Kitabı oku: «Kishou IV», sayfa 4
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Eine seltsame Welt
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ndolf, so stellte sich nun heraus, gehörte zu einer Gemeinschaft, die sich ONO nannte. Kishou erinnerte sich sofort an diese Bezeichnung, die einer der Breenen, die sie auf dem Feld einfingen, mit ihr verbunden hatte. Nun war auch klar, wie er darauf kam.
ONO war ein Kürzel, und stand für ‚Organisation neue Ordnung’. Und wie sie nun erfuhr, war diese Gemeinschaft eine Untergrundorganisation, dessen Ziel die Beseitigung der bestehenden Ordnung war. Undolf meinte, das die Ordnung der Breenen möglicherweise auf einer einzigen großen Lüge basierte, und das Drom auf einen Abgrund zusteuern würde. So erfuhr sie, dass auch das Vierte Drom Gegenden kannte, die langsam versteppten und immer mehr austrockneten. Auch der Regen hatte erheblich nachgelassen. Die Gaunen gaben als Grund Schwankungen im Wetter an, die ganz normal wären, und sich wieder stabilisieren würden. Kishou wusste nichts mit ‚Gaunen’ anzufangen, unterbrach den Breenen aber nicht in seinen Erklärungen.
Die ONO verfüge nun allerdings über große Archive verbotener alter Bücher und Schriften, erklärte er, die eine ganz andere Erklärung bot, als die offiziell verbreitete. Sie erforderte ein Umdenken und Neugestalten der Ordnung, wenn man die Austrocknung des Droms aufhalten wollte. Es würde ihrem Drom ansonsten das selbe Schicksal ereilen, wie das der Sterbenden Welt. Aber das gemeine Volk der Breenen kannte nur die Verlautbarungen der Obrigkeit. Die oberen Kasten, so meinte der Breene, wussten vielleicht mehr – zumindest manche von ihnen – aber die waren an ihren Privilegien interessiert und den OHIB treu ergeben.
So erfuhr Kishou nach und nach etwas über die Hierarchie eines Herrschaftssystems, von dem sie garnicht wusste, dass es so etwas überhaupt geben konnte. Sie kannte bislang nur die Chemuren als Beherrscher der Drome. Hier war alles anders.
Zu oberst war die Kaste der ‚OHIB’ – 12 an der Zahl. Sie waren die Gesetzgeber und in ihren Urteilen unantastbar. Dann waren da die ‚Steigerinnen’. Sie waren die Obersten der Städte und Gemeinden, aus deren Reihen die OHIB erwählt wurden, wenn von ihnen einer starb. Die OHIB waren ausschließlich Braanen und herrschten vom Tal des Droms heraus – wie auch die ihnen in der Hierarchie folgenden ,Steigerinnen’, und den darauf folgenden ‚Wählbaren’. Diese wiederum gehörten zur obersten Schicht der Kaste der ‚Gaunen’, während der Gaun selbst im allgemeinen ein Breene war. Die ,Steigerinnen' rekrutierten sich wie die ‚Wählbaren’ natürlich auch aus den braanischen Gaunen, aus deren Reihen in einer allgemeinen Wahl von dem Volk der Breenen die ‚Steigerin’ bestimmt wurde.
Kishou fand das alles nur verwirrend und in seiner Fremdartigkeit zunächst vollkommen undurchsichtig. „Was ist mit Suäl Graal?“, interessierte sie viel mehr. Der Breene hatte sie bisher mit keinem Wort erwähnt.
„Die gehört zur Sippe der Chemuren, wenn ich mich recht erinnere. Sie soll die Oberste unter ihnen sein. Ist es nicht so?“
„Ja, natürlich!“, wunderte sich Kishou über die Antwort. „Aber was ist mit ihr? Du hast noch nichts von ihr erzählt. Sie ist schließlich die Herrscherin dieses Droms – also genaugenommen des Vierten Tals der Vierten Ebene des Vierten Droms – und wegen ihr versiegen doch schließlich die ganzen Wasser!?“
Undolf schüttelte unverständig den Kopf. „Nein, die gibt es hier nicht!“, stellte er mit Bestimmtheit fest. „Sie gehört zu den Legenden alter Zeiten – wie alle von der Sippe der Chemuren. Das heißt …“, er zögerte. „Zumindest ging ich bis jetzt davon aus – wie die Meisten von uns. Und ehrlich gesagt …“ Wieder zögerte er ... „Auch wenn du etwas anderes behauptest: wirklich überzeugt sein werde ich erst, wenn ich sie mit eigenen Augen gesehen habe!“
Was der Breene da von sich gab, erschien Kishou so verrückt, dass sie einen Moment ernsthaft in Erwägung zog, das alles nur zu träumen. „Du sagst, ihr kennt Suäl Graal nicht? Also die Breenen, die nicht eure Bücher lesen, dürften ja dann nicht mal was von ihr gehört haben?“, schloss sie ungläubig.
„Ja natürlich nicht!“, reagierte ihr Gegenüber mit Verwunderung, dass dies überhaupt eine Frage sein konnte.
Nun begriff Kishou garnichts mehr. Dieses Drom war anders als alle anderen, das war sehr schnell klar – und die Stadt hatte geradezu etwas unwirkliches – aber was sie nun akzeptieren sollte, überstieg gänzlich ihr Vorstellungsvermögen. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und atmete tief aus. Sie verstand das alles nicht … Es ergab alles überhaupt keinen Sinn.
„Wenn ich der ONO darüber berichte, was ich gerade erlebe, wird man vermuten, ich wäre verwirrt und bar jeder Ordnung!“, meinte Undolf in die entstehende Stille hinein. „Und jetzt hör mir zu! Ich sehe dich mit eigenen Augen, du bist fremdartig, wenn man dich genau betrachtet – und ich treffe auf dich, gerade als die lang angekündigten Wesen aus der Sterbenden Welt gesichtet worden sein sollen. Du kennst dich offenbar in den alten Krypten aus, und du führst den Bogen in einer Weise, wie es dort beschrieben steht – und wie es eigentlich doch nur die freie und wieder jeder Ordnung erdachte Phantasie erdenken kann. Nur aus all diesen Gründen höre ich dir zu. Aber es bedeutet nicht, dass ich dir auch glaube!“, schloss er.
„Aber … aber ich denke … du hast doch eben gesagt, ihr kennt die Geschichte des Großen Belfellands und seinen anderen Dromen – den Sterbenden Welten!? Und jetzt sagst du, dass du mir nicht glaubst – als gäb’s das alles nicht!?“
„Was spielt es für eine Rolle, ob das, was in den Büchern berichtet wird, wahr ist?“, meinte der Breene. „Man findet in ihnen eine andere Möglichkeit von Wahrheit – nur das zählt! Sie widerspricht der Wahrheit der Breenen und Braanen und stört damit ihre Ordnung. Die Ordnung bietet keine absolute Sicherheit mehr, wenn man eine Alternative ihrer Wahrheit nicht mehr ausschließen kann!
„Wie meinst du das?“. Es schien ihr langsam, als würde diesem Drom jede Vernunft verloren gegangen zu sein.
„Da gibt es nichts zu meinen!?", schien sich der Breene fast über die Frage zu wundern. Es ist das erste Gesetz der Ordnung! Wie kann eine Wahrheit bestand haben, wenn neben ihr auch nur eine einzige andere existieren könnte – und man von ihr erfährt? Allein deine Frage ist schon ein Indiz für die Richtigkeit der offizielle Wahrheit. Ihr kennt offensichtlich keine Ordnung!"
„Häh ...", kam es nur im vollen Unverständnis aus Kishou heraus ...
„Alle offiziellen Lehrbücher sagen, dass es neben dem Belfelland noch eine andere Welt gibt – jenseits seiner Grenzen, die unzugänglich sind. Sie werden bewohnt von Barbaren ohne jeden Verstand und ohne jede Regel. Es heißt dort, dass sie ihr Wasser verschwendet und verbraucht haben, und früher oder später versuchen werden, das fruchtbare Belfelland zu überfallen um sich darin auszubreiten!“
„Und die Breenen glauben das?“
„Ja natürlich!“, reagierte der Befragte. „Man kann es überall lesen, und immer wieder wird in den Nachrichtenblättern davon berichtet. Wie könnte es nicht die Wahrheit sein? Es existiert keine andere. Niemand würde auch freiwillig an diesen Wahrheiten zweifeln, weil das die Ordnung und die Sicherheit gefährden würde!“ Er machte eine verzweifelte Geste, als fürchtete er, dass man ihm gerade seines eigenen Glaubens berauben würde. „Aber es fanden sich vor langer Zeit schon alte Bücher, die genau diese einzige Wahrheit in Zweifel ziehen – die eben etwas ganz anderes sagen …!“, erzählte er missmutig weiter. „… und eben genau diese Wahrheit in Frage stellen! Sie berichten von weiteren Dromen eines ‚Großen Belfellands’, und wie sie eines nach dem anderen sterben, weil diese Suäl Graal dem Großen Belfelland das nötige Wasser verwehrt – wegen irgendwelcher Streitereien mit den anderen Chemuren!“ Er winkte ab, als wollte er darauf nicht weiter eingehen. „Es sollten eigentlich nur dumme, alte Geschichten sein. Aber es war eben eine Alternative zur offiziellen Verlautbarung … Es fanden sich gar ausreichend Indizien der hiesigen Entwicklung, die mit den Beschreibungen dieser Schriften übereinstimmten. Damit war nun eine andere Möglichkeit der Entwicklung unseres Landes in den Köpfen der Breenen – eine alternative Ursache für die Steppenbildung – unabhängig davon, ob diese Geschichten in den alten Büchern nun stimmen oder nicht!“
„Aber das ist doch gut so!“, verstand Kishou die Aufregung ihres Gegenübers nicht.
„Was kann daran gut sein?“, wurde sie sogleich abgewehrt. „Das Volk war beunruhigt, und begann Fragen zu stellen und genauere Untersuchungen der Steppenentstehung zu fordern. Sie zweifelten mehr und mehr an den Erklärungen der herrschenden Kasten, ignorierten die Aushänge und Nachrichten der Gaunen und suchten nach neuen Wahrheiten! Wie dem auch ist …!, Es wurde dann die Verordnung VOBN487a-g erlassen, danach durften Bücher und Nachrichten mit nicht ordnungsgemäßen Inhalten bei schwerster Bestrafung nicht mehr vertrieben und gelesen werden, und wurden vernichtet. Wer sie dennoch verbreitete oder darüber berichtete, wurde sofort von der Ordnung freigestellt!“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber der unselige Gedanke wider der Ordnung war nun in der Welt!“, setzte er fort. „Zudem konnten viele Bücher vor ihrer Vernichtung unerkannt vervielfältigt oder versteckt werden. Auf ihrer Grundlage bildete sich später die ONO heraus. ... mit dem Ziel, eine neue Ordnung zu schaffen, die von der Ordnung abweichende Fragen und ihre Untersuchung zulässt. Es geht ihr darum, eine mögliche Zerstörung des Belfellands zu verhindern! Aber das ist alles schon lange her!“, schloss er. „Das Volk der Breenen hat die Fragen längst vergessen, so, wie es die Ordnung erfordert, wenn sie bedroht ist. Doch dies galt nicht für alle. Und so wuchs die ONO im Untergrund langsam aber stetig weiter, und ist heute überall präsent und hat beste Verbindungen zu fast allen Kasten – vor allem den Gaunen. Aber wir müssen äußerst vorsichtig sein.
„Wissen die … also ich meine, die hier Herrschenden, dass es euch gibt?“, wollte Kishou wissen. Die jeweiligen Namen hatte sie schon wieder vergessen.
„Selbstverständlich!“, war die klare Antwort. „Die Gleim machen kurzen Prozess, wenn sie einen von uns entdecken. Wir werden ohne jede formale Feststellung der Abfälligkeit von der Ordnung, sofort in einem Zuge freigestellt und liquidiert. Die Gaunen haben einen ‚Bund der Unsichtbaren’ eingesetzt, um unsere Mitglieder ausfindig zu machen. Sie arbeiten im geheimen, und niemand weiß wer sie sind. Die Gaunen versuchen immer wieder, Unsichtbare in unsere Organisation einzuschleusen – bislang ohne Erfolg. Deshalb musste ich mir auch sicher sein, mir mit dir nicht so einen Vogel eingefangen zu haben. … ich hoffe noch immer, mich in dir nicht getäuscht zu haben!“
Kishou atmete hörbar durch. „Das geht ja alles gut an hier!“, seufzte sie. Was bedeutet das mit dem ‚Abfallen’? – Du hast mich ja vorhin auch gefragt, ob ich sowas bin!“
„Für ‚Abgefallen’ gilt nach GrVO-3 Abs.1, wer den Fundamenten der Ordnung widerspricht und sie damit in Gefahr bringt. Er oder sie ist damit nach dem Gesetz von der Ordnung freigestellt, und wird sofort aus ihr entfernt – also liquidiert. Die Mitglieder der ONO sind nach dem Gesetz zum Beispiel alles Abgefallene – wenngleich natürlich noch nicht also solche erkannt!“
„Ach du Schreck!“, reagierte Kishou. Sie erinnerte sich an die Portraitzeichnung, die sie auf eines der Blätter gesehen hatte, als sie auf der Bank etwas Ruhe suchte. „Ich glaub’, ich hab so ein Bild von einem gesehen, wo ‚Freigestellt’ darüber stand. War das einer von euch?“
„Ich weiß – vermutlich. Ich kenne ihn nicht!“, hob der Breene seine Schultern. „Es kommt immer wieder einmal vor, dass einer von uns enttarnt wird. Aber es könnte auch jemand anderes sein, der aus irgendeinem Grund aus der Ordnung ausgeschert ist. Die Ordnung befindet sich im immerwährenden Kampf gegen solche chaotischen Erscheinungen!“
„Aber man hat ihn ja glücklicherweise offenbar nicht erwischt, sonst würde man ja nicht nach ihm suchen!“, hoffte eine nachdenkliche Kishou.
„Er hat keine Chance. Er ist draußen. Niemand kann für sich allein außerhalb einer Ordnung lange überleben!“, stellte der Breene erstaunlich kühl fest. „Sein Bildnis und sein Name hängt in allen Amtstuben, und man wird ihn auch so überall schnell in seiner Haltlosigkeit bemerken. Wer ihn erkennt ist verpflichtet, ihn sofort zu liquidieren – oder wenn dazu keine Möglichkeit besteht, ihn umgehend zu melden. Für ihn ist es vorbei!“
„Das ist doch irre!“, platzte es aus Kishou heraus.
„Eine stabile Ordnung kann sich keine Fehler in ihrer Struktur leisten!“, wunderte sich der Breene ehrlich über Kishous Reaktion – sowenig wie sich die Ordnung der ONO einen Unsichtbaren in ihren Reihen leisten kann. Das ist doch wohl nachvollziehbar, und das genaue Gegenteil von dem Zustand, den du als ‚irre’ bezeichnest!“
Kishou sah den Breenen an wie einen Geist, und schüttelte nur hilflos mit dem Kopf. Sie konnte dem nichts entgegnen – es war ja irgendwie tatsächlich stimmig, was der Breene da sagte. Aber irgendwo war da dennoch ein Fehler. Es war nicht wirklich stimmig – oder durfte zumindest nicht stimmig sein, wie ihr Bäuchlein unzweideutig signalisierte. Sie war aber in diesem Moment nicht in der Lage, diesen Widerspruch in sich aufzuklären – und es war ja nun auch tatsächlich nicht gerade die Zeit, sich mit solcherlei Fragen aufzuhalten. So erklärte sie nun ihrerseits Undolf ihre Lage – ihr Problem mit ihren Freunden, die im Wald vor Trital versteckt auf ihre Rückkehr warteten – und von dem Umstand, das die Gleim möglicherweise auf sie treffen würden, wenn sie in Richtung des Ortes marschieren würden, wo sie erstmalig von den Breenen gesehen wurden. Eine zeitnahe Lösung für dieses Problem konnte es den Umständen entsprechend nicht geben.
Es war über die vielen zu beantwortenden Fragen später Abend geworden, und eine sofortige Rückkehr zu ihren Begleitern schon von daher beim besten Willen nicht mehr möglich. Undolf meinte, das er versuchen würde, etwas für den nächsten Tag zu organisieren, und das sie diesen Ort auf keinen Fall verlassen dürfte, bis er zurückkam. Er bot ihr an, das Bett im Schlafraum zu nutzen, damit sie sich ausruhen konnte. Er selbst würde in seiner richtigen Wohnstatt schlafen, und zudem bis zum Mittag in einem kleinen Geschäft arbeiten müssen.
Die Nacht war nicht mehr sehr lang, und so brach er auf. Tausend Fragen in Kishous Kopf mussten noch unbeantwortet bleiben.
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Eine kurze Nacht
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ls Kishou erwachte, war die kleine Flamme des Öllämpchens längst verloschen. Dunkelheit umgab sie in dem kleinen, fensterlosen Raum. Sie wusste nicht, ob der neue Tag schon angebrochen war oder eben noch nicht. Mit der Hilfe ihres ‚Steins, der das Licht vom Allsein Trennt’, wankte sie noch etwas benommen in den Nebenraum, wo sie Abends zuvor gesessen hatten, und begab sich zunächst in den ‚Toleban’, auf den Undolf tags zuvor hingewiesen hatte.
Es war alles andere als einfach oder gar bequem, sich nur mit Hilfe ihres Besonderen Apparates zurecht zu finden, aber allein, dass es einen solchen Toleban gab, erschien ihr nach all den Zeiten des Verzichts auf so etwas, wie ein Wunder. Wieder in den Wohnraum zurückgekehrt, ärgerte sie sich nun doch, nicht gefragt zu haben, wie man ein Öllämpchen entzündet. Das ausharren in der Dunkelheit, ohne jede Ahnung auf eine Zeit der Erlösung, schien ihr bald unerträglich.
Sie warf sich ihren Mantel über und drehte vorsichtig den Schlüssel in der Tür, die nach draußen führte. Ebenso vorsichtig lugte sie hinaus in den dunklen Gang dahinter. Undolf hatte ihr aufgetragen, die Tür hinter ihm zu verschließen, als er aufbrach. Sie suchte sich ihren Weg durch den Flur, der zu beiden Seiten viele Türen ähnlich der ihren aufwies, bis sie endlich den Raum erreichte, in dem der Breene sie hineingezogen hatten, und von dem man auf die Gasse gelangte. Das von den schmalen Fenstern unter der Decke einfallende dämmrige Licht deutete immerhin darauf hin, dass es schon Tag geworden war.
Die beiden schmalen Fensterschlitze knapp unter der Decke waren blind von Schmutz, und verrieten nicht mehr, als eben das es Tag war. Der Raum war nicht sehr hoch. Sie fand in ihm einen kleinen Karren und einige Bretter, die sie so aufeinanderschichten konnte, dass sie eines der Fenster erreichte. Mit dem Finger wischte sie ein kleines Loch in den dicken Schmutz. Aber die Maßnahme gab nicht mehr her, als den Blick auf die nahe gegenüberliegende graue und Fensterlose Fassade, und aus einer akrobatischen Perspektive heraus ein kleines Stück Himmel, der offenbar gerade von Wolken bedeckt war.
Es half alles nichts. Der Tag konnte eben erst angebrochen, oder schon weit fortgeschritten sein. Sie lief wieder zurück in die kleine Behausung, verschloss die Tür, setzte sich auf den Boden, und begab sich zu jenem Ort, wohin dem Dompteur niemand folgen konnte. Denn das Folgen benötigt eine Zeit – und die gab es dort nicht.
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Rückkehr zu den Gefährten
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in helles Klopfen, dem Kishou erlaubt hatte, den Raum des Dompteurs in seiner unendlichen Stille zu stören, hallte durch die Ewigkeit. Sie öffnete die Augen. Noch einmal klopfte es im Rhythmus eines verabredeten Zeichen. Sie erhob sich und öffnete die Tür.
Drei Gestalten traten ein. Sie trugen alle Öllämpchen mit sich. Den Undolf erkannte Kishou sofort, die beiden anderen hatten ihre Kapuzen weit in das Gesicht gezogen und hielte ihre Lampen etwas seitlich, so das von ihren Gesichtern nichts zu sehen war. Sie setzten sich wortlos, nachdem sie ihre Lichter weit von sich und nahe bei Kishou abgestellt hatten.
„Die Beiden sind Mitbrüder der ONO!“, eröffnete Undolf. „Es ist besser, du kennst sie nicht, solange wir nicht überzeugt sind, dass du kein Unsichtbarer bist. Wir vermuten …“, begann er ohne Übergang und offenbar unter ihnen verabredet, … dass die Kleiderordnung der sterbenden Welten eine andere ist, als die unsrige. Du solltest sie kennen. Kannst du etwas darüber sagen?“
„Klar!“, erwiderte Kishou. Es gibt keine! – Also keine, an die man sich halten muss, wie’s wohl hier so ist!“ Sie erhob sich und öffnete ihren Braanenmantel. „Meine Sachen sehen zum Beispiel so aus! Bis auf die Kutten der Kyiten in der Ersten Ebene des Ersten Tals des Ersten Droms, die so ähnlich aussehen wie eure Mäntel, trägt jeder, was er will!“
Die beiden Breenen schienen sehr überrascht beim Anblick Kishous ohne ihren Mantel, und flüsterten angeregt miteinander. Undolf erhob sich gar und befühlte ihre Bluse mit seinen Händen. Er setzte sich wieder und besprach etwas flüsternd mit seinen Kumpanen.
„Meine beiden Brüder hier sind Experten, was die alten Krypte der Sterbenden Welten angeht!“, meinte er dann. „Sie sagen, viele von ihnen sind in einer unbekannten Sprache verfasst, die bislang noch unzureichend verstanden wird. Weißt du etwas von ihr?“
„Tak!“, antwortete Kishou sofort. „Eli quad ai chrona fata sun quapo, cum Suäl Graal fiin ai horp galamara! – Es ist die Sprache der alten Zeit, die gesprochen wurde, bevor Suäl Graal die Großen Tore der Großen Wasser verschloss!“, übersetzte sie sogleich.
Diese Antwort Kishous löste in den Breenen sichtbar eine heftige Erregung aus. Unruhig steckten sie ihre Kapuzen zusammen und tuschelten so heftig miteinander, dass Kishou sogar einige Worte mitbekam.
„Nach all den Erfahrungen mit dir, habe ich mich nach reiflicher Überlegung entschieden, dir zu vertrauen!“, meinte Undolf endlich, „Aber meine Brüder haben recht, wenn sie meinen, ich sollte mich erst allein von der Anwesenheit der Chemuren überzeugen, um ganz sicher zu gehen, das es Wahr ist, was du sagst. Denn wenn es wahr ist, was du sagst, zerstört es alle Ordnung der Breenen. Bis zu einer neuen Ordnung wird das Chaos herrschen. Wenn du aber von den Gaunen geschickt wurdest, und wir dir vertrauen, so hat es das Potential, die ONO zu zerstören! Wie auch immer, deine Ankunft ist mehr als nur eine Gefahr für alle – sie ist eine mögliche Zäsur in der Geschichte des Belfelland. Wir dürfen kein Risiko eingehen!“, schloss er.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Kishou gerade heraus.
„Die Nachrichten besagen, dass ein großes Aufgebot der Gleim um 6 Uhr aufgebrochen ist. Wenn die Chemuren …“
„Was ist ‚6 Uhr’, unterbrach Kishou ihn aufgeregt.
„6 Uhr ist 6 Uhr!“, antwortete Undolf nicht verstehend.
„Ich kenne diese Bezeichnung nicht. Wann ist ‚6 Uhr’? Meint es eine Zeit des Tages?“, drängte Kishou.
„Ja! - also c kurz nach Tagesanbruch etwa.
„Und welche Zeit ist seitdem vergangen?", fragte sie nervös.
Na jetzt ist es ungefähr 2 Uhr Mittags - also ... also die Sonne hat ihren höchsten Stand schon überschritten, falls du das verstehst!" ...
„Das bedeutet, sie müssten längst auf Boorh und die anderen gestoßen sein!“, erschrak Kishou. Sie kramte nervös in der Tasche ihres Mantels, zog endlich den kleinen, blauen Kristall hervor und legte ihn auf den Tisch neben eine der Lampen. „Seht ihr den Lichtpunkt an seiner Seite? Das ist die Richtung, wo in diesem Moment Habadam, und also auch alle anderen sind. Könnt ihr sagen, in welcher Richtung der Ort liegt, wo die Gleim hinmarschieren?“
Alle betrachteten gebannt das Kleinod neben der Lampe. „Was ist das für ein Gerät?, fragte Undolf.
„Ist doch jetzt egal!“, wehrte Kishou ab. „… Ein Besonderer Apparat, der mir immer genau die Richtung anzeigt, in der ich auf Habadam treffe. Ist es dieselbe Richtung, in der die Breenen uns gesehen haben?“, fragte sie noch einmal.
Undolf dachte nach und versuchte offenbar die Lage des Raumes mit dem Draußen zu verbinden. Dann wies er in eine Richtung. „Ich würde sagen, das Kornbaat liegt in etwa in dieser Richtung!“ Er streckte seinen Arm in den Raum hinein, während er auf die Scheibe blickte.
„Sicher?“, hoffte Kishou, denn der ausgestreckte Arm wich eindeutig von der Richtung nach rechts ab, die das Licht in dem Kristall anzeigte.
„Das dürfte stimmen!“, meinte einer der beiden Breenen, und man sah an seiner Reaktion, dass er erschrak, laut gesprochen zu haben, denn er drehte sich sofort vom Tisch weg.
„Das könnte im besten Fall bedeuten …“, sinnierte Kishou. „… das sie die Horden der Gleichen rechtzeitig bemerkt haben, und geflohen sind. … an die anderen Möglichkeiten will ich lieber nicht denken. Ich muss auf jeden Fall sofort irgendwie aufbrechen!“, entschied sie.
„Wir haben einen kleinen Wagen organisiert!“, meinte Undolf und zog ein gefaltetes Papier aus der Tasche. „Hier ist dein Existenznachweis. Es ist eine gute Arbeit. Präge dir alles genau ein, was darauf steht, damit du bei einer Kontrolle nichts falsches sagst. Dein Name ist nun Mujie – Mujie Saii!“
„Mujie Saii …?“ Etwas erschrak in Kishou, aber sie wusste nicht warum … „Ich … ich kenne den Namen …, aber woher?“, suchte sie in ihren Gedanken.
„Wahrscheinlich hast du ihn schon einmal gehört. Es ist ein recht gewöhnlicher Name bei den Braanen!“, meinte Undolf. „Wir haben ihn extra so gewählt – möglichst unauffällig und schwer zu prüfen!“
„Gut!“, schüttelte sie die Gedanken ab. „Ich guck’s mir unterwegs an. lasst uns los!“, drängte sie.
„Wir werden allein aufbrechen!“, wurde sie von Undolf erinnert.
„Schon klar!", reagierte Kishou, und wickelte ihren Bogen in das Tuch. Gemeinsam verließen sie den geheime Unterschlupf.
Als sie auf die Gasse hinaustraten, trennten sich die beiden anderen Breenen wortlos von ihnen und gingen in die entgegengesetzte Richtung davon. Ein bunter Vogel flog mit hoher Geschwindigkeit dicht über ihrem Kopf hinweg und stieg krächzend in der Gasse nach oben. Es war nicht schwer zu erraten, was für ein Vogel das war, und Kishou lächelte. Es mochte eine Reaktion Luis auf sein langes Warten auf sie gewesen sein. Immerhin wusste er ja nicht, was in dem Haus mit ihr geschah.
Wortlos bogen sie in eine kreuzende kleine Gasse ein, die kurz darauf in der breiten Straße endete, von der Kishou geflohen war. Sie schaute zu dem großen Haus mit dem Glockenturm hinüber. Die beiden rotberockten Wachen, oder was sie auch immer waren, standen wieder vollzählig vor dem Portal …
„Da hinten steht er!“, meinte Undolf und nickte mit seinem Kopf kurz in die Richtung ihres Marsches in der Menge.
Bald darauf kletterten sie auf den Kutschbock, und Undolf reihte das Gefährt in den Strom der Fuhrwerke in der Straße ein. Sie mussten zunächst einen großen Bogen um den Häuserblock machen, um auf einer parallel verlaufenden Straße den eigentlichen Kurs in die entgegen gesetzte Richtung aufnehmen zu können. Ihre Augen irrten unablässig in den Häuserschluchten umher, und konnten doch nur einen Bruchteil dessen aufnehmen, was sich ihnen bot. Die Häuser wurden nach und nach kleiner, bis sie sich mehr und mehr zwischen landwirtschaftlichen Parzellen verloren, und sie schließlich die regelmäßig befestigte Straße verließen. Sie kletterte vom Kutschbock, um auf der Pritsche in Ruhe ihren Existenznachweis zu studieren. Einige gefüllte Kartoffelsäcke und kleine Holzplanken lagen darauf – und hinten in der rechten Ecke ein Kasten mit Papieren darin. „Was ist mit dem Formular, das man ausfüllen muss, wo man hingefahren ist?“, fragte sie sofort.
„Kümmere dich nicht darum. Das erledige ich!“, war die beruhigende Antwort.
Sie machte es sich zwischen den Säcken bequem und entfaltete ihren Existenznachweis. Kopfschüttelnd lass sie darin. „Was bedeutet ‚KPV’ als Tätigkeit?“, fragte sie nach vorn.
„Kleiderprüfung und Vorführung!“, antwortete der Breene. „Unser Dokumentenschreiber vermutete zurecht, wie wir gesehen haben, dass dort, wo du herkommst, eine andere Kleiderordnung herrscht. Falls man solche bei dir findet, wäre es zwar ein Ordnungsvergehen, aber wenigstens erklärbar über deine Tätigkeit. Wir opfern einen Tag des Jahres dem Chaos in seiner Erscheinung des Zufalls, wo unter anderen Regelverstößen auch alle Kleider erlaubt sind. Man kann sie sich ausleihen, und nach dem Fest werden sie wieder abgegeben. Als KPV hättest du zu jeder Zeit zugriff auf diesen Fundus!“
„Was bedeutet das: dem Zufall einen Tag opfern?“, wollte Kishou wissen.
„Wir versuchen ihn damit gnädig zu stimmen!“, erklärte der Breene.
„Den Zufall gnädig stimmen?“, meinte Kishou sich verhört zu haben.
„Ja natürlich!“, erwiderte er in aller Selbstverständlichkeit. „Das Chaos ist die Macht, die über uns allen steht, und seine Wege sind bekanntlich unergründlich. Es bleibt nur der Versuch, es gnädig zu stimmen und zu besänftigen. Kennt ihr eine andere Möglichkeit dafür, als die des Opfers?“, fragte er interessiert.
„Nein … Nein, eigentlich nicht!“, wich Kishou aus, um sich nicht in eine solche, für sie höchst befremdliche Diskussion zu verlieren. „Bei Herkunft steht da Kehlgroth!? Wieso nicht Machnok? Den Name kenne ich immerhin schon!“, nahm sie den alten Faden wieder auf.
„Machnok ist zu klein!“, erklärte Undolf. „Kehlgroth ist eine sehr große Stadt – größer noch als Trital – also auch anonymer. Es lässt sich schwerer überprüfen und bringt im Zweifelsfalle einen Zeitgewinn!“
„Und die lange I-den-ti-tätsnummer …?“ Sie hatte schon Mühe, allein das Wort auszusprechen. „muss ich die auswendig kennen?“
Ein einfaches und unzweideutige ‚Ja’ des Breenen ließ Kishou leise aufstöhnen.
Das nun zunächst Folgende, wie: Farbe der Augen, Haare und Haut wusste sie natürlich. Weitere Fragen nach Ess- und Schlafgewohnheiten, bevorzugte Nachrichtenblätter und vieles andere in der Art war frei erfunden und musste mühsam eingeprägt werden … Was bedeutet unter ‚Nachgewiesene Ordnungsvergehen’: VONG 1-15/KG!“, kam sie endlich zur letzten fragwürdigen Spalte des Formulars.
„Verordnung zur Nutzung von Gehwegen!“, erklärte Undolf. „Du bist in Kehlgroth auf der falschen Straßenseite entgegen der verordneten Richtung gelaufen. Die ‚15’ verweist auf den Grad der Behinderung anderer Gehwegsteilnehmer. 20 ist hier der höchste Wert!“
Kishou schüttelte verständnislos den Kopf. „Was es alles hier gibt … Und wieso muss ich sowas gemacht haben? Ist das für irgendwas gut?“
„Du bist zwar noch recht jung!“, bekam sie zur Antwort. „Aber wenigstens ein Vergehen sollte da schon stehen. Ganz ohne könnte verdächtig sein!“
„Aber das ist doch eigentlich vollkommen verrückt!“, erregte sich Kishou fast. „Die wissen ja alles über euch. Ihr könnt ja keinen Schritt tun, ohne das die das nicht irgendwo vermerken …!“
„Sicherheit und Ordnung braucht Kontrolle!“, widersprach ihr der Breene. „Jede Abweichung von der Ordnung kann sich vervielfältigen und ist ein gefährliches Spiel mit dem Chaos. Die Sterbende Welt ist das beste Beispiel dafür. Du solltest es wissen!“
„Aber das stimmt doch nicht – das solltest du doch nun langsam verstanden haben, nachdem du Bücher darüber gelesen hast, und nun auch noch mich getroffen hast!“
„Es folgte ein Moment des Schweigens vom Kutschbock her … „Irgendwie muss es trotzdem damit zusammenhängen!“, meinte er endlich. „Die Chemuren haben sich nicht an die Ordnung Suäl Graals gehalten, wenn ich mich recht erinnere!“, setzte er nach einem Moment des Nachdenkens hinzu. „Na bitte, da hätten wir es ja!“
Kishou wusste darauf nichts zu antworten. Es schien ihr alles einfach nur absurd. „Aber in diesen Existenznachweis könnt ihr doch eigentlich reinschreiben, was ihr wollt! Wer will das alles überprüfen, was da drin steht?“, fiel ihr immerhin auf.
„Im Archiv der Gaunen in der Meldestelle existiert ein Duplikat von jedem Existenznachweis!“, widersprach Undolf. „Aber mach dir keine Sorgen. Wir haben Brüder in den Reihen der Gaunen. Ein Duplikat deines Existenznachweises ist in Kürze im Archiv platziert.