Kitabı oku: «Kishou IV», sayfa 6
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Straße 147 Nummer 6
D
ie Fahrt zurück nach Trital verlief fast wortlos. Undolf schien sehr in sich gekehrt. Es war ihm anzusehen, dass seine Welt aus den Fugen war – und so wie es sich entwickelte, wohl auch bald die aller Breenen, wie er fürchtete. Kishou nahm es kaum.zur Kenntnis. Sie war zu sehr beschäftigt mit der Aufnahme der vielen neuen Eindrücke. Die 147. Straße lag nicht im Zentrum der Stadt, wo sie auf Undolf getroffen war, sondern in einem anderen Viertel. Die Straßen waren hier enger und unspektakulärer. Nur wenige Geschäfte gab es hier, und auch der Fuhrwerksverkehr war deutlich geringer. Undolf stoppte irgendwann. „Wir sind da!“, meinte er nur und kletterte vom Kutschbock.
Die Häuser waren hier alle zweigeschossig, und unterschieden sich kaum voneinander. Ihre Wohnstatt fand sich gleich im Parterre. Nur einige Stufen benötigte es im Innern des Hauses, um sie zu erreichen. Sie bestand aus einem kleinen Wohnraum, einem noch kleineren Raum mit einer eisernen Feuerstelle, einer Anrichte und zwei Schränke, und auch ein Toleban gab es hier wieder. Die Einrichtung war denkbar einfach, und wies auf keinerlei Gestaltungswillen hin. Ein kleiner, hölzerner Tisch mit zwei ebensolchen Stühlen, und an der hinteren Wand ein Lager mit Kissen und Decken – daneben eine große Truhe – war alles, was den Wohnraum als Solchen erkennen ließ. Ihre Augenbrauen fanden nur kurz einen Grund für einen Moment nach oben zu wandern, als sie in einem der Schränke der kleinen Küche Brot, Obst und allerlei Essbares entdeckte. Man hatte vorgesorgt.
Auch Kishou hatte vorgesorgt, und in Erwartung einsamen Wartens auf Undolf ihre Krypte mitgenommen, um darin lesen zu können. Es war inzwischen Abend geworden, und der Breene versprach am folgenden Tag nach der Arbeit wiederzukommen, um ihr die Nachrichten der Kuriere mitzuteilen, über die er den Kontakt zur ONO hielt. Und da sie diesmal auch darauf achtete, wie der Breene die kleine Lampe entzündete, wusste sie nun auch, dass dafür ein handliches Funkeneisen und ein milchiger Stein zum begehrten Licht führte.
Sie sah durch das geschlossene Fenster Undolf auf seinen Wagen steigen und davonfahren. Ansonsten erstarb bald jegliches Leben in der Straße, während unter kurzem Aufblitzen nach und nach die weißen Glaskugeln auf den langen Stäben, die regelmäßig in allen Straßen verteilt zu finden waren, zu leuchten begannen. Sie vermutete, dass es sich bei diesen Besonderen Apparaten wohl auch um Öllampen handeln musste, die sich irgendwie von selbst entzündeten. Sie beleuchteten die Straße nur mäßig, aber dennoch dauerte es eine ganze Weile, bis sich Kishou von diesem Anblick wieder abwendete. Nie zuvor hatte sie dergleichen gesehen.
Sie versuchte, in den mitgebrachten Krypten zu lesen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Die vielen, neuen Eindrücke und die aktuelle Lage ließen keinerlei Ablenkung zu. So wühlte sie sich in die Decken und Kissen des Lagers, und ließ ihren Gedanken um die befremdlichen Verhältnisse des Vierten Droms ihren Lauf …
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Fahrt nach Katum
K
ishou sprang wie von einer Feder getrieben auf, als endlich das bekannte Klopfzeichen an der Tür zu hören war.
Undolf machte ein besorgtes Gesicht. Wohl hatte man noch keine Spur von den Chemuren, aber die Sicherheitsverordnungen wurden noch einmal verschärft. So würden die Kontrollen zunehmen, und jeder Bürger wäre nun verpflichtet, alles Verdächtige sofort den Ordnungskräften zu melden, die in den Straßen verstärkt zur schnellen Kontaktaufnahme eingesetzt würden. Kishou erfuhr auf die Nachfrage, wie man diese denn überhaupt erkennen würde, dass die Ordnungskräfte mittels einer Ausnahmegenehmigung schon immer eine rote Bekleidung trugen. Sie vermutete wohl richtig, dass sie mit einer solchen Gestalt bereits ihre Erfahrung gemacht hatte. Sie hießen bei den Brennen ‚SOK’ – was die Abkürzung für ‚Sicherheits- und Ordnungskraft’ war.
Wie auch immer, die Bedingungen, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, wurden zunehmend schlechter. Dennoch, so berichtete der Breene, mussten sie nach Katum – der größten Stadt in Zentrum der Ebene des Droms, um Kontakt mit dem Vorstand der ONO aufzunehmen. Man wollte Kishou mit eigenen Augen sehen und befragen, um die Lage einschätzen zu können. Undolf legte auch wert darauf, festzustellen, dass er eine BAZ im Geschäft erhalten habe. Der Besitzer sei selbst Mitglied der ONO – es war einer der Beiden, die Undolf Tags zuvor in die geheime Unterkunft mitgebracht hatte – daher war es glücklicherweise kein Problem. Die ‚BAZ’ erklärte sich auf Nachfrage Kishous als ein Kürzel für ‚Bescheinigung für Arbeitsauszeit’.
Sie brachen auf. Ihr Weg führte sie zunächst quer durch die Stadt. Es war mühselig – zumindest erschien es ihr so. Es gab es allerlei für sie undurchschaubare Regeln, wie sich die Wagen auf den Straßen zueinander zu verhalten hatten. Tatsächlich waren auch überall diese rotberockten Breenen zu erblicken – SOKs, wie Kishou nun wusste. Sie standen zumeist an den Häuserwänden, die Hände mit dem langen schwarzen Stab auf den Rücken verschränkt.
Ihre Fahrt endete in der Mündung einer kreuzenden Straße, deren Verlauf an einem Fluss entlang führte. Ein eisernes, niedriges Gitter begrenzte sein Ufer. Undolf schwenkte nach rechts, und erreichte bald darauf einen Platz, von dem aus ein breiter Steg ein kurzes Stück in den Fluss hinaus ragte. Viele Breenen und Fuhrwerke standen dort aufgereiht in mehreren Reihen.
„Wir müssen auf die andere Seite!“, meinte Undolf nach hinten.
Kishou sah eine Plattform mit einer Baracke darauf, die gerade von dem Steg ablegte, und offenbar mittels eines Flussüberspannenden Taus auf die andere Seite gezogen wurde. Mit zwei Wagen und Dutzenden von Breenen und Braanen darauf war er ausgelastet.
„Die Fähre ist nicht besonders groß. Es wird einige Zeit dauern, bis wir rüberkommen!“, meinte Undolf schließlich, während er sich in die Wartenden einreihte. Auch hier sah man unter der großen Menge von Breenen und Braanen die roten Kleider deutlich überall hervorstechen. Undolf betrachtete die Menge aufmerksam, als suchte er in ihr irgend etwas. „Es sieht nicht besonders gut aus!“, sagte er endlich.
Die Art, wie er das sagte – halblaut und mit starrem Gesicht – bewegte Kishou dazu, sich dicht hinter seinen Rücken zu platzieren. „Was meinst du?“
Es scheinen sehr viele Gleim hier sein!“, raunte er, ohne sich zu ihr umzublicken. „Ich habe schon auf den ersten Blick zwei von ihnen entdeckt – ungewöhnlich für diesen Ort! Außerdem sehe ich, dass sehr viel kontrolliert wird!“
„Oh!“, reagierte Kishou verwundert. „Ich denke, die kann man nicht erkennen? Woher weißt du das?“
Undolf schwenkte seine Beine über den Kutschbock und kam auf die Pritsche. „Ich erkläre es dir später!“ Er kramte kurz unter einigen leeren Säcken, und zog dann eine kleine Schachtel hervor, die er sofort unter seinen Mantel schob. „Warte einen Moment!“, sagte er nur und kletterte vom Wagen. Er schlenderte wie gelangweilt zwischen der Menge umher – blieb mal hier mal da einen Moment stehen, und kam dann wieder langsam zurück.
„Was ist?“, wollte Kishou wissen, nachdem er sich wieder auf den Kutschbock gesetzt hatte.
„Ich hab’ einen Fretti in der Menge ausgesetzt!“, erklärte er.
„Was hast Du?“, verstand Kishou nicht.
„Einen …“ Er unterbrach sich selbst, als er bemerkte, das Kishou damit wahrscheinlich garnichts anfangen konnte. „Ein Fretti ist ein kleines Tier – die gibt es hier überall!“, erklärte er nun. „Man sieht sie aber selten, weil sie nur Nachts unterwegs sind. Er war in der Schachtel. Da ist eine kleine Feder drin, die den Deckel gleich öffnen wird. Sie geben sehr unangenehme und unüberhörbare Töne von sich, wenn sie sich bedroht fühlen!“
„Und wieso hast du …“ Sie stockte, als plötzlich ein langgezogener, heller und quäkender Ton aus der Menge heraus zu hören war, der sich mehrmals wiederholte. Überall fuhren die Köpfe herum und richteten ihren Blick nach unten zu den Ort der Herkunft des Geschreis.
„Tatsächlich!“, reagierte Undolf. „Es wimmelt hier nur so von Gleimen!“
„Wieso? Wie kommst du jetzt darauf?“ Sie konnte beim besten Willen keinen Zusammenhang des Geschehens und seiner Feststellung erkennen.
„Den Ruf der Fretti kennt jeder!“, erklärte Undolf in gespannter Unruhe. „Aber man schaut natürlich reflexartig hin, wenn man ihn in seiner Nähe hört – außer dem Gleim. Er reagiert auf solche Profanitäten nicht. Sie sind nichts ungewöhnliches und es ist nicht ihre Aufgabe, darauf zu reagieren. So erkennt man sie in der Menge auf einen Blick! Ein kleiner Trick – aber immer wieder sehr wirkungsvoll!“, schloss er.
„Und jetzt?“, fragte Kishou beunruhigt. „Wir müssen ja wohl irgendwie da rüber!“
„Ziemlich riskant – ich hab’ kein gutes Gefühl hier!“, bemerkte Undolf. „Es gibt auch eine Brücke. Es ist ein Umweg, aber sicherer, als hier auf dem Präsentierteller zu stehen!“ Er kletterte erneut vom Wagen, und führte sein Zugtier am Kehlriemen aus den Wartenden heraus. Glücklicherweise standen sie außen in der mehrreihigen Schlange, so dass es problemlos möglich war. Es sollte nichts ungewöhnliches sein, dass sich auch mal jemand aus den Wartenden wieder herauslöste – aber es war wohl hier und heute ungewöhnlich genug.
Kishou sah, wie sich einer der rotberockten ganz in ihrer Nähe plötzlich aus der Menge herauslöste, und sein langer Stab im nächsten Moment Undolf Einhalt gebot. Der reichte dem SOK ein Papier – wohl seinen Existenznachweis – und kurz darauf noch ein Zweites und noch ein Drittes. Alles wurde von dem SOK im wechselnden Blick auf Undolf genau fixiert. Undolf sprach die ganze Zeit, aber Kishou konnte nichts verstehen, wegen der vielen Geräusche, die über der Menge lag. Der SOK ging mit den Papieren um den Wagen herum und betrachtete etwas auf seiner Hinterfront – wohl das Schild, das an jedem Wagen zu sehen war. Dann endlich gab er die Papiere an Undolf zurück.
Kishou wollte beinahe aufatmen, aber statt nun wieder zu verschwinden, kam der Rotberockte nun geradewegs auf sie zu. „Den Existenznachweis!“, befahl er leidenschaftslos.
Kishou reichte ihn klopfenden Herzens vom Wagen hinunter …
„Was ist eigentlich los?“, fragte Undolf, der nun neben dem SOK stand. „Es ist unübersehbar das ungewöhnlich viele SOKs auf den Straßen sind. Ich hatte heute noch keine Gelegenheit die Nachrichten zu lesen. Liegt etwas Besonderes vor?“
Der rotberockte Antwortete nicht und lass stoisch in dem Papier Kishous.
Laut VOASOK-63/14-3 sind sie verpflichtet, Auskunft zu erteilen, wenn eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung vorliegt, oder zu erwarten ist!“, sagte Undolf mit klarer und selbstbewusster Stimme. „Ich könnte mich im Zweifelsfalle nicht schützen, wenn eine solche Gefahr angezeigt ist, und ich sie wegen ordnungswidrig unterlassener Aufklärung nicht abwehren kann!“
Das zeigte tatsächlich Wirkung. Der SOK wandte seinen Blick von dem Papier und schaute auf Undolf. „Bei den Eindringlingen soll sich auch ein Breene aufgehalten haben!“
„Ein Breene?“, tat Undolf erschrocken. „Das kann doch nur bedeuten, dass sie Unterstützung in der ONO finden!“
„Es ist damit zu rechnen, dass die ONO nun verstärkt aktiv wird, zumal die Eindringlinge noch nicht festgesetzt werden konnten. Es ist also äußerste Vorsicht und höchste Aufmerksamkeit geboten!“, erklärte der SOK, während er Kishou ohne aufzublicken das Papier zurückgab. „Hierzu gilt VOBSOK-1/12a und b!“
„Ich werde mich umgehend über die hierfür geltenden Regeln ordnungsgemäß unterrichten!“, antwortete Undolf ernst. „Hoffen wir, dass der Spuk bald ein Ende hat!“ Mit diesen Worten bestieg er den Kutschbock, nickte noch einmal dem SOK zu, und gab dem Pferd das Zeichen zum Aufbruch. Erst nachdem sie sich schon ein gutes Stück von der Fährstelle entfernt hatten, wagte Kishou endlich hörbar aufzuatmen.
„Das war knapp!“, reagierte Undolf auf Kishous Erleichterungsbekundung.
Die schier endlose Straße führte die ganze Zeit direkt am Ufer des Flusses entlang, und erst als die Häuser auf der anderen Seite niedriger und spärlicher wurden, kam endlich die Brücke in Sicht – ein hölzernes Monstrum, das auf dicken Stelzen das Wasser überspannte. Sie wurde offenbar vor allem genutzt, um nach Trital hinein zu gelangen. Von ihrer Seite – also aus der Stadt hinaus – gab es nur wenige Wagen, die sie überquerten.
Auf der anderen Seite mussten sie zunächst wieder ein gutes Stück am Fluss entlang zurückfahren, bevor sie endlich ins Landesinnere einscheren konnten. Kishou schaute bis dahin die ganze Zeit über fasziniert zur Stadt hinüber. Die Welt schien ihr hier auf dem Kopf zu stehen. Aus all der satten und unbändigen Natur heraus, sah sie auf eine Oase aus grauem und wohlgeordneten Gestein.
Nun aber waren sie endlich auf ihrem Weg, vorbei an noch kahlen oder gerade erblühenden Feldern, still daliegenden Seen, und immer wieder kreuzenden breiten Schneisen, die durch das dichte Unterholz führten. Kleine Stege und Brücken führten über sprudelnde Bäche oder ruhig dahinfließenden Wassern.
„Es ist so viel!“, bemerkte Kishou endlich überwältigt von dem Anblick nach einer langen Zeit wortloser Fahrt.
„Was meinst du?“, fragte Undolf.
„Kannst du dir vorstellen, wie das ist …“, sagte Kishou von der Frage erwachend, „…wie das ist, wenn es genau umgekehrt ist? – also ich meine, wenn das alles hier nur Steine und Felsen und Sand wäre, und die Städte so wär’n wie das hier alles? Verstehst du, was ich meine?“
Undolf sah sich nach ihr um, und seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er wohl nicht so recht verstand, was Kishou da meinte.
„Also in den anderen Dromen ist es genau umgekehrt wie hier! Da gibt’s nur Sand und Steine und ab und zu mal ‚ne Oase – bestenfalls so groß wie Trital, wenn's ’ne große ist. Mehr Grünes und buntes gibt’s da nicht. Und im Ersten Drom gibt es nicht mal das mehr!“, fügte sie hinzu.
Der Breene schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich will es mir nicht vorstellen, aber hier gibt es vereinzelt auch schon Gegenden, die einen das Fürchten lehren!“
„Trautel Melanchful hat mir erzählt … ach so … sagt dir der Name überhaupt was?“, unterbrach sie sich selbst.
„Melanchful … Trautel Melanchful …“, überlegte Undolf laut. „Ich meine mich zu erinnern, dass die in den Legenden der verbotenen Bücher als so etwas wie die Herrscherin unseres Droms beschrieben wird!“
Kishou stellte fast amüsiert fest, dass Undolf sie offenbar bereits zu seinesgleichen zählte – weil er ja ‚unseres Droms’ sagte. „Gewöhn' dich mal langsam dran, dass das keine Legenden sind!“, lachte sie. „Ich bin bei Trautel Melanchful aufgewachsen, und sie hat mich immerhin hierher geschickt!“
Sie erntete nur ein Kopfschütteln von Undolf – was immer er damit sagen wollte.
„Also ich erinnere mich, das mir Trautel Melanchful einmal gesagt hat, dass sie hier ein großes, weißes Schloss hat, das mitten in einem großen See liegt. Gibt’s das noch?“ Sie kletterte zu Undolf auf den Kutschbock.
Der legte die Stirn in Falten und schüttelte den Kopf. „Da weiß ich nichts von!“, meinte er etwas unwillig.
„Aber das müsste doch auffallen!“, bohrte Kishou weiter. „Es kann doch nicht alles weg sein. Gibt’s nicht hier irgendwo einen See … mit einer Insel drin, oder sowas, wo ein Schloss drauf steht?“
Undolf schüttelte abermals den Kopf, schien aber dabei angestrengt nachzudenken. „Also … es gibt da so eine von diesen trockenen, versteppten Gegenden … Es ist ein recht schmales, rundes Band … und bildet gewissermaßen eine Gürtel um ein flaches, sehr ausgedehntes, dicht bewaldetes Tal. Etwa in seiner Mitte liegt ein kleiner Hügel, auf dem wohl mal ein großes Gebäude gestanden haben muss. Es ist aber schon verfallen. Es kam mir schon vorhin in den Sinn, als du von den Oasen sprachst!“, erzählte er mit einer Mischung aus Unwillen und Neugier. „Laut VOAuGe 3/7-14-4 ist es aber seit Urzeiten schon ein Sperrgebiet – also wegen Sicherheitsgefährdung durch Einsturzgefahr!“, erläuterte er. „Man darf das Gebiet nicht betreten. Ich hörte von einen von uns, der das Gemäuer erkunden wollte. Er kehrte nicht zurück. Es wird also sicherlich überwacht.
Kishou horchte auf. „Und wo ist das?“, fragte sie.
„Garnicht weit von Katum!“, meinte der Breene. „Zwei … vielleicht drei Stunden von dort. Aber es ist ja kein See – eher das Gegenteil. Das Gebiet dort heißt Galatari, und liegt …“
„Das ist es! Das ist es!“, rief Kishou erregt aus, und erntete dafür einen verwunderten Blick des Breenen.
„Du sprachst von einem See!“, wandte er ein.
„Galatari!“, drängte sie auf ihn ein. „Der Name kommt noch aus der alten Sprache des Großen Belfelland: ‚Gala’ heißt soviel wie: ‚Lebensacker’ – oder ‚Acker des Lebens’. So hat man damals das Wasser genannt. Und ‚tari’ kommt von ‚tar’: ‚hoch’, und meint hier ‚das Höchste’ – eben ‚tari’! ‚Galatari’! ... heißt also soviel wie ‚Wasser des – oder eben der Höchsten'. Also Trautel Melanchful. Verstehst du, was ich meine?“
„Aber es ist doch …“
„Es muss eben einmal ein See gewesen sein!“, kam Kishou seinen Einwand erahnend zuvor. „Das Wasser des Sees ist abgesunken. Übrig ist ein grünes Tal, weil es da unten noch feucht genug ist. Nur oben an seinem Ufer ist alles schon ausgetrocknet – verstehst du was ich meine – Ich hab meine Freunde leider nie nach dem Namen des Ortes gefragt, wo das Schloss vom Trautel Melanchful liegt, aber das muss es sein!“
Niemand sollte mehr verstehen von Ursache und Wirkung, als ein Bewohner des Vierten Droms des Belfellands, und so gab es auch für Undolf keine Möglichkeit, den Argumenten Kishous nicht zu folgen. „Ich habe es schon mehrmals gesehen!“, überlegte er noch immer. „Das letzte Mal ist schon längere Zeit her – eine Fuhrwerksstraße führt über den versteppten Gürtel um das Gebiet herum. Wenn man sich anstrengt kann man den Hügel mit dem Gebäude darauf sehen – aber es ist sehr weit entfernt und nicht wirklich viel zu erkennen!“
„Ich muss es unbedingt sehen!“, träumte Kishou leise vor sich hin. Der Geruch ihres alten Gartens lag in ihrer Nase – und der Talklichter neben ihrem Bett, in dem sie sich liegen sah. Und sie hörte die Stimme Trautel Melanchfuls, wie sie vom Großen Belfelland erzählte und von ihrem hell erleuchteten, weißen Schloss inmitten eines großen Sees. Des Nachts konnte man es sehen, wenn man an seinem Ufer stand …
„Bleib ganz ruhig, und verhalte dich so, als hättest du es schon tausendmal erlebt. Es ist alles in Ordnung – gib mir deinen Existenznachweis!“, raunte Undolf neben ihr. Sie durchquerten gerade ein ausladendes Feld, das in seinem leichten Grün auf das hervorbrechen erster Sprossen hindeutete.
„Was?“, schreckte Kishou aus ihrer Träumerei auf. Eine Erklärung war aber unnötig. Im nächsten Moment hörte auch sie das leise Surren direkt hinter ihnen, und Augenblicke später schon tauchte einer dieser Teller in ihr Gesichtsfeld auf. Er schwebte einen Moment lang in niedriger Höhe ein Stück weit vor ihnen und setzte dann mitten auf dem Weg zur Landung an. Undolf stoppte den Wagen. Kishou kramte angestrengt ruhig in ihrer Tasche und übergab dem Breenen das geforderte Papier.
„Warte hier!“, raunte er und sprang vom Kutschbock.;
Wie Kishou zu erkennen meinte, hatte sich ein breiter, schmaler Schlitz an der Seite des Tellers geöffnet. Der Brenne glättete die Papiere und schob das Erste in diesen Schlitz hinein, aus dem es Augenblicke später wieder herauskam. Das gleiche folgte nun mit dem zweiten Papier. Dann schloss sich der Schlitz wieder. Das Gerät hob vom Boden ab – und schwebte surrend vor ihnen in den Himmel aufsteigend davon.
„Was war?“, fragte Kishou noch immer mit Herzklopfen, als der Breene wieder aufgestiegen war.
„Alles in Ordnung!“, beruhigte er sie. „Routinekontrolle! Das wird noch öfter geschehen. Die Teller sind keine Gefahr, solange die Papiere stimmen. Sie sind dumm und Überwachen nur – und wir haben ja schließlich nichts zu verbergen!“, lächelte er, während er das Zugtier wieder auf Trab brachte.
„Es sind zwar Besondere Apparate, aber ich frage mich trotzdem schon lange, wie die eigentlich fliegen können – die haben doch nirgends Flügel?“
„Das gehört zu den nicht zugelassenen Fragen nach der alten VOIB1/3-1a-k!“, wurde sie von dem Breenen aufgeklärt.
„Ich Frage aber trotzdem!“, sagte Kishou bestimmt. „Aber wenn man’s hier nicht fragen darf, weiß es wohl auch keiner!“
Der Blick des Breenen wandte sich zu ihr, und er schaute sie zweifelnd an. „Du bist noch kein ordentliches Mitglied der ONO, insofern gilt für dich die entsprechende Verordnung – andererseits gehörst du ja schon auf Grund deiner Mission zu uns. … eine komplizierte Situation!“, grübelte er.
„Häh ...?“, glaubte Kishou nicht richtig zu verstehen. „Du meinst, man kann nur bestimmte Fragen stellen, wenn man Mitglied in eurer ONO ist?“
„Selbstverständlich!“, reagierte der Breene nun seinerseits verwundert über die Frage. „Wie sollte jeder Fragen können und Wissen wollen, was ihm gerade einfiele? Das wäre der Beginn des totalen Chaos!“
„Aber in der ONO darf man doch genau das, wenn ich richtig verstanden habe – also alle Fragen stellen die sonst verboten sind?!
„Ja natürlich! Hier sind sie doch der ordentliche Widerspruch gegenüber der Ordnung! Hier sind sie doch ordentlich getrennt von der Ordnung, und damit geregelt. Und wo eine Regel ist, da ist auch Ordnung!“, schloss er mit Bestimmtheit.
„Ich werd’ darüber schlafen!“, seufzte Kishou. Die Geheimnisse dieses Droms schienen ihr in diesem Moment wohl besonders Geheimnisvoll.
„Aber um in Anbetracht deiner fraglosen zukünftigen Zugehörigkeit zur ONO noch einmal auf dein Frage zurück zu kommen …“,
„Ja!“, horchte Kishou auf. Sie dachte eigentlich, dass das Thema erledigt wäre, weil niemand etwas darüber weiß.
„Wie es genau funktioniert, wissen wir noch nicht!“, erläuterte er nun. „Aber sie werden gesteuert von einer besonderen Gruppe der Gleim – bei den Gaunen nennt man sie ‚Seher’. Sie sollen sich irgendwo in einem riesigen unterirdischen Raum unterhalb der zentralen Meldestelle in Katum befinden – zumindest gibt es dafür einige Indizien. Gesichert ist das aber noch nicht!“
„Und wie machen die das?“
„Wie ich schon sagte – wir wissen noch nichts genaueres darüber. Sicher scheint, dass zu jedem Teller ein Gleim gehört. Er sieht alles, was der Teller sieht, und der Teller gehorcht seinem Willen!“
„Klingt alles ziemlich gruselig!“, bemerkte Kishou. „Und was kann man gegen die machen – also die Teller mein’ ich?“
„Weglaufen – solange man noch eine Möglichkeit dazu hat!“, zuckte Undolf mit den Schultern. „Zumindest, wenn man auf ihrer Liquidationsliste steht. Ansonsten sind sie nur lästig.
„Viel ist das nicht!“, seufzte Kishou.
„Eine Expertengruppe arbeitet daran, eine Gegenwehr zu finden!“
„Du wolltest mir noch sagen, wie man einen Gleim erkennt!“, erinnerte sich Kishou.
„Es ist eine einfache, aber leider auch nicht sehr zuverlässige Methode!“, erklärte Undolf. „Die Waffe des Gleim ist auch noch nicht verstanden, aber sie zielen, indem sie mit ihrem Zeigefinger in die Richtung des Ziels zeigen. Zu diesem Zweck steckt ihr Zeigefinger in einer dem Lauf folgende Hülse. Wahrscheinlich ist sie nicht sehr tief, oder es gibt einen Rückstoß beim Schuss – auf jeden Fall haben die Gleim an ihrem Zeigefinger immer abgebrochene Fingernägel. Jedenfalls sind sie immer sehr kurz.
„Gewusst wie!“, staunte Kishou.
„Aber es ist eben nur ein Indiz – nichts wirklich Sicheres. Schließlich kann jedem mal der Fingernagel abbrechen!“
„Ah …!“, meinte Kishou nun zu verstehen. „Deshalb wolltest du auch zuerst meine Hände sehen, als wir uns trafen!“
„Natürlich!“, bestätigte Undolf. „Hier – die Herberge solltest du dir merken!“ Er wies auf ein zweistöckiges Gebäude, das die Grenze einer kleinen Ortschaft markierte, die sie gerade erreichten. ‚H623-7’ war in großen Lettern auf der Hauswand zu lesen, und es standen einige Fuhrwerke davor. „Sehr ordentliche Herberge und sehr gutes Essen!“, bemerkte der Breene. „Sie ist kaum bekannt, weil sie zu nah an Trital liegt. Die meisten Reisenden fahren gleich durch bis Trital, oder eben von dort aus hier vorbei, weil es noch zu früh für eine Rast ist. … aber sehr empfehlenswert!“
„Aha!“, reagierte Kishou nur. Sie hatte eigentlich gerade andere Probleme. „Wo wir gerade bei den Gleim sind – was ist mit dieser komischen Vermehrung? – Also ich meine, dass sie immer mehr werden sollen, wenn man mit ihnen kämpft. Meine Freunde sagen das, aber sie wissen auch nicht, wie das vor sich geht!“
„Wieso das so ist, wissen wir auch nicht!“, schüttelte der Breene den Kopf. „Einige von uns gehen sogar soweit, anzunehmen, dass die Gleim gar keine Breenen sind – und nur so aussehen, als wären sie Breenen!“
„Das stimmt ja auch!“, bestätigte Kishou. „Es sind Geschöpfe Suäl Graals! Sie hat sie damals für den Kampf gegen die Chemuren und dem Volk der Afeten erschaffen – und vor allem wegen den Besonderen Apparaten der Korks, die von den Ky speziell für den Kampf gegen Suäl Graal auf Anweisung des Oberen Squatsch geschaffen wurden …. Gibt’s hier eigentlich auch noch Korks?“, kam ihr jetzt in den Sinn.
„Korks? ... Nein … Nein – nie davon gehört …“ Der Breene schien in diesem Moment vollkommen überfordert von all dem was ihm Kishou in wenigen Sätzen vor die Füße warf. Seine Augen zuckten Unruhig hin und her und seine Gedanken versuchten sich wohl gerade verzweifelt, wieder zu ordnen. „Dein Wissen ist von unschätzbarem Wert für das Verständnis der noch unverstandenen Verhältnisse innerhalb des Belfellands, und wird vollkommen neue Fragestellungen innerhalb der ONO erzwingen – aber es ist darum ebenso gefährlich für uns, bevor es nicht wirklich verstanden ist!“ Er machte eine kleine Pause und biss sich auf den Lippen herum. „Ich kenne dich nun schon etwas und habe sogar die Chemuren gesehen … Ich vertraue dir, aber ich sage dir, wie es ist: Wir in der ONO haben auf jemand wie dich gewartet, der uns die Augen öffnen kann – aber genauso wird man dich darum fürchten. Du wirst uns die Antworten geben, nach denen wir suchen, und du wirst damit unsere Sicherheit und Ordnung zerstören. Es braucht viel Zeit, um das auszuhalten – mehr, als wir möglicherweise zur Verfügung haben.
Kishou spürte die Ernsthaftigkeit und auch die ehrliche Furcht, die hinter den Aussagen des Breenen standen, und wurde für einen Augenblick sehr nachdenklich. Sie verstand es nicht wirklich, verspürte aber doch so etwas wie eine Ahnung der Schwere ihres Eingriffs in das Selbstverständnis dieses Droms. „Die Ordnung des Großen Belfellands ist bereits zerstört!“, hörte sie sich sagen. „Ihr wisst es bereits, aber ihr wagt es dennoch nicht, die Antworten darauf zu finden – denn selbst zum nahen Abgrund liegt noch immer wenigstens eine Strecke sicheren und festen Bodens unter den Füßen!“
Es folgte eine Zeit der Stille zwischen ihnen. Sie hatten die kleine Ortschaft inzwischen hinter sich gelassen und durchquerten nun ein ausgedehntes Waldgebiet. Wolken waren aufgezogen und verdunkelten Weg und Gehölz. Sie mussten einem entgegenkommenden Wagen etwas mühsam über den angrenzenden Waldboden ausweichen, weil der Weg hier etwas eng war. Als sie das Waldgebiet verließen, und wieder einmal über ausgedehnte Äcker fuhren, fielen die Augen Kishous auf einen am Himmel kreisenden Vogel, der ihr sehr bekannt vorkam. „Lui!“, rief sie winkend nach oben.
Undolf hob verwundert den Kopf und sah einen Vogel regelrecht vom Himmel fallen, um sich dann geschickt über dem Wagen abzufangen. Er landete schließlich auf der Seitenwand des Wagens. „Ist das nicht der gleiche Vogel, den ich bei den Chemuren gesehen habe?“, staunte er.
„Nein!“, kam die prompte Antwort von Lui.
„Er meint ‚Ja!’, korrigierte Kishou. „Es ist Lui. Er gehört zu uns. Habadam und er können auch miteinander sprechen – ich leider nich’. Lui kann nur ‚nein’ sagen, aber er kann uns verstehen! – Schön dich zu sehen!“, richtete sie sich wieder lächelnd an Lui. „Bei uns ist soweit alles gut gegangen. Wissen Habadam und die anderen Bescheid?“, fragte sie den Vogel.
„Nein!“, war die zu erwartete Antwort.
Sag’ mal Lui – kannst du nicht einfach mit dem Kopf nicken, wenn du ‚ja’ meinst?, blitzte plötzlich eine Idee in ihr auf.
„Nein!“, bestätigte Lui sofort und nickte dabei mehrmals heftig mit dem Kopf.
„Wieso sind wir nicht gleich darauf gekommen?“, wunderte sich Kishou. „Damit können wir uns ja dann fast schon richtig unterhalten!“
Lui trat von einem Bein auf das andere und nickte wieder mit dem Kopf.
„Es war wohl zu einfach, um darauf zu kommen!“, lachte sie. Eine Feststellung, die von einem Kopfnicken, begleitet von Krächzenden Lauten Luis Zustimmung fand.
„Sind die anderen noch da, wo wir uns zuletzt getroffen haben?“, wollte Kishou wissen.
„Nein!“, kam es bestimmt von Lui. Das von Kishou erwartete Kopfnicken blieb allerdings aus.
„Du meinst, sie sind jetzt woanders?“, fragte sie sicherheitshalber noch einmal nach.
„Nein!“, war die Antwort, nun aber begleitet von einem Kopfnicken.
„Wohin sind sie denn jetzt?“, erschrak sie.
Ein langgezogenes „Nein!“ war die Antwort. Lui wiegte seinen Kopf und Körper hin und her.
„Falsche Frage!“, stellte Kishou nüchtern fest, und dachte angestrengt nach. „Sind sie wegen der Horden der Gleichen weggegangen oder weil sie …. Nein … “Unterbrach sie sich selbst. „Eins nach dem anderen! Sind sie wegen einer Gefahr da weggegangen?“
Lui verneinte.
„Also wollen sie irgendwo hin!“, dachte Kishou laut nach. Da gab es eigentlich nur eine Ziel, das ihr in den Sinn kam. „Folgen sie uns?“
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