Kitabı oku: «KISHOU I», sayfa 5

Yazı tipi:
~*~

Das Drom der Ky
Die Zeitfalle und die Stadt der Tausend Spiegel

Kishou hatte keine Ahnung, was geschehen war.

Noch immer auf dem linken Bein balancierend, bewegten sich ihre Augen vorsichtig von links nach rechts. Nicht einmal ihren Kopf wagte sie zu bewegen. Himmel und Erde waren plötzlich wieder an ihren gewohnten Plätzen – ohne dass sie hätte sagen können, wann und wie es geschehen war. Aber mehr war nicht zu erkennen. Keine Berge, keine Bäume, kein See, kein Weg und nicht einmal die kleinste Unebenheit – aber auch nichts, was möglicherweise gefährlich sein könnte. Ihr suchender Blick verlor sich am Horizont ohne auch nur auf den geringsten Widerstand zu treffen. Der Himmel war wolkenlos, und die Sonne hüllte alles in ein gleißendes Licht. Aber es war nicht sonderlich warm – aber auch nicht kalt. Kein Wind war zu spüren und nicht das kleinste Geräusch zu hören. Der Boden zu ihren Füßen war gleichmäßig bedeckt mit feinem Sand, aber nicht einmal der ließ irgendeine Unebenheit erkennen.

So stand sie eine ganze Weile mit suchenden Augen – unbeweglich, auf einem Bein balancierend, und inmitten dieser unwirklichen und schier unendlichen Weite.

„Trautel ...? Trautel Melanchful?“, flüsterte sie vorsichtig in die beklemmende Stille hinein. Aber diesmal kam die erhoffte Antwort nicht. „Trautel Melanchful!“, quetschte sie so gut es ging noch einmal aus ihrem zugeschnürten Hals hervor. Aber wieder blieb die ersehnte Antwort aus.

In böser Ahnung stellte sie nun endlich auch ihr noch immer in der Luft hängendes rechtes Bein ab und schaute erschrocken hinter sich. Sie hatte es befürchtet: Hinter ihr bot sich dasselbe Bild wie vor ihr – eine bis zum Horizont reichende Ebene, und nichts, was den Augen einen Halt bot. Keine Hecke, kein Garten, keine winkende Trautel Melanchful ... Erschrocken wendete sie sich nach allen Seiten – lief ein paar Schritte nach links – dann nach rechts – aber überall war das Gleiche zu sehen: Ein tiefblauer, wolkenloser Himmel, der sich irgendwann in der Ferne mit der Erde verband.

„Trautel Melanchful!“, rief sie nun verzweifelt so laut sie konnte. Ihre Stimme klang wie in Watte gelegt und verlor sich in der Weite, ohne von irgend etwas behindert zu werden. Trautel Melanchful antwortete nicht. Es gab sie nicht mehr. Hatte es sie jemals gegeben? Es gab überhaupt nichts mehr. Hier gab es scheinbar nichts außer dem Himmel – der Erde – und Kishou.

Sie wollte es nicht glauben und lief angstvoll und laut rufend mal in die eine und mal in die andere Richtung – aber so wild sie auch hin und herlief, es blieb alles gleich. Und als wäre das noch nicht genug, bemerkte sie nun auch noch, dass sie bei ihrer ziellosen Lauferei nicht einmal Fußspuren hinterlassen hatte. Obgleich ihre Füße deutlich spürten, wie der weiche Sand unter ihnen ein klein wenig nachgab, hinterließen sie doch nicht die geringste Spur.

Ungläubig stapfte sie einige Schritte hin und her und beobachtete den Boden. ... Nichts! – Es blieb nichts Erkennbares zurück!

Sie scharrte mit dem Fuß über den Boden, und spürte, wie dieser Fuß den Sand vor sich her schob – aber es war nichts davon zu sehen. Jedes Sandkörnchen blieb an seinem Ort, als wäre nichts geschehen.

Sie strich mit der Hand durch den Sand, spürte seinen Widerstand, und fühlte, wie er durch ihre Finger rieselte, ... aber es war nichts davon zu sehen!?

Verzweifelt schaute sie erneut hilfesuchend um sich – suchend – nach irgendetwas, das einen Ausweg versprach ... Doch da war nichts. Nichts und Niemand. Sie war allein.

Sie setzte sich auf den Boden und weinte jämmerlich. Etwas in ihr erinnerte sich an die Verlorenheit ...

~

Als Kishou erwachte, hatte sie keine Ahnung, wie lange sie schon so da lag. Sie war beim Weinen wohl eingeschlafen. Wie eine Kugel zusammengerollt lag sie da. Und als sie endlich blinzelnd aufschaute, war alles so wie vorher. Die Sonne hatte ihren Platz nicht verlassen, der Himmel war tiefblau und wolkenlos und vereinigte sich ungehindert am fernen Horizont mit einer Erde, die keinerlei Verletzungen zuließ.

Benommen rieb sie sich die Augen, und schaute einem der überall gleichen Horizonte entgegen. Vielleicht war es Resignation, vielleicht auch nur Müdigkeit oder die Anstrengung des Weinens – aber Angst verspürte sie nicht mehr. Eigentlich spürte sie gar nichts. Irgendetwas in ihr musste wohl akzeptiert haben, dass sie nun dort war, wo sie sein musste. Sie setzte sich auf und betrachtete empfindungslos das gleichförmige Panorama des Horizonts. „Es ist das Drom der Ky – die ,Erste Ebene des Ersten Tals des Ersten Droms’ des Großen Belfellands!“, hörte sie sich ohne jede Regung sagen. „Und wenn das hier das Drom der Ky ist, dann muss es auch irgendwo einen Ky geben!“

Wie beiläufig nahm sie ihr Bündel von der Schulter, knüpfte es auf, kramte einen Wasserbeutel hervor und nahm einen kräftigen Schluck. Ohne den Blick vom Horizont zu wenden, verstaute sie den Wasserbeutel wieder, schnürte sich das Bündel um die Schulter und erhob sich. Und ohne auch nur einen Gedanken über die Richtung zu verlieren, in die sie gehen sollte, stapfte sie los.

Hätte sie sich einmal umgeschaut, hätte sie bemerkt, dass ihre Schritte kleine, gleichmäßige Vertiefungen im lockeren Boden hinterließen, von deren Rändern noch ein wenig Sand hinabrollte ...

Eine sehr lange Zeit war vergangen, ohne das sich auch nur das geringste veränderte. Ihr war, als würde sie unentwegt auf der Stelle gehen. Sie verspürte nicht einmal Hunger oder Durst. Sie begann langsam und unmerklich in eine Art Trance zu fallen. Es schien ihr, als würde sie für alle Ewigkeiten einfach nur laufen. Da ist kein Ziel, das erreicht werden könnte. Es ist alles nur ein unendliches gehen.

Kishou schreckte innerlich auf und kniff die Augen zusammen. Sie versuchte sich auf das Ziel zu konzentrieren – aber was sollte das sein. Es viel ihr zunehmend schwerer, sich zu erinnern.

Sie begann sich auf das Rascheln ihrer Kleider zu konzentrieren. Das war ein Geräusch, das bewies, dass da etwas Wirkliches war. Das Geräusch war gleichmäßig, aber doch gab es bei jedem Schritt irgendeinen winzigen Unterschied. Mal rutschte das Bündel um ihre Schulter etwas nach hinten, dann schlugen die weiten Ärmel ihre Hemdes sanft gegen die Hüfte, und in unregelmäßigen Abständen strichen die weiten Hosenbeine gegeneinander.

Sie begann die verschiedenen Geräusche zu ordnen und zu sortieren, und versuchte herauszufinden, wann genau welches Geräusch auftrat. Zusammen mit dem immer gleichmäßigen leichten Knirschen der Schritte ergaben sich vielfältige Rhythmen – eine Art Musik. So behalf sie sich, dass sich ihr Geist nicht verflüchtige. Sie bedauerte es, keinen Hut mitgenommen zu haben, denn die Sonne begann sie immer mehr zu blenden.

Die Sonne begann sie immer mehr zu blenden? ...

Sie hielt abrupt inne – ihre Kleider erzeugten irgendwo ein kleines Klatschgeräusch ... Ihr Blick richtete sich zum Himmel. Tatsächlich! Die Sonne hatte sie längst überholt und schien ihr nun nahe dem Horizont mitten ins Gesicht.

Sie war von einem Moment zum anderen hellwach. Diese Welt kann nicht unendlich sein, wenn sich etwas in ihr dem Untergange neigt! Sie fuhr herum, in der Hoffnung weitere Neuigkeiten zu entdecken – und tatsächlich! Zwar war der Horizont unverändert einförmig, aber bis zu diesem Horizont, so schien es, führte ein langes Band kleiner, gleichförmiger Kuhlen, die erst unter ihren Füßen endeten.

Ungläubig erregt ließ sie sich auf die Knie fallen und drückte ihre Hand in den Boden. Tatsächlich verschwand sie unter dem Sand, und als sie langsam die Hand wieder anhob, so blieb der Sand auf ihrem Handrücken liegen. Wie ein feingesponnenes Tuch aus Gold rieselte er seitlich von den Fingern, um sich darunter wieder mit Seinesgleichen zu vereinen ...

Sie quietschte auf vor Glück. Sie erhob sich, sprang wild hin und her und stampfte ausgelassen mit ihren Füßen tiefe Kuhlen in den weichen Boden. Sie und diese Welt waren wirklich. Es war ein höchst ödes Land, aber es war ein Wirkliches.

Übermütig stieß sie mit den Füßen den Sand in die Luft, dass es nur so spritzte ... „Au!“ – Ihr Fuß war gegen etwas Hartes gestoßen. Etwas Hartes?

Sie ließ sich in den Sand fallen und durchwühlte aufgeregt die Stelle, wo ihr Fuß auf den Widerstand gestoßen war, und schon bald hatte sie die Ursache ihres Schmerzes gefunden. Sie zog einen Stein heraus. Es war ein wunderschöner Stein – wie mit einer Glasur überzogen, graublau mit weißen versprengten Punkten, und er war scheinbar vollkommen dreieckig!? Sie bestaunte ihn, und hätte ihn gern mitgenommen, aber er war doch zu groß und zu schwer.

Fiebrig durchwühlten ihre Hände noch einmal den Sand, und tatsächlich fand sie bald einen Zweiten und bald den Dritten – und bald hatte sie wohl das Dutzend voll. Alle waren wunderschön und hatten seltsam gleichförmige Strukturen. Sie waren Vielecke, Würfel, Scheiben und Kugeln.

Kishou trug sie alle zusammen und setzte sich erschöpft vor ihre Beute. Es war ihr, als hätte sie einen Schatz gefunden. Wenn sie eines Tages zu Trautel Melanchful zurückkehrte, würde sie einige von den Steinen holen und sie in ihrem Garten auslegen. Das nahm sie sich ganz fest vor.

Fast hätte sie über ihre sonderbaren Steine vergessen, in welch einer Situation sie sich befand. Ihr Gesicht verdunkelte sich wieder, und ihr Blick fiel auf den gleichförmigen Horizont. Eine riesige glutrote Halbkugel lag inzwischen darauf, und wie ein überdimensionales Tor auf dem Horizont stehend, wollte die Sonne Kishou wohl daran erinnern, dass es nicht die schönen Steine waren, die es hier zu finden galt. Ein Trotz lag in ihren Gesichtszügen. Steine würden nicht das Letzte sein, was sie hier finden würde.

Der Himmel verdunkelte sich zusehends, und immer mehr Sterne durchbrachen das restliche Licht. Sie beschloss, die Nacht bei ihren Steinen zu verbringen und erst einmal zu schlafen. Sie ordnete ihren Schatz in einen Kreis um sich herum, und rollte sich in seiner Mitten zusammen. Es gab zwar nichts erkennbares zum fürchten, aber irgendwie fühlte sie sich in dieser kleinen Burg sicherer.

Die hereingebrochene Nacht war nicht wirklich dunkel, denn der Himmel veranstaltete wohl gerade ein Großfeuerwerk. Ein unendliches Meer von größeren und kleineren Lichtpunkten überflutete ihn. Starr oder flimmernd und scheinbar hin und her hüpfend, verbreiteten sie ein diffuses Licht. Sie dachte an Trautel Melanchful und den großen Garten – und an ihr kleines Bäuchlein, das sie über all die Aufregung fast vergessen hätte. So streichelte sie es sanft – und schlief ein.

.

Sie träumte von ihrem alten vertrauten Häuschen. Doch es stand in keinem Garten, sondern hier, inmitten der Ersten Ebene des Ersten Tals des Ersten Droms. Es war Nacht. Sie stand mit Trautel Melanchful am Küchenfenster und schaute über das in diffuses Sternenlicht getauchte öde Land.

„Warum ist denn hier niemand außer uns?“, fragte sie maulend. Die Alte zeigte ihr geheimnisvolles Lächeln und legte ihren Arm um Kishou. „Dummerchen, es kann doch nur jemand anderes da sein, wenn auch du da bist!“

„Hä? – aber ich bin doch da?!“

„Nein! Du hast Angst vor dem Fremden und versteckst dich!“

„Nein – tu ich nicht!“

„Doch, das tust du!“

„Nein – tu ich nicht!“

„Doch, du hast Angst!“

„Nein – hab’ ich nicht!“

„Du kannst dich nur gerade nicht daran erinnern!“, lächelte die Alte.

Die heruntergebrannte Kerze auf der Küchenanrichte war noch einige Male kurz aufgeflackert, bevor sie endgültig erlosch. Trautel Melanchful wandte sich ins Kücheninnere, wohl um eine frische Kerze aufzuziehen.

„Nein, ich hab' keine Angst. Ist doch blöd. Ich will, das da noch jemand ist!“, schimpfte sie fast in die Dunkelheit der Küche hinein.

„Nun, dann schau hinaus. Wenn Neugier und Mut stärker sind, als deine Angst, wirst du sie finden!“

„Ach!“, maulte Kishou und wandte ihren Blick wieder dem Fenster zu.

Das etwas ins rötlich gehende Licht am Horizont passte irgendwie nicht in den bläulich-weißen Hintergrund des Sternenmeeres – sie hatte es wohl vorher übersehen – und je mehr es ihr nun auffiel, desto unstimmiger wurde es. Es schien auch irgendwie zu flackern. Es wurde mal heller, mal dunkler – wie der Widerschein eines großen Feuers in der Ferne.

„Was ist das denn? – Trautel Melanchful, schau mal! Was ist denn das da hinten?“

Trautel Melanchful antwortete nicht.

„Trautel Melanchful, schau doch mal!“ Sie wandte sich zur Küche, aber sie konnte in der Dunkelheit nichts erkennen. „Trautel Melanchful – wo bist du denn?“

Keine Antwort.

„Trautel Melanchful!“ Kishou lief ins Kücheninnere und krachte mit ihrem Kopf gegen irgend etwas sehr Hartes. Mit zusammengekniffenen Augen und schmerzverzerrtem Gesicht rieb sie sich den maltretierten Kopf. Als sie ihre Augen wieder öffnete, fand sie sich in ihrer kleinen Steinburg. Ihr Schlaf war etwas unruhig gewesen und sie war mit dem Kopf gegen einen der Steine gestoßen ...

Während sie sich noch die schmerzende Stelle am Kopf rieb, schweifte Ihr Blick über das dunkle Band des Horizonts, in dem das Meer der Sterne endete. Ihr Blick verharrte auf einem kleinen, unscheinbaren roten Schimmer, der mal heller und mal dunkler zu werden schien, und irgendwie überhaupt nicht in das bläulich-weiße Licht des Sternenmeeres hinein passte ...

Kishou stockte der Atem und ihre Hand fuhr unwillkürlich zu ihrem kleinen Bäuchlein. „Die Ky!“, schoss es ihr durch den Kopf.

Ungläubig starrte sie auf die flackernde Erscheinung, und sie wusste nicht, ob sie sich freuen, oder doch besser Angst haben sollte vor dem, was dort hinten möglicherweise lauerte. Alles in ihr war hellwach. Weiter zu schlafen war nun undenkbar. Aber was sollte sie nun tun? Waren die Ky freundlich oder gefährlich? Vielleicht sind es ja gar nicht die Ky – Vielleicht wartet dort in der Ferne sogar Suäl Graal auf sie ... Aber es könnte ja auch Boorh sein – der musste ja schließlich hier auch irgendwo sein. Weglaufen ging eh nicht – wohin denn? Ihre Augen ertasteten suchend den Horizont, und ihre Gedanken stolperten von eine Phantasie in die andere.

Während ihre Gedanken keine Lösung zu finden vermochten, tasteten ihre Hände bereits nach ihrem Bündel und schnürten es über die Schulter. Wehrlos ließ sie es geschehen, dass sich ihr Körper erhob, ihre Beine über den kleinen Steinwall stiegen, und sie sich langsam auf den rötlich-flackernden Schein zu bewegte ...

Lange Zeit schien die seltsame Erscheinung nicht näher zu kommen, und Kishou dachte schon daran, dass es vielleicht nur ein Trugbild ist, und begann sich immer mehr zu beruhigen – dann aber schien es doch irgendwie heller geworden zu sein.

Der neue Tag konnte nicht mehr weit sein, da war klar, dass der anfänglich nur rötliche Schimmer kein Trugbild war. Deutlich war nun der Schein eines großen Feuers zu erkennen. Hätte sie auch nur geahnt, wie nahe sie bereits der Feuerstelle war, auf dessen Schein sie sich zubewegte, wäre sie sicherlich vorsichtiger gewesen.

Als das Feuer plötzlich vor ihr auftauchte, wäre es beinahe zu spät gewesen. Sie hatte nicht bemerkt, wie ihr Weg langsam und unmerklich anstieg, und nun abrupt in einer Düne steil abfiel. Noch ein paar wenige Schritte, und sie wäre wohl hinuntergefallen.

Erschrocken wich Kishou zurück und duckte sich zugleich in den Sand.

Da unten war jemand – nein, es waren viele – sehr viele. Vorsichtig kroch sie an den Rand der Düne und hob ihren Kopf über den Abriss – sie wünschte nur, dass ihr Herz nicht so laut pochen wollte, vielleicht konnte man es ja da unten hören.

Was sie nun sah, ließ sie das Atmen vergessen. Dort unten war alles anders als das, was sie bis jetzt von diesem Drom erfahren hatte. In dem wild lodernden Licht eines großen Feuers, das von einer dicken Steinmauer umschlossen war, konnte Kishou ein unzähliges Gewirr von unbekannten Gegenständen erkennen, an denen sich eine große Zahl irgendwelcher Leute zu schaffen machten.

Es musste ein Dorf sein, oder so etwas ähnliches. Zumindest waren verschiedene Häuser oder Baracken im Schein des Feuers zu erkennen. Es waren auch Stimmen zu hören, aber sie waren noch zu weit, um irgend etwas zu verstehen, was dort gesprochen wurde.

Kishou schaute hinter sich. Sie musste sich vergewissern, dass niemand hinter ihr war. Es dauerte einen Moment, bis sich ihre vom Feuerschein geblendeten Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Aber hinter ihr war nur die bekannte unendliche Öde. Ein silbergrauer Streifen am Horizont verriet den baldigen Sonnenaufgang.

Sie wandte sich wieder dem Geschehen des Ortes zu, und schob sich dabei noch etwas mehr vor. Sie erschrak, als dabei ein wenig Sand in Bewegung kam, und die Düne hinunterrutschte. Sofort drückte sie ihren Kopf auf den Boden und verharrte so einen Moment. Als sie ihn vorsichtig wieder anhob, stellte sie beruhigt fest, dass wohl niemand da unten etwas bemerkt hatte. Die Gesichter der Gestalten waren nicht zu erkennen. Sie trugen alle lange, braune Kutten, mit großen Kapuzen, die wohl einen dunklen Schatten auf ihre Gesichter legten.

Es war ein emsiges Treiben, und erst jetzt bemerkte Kishou die Unmenge von Steinen, die überall herumlagen. Die meisten aber waren aufgeschichtet zu großen Haufen. Es waren die gleichen seltsamen Steine, die sie tags zuvor unter dem Sand gefunden hatte. Auch die Häuser schienen aus ihnen zusammengefügt – ihre Wände spiegelten den Schein des Feuers und warfen bizarre Lichtspiele in die Umgebung.

Aber es waren auch noch andere Dinge zu Haufen geordnet. Kishou konnte nicht erkennen, was es war – es funkelte zum Tanz des Feuers in den verschiedensten Farben. Eine große Zahl von diesen Leuten saß in der Nähe dieser Haufen, oder um sie herum, und taten irgend etwas, was ebenfalls nicht zu erkennen war. Ab und an warfen sie dann etwas zu diesen Haufen dazu, und wieder andere trugen auf Pritschen irgend etwas zu den am Boden sitzenden hin.

Vor der Mauer des Feuers erhoben sich ebenfalls irgendwelche Haufen, aber die glitzerten nicht. Ab und an schaufelte man mit Gefäßen einiges von diesen Haufen weg und schob das dann in kleine Löcher in der Mauer.

Zur Linken wurde der Ort von einer felsigen Wand begrenzt – zumindest sah es im diffusen Licht danach aus. Ein Teil dieser Wand war von einem großen und tiefen hölzernen Gerüst verdeckt, und es standen eine Menge kleiner Wagen, Karren, und andere Dinge herum.

Erst jetzt bemerkte sie auf der anderen Seite der Feuerstelle Bewegungen, die aussahen, als fände dort gerade ein Kampf statt!? Der Feuerschein blendete zu sehr, um es genügend erkennen zu können. Dann aber verlagerte sich das Geschehen weit genug weg von dem grellen Licht des Feuers.

Kishou schluckte hörbar. Dort wurde tatsächlich gekämpft, und es waren offensichtlich nicht wenige, die mit irgendwelchen Dingen aufeinander einschlugen, oder sich ineinander verstrickt über den Boden wälzten. Merkwürdigerweise aber schienen die anderen nicht die geringste Notiz davon zu nehmen.

Sie starrte gebannt auf das seltsame Geschehen dort unten. Sie bemerkte nicht, wie immer wieder einige Sandkrümel unterhalb ihrer Deckung in Bewegung gerieten und lautlos die Düne herunterrieselten – und wie sich durch das Gewicht ihres Körpers der lockere Sand unmerklich absenkte. Als sie es endlich bemerkte, tat sie genau das, was man in einem solchen Moment auf keinen Fall tun sollte: Sie richtete erschrocken auf und wollte durch einen schnellen Sprung zur Seite der Gefahr entkommen – aber genau diese hastige Bewegung gab dem instabil gewordenen Untergrund nun den entscheidenden Impuls. Die Kante der Düne rutschte unter dem Gewicht ihres Körpers nach vorn, und stürzte mit ihr herab.

Wie ein haltloser Stein purzelte sie den sandigen Hang hinunter und wurde erst am Fuße der Düne ausgerechnet von einem der Kapuzenmänner unsanft zum Stillstand gebracht. Sie traf den Ahnungslosen von hinten, so dass der kopfüber in den Sand fiel. Noch eh er sich wieder aufrappeln konnte, war Kishou bereits wieder auf den Beinen und rannte, als wäre eine ganze säbelschwingende Armee hinter ihr her.

Ihre Ahnung war wohl so unrichtig nicht, denn sogleich war ein großes, aufgeregtes Stimmengewirr zu vernehmen, das offensichtlich die Verfolgung aufgenommen hatte. Instinktiv lief Kishou auf das Gerüst zu – es schien der beste Ort zu sein, um sich zu verbergen.

Die Stimmen und das Fußgetrappel kamen schnell näher. Sie schaute sich nicht um und rannte was ihre Beine hergaben, bis sie endlich den Gerüstbau erreicht hatte. Unzählige Verstrebungen ließen es nun aber nicht mehr zu, einfach weiterzulaufen. So schnell es irgend ging, stolperte sie zwischen die Wirren der Streben in das Gerüst hinein. Es war kaum etwas zu sehen, und es war mehr ein Vortasten als ein Gehen.

Als sie nun endlich zurückschaute, konnte sie deutlich durch die Strebungen die Silhouetten der Kapuzengestalten vor dem Hintergrund des rötlichen Lichtes erkennen, das von der Feuerstelle über dem Ort lag. In ihren Händen blinkte hin und wieder etwas auf – sie ahnte nichts Gutes.

Die Kapuzenmänner begannen nun ebenfalls in das Gebälk einzudringen.

Wie ein gehetztes Tier begann sie in das Gerüst nach oben hineinzuklettern. Nach einer Weile hielt sie inne, und versuchte die Luft anzuhalten, um sich durch ihr schweres Atmen nicht zu verraten. Einige der Kapuzenmänner schienen den Rufen und Geräuschen nach direkt unter ihr zu sein, ihre Stimmen waren außergewöhnlich dunkel, aber sehr klar.

„Es muss sich hier irgendwo vom Allsein trennen!“

„Es ist all Eins, ich kann nichts trennen vom Allsein!“

„Gebraucht das Schwert zu sehen!“

„Nein, nicht das Schwert! ... das Scheiden wäre nicht vollkommen, die Kraft des Baus ist nicht mehr entschieden genug!“

„Wer entscheidet das?“

Die Stimmen riefen alle durcheinander und waren sehr aufgeregt. Kishou zitterte wie die angeschlagene Saite einer Ukulele. An einen Balken geklammert, rieb sie unkontrolliert an ihrem Bäuchlein herum ...

„Dann Feuer, ... schafft das Licht des Feuers heran, es wird das Sein vom Allsein trennen!“

„Kein Licht vom Feuer ...! Lasst das Feuer in seinen Grenzen!“

„Kein Feuer ... zu trocken ist das Gebälk!“

„Ich sage: Es ist nach oben dem Sein entwichen!“

„Wer entscheidet das?“

„Ich: ,Der mit der Lanze spricht’!“

„Er, ,Der mit der Lanze spricht’, hat angemessen entschieden!“

„... entscheide ebenso! So soll es sein!“

„Es ist nach oben ins Allsein des Gebälks entwichen!“

Kishou schrak zusammen. Hier oben konnte sie nicht weglaufen, und unten schickte man sich nun offensichtlich an, in das Gerüst hineinzuklettern.

„Nein, wartet! Ich, ,Der das Eisen faltet’, widerspricht dem, ,Der mit der Lanze spricht’, und entscheide, dass es sich nicht dort oben vom Allsein trennt!“

Die Aufregung wurde durch diesen Einwand sichtlich stärker. „Wie kannst du, ,Der das Eisen faltet’, eine zweite Entscheidung treffen. Es kann sich nicht unten und oben zu einer Zeit vom Allsein trennen!“

„Die erstere Entscheidung war nicht vollkommen bemessen! Das Gebälk hat nicht mehr die Kraft, dass es eine Entscheidung tragen könnte!“

„Wohl bemessen ist die Entscheidung dessen, ,Der das Eisen faltet’!“

„Ja, zu spröde und trocken ist das Gebälk!“

Als wären diese Worte das Stichwort gewesen, brach unter lautem Knirschen der Balken unter Kishous Füßen. Der, an den sie sich klammerte, hielt glücklicherweise. Ächzend zog sie sich an ihm hoch. Sie umklammerte ihn mit den Beinen und schob sich langsam vorwärts.

„Das Gebälk hat entschieden!“, hörte sie die aufgeregten Rufe unter sich.

„Es trennt sich dort oben vom Allsein!“

„Genau so, wie ich, ,Der mit der Lanze spricht‘, entschieden habe!“

„Aber wir können nicht dorthin, zu unentschieden ist die Kraft der Balken und Streben!“

„Nun – so habe ich, ,Der das Eisen faltet’, auch richtig entschieden!“

„Ich: ,Den niemand bemerkt’ entscheide, dass nicht du, ,Der das Eisen faltet’, entschieden hat, dass die Kraft des Gebälks zu unentschieden ist, um ein Sein zu tragen, sondern das war der, ,Der vor den Steinen läuft’! Und außerdem ...“

„Wie sollen wir nun entscheiden?

Es war eine Weile nichts mehr zu verstehen, weil alles durcheinanderredete.

„Die, welche die Kraft eines halben Quaders nicht übertreffen, sollen hinterher steigen!“, übertönte eine der Stimmen die Aufgeregtheit.

„Eine wohl bemessene Entscheidung!“

„Das sollte das Sein vom Allsein Trennen!“

„Ich: ,Den niemand bemerkt’, werde vorangehen. Ich messe nur die Kraft eines viertel Quaders und bin ...“

„Du: ,Der den Stein nicht hebt’, du, ,Den der Wind verweht’, du, ,Der zu leise spricht’, und du, ,Den der Speer verfehlt’ gehen voran. Entscheidet alsdann, wer folgen wird!“

„..........!“

„Wie bitte?

„.........!“

„Nein, er hat ebenso entschieden!“

„Was hat er gesagt?“

„Wer?!“

Die folgenden Worte gingen im Knirschen und Knarren des Holzes unter. Man begann offenbar, in das Gerüst hinaufzusteigen. Kishou hatte inzwischen den gegenüberliegenden Querbalken erreicht und hangelte sich mühsam nach oben. Dort, wo sie sich nun befand, war das Gerüst mit dem Felsen verbunden, und einige der dickeren Balken waren in die Wand hineingetrieben. Auf einem der stärkeren tastete sie sich an der Felswand entlang.

Das Knirschen und Knarren kam deutlich näher – sie kamen offensichtlich noch schneller voran, als Kishou befürchtet hatte. Sie beugte sich vorsichtig über eine Verstrebung, um zu schauen, wie weit die Verfolger noch entfernt waren, konnte aber nichts erkennen. Nur das Geräusch ächzender Balken verriet ihre unmittelbare Nähe ... Da klatschte etwas neben ihren Fuß auf das Holz. Eine Hand! Sie erkannte undeutlich ihre Konturen, und wie sie sich an den Balken klammerte. Einen Augenblick erstarrte Kishou – bewegte sich dann mit angehaltenem Atem langsam rückwärts zum Felsen. Ihre Hand tastete hinter ihr nach der Wand – sie müsste sie längst erreicht haben ... Sie wendete sich prüfend um, stolperte über den kleinen Grat eines gesprungenen Brettes und suchte mit rudernden Armen im Dunkel nach der rettenden Wand – mit einem kleinen spitzen Schrei fiel sie ins Leere.

Es waren allerdings keine spröden Bretter auf den sie gefallen war, es war harter steiniger Boden. Sie war in eine Aushöhlung des Felsens gefallen. Ein großes Loch in der Wand, das sich jedoch zu niedrig erwies, als dass sie sich darin aufrichten konnte. Gehetzt sah sie um sich, doch der weitere Weg der Flucht war nun vorgegeben. Ein Zurück war unmöglich.

Es war stockdunkel. Langsam kroch sie auf allen Vieren in die Höhlung hinein. Sie machte offenbar eine kleine Biegung, denn plötzlich schien es ihr, als würde sie den schwachen Schein eines Lichtes in der pechschwarzen Dunkelheit erkennen – und schon bald vernahm sie mahlende Geräusche und ein dumpfes Dröhnen. Der Einstig verbreiterte sich allmählich, und tatsächlich eröffnete sich am Ende des Tunnels ein gigantischer unterirdischer Hohlraum.

Viel war nicht zu erkennen. Einige spärliche Fackeln ließen gerade einmal erahnen, worum es sich hier handeln könnte. Es schien eine Art Bergwerk zu sein. Außer verschiedenster Geräusche und diesem dumpfen Dröhnen, dessen Herkunft nicht zu orten war, war nichts auszumachen ... Vor allem keine Kapuzenmänner, wie sie mit Erleichterung feststellte. Der Ausstieg war nicht zu ebener Erde, sondern lag um einiges über dem Boden des Zugangs, den sie zur Flucht genutzt hatte.

Mit einiger Mühe gelang es ihr, den steilen Hang herunter zu kommen. Außer Atem von der Anstrengung setzte sie sich am Fuße des Abstiegs in eine sandige Stelle auf den Boden, und versuchte erst einmal ein wenig Atem zu schöpfen und zur Besinnung zu kommen. Die Gedanken purzelten wild durcheinander, und es war kalt hier drinnen. Sie streichelte ihr Bäuchlein, und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Seltsamerweise spürte sie keine Angst – zumindest keine, die sie als solche bezeichnen würde nach all dem, was sie an Panikerfahrungen nun schon hinter sich hatte. Sie fühlte sich eher wie eine Maus, die versuchte dem Adler zu entkommen.

Aber wie sollte sie hier wieder herausfinden? ... und wie dann noch unbemerkt weg von diesen seltsamen Gestalten, die einen Eindruck machten, der jenseits jeder geringsten Freundlichkeit lag?

Ihre Augen suchten den schummrigen Raum ab. Aber die wenigen Fackeln verbreiteten ihr Licht kaum bis zu den Halterungen, mit denen sie im Fels verankert waren. Die dunklen Wände schluckten den Rest.

Als einige kleine Steinchen den Abstieg herunterrollten und neben ihr zum Stillstand kamen, wusste sie, dass sie nicht mehr allein war. ...

„Dort unten trenne ich etwas vom Allsein, das nicht das Maß eines Steins hat!“, hörte sie ein dunkles, aufgeregtes Rufen von oben.

„Wer entscheidet das?“

Fast im selben Moment bohrte sich mit einem gleichsam belanglosen ,Ratsch’ etwas zwischen ihre Beine in den sandigen Untergrund. Gleichzeitig vernahm sie das Aufschlagen von Metall auf Stein, und das Klappern von Stangen, die so schnell im Schotter nicht zur Ruhe kamen. Speere! Sie warfen mit Speeren nach ihr.

Der Gedanke hatte kaum Zeit, in ihr Bewusstsein zu gelangen – sie rannte bereits. Sie rannte und stolperte ins Dunkel hinein. Der zum großen Teil felsige Untergrund war sehr uneben, aber es gelang ihr erst einmal aus der Reichweite der Speere herauszukommen. Das Geklapper hörte auf.

Immer wieder tauchten schemenhaft, große, grobe Felsen vor ihr auf, denen sie ausweichen musste. Das Dröhnen wurde stärker, je tiefer sie in den Höhlenraum eindrang. Es schien von unten herzukommen, denn der Boden zitterte etwas.

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