Kitabı oku: «Ein Leben für die Freiheit», sayfa 7
„Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer“ – Proteste gegen anhaltende Morde an Indianern
Rassistische Angriffe auf Native Americans waren gerade in Gegenden, die an Reservationen grenzten, gang und gäbe. Dabei galten Süd-Dakota und die Stadt Rapid City als Hochburgen des indianerfeindlichen Rassismus. Oder wie es Mary Crow Dog ausdrückte: „In Süd-Dakota lernen weiße Kinder, Rassist zu sein, beinahe vor dem Laufenlernen.“88 Und auch heute noch ist Rapid City einer der konservativsten Orte der USA, in dem indianerfeindliche Exzesse stattfinden. (Beispiel 1: Urkunde in einem Hotel in Rapid City 2012: Rapid City wählte am meisten konservativ. Glückwunsch. Beispiel 2: Dem 68-jährigen blinden Lakota Vern Traversie wurden 2012 nach einem Herzeingriff die Buchstaben „KKK” für Ku Klux Klan in den Bauch geritzt. Die Operation fand im Rapid City Regional Hospital statt. Ob die Täter aus dem Bereich der Klinikbeschäftigten stammen, ist bislang ungeklärt, wird aber selbst von einigen Natives eher bezweifelt).
Im Februar 1972 wurde in Gordon, Nebraska, Raymond Thunder Heart, ein 51-jähriger Oglala-Lakota aus Pine Ridge, durch zwei weiße Brüder misshandelt und geschlagen. Leonard Crow Dog, Lakota-Medizinmann und spiritueller AIM-Unterweiser, kannte Thunder Heart bereits seit 1959 aus der Zeit, als beide in Nebraska als Landarbeiter auf einer Farm arbeiteten. Er beschrieb den Lakota wie folgt: „Er war ein zuvorkommender und liebenswürdiger Mann. Er trank nicht. Er arbeitete hart für gerade mal achtzig Cent pro Stunde. Er hatte keine Feinde, nur Freunde.“89
Die Gebrüder Melvin und Leslie Hare zwangen Thunder Heart in einer Kneipe, sich auszuziehen und auf einem Tisch nackt zu tanzen. Dann brachten sie den gedemütigten und durch Schläge verletzten Oglala auf die Straße. Raymond Thunder Heart wurde kurz darauf tot aufgefunden. Knapp ein Jahr später erstach ein Weißer in Buffalo Gap den jungen Lakota Wesley Bad Heart Bull. In beiden Fällen sollten die Täter wegen Totschlags zweiten Grades gegen eine lachhaft geringe Kaution auf freien Fuß gesetzt werden.90 Im Fall Raymond Yellow Thunders wendeten sich die Familienangehörigen zuerst an das FBI und das BIA sowie später an die Stammespolizei, um eine Verurteilung wegen Mordes zu erreichen und eine Freilassung der beiden Brüder zu verhindern, allerdings ohne Erfolg. In ihrer Verzweiflung riefen sie daraufhin das AIM zur Hilfe.
Mit einem Konvoi aus 200 Autos kamen 1.300 AIM-Aktivisten aus 51 Stämmen in einer kämpferischen Kolonne nach Gordon, um dort für Gerechtigkeit zu kämpfen. Russell Means, Dennis Banks und Leonard Crow Dog führten die Gruppe an. Als der Konvoi Gordon erreichte, wurden sie bereits durch schwerbewaffnete Sheriffs, Staatspolizei und FBI erwartet, allerdings ohne jegliche Reaktion. Die Läden waren zum größten Teil geschlossen und verbarrikadiert. Niemand stellte sich den Demonstranten auf ihrem Marsch ins Rathaus in den Weg. Nahezu eine Woche hielten die wütenden Natives den Ort unter ihrer Kontrolle und forderten, dass die Täter entsprechend ihrer Tat auch verurteilt und bestraft werden sollten, dass der lokale Polizeichef zu suspendieren sei und dass es in Gordon öffentliche Diskussionen über rassistische, indianerfeindliche Übergriffe geben sollte. Nach längeren Verhandlungen ging die Stadtverwaltung auf diese Forderungen ein. Die protestierenden Indianer zogen sich mit diesem Erfolg aus Gordon zurück. Raymond Thunder Heart wurde zurück nach Porcupine in die Pine Ridge Reservation überführt und traditionell beerdigt.
Anders verlief es im Fall Wesley Bad Heart Bulls. Der Mörder des 20-jährigen Oglala Lakota, ein betrunkener weißer Tankwart namens Darld Schmitz, wurde gegen eine Kaution in Höhe von 2.500,- Dollar freigelassen, während etwa zur gleichen Zeit ein Indianer, der in der Nähe von Wounded Knee einen Weißen umgebracht hatte, sofort zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Wesleys Mutter, Sarah Bad Heart Bull, die bereits eines ihrer Kinder aufgrund eines Tötungsdeliktes durch einen Weißen verloren hatte, protestierte gegen diese Ungleichbehandlung gemeinsam mit vier Augenzeugen der Tat beim Bezirksrichter in Custer, einem kleinen Ort in den Black Hills. Am Vormittag hatten sich in Rapid City, beim Mother Buttlers Center, einem von AIM-Aktivisten und Mitgliedern der lokalen Bürgerrechtsbewegung, der Oglala Sioux Civil Rights Organisation (OSCRO) häufig gewählten Treffpunkt, an die zweihundert Demonstranten eingefunden, die sich nun in einer beeindruckenden Autokarawane durch den aufkommenden Schneesturm auf den Weg nach Custer machten. Mit Sicherheit wäre die Anzahl der Aktivisten erheblich größer gewesen, hätte es nicht Gerüchte gegeben, dass die Aktion aufgrund der Witterungsverhältnisse abgesagt sei.
Da nun die AIM-Karawane mit Russell Means und Dennis Banks, Jim Robideau und vielen anderen AIM-Aktivisten und aufgebrachten Natives aufgrund des Schneesturmes erst mit erheblicher Verspätung in Custer eintraf, verlief das Gespräch mit dem County-Staatsanwalt Hobart Gates mehr oder minder erfolglos. Verärgert über die späte Ankunft verweigerte er auch der Mutter des Ermordeten, Sarah Bad Heart Bull, den Zutritt zum Gericht und ließ sie vor dem Gerichtsgebäude im Schnee stehen. Deren Anwalt, Ramon Roubideaux, bat darum, doch wenigstens die Frauen und Kinder ins Gericht zu lassen. Gates lehnte dies ab und forderte Polizei zur Bewachung der Eingangstüre an.
Dennis Banks sprach zu dem Staatsanwalt, er wüsste ja wohl, dass die Tat ein eindeutiger Mord gewesen sei. Nein, das wisse er nicht, war Gates knappe Antwort, und als ihm Roubideaux Beweismaterial und die Aussagen anwesender Zeugen übermitteln wollte, war der einzige Kommentar: „Ich habe alle Beweise, die ich benötige. Es war lediglich eine Kneipenauseinandersetzung.“91 Banks und Means widersprachen Gates, doch ohne Erfolg. Die im Schneesturm stehenden indianischen Demonstranten wurden zunehmend verärgerter und wütender, als sie die Gesprächsergebnisse erfuhren. Es begann ein heftiges Gerangel zwischen den über 50 in Kampfmontur gekleideten und mit Gewehren und langen Schlagstöcken bewaffneten Polizisten und den empörten Natives.
Als die Mutter des Mordopfers weiterhin insistierte, Zugang zur Verhandlung zu bekommen und mit Russell Means, Dennis Banks und einigen anderen in das Gerichtsgebäude drängte, wurde sie durch Polizisten die Treppe hinuntergestoßen. Ein Polizist griff sie von hinten an, presste seinen hölzernen Schlagstock gegen ihre Kehle, so dass sie keine Luft mehr bekam. Die Situation in und vor dem Gericht eskalierte. Es gab überall Prügeleien zwischen Polizei und Demonstranten, Stuhlbeine dienten den Indianern als Waffen gegen die Schlagstöcke, und als erste Tränengas-Kartuschen inner- und außerhalb des Gebäudes alles einnebelten, flogen von der Gegenseite Steine und erste Molotow-Cocktails, die in aller Eile an der gegenüberliegenden Tankstelle hergestellt worden waren.
Wer sich Foto- und Filmaufnahmen dieser Aktion ansieht, wird wieder einmal feststellen, dass sehr viele Frauen an den Auseinandersetzungen beteiligt waren. Diese wurden genauso brutal niedergeknüppelt und dann verletzt entweder im Schnee liegen gelassen oder halb entkleidet durch den Schnee zu Polizeiwagen gezogen, wie männliche Demonstranten auch. Ein junger Native warf eine Kerosin-Warnleuchte, die wohl zur Sicherung einer Straßenbaustelle diente, in Richtung des Gerichtsgebäudes. Treppen, Eingangstür und Frontseite des Gebäudes begannen sofort zu brennen.
Wütende Schreie drangen durch den Schneesturm und das Kampfgetümmel: „AIM, AIM, AIM, AIM, do it!“
Dann gingen auch ein Begrüßungsschild am Ortsrand mit der Aufschrift “WELCOME TO CUSTER, THE TOWN WITH THE GUNSMOKE FLAVOUR” und das gegenüberliegende Gebäude des „Chambers of Commerce“, der örtlichen Handelskammer, in Flammen auf. Die anrückende Feuerwehr wurde mit einem Hagel von Getränkedosen und Steinen gestoppt.
Als Folge der Auseinandersetzungen wurden 22 Personen festgenommen, darunter auch weiße und schwarze Sympathisanten, ebenso Russell Means, Dennis Banks und auch die Mutter des Mordopfers. Ein Hilfssheriff sagte zu Russell Means: „Wir haben auf euch Hurensöhne bereits gewartet. Ihr suchtet Ärger, und ihr habt ihn bekommen.“
Means antwortete knapp: „Wenn wir wirklich Krawalle gewollt hätten, dann hätten wir keine Frauen und Kinder mitgebracht.“92
Dennis Banks wurde später zu drei Jahren Haft verurteilt und tauchte danach unter. Sarah Bad Heart Bull wurde wegen Landfriedensbruchs in Verbindung mit Brandstiftung zu einer Strafe von einem bis zu fünf Jahren Haft verurteilt, von denen sie fünf Monate im Gefängnis verbrachte. Der Mörder ihres Sohnes wurde von der weißen Jury freigesprochen und verbrachte keinen einzigen Tag in Haft.
Drei Tage später kam es in Rapid City ebenfalls zu heftigen Auseinandersetzungen. Nach einer Rauferei zwischen einem weißen Bürger von Rapid City und einem Lakota, wurde lediglich der Lakota von der Polizei festgenommen und arrestiert. Daraufhin zogen mehr als fünfzig Natives durch die Innenstadt und zertrümmerten dabei zahlreiche Kneipenfenster, denn viele Kneipen waren die bevorzugten Treffpunkte rassistischer Rednecks93. Im Verlauf der Aktion wurden nahezu alle Demonstranten festgenommen, darunter auch Russell Means‘ Brüder, Bill und Ted Means, die ebenfalls als AIM-Aktivisten galten.
Wounded Knee 1973
We Were All Wounded At Wounded Knee
We were all wounded at Wounded Knee – you and me
We were all wounded at Wounded Knee – you and me
In the name of manifest destiny
You and me – you and me – you and me
They made us many promises but always broke their word
They penned us in like buffalo, drove us like a herd
And finally on the reservation
We were going for our preservation
We were all wiped out by the seventh cavalry
You and me – you and me
We were all wounded at Wounded Knee – you and me
We were all wounded at Wounded Knee – you and me
In the name of manifest destiny
You and me – you and me – you and me
Now we make our promises, we won‘t break our word
We‘ll sing, sing, sing out our story till the truth is heard
There‘s a whole new generation
Which will dream of veneration
Who were not wiped out by the seventh cavalry
You and me – you and me
We were all wounded at Wounded Knee – you and me
We were all wounded at Wounded Knee – you and me
We were all wounded – by Wounded Knee
(Redbone) 94
Mit diesem Song brachte die indianische Rockband REDBONE, deren Songs eher Mainstream-Music mit Mainstream-Lyrics verbanden, die Geschichte von Wounded Knee 1890 und Wounded Knee 1973 ins Bewusstsein vieler junger Discogänger und Radiohörer, sowohl in den USA als auch in Europa.
Wer von Pine Ridge auf der Bundesstraße 18 ostwärts in Richtung Rosebud-Reservation fährt, wird nach zehn Minuten Autofahrt linker Hand auf die Abfahrt nach Wounded Knee und Porcupine stoßen. Nach knapp zehn weiteren Minuten erblickt man bereits von der Höhe jenseits der Senke den Friedhof mit dem markanten Torbogen auf einer kleinen Anhöhe liegend. Davor befindet sich das runde Gebäude des Wounded Knee Memorial Center.
Name und Ort „Wounded Knee“ sind gleich im doppelten Sinne für viele Native Americans und speziell für die Lakota-, Dakotaund Nakota-Stämme von historischer Bedeutung.
Hier im Talkessel, nahe dem heutigen Ort Wounded Knee, fand am 29.12.1890 das letzte große militärische Massaker an den Prärieindianern statt, bei dem nahezu dreihundert Indianer, vorwiegend Alte, Frauen und Kinder, von der nach der Schlacht am Little Big Horn reorganisierten 7. Kavallerie abgeschlachtet wurden.
Die Schwarzweißaufnahmen des in bizarrer Pose eingefrorenen Häuptlings „Big Foot“, der mit gefrorenen Körpern gefüllten Massengräber und der dabei gutgelaunt blickenden Soldaten sind weltbekannte und beschämende Dokumente eines gnadenlosen Völkermordes an den amerikanischen Ureinwohnern. Auf dem Friedhof selbst erinnert heute ein Mahnmal an jene Ereignisse95, die in der amerikanischen Geschichtsschreibung lange als „Schlacht von Wounded Knee“ anstatt dem „Schlachten von Wounded Knee“ umgelogen wurden.
Erneut machte der Ort „Wounded Knee“ 1973 weltweit Schlagzeilen, als er aufgrund der polizeilichen Einkesselung einer indianischen Protestaktion kurzerhand besetzt wurde. Dabei war die folgende 71tägige Besetzung ebenso wenig geplant und beabsichtigt wie die Besetzung des BIA-Gebäudes in Washington D.C. knapp vier Monate zuvor. Nach den Ereignissen von Custer spitzte sich die Auseinandersetzung zwischen AIM-Anhängern und AIM-Gegnern, zwischen traditionellen Lakota und an den „American way of life“ angepassten Stammesangehörigen weiterhin zu. Immer häufiger kam es zu gewaltsamen Konfrontationen, und immer mehr traditionelle Lakota und AIM- oder OSCRO-Sympathisanten wurden Opfer von Attacken und Mordanschlägen.96
Am 16. Februar 1973 erklärte Vernon Bellecourt bei einer Pressekonferenz, dass das AIM dem Terror des Stammesrates in der Pine Ridge Reservation nicht mehr lange zusehen werde, man warte nur auf ein Zeichen aus der Reservation. Und dieses sollte sehr schnell kommen. Die Oglala Sioux Civil Rights Organization (OSCRO) wendete sich noch im gleichen Monat um Hilfe suchend an das AIM, und so rollte kurz darauf eine Karawane mit AIM-Aktivisten in die Pine Ridge-Reservation.
Ursprünglich wollten sie vor dem BIA-Stammesratsgebäude gegen Korruption, Machtmissbrauch und Terror durch die „Guardians of the Oglala Nation“, wie sich die Handlanger des autokratischen Stammespräsidenten zynisch selbst nannten, demonstrieren. Doch dort wurden die AIM-Leute bereits von Stammesratspräsident Dick Wilson und seiner indianischen Todesschwadron, den GOONs, erwartet. Diese waren mit modernen Winchester- und Remingtongewehren bestens ausgestattet und wurden durch Dutzende von FBI- und US-Polizeimarshals unterstützt.
An die dreißig mit Maschinengewehren und Raketenwerfern aufgerüstete Panzerwagen fuhren auf. Und das Stammesratsgebäude, von vielen Bewohnern mittlerweile „Fort Wilson“ genannt, war mit einem Schutzwall aus Sandsäcken und auf dem Dach mit zwei Maschinengewehren gegen etwaige Angriffe oder Besetzungsversuche gesichert. Im Gebäudeinneren standen massenhaft aufgereihte Gewehre und in jedem freien Winkel Kanister mit Tränengas. Dick Wilson hatte offiziell AIM-Aktivisten den Zugang zur Reservation verboten, selbst Russell Means, der Stammesmitglied war und dessen Familie in der Reservation lebte. „Wenn Russell Means meint, nach Pine Ridge kommen zu müssen, dann schneide ich ihm eigenhändig die Zöpfe ab“, dies war eine der harmloseren Drohungen Wilsons, die er immer wieder öffentlich aussprach.
Also fuhr die AIM-Karawane nicht in die gestellte Falle von Pine Ridge, sondern weiter nach Calico. Im Gemeinschaftshaus des nicht weit von Pine Ridge entfernt liegenden Ortes, in dem Dick Wilson noch kurz zuvor einen Filmabend organisiert hatte, um gegen schwarze Militante, Bürgerrechtler und auch das AIM als „kommunistische Terroristen“ Stimmung zu machen, trafen sich am 26. Februar 1973 Mitglieder der von Pedro Bissonette (durch BIA-Polizisten am 17.10.1973 in der Pine Ridge Reservation ermordet) gegründeten OSCRO (Oglala Sioux Civil Rights Organization), traditionelle Häuptlinge, Reservationsbewohner und auch einige Stammesrichter.
Innerhalb des Gebäudes waren für das AIM bei der Versammlung lediglich Russell Means, der einen Tag später in Pine Ridge durch fünf Unerkannte zusammengeschlagen werden sollte, und Dennis Banks anwesend. Vor dem Gebäude, das für die Versammlung viel zu klein war, harrten viele weitere Lakota und Mitglieder anderer Stämme, darunter auch führende AIM-Aktivisten wie Carter Camp und Clyde Bellecourt aus. Häuptling Frank Fools Crow, ältester und höchst respektierter Medizinmann der Lakota im Reservat, sprach in Lakota und führte dabei aus, dass er immer dem Weg der heiligen Pfeife gefolgt sei – im Frieden –, doch es käme die Zeit, da müsse man um das Überleben der Oglala-Nation kämpfen. Es wäre die Zeit für die jungen Stammesangehörigen, sich aufzumachen und um die Dinge zu kümmern, … und es wäre jetzt die richtige Zeit dafür. Einer der anwesenden Stammesrichter wendete sich an die AIM- und OSCRO-Vertreter und sagte: „In meinem Beruf habe ich prinzipiell gegen jede Form von Zerstörung privaten Eigentums zu sein, aber persönlich hat mich das, was ihr in Custer gemacht habt, erfreut. Ihr hättet bloß diesen ganzen gottverdammten Ort niederbrennen sollen.“97
Der Terror der GOONs, die Korruptions- und Machtpolitik Wilsons, der in Zeiten großer Armut das 15fache Jahreseinkommen seiner Stammesmitglieder hatte, die Wut auf BIA und FBI, Stammespolizei, US-Marshals und weiße rassistische Rednecks, die das mörderische Treiben Wilsons noch mit unterstützten und vorantrieben, all dies brachte an diesem Tag das Fass sinnbildlich zum Überlaufen. Es war klar, das militärisch befestigte Pine Ridge konnte nicht der Ort für weitere Aktionen sein, hier wurden sie bereits von hochbewaffneten Polizisten und GOONs erwartet. Aber etwas musste geschehen. Es waren in Calico dann vor allem Frauen wie Ellen Moves Camp, Gladys Bissonette, Lou Bean und Hildegard Catches, die die Diskussion dominierten und dabei Wounded Knee ins Gespräch brachten.
Ellen Moves Camp, die u. a. auch in Gordon und Custer bei den Aktionen gegen die Freilassung der Mörder von Raymond Yellow Thunder und Wesley Bad Heart Bull dabei war, zeigte auf Dennis Banks und fragte diesen:
Dennis Banks, was gedenkst du nun zu tun?… Immer wenn wir hier herkommen, sind wir umgeben von Marshals, GOONs und Spionen. Sie beobachten uns jede Minute. Sie berichten über jeden Schritt, den wir unternehmen. Sie können uns hier jederzeit festnehmen, nur weil wir unsere verfassungsmäßigen Rechte wahrnehmen. Dick Wilson hat alle Versammlungen, Diskussionen oder auch traditionellen Tänze in der Reservation verboten. Aber dies ist unser Land, Lakota-Land. Es gehört zu uns und nicht ihm und seinen GOONs. Diese GOONs sind nur Minuten von hier entfernt, bis an die Zähne bewaffnet, versuchen uns einzuschüchtern. Sie kommen hier sturzbetrunken an, beschimpfen uns aufs Übelste und bedrohen uns, indem sie ihre Fäuste vor unseren Gesichtern schütteln. Dennis Banks, was gedenkst du in Anbetracht all dessen zu tun?98
Petro Bissonettes Tante, Gladys Bissonette, fuhr fort: „Ihr AIM-Leute, was gedenkt ihr zu tun? Ihr denkt, ihr seid Krieger. Was macht ihr nun? Wenn ihr es nicht machen wollt, dann bleibt hier und redet bis zur Unendlichkeit, aber wir Frauen werden handeln.“99
Lou Bean sprach dann die zentrale Botschaft aus: „Lasst uns nicht nach Pine Ridge gehen. Wir tricksen sie aus. Anstelle dessen, lasst uns nach Wounded Knee gehen und dort unsere Aktion machen.“
Fools Crow beendete die Debatte: „Dann werden wir nach Wounded Knee gehen! Die AIM-Krieger führen uns an.“100
Am gleichen Abend machte sich in Calico ein Konvoi aus 54 vollbesetzten Wagen auf den Weg nach Wounded Knee, um den Ort symbolisch zu besetzen. Dass diese Aktion 71 Tage andauern sollte, war weder geplant noch vorher bedacht worden. Für eine solche Aktion hätten sich die Beteiligten auch ganz anders ausgerüstet. So führten sie lediglich begrenzte Lebensmittelvorräte, kaum Decken und Medikamente und auch kaum Munition mit sich.
Als die Karawane den Ort erreichte, wurden die weißen Bewohner, darunter die Familie Gildersleeve, welche einen kleinen Handelsposten betrieb, aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen. Sie seien „Kriegsgefangene“, doch das Verbot solle sie vor allem gegen Angriffe von außen (Polizei, Armee, GOONs) schützen, von den Besetzern hätten sie nichts zu befürchten. Lebensmittel und Munition wurden aus der Gildersleeve-Tradingpost in die nahe gelegene Kirche gebracht. Einige Besetzer waren bewaffnet. Doch wer sich die Bilder aus der damaligen Aktion genauer anschaut, z. B. in dem Buch „Voices From Wounded Knee 1973“, der wird sehr schnell erkennen, dass diese Waffen gegen die Remington- und Winchestergewehre der GOONs und vor allem die Waffen der anrückenden Polizeitruppen keinerlei Chance hatten. „Wir hatten lediglich eine automatische Waffe, eine AK-47, die ein junger Mann aus Oklahoma als Souvenir aus Vietnam mitbrachte. Alles zusammen hatten wir 26 Schusswaffen – nicht viel im Vergleich, was die andere Seite gegen uns aufbringen würde.“101 Und für viele dieser Schusswaffen, deren Läufe zum Teil mit Klebeband am Schaft fixiert waren, gab es kaum die passende Munition.
Die Aktion wurde von außen schnell bemerkt, und in der gleichen Nacht umstellten 90 Polizisten den besetzten Ort und verwandelten somit die Besetzung um in eine militärische Belagerung. Personen, die Wounded Knee verlassen wollten, wurden sofort festgenommen. AIM-Sprecher Carter Camp gab am gleichen Abend folgende Forderungen bekannt:
1. Ein Senatsausschuss unter Ted Kennedy solle die Akten von BIA und Innenministerium überprüfen, die sich mit den Oglalas und deren Land befassen.
2. Senator Fulbright102 solle alle 371 gebrochenen Verträge zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und den indianischen Nationen untersuchen, um zu zeigen, wie die USA das Recht für sich auslegen.
3. Der BIA-Stammesvorstand auf der Pine Ridge Reservation solle aufgelöst und der Stamm zur Wahl seiner eigenen Vertreter ermächtigt werden. Das American Indian Movement unterstützt lediglich das Unternehmen, die Idee kommt vom Volk der Oglalas. Seit zwei Wochen versuchen die Leute, hier beim BIA ihre Beschwerden anzubringen, hauptsächlich über Wilson, aber umsonst. Schließlich gründeten sie die Bürgerrechtsbewegung „New Civil Rights Task Force“ und riefen uns um Hilfe. Wir werden sie, so gut wir können, unterstützen.103
Am zweiten Tag der Besetzung zog sich der Belagerungsring um das besetzte Dorf enger. Mittlerweile waren 250 FBI-Agenten postiert, verstärkt durch Bundesmarshals und BIA-Polizei. Immer wieder tauchten auch bewaffnete weiße Rancher auf. Ein erstes Treffen zwischen Oglala- und AIM-Vertretern einerseits und dem vor Ort befehlshabenden FBI-Verantwortlichen Joseph Trimbach, der später in seinem Buch „American Indian Mafia“ die Geschichte des indigenen Protests und Widerstands in mehr als dubioser aber sehr geschickter Weise – sozusagen in Form literarischer COINTELPRO (näher hierzu im gleichen Kapitel im Unterkapitel zum „American Indian Movement) umdichtete, wurde anberaumt und ohne Ergebnisse abgebrochen. Um sich vor etwaigen Angriffen durch die Belagerungskräfte zu schützen, hoben die Besetzer Schutzgräben aus und errichteten aus ausgebrannten Fahrzeugwracks Barrikaden.
In einem Telefoninterview mit dem CBS richtete sich Russell Means an die amerikanische Öffentlichkeit: „Entweder ihr verhandelt mit uns, bis wir zu einem positiven Ergebnis kommen, oder ihr müsst uns töten. Hier in Wounded Knee wird es sich entscheiden.“104
Und mit den Medien tauchte für beide Seiten ein weiterer Bündnispartner innerhalb des Konfliktes auf. Ein Teil der Medien versuchte schnell, ein sehr einseitiges Bild von der Besetzung zu vermitteln und unterstützte damit vor allem die Politik Wilsons und der Polizei. Die gesamte Aktion sei lediglich von einigen AIM-Leuten angezettelt und gesteuert, wobei das AIM ohnehin kaum Unterstützung innerhalb der Reservation finden würde. Die meisten Oglala seien gegen diese Aktion, und Wilson verkündete gar, dass er mit einigen hundert GOONs dem Spuk schnell ein Ende bereiten würde. Sie würden bewaffnet in Wounded Knee eindringen und die Besetzer erledigen, wenn man sie denn nur ließe.
Auch das Pentagon schickte Armeeberater und -beobachter nach Wounded Knee, um eine Beendigung der Besetzung zu erreichen. Im Rahmen des streng geheim gehaltenen Plans „Garden Plot“ wurde am 29.2.1973 Colonel Volney Warner, Chef der 82sten Luftwaffen-Division, in ziviler Kleidung nach Wounded Knee abgeordnet.
Das FBI fragte sofort an, ob er mit einer 2.000 Mann starken regulären Armeeeinheit den Ort stürmen könne. Das FBI würde dann den Truppen folgen und die Überlebenden festnehmen. Doch Warner lehnte diese Idee einer Wiederholung des Massakers von 1890 strikt ab, womit er sich in Washington nicht gerade beliebt machte. Präsident Richard Nixon war durchaus bereit, einen massiven militärischen Einsatz zu tragen, wollte aber vorher wissen, wie teuer diese Operation wäre und wie viele Indianer und Soldaten dabei sterben könnten. Daraufhin unterbreiteten Nixons Berater diesem zwei Auswahlmöglichkeiten: entweder eine militärische Erstürmung des besetzten Ortes ohne Rücksicht auf eventuelle Folgen oder aber den Abzug aller Bundestruppen, dann sollten AIM und GOONs den Konflikt untereinander ausschießen.
Am 1. März kam es dann gegen Abend zu Verhandlungen mit den US-Senatoren George McGovern und James Abourezk, die sich im Laufe des Tages gegen das FBI durchsetzen konnten, das aus Sicherheitsgründen versuchte, ein Treffen zwischen Senatoren und Besetzern zu verhindern. Allerdings verlief das Gespräch, an dem für die Besetzer Russell Means und Dennis Banks beteiligt waren, weitestgehend erfolglos. Hauptgegenstand waren erneut die bereits zuvor von Carter Camp gestellten Forderungen. Zwar brachten die Senatoren für diese Forderungen Verständnis auf und versprachen auch, dass die genannten Missstände Gegenstand einer Anhörung im US-Kongress würden, vorausgesetzt, die Besetzer würden Wounded Knee verlassen. Außerdem konnten McGovern und Abourezk sich davon ein Bild machen, dass es den sogenannten Geiseln gut ginge, diese sich frei bewegen konnten und teilweise Wounded Knee auch überhaupt nicht verlassen wollten.
Überschattet wurden die Verhandlungen jedoch, als bekannt wurde, dass am gleichen Tag in Pine Ridge Unbekannte Brandbomben in das Haus des AIM-Öffentlichkeitschefs Byron warfen und dabei dessen Frau verletzt wurde.
Am 2. März trafen sich im nahegelegenen Nebraska einige hundert Rancher und beschlossen, dass diese „fucking indians“ genug Radau gemacht hätten und sie eine Kompanie aufstellen würden, um diesen Unfug zu beenden. Gleichzeitig begann das FBI damit, Lebensmittelspenden an die Besetzer (oder mittlerweile Belagerten) zu unterbinden. Es wurden die ersten Engpässe bei der Versorgung der Besetzer deutlich.
Clyde Bellecourt kommentierte diese Situation jedoch mit dem Hinweis, sie würden eher all ihre Pferde, Hunde, Katzen, Ratten und auch den Straßenstaub essen, bevor sie sich deshalb fügen würden. Und immer wieder stellte die Regierung den Besetzern das Ultimatum, den Ort bis 6 Uhr abends zu verlassen. „Die Vereinigten Staaten böten an, dass die Indianer Wounded Knee frei verlassen könnten, ohne Massenfestnahmen. Aber die Indianer hätten ihre Waffen abzugeben, und alle Männer müssten sich ausweisen. Das sei keine Absicht, Personen zu bestrafen, die unwissentlich in die Situation hineingeraten wären, … aber man könne nicht die Augen vor den kriminellen Straftaten schließen, die stattgefunden hätten.“105
Einen Tag später kündigte Dick Wilson an, den Ort mit 900 GOONs zu stürmen. Reportern wurde der Zugang zum besetzten Ort von nun an vorerst verwehrt, und am 4. März wurden auch die Telefonverbindungen zur Außenwelt gekappt. An diesem Tag hatten die Besetzer zuvor zugesagt, Wounded Knee zu verlassen, jedoch nur unter der Bedingung, dass die Regierung alle bewaffneten Kräfte aus der Pine Ridge Reservation abziehen würde. Auf diese zusätzliche Forderung ließ sich die Regierung jedoch nicht ein. Die Situation in dem nunmehr fast eine Woche besetzten und durch die Staatsmacht sowie GOONs und Vigilanten (Bürgerwehren) belagerten Ort begann sich zu verschärfen.
Doch auch die Solidaritätsbewegung organisierte sich zunehmend. Bill Kunstler, ein engagierter Menschenrechtsaktivist und -anwalt, der zuvor bereits die Chicago Seven106 und zahlreiche Black-Panther-Aktivisten verteidigte, schloss sich mit den Verteidigern von Banks, Means und anderen AIM-Aktivisten am 5. März zum Wounded Knee Legal Defense-Offense Committee (WKLDOC) zusammen, das in Rapid City sein Hauptquartier beziehen sollte. Spektakulär verlief eine andere Solidaritätsaktion, als zwei Tage später innerhalb des besetzten Gebiets ein Privatflugzeug unbemerkt landete und dabei Lebensmittel für die Besetzer und eingeschlossenen Bewohner des Ortes brachte. Gleichzeitig lief langsam das erneute Ultimatum ab, Wounded Knee bis zum 8. März zu verlassen. Eine Fristverlängerung solle es nicht geben, verkündete Regierungsvertreter Ralph Erickson. Gleichzeitig sickerten Informationen über einen Dreistufenplan der Regierung durch. Demnach sollte zuerst über Lautsprecher zum Verlassen des Ortes aufgefordert werden, bevor aus der Luft Tränengasbomben abgeworfen werden sollten und im weiteren Verlauf dann das Feuer auf die Besetzer eröffnet würde.
Am Vorabend besuchte der Nachfolger Martin Luther Kings, Pastor Ralph D. Abernathy, den besetzten Ort und sicherte Solidarität und Unterstützung durch die schwarze Bürgerrechtsbewegung zu. Immer wieder kam es abends und nachts zu sporadischen Schusswechseln, während nach einem Hilferuf von Dennis Banks an alle indianischen und nicht-indianischen Unterstützer vierzig, zum Teil auch bewaffnete Supporter auf verdeckten Wegen, AIM´s „Ho Chi Minh-Pfad“, durch die Wounded Knee umgebenden kleinen Schluchten und Rinnen Zugang zu dem Ort fanden. Viele der weißen „Geiseln“ befürchteten, bei dem bevorstehenden Angriff durch die Belagerer verletzt oder getötet zu werden, und beschlossen daher nun doch, den Ort zu verlassen.
Senator Edward Kennedy appellierte an das Justizministerium, die bewaffnete Blockade Wounded Knees aufzugeben und, wie es von den Indianern gefordert wurde, selbst die Waffen niederzulegen. Nur so könne eine friedliche Lösung erreicht werden. Kennedy wörtlich: „Wounded Knee sind die Blasen auf der Oberfläche einer 100 Jahre brodelnden Masse aus verborgener Unterdrückung, Unzufriedenheit und Widerstand gegen gewaltsame Assimilation.“107
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