeckte den Glauben Alt-Irans ebenso wie die Systeme etwa des alten Babyloniens, und einem vorurteilsfreien Blick mußten sofort Ähnlichkeiten zwischen diesen Bildungen und dem Judentum auffallen. Schließlich erscheint das Judentum als ein ephemeres Resultat altorientalischer Religionsentwicklung, als doch eher begrenztes Durchgangsstadium zum Christentum, in dem durch den Einfluß der griechischen Philosophie die spekulative Vernunft schon immer ihr Recht hatte. Endlich wirkt das Judentum als bornierte Religion, die weder die Tiefe der Menschheitsgeschichte noch die Höhe des spekulativen, vernünftigen Gedankens zu akzeptieren bereit ist. Unter diesen – im neunzehnten Jahrhundert tatsächlich so verlaufenden – geistespolitischen Fronten konnte im Gegenzug zwischen Historismus und Spekulation nur der Rückgriff auf positive (Natur)-Wissenschaft, auf autonome Moral und eben „Offenbarung“ helfen! An diesem Zentralbegriff eines autonom gewordenen, von jeder menschlichen Vermittlung freien Glaubens muß sich erweisen, ob die Tradition biblischen Denkens nach der Aufklärung noch eine Chance haben kann. Wenn sich zeigen läßt, daß die Selbstoffenbarung des biblischen Gottes am Sinai wenigstens nicht im Widerspruch zum empirischen und kausalitätsgebundenen Denken der modernen Naturwissenschaft steht, dann mag es nicht nur möglich, sondern geradezu geboten sein, diesem Gott zu glauben, wenn anders Freiheit, Moral und Menschenwürde nicht verspielt werden sollen. So sehr nun die Geschichte eines idealistisch instrumentierten Christentums und seiner antisemitischen Konsequenzen Steinheim recht gegeben haben mag, so wenig ist der Sache nach entschieden. Denn zwar gilt auch vom Denken, daß man es an seinen Früchten erkennen solle, gleichwohl muß sich ein argumentativ auftretendes Denken auch an der Güte seiner Argumente prüfen lassen. Da Steinheim, anders als die jüdische Altorthodoxie, nicht schlicht auf dem Glauben beharrt, sondern die Vernünftigkeit des Festhaltens an ihm diskursiv begründen möchte, sind diese Argumente selbst diskursiv zu überprüfen. Zudem ist zu fragen, ob der Gegner, gegen den er sich richtet, nämlich die von ihm so genannten „Mythophilosopheme“, die in der von Steinheim eher peripher erwähnten Philosophie Schellings ihren deutlichsten Ausdruck gefunden haben, von ihm angemessen bekämpft wird.38 Tatsächlich war die geistespolitische Lage komplizierter, als sie sich bisher darstellte. Denn die große idealistische Philosophie der Fichte, Hegel und Schelling war keineswegs bereit, der sich erneuernden orthodoxen Religion, sei sie nun jüdischer oder christlicher Provenienz, den Begriff der „Offenbarung“ kampflos abzutreten, im Gegenteil: die spekulative Durchdringung der menschlichen Geschichte überbot Spinozas Gedanken eines mit der Natur identischen Gottes durch die Idee eines sich durch die Geschichte entfaltenden und somit offenbarenden Gottes. Eine den biblischen Glauben verteidigende Position muß also nicht nur den Begriff „Offenbarung“ als vernünftig rekonstruierbar ausweisen, sondern zudem noch die Position behaupten, daß diese Offenbarung sich als punktuelles Ereignis in der Geschichte und nicht als der geschichtliche Prozeß selbst abgespielt habe. Im Werk des späten Schelling schießen jene Elemente, die Steinheim wechselseitig bekämpft hatte, nämlich eine rationalistische Gottesspekulation sowie eine Geschichte der religiösen Ideen zusammen, nehmen die subjektive Versenkung in Geschichten und die objektive Konstruktion einer Gottesidee, die Gestalt einer Philosophie der Mythologie und Offenbarung an.39 Darum wird im Folgenden zunächst Steinheims Begriff der „Offenbarung“ erläutert, um ihn anschließend mit Schellings Überlegungen zu einer Philosophie der Offenbarung wenigstens skizzenhaft zu konfrontieren. Abschließend soll die Frage gestellt werden, ob ein Offenbarungspositivismus, wie ihn die neuere evangelische dialektische Theologie seit Karl Barth gepflegt hat, für das Judentum eine Möglichkeit ist.