Kitabı oku: «Der Traum vom Fremden», sayfa 2
Aus schierer Langeweile (vielleicht auch Mordlust) will M. Brémond sich offenbar auf Hyänenjagd begeben, obgleich unter den Einheimischen ihr Fleisch als ungenießbar gilt. In Harar läßt man sie in Frieden, nicht nur, weil sie die Stadt von Aas und Unrat reinhalten, sondern weil viele Hararis – ihres Glaubens an den einen Gott und seinen Propheten ungeachtet – die Hyänen für verwandelte Menschen, für Zauberer oder Marabus halten. Solche Hexenmeister, so ihre Überzeugung, könnten allein durch ihren bösen Blick das Blut in den Adern eines Angreifers gefrieren, das Herz ihrer Feinde stillstehen und seine Eingeweide austrocknen lassen.
M. Brémond gibt nichts auf diesen Aberglauben, doch keiner seiner Bedienten oder Sklaven will ihn auf seiner Pirsch begleiten. Selbst Djami schaut beunruhigt
Indessen hält es M. Brémonds edles Reitkamel für angemessen, mit seinem gewichtigen Reiter durchzugehen und ihn in einem eine Viertelmeile entfernten Kakteenfeld abzuwerfen.
Nun sucht er Zuflucht in meinem Zelt und jammert mir die Ohren voll: Daß man bei all der Niedertracht und dem Ärger nicht auseinanderfällt! Eine Rotte aufsässiger, nichtsnutziger und nur auf ihren Vorteil bedachter Hunde sind diese Träger und Treiber! Scheuen kein Mittel, ihren Herrn und Brotgeber zu übervorteilen! Jedes freundliche Wort, das man ihnen gönnt, wird benutzt, um neue Forderungen zu stellen, jedes Lächeln als ein Zeichen von Schwäche angesehen. Mir scheint, dieses Gesindel ist zu keiner höheren Regung fähig. Nie Zufriedenheit, nie Arbeitseifer, nur Streitlust und Faulheit …
Djami sitzt an meiner Seite, läßt sich aber nichts anmerken von dem, was Antoine Brémonds Tirade in ihm auslöst. Was erwartet Brémond von seinen Trägern und Treibern: Männer, manche Knaben noch, die allein aus Zwang oder durch ihre Angehörigen gedrängt ihrer Heimat entrissen sind und diese schwere Arbeit zu leisten haben; die in unbekannte, furchterregende Regionen geführt werden und unsere Ziele und Zwecke nicht verstehen können, da wir uns nicht einmal die Mühe geben, sie ihnen erklären zu wollen?
Doch nicht nur ihr inneres Gleichgewicht ist gestört und ihre Gesundheit zerrüttet, auch Brémonds Kräfte schwinden, sein Haß gegen dieses Land und seine Bewohner nimmt ein unglaubliches Maß an: Sie trügen an allen Unfällen und Mißerfolgen die Schuld, als ob der reisende Kaufmann alles so behaglich und geebnet für seine Handelsreise vorfinden müsse wie daheim in der Bretagne. Ist es diese Art von Geschäft, die einen Ehrenmann am Ende zu einem Geschäftsmann macht? Möge Djami mich in Ketten legen und in die Sklaverei verkaufen, sollte ich je ein weiterer Brémond werden!
Brémond bekennt, daß ihm einige, längst verheilt geglaubte Geschwüre an delikater Stelle durch den langen, ungewohnten Aufenthalt im Sattel erneut zu peinigen begonnen hätten, außerdem mache ihn das unerwartet kalte und feuchte Klima hier in den Bergen zu schaffen: und tatsächlich wirkt sein Gesicht ein wenig fiebrig. Das erklärt allerdings, daß ihm jeder Zank und Lärm zum Aufruhr wird, der seine herausgeforderte Gesundheit noch mehr reizt.
Tatsächlich ist es wohl so: nicht nur Antoine Brémond, sondern alle in Abessinien ansässigen Europäer, so gering ihre Zahl auch sein mag, und selbst viele Ägypter und Osmanen hegen gemeinhin recht abfällige Ansichten über die Afrikaner. Wo immer ein ägyptischer Söldner zu Schaden kommt, ist die Rache der Besatzer schrecklich: der Ort des Geschehens – ganz gleich, ob die Bewohner unmittelbar beteiligt waren – wird mit Feuer und Pulver dem Erdboden gleichgemacht, und allen, die vor der Strafexpedition nicht rechtzeitig fliehen konnten (vornehmlich die zurückgelassenen Säuglinge, Schwangeren und Greise) werden niedergemacht und die geschändeten Leichen zur Warnung auf der blutgetränkten Erde liegengelassen. Das ist der Boden, auf dem wir unsere Geschäfte tätigen.
Vor allem verhärtet sind die Händlerseelen, und ich selbst spüre ja nicht selten die Ungeduld und den Ärger angesichts der Trägheit und Bequemlichkeit vornehmlich der Männer hier. Aber niemals würde ich einem Angestellten oder Hausdiener, der ein wenig Tabak oder Baumwollstoff gestohlen hat, die Ohren abschneiden, wie ich es gelegentlich an der Küste bei den Händlern gesehen, oder einen jungen Mann eigenhändig kastrieren, weil er eine europäische Frau (von denen es in Harar indessen noch keine gibt) zu lange angesehen, wie es hier unter Ägyptern und Osmanen durchaus üblich ist. Der Stock und die Peitsche fehlen in keinem Herrenhaushalt. Und auf der Überfahrt – ich habe es mit eigenen Augen beobachtet – wurden gefangengenommene Piraten einfach mit gefesselten Händen über Bord geworfen. Schon in Aden hieß es, wenn auch nicht aus dem Munde Bardeys oder seines Bruders, daß die Neger Güte am allerwenigsten verstünden. Was wäre mein Alltag in Harar ohne Djami?
Ein großer Teil der Bevölkerung Harars ist sehr arm, und die Bedingungen haben sich durch die ägyptische Besatzung noch verschärft, da der Handel mit verschiedenen Regionen des Hinterlandes abgebrochen ist. Die neuen Freiheiten bedeuten noch keinen Zugewinn an Wohlstand: so sind denn nicht nur die Armen unzufrieden mit den neuen Herren aus dem Norden.
Schon wenige Tage nach meiner Ankunft fällt mir der Junge ins Auge, schwarz wie poliertes Ebenholz, vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, den alle Welt Djami ruft. Hin und wieder kommt er in unser Kontor, um Sotiro im Lager zu helfen, und ist schon dankbar, dafür nur mit uns speisen zu dürfen. Er sieht recht verhungert aus und trägt an seinen Beinen und womöglich auch an anderen Körperstellen, die durch sein langes Hemd verborgen, viele Narben und frische Wunden des Sambok, der langschwänzigen Peitsche aus Flußpferdhaut. Sotiro hat über ihn bereits in Erfahrung gebracht, daß er von seinem Stamme weit im Westen entführt wurde, noch bevor die Ägypter das Land besetzten und den Sklavenhandel verboten. Eigentlich sei er, den neuen Gesetzen nach, ein freier Mann. Aber die Witwe seines ehemaligen Herrn, unsere Nachbarsfrau, die Sotiro anfänglich für Djamis Mutter gehalten, erweise sich als noch grausamer als ihr Gatte und betrachte den Jungen nach wie vor als ihr Eigentum. Für sie sei er vor allem ein unnötiger Esser, und wären die Ägypter nicht, hätte sie ihn längst verkauft.
Ich gehe hinüber zu dem mürrischen Weib und sage ihr: Du hast da diesen Jungen, Djami, der uns des öfteren zur Hand geht. Er hat sich als recht anstellig erwiesen. Würdest du gestatten, daß er in meinen Dienst tritt? Ich könnte einen verständigen Burschen wie ihn gut in unserem Kontor gebrauchen.
Er ist ein fauler und verschlagener Kerl, Sahib, und er hat mich in den vergangenen Jahren unzählige Mahlzeiten gekostet.
Ich brauche durchaus einen schlauen Burschen; und die Faulheit werde ich ihm schon austreiben, uchti.
Meinetwegen nimm ihn, wenn du mir das eine oder andere Geschenk gibst. Der Junge hat mir ja nur Unkosten bereitet.
Ich bringe ihr zwei Baumwolltücher, eine Schere, Nadeln und Zwirn, und da sie noch immer ein mißmutiges Gesicht zeigt, lege ich zwei Schnüre mit Glasperlen dazu.
Gut, sagt sie endlich: aber bring mir den Knaben nicht zurück, wenn er sich als Nichtsnutz und Schmarotzer erweist.
So ist Djami zu mir gekommen. Abgesehen von der Meidung gewisser Wörter darf man diesen Tausch durchaus als Menschenhandel begreifen.
Auch wenn Djami sich nur noch an wenige Dinge vor seinem Raub erinnert, so entstammt er doch einer noblen Familie, beherrscht vielerlei Sprachen und die Jagd- und Kriegskunst. Nur im Rechnen braucht er einige Nachhilfe, die ich ihm gerne gewähre. Dabei zeigt er eine Ergebenheit, die am Anfang wohl vor allem der Dankbarkeit geschuldet ist, ihn von der unwirschen Witwe fortgenommen zu haben.
Ich weise ihn an, seine Sachen aus dem Nachbarhaus zu holen und in die Kammer zu bringen, die er nun in unserer Wohnung beziehen soll. Er erwidert: daß er nichts besitze als jene Fetzen, die er am Leibe trage. Ich gebe ihm einstweilen einige Kleidung von mir, die ihm auf Anhieb paßt, da er groß gewachsen, bis er sich von seinem ersten Lohn nach eigenem Geschmack und Vermögen selbst einzukleiden vermag.
Nach der Arbeit verbringt jeder seine Zeit, wie er will. Aber in Harar gibt es wenig zu tun außer zu lesen und zu träumen. Im Sommer ist die Hitze ungeheuer groß, selbst in der Nacht kühlt es dann kaum ab. Sicher, Aden war noch unerträglicher: Nicht einen Tropfen sauberes Wasser findet man auf diesem kargen Felsen, man trinkt dort destilliertes Meerwasser; kein einziger Baum, kein Strauch, kein Grashalm wächst in diesem Vulkankrater. Wer nicht dort war, kann sich diesen Ort nicht vorstellen: die dunklen, schroffen Kraterwände lassen keine frische Luft hinein – so brennen die Bewohner auf dem Grund dieses Schlunds wie in einem Ziegelofen.
Doch am Ende mochte ich dieses höllische Klima fast: Regen, Morast und Kälte und das satte Grün der Ardennen waren mir immer ein Greuel. Täglich verliere ich den Geschmack an den Lebensweisen und Umgangsformen, ja selbst den Sprachen Europas ein wenig mehr. Hier geht es mir gut, auch wenn man hier schneller altert als unter der milderen Sonne des Nordens. Mit jedem Augenblick wird mir ein Haar weiß. Da es nun schon so lange geht, fürchte ich, bald einen Kopf wie eine gepuderte Perücke zu haben. Dieser Verrat meiner Kopfhaut ist in der Tat sehr betrüblich, aber was kann ich dagegen tun?
Nachdem M. Brémond endlich gegangen ist, versuche ich mich an einigen ersten Notizen für den Rapport: Große Expeditionen benötigen sehr viel Gepäck. Und viel Gepäck bedeutet viele Lasttiere oder Träger, die wiederum unterwegs versorgt werden müssen. Oftmals stehen die genaue Route und das Ziel der Expedition nicht fest, und kein Träger oder Treiber verpflichtet sich gerne für ein unbekanntes Ziel oder eine unbestimmte Zeit. Viele Reisende haben dabei nicht nur ihren Weg und ihr Hab und Gut, sondern auch ihr Leben verloren.
Wir versuchen, mit möglichst wenig Gepäck und in einer kleinen Gruppe vertrauenswürdiger Gefährten zu reisen. Das mag bei Überfällen nicht der beste Schutz sein, aber erfahrungsgemäß beginnt die Zersetzung einer Expedition von Innen her.
Die Häuptlinge und Scheichs sind es inzwischen gewohnt, daß man ihnen Geschenke macht, Stoffe, Perlen, Gewehre, Pulver und Blei, aber das größte Geschenk, daß man ihnen machen kann, ist die Achtung, die man ihnen entgegenbringt. Sie wiegt leicht und ist doch ungleich kostbarer als alle Perlen und alles Blei.
Obgleich die Ägypter und die Engländer den Überseehandel mit Sklaven weitgehend unterbunden haben, ist die Sklaverei und der Menschenhandel unter den afrikanischen Stämmen immer noch weit verbreitet, daß man fast annehmen muß, sie seien ein unausrottbarer Teil ihrer Kultur. Indessen gäbe es keinerlei Karawane, weder von einheimischen noch von europäischen Händlern, wenn die überwiegende Zahl von Trägern nicht zu diesem Dienst gezwungen würde, denn der Lohn ist gering und die Arbeit außerordentlich schwer. Wäre die Sklaverei tatsächlich ausgemerzt, würde kein Kaufmann mehr genügend Träger anwerben können, und jeglicher Handel käme zum Erliegen.
Die Nacht ist so hell, daß ich mein Gedanken- und Forschungsjournal allein im Licht des Mondes schreiben kann. Die Gefährten sitzen in verschiedenen Gruppen um ihre Feuer herum, rauchen ihre Tschibuks (Pfeifen) oder kauen – wie die Somalier – ihren Tabak. Djami, Hadsch Afi und ich bilden eine Gruppe für uns. Hadsch Afi ist der einzige, der ein waches Auge und Ohr auf unsere Reit- und Lasttiere wahrt.
Obgleich wir so weit wie möglich von Brémonds Kamelen entfernt lagern, hindert es die Zecken nicht daran, in langer Karawane zu uns zu marschieren und vom Grund der Zehen an den Aufstieg in weniger verhornte Regionen zu wagen, dort ihre Kiefer in unsere vom Schweiße aufgeweichte Haut zu schlagen, so tief, bis sie auf die subkutanen Ströme unseres schwergewordenen Blutes treffen, sich daran laben und mit ihm aufblähen, ehe wir ihnen den prallgefüllten Leib vom Kopfe drehen und letzteren mit unseren schmutzigen Fingernägeln aus unserem Fleisch zu pulen versuchen. Normalerweise gehen Kamelzecken nicht auf Menschen, aber M. Brémond läßt seine Tiere so sehr darben, daß es selbst für Zecken kaum noch etwas zu saugen gibt. Die Einheimischen versichern uns, daß es außer den schmerzhaften Bissen und den noch lange sichtbaren Blutergüssen von den Bissen der Kamelzecke nichts weiter zu fürchten gebe. Vor den Menschenzecken indessen sollten wir uns hüten. Aber dieser besonderen Warnung hätte es nicht bedurft: hat doch jeder Abendländer unter uns seine eigenen Erfahrungen mit vielerlei Ungeziefer gemacht, welche das nahe Zusammenleben unweigerlich mit sich bringt. – Bei manchen tritt das Menschliche erst Tieren gegenüber in Erscheinung.
SONNTAG, DEN 7. OKTOBER 1883
Ein klarer Quell tritt zwischen den riesigen Granitblöcken zu Tage, ein fast undurchsichtiges Dickicht säumt das Bachbett, hohe Bäume: namentlich Sykomoren, verleihen ihm Schatten und lassen nur wenige Sonnenstrahlen auf sein Wasser treffen. Das Licht blitzt und glitzert in den Baumkronen, Tausende von Vogelstimmen untermalen das Lichterspiel, die Rufe der Glanzdrossel und des Würgers, das dumpfe Heulen der Helmvögel, das Girren und Gurren der Wildtauben: hier, in dieses schattige Dunkel haben Djami und ich uns zurückgezogen.
Einer der merkwürdigen Umstände in der Fremde ist, daß Landsleuten, die man in der Heimat nicht zu kennen wünschte, geschweige denn mit ihnen das Lager teilen wollte, hier plötzlich in einer unnatürlichen Nähe zueinander stehen. In der Wüste oder im menschenleeren Dschungel ergreift man selbst vor den gräßlichsten Zeit- und Sprachgenossen nicht die Flucht, sondern rückt gar eng zusammen.
Wissen Sie, was das Geheimnis eines guten Geschäftsmannes ist, mein Guter? versucht Brémond mich ins Gespräch zu ziehen: Man darf das Geschäftemachen nicht als Kunst betrachten; man darf nicht glauben, eine Idee sei nur für eine bestimmte Form geschaffen und könne nicht zweierlei Zwecken dienen. Wenn man Erfolg haben will, muß der Geschäftsfreund glauben, er allein sei der Herr dieses Erfolgs; er muß die Verhandlungen vorausahnen und annehmen können und glauben, er habe sie selbst in genau diese Richtung gelenkt.
Ist das nicht große Kunst?
Das ist Menschenkenntnis, das ist strategisches Geschick! ruft er mit hervorquellenden Augen aus, die Arme zu einer theatralischen Umarmung erhoben, auch wenn es außer meiner skeptischen Zuhörerschaft kein weiteres Publikum zu umarmen gibt.
Wenn ich irgendetwas wirklich verabscheue in dieser Weltgegend, fährt er vertraulich fort, dann ist es der Umstand, fast ständig nur unter Männern zu sein. Haben Sie die Dorfmädchen gesehen? Diese leuchtenden Augen, die gleich Licht und Wärme in diese kalte, dunkle Schwärze bringen! Ein Zauber, eine Schönheit, eine Morgenröte! Man möchte wieder an Engel glauben.
Da ich schweige, rückt er noch näher, als könne ich ihn nur nicht richtig verstanden haben: Eine reife Frau mag ihre Vorzüge haben, aber mit der himmlischen Unschuld eines jungen Mädchens ist nichts vergleichbar, finden Sie nicht auch? – Ich höre seine Stimme nicht nur, ich beginne sie zu riechen.
Ich habe da eine aus vielfältiger Erfahrung gewonnene Theorie und würde gerne, so von Mann zu Mann und unter uns, von Ihnen wissen, was Sie davon halten: Meiner Ansicht nach kann ein Mann nur wahre Lust mit einer Frau empfinden, die tief unter ihm steht. Denn mit einer schicklichen Frau, vor allem mit der eigenen, bleibt doch immer eine gehörige Portion Scham, die ihn vom Äußersten abhält, nicht wahr?
Ist das der eigentliche Grund, warum Sie hier im tiefsten Afrika Ihren Geschäften nachgehen?
Es wäre nicht der übelste, mein Guter, wenn unsereins denn die Wahl hätte, über die Nischen selbst zu befinden, die noch einigermaßen Erfolg versprechen. Aber wenn sich das Notwendige mit dem Amüsanten verbinden läßt, wäre ich der Letzte, der dieses glückliche Zusammentreffen ausschlüge. Hier muß man sich in der Tat nicht genieren: hier kann man sich den Liebesakten hingeben, wie man daheim in der prüden Provinz Holz spaltet.
Ich werfe einen verzweifelten Blick auf Djami, auf daß er mich aus diesem Gespräche rette, aber Djami gibt vor, von meiner Verzweiflung nichts zu bemerken (Landsleute unter sich! da darf man nicht stören, mögen die Gegenstände auch jeder Vernunft entbehren), also fährt Brémond ungerührt fort: Übrigens, werter Kollege, nehmen Sie es mir nicht übel, aber nach meinem Dafürhalten – und hier spricht jemand, der nach Jahren ja durchaus fast Ihr Vater sein könnte – scheint mir Ihre Liaison mit ihrem Domestiken für die hiesigen Verhältnisse unangemessen vertraulich. Das korrumpiert die Einheimischen nur und führt zu falschen Schlüssen und am Ende nur allzu rasch zu Aufsässigkeit und Eigensinn.
Ich bin zu verblüfft, um M. Brémonds Unverschämtheit gleich in aller Schärfe zurückzuweisen, und erwidere nach einem längeren schuldbewußten Zögern nur: Mir scheint das Wort Liaison in diesem Zusammenhang vollkommen unangebracht, Monsieur Brémond.
Wie dem auch sei: Sie sind zu gut; Sie lassen sich zu rasch erweichen, zu rasch täuschen; doch mit diesen Menschen darf man nicht zu gütig sein, sie legen es ihrem Herrn als Schwäche aus. Schauen Sie sich den Burschen an! schleicht jetzt schon gekrümmt wie unter der Furcht von Hieben daher, mit humpelnden Schritten, denen man das Gewicht der Sträflingskugel bereits anmerkt, immer im Schatten sich drückend, auf der Seite der Nacht.
Wer weiß, was er in seinen jungen Jahren schon hat erleben müssen!
Einem guten Wesen können die Schläge des Daseins nichts anhaben, sowenig wie Wohlwollen und Zuwendung den niedrigen Instinkten eines Galgenvogels Einhalt gebieten.
Das sind die Vorurteile eines Mannes, der seine Gesundheit allein mit Völlerei und Unzucht ruiniert hat. Aber Brémond hat Unrecht: ich bin kein gütiger Herr, bin nicht blind für die Schwächen und Abgründe anderer, lasse mich nicht leicht täuschen, ja bin meinem Wesen nach ein zutiefst argwöhnischer Mensch, der hinter allem Guten, das ihm widerfährt, stets eine opportunistische, wenn nicht gar böswillige Absicht wittert.
Wie habe ich mit Sotiro über Djamis Häßlichkeit, Dummheit und fehlende Anmut gespottet: Mir selbst gegenüber hätte ich mißtrauisch sein sollen. Er kennt alle meine Gewohnheiten; ist mir unwohl, bin ich krank, weiß er das Heilmittel oder findet zumindest die richtigen Worte. Er ist bereits jetzt ein fast unentbehrlicher Teil meines Lebens, voller Zärtlichkeit, Ergebenheit, aber auch Wachsamkeit und Stolz. Letzteres ist der einzige Grund, warum ich ihm nicht alles sage, nicht alles anvertraue. Sein Stolz ist mir ein Vorbild. Djami ist eines jener raren Geschöpfe, von denen man hofft, daß sie einem einmal am Ende des Weges die Hand halten und die Augen zudrücken werden.
Aber ich will Ihnen auf gar keinen Fall zu nahetreten! – Selbst ein Antoine Brémond spürt, daß er die Grenze des Schicklichen übertreten hat: Wer ohne Sünde ist, der – ach, Sie wissen schon, mein Guter!
Kann man einem derartigen Schmierenkomödianten wirklich böse sein? Ich erwidere sein versöhnliches Lächeln mit einem nicht weniger schmalzigen und wundere mich, wie leicht sich nach all den Jahren der Askese mein Gesicht noch diesbezüglich verformen läßt.
Feist, rotwangig, wohlgenährt wie die Zoten Rabelais’, bei näherem Hinsehen aber blutleer wie die Prosa de Sades: obgleich einige Jahre jünger, erinnert mich M. Brémonds Gesicht an das der Päpstin; aber damit endet die verwandtschaftliche Nähe auch schon: eine Landfrau, die in die Stadt eingeheiratet hat, sich städtisch kleidet und urban gibt, doch ihren bäuerlichen Argwohn und Geiz nie abgelegt hat. Von ihr habe ich den nüchternen Verstand, die Menschenverachtung, die Kränkbarkeit und die Habgier.
Ihre größte Angst war: ich könnte so enden wie ihre Brüder: der eine, der Afrikaner, ging mit siebzehn nach Algerien, wo er nach einem unsteten und glücklosen Leben kaum dreißigjährig starb; der andere war ein Prasser und Säufer, der am Ende als Vagabund auf der Straße landete. Indes waren alle ihre Ängste begründet, und die Gewalt, mit der sie mich den Tugenden der Provinz zu unterwerfen versuchte, war wohl vergeblich. Hier bin ich nun: auf dem Weg in mein Afrika.
Nur daß ich noch als Gymnasiast einen Mädchenhaarschnitt trug, hat sie nicht gestört. Wieviel Trotz und Spott hätte sie mir ersparen können, hätte sie die Männer nicht derart gehaßt! Dieser dunkle Mund der Pflicht, steif und blau vor Stolz, die Seele der Seele ihres Sohnes, der schon ganz verschimmelt war vor lauter Heuchelei und unterdrückten Tränen; der sich in die Frische der Latrinen flüchtet, wo er hingehört mit weit geöffneten Nüstern: hängt den Eingeweiden, den Seelendüften nach, leckt sich die gelben und braunen Schlammfinger ab, die ungehorsamen, wie ihre strengen blauen Augen doch lügen: der Vater tot! gestorben vor fünf Jahren in einer fernen Garnisonsstadt!
Und endlich klappt die Päpstin das Schuld- und Sündenbuch zu, unzufrieden mit dem verstockten Sohn, unter dessen pockennarbiger Stirn Ekel und Auflehnung rumoren; sie weiß es, sie sieht es: hat er nicht ihre kalten blauen Augen?
Hier träumt er von Schwärze, Sonnenglut, träumt von schwarzer Liebe und Savannenflaum.
Ist es der Tod ihres Vaters oder der Abschied vom Hauptmann, der die Päpstin fortan nur noch Schwarz tragen läßt, als sei sie bereits Witwe? Das Grab ihres Vaters ist kaum zugeschüttet, da zerrt sie mich allein auf den Friedhof, auch ich ganz in Schwarz gekleidet. Sie hat nicht nur ein Grab für den Großvater gekauft, sondern (vielleicht weil es billiger war) eine ganze Familiengruft. Immerhin schien ihr diese Ausgabe so verschwenderisch, daß sie unsere schöne Wohnung in der Grand Rue aufgab und uns alle in eine nur halb so große Unterkunft ins Arbeiterquartier von C. umzuziehen zwingt. Das hätte für mich und meine Geschwister auch ein Glück sein können: hätten wir nur mit den armen Nachbarskindern spielen dürfen!
Sie bittet den Totengräber, neben Großvaters Ruheplatz ein weiteres Grab auszuheben: Hilf mir hinein! fordert sie mich auf. Ich fürchte mich, hier auf dem Friedhof, nicht vor den Toten, ich fürchte mich allein vor ihr, der Päpstin. Du wirst dich schmutzig machen, sage ich zaghaft.
Mag sein, mein Sohn, aber es wird die Seele reinigen.
Es gibt zwei kleine Mäuerchen aus Backsteinen, auf die ihr Sarg gestellt werden soll. Sie schickt mich nach dem Totengräber und zeigt ihm genau, wo sie liegen möchte. Bevor man den Stein, der Tür genannt wird, am Eingang zumauert – er ist gerade fünfzig Zentimeter lang, so daß man den Sarg eben hineinschieben kann –, will sie alles noch einmal ganz genau betrachten. Der stumme Totengräber läßt sie ganz vorsichtig bis ans Ende der Grabkammer kriechen.
Nun komm auch hinab, Junge! höre ich dumpf ihre Stimme aus der Grube: leg dich zu mir! Hier werden wir dereinst alle ruhen, ich zwischen meinem Vater und meinen Söhnen.
MONTAG, DEN 8. OKTOBER 1883
Wenn wir auf die Welt kommen, sind wir zunächst geblendet, weil wir zuviel sehen. Wir müssen lernen, die Augen zu schließen und weniger zu sehen, um überhaupt etwas zu sehen. Ja, sehen lernen heißt im Grunde: immer mehr aus unserem Sichtfeld auszublenden und nicht zu sehen. Unterstellen wir nicht deshalb den Blinden, mehr zu sehen als alle Sehenden zusammen?
Vielleicht gilt das auch für das Sprechen: um sprechen zu lernen, muß man alle anderen Sprachen vergessen, die ein Neugeborenes noch zu sprechen in der Lage ist.
Nach dem Erwachen (ist das gestrige Gespräch mit Brémond schuld?) plötzlich das zweifelhafte Verlangen, mit einer Frau zusammenzusein, nicht der Erfüllung eines geheimen Begehrens, sondern einfach ihrer Gesellschaft wegen. Das Leben in Harar (und um wieviel mehr auf dieser Reise) entbehrt nun doch zu sehr aller Weiblichkeit. Vor allem spüre ich den Trübsinn und das enttäuschte Verlangen der anderen.
Ich selbst versuche hier womöglich das Hauptübel meiner Kindheit zu heilen: Nie hat die Päpstin mich mit Knaben meines Alters verkehren lassen; fast wäre ich zu einem großen Duckmäuser geworden, denn selbst in den Schulpausen blieb ich allein oder in Gesellschaft meiner Schwestern. Indes las ich bereits den Don Quichotte, während meine Kameraden noch Mühe mit dem Entziffern der ABC-Fibel hatten. Wenn es etwas zu lachen gab, so habe ich es für mich behalten. Die Päpstin hätte mir den Cervantes – zu Recht einigen gottlosen Unrat witternd – sofort aus den Händen gerissen. Im Grunde habe ich, seit der Hauptmann uns verließ, nicht mehr gelacht.
Nie haben wir ein Nachbarskind zu uns nach Hause eingeladen; nie durfte ich einen Klassenkameraden zu Hause besuchen. Verständlicherweise blieben die Einladungen bald gänzlich aus. Hier im Ogaden kann der Reisende nicht überleben, wenn ihn die Bewohner nicht gelegentlich an ihren Herd laden. Von den ersten Fußmärschen an war mein Reisen wohl immer auch eine Suche nach Gastfreundschaft.
Die tote Schwester steigt die Treppe hinab, dann geht sie den Bahnsteig entlang, die Bremsen der Lokomotive kreischen, hat man sie nicht aufrecht in der Friedhofsmauer beigesetzt? Der Hauptmann ist im Süden geblieben und zur Totenfeier nicht gekommen. Seitdem er fortgegangen ist, hat die Uhr im Speisezimmer nicht mehr geschlagen. Er hat den Schlüssel mitgenommen. Immer ist es jener, den man liebt, der einen am Ende davonjagt.
Ich habe keinen von ihnen geliebt; weiß nicht, warum ich mir die schönen Mädchenlocken, die alle so verachtet haben, abrasiere; stehe fröstelnd am Straßenrand, wollte, ein Fuhrwerk hielte an und der fremde Mann hieße mich einsteigen. Der Weg ist lang, die Luft im Innern der Kalesche steht, der Fremde mustert mich, wie man eine Dirne mustert, ich grinse wie ein Idiot: wann öffnet er endlich den Gürtel, wann zückt er das blitzende Messer? Die Reise ist endlos. Monströse Nacht.
Von einem Pfad kann keine Rede mehr sein; es ist: als kletterten wir auf allen vieren zum Paß hinauf. Jeder Kameltreiber hält sich dicht bei seinem Tier und beruhigt und ermutigt es mit einem jeweils eigentümlichen Gesang. Und die Tiere lauschen und lassen sich von der Melodie und dem Rhythmus seiner sanftmütigen Sirene lenken. Sie scheinen die im Gesang verborgenen Befehle genau zu verstehen und setzen, selbst wenn sie mit eigenen Augen den Steig nicht sehen können, ihren Fuß dorthin, wo ihr Treiber einen sicheren Halt vermutet. Mögen diese wundersamen Tiere auch für das Durchqueren heißer sandiger Ebenen hervorragend gerüstet sein: für das Erklettern von steilen steinigen Pfaden mit nachgebendem Geröll sind sie nicht geschaffen. Und wir – weder dem einen noch dem anderen angepaßt – was haben wir in dieser rauhen Gebirgswelt zu suchen? Verletzlich sind wir und allein im Schweigen der Berge.
Wir reiten durch unbewohnte Erde, eine Totenlandschaft, aber die Toten schlafen noch. Sie zeigen sich erst, wenn die Sonne im Mittag steht.
Hin und wieder stoßen wir auf die verlassenen Hütten der Hirten, vom Licht ausgelaugt, das umliegende Gras verdorrt, das Gebüsch laublos. Also sind sie mit ihrem Vieh weitergezogen. Manchmal wohnen sie mit ihren Schafen und Ziegen zusammen auch in Höhlen: außer dem Licht muß man sich in dieser Jahreszeit auch vor dem Regen schützen. Der Wind weht unregelmäßig, aber gelegentlich heftig, ein eigensinniger, mal kalter, dann wieder heißer und staubiger Wind aus dem Innern des Kontinents. Mit seinen haarfeinen Geißeln peitscht er die Menschen wie die Tiere.
Pater Etienne, des jungen Mauricens Confrater, ist ein weitaus älterer, ungemein zarter und zerbrechlicher Landsmann aus Lyon. Seine Kutte hängt wie ein Sack um seine ausgezehrte Gestalt. Er hat ein stilles und gleichermaßen asketisches Gesicht. Unter der trotz der sengenden Sonne fahlen, pergamentnen Haut zeichnen sich die dunklen Linien der Adern, Sehnen und Knochen ab wie eine verwitterte Keilschrift. Ich kann nicht behaupten, ich hätte es vorhergesehen; aber es wundert mich nicht: als Pater Etienne während des unsicheren, suchenden Gangs seines Maultiers auf dem unebenen Pfad plötzlich aus dem Sattel kippt und unabgestützt auf den steinigen Boden stürzt. Von Anbeginn wirkte er wie einer, der bereits vom Tod in die Arme geschlossen ward und die letzte Ölung erhalten hatte, dann aber noch einmal, womöglich gegen seinen Willen, ins Leben zurückgeschickt wurde: Hier ficht er nun einen andauernden nervösen Kampf gegen seine Hinfälligkeit aus, der seinem verhärmten Antlitz eine angespannte Schönheit verleiht.
Es ist ein heißer Tag: Ich benetze das Gesicht des Gestürzten mit Wasser aus meinem Ledersack und untersuche den Schädel, dann die weiteren Knochen, ob irgendeiner gebrochen. Pater Maurice steht betend neben uns. Seitdem wir unterwegs sind, und vermutlich schon Tage davor, hat der alte Kapuzinermönch kaum Nahrung zu sich genommen und sich vom Morgen bis zum Abend gerade einmal mit ausreichend Wasser begnügt, um noch nicht verdurstet zu sein. Nur nach mohammedanischem Kalender, doch durchaus nicht nach christlichem, befinden wir uns gerade in der Fastenzeit: und als ich Pater Maurice auf dieses unnötige, ja gefährliche Exerzitium seines gebrechlichen Confraters anspreche, gibt er bloß Auskunft: es handle sich um ein ganz persönliches Gelübde, eine unverbrüchliche Abmachung zwischen Etienne und Gott. Was für eine unverzeihliche Tat kann der Grund sein, hier in der Einöde unter Lebensgefahr dafür Buße zu tun?
Ich fordere Pater Etienne auf: seine Glieder zu bewegen, eines nach dem anderen. Noch sind seine Bewegungen hilflos wie die eines Gefangenen, den man vom Streckbett befreit. Gebt mir einen Augenblick Zeit: flüstert er. Auch zuvor klang in seiner Stimme – wenn er überhaupt einmal sprach – immer schon das unausweichliche Märtyrertum mit. Dann wurden seine dunkelbraunen Augen schwarz, als falle bereits (und diesmal endgültig) der Schatten des Todesengels auf sein Antlitz. (Werfen Engel denn Schatten?) Sei’s drum, ihm gegenüber fühlt sich ein jeder schmutzig und schämt sich seiner brennenden Augen. Denn alles an ihm – selbst hier im Dreck – ist äußerst reinlich, seine Hände sind makellos wie die des Herrn, der den Kelch mit seinem eigenen Blute seinem unbarmherzigen Vater entgegenstreckt und dann den töricht dreinblickenden Aposteln reicht: Wie sollen diese einfältigen Fischer und Ziegenhirten auch verstehen, was jetzt gerade geschieht?