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2.2Ermittlungsansätze

Die rechtskräftige Verurteilung eines Täters ist das Ende einer langen Kette von Ereignissen und Handlungen, bei der formal gesehen drei Stufen zu unterscheiden sind. Im Ermittlungsverfahren wird untersucht, was überhaupt passiert ist, ob es sich um eine strafbare Handlung handelte und ob man einen Täter dafür ermitteln kann. Das Ermittlungsverfahren wird von der Staatsanwaltschaft geleitet. Die Polizei ist als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft zwar die Institution, die die eigentlichen Ermittlungen durchführt, jedoch immer in Absprache mit der Staatsanwaltschaft. Am Ende eines Ermittlungsverfahrens wird dieses entweder eingestellt oder es kommt zu einer Anklage. In letzterem Fall werden die gesamten Akten samt Anklageschrift an das zuständige Gericht geleitet. Dieses prüft den Sachverhalt und entscheidet, ob die Anklage zugelassen wird oder nicht. Dieses Verfahren nennt man Zwischenverfahren. Wenn die Anklage zugelassen wird, dann beginnt das Hauptverfahren, in dem eine Gerichtsverhandlung geplant, terminiert und durchgeführt wird, an deren Ende meistens ein Urteil steht. Unter gewissen Umständen besteht auch die Möglichkeit, dass das Verfahren eingestellt wird. In Gerichtsverhandlungen gelten die Prinzipien der Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit und der Öffentlichkeit. In das Urteil darf nur das einfließen, was im Rahmen der Hauptverhandlung vorgetragen wurde (Mündlichkeit), die Prozessbeteiligten (Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidigung, ggf. Nebenklage) müssen sich selbst ein Bild von den Beweismitteln machen können (Unmittelbarkeit) und die Öffentlichkeit soll sicherstellen, dass das Verfahren gerecht und nachvollziehbar abläuft.

Gemessen an der Anzahl der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und am personellen, zeitlichen wie auch materiellen Aufwand der einzelnen Ermittlungen sind Verurteilungen vergleichsweise selten. Die meisten Ermittlungsverfahren werden eingestellt, weil sich zeigt, dass keine Straftat vorliegt. Und selbst wenn ein Tatverdächtiger ermittelt werden kann, bedeutet das keineswegs, dass er auch verurteilt wird. Das geht nämlich nur, wenn seine Schuld vom Gericht zweifelsfrei festgestellt werden kann. Bis dahin ist es ein weiter Weg.

Wissen | Ermittlungsfragen

Bei einer Ermittlung stehen drei Fragen im Mittelpunkt:

•Was ist passiert?

•Wer hat es getan?

•Wie kann man den Täter überführen?

So einfach diese Fragen sind, so schwer sind sie oftmals zu beantworten. Eine Ermittlung wird gerne mit dem Zusammensetzen eines Puzzles verglichen, wobei dieser Vergleich hinkt. Denn während bei einem echten Puzzle die Anzahl der Teile und das dargestellte Motiv bekannt sind, weiß man bei den Ermittlungen in einem Kriminalfall nicht, wie viele Steine das Puzzle hat, ob man alle Teile findet, ob nicht manche der Teile, die man gefunden hat, zu einem anderen Puzzle gehören und welches Bild dargestellt werden soll. Wenn man sich dieser Einschränkungen bewusst ist, dann ist der Vergleich jedoch durchaus brauchbar. Auch im Idealfall ist das zusammengesetzte Puzzle zwar eines, das Lücken aufweist und bei dem einige Teile übrigbleiben. Das dargestellte Bild ist aber eindeutig zu erkennen.

Ermittlungen der Polizei beginnen mit dem Anfangsverdacht, es könnte eine strafbare Handlung vorliegen. Wenn sich das bestätigt, dann gibt es zwei Schwerpunkte, nämlich die Feststellung der Tat („Was ist passiert und wie ist es abgelaufen?“) und die Feststellung des Täters („Wer war es und wie kann man ihm das beweisen?“). Die Ermittlungsansätze sind – je nach Tat und Sachlage – vielgestaltig. Bei Tötungsdelikten gehören zum Kreis der möglichen Verdächtigen zum Beispiel Personen, die einen Bezug zum Opfer oder zum Tatort haben, die ein mögliches Motiv haben oder die in der Nähe des Tatorts im Tatzeitraum gesehen wurden. Wenn Spuren am Tatort gesichert werden können, die einem möglichen Tatverdächtigen zugeordnet werden können, erhöht sich der Verdacht ebenso, wie wenn beispielsweise Verletzungen oder Blutspuren, die von der Tat stammen können, an dieser Person oder seiner Bekleidung gefunden werden. Die Ansätze zur Täterermittlung werden als „Weingart’sches Gerippe“ bezeichnet, benannt nach dem Juristen Albert Weingart, der dieses in seinem Buch „Kriminaltaktik“ von 1904 vorstellte.

Wissen | Weingart’sches Gerippe

•Anwesenheit am Tatort: Wer war am Tatort? Festzustellen über Zeugen, vom Täter zurückgelassene Gegenstände, Spuren oder Alibiüberprüfungen von Verdächtigen

•Eigenschaften, Fertigkeiten, Charakter des Täters: Welche geistigen und körperlichen Eigenschaften muss der Täter besitzen? Welche Fertigkeiten muss der Täter besitzen? Wer hatte Kenntnisse bestimmter Umstände? Auf welchen Charakter lässt die Tat schließen?

•Tatmittel und Werkzeuge: Wem gehört das zur Tat benutzte Mittel? Wer hat das Werkzeug angefertigt, gekauft, verkauft oder sich geliehen? Auf welchen Beruf lässt das Werkzeug schließen?

•Beweggrund zur Tat: Anlass (Hass, Rache, Eifersucht, …), sexuelle Triebe, Endzweck, geistige Störung

•Wille zur Tat: Wer offenbarte den Willen zur Tat durch schriftliche oder mündliche Äußerungen, durch Vorbereitungen, durch Schutzmaßnahmen gegen Überführung oder Entdeckung oder durch Vorkehrungen zur Sicherung der Vorteile des Verbrechens?

•Physische Wirkungen auf den Täter: Wer hat Veränderungen an Körper oder Kleidung? Wer hat einen direkten materiellen Nutzen des Verbrechens?

•Psychische Wirkungen auf den Täter: Was deutet auf Schuldbewusstsein hin? Wer zeigte Schuldbewusstsein? Wer zeigte auffälliges Interesse über den Stand der Ermittlungen? Wer hatte besondere Kenntnisse des Tathergangs? Wer kennt Details, die nur der Täter wissen kann?

Ermittlungen dienen dazu, Fakten zu sammeln, sie zu sortieren, zu werten, aus ihnen Hypothesen zu formen und diese dann zu überprüfen. Eine Hypothese ist eine logische Aussage, deren Gültigkeit möglich, aber (noch) nicht bewiesen oder widerlegt ist. Sie basiert auf überprüfbaren Bedingungen, wie Befunde, Aussagen, Erfahrungssätze, Naturgesetze oder anderes. Der Wert einer Hypothese ist abhängig von der Belastbarkeit dieser Bedingungen. Wichtig ist dabei, Hypothesen nicht mit Fantasien zu verwechseln: Nicht alles, was überhaupt denkbar ist, ist auch wahrscheinlich. Man kann schon aus ermittlungsökonomischer Sicht nicht alles berücksichtigen, was theoretisch entfernt in Betracht kommen kann. So ist es wenig wahrscheinlich, dass, wenn ein Mann mit Stichverletzungen in einer von innen verschlossenen Wohnung in einer großen Blutlache liegt, er durch einen Außerirdischen ermordet wurde, der sich nach der Tat entmaterialisierte und deshalb keine Fußspuren am Tatort hinterließ.

Es empfiehlt sich vielmehr das nach dem Philosophen und Theologen William von Ockham (1288–1347) als „Ockham’sches Rasiermesser“ benannte Prinzip zu beachten, nach welchem von mehreren möglichen Erklärungen für einen Sachverhalt die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen ist. Eine Theorie ist dann einfach, wenn sie möglichst wenige Variablen enthält und diese in klaren Beziehungen zueinanderstehen, sodass sich der zu erklärende Sachverhalt logisch erschließt.

Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass man sich als Ermittler möglichst rasch auf eine Theorie versteifen und die anderen Möglichkeiten außer Acht lassen sollte, im Gegenteil: Es ist ratsam, zunächst einmal möglichst viele Fakten zu sammeln, bevor man ausgefallene Hypothesen entwirft oder Theorien über einen Fall aufstellt. Der Bemerkung des fiktiven Detektivs Sherlock Holmes in der Geschichte „Ein Skandal in Böhmen“ (Arthur Conan Doyle, 1891) ist diesbezüglich nichts hinzuzufügen:

„Es ist ein kapitaler Fehler, eine Theorie aufzustellen, bevor man entsprechende Anhaltspunkte hat. Unbewusst beginnt man Fakten zu verdrehen, damit sie zu den Theorien passen, statt dass die Theorien zu den Fakten passen.“

Voreingenommen zu sein ist sicherlich einer der größten Fehler, die ein Kriminalist begehen kann. Es gibt aber noch ein paar mehr.

Wissen | Was ist schädlich für einen Kriminalisten?

•Meinung ohne Fakten

•Meinung anstatt Wissen

•Verwechslung von Fantasie und Hypothese

•Lernunwillen

•Voreingenommenheit

•Ungeduld

•Selbstüberschätzung

•fehlende soziale Kompetenz

•übermäßiges emotionales Engagement

Man kann, um den Juristen und ehemaligen Professor für Strafrecht an der Universität Bern Hans Walder (1920–2005) zu zitieren, aber auch eine Positivliste von Kriterien aufstellen, die ein Kriminalist erfüllen sollte.

Wissen | Was benötigt ein Kriminalist?

•Beobachtungsgabe

•rasche Auffassungsgabe

•gutes Gedächtnis

•konsequentes, scharfsinniges Denken

•Fantasie

•Selbstkritik

•Optimismus

•Geduld, bei Bedarf auch Verbissenheit

•Ehrgeiz

2.3Befunde, Spuren, Beweise

Ein Beweis ist definitionsgemäß eine Kette von Schlussfolgerungen, die die Wahrheit einer Behauptung belegt. Beweise sind die Grundlage einer richterlichen Entscheidung. Ganz grob – und ohne, dass diese Einteilung einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt oder die juristischen Feinheiten berücksichtigt – kann man Personenbeweise von Sachbeweisen unterscheiden.

Ein Personenbeweis ist beispielsweise eine Zeugenaussage. Zeugen sollen wahrheitsgemäß das wiedergeben, was sie von einer bestimmten Sache mitbekommen haben, sollen ihre Erinnerung an einen Vorgang ohne Wertung und ohne Veränderung wiedergeben. Diese Anforderung muss in vielen Fällen kritisch gesehen werden: So wie die Wahrnehmung abhängig ist von der Vorinformation, dem Wissen, der konkreten Situation und den individuellen Fähigkeiten zur Beobachtung, so ist die Erinnerung abhängig vom Umfang der Wahrnehmung, von der emotionalen und verstandesmäßigen Bewertung eines Vorfalls, von der Häufigkeit vergleichbarer Ereignisse im sonstigen Leben und von der seither verstrichenen Zeit.

Ein Sachbeweis ist hingegen im weitesten Sinn gegenständlich fassbar. Er basiert auf einem oder mehreren Befunden, wie sie etwa Beschädigungen an einem Fahrzeug, Verletzungen, Blutspuren, Schuhabdrücke, Fingerabdrücke oder auch Laborergebnisse darstellen. Damit diese Befunde aber zu einem Beweis werden, bedürfen sie der Interpretation durch Sachverständige. Die wissenschaftliche Kriminalistik beschäftigt sich mit den Sachbeweisen und versucht, kriminalistische Fragen mit den Kenntnissen und Methoden der Wissenschaft zu beantworten.

Grundlage eines jeden Beweises sind Befunde. Hierbei kann es sich um die unterschiedlichsten Dinge handeln: Gegenstände, Zeugenaussagen, Verletzungen, Ergebnisse von Laboruntersuchungen, menschliches Verhalten, Banküberweisungen und vieles mehr. Befunde können etwas mit einer Tat zu tun haben, sie können aber auch davon völlig unabhängig sein: Eine weggeworfene Zigarettenkippe an einem Tatort kann vom Täter stammen oder dort nur zufällig liegen.

Damit ein Befund zur Spur wird, muss eine Hypothese erstellt („Zigarettenkippe stammt vom Täter“) und überprüft werden (DNA-Vergleich mit einem Tatverdächtigen). Aber auch dann ist eine Spur noch nicht eindeutig (Zigarettenkippe kann zwar einem Tatverdächtigen zugeordnet werden, beweist aber noch nicht die Täterschaft).


Abb. 2: Vom Befund zum Beweis

Um einen Beweis zu führen, braucht es mehrere Spuren und weitere Hypothesen. Bildlich gesprochen ist die Spur ein Puzzleteil. Ein Beweis sind mehrere benachbarte Puzzleteile, die zusammen einen Ausschnitt des gesuchten Bildes darstellen.

Durch den französischen Arzt, Juristen und Kriminalisten Edmond Locard (1877–1966) wurde das Prinzip der gegenseitigen Spurenübertragung erkannt und beschrieben:

„Überall dort, wo er geht, was er berührt, was er hinterlässt, auch unbewusst, all das dient als stummer Zeuge gegen ihn. Nicht nur seine Fingerabdrücke oder seine Fußabdrücke, auch seine Haare, die Fasern aus seiner Kleidung, das Glas, das er bricht, die Abdrücke der Werkzeuge, die er hinterlässt, die Kratzer, die er in die Farbe macht, das Blut oder Sperma, das er hinterlässt oder an sich trägt. All dies und mehr sind stumme Zeugen gegen ihn. Dies ist der Beweis, der niemals vergisst.“

Wenn beispielsweise von einem Täter Schläge mit einem Hammer gegen den Kopf des Opfers geführt werden, dann finden sich Antragungen von Blut, Gewebe und Haaren am Hammer, aber auch Abriebe von Schmutz oder Lackpartikel vom Hammerkopf in der Wunde. Das Locard’sche Prinzip ist insbesondere bei gegenständlichen Spuren gut nachvollziehbar, gilt aber nicht nur für diese. So hinterlässt die Tat auch psychologische Spuren beim Täter, was beispielsweise in Verhaltensänderungen auffällig werden kann, wie auch schon im letzten Punkt des Weingart’schen Gerippes (s. o.) erwähnt wurde.

Es gibt keine Legaldefinition dafür, was eine Spur ist. Die Vielfalt der Möglichkeiten wird in den zahlreichen Versuchen sichtbar, eine Systematik der Spuren zu erstellen. Keine davon ist falsch, alle sind sie unvollständig. Für die gegenständlichen Spuren hat sich in der kriminalistischen Praxis die folgende Einteilung als praktikabel erwiesen.

Im Idealfall kann eine Spur sowohl dazu dienen einen Tatablauf zu rekonstruieren als auch die Identität des Spurenlegers festzustellen. Letzteres geschieht bei Fingerspuren über den daktyloskopischen Vergleich, bei vielen anderen Spuren über den Vergleich mit dem DNA-Profil.


Abb. 3: Systematik der gegenständlichen Spuren

Spuren sind so etwas wie die Essenz der Kriminalistik. Die Aufklärung eines Falls steht und fällt mit ihnen. Für gegenständliche Spuren hat sich die Abfolge der folgenden fünf Schritte als notwendig herausgestellt, um aus einer Spur auch einen Beweis machen zu können: Erkennen – Dokumentieren – Sichern – Kategorisieren – Rekonstruieren.

Wissen | Prinzipien der Spurensicherung

•Fünf Schritte: Erkennen – Dokumentieren – Sichern – Kategorisieren – Rekonstruieren

•Eine Spur ist unwiederbringlich verloren, wenn sie nicht richtig erkannt, gesichert und aufbewahrt wird.

•Die Methode der Spurensicherung ist abhängig von der nachfolgenden Untersuchungsmethode.

•Jede Spur muss so gesichert werden, dass eine nachträgliche Verfälschung, Veränderung oder Verunreinigung ausgeschlossen werden kann.

•Bei jeder gesicherten Spur muss jederzeit nachvollziehbar sein, wo, wann, wie und von wem sie gesichert wurde und wer sie in der Folge in Verwahrung hatte („chain of custody“).

Es handelt sich dabei primär um die Aufgabe der Kriminalpolizei, die hierfür eigene Dezernate eingerichtet hat. Für die Spurensuche kommen je nach gesuchter Spurenart verschiedene Beleuchtungseinrichtungen (Tatortleuchte, UV-Lampe, Infrarotfotografie), chemische Verfahren (z. B. Luminol für den Blutspurennachweis, Ninhydrin, Jod oder Cyanacrylat für die Suche nach Fingerabdrücken) oder biologischmedizinische Vorteste (z. B. Hemastix für Blutnachweis) zum Einsatz. Die Spurendokumentation erfolgt durch Beschreibung (Lokalisation, Art, Größe, Farbe, Gewicht und andere physikalisch-chemische Eigenschaften nach Bedarf) und durch Fotografie. Die Spurensicherung erfolgt gelegentlich im Original, häufiger aber durch Klebefolien oder – vor allem für den Nachweis von DNA – durch Abriebe mit DNA-freien Tupfern.

Fallbeispiel | Das Phantom von Heilbronn

Das Phantom von Heilbronn war die zwischen 2007 und 2009 in Europa am intensivsten gesuchte Verbrecherin. Auf ihr Konto gingen seit 1993 zahlreiche Diebstähle, Einbrüche, aber auch Raubüberfälle, Körperverletzungen und mehrere Tötungsdelikte in Deutschland, Österreich und Frankreich, darunter auch der Überfall auf einen Streifenwagen auf der Heilbronner Theresienwiese am 25.04.2007, bei dem eine Beamtin getötet und ein Beamter durch einen Kopfschuss schwer verletzt wurde. Diese Tat, welche zudem am helllichten Tag stattfand, war Namensgeberin für das Phantom von Heilbronn. Allen Taten gemeinsam war, dass bei der polizeilichen Spurensicherung und anschließenden Auswertung der DNA-Spuren immer wieder der genetische Fingerabdruck derselben Frau gefunden wurde und es gleichzeitig kaum andere hinweisende Spuren oder gar brauchbare Zeugenaussagen zu der Person gab. Die Breite der Straftaten und die geografische Verteilung verwirrte noch mehr.

Durch operative Fallanalysen (→ Kapitel 9.7) ging man davon aus, dass es sich um eine junge Frau, möglicherweise von männlichem Habitus handle, die Kontakte zur Drogenszene habe und sehr mobil sei. Schließlich konnte nachgewiesen werden, dass es sich bei den Spuren um Verunreinigungen der zur Spurensicherung verwendeten Wattetupfer handelte und die vermeintliche Täterin eine Arbeiterin eines Herstellers war, es die gesuchte Serientäterin also gar nicht gab und die vermeintlich verknüpften Verbrechen nicht von derselben Person verübt worden waren. Dies führte dazu, dass für die Spurensicherung seither DNA-freie Tupfer verwendet werden. Der Überfall auf den Streifenwagen in Heilbronn konnte später dem nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zugeordnet werden.

Die Kategorisierung erfolgt einerseits nach dem Ort, an dem die Spur gesichert wurde, andererseits nach der Spurenart. Letztendlich dienen alle Spuren der Rekonstruktion eines Tathergangs. Je eindeutiger diese gelingt, desto größer ist der Beweiswert der daran beteiligten Spuren.

Wissen | Vorgehen bei der Sicherung von DNA-Spuren

•DNA-freie Tupfer verwenden

•bei angetrockneten Spuren Tupfer mit Aqua bidest befeuchten und Spur mit mäßigem Druck unter drehenden Bewegungen abreiben

•bei feuchten Spuren diese mit Tupfer mit mäßigem Druck unter drehenden Bewegungen abreiben

•Mundschutz und Handschuhe bei der Asservierung der Spuren tragen

•mögliche Kontamination durch andere Personen oder Spuren vermeiden

•Tupfer und Spurenträger im Original jeweils einzeln verpacken

•feuchte Spuren trocknen lassen

•verpackte Spurenträger eindeutig beschriften: wo, wann, von wem entnommen

•Spuren trocken und bis maximal Raumtemperatur lagern

•Blut- und Urinproben einfrieren

Auch medizinische Befunde können zu Spuren werden. Die Feststellung und Dokumentation, vor allem aber die kriminalistische Bewertung von Verletzungen, Leichenerscheinungen oder Laborbefunden ist originäre Aufgabe der Rechtsmedizin. Aber auch hier gilt, dass Spuren mehrdeutig sind und ihre Bewertung nur in der Zusammenschau mit anderen Spuren sowie den Umständen des Falles gelingen kann. So kann aus einer Verletzung allein – etwa einer Schusswunde am Kopf – nicht automatisch abgeleitet werden, ob sie vom Opfer selbst oder von einem Fremdtäter beigebracht wurde. Es gibt aber Kriterien für die eine und die andere Variante.

3Rechtsmedizinische Untersuchungsmethoden
3.1Lokalaugenschein

Mit „Lokalaugenschein“ wird die rechtsmedizinische Besichtigung eines Tatorts bezeichnet. Für den Begriff des Tatorts gibt keine gesetzliche Definition. Von manchen wird jeder Ort, an dem Täter bei der Vorbereitung oder der Durchführung einer Straftat gehandelt hat, als Tatort bezeichnet. Andere unterscheiden im Hinblick auf Tötungsdelikte zwischen dem Tatort, an dem die Tötung stattfand, und dem Fundort, an dem der Leichnam gefunden wurde. Beide Orte können identisch sein, müssen es aber nicht.

Die Untersuchung eines Tatorts ist primär eine polizeiliche Aufgabe. Der Erstangriff wird von der (uniformierten) Schutzpolizei vorgenommen; wenn Personen verletzt sind, dann sind auch Rettungskräfte vor Ort. Aufgabe der Schutzpolizei ist es, den Tatort zu sichern, erste orientierende Feststellungen zu treffen und Ermittlungen durchzuführen und die dann eintreffende Kriminalpolizei zu unterstützen. Die Arbeit der Kriminalpolizei wird als Auswertungsangriff bezeichnet. Sie hat zum Ziel, den Tathergang möglichst umfassend aufzuklären. Das beinhaltet sowohl die Ermittlungen auf subjektiver Ebene, also die Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten, als auch die Sicherung von Spuren. Je nach Delikt werden von den lokalen Kriminalpolizeidienststellen dazu auch Spezialisten der Landeskriminalämter oder nicht-polizeiliche Experten hinzugezogen. Zu letzteren gehören die Rechtsmediziner.

Der rechtsmedizinische Lokalaugenschein geschieht also im Auftrag von Polizei oder Staatsanwaltschaft, wenn diese die Anwesenheit einer Rechtsmedizinerin vor Ort für die Aufklärung eines Sachverhalts für notwendig ansehen. Das ist insbesondere bei Tötungsdelikten oder unklaren Leichenfundsituationen der Fall, manchmal werden Rechtsmediziner aber auch bei der Rekonstruktion von Verkehrsunfällen oder zur Beurteilung von Blutspurenmustern herangezogen. Es gibt keine gesetzliche Vorgabe dafür, Rechtsmediziner an einen Tatort zu holen – aber es macht durchaus großen Sinn, da die interdisziplinäre Zusammenarbeit, der fachlich unterschiedliche Blickwinkel auf dieselben Gegebenheiten letztendlich zu mehr Erkenntnissen führt, als wenn jede beteiligte Institution für sich allein und ohne Austausch mit den anderen arbeitet.

Beim Lokalaugenschein wird der informative Lokalaugenschein vom rekonstruktiven Lokalaugenschein unterschieden. Ersterer findet beim ersten Auswertungsangriff, also vor der Obduktion statt.

Wissen | Aufgaben der Rechtsmedizin beim informativen Lokalaugenschein

•Beurteilung der Spurenlage

•Unterstützung der Kripo bei Spurensicherung

•Leichenschau

•Feststellung von Verletzungen

•erste Einschätzung von Todesart und Todesursache

•Eingrenzung des Todeszeitpunkts

•vorläufige Einschätzung des Tathergangs

Grundlegendes Prinzip der Tatortarbeit ist es, möglichst alle Spuren zu sichern und zu dokumentieren, um gegebenenfalls auch zu einem späteren Zeitpunkt Fragen beantworten zu können, die sich in der frühen Ermittlungsphase gar nicht stellten. Die Dokumentation erfolgt durch wörtliches Beschreiben, Fotografieren und Filmen bis hin zur dreidimensionalen Vermessung, mit der man später eine virtuelle Tatortbesichtigung am Computer vornehmen kann. Bei der Spurensicherung bestimmen die Schwere und Komplexität des Delikts den jeweiligen Umfang der Maßnahmen. Gesucht und gesichert werden Fasern, biologisches Material (Blut, Sperma, Haare etc. zur Untersuchung auf DNA-Spuren) genauso wie mögliche Tatmittel und Fingerabdrücke. Besonderes Augenmerk liegt auf geformten Spuren wie beispielsweise Schuhabdrücken und gegebenenfalls auf dem Verteilungsmuster von Blutspuren, da diese für die Rekonstruktion von Tathergängen sehr aussagekräftig sind.

Es liegt in der Natur der Sache, dass im Rahmen der Tatortbesichtigung Spuren zerstört werden. Jede Bewegung vor Ort bedeutet bereits eine Veränderung der Originalsituation. Darum gibt es einige grundlegende Regeln für das Verhalten an einem Tatort.

Wissen | Grundlegende Regeln für das Verhalten am Tatort

•ruhig und konzentriert bleiben

•Spurensicherungsanzug, Handschuhe und Mundschutz tragen

•Situation detailliert und in Ruhe erfassen, auf typische und atypische Befunde achten

•nicht gleichzeitig schauen und laufen, vor jedem Schritt auf den Boden schauen

•Gegenstände erst nach vorheriger Betrachtung und Dokumentation anfassen

•nicht frühzeitig über den Tathergang spekulieren

Es ist nur allzu menschlich – und ein typischer Anfängerfehler – sich nach den ersten Eindrücken bereits auf einen wahrscheinlichen Tathergang festzulegen, insbesondere wenn die Befunde scheinbar eindeutig sind. In diesem Fall wird alles, was nicht in diese Theorie passt, ausgeblendet. Das bedeutet nicht, dass keine Hypothesen gebildet werden sollen. Es gilt aber, diese mit den vorgefundenen Fakten zu überprüfen (→ Kapitel 2.3).

In vielen Fällen ist die Einschätzung der Todesart nicht auf den ersten Blick sicher möglich. So können Todesfälle aus innerer Erkrankung mit Blutungen nach außen einhergehen, was dann zu der Annahme eines gewaltsamen Todes führt. Und selbst offensichtliche Gewalteinwirkungen, wie etwa Stichverletzungen, können sowohl durch eigene Hand als auch durch fremde Hand entstanden sein. Man benötigt eine gewisse Erfahrung, um typische Situationen wie etwa einen Suizid mit Stichen in die Herzregion als einen solchen zu erkennen und von einem Tötungsdelikt abzugrenzen. Das betrifft alle Arten von Todesfällen. Mit dem Wissen des Typischen kann man sich dann gezielt auf die Suche nach Atypischen machen, wie Diskrepanzen zwischen Spurenbild und Verletzungen oder nachträglichen Veränderungen am Tatort oder am Leichnam. Die Gründe für solche nachträglichen Veränderungen durch den Täter sind vielfältig. So können sie dem Verwischen von Spuren dienen, im Extremfall die Ermittler auf eine falsche Fährte führen, was man als Tatortinszenierung bezeichnet. In anderen Fällen sind sie Ausdruck innerer Bedürfnisse des Täters. So ist es beispielsweise typisch für eine engere persönliche Beziehung des Täters zum Opfer, wenn er die Getötete anschließend in eine schlafende Position bringt und sie zudeckt, was man als „emotionale Wiedergutmachung“ („Undoing“) bezeichnet. Nicht jedes Zudecken eines Leichnams ist aber gleichbedeutend mit einem Undoing. So kann der Verstorbene auch vom Leichenfinder oder nach der Feststellung des Todes von den Rettungskräften abgedeckt worden sein. Und keineswegs kann man davon ausgehen, dass der Tatort unverändert geblieben ist, wohinter nicht einmal das Motiv der Spurenverwischung liegen muss: Es ist beispielsweise nicht ungewöhnlich, dass ein Leichenfinder Fenster und Türen öffnet, um den Geruch zu beseitigen, herumliegende Dinge auf die Seite räumt oder gar saubermacht. Es ist daher wichtig, sich einige grundlegende Fragen in Bezug auf die Situation und die Umstände zu stellen.

Wissen | Fragen am Leichenfundort

•Wer ist die/der Verstorbene?

•Welchen Bezug hat das Opfer zum Fundort?

•Gibt es Hinweise auf eine Gewalttat?

•Ist der Fundort auch der Tatort?

•Wer hat die Leiche gefunden?

•Wurde die Position des Leichnams verändert?

•Wurde etwas am Fundort verändert?

Für die Rechtsmedizinerin ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass sie am Tatort zwar ihre vorläufige Einschätzung zum Tathergang abgeben soll, der Leichnam aber zunächst einmal ebenfalls eine kriminalistische Spur ist, die entsprechend gesichert werden muss. Die Leichenschau kann also erst nach Freigabe durch die Beamten der Spurensicherung erfolgen und jegliche Veränderung sollte am besten durch Fotografie oder Film dokumentiert werden. In aller Regel wird man sich vor Ort mit einer orientierenden Leichenschau begnügen, um möglichst wenig Spuren zu zerstören. Darüber hinaus gehört es zur Aufgabe der Rechtsmedizinerin, die Parameter zur Eingrenzung des Todeszeitpunkts zu erheben (→ Kapitel 3.2).

Der rekonstruktive Lokalaugenschein findet nach der Obduktion statt. Zu diesem Zeitpunkt liegen schon genauere Erkenntnisse und Ermittlungsergebnisse vor. So weiß man beispielsweise nach der Obduktion, ob das Opfer Verletzungen von Schlagadern (Arterien) hatte, was bei der Beurteilung von Blutspurenmustern am Tatort wichtig ist. Man weiß, ob die Verletzungen sehr rasch zur Handlungsunfähigkeit führten oder ob das Opfer noch längere Zeit in der Lage war, sich zu wehren oder zu fliehen. Man kann im Idealfall die Reihenfolge der Verletzungsentstehung am Tatort nachvollziehen. Wenn ein Beschuldigter festgenommen wurde und dieser Angaben zum Tathergang macht, dann kann man diese ebenfalls am Tatort versuchen, anhand der Spurenlage zu überprüfen.

Die Analyse des Blutspurenverteilungsmusters wird in den deutschsprachigen Ländern häufig von Rechtsmedizinern vorgenommen. Das ist durchaus sinnvoll, handelt es sich doch um biologische Spuren, die im Rahmen von Verletzungen oder Erkrankungen entstanden sind und für deren Beurteilung medizinisches Wissen hilfreich ist. Blutspuren entstehen bei allen mechanischen Gewalteinwirkungen, bei denen es zu Verletzungen der Haut zu Lebzeiten kam. Darüber hinaus gibt es zahlreiche krankhafte Zustände, bei denen ebenfalls Blutungen nach außen auftreten können, wie etwa Magenschwüre, Tumore des Rachens, des Kehlkopfes oder der Bronchien oder spontan rupturierte Krampfadern der Unterschenkel. Das erfahrungsbasierte Wissen um Blutspuren ist daher vergleichsweise groß, zudem können viele Fragestellungen rund um die Entstehung von Blutspuren, deren Alterung, ihre Nachweisbarkeit und ihre rekonstruktive Bedeutung experimentell nachgestellt werden, zumal auch die biophysikalischen Grundlagen und damit das Verhalten von Blut außerhalb des Körpers weitgehend verstanden sind. Für Blutspuren am Tatort gilt wie für alle Spuren das schrittweise Vorgehen: Erkennen – Dokumentieren – Sichern – Kategorisieren – Rekonstruieren. Flankierend kommen dazu Verfahren des Nachweises von Blut (nach Reinigung oder Alterung) und der Asservierung für DNA-Untersuchungen.

Wissen | Blutspurenkategorien

•passive Spuren: Tropfspuren, Blutlachen, Abrinnspuren

•Transferspuren: Wischspuren, Kontaktspuren

•Projektionsspuren: Spritzspuren, Abschleuderspuren, Ausatemspuren, Spritzschatten

•verschiedenes

Rekonstruktiv bedeutsam können alle sein. Besonders wertvoll sind jedoch Transferspuren, wie etwa blutige Handabdrücke oder Schuhspuren (Abb. 4), sowie Projektionsspuren.


Abb. 4: Blutspritzer und blutige Reifenspur auf dem Boden einer Garage

Als Beispiele für Projektionsspuren seien Spritzspuren aus Wunden und Abschleuderspuren von Werkzeugen genannt. Wenn beispielsweise mehrfach mit einer Eisenstange auf den Kopf des Opfers eingeschlagen wird, so werden bei jedem Ausholen und Zuschlagen Spritzer von der Stange abgeschleudert, die dann typische lineare bis bogenförmige Muster einnehmen, die man dann an einer Wand in der unmittelbaren Umgebung und an der Decke des Raumes finden kann. Gleichzeitig werden sich bei jedem Schlag auf den bereits blutigen Kopf Spritzer aus der Wunde radiär in der Nachbarschaft verteilen. Solche Spritzer sind dann auch am Täter bzw. dessen Bekleidung zu finden. Einen entsprechenden Befund bei experimenteller Nachstellung zeigt Abb. 5.

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