Kitabı oku: «Sweetland», sayfa 4
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Sweetland erreichte mit seiner Schiffsladung Überlebender im Schlepptau den Kai und warf Duke Fewer ein Seil hinauf. Sagt am Leuchtturm Bescheid, bat er. Seht zu, ob Bob-Sam die Küstenwache anfunken kann.
Wir haben nichts davon gehört, dass ein Schiff untergegangen ist, sagte Duke.
Nun, vielleicht waren sie auf einer Ruderfahrt unterwegs und haben sich verirrt. Ruf Bob-Sam an.
Es waren kleine, schmächtige Männer, mit großen Augen und wacklig auf den Beinen. Sweetland kletterte ins Boot, um ihnen zu helfen, als sie auf den Kai hochgehoben wurden. Von da half man ihnen zur Fisherman’s Hall, wo die Frauen sie in Decken wickelten und sich daranmachten, ihnen Suppe in den Mund zu löffeln.
Als das Boot leer war, saßen zwei noch immer achtern, die Sweetland jünger erschienen. Der größere hatte einen Arm um die Schultern des anderen gelegt, eine blaue Windjacke war über beide gebreitet. Sie sahen aus, als hätten sie keine Absicht, sich von da wegzubewegen, wo sie saßen.
Sweetland rief Duke, ohne den Blick von ihnen abzuwenden. Geh und hol den Reverend, sagte er.
Der Jüngere war tot und das wohl schon eine Weile. Der andere versuchte, sie mit der freien Hand abzuwehren, als sie auf ihn zu kamen.
Lass ihm eine Minute, sagte der Reverend.
In einer Minute wird der Junge auch nicht weniger tot sein, sagte Duke.
Gib mir eine Decke, ja, Moses?
Der Reverend bedeckte die beiden und ließ sich neben ihnen im Boot nieder. Ich rufe, wenn ich euch brauche, sagte er. Er hielt dem lebenden Mann eine Flasche Wasser an die Lippen und wischte ihm das Gesicht mit einem Taschentuch ab und sprach mit leiser Stimme zu ihm. Betete, wie Sweetland annahm, obwohl das wahrscheinlich nicht die Art von Gebet war, die sie gewohnt waren. Der Mann wandte den Blick nicht vom Gesicht des Reverends. Nach einer Weile stand der Reverend auf und rief nach Sweetland auf dem Kai.
Sie mussten den toten Jungen wegbringen und das war eine seltsame Aufgabe. Er wog fast nichts, doch die Leichenstarre hatte schon eingesetzt und der Körper war wie ein kunstvolles Möbelstück. Der lebende Mann war fast genauso steif und unbeholfen, gekrümmt und trat behutsam auf, als würde er über zerbrochenes Glas gehen.
Bring den anderen hoch zur Kirche, sagte der Reverend zu Sweetland. Ich bin in einer Minute da.
Er wartete mit Duke, bis sie außer Sichtweite waren, dann hoben sie den Leichnam auf den Kai. Sie brachten ihn zur Kirche, noch immer in seiner Sitzposition, die Knie fast bis zur Brust angezogen. Sweetland fasste den Leichnam unter den Armen, der Kopf war zur Seite geneigt, sodass es schien, als hätte er das Gesicht gehoben, um ihn anzusehen, aber Sweetland hielt den Blick starr nach vorn gerichtet, um den Anblick zu vermeiden. Ohne Absprache gingen sie am Haupteingang der Kirche vorbei zur Seitentür ganz hinten, zu dem Raum, wo der Reverend einen Schreibtisch hatte und seine Gewänder neben den lila Chorroben an einer Stange hingen. Sie wollten den toten Jungen nicht auf den Schreibtisch des Reverends legen und taten ihn stattdessen auf den Fußboden. Doch sie empfanden es beide als Respektlosigkeit, ihn dort liegen zu lassen, und Sweetland ging den Tisch aus dem Vorraum holen, wo gewöhnlich die sonntäglichen Gemeindebriefe auslagen.
Dann traten der Reverend und Ruthie direkt hinter ihm durch die Tür, und sie gingen alle durch den Mittelgang nach hinten, wo sie den Leichnam auf den Tisch hoben. Der Reverend wandte sich an Ruth. Haben wir ein Laken oder so etwas?, fragte er.
Sie war eine der Kirchenfrauen, die sonntags früh kamen und nach dem Gottesdienst noch blieben, um aufzuräumen, und sie verbrachte zwei Abende in der Woche im Altarraum, um den Boden zu wischen und die Fenster zu putzen und die Kerzenständer am Altar zu polieren. Sie ging zu einem Schrank voller Weihnachtskränze und unbeschriebener Mitteilungsblätter und Druckertinte und wühlte hinten herum, bis sie ein vergilbtes Altartuch fand. Sie war mit Clara schwanger, obwohl das noch niemand in der Bucht wusste. Die Frau half dem Reverend, den toten Jungen mit dem Laken zu bedecken, während sie mit gefalteten Händen um ihn herumstanden.
Es scheint nicht richtig, ihn hier hinten allein zu lassen, sagte Ruth.
Wir bringen ihn raus in den Altarraum, wenn wir Betten für die anderen gefunden haben. Setzen jemanden zu ihm.
Ruth wandte sich an den Pfarrer und legte ihm die Hand auf den Arm. Können wir das Vaterunser sprechen?
Er zögerte einen Augenblick, als wäre ihm bei diesem Wunsch irgendwie unbehaglich. Das wird gewiss keinen Schaden anrichten, sagte er schließlich.
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Die Fähre fuhr im strömenden Regen an der Mole entlang. Das Meer dahinter in Aufruhr. Die Besatzung mit hochgezogenen Schultern in neongelben Regenjacken an Deck, während sie die Trossen hinunterwarfen und die Gangway an den Kai legten.
Von Sweetlands Platz am eigenen Küchentisch aus war alles unscharf zu erkennen, Ränder und Farben durch den treibenden Regen verschleiert. Zwei Passagiere gingen von Bord, Männer in Jeansjacken und Baseballkappen, die Seesäcke dabeihatten. Sie blieben auf halbem Weg die Stufen hinunter stehen und reckten die Hälse zu den Deckarbeitern, die sich oben über das Geländer beugten. Das Wetter schien sie nicht zu stören, ihre Gesten wirkten ausladend und entspannt. Schließlich schob der hintere Mann den anderen vorwärts und sie gingen auf den Kai hinunter.
Sweetland blickte zum Kalender, der mit Reißzwecken neben dem Telefon an der Wand hing, und überlegte, seit wann die Priddle-Brüder aus Alberta zurückgekehrt waren. Irgendwann vor Weihnachten. Die zwei Männer hoben ihre Seesäcke auf und gingen zum Haus ihres Vaters, drüben auf der Church Side. Mit gesenkten Köpfen wegen des Aufstiegs und des niederprasselnden Regens.
Die Schotten dichtmachen, dachte Sweetland.
Er öffnete das Laptop, um ein wenig zu pokern, und hoffte, dass der Regen nachlassen würde, bevor er zum Schuppen hinausging. Als er drei Runden gespielt hatte, hörte er die Tür, blickte auf und sah Reet Verge durch den Anbau kommen. Sie steckte in einem engen pinkfarbenen Bench-Pulli, hatte die Ärmel gegen die Kälte über die Hände gezogen, die Kapuze auf dem Kopf. Wo er nassgeworden war, hatte sich der pinkfarbene Stoff blutrot verfärbt, auf Kopf, Schultern und ihren großen Brüsten. Sie wirkte wie eine Parodie von Gevatter Tod, der seine Runde machte.
Sie lehnte sich an den Türrahmen. » Du guckst aber nicht gerade Pornos, oder Moses? «
» Mädchen mit Mädchen «, sagte er. » Wie geht es Euer Gnaden heute Morgen? «
» Wann lässt du mich endlich mal deinen Kopf machen? «
Seit seinem letzten Haarschnitt vor acht Monaten hatte er nicht mehr mit Reet gesprochen. Sie hatte damals die Gelegenheit genutzt, um Werbung für das Paket zu machen und ihn beschimpft, weil er so gottverdammt starrköpfig war. Das war eine unlautere Methode, fand er, ihn unter dem silbernen Umhang anzugehen, die Haare zur Hälfte geschnitten. Dabei mit der Schere vor seinem Gesicht herumzufuchteln. Er schwor sich, nie wieder zu ihr zu gehen, und war mittlerweile in einem fürchterlichen Zustand. Er spielte sogar schon mit dem Gedanken, Duke an sein Haar heranzulassen, nur um dieser Frau aus dem Weg zu gehen.
» Ich lass sie wachsen «, sagte er. » Zöpfe wie Willie Nelson, habe ich mir gedacht. «
Sie betrachteten einander etwas betreten. Sweetland versuchte, ihr Alter zu schätzen. Fünfzig? Wahrscheinlich eher fünfundfünfzig. Alt genug, um mit den Reportern und Fotografen abzuhängen, die wegen der Bootsleute aus Sri Lanka auf der Insel aufgetaucht waren. Trank mit dem letzten Nachzügler der Saturday Night Pfirsichschnaps in der Fisherman’s Hall, der herausgefahren kam, um in jenem Oktober einen Bericht über die Wirkung auf die Menschen in der Gemeinde zu schreiben und wie sie damit umgegangen waren. Er war wegen eines frühen Unwetters aus Schnee und Wind, das die Fähre drei Tage in Hermitage festhielt, hier gestrandet. In der ersten Sturmnacht fiel der Strom aus und sie mussten auf Kerosinlampen zurückgreifen, auf verrauschte Arien aus batteriebetriebenen Radios. Der Reporter trank den ganzen Tag, um mit der Langeweile klarzukommen und mit der schwelenden Klaustrophobie.
Mein Gott, sagte er, das kann doch so nicht weitergehen, oder?
Hier draußen, sagte Reet, ist ein Schneesturm so wie eine Haut bekommen. Man weiß nie, wie viele Zentimeter es werden. Oder wie lange es dauert.
Sie war ein schwieriger Fall, Rita. Hatte alleine zwei Jungs aufgezogen, nachdem ihr Mann für Arbeit nach Westen gezogen und sich mit einer Frau aus Catalina eingelassen hatte. Beide Kinder hatten die Schule beendet und waren schon lange auf dem kanadischen Festland. Ihr halbes Einkommen verdiente sie mit Haareschneiden in ihrer Küche. Gründete das Museum mit einem Beschäftigungszuschuss von der Regierung. Sie war seit drei Jahren Bürgermeisterin der Gemeinde, eine Position, die sie nicht wollte und nur durch Zuruf innehatte, seit Glad Vatcher nicht mehr die Verantwortung übernehmen wollte. Alle Verhandlungen über die Umsiedlung der Gemeinde liefen über sie. Sie hatte es geschafft, Sweetlands Widerspenstigkeit als Druckmittel einzusetzen, damit die Regierung ihr Angebot verdoppelte, und das zusätzliche Geld reichte, damit von den letzten Ausharrenden die meisten nachgaben – eine Ironie, die Sweetland bewusst war, obwohl Reet klug genug war, es in seiner Gegenwart nicht anzusprechen.
» Du weißt, dass ich lieber bleiben würde «, sagte sie schließlich. » Wenn es nach mir ginge. «
» Der Wille der Masse «, sagte er.
» Ach, leck mich doch. «
»Vorsicht, Reet «, sagte er. » Ich bin schon ganz heiß, nachdem ich den Porno hier gesehen habe. «
» Da braucht es wohl etwas mehr als nur ein bisschen Porno «, sagte sie, » um einen alten Arsch wie dich heiß zu machen. «
Da hätte er sie fast gefragt, ob sie sich nicht setzen wolle. Er hatte nie mehr Zeit mit ihr allein verbracht als die Dauer eines Haarschnitts, doch er hatte das Widerborstige an ihr immer genossen – ihr wortreiches vulgäres Mundwerk, ihre Entschlossenheit, ihr kluges Köpfchen. Sie kam rüber zum Tisch und setzte sich, bevor er es angeboten hatte, ließ aber die durchnässte Kapuze auf.
» Man hat mich gewählt, um mit dir zu reden «, sagte sie.
» Wen hast du für diesen Job ausgestochen? «
» Durch Zuruf «, sagte sie mit reumütigem Lächeln.
» Gelebte Demokratie. « Sweetland spreizte die Hände auf der Tischplatte.
» Du weißt, dass Loveless nachgeben wird «, sagte sie. » Früher oder später. «
Er zuckte mit den Schultern und sah weg. » Da ist noch immer Queenie «, sagte er.
» Sie hat sich nie in der Hall blicken lassen, um zu sagen, dass sie dagegen ist. Und Hayward hat die Papiere unterzeichnet. Also liegt jetzt alles bei dir, Moses. «
Er spreizte die Hände erneut, um zu sagen: So sei es denn.
» Die Frage, auf die ich eine Antwort bekommen soll, lautet: Was braucht es, um dich an Bord zu holen? «
» Ihr habt nichts, was mich interessiert. «
» Nein «, sagte sie und schob einen Finger aus dem Ärmel ihres Hoodies, mit dem sie auf ihn zeigte. » Nein, verdammte Scheiße. Das kannst du wegen deiner christlichen Gefühle nicht durchziehen, Moses. Jetzt sagst du deinen Preis und ich werde sehen, was ich tun kann, damit er bezahlt wird. «
» Nicht zu verkaufen «, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf. » Oh, Gott «, sagte sie. » Du glaubst, du tust hier Gottes Werk, ist es das? «
Sweetland lächelte leicht, und dachte, sie machte nur einen Scherz.
» Ich kann mir nicht vorstellen, was dir sonst durch den Kopf geht «, sagte sie. » Der ganzen gottverdammten Gemeinde so viel Kummer zu bereiten und dabei noch schlafen zu können. «
Sie würde nicht gehen, ohne Krach zu schlagen, das erkannte er jetzt und stand auf, ging an ihr vorbei und nahm seine Jacke von einem Nagel im Anbau.
» Du denkst wohl, das geht schon vorbei, wenn du es nur lange genug ignorierst «, sagte sie. » Doch das wird es nicht. «
» Ist das eine Drohung? «
» Das ist eine schlichte Tatsache. Für die Leute steht zu viel auf dem Spiel, um es sausen zu lassen. «
» Also, das klingt jetzt aber nach einer Drohung. «
Sie schüttelte erneut den Kopf, drehte sich aber nicht zu ihm um. Ihr Gesicht war von der Kapuze verdeckt. » Irgendjemand wird am Ende verletzt werden «, sagte sie. » Und du kannst niemandem die Schuld geben, als Gott und dir selbst. Merk dir meine Worte. «
Er ging zur Tür hinaus und schlug sie hinter sich zu, versteckte sich draußen im Schuppen, bis er sicher war, dass Reet gegangen war. Er machte ein Feuer an und öffnete die Türen, die Luft roch nach feuchtem Heu und Holzfeuer. Er verbrachte den Großteil des Tages damit, im Schuppen zu arbeiten, ersetzte den Boden des Anhängers, den er vor zwanzig Jahren für das Quad gebaut hatte. Währenddessen ging ihm die ganze Zeit Reets Anklage durch den Kopf. Gottes Werk hatte sie gesagt und versucht, ihn zum Reden zu bringen. Jeder außer Duke war hinter Sweetland her, damit er sich erklärte, eine Begründung lieferte, warum er sich weigerte zu gehen. Er hatte eine Weile versucht, sich ein Argument zurechtzulegen, doch jeder Versuch, zu benennen, woran er sich festhielt, klang belanglos, fast lächerlich.
Ruthie hatte immer gesagt, dass jede Frau, die verrückt genug war, um Sweetland zu heiraten, ihn schließlich erschießen würde. Damit meinte sie seine Verschlossenheit, seine starrköpfige Zurückhaltung. Er musste zugeben, dass er oft gar nicht wusste, warum er bestimmte Dinge empfand. Je stärker das Gefühl, desto weniger war er in der Lage, es auf verständliche Kategorien herunterzubrechen, auf Ursache und Wirkung. Doch war er es nicht gewohnt, für diesen Mangel angegangen zu werden, das führte nur dazu, dass er immer verschwiegener und starrköpfiger wurde. Seine Haltung wurde immer fester, während von den anderen Verweigerern immer mehr nachgaben, als wollte er diesen Verlust durch blinde Entschlossenheit kompensieren.
Er merkte, dass er es fast ein wenig genoss, der verbliebene Knoten zu sein, den sie nicht aufbekamen. Auszuharren wie der grimmige Tod, halbwegs gestärkt von der Anstrengung. Völlig verdreht, pflegte Ruthie über ihn zu sagen, und Sweetland konnte ihr Urteil nicht widerlegen. Oder seine Gewohnheiten ändern.
Am Nachmittag beendete er seine Arbeit, wusch sich an der Küchenspüle und ging zu Dukes Laden. Es goss in Strömen. Wince Pilgrim saß neben dem Schachbrett, Duke ihm gegenüber auf dem Frisierstuhl, ein Insektenbein über die Armlehne gehängt.
» Sieh mal an, was der Wind hereingeblasen hat «, sagte Duke.
Pilgrim hob sein Gesicht zur Decke und horchte. Die blinden Augen mattgrün, trüb wie ein Nebel. » Das ist Moses, oder? «
» Höchstpersönlich. «
» Ist Jesse nicht bei euch? «, fragte Sweetland.
» Clara hat ihm gesagt, dass er zu Hause seine Schularbeiten machen soll «, sagte Pilgrim.
Jesse pflegte jeden Tag nach der Schule eine Stunde im Friseurladen zu verbringen, doch Clara schien bemüht, ihn von seinen Inselgewohnheiten abzubringen. Oder wollte sie damit vielleicht Sweetland bestrafen? Er war runtergekommen, weil er mit dem Jungen gerechnet hatte, und jetzt tat es ihm fast leid, dass er gekommen war. Er mühte sich aus seiner feuchten Jacke, schüttelte sie zweimal aus, bevor er sie an den Garderobenständer hängte. Er ging rüber und stellte sich in die Wärme des Ofens, Pilgrims Kopf drehte sich, um seinen Schritten zu folgen. Auf dem Boden neben der Holzkiste stand ein Kessel und Sweetland füllte ihn am Waschbecken in der Ecke.
Eine Gestalt huschte am Fenster vorbei, dann wurde die Tür aufgedrückt, das Wetter drängte am Reverend vorbei in den Laden. Er drehte sich schnell um und schlug die Tür zu, lehnte sich dann dagegen, als wollte er ein tollwütiges Tier draußen halten. » Erbarmen «, sagte er.
» Sind Sie das, Reverend? «, fragte Pilgrim.
» Das ist vielleicht ein Wetter da draußen «, sagte der Reverend.
Duke kletterte abschnittsweise vom Stuhl und wischte mit einem Lappen über das abgewetzte Leder. » Setzen Sie sich «, sagte er. » Moses hat gerade den Kessel auf den Herd gestellt. «
» Ich setze mich ans Brett. «
» Nicht nötig «, sagte Duke. » Für Sie den Ehrenplatz. «
» Die Ersten werden die Letzten sein «, sagte der Reverend. » Die Letzten werden die Ersten sein. Ihr wisst doch, wie das geht. « Und er setzte sich auf den Holzstuhl ans Schachbrett, Pilgrim gegenüber.
» Ich dachte, Sie hätten sich aus dem Geschäft zurückgezogen, sagte Sweetland.
Der Reverend lachte. » Ein Mann Gottes «, sagte er, » ob mit oder ohne Amt. «
Er trug eine schwarze Hose, schwarze Anzugjacke und darunter ein weißes Hemd, das bis zum Hals zugeknöpft war. Er setzte sich und faltete die Hände im Schoß, war frisch rasiert und hatte das weiße Haar eingeölt und nach hinten gekämmt. Er sah aus wie jemand, der bei einer Totenwache Beistand leistete. Der Beruf des Mannes war wie ein Fleck, keine Chance ihn zu entfernen, so fest saß er.
» Wollen Sie eine Tasse? «, fragte Duke.
» Ich würde nicht nein sagen. «
Der Reverend kam ursprünglich aus Wales und war als Student nach Kanada gezogen. Mit Anfang zwanzig hatte man ihm eine Gemeinde in Neufundland zugewiesen, wo er heiratete und während der folgenden fünfundvierzig Jahre mit seiner Frau in einem halben Dutzend Gemeinden die Kirchen betreute. In den Siebzigern war er nach Sweetland gekommen und hatte seine Einsetzung zwei oder drei Mal verlängert, obwohl seine Frau mit der Zeit öffentlich dagegen wetterte. Der Reverend ging schließlich mit gebrochenem Herzen, wie jedermann bemerkt hatte.
Sweetland sagte: » Womit habe ich es da zu tun? «
Der Reverend spähte hinunter auf das Schachbrett. Er spielte nie mit, doch es gefiel ihm, den Spielverlauf zu beobachten, und er gab Ratschläge und Hinweise.
» Alle außer Moses haben ihre Verantwortung dafür abgegeben «, sagte Duke. » Sie haben es auf mich abgesehen, um eine neue Partie zu beginnen. «
» Ich denke noch drüber nach «, sagte Sweetland.
» Ich hätte nicht übel Lust, es dir in Rechnung zu stellen. «
» Ich könnte ein Gebet für Sie sprechen «, bot der Reverend an.
» Sparen Sie sich das für die No Chance Cove «, sagte Duke.
Sweetland wollte etwas erwidern, besann sich aber, der Gesellschaft zuliebe.
Die Kirche an der Landzunge war verschlossen, als der Reverend vor sieben Jahren verwitwet und im Ruhestand nach Sweetland zurückgekehrt war. Er kaufte sich ein leeres Haus hinter der Kirche und verbrachte die Zeit hauptsächlich damit, zu lesen und über die Inselpfade zu wandern. Niemand wusste so recht, was man von seiner Rückkehr halten oder wie man mit ihm umgehen sollte. In den ersten Monaten machte er es sich zur Gewohnheit, werktags an den Vormittagen bei Sweetlands Schuppen zu halten. Er setzte sich an die Wand auf einen der rissigen Plastik-Küchenstühle und verschwendete Stunden von Sweetlands Zeit, hörte sich die Sendung mit Höreranrufen aus dem Kofferradio über der Werkbank an und kommentierte das eine oder andere Thema.
Sweetland erwartete, dass der Mann seinen Mut sammelte, um nach Ruthie zu fragen, wie es ihr am Ende ergangen war und ob sie irgendwas gesagt hatte, was er dem Reverend ausrichten sollte. Deshalb geriet Sweetland in Panik, wenn der Mann seinen Kopf durch die Tür steckte, da sein Beruf und sein Benehmen es unmöglich machten, ihn einfach wegzuschicken. Sweetland verlegte sich darauf, ein Feuer im Holzofen anzumachen, die Lüftungsschlitze zu öffnen, und solange im Feuer zu stochern, bis es ganz stickig im Schuppen war. Der Reverend zog sich dann bis aufs Hemd aus, ging aber nicht soweit, davon auch nur den obersten Knopf zu öffnen, sondern saß mit Schweißtropfen auf der Stirn da.
Sie stört die Hitze nicht.
Ich mag es warm, sagte Sweetland. Man sagt, es sei gut für die Gelenke. Wollen Sie eine Tasse Tee?
Gott, nein.
Der Reverend war nach einer halben Stunde gezwungen, die feurige Grube zu verlassen, und gab schließlich seine Besuche ganz auf. Sweetland hatte in jenen Monaten eine Menge gutes Holz verloren, doch er betrachtete es als lohnende Ausgabe.
In jenem ersten Herbst arbeitete der Reverend freiwillig in der Schule, wo er sich als sein Herzensprojekt um Jesse kümmerte und Maßnahmen erarbeitete, die es dem Jungen erleichterten, seine Rechenaufgaben zu machen und seine Ausbrüche und Anfälle von stumpfsinnigem Schaukeln und Singen zu reduzieren. Der Reverend hatte auch den Arzt gefunden, den der Junge in St. John’s aufsuchte, und er war derjenige, der die Termine vereinbarte. Er stellte Clara Pilgrim an, um an zwei Vormittagen in der Woche in seinem Haus den Boden zu wischen und seine drei Wechselgarnituren identischer Kleidung zu waschen. Er konnte dazu überredet werden, die alte Kirche zu öffnen, um die gelegentlichen Hochzeiten oder Taufen oder Beerdigungen abzuhalten, doch er weigerte sich, über regelmäßige Sonntagsgottesdienste nachzudenken. Allem Anschein nach hatte er sich niedergelassen, um den Rest seiner Tage als halbprivater Bürger auf der Insel zu leben, bevor die Rede auf die Umsiedlung kam.
Der Reverend wandte sich an Sweetland. » Hat Jesse über den Besuch beim Doktor irgendwas zu Ihnen gesagt? «
» Nein, nicht direkt. «
Sweetland hatte den Eindruck, einen winzigen Moment der Skepsis oder Verärgerung über das Gesicht des Geistlichen huschen zu sehen. Doch sie verschwand so schnell, dass er es sich vielleicht auch nur eingebildet hatte.
» Sie meinen, je mehr Struktur wir ihm geben können, desto besser ist es «, sagte der Reverend. » Ich hatte überlegt, ihn während des Sommers zeitweise zu mir kommen zu lassen. Drei Mal die Woche oder so. «
» Das würde für Jesse wie Schule klingen. «
» Das findet Clara auch «, sagte er. Er hob die freie Hand und glättete das silberne Haar an seinen Ohren, als würde er eine Frage herausmassieren, die sich dort befand. Er sagte: » Glauben Sie, Sie könnten mit ihm darüber reden? «
Sweetland lächelte unbehaglich. » Ich würde mich lieber aus dieser Sache raushalten, wenn es Ihnen recht ist. «
» Er hält eine Menge von Ihrer Meinung. «
» Jedenfalls mehr als seine Mutter, verdammt noch mal. «
» Jetzt mal unter uns «, sagte der Reverend, » es war Claras Idee, Sie bei dieser Sache um Hilfe zu bitten. «
» War es ihre Idee, dass Sie mich fragen? «
» Das war meine Idee «, sagte Pilgrim. Er schaute verlegen zur Seite.
» Ich habe mich freiwillig gemeldet «, sagte der Reverend, » um die Sache bei Ihnen anzusprechen. «
Sweetland verlagerte im Stehen sein Gewicht. Plötzlich fühlte er sich erschöpft und wünschte, in Ruhe gelassen zu werden. Er konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, ihnen zu sagen, dass sie ihn am Arsch lecken sollten.
» Es würde Clara viel bedeuten «, sagte der Reverend. » Und mir auch. «
» Ich muss da ein bisschen drüber nachdenken «, sagte Sweetland und der Reverend hob seine Tasse, um zu zeigen, dass das alles war, worum er ihn bat.
Die Männer stichelten noch eine Weile hin und her, dann ging es um die Priddle-Brüder, die am Morgen mit der Fähre angekommen waren, um die Hockey-Play-offs und das Wetter, sie unterhielten sich auf die höfliche, gekünstelte Art von sich nahestehenden Fremden. Nachdem der Reverend seinen Tee ausgetrunken hatte, machte er sich auf den Weg.
» Ich habe immer das Gefühl, dass dieser Schwanzlutscher uns ausspioniert «, sagte Duke, nachdem die Tür zugezogen war.
» Er ist nur einsam «, sagte Pilgrim.
» Wenn er nicht einsam sein will, hätte er irgendwo nach St. John’s gehen sollen. In ein Heim für pensionierte Geistliche. «
» So was gibt es doch gar nicht, oder? «
» Mein Gott, Moses «, sagte Duke. » Würdest du ihm bitte mal etwas Verstand einbläuen. «
» Klappt nicht. Der liebe Gott weiß, dass ich es versucht habe. «
Pilgrim stand auf und stellte seine Tasse auf den Sitz hinter sich. » So eine Behandlung kann ich auch zu Hause bekommen «, sagte er. An der Tür blieb er stehen. » Wirst du mit Jesse reden, wie er dich gebeten hat? «
» Geh verdammt noch mal nach Hause «, sagte Sweetland.
Duke stand am Fenster und beobachtete, wie Pilgrim im strömenden Regen blind seinen Weg den Hügel hinaufging, wartete, bis er ihn durch seine Haustür verschwinden sah. Wandte sich zurück zum Raum. » Er hat ein unnatürliches Interesse an diesem Jungen «, sagte er.
» Wer? «, fragte Sweetland, obwohl er von Duke schon mehr als hundert Mal diese Anklage gehört hatte.
» Der Reverend. «
» Verdammt, Duke. «
» Das ist nicht normal, mehr will ich gar nicht sagen. Versucht jetzt, ihn den ganzen Sommer allein in sein Haus zu bekommen. «
» Ich glaube, er denkt, dass er Gottes Werk tut. «
Duke schüttelte den Kopf. » Wie-heißt-er-noch-gleich? Bin Laden hat auch gedacht, dass er so was tut, verdammt noch mal. «
Am Abend war es draußen zu unangenehm, um rauszugehen, und Sweetland versuchte, die Zeit mit einer Partie Poker rumzubringen. Er goss sich ein Glas Rye ein, rührte es aber nicht an, und blickte kaum zu den aufleuchtenden Karten, sodass er innerhalb einer Stunde seinen Einsatz verloren hatte. Er saß da und schob das Glas in Kreisen über den Tisch. Das alte Haus knarrte bei jedem Windstoß, der Wind warf den Regen eimerweise gegen die Fensterscheiben. Im Wohnzimmer zog sich eins der letzten Hockeyspiele der Saison hin, der Lärm der Zuschauer an- und abschwellend wie ein eigenes Unwetter. Fast rechnete er damit, dass die Priddle-Jungs auftauchen, besoffen ins Haus stürmen und einen Drink verlangen würden, um sich dann über die Lebenshaltungskosten in Fort Mac auszulassen, das Geld, das sie mit Überstunden verdienten, das nackte Fleisch, das man in den Bars da oben bekommen konnte.
Die Priddles waren sogenannte irische Zwillinge, der zweite war zehn Monate nach dem ersten auf die Welt gekommen, und sie hatten ihr Leben lang nie etwas ohne den anderen getan. Sie schwammen und angelten und machten Feuer, sie tranken und wilderten Elche und zockten gemeinsam. Zusammen besaßen sie ein Boot und übernahmen für ein paar Jahre die Krabbenlizenz ihres Vaters, bis sie sich dazu entschlossen, auf dem Festland zu arbeiten. Während der Bausaison verschwanden sie sechs oder acht Monate lang nach Nova Scotia oder Ontario, verbrachten dann die Wintermonate zu Hause, strichen Arbeitslosengeld ein und nervten die anderen. In Burin wurden sie wegen Drogenbesitz und -handelsabsichten verhaftet, plädierten auf einfachen Besitz und eine viermonatige Haftstrafe im staatlichen Gefängnis von St. John’s. Sie waren jetzt über vierzig und keiner der beiden hatte geheiratet oder auch nur die kleinste Neigung gezeigt sich niederzulassen. Sie waren zähe Burschen und die Gesellschaft des anderen schien sie dazu zu bringen, noch zäher und rücksichtsloser zu sein, als sie es ohnehin schon waren.
Ned Priddle hatte es nie ganz verwunden, dass Effie bei der Geburt von Keith starb. Ned sagte es nicht, doch er benahm sich so, als würde er den beiden kleinen Jungs den Verlust seiner Frau vorwerfen, und nahm ihnen ihre Ansprüche an ihn übel. Als sie älter wurden, blieben sie sich selbst überlassen, vor allem, nachdem ihr Vater wieder heiratete. Sie verbrachten den Großteil ihrer Zeit auf dem Wasser oder im Wald. Sie bauten sich einen drei mal drei Meter großen Schuppen im Tal auf der anderen Seite von Sweetland, die Holzstämme mit Moos verstopft, ein einziges winziges Fenster, das sie aus einem alten Steuerhaus gerettet hatten. Dort lebten sie mehr oder weniger und verwilderten wie Katzen in einem verlassenen Stall. Über die Jahre hatten die Jungen die Hütte schrittweise gebaut und immer wieder umgebaut, wobei sie das Baumaterial mit dem Quad heranschafften. Sie meinten, sie würden dorthin gehen, wenn sie von allem genug hatten und das Leben in Chance Cove für ihren Geschmack zu hektisch wurde.
Als die Priddles aufwuchsen, waren sie den meisten Leuten zu wild, um sie zu ertragen. Sweetland war einer der wenigen, der sie über die Schwelle ließ, und während ihrer Teenagerjahre sah er sie öfter als ihr eigener Vater. Er lebte allein und besaß nichts, was nicht geklebt werden konnte, falls es zu Bruch ging. Und er hatte das Gefühl, bei Effie etwas gutzumachen, wenn er sich um die Jungs kümmerte. Obwohl er nicht genau bestimmen oder benennen konnte, was es war.
Nach der Schule kamen sie vorbei und guckten sich, wenig altersgemäß, Die Glücksbärchis oder Die Schlümpfe an. An Sonntagabenden kamen sie für das Fernseh-Wrestling und er gab ihnen ein Glas selbst gebrautes Bier zu trinken. Sie gaben sich selbst Wrestlingnamen – Tidal Wave und Rip Tide –, und in den Werbepausen schlugen sich die Brüder wie Verrückte. Sweetland nannte sie Pancake und Over Easy, die Goldenen Priddles, eine Andeutung, die sie nicht mitbekamen, aber trotzdem beleidigt waren. Keith war der größere und Sweetland musste sich gelegentlich ins Getümmel stürzen, um Barry vor dem Schlimmsten zu bewahren. Dann warfen sie sich eine Weile von ihren gegenüberliegenden Stühlen aus Schimpfwörter zu, wobei Heulsuse und Schwanzlutscher ihre liebsten waren.
Hin und wieder brachten ihm die Brüder ein paar Kaninchen mit und halfen im Herbst beim Einsäen der Kartoffeln. Sie begleiteten ihn beim Holzholen und waren ganz wild auf die Arbeit, sie hackten und sägten und schleppten mit derselben fröhlichen Hingabe, die er bei ihnen sah, wenn sie sich auf dem Boden seines Wohnzimmers gegenseitig Piledriver und Sleeper Holds verabreichten. Er bezahlte sie für ihre Hilfe mit einem Dutzend Bier und ein paar Pornoheften, und sie empfanden das als angemessene Bezahlung.