Kitabı oku: «Hispanien», sayfa 3
Abb. 5 Muschelhof der einheimisch „tartessischen“ Anlage von Castillo de Alcorrín (Málaga) aus dem 8./7. Jh v. Chr. Sinn und Funktion dieser Konstruktion, die Parallelen auf der Iberischen Halbinsel und im Vorderen Orient besitzt, sind unklar.
Das Resultat ist das, was auf der Halbinsel weitgehend unreflektiert die „tartessische Kultur“ genannt wird, welche in Metallurgie, Toreutik, Kunsthandwerk, Töpferei, Stadtanlagen und Grabbauten in der Tat für diesen Raum den Anschluss an ostmediterrane Standards bedeutete. Das ist, wie so oft in der Geschichte des Landes spätestens seit der Kupferzeit, ein Beispiel mehr dafür, wie aus regionalen (Fremd-)Anstößen große Kulturbewegungen entstehen. Zambujal, Los Millares, Marroquies Bajos, La Valencina de la Concepción u. a., alle im Süden der Halbinsel gelegen, für die Kupferzeit oder El Argar für die Bronzezeit gehen dem „orientalisierenden“ Südwesten und Süden voran.
Allzu oft wird dabei vergessen, dass auch die sogenannte „atlantische Bronzezeit“ Jahrhunderte zuvor kunsthandwerkliche Hervorbringungen von hervorragender Qualität und höchstem ästhetischen Anspruch vorweisen konnte, die in Schatzfunden, wie dem aus Caldas de Reyes (Pontevedra) [Abb. 6] oder dem weit von seiner wahrscheinlich nordwesthispanischen Entstehungsregion gefundenen Schatz von Villena (Alicante) manifestiert sind und auf einen hohen Stand metallurgischer und toreutischer Kompetenz wie auch auf eine entwickelte gesellschaftliche Hierarchie schließen lassen, die sich solche Preziosen leisten konnte.
Die geradezu inflationäre Verwendung des Begriffs „tartessisch“ besonders in der spanischen Forschung führt seit geraumer Zeit zu erheblichen Verständnisschwierigkeiten und bedarf darum einer Klarstellung. Die Bezeichnungen „Tarschisch“ und später „Tartessos“ sind, wie oben angemerkt, die phoinikische bzw. griechische Adaptation einer einheimischen Selbstbezeichnung, die später in einer Asarhaddon-Inschrift als Tarsisi, im altlateinischen Tarseiom = Tarseiorum des zweiten römisch-karthagischen Vertrags von 348 v. Chr., in den Stammesnamen Turdetani, Turduli, in der Regionalbezeichnung Turta sowie in der hellenistisch-punischen Bezeichnung Thersitai für die Bewohner von Tarschisch wiederkehrt. Die Bezeichnung „tartessisch“ entstammt der Fiktion Schultens und sollte umso weniger verwendet werden als sie allzu oft adjektivisch zu der phoinikisch/punischen Bezeichnung Tarschisch für das spätere punische Einflussgebiet auf der Iberischen Halbinsel bis zum terminus Tartesiorum im Osten gestellt wird (Ora marit. 462 f.) [s. Abb. 9]. Das macht scheinbar allen Raum zwischen Südportugal und dem Cabo de la Nao „tartessisch“ und legitimiert damit quasi Schultens Missverständnis von einem „tartessischen Großreich“, während der reale TRT/TRS-Raum wesentlich kleiner war. Groß hingegen war die kulturelle Ausstrahlung des phoinikischen und griechischen Kultureinflusses auf diese gesamte Zone und darüber hinaus. Diese ist jedoch nicht „tartessisch“, sondern sollte als „orientalisiert“ bzw. „orientalisierend“ und später als westphoinikisch–karthagisch dominiert bezeichnet werden. „Orientalisierend“, weil das einheimische Kunsthandwerk wesentliche Techniken und Stilmerkmale, aber auch ideologische und möglicherweise mythisch-religiöse Motive von ostmediterranen Vorbildern übernahm. Die spätere südiberisch-turdetanische Kulturentwicklung insgesamt basiert weitgehend auf diesem Einfluss und seiner Perzeption, wofür der Grabturm von Pozomoro [Abb. 7] ein faszinierendes Beispiel bietet. Gleichzeitig bergen die vielfältigen auf uns gekommenen Zeugnisse für die Altertumsforschung die große Gefahr falscher Historisierung von Mythen und vordergründig-naiver Interpretation von Quellen, deren Zielsetzung und Glaubwürdigkeit selten oder unzureichend hinterfragt werden. Dafür bietet die vor einigen Jahren von einem namhaften spanischen Prähistoriker behauptete Existenz einer „tartessischen Literatur“ ein warnendes Beispiel. Strabon (3,1.6) berichtet, dass die Turdetaner, die er für die „weisesten aller Iberer“ hält, eine eigene Schrift besäßen, ferner Chroniken und Poesie aus alter Zeit sowie Gesetze in Versform, die 6.000 Jahre alt seien. Nun befand sich die Iberische Halbinsel in dieser Zeit erst im entwickelten Mesolithikum. Ackerbau und Viehzucht sind noch nicht erfunden und die Entwicklung zur einer TRT/TRS – Gesellschaft liegt in weiter Zukunft. Um 600 v. Chr. dagegen wären kulturelle Phänomene wie Musik, Rezitation, Tanz gut vorstellbar; es gibt auch frühe südiberische Schriftzeugnisse. Eine im eigentlichen Sinne „tartessische Literatur“, die sich aus der zitierten Strabon-Stelle, der archäologisch erwiesenen Existenz von Musikinstrumenten oder der Relation zwischen einheimischer Plastik und präsumtiv einheimischen Mythen herleiten ließe, gibt es freilich nicht!
Abb. 6 Der frühbronzezeitliche Schatzfund von Caldas de Reyes (Pontevedra): Trinkgefäße, Kamm, Torques (?), Ringgeld (?) aus Gold.
Hierhin gehört auch – im Vorgriff auf später Auszuführendes – die Erledigung des von Schulten konstruierten und bis heute in der spanischen Forschung virulenten „Endes von Tartessos“. Es gibt sowenig ein „Ende von Tartessos“ wie es ein „tartessisches Modell“ oder gar eine „Krise des tartessischen Modells“ gibt (Celestino Pérez 2011 – 12, 302). Was archäologisch tatsächlich beobachtet werden konnte, ist im 5. Jh. v. Chr. ein Zerstörungshorizont im „orientalisierten“ Süden, welcher, wenn er nicht Folge innerer Zwistigkeiten unter den einheimischen populi ist, indoeuropäischen raids oder dem Einfluss des sich gegen Ende des 6. Jhs. v. Chr. zunehmend in Tarschisch engagierenden Karthago zuzuschreiben sein dürfte – davon später.
Im 7. Jh. v. Chr. – wie gesagt – kommen die Griechen zumeist von den ägäischen Inseln und den Küsten Kleinasiens. Sie können sich aber anscheinend gegen die phoinikische und zunehmend karthagisch-punische Konkurrenz nicht dauerhaft behaupten. Einige Generationen später werden sie von ihrer Gründung Massilia aus nach Süden vorstoßen und die hispanische Ostküste in bescheidenem Maße kolonisieren, mit den küstennahen Iberern Freundschaft schließen und diesen Schrift und handwerkliche Techniken beibringen, was in Plastik und Toreutik zu einzelnen Werken von wunderbarer Schönheit gediehen ist [Abb. 8]. Der griechische Einfluss endete, wo die phoinikisch-punische Kontrolle der südlichen Zone ihm Einhalt gebot: Am bereits mehrfach erwähnten terminus Tartesiorum (s. S. 24), den wir uns an der Südostküste im Raum Los Nietos/Cabo de la Nao zu denken haben. Von dort nach Norden zeigen die epigrafischen Zeugnisse rechtsläufige Schrift. Südlich davon im gesamten punisch kontrollierten Gebiet gibt es den linksläufigen Schrift-Duktus, auf Münzen aus HaGadir (Cádiz) und Malaca bis weit in römische Zeit belegt. Im 6. – 5. Jh. v. Chr. werden griechischer Einfluss von Nordosten und der orientalisierende Kulturstrom von Westen sich im iberischen Raum zwischen Albacete, Jaén und der Mittelmeerküste treffen. Der kulturelle Einfluss vor allem des massaliotischen Griechentums an der hispanischen Ostküste wird dessen reale Präsenz lange überdauern: Die politische Entwicklung, vor allem das Auftreten des aufstrebenden Karthago im südwestmediterranen Raum, machte dem dortigen Griechentum den Garaus; soweit es dort griechische Pflanzstädte gab, verschwinden sie oder gehen im Iberischen auf.
Abb. 7 Das Grabmal von Pozomoro (Albacete) im Rekonstruktionsversuch Martín Almagros. Dieses zerstört aufgefundene Monument ist auf der Halbinsel einzigartig, es vereinigt stilistisch und inhaltlich ostmediterrane und einheimische Elemente und dürfte um 500 v. Chr. für einen regionalen chief angelegt worden sein.
Über dem Zeitraum zwischen der realen phoinikischen Kolonisation in Tarschisch im 8. Jh v. Chr., von der Jesaja spricht, der griechischen Tartessos-Berührung vermutlich im 7. und dem Auftreten der Seemacht Karthago auf der Halbinsel im 6. Jh. v. Chr. liegt ein seltsames Halbdunkel, obgleich es sich um eine Phase entscheidender Veränderungen im Süden und Osten gehandelt haben muss. In dieser Zeit mutiert, vom orientalisierten Tarschisch ausgehend und durch griechische und andere Importe unterstützt, der orientalisierte Kulturraum zum Turdetanisch-Iberischen, wie wir die intensive Rezeption kultureller (auch religiöser) Einflüsse aus dem Osten in Ermangelung einer glücklicheren Bezeichnung nennen müssen. Das Ergebnis ist eine kaum differenzierbare ostmittelmeerisch-einheimische Mélange, zu der Rechteckhäuser und ummauerte stadtartige Siedlungen ebenso gehören wie die Entstehung einer bemerkenswert originellen Großplastik in der oben beschriebenen südöstlichen Konvergenzzone zwischen semitischer und griechischer Einflussnahme. In diese Zeit gehört auch die Entstehung der (linksläufigen) südiberischen Schrift, für die sich vor einiger Zeit eine Art Musteralphabet gefunden hat. Zweifellos ist dies die Zeit lokaler und regionaler Herrschaftsbildungen, von denen die Historiografie erst viel später berichten wird, die sich aber seit geraumer Zeit archäologisch immer deutlicher abzuzeichnen scheinen.
Darüber, was in dem Zeitraum zwischen dem ersten Auftauchen der Phoiniker an den Küsten der Halbinsel, dem Vordringen griechischer Seehändler in den Südwesten und an die Ostküste im Rest des großen Landes geschieht, der immerhin fast 2/3 des Ganzen beträgt, schweigen die Schriftquellen. Gleichzeitig ist deutlich, dass im 6. Jh. v. Chr. Karthago eine wichtige Rolle auf der Halbinsel zu spielen beginnt und bis in die Zeit des Zweiten Krieges mit Rom den hispanischen Süden, den afrikanischen Nordwesten und auch die hispanische Atlantikküste kontrolliert, wie archäologische Funde, aber auch punisch konnotierte Kultstätten in Küstennähe belegen. Herodotos Hinweis auf Kelten im Westen (2,33,3) bleibt geografisch vage, so sehr sich die Forschung auch bemüht hat, die Stelle „Die Donau kommt aus dem Land der Kelten von der Stadt Pyrene her und fließt mitten durch Europa. Die Kelten wohnen jenseits der Säulen des Herakles und sind Nachbarn der Kynesier, des westlichsten Volkes von allen Europäern“ aus ihrer ex-post-Kenntnis stimmig zu machen. Die Vorstellungen des ‚Vaters der Geschichte‘ vom westlichen Europa sind eine Mischung aus Wissen, Hörensagen und möglicherweise falsch verstandenen Nachrichten aus Seefahrer-Kreisen. Deutlichere geografische Vorstellungen gewinnt man erst im 4. Jh. v. Chr., aber auch sie bleiben oberflächlich und sind ausschließlich aus der Seefahrer-Perspektive gewonnen.
Abb. 8 Krieger und Pferd von der iberischen Grabanlage Cerrillo Blanco bei Porcuna (Jaén). 5. Jh. v. Chr.
Die ethnografische Karte der gewaltigen Landmasse zwischen der Küstenkordillere im Osten, der Sierra Morena im Süden, den Pyrenäen im Norden und dem atlantischen Ozean im Westen gleicht einem Flickenteppich buntester Art. Die Forschung ist weit davon entfernt, die Gemengelage aus potentiell vorindoeuropäischer Bevölkerung, zahllosen Zuwanderungen aller Art und Quantität (und zu unterschiedlichsten Zeiten), unquantifizierbaren Binnenwanderungen bis weit in römische Zeit sowie die ethnischen Mischzonen an den östlichen und südlichen Rändern durchsichtig gemacht und in eine zuverlässige regionale und zeitliche Ordnung gebracht zu haben. [s. Abb. 2] Die antiken Quellen behalfen sich damit, Phoiniker, Perser, Griechen, Kelten, Punier und Römer hintereinander als Einwanderer aufzuzählen und die Vorzeit sowie mögliche Gleichzeitigkeiten bzw. Überschneidungen auszublenden. So sind wir darauf angewiesen, die Mosaiksteine lokaler und regionaler Forschung so gut wie möglich zusammenzusetzen, um überhaupt ein Bild zu gewinnen.
Nicht zu trennen von den Problemen des ethnografischen Durcheinanders und der immerwährenden Ein- und Binnenwanderungen sind deren geografische Voraussetzungen. Es ist die grobe Dreiteilung des Landes, welche im Großen und Ganzen die Ethnografie der Halbinsel bestimmt: Der Küstenstreifen zwischen dem Mittelmeer im Osten und der westlichen Kordillere, die überwunden werden muss, um die zentralen Hochebenen zu erreichen. Sodann der Süden, der von der sogenannten Sierra Morena gegen das zentrale Hochland abgeschirmt wird sowie das zweigeteilte Hochland – Alt- und Neukastilien –, das die Mitte, den Norden und Westen einnimmt und selbst wieder in kleinere Einheiten zerfällt. Sie freilich spielen in der Ethnografie des antiken Hispanien keine vergleichbar entscheidende Rolle. Diese Räume sind nicht leicht und überall zugänglich. Von Osten aus erschließen die Flusstäler von Ebro, Jalón und Júcar die Meseten, von Süden der Despeñaperros-Pass und die westliche vía de la Plata. Haupt-Einfallwege von Norden sind die wenigen Pyrenäenpässe und die Küstensäume. Alle historisch erwiesenen großen Wanderungsschübe haben auf diesen Zugangswegen ihre Spuren hinterlassen, alle bedeutenden Landnahmen lassen sich mit den bezeichneten Großräumen verbinden – und auch alle großen Eroberungen. In der Völkerwanderungszeit ebenso wie in den napoleonischen Kriegen, ja noch im Bürgerkrieg der 1930er-Jahre spielen die genannten Zugangswege im Norden, Osten und Süden eine entscheidende Rolle.
Abb. 9 Das orientalisierte Hispanien in phoinikisch-karthagischer Zeit. 1. Enge Schraffur: TRT/TRS – Kerngebiet; 2. mittlere Schraffur: Das karthagische Dominium Tarschisch; 3. breite Schraffur: Äußerste Ausdehnung des vom Süden des Landes ausgehenden orientalisierenden Kultureinflusses.
Exkurs 1
Phoiniker und Punier
auf der Iberischen Halbinsel
„Denn eine Tarschisch-Flotte hatte Hiram auf dem Mittelmeer.“
(I Kön. 10.22)
Phoiniker, Karthager, Punier bedeuten nicht wirklich Unterscheidungen, sondern sind Bezeichnungen unterschiedlicher Herkunft zu verschiedenen Zeiten. Die frühen Bewohner der im 8. Jh. v. Chr. gegründeten nordafrikanischen „Neustadt“ Qrt Hadašt sind ebenso Phoiniker wie die ersten Bewohner von HaGadir im Südwesten der Iberischen Halbinsel. Später nennen die Römer, als sie beginnen, über die Grenzen ihres Kleinstaats, dann über diejenigen Italiens hinauszublicken, diese exotischen Seefahrer, die überall im Mittelmeerraum anzutreffen sind, Poeni. Davon kommt „Punier“. Mit der Zeit gewinnen diejenigen Phoiniker, welche sich an fernen Gestaden niederlassen, unterschiedliche Profile. In Verbindung mit den jeweiligen sozialen Kontexten entwickeln sie verschiedene Interessen; manche der Seehändler werden Agrarier, andere geben den ambulanten Handel auf und werden Hersteller von Fertigprodukten: von Purpur, der ,weltweit‘ geschätzten Fischsauce garum, Schmuck, Tongefäßen, Terrakotten und von tausenderlei Materialien des täglichen Bedarfs. Wiederum andere bauen Schiffe, mit denen sie in den atlantischen Ozean vorstoßen und das phoinikische Handelsnetz erweitern. So entstehen an der nordafrikanischen Atlantikküste weitere Faktoreien, von denen wir Mogador und Lixus genauer kennen. Vermutlich fuhren sie noch viel weiter nach Süden. Ob die Goldküste erreicht wurde, wissen wir nicht. Ähnlich verläuft die Entwicklung an der westhispanischen Küste in nördlicher Richtung. Hier war Zinnhandel zumindest ein Ziel. Es ist unklar, ob phoinikische Schiffe Cornwall oder die Bretagne erreichten oder ob Zinnlieferanten ihnen nach Süden entgegenfuhren. Möglich ist, dass einheimischer Zwischenhandel eine Rolle spielte.
So entstehen im Laufe von wenig mehr als 200 Jahren zahllose phoinikische Niederlassungen aller Art: Faktoreien mit Hafenanlagen und Lagerhäusern, Agrarsiedlungen, auch Wohnsiedlungen mit Handwerker-Vierteln. Bei vielen von ihnen fanden sich Bestattungsareale; mancher Grabbau ist von entsprechenden Anlagen im Vorderen Orient kaum zu unterscheiden.
Was durch die Zeit erhalten blieb, war eine enge Bindung dieser westlichen Phoiniker an die ursprüngliche Heimat, besonders in kultisch-religiöser Hinsicht. Zwar erhielt HaGadir früh ein eigenes, noch in der Spätantike nachweisbares Melqart-Heiligtum und scheint damit kultisch autark zu sein. Aber enge Beziehungen zu ihren levantinischen oder cyprischen Ausgangspunkten und Kultstätten sind so lange erkennbar, wie die Phoiniker im Osten politische Selbständigkeit genießen. Kennzeichnend ist, dass sich Karthago, als Alexander von Makedonien Tyros belagert, zur Hilfeleistung aufgerufen fühlt.
Ein westphoinikisches Kolonialreich ist das sich mit der Zeit immer weiter semitisierende Andalusien nicht zu nennen. Der Blick der West-Phoiniker, die nach meiner Interpretation in späteren Verträgen mit Rom immer noch „Tyrier“ heißen (Koch 2000, 170 f.), blieb auf die Mutterstadt Tyros gerichtet. Tyros entwickelte keinerlei ‚kolonialistische‘ Neigungen. Eigene Ambitionen der hispanischen Phoiniker in dieser Richtung lassen sich nicht erkennen und sind auch nicht wahrscheinlich. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass die frühen phoinikischen Neu-Hispanier Einheimische in irgendeiner Form in politische Abhängigkeit brachten. Im Gegenteil ist zu vermuten, dass phoinikischer Einfluss die einheimischen Herrschaftsverhältnisse – durchweg kleinere und größere chiefdoms – stabilisierte, indem man einheimischen Potentaten „Überbau“-Elemente schmackhaft machte, wofür die Carambolo-Insignien ebenso sprechen wie der Grabturm von Pozomoro und anderes.
Die allem Anschein nach friedliche und kulturell fruchtbare Entwicklung der westphoinikisch-einheimischen Beziehungen in Tarschisch erfuhr durch das Auftreten von Griechen in der TRT/TRS-Region im 7. Jh. v. Chr. keine einschneidende Veränderung, zumindest keine, die sich als negativ erkennen ließe. Ob die griechische Konkurrenz zu Spannungen führte, wissen wir nicht. Herodotos zufolge wurden die Griechen freundlich aufgenommen und fuhren reich beschenkt zurück. Allerdings haben wir feststellt, dass konkurrierende griechische Emporien sich im engeren Raum Tarschisch/Tartessos nicht dauerhaft etablierten. Ob Druck ausgeübt wurde oder ob der Markt die Verhältnisse regelte, muss einstweilen offen bleiben.
Eine Änderung trat erst ein, als die politische Situation im östlichen Mittelmeerraum eine neue Lage schuf. Für das unter assyrischem Druck handlungsunfähig gewordene Tyros trat die „Neustadt“ Karthago auf den Plan, dessen politische und soziale Entwicklung ganz andere Wege gegangen war als die der Phoiniker in Tarschisch und im ferneren Westen überhaupt. Handelsbeziehungen mit dem jungen Karthago sind in der phoinikisch-einheimischen Siedlung von Castillo de Doña Blanca (die spanische Forschung nennt diese Siedlung „tartessisch“) bereits im 8. Jh. v. Chr. nachgewiesen. Nun, im 6. Jh. v. Chr., schickt Karthago sich an, im Konzert der aufstrebenden Mächte des zentralen Mittelmeerraums mitzuspielen. Im Westen übernimmt es die Rolle einer Vormacht aller „Tyrier“, weniger nach innen als in deren Außenvertretung, was zivilen und militärischen Protektionismus, wie die Kontrolle der Straße von Gibraltar, einschließt.
Diese Kontrolle, die einer Sperrung gleichkam, hatte zur Folge, dass Informationen über die innere Entwicklung von Tarschisch kaum noch nach außen gelangten. Da die potentiellen karthagischen Schriftquellen der späteren Auseinandersetzung mit Rom zum Opfer fielen, besitzen wir so gut wie keine historiografischen Informationen über die karthagischen Aktivitäten in der Zeit zwischen den atlantischen Rekognoszierungsfahrten der Admirale Hanno und Himilko um 600 v. Chr. und dem Zweiten Vertrag zwischen Karthago und Rom, der in das Jahr 348 v. Chr. zu datieren ist. Es hat aber den Anschein, dass sich das Verhältnis zwischen den einheimischen Völkern des hispanischen Südens, den West-Phoinikern und den Karthagern im Ganzen friedlich gestaltete. Die polybianische Formulierung, wonach im 3. Jh. v. Chr. die Barkiden die πράγματα in Tarschisch wieder herzustellen hatten, lässt darauf schließen, dass von Karthago dort eine Verwaltungs- oder Organisationsstruktur geschaffen worden war, die während des ersten Konflikts mit Rom gelitten hatte. Es liegt nahe, dabei Abgaben verschiedenster Art, Mineralabbau und Söldnerwerbung zu vermuten, die in irgendeinem organisatorischen Rahmen miteinander verbunden waren. Es mag auch frühe Ansiedlung nordafrikanischer Gruppen gegeben haben, wie sie uns in hannibalischer Zeit im südlichen Hispanien begegnen; die zahlreichen mit punischer Legende prägenden Münzpräge-Orte können nicht erst in barkidischer Zeit entstanden sein. Andererseits gibt es keinen Hinweis auf Veränderung der einheimischen Herrschaftsstrukturen. Auf imperialistischen Kolonialismus wie später in barkidischer Zeit weist nichts hin.