Kitabı oku: «Kommissar Schlemperts zweiter Fall: Recht & Unrecht», sayfa 3

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Sagen kann der doch, was er will, ich tu dann auch einfach, was ich will.

„Mensch Schlempert, einfach die A61 bis zum Ende durch und dann nur noch über die Grenze. Schon sind Sie in Venlo.“

Moment! Die A61? Das ist doch die Gelegenheit, in der Dienstzeit meine Familie in Köln zu besuchen. Sogar den Kraftstoff zahlt der Staat.

„Ja, da sind Sie platt, Schlempert“, spricht Heuler weiter, „nicht nur mein kriminalistischer Spürsinn ist legendär, nein, auch mein geografisches Wissen ist unerreicht.“

Ja, ja, googeln kann ich auch, durchs Telefon kann ich sogar hören, wie er auf den Tasten herumhämmert. Aber egal.

„Sehr geehrter Herr Heuler. Ich muss Ihnen zugestehen, dass ich Ihrer Argumentation nichts entgegenzusetzen habe.“ Ich schleime, was das Zeug hält. „Selbstverständlich werde ich mich Ihrer Anweisung fügen.“

Nun hat der Chef sein Erfolgserlebnis, ich meine Ruhe und wir können so unser Gespräch in beidseitigem Glücksgefühl beenden.

„Leute, ich bin morgen im Außendienst“, kläre ich mein Team auf.

„Na prima, und was machen wir so lange?“, will Laura wissen.

„Ihr könnt ja mal unsere bisherigen Ermittlungsergebnisse in einem Bericht erfassen. Zudem wird das Protokoll der Aussage von dem Angelvorstand zu tippen sein.“ Damit sollten sie zu tun haben.

Timo hat trotzdem einen Einwand: „Findest du es richtig, einen ganzen Tag weg zu sein? Jetzt, wo wir langsam in eine heiße Phase kommen?“

„Du meinst doch, ich soll nicht mehr so auf Konfrontation gehen mit unserem Vorgesetzten?“, werfe ich ihm an den Kopf.

„Da hast du schon recht. Aber diese Aktion ist doch komplett für den Allerwertesten“, ist Timo nun auch am Zweifeln.

„Komm, Timo, ist doch nur für einen Tag. Ich lass auch mein Smartphone nicht aus den Augen.“ Damit kann ich den jungen Mann sichtlich beruhigen.

Für weitere Diskussionen haben wir dann auch keine Zeit, da es an unserer Bürotür klopft. Ich öffne und mustere den Mann, der davorsteht. Schlank, circa einsfünfundachtzig groß, schätzungsweise Ende sechzig, markantes Gesicht mit deutlich herausstehenden Wangenknochen, tief sitzenden dunklen Augen mit grauen, buschigen Brauen, blitzblank polierte Schuhe und eine Art Ausgehuniform. Die Körperspannung vorbildlich und die Augen geradeaus. Einzig der Schlapphut mit allen möglichen Angelaccessoires will ganz und gar nicht zu ihm passen. Wer putzt sich schon so heraus, um dann mit Angelhaken, Blinker und kleinen Plastikfischen am Schlapphut strammzustehen?

„Guten Morgen, ich bin Kommissar Schlempert“, stelle ich mich vor.

„Schmitt! Hans Schmitt, Leutnant a. D. und Vorstand der Silzer Angellerchen“, sagt er in einem Tonfall, der mich glauben lässt, beim Militär zu sein.

„Ah, Herr Schmitt. Ich freue mich sehr, dass Sie so schnell Zeit für uns gefunden haben.“ Und dann bitte ich ihn: „Kommen Sie doch mit zu meinem Schreibtisch.“

„Es ist mir eine Ehre, der Zivilgewalt Unterstützung zukommen zu lassen“, sagt er und folgt mir – mit exakt fünfzig Zentimetern Abstand. Bei jedem Schritt kann ich sein Rasierwasser deutlich riechen.

Ich setze mich auf meinen Sessel. Er bleibt neben dem Sessel stehen, der für ihn angedacht ist. Ich bitte ihn, doch Platz zu nehmen. Er bleibt stehen. Es sieht aus, als hätte er einen Stock verschluckt, und sein Blick ist weiter schnurgeradeaus gerichtet. Ich wiederhole meine Bitte, Platz zu nehmen. Er erwidert: „Bitte, stehen zu dürfen.“

Also gut. Des Menschen Wille ist sein Königreich.

So beginne ich mit der Befragung: „Ihnen ist die männliche Person bekannt, die sich am letzten Samstag am See in Silz aufgehalten hat?“

„Korrekt!“

Das kann ja noch heiter werden. Ich rufe an meinem Bildschirm den Obduktionsbericht auf und wähle ein Bild vom Gesicht des Opfers, drehe den Bildschirm und frage: „Hat es sich dabei um diese Person gehandelt?“

Hans Schmitt senkt für einen Augenblick den Kopf, um anschließend wieder schnurgeradeaus zu starren und ein „Korrekt“ auszurufen.

Der macht mich noch verrückt mit seiner Militärnummer. „Nehmen Sie doch Platz“, bitte ich ihn wiederholt. „Das ist doch viel bequemer.“

Ohne dass er sich rührt, vernehme ich ein „Negativ“.

Wie soll man sich denn da konzentrieren? Jetzt beginnt auch noch Laura am Nachbartisch aktiv zu werden. Wieso zieht sie die Jacke aus? Nun kontrolliert sie die beiden Waffen, steht auf, zieht ihren voll bepackten Überlebensgürtel in Position und tritt neben mich.

Wo bin ich eigentlich? Und was will ich hier? Sollte ich tatsächlich mal ein Konzept gehabt haben, so ging es mir in den letzten Sekunden verloren.

„Leutnant Schmitt“, sagt sie in festem Ton, „setzen.“ So kann man doch nicht mit einem Zeugen umgehen. Laura kann.

„Ungerne“, sagt der große Mann und setzt sich tatsächlich hin, stocksteif und mit starrem Blick, aber immerhin sitzt er.

So. Nun erst mal Gedanken sortieren und weiter geht’s. „Wann ist Ihnen der rote Fiat denn zum ersten Mal aufgefallen?“

„Februar, genaues Datum unbekannt!“ Immerhin sparen die knappen Antworten Papier beim Protokoll.

„Wollen Sie damit sagen, dass das Opfer schon seit Februar am See campiert hat?“

„Negativ.“

„Ja, wie jetzt?“ Ohne dass ich es will, werde ich etwas ungehalten. Das ist aber auch eine Befragung unter erschwerten Bedingungen.

„Zum ersten Mal im Februar, dann im April und am letzten Donnerstag wieder.“

Damit lässt sich doch was anfangen. „Hatten Sie persönlichen Kontakt mit dem Mann?“

„Positiv.“

„Auch bei seinem letzten Besuch?“ Geht das denn schon wieder los?

„Positiv.“

Mir steigt langsam die Galle bis zum Hals. „Und wie lief die Unterhaltung beim letzten Treffen ab?“

„Negativ. Keine Unterhaltung. Nur Blickkontakt.“

Nun bricht mir der Schweiß aus und meine Gesichtsfarbe wechselt zu Burgunderrot.

Wieder baut sich Laura neben mir auf, zupft ihre Pistolenhalfter zurecht und sagt streng: „Leutnant Schmitt, sitzen Sie doch bequem und reden Sie frei.“

Augenblicklich lässt mein Gegenüber seine Schultern fallen und schlägt die Beine übereinander. Und ich? Ich glaube, ich hab mich gerade in Laura verliebt.

„So, Herr Schmitt, nun einmal in chronologischer Reihenfolge bitte!“

„Also“, fängt er nun ganz normal an zu reden, „Ende Februar war der Panda zum ersten Mal auf der Wiese am See zu sehen. Als er am Folgetag immer noch da war, ging ich dann hin. Ich wollte ja nicht neugierig erscheinen, aber wenn jemand bei Minusgraden offensichtlich im Auto übernachtet, will man doch nach dem Rechten sehen.“

Ist das derselbe Mann, der eben noch strammgestanden hat und nur mit „Positiv“ oder „Negativ“ geantwortet hat? Egal. Jetzt ist das Ganze angenehmer.

„Der junge Mann war sehr höflich und sprach mit einem fremdländischen Akzent. Genau kann ich den nicht beschreiben. Mal dachte ich an Belgisch oder Flämisch, kann aber auch Luxemburgisch oder eine Mischung aus allem gewesen sein. Jedenfalls stellte er sich mit dem Namen Scharell vor. Er erzählte, dass er ein paar Tage bleiben wolle, um jemanden zu besuchen.“

„Wen? Sprach er davon, wen er besuchen wollte?“, unterbreche ich ihn nun doch.

„Leider nicht“, bekomme ich zur Antwort. „Alles, was mir aufgefallen ist, ist, dass unten am Weg des Öfteren ein alter Motorroller stand.“

„Wem gehörte der Roller? Haben Sie auch den Fahrer gesehen?“

„Gesehen habe ich nie jemanden bei Scharell. Er war immer, wenn er hier war, sehr zurückgezogen und scheu. Der Roller war weiß mit so einem rosa Aufkleber am Tank. Mehr weiß ich leider auch nicht.“

Das klingt ja schon fast wie eine Entschuldigung von Hans Schmitt. Der, wenn er nicht im Militärmodus agiert, sehr sympathisch ist.

Ich wäre fürs Erste durch. Timo, der das Protokoll mitgeschrieben hat, lässt sich eben dies noch unterschreiben. Danach bedanke ich mich noch einmal bei dem älteren Herrn, der allerdings keine Anstalten macht aufzustehen.

„Wir sind dann so weit, Herr Schmitt“, fordere ich ihn auf, zu gehen, was er allerdings ignoriert. „Wir haben es bereits nach vierzehn Uhr und würden nun gerne Pause machen“, werde ich noch deutlicher.

Keine sichtbare Reaktion.

Nun baut sich Laura wieder neben mir auf und bittet ihn freundlich, zu gehen: „Leutnant Schmitt, abgetreten.“

An der Tür wendet er sich noch einmal zu einem militärischen Gruß, wobei sich mindestens ein Angelhaken in seinen Zeigefinger bohrt. Und das dermaßen fest, dass, als er die Hand wieder herunternimmt, der Schlapphut samt Toupet daran herunterhängt.

Traumhaft, dieses Bild!

Als wir dann zusammen zum Essen gehen, sagt Laura in einem ruhigen Moment: „Dieter, wenn du darüber reden willst, dann stehe ich dir jederzeit zur Verfügung.“

Was sie damit meint, entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich danke ihr trotzdem mit einem Lächeln für das Angebot.

Den Rest des Arbeitstages verbringen wir damit, unseren Bericht zu verfassen und meine Unterlagen für den Hollandausflug vorzubereiten.

Als ich nach diesem ereignisreichen Tag endlich auf den heimatlichen Hof fahre, sehe ich im Nachbarhof eine Freiluft-Party-Location mit bunten Lampen, Girlanden, einem Grill und mehreren Festzeltgarnituren. Ich schaffe es auch nicht, ins Haus zu kommen, ohne dass Reiner mich abfängt.

„Dieter, endlich kommst du nach Hause“, empfängt er mich. „Wir machen ein Grillfest zu Ehren unseres Urlaubsgastes. Mensch, die hat in Frankfurt beste Beziehungen und will uns weiterempfehlen. Da müssen wir uns doch von unserer besten Seite zeigen. Also, komm gleich mit rüber.“

„Och, Reiner“, versuche ich mich herauszureden, „das passt mir heute gar nicht. Ich bin doch alleine, habe noch die ganze Hausarbeit und bin auch müde, ja, und zudem muss ich morgen ganz zeitig aus dem Haus.“

„Papperlapapp“, nutzt mein Nachbar den Sprachschatz meines Chefs, „ist doch keiner daheim, der dir Hausarbeit bereitet. Kochen brauchst du auch nichts, da es bei uns reichlich gibt. Und früher hat es dir auch nie etwas ausgemacht, wenn du morgens rausmusstest.“

Ja, früher, da war ich auch noch jung. Da konnte ich auch mal zwei Nächte durchfeiern. Zudem gab es früher keine Kordula mit ihrem Öko-Wahn. Das, was da heute Abend auf den Tisch kommt, ist sicher nicht nach meinem Geschmack. Sicher alles von Reiner Buttermilch.

„Jetzt hab dich nicht so“, lässt mein Nachbar nicht locker. „Der Domme kommt auch und bringt das Grillgut mit.“

Domme? Dominik Schäfer? Das ändert natürlich die Sachlage. Eigentlich ist er genauso ein Exot wie Reiner. Der Domme hat eine riesige Ziegenherde, mit der er durchs Land zieht und deren Fleisch etwas Besonderes wäre. Ich als Vegetarier weiß jedenfalls genau, dass sein Ziegenkäse der Hammer ist. Eine schöne Scheibe Bauernbrot mit zerlassenem Ziegenkäse auf Holzkohle gegrillt. Ein Traum. Ein absolut hammermäßiger Traum.

Also sag ich: „Gut, Reiner, du hast mich überzeugt. Lass mich schnell duschen gehen, dann komm ich rüber.“

So kommt es, dass ich eine halbe Stunde später zusammen mit Domme, seiner Frau Anke und zwei Ortsgemeinderäten auf einer Bierbank sitze. Reiner steht am Grill und wendet, was das Zeug hält. Ohne Scheiß, das riecht einfach saugut.

Einer der beiden Gemeinderäte sitzt da mit seinem grauen Anzug und dunkelblauer Fliege mit einem Zettel in der Hand. Da er lautlos seine Lippen bewegt, deutet alles darauf hin, dass er eine Rede einübt.

Der andere wiederum, im karierten Hemd und Knickerbocker, hat einen Stein Bier, in Bayern auch Maß genannt, vor sich stehen. An seinen Augen erkennt man, dass es nicht der erste für heute ist, und an der roten Knollennase erkennt man, dass es auch sicher nicht der letzte Stein Bier für heute sein wird.

Kordula trägt eine Salatschüssel nach der anderen herbei. Am Torbogen hängt eine Rheinland-Pfalz-Flagge herunter. Es wird reichlich durcheinandergeplappert und unser Gemeinderat im karierten Hemd stimmt fröhlich „Do wird die Wutz geschlacht“ an. Echte Volksfeststimmung beim Buttermilch.

Doch plötzlich wird alles still. Einen Moment glaube ich sogar, dass selbst das Brutzeln auf dem Grill verstummt. Als ich erschrocken aufsehe, bemerke ich, dass alle Personen in eine Art Starre verfallen sind. Alle schauen in die gleiche Richtung. Noch denke ich nicht daran, es den anderen gleichzutun, um keinesfalls auch in Hypnose zu verfallen. Doch meine Neugierde ist zu stark. Und so folge ich dem Blick meiner erstarrten Nebenmänner.

Dann sehe ich sie. Die unbestrittene Hauptperson des Abends. Im hautengen, knöchellangen Abendkleid. Mindestens drei Perlenketten um den Hals und eine Hochsteckfrisur, wie ich sie noch nicht gesehen habe. Eine Zigarette qualmt in einer zentimeterlangen Zigarettenspitze elegant vor sich hin. Als sie die Treppe herunterschwebt, gibt der beidseitige hüfthohe Schnitt im roten Kleid bei jeder Stufe den Blick auf ihre schwarzen Strapse frei.

Furchtbar! Ganz einfach furchtbar! Das tolle leuchtend rote Kleid, die schwarzen Netzstrapse und dann das weiße Bein mit deutlichen Dellen und Altersflecken. Jeans würde ich bei der Figur tragen. Ganz einfach Bluejeans. Das wäre passend, aber doch nicht so eine Operngarderobe fürs Grillfest auf dem Dorf.

Die anderen scheinen meine Meinung nicht zu teilen. Warum sonst sitzen sie immer noch mit offenen Mündern da und schauen Stufe für Stufe der Diva hinterher?

Als sie unten angekommen ist, erhebt sich die hypnotisierte Meute, um in einen kollektiven Applaus einzustimmen.

Unser Gemeinderat mit der Fliege unterm Kinn setzt nach dem Verstummen der Jubelrufe mit seiner Rede an: „Sehr verehrte, gnädige Frau. Es macht mich ausgesprochen glücklich, Sie im Namen der Ortsgemeinde Waldrohrbach begrüßen zu dürfen.“

Auch in den weiteren fünfundzwanzig Minuten wird diese Ansprache inhaltlich nicht interessanter. Einzig die Fliege macht das Ganze zum Schauspiel. Also nicht die unterm Kinn, sondern die, die ihm um den Kopf schwirrt und unermüdlich auf seiner Nase landet. Dort angekommen, wirkt sie wie eine tiefschwarze Warze, die sich bewegt. Anfangs versucht er mit Wischbewegungen das Tier zu verscheuchen. Na ja, im Laufe der Zeit werden die Bewegungen immer heftiger und der Redefluss immer weniger flüssig. Lange Rede, kurzer Sinn, die Sache endet damit, dass ihm eine tote Fliege auf einer blutenden Nase klebt, nachdem er sich selbst heftig geohrfeigt hat. Shit happens.

Die Frankfurter Diva stellt sich im Laufe des Abends als angenehme Gesprächspartnerin heraus, deren Alter unter der ganzen kosmetischen Gesichtsspachtel nicht zu erahnen ist. Die etwas unnatürlichen Gesichtszüge deuten jedenfalls darauf hin, dass sich hier auch schon so manch ein Schönheitschirurg ausgetobt hat. Meinen Geschlechtsgenossen gefällt’s. Sie flirten fleißig um die Wette. Unser Gemeinderat im karierten Hemd hält ihr die Hand und schmettert ein „Rosamunde, schenk mir dein Herz und sag ja“ durch die Nacht. Und das, obwohl sie Gerda heißt.

Was mich allerdings wundert, ist, dass sie bei der ganzen Aufmerksamkeit, die ihr entgegengebracht wird, immer das Gespräch mit mir sucht. Egal. Für mich ist es auf jeden Fall Zeit zum Schlafen. Morgen geht es in aller Herrgottsfrühe in die Niederlande und dann zu meiner Familie, bei der ich mich auch schon per SMS angekündigt habe. Glücklicherweise führe ich kein Tagebuch, denn da hätte ich wohl heute eine Menge zu schreiben. So komm ich nun direkt ins Bett.

Also, gute Nacht.

Papa, es war schrecklich, nachdem du gegangen bist. Nachdem du gefallen bist, bei deinem Kampf um die Freiheit. Sie sind alle gekommen. Egal ob Freund oder Feind. Sie kamen ins Haus. Einer nach dem anderen. Niemand hat gesehen, wie ich bin. Keiner der vielen Männer. Keiner der großen Kämpfer. Einen Körper haben sie in mir gesehen. Einen Körper, an dem sie ihre perversen Fantasien ausleben können. Stundenlang. Nächtelang. Einer nach dem anderen. Ich konnte das nicht mehr ertragen. So beschmutzt. So ausgenutzt. So erniedrigt.

Ich bin geflohen. Papa, ich bin geflohen aus dem Land, für das du so gekämpft hast. Aus dem Land, für das du gestorben bist. In die Berge bin ich und dann immer weiter Richtung Westen. Über die Grenze nach Polen bin ich geflohen. Weg aus dem Land, das du so liebtest. Was sollte ich tun?

Irgendwo in den polnischen Bergen habe ich ihn dann getroffen. Ihn: Charly. Er sieht mich als den Menschen, der ich bin. Er ist so rücksichtsvoll, zärtlich und so warm. Er hat mich nach Deutschland gebracht. Hier bin ich bei einem Mann untergekommen. Dieser gibt mir Arbeit, Bücher und eine Unterkunft. Er sagt, dass ich bessere Arbeit bekomme, wenn ich die Sprache kann.

Charly kommt auch immer wieder nach Deutschland. Er will eine Zukunft für uns aufbauen. Er will mich heiraten. Charly will eine Familie mit mir gründen. Er war hier. Gestern haben wir uns getroffen. Am See haben wir uns getroffen. Doch tags darauf war er weg. Die Polizei und die Feuerwehr waren da. Sie haben gesagt, dass das Wasser verseucht ist. Mit Öl und Benzin, haben sie gesagt. Die werden auch Charly verscheucht haben. Mein Charly.

Melde dich bitte bald wieder, Charly.

Kleine Veroschka, warum wehrst du dich? Warum stößt du mich zurück? Ich bin der Mann, von dem alle träumen. Alle, egal, ob jung oder alt, arm oder reich, alle könnte ich sie haben, doch ich will dich, dich allein. Ich habe sogar gemordet für dich. Ist das nicht Beweis meiner Liebe genug? Du weißt, dass du mir nicht widerstehen kannst. Du weißt, dass du mir nicht widerstehen wirst. Nein, du wirst mir gehören. Mir ganz allein. Bis zu deinem Ende wirst du mir gehören. Keiner wird dich mehr berühren. Nicht ohne meine Erlaubnis. Ich werde deinen Preis bestimmen. Ich allein. Warum setzt du dich noch zur Wehr? Warum? Dein Schicksal ist doch besiegelt. Deine Geschichte ist bereits geschrieben. Ich lasse mich nicht so behandeln. Nein, kleine Veroschka, nun musst du auch deine Lektion lernen. Du wirst nicht zur Polizei gehen. Du wirst dich nicht mehr wehren. Hör auf damit. Ich bin deine Bestimmung. Wir wollten doch nur etwas klettern gehen. Ich wollte dir nur zeigen, was für ein toller Beschützer ich bin. Dass ich dich auf den richtigen Weg leiten kann. Warum hast du mich nur zurückgestoßen? Warum hast du mich nur gezwungen, dich zwischen die Bäume zu binden? Warum setzt du dich noch immer zur Wehr? Du spürst doch, dass ich in dich eingedrungen bin. Du spürst doch, dass du nun die Meine bist, kleine Veroschka. Meine kleine Veroschka!

Mittwoch

Nach einer staufreien und ereignislosen Fahrt betrete ich nun das Alten- und Pflegeheim in Venlo. Schon in der Eingangshalle sitzen mehrere Personen in Gruppen zusammen, die offensichtlich gute Laune ausstrahlen. Entweder haben sie in den Niederlanden gute Medikamente oder einfach verstanden, wie man alte und kranke Menschen würdevoll unterbringt. Da könnte sich manch ein deutsches Heim jedenfalls eine Scheibe abschneiden.

Inmitten der tollen Stimmung kommt mir ein junger Pfleger entgegen, gut aussehend, braun gebrannt, tätowiert und trotz allem sympathisch.

„Hallo. Mein Name ist Vito van Heugen, was kann ich für Sie tun?“, begrüßt er mich in gutem Deutsch.

Vito van Heugen, was haben die Niederländer für geile Namen. Vito van Heugen! Eigentlich bin ich versucht, mich nun mit Chuck Norris vorzustellen.

„Dieter Schlempert.“ Wie klingt denn das? Na ja, ich sage es trotzdem.

„Dieter Schlempert“, wiederholt er meinen Namen, „ihr Deutschen habt ja so geile Namen. Dieter Schlempert! So würde ich auch gerne heißen.“

Nun glaube ich doch, dass er geistig etwas beeinträchtigt ist. Egal. Ich trage ihm mein Anliegen vor, woraufhin er mich in den Wohntrakt geleitet. Auch hier ist alles modern, hell und freundlich eingerichtet. Falls ich mal ins Heim muss, will ich nach Holland.

Vito klopft an eine Tür, was wohl bedeutet, dass wir nun am Ziel sind. Geduldig wartet er eine Antwort ab und dann treten wir ein. Das Zimmer ist angenehm groß, hell und mit reichlich persönlichen Gegenständen eingerichtet. Am bodentiefen Fenster sitzt eine ältere, sehr gepflegte Dame im Rollstuhl und beobachtet das Treiben im Garten.

In niederländischer Sprache stellt mich der Pfleger vor und erläutert mein Anliegen.

Unaufgefordert beginnt sie ausführlich zu erzählen. Dass Vito mir Satz für Satz alles übersetzen muss, beschleunigt den Vorgang keineswegs. So erfahre ich, dass nach dem Tod des Vaters die Mutter an schweren Depressionen erkrankt ist. Jahre später wählte sie dann mit einem Sprung von einer Brücke den Freitod. Der kleine „Scharell“, wie sie Charles van de House liebevoll nennt, ist somit in ihrer Obhut herangewachsen.

Nun hab ich keine Wahl. Ich muss der Frau das Bild unseres Opfers zur Identifizierung vorlegen. Sie nimmt es in die Hand und starrt es lange regungslos an. Plötzlich läuft ihr dann eine Träne übers Gesicht und sie führt das Bild zum Mund und küsst es. Mir persönlich wäre das nun Identifizierung genug. Aber der Gesetzgeber verlangt nun noch eine Unterschrift auf dem Formular, die sie dann mit zitternder Hand ausführt. Dass die Unterschrift zum Teil durch Tränen verwässert ist, stört mich nicht.

Betroffen und mit einem Kloß im Hals verlasse ich das Heim. Um das Erlebte zu verdauen, mache ich erst mal einen Spaziergang.

Nach einer Weile muss das mulmige Gefühl in meinem Bauch ausgewachsenem Hunger weichen. Wie es der Zufall so will, laufe ich just in dem Augenblick auf eine belgische Fritterie zu. In Holland belgische Pommes, vermutlich aus Pfälzer Kartoffeln, das passt doch. Nichts wie rein in den Laden. Einen schönen Berg der fettigen Kartoffelstäbchen verputzen und dazu eine große Portion Sauce Andalus! Herrlich, das Brennen im Hals. Ich liebe diese scharfe Soße, dieses taube Gefühl im Mund, Schmerzen, die meine lustlosen Ermittlungen für einen Moment ausblenden. Dass das Zeug irgendwann wieder meinen Körper verlässt und dann wohl auch ordentlich brennen wird, verdränge ich erfolgreich.

Während ich mit schweißnasser Stirn mein Mittagsmahl einnehme, höre ich auch das Piepen meines Smartphones. Erst werde ich aber den Gegner in der Papiertüte schlagen und dann die Nachricht abrufen.

Gesagt, getan. Beim Verlassen der Pommesbude rufe ich es dann mal ab. Bildnachricht von Laura, steht im Display. Kurz bestätigen und schon öffnet sich das Foto. Was ich da sehe, lässt mich augenblicklich erstarren. Ein blondes, zierliches Mädchen ist darauf zu sehen. Übel zugerichtet, nur noch mit ein paar Kleidungsfetzen bedeckt, an fünf Seilen zwischen fünf Bäumen aufgespannt. Eigentlich sieht es aus, als wäre sie waagerecht erhängt worden.

Das grausige Bild ist es aber nicht, was mich so schockiert. Es ist der junge, schlanke, so unschuldig wirkende Körper, der so misshandelt wurde, das jugendliche Gesicht, die langen blonden Haare, die zum Boden hängen. Mir ist, als würde ich Quenny, meine Tochter, vor mir sehen.

Während ich panisch in Richtung Auto renne, lese ich noch die Notiz, die Laura mit dem Bild übermittelt hat: „Dieter, komm, so schnell du kannst. Wir brauchen dich hier.“

Neunte Klasse, genau, ich erinnere mich: Bundesjugendspiele in der neunten Klasse. Ich wollte Natalie imponieren, die am Rand der Aschenbahn stand und zuschaute. Deshalb rannte ich wie ein Bekloppter, als ginge es um mein Leben.

Seit damals bin ich nicht mehr so gerannt wie gerade jetzt. Ich merke immer wieder, dass es mir schwarz vor Augen wird. Wieder und wieder, aber ich lasse nicht nach. Endlich am Auto angekommen, brennen meine Lungen und ich zittere am ganzen Körper. Trotzdem starte ich sofort den Motor und verlasse die Niederlande wie ein Bankräuber auf der Flucht.

Es ist etwas passiert in mir. Ganz klar ist da etwas passiert in mir. Der Trübsinn der letzten Tage, der ganze Verdruss ist wie weggeblasen. Ich will nur wieder zurück, zurück in die Wache, zurück und es schnappen, das Schwein. Und ich werde es schnappen! Ja, das werde ich.

Dieses Mädchen war auch die Tochter eines stolzen und liebenden Vaters. Sie war auch ein Teil einer Familie. Ich werde es schnappen, das Schwein, und wenn es das Letzte ist, was ich tue, aber ich werde es jagen, jagen und stellen, das Schwein.

Auf der Autobahn kommt mir mit über zweihundertfünfzig Sachen ein Schild entgegen. Oder ich ihm? Egal. Jedenfalls lese ich das Wort Köln. Da war doch was. Klar, eigentlich wollte ich ja meine Familie in Köln besuchen, was ja wohl bei der aktuellen Sachlage nicht infrage kommt. Also schnapp ich mein Handy vom Beifahrersitz, wähle Natalies Nummer und drücke mir den Hörer ans Ohr. Schon beim zweiten Klingeln höre ich die Stimme meiner Frau.

„Wo ist Quenny?“, lege ich ohne Begrüßung los.

„Die sitzt hier und liest“, bekomme ich zur Antwort. „Warum willst du das wissen?“

„Gib sie mir“, verlange ich von meiner Gattin. „Bitte lass mich kurz mit ihr reden.“

„Was ist denn, Baba?“, höre ich die genervte Stimme meiner Tochter durch den Hörer. „Mein Buch ist gerade voll spannend.“

„Nichts, mein Schatz“, gebe ich erleichtert zurück, „ich möchte nur, dass du weißt, dass dein Papa dich lieb hat. Gib mir bitte die Mama wieder.“

„Dieter, was soll das? Hat das nicht Zeit, bis du hier bist?“, bringt es meine Frau auf den Punkt.

„Natalie, ich werde nicht hier sein. Ich fahre gleich nach Hause. Deshalb rufe ich an.“

„Wie, du kommst nicht?“, ist sie nun sauer. „Dieter, wir hocken den ganzen Mittag bei dem schönen Wetter im Wohnmobil und warten auf dich und nun kommst du nicht? Dann werden wir nun auch den Urlaub abbrechen, um dann zu Hause mit dir zu klären, was das alles soll.“

„Nein, ihr werdet nicht abbrechen. Ihr bleibt in Köln“, schreie ich in den Hörer.

„Dieter!“, schreit sie nun zurück. „Was soll das? Hast du etwas zu verbergen? Gibt es da eine andere Frau?“

„Wie kommst du auf das schmale Brett? Natürlich gibt es keine andere Frau, zumindest nicht, wie du es denkst.“

„Dann können wir doch nach Hause kommen, wenn es keine Geheimnisse gibt.“

„Ihr kommt nicht nach Hause, so lange dort jemand frei herumläuft, der junge Mädchen ermordet, und basta“, platzt es aus mir heraus.

„Das ändert natürlich die Sachlage“, wird Natalie nun kleinlauter. „Fahr heim und mach deinen Job. Aber pass auf dich auf. Du weißt, was beim letzten Mal so alles passiert ist.“

Nun leg ich auf. Es ist ziemlich anstrengend, gegen die Geräuschkulisse bei Tempo zweihundertzwanzig anzuschreien. Moment. Zweihundertzwanzig? Wieso bin ich nur so langsam unterwegs? Das liegt wohl an dem schwarzen BMW, der vor mir herschleicht. Da werde ich mal etwas dichter auffahren, mal Lichthupe geben, mal auf die Hupe drücken.

Nichts hilft. Anscheinend bekommt der Affe da vorne durch seine schwarz getönten Scheiben nicht mit, dass er im Wege steht.

Jetzt tut sich etwas. In der Heckscheibe beginnen rote Leuchtbuchstaben zu blinken. „Polizei“ und „Bitte folgen“ blinken abwechselnd auf.

Scheiße verdammte. Das kann ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Aber wie immer bin ich auf so einen Fall nicht vorbereitet. Ich habe weder ein Blaulicht noch eine Kelle dabei, damit ich mich als Polizist kenntlich machen kann. Wenn ich nun einfach abhaue, was ich am liebsten tun würde, würde ich damit einen Großeinsatz auslösen, so richtig mit Verfolgungsjagd und Vollsperrungen und so. Das kann ich ja dem Steuerzahler nicht zumuten, also zeige ich mich kooperativ und folge dem BMW zum nächsten Rastplatz. Dort angekommen, kommt der junge Autobahnpolizist gleich auf mich zugestürmt. Mit gemäßigtem Schritt folgt ihm eine etwas dümmlich aussehende Kollegin.

„Allgemeine Fahrzeugkontrolle“, spricht er mich durchs offene Fenster an. „Bitte aussteigen und händigen Sie mir die Fahrzeugpapiere und den Führerschein aus.“

„Hören Sie, ich bin Po…“, weiter komme ich nicht, da er mich sofort rüde unterbricht.

„Wir können das hier gerne in die Länge ziehen. Wir haben viel Zeit. Und Sie auch, denn ich werde Ihr Fahrzeug an Ort und Stelle beschlagnahmen lassen. Fast das Doppelte der erlaubten Geschwindigkeit, telefonieren während der Fahrt und dazu Nötigung. Das reicht locker dafür.“

Nun steige ich doch einmal aus. Nicht weil ich Gehorsamkeit demonstrieren möchte, eher weil mir der Hals so anschwillt, dass er im Auto keinen Platz mehr hat. Frisch ausgestiegen, händige ich ihm anstatt der Fahrzeugpapiere meinen Dienstausweis aus. Sein kurzes Schweigen eröffnet mir nun die Möglichkeit, etwas zu sagen.

„Hören Sie, ich bin Kommissar und im Einsatz. Ich muss auf dem schnellsten, auf dem allerschnellsten Weg nach Landau in der Pfalz. Also, wenn Sie sich keinen unnötigen Ärger einhandeln wollen, dann kümmern Sie sich darum, dass ich freie Bahn habe.“ Das sollte doch klar und deutlich gewesen sein.

„Soso, Herr Kommissar“, sagt er in aller Ruhe, „ich muss Ihnen ja schon zugestehen, dass Ihr Ausweis eine hervorragende Fälschung ist. Aber wenn Sie Beamter wären, dann würden Sie mit Sonderzeichen fahren. Zudem gibt es in ganz Deutschland keinen Kriminalen im Dienst ohne Schutzweste und ohne Dienstwaffe.“

So ein Klugscheißer!

„Somit haben wir nun noch das unbefugte Mitsichführen eines gefälschten Dienstausweises und versuchte Irreführung. Das reicht wohl für einen Haftbefehl.“

Jetzt muss mir aber langsam etwas einfallen. Zu Hause wütet ein Psychopath und ich stehe hier mit dem Sherlock Holmes für Arme und seiner immer noch dümmlich dreinschauenden Kollegin.

„Und Sie? Sie sind auch nicht dienstgemäß. Zum Ersten habe ich den höheren Dienstgrad, also erteile ich hier die Befehle. Zum Zweiten haben Sie eine deutliche Alkoholfahne, was Sie Ihre Marke kosten wird. Und zum Dritten tragen Sie Ihre Waffe ungesichert im Halfter, was auch verboten ist“, sage ich noch so und schon habe ich meinem Gegenüber die Waffe entwendet und halte die Mündung an seinen Kopf.

Seine Kollegin schaut dümmlich.

Nachdem ich den BMW-Schlüssel im hohen Bogen in Richtung Autobahn geworfen habe, steige ich in den Mini und fahre davon. Zugleich entferne ich das Magazin der Waffe und werfe sie zu dem Autobahnpolizisten, dessen Kollegin weiter dümmlich schaut.

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
203 s. 6 illüstrasyon
ISBN:
9783960087724
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