Kitabı oku: «Luise und Leopold», sayfa 3
Eine offizielle Lüge
Um den Schaden zu begrenzen, sieht sich der sächsische Hof von König Georg jetzt gezwungen, in Dresden eine offizielle Depesche zu veröffentlichen. Am 17. Dezember heisst es über Luise: «Die Kronprinzessin ist, laut von Salzburg hier eingegangener Nachrichten, erkrankt und wird in Folge dessen voraussichtlich erst nach einiger Zeit nach Dresden zurückkehren.» Das ist eine Notlüge, um Zeit zu gewinnen und der geflohenen Luise doch noch eine Rückkehr ohne Gesichtsverlust zu ermöglichen.
Doch Luise reagiert nicht darauf.
Weshalb sollte sie?
Sie liebt André Giron.
Und verlebt in Genf schöne Tage.
Sie sind innig verliebt.
Zudem fühlt sie sich von Rechtsanwalt Lachenal und von der Genfer Polizei geschützt. Zwar haben sie und ihr Geliebter bemerkt, dass der sächsische Geheimpolizist im gleichen Hotel wohnt. André Giron kontert spöttisch: «Er kann uns nichts anhaben, er wartet nur, dass wir Genf verlassen, in diesem Falle würde er uns sofort arretieren.» Denn Genf verhält sich, wie erwähnt, liberaler als die anderen Schweizer Kantone, was Ehebruch angeht. Giron ist sich dessen bewusst, wenn er festhält: «Wir verlassen Genf nicht früher, als bis alles arrangiert ist.»
Damit meint Giron die Annullation der Ehe seiner Geliebten. Denn das Heiraten scheint beim Quartett das grosse Thema zu sein; Leopold will ja möglichst rasch seine Wilhelmine ehelichen. Am gleichen Tag, als der sächsische Hof die Unwahrheit über Luises angebliche Krankheit öffentlich verbreitet, schreibt Kaiser Franz Joseph seinem Verwandten Leopold Ferdinand. Offensichtlich hat sich der 72-jährige Kaiser vom ersten Schock erholt. Es braucht etwas Luft, um dem atemlosen Satz von Franz Joseph zu folgen: «Ich habe seine Verzichtleistung auf die ihm durch die Geburt als Mitglied Meines Hauses zustehenden eventuellen Ansprüche und Rechte, insbesondere auch das Recht, als kaiserlicher Prinz und Erzherzog von Österreich, königlicher Prinz von Ungarn, Böhmen etc. angesehen und behandelt zu werden, genehmigt und ihm die erbetene Annahme des bürgerlichen Namens Leopold Wölfling gestattet.»
Der gewundenen Formulierung zum Trotz ist klar: Franz Joseph akzeptiert im Grundsatz Leopolds Ausstieg, aber erwähnt in der Folge weitere Konsequenzen: Sein Verwandter scheidet auch aus der kaiserlichen Armee aus und darf das Reich Österreich-Habsburg nicht mehr betreten. Schliesslich befiehlt er seinem Verwandten Leopold, möglichst bald eine fremde Staatsbürgerschaft anzunehmen.
Das sind trotz unerwarteter Zusatzbedingungen gute Nachrichten für Leopold. Er kommt nämlich damit seinem Ziel, Wilhelmine zu heiraten, ein weiteres Stück näher. Vom Unterschreiben des Austrittsvertrags ist er dennoch ein grosses Stück entfernt, weil er sich finanziell besser absichern will und sich mit dem Kleingedruckten nicht einverstanden erklären kann. Leopold schickt seinen Anwalt vor, der bessere Bedingungen finanzieller Art aushandeln soll. Das dauert …!
Drei Tage später trifft in Genf unangemeldeter Besuch aus Wien ein. Es handelt sich um Erzherzog Josef Ferdinand, den jüngeren Bruder von Luise und Leopold; dieser soll seine Geschwister zur Vernunft bringen. Er wirkt als inoffizieller Botschafter des Hauses Habsburg: Kaiser Franz Joseph, der vor allem Luise persönlich gut leiden mag, lässt durch Josef Ferdinand einen Vermittlungsvorschlag überbringen. Luise solle Giron sofort fallen lassen, sich dem schlechten Einfluss von Bruder Leopold entziehen und nach Wien oder Dresden zurückkehren; dafür garantiere der Kaiser höchstpersönlich, dass sie von niemanden in ein Irrenhaus oder in ein Kloster gesteckt werde, solange er lebe.
Diese letzte Einschränkung lässt Luise zweifeln, denn Franz Joseph ist damals schon über ein halbes Jahrhundert im Amt und 72-jährig, sodass nicht klar ist, wie lange er noch das Sagen hat. (Dass Franz Joseph noch bis zu seinem Tod 1916 Kaiser bleibt, kann zu diesem Zeitpunkt niemand wissen.) Erzherzog Josef Ferdinand, drei Jahre jünger als seine Schwester, versucht es mit Argumenten, er lockt, er droht, und er befiehlt, denn er dient als Hauptmann in verschiedenen Regimentern – er ist sich militärisch zackiges Befehlen gewohnt, mit dem er allerdings hier in Genf nichts erreicht.
Schliesslich reist er frustriert und ohne Ergebnis zurück nach Österreich. Die Ironie der Geschichte ist, dass dieser Erzherzog 1902 seine Geschwister von unstatthaften Beziehungen abbringen will; doch ausgerechnet er heiratet später, 1921, selbst eine Bürgerliche, nämlich Rosa Kandie Kaltenbrunner. Nach Rosas frühem Tod nimmt er zwar eine Adlige zur Frau, allerdings wieder ungleicher Herkunft, nämlich Gertrude Tomanek von Beyerfels-Mondsee. Dafür wäre er vom Kaiser mit grosser Vehemenz getadelt worden, hätte dieser noch gelebt.
Kehren wir in den Dezember 1902 zurück, nach Genf. Während die zwei Ausreisser mit ihren Geliebten die Zeit damit verbringen, Einkäufe zu tätigen und das Theater zu besuchen, sieht sich der Hof in Dresden dazu gezwungen, nach der ersten Notlüge nun ehrlich zu informieren. Am 22.Dezember veröffentlicht das Dresdner Journal das offizielle Bulletin des sächsischen Königshofs: «Ihre kaiserliche und königliche Hoheit, die Frau Kronprinzessin, hat in der Nacht vom 11. zum 12.Dezember in einem anscheinend krankhaften Zustande seelischer Erregung Salzburg plötzlich verlassen und sich unter Abbruch aller Beziehungen zu ihren hiesigen Angehörigen ins Ausland begeben. Am königlichen Hofe sind diesen Winter alle grossen Festlichkeiten abgesagt. Auch der Neujahrsempfang wird nicht stattfinden.»
Die offizielle Verlautbarung soll dem Geschwätz und den anhaltenden Gerüchten ein Ende setzen. Aufschlussreich ist die Formulierung «in einem anscheinend krankhaften Zustande seelischer Erregung» – Luise wird pathologisiert, auch wenn das Wort «anscheinend» das Krankhafte etwas abmildert. Insofern stellt das Bulletin ein Meisterstück politischer PR dar, mit dem man sich viele Auswege offenlässt.
Doch der bis dato verborgene Skandal liegt nun öffentlich da: Der Adel in ganz Europa empört sich, während die politische Linke einmal mehr den Niedergang der degenerierten Monarchie herannahen sieht. Die Presse in Berlin spottet, die ungewöhnliche «seelische Erregung», welche zur Abreise beigetragen habe, trage einen Schnurrbart und schwarze Locken; die Journalisten spielen damit auf das Aussehen von André Giron an. Die Neue Freie Presse aus Wien analysiert messerscharf: «So radikal und ohne Scheu hat sich der Bruch der Leidenschaft mit der Tradition noch nie in einem Königshaus vollzogen. Man spürt förmlich diesen Kampf zwischen alter und neuer Zeit.»
Insofern ist der Skandal viel mehr als ein Regelverstoss zweier Adliger; er steht für den Kampf zwischen dem Gestern und dem Morgen. In der damaligen Zeit wimmelt es von Auf- und Umbrüchen: Die Industrie produziert immer mehr und immer günstiger; die Globalisierung nimmt ihren Lauf; Frauen fordern ihre Rechte ein; Auto, Elektrizität und Telefone beschleunigen den Alltag; Wissenschaft und Kunst zertrümmern das alte Weltbild. Sinnbild für diese Entwicklung sind die elektrischen Gehwege an der Weltausstellung in Paris von 1900: Die alte Welt kommt auf Knopfdruck in Bewegung! Der Soziologe Max Weber verwendet ein passendes Bild: Der Mensch der damaligen Zeit fühlt sich wie in einem rasenden Zug, aber er weiss nicht, wie die Weichen gestellt sind!
In dieser Zeit rasanter Entwicklungen stehen viele Menschen verunsichert zwischen Tradition und Fortschritt, zwischen gestern und morgen, zwischen «alter und neuer Zeit». Dass Luise und Leopold ihren Bruch mit der Tradition so öffentlich austragen, ist vor diesem Hintergrund zu sehen.
Sie inszenieren ihre Liebe auf ungehörige Weise: Luise mit André Giron.
Ein trauriger Weihnachtsabend
König Georg in Dresden verliert die Geduld mit seiner geflohenen Schwiegertochter Luise. Zuerst sagt er sämtliche königlichen Anlässe ab, zudem verfügt er, dass alle Theater im ganzen Königreich Sachsen geschlossen bleiben, «anlässlich des schmerzlichen Ereignisses in der sächsischen Königsfamilie», wie es offiziell heisst. Tags darauf geht er noch einen Schritt weiter: Er befiehlt, dass der ganze Hofstaat der Kronprinzessin per sofort aufzulösen sei. Zudem weist er seine Behörden an, Luise am Überschreiten der Grenzen des Landes Sachsen zu hindern. Damit erklärt der König seine Schwiegertochter Luise noch vor Weihnachten zur unerwünschten Person. Oder mit anderen Worten: Sachsen lässt seine Kronprinzessin fallen.
Das hält das Quartett nicht davon ab, am 24. Dezember das Weihnachtsfest im Hotel zu feiern, sogar mit einem eigens dafür gekauften Christbaum. Die Stimmung in der Schweiz richtet sich nicht grundsätzlich gegen die illustren Gäste. Stellvertretend sei die Zeitung Der Bund aus Bern zitiert: «Wir gestehen auch einer Kronprinzessin und einem Erzherzog das Recht zu, ihr Privatleben einzurichten, wie es ihren Neigungen und Ansichten am besten entspricht. Wir Republikaner sind gewiss am wenigsten geneigt, uns gesittet zu entrüsten, wenn wir sehen, dass irgendwo Mächte des Temperamentes und des Blutes über das starre monarchische Prinzip den Sieg davon tragen. Und besonders sind wir zur Nachsicht gestimmt, wenn eine Frau wie die Kronprinzessin mit ihrem Freiheitsdrang sich gegen den Zwang veralteter Etikette auflehnt.»
Doch man kann in Genf auch andere Meinungen vernehmen. Am Weihnachtstag trifft ein Brief ein, der wenig Feststimmung verbreitet haben dürfte. Ein anonymer Verfasser schreibt an Luise: «Die Schande, die Sie dem sächsischen Könighause sowie dem Vaterland bereitet haben, kann gar nicht in Worte ausgedrückt werden und ruft die allgemeine Erbitterung aller edeldenkenden Menschen hervor. Eine derartige Besudelung der Ehe eines gekrönten Hauptes […] kann nur als ein Verbrechen angesehen werden, deren irdische Strafe Sie, nebst Ihrem Galan nicht entgehen können.» Die angedrohte Konsequenz ist heftig und wenig weihnachtlich: «Das Loos eines Attentats ist für Sie gezogen und bestimmt. […] Das Blut ihres Galans Giron wird zuerst fliessen.»
Ein solcher Drohbrief hinterlässt seine Spuren bei den Empfängern. Entsprechend schreibt Kriminalkommissar Schwarz in seinem Tagesbulletin: «Frau Kronprinzessin gibt sich hier den Anschein, als sei sie lustig und guter Dinge, obgleich sie es nach meiner augenscheinlichen Ueberzeugung durchaus nicht ist. Sie sieht auffallend blass und eingefallen aus und als ich ihr heute früh auf der Treppe begegnete, glaubte ich eher eine ältere kranke Frau als unsere Kronprinzessin zu sehen. Dem Ausdruck der Augen fehlt jeder Glanz.»
Ob mit oder ohne Glanz in ihren Augen – Luise empfängt nach Weihnachten im Hotelzimmer einen Reporter der Wiener Zeit, dem sie anvertraut: «Das war ein schrecklicher Weihnachtsabend. Wir zündeten den Baum an und beschenkten uns mit Kleinigkeiten, aber dann vermochten wir uns nicht mehr zu halten und weinten alle miteinander furchtbar.» Die Prinzessin fasst sich gleich wieder und markiert trotzige Stärke: «Aber wenigstens bin ich jetzt frei! Endlich dem Zwang entronnen.»
Die Journalisten mögen die Story sehr: Eine Kronprinzessin und ein Erzherzog türmen, weil sie Leute aus dem Volk lieben; zudem ist sie schwanger. Das ist Boulevardstoff vom Feinsten, auch für klassische Zeitungen, die sich zu dieser Zeit mehr und mehr für solche Themen öffnen. Darum versuchen aggressive Reporter im Genfer Hotel d’Angleterre, für ihr Lesepublikum zusätzliche Details zu erfahren. Es ist Weihnachten und Neujahr, also ohnehin Nachrichtenflaute, weshalb ihre Berichte umso gefragter sind. Luise, Leopold und André Giron empfangen Journalisten aus Deutschland, Österreich, Frankreich, der Schweiz und sogar aus Amerika und geben bereitwillig Auskunft, zum Beispiel den bekannten und auflagenstarken Zeitungen.
Le Figaro aus Paris.
Den Münchner Neuesten Nachrichten.
Dem New York Herald.
Leopold bekräftigt dabei, dass er möglichst bald frei sein und seine Geliebte heiraten wolle. Luise hofft, «die Ehe zu lösen», worauf sie Giron heiraten wolle, denn ihre Liebe zu ihm sei «viel zu innig».
In ihren Memoiren erwähnt Luise einen amerikanischen Reporter, der zu ihr gesagt haben soll: «Hören Sie, Prinzessin, ich werde diese Treppe, über die Sie schreiten, mit Banknoten bedecken, wenn Sie mir einige Worte sagen: Ist das nicht ein annehmbares Geschäft?» Sie aber lässt den Mann stehen und behauptet, dass sie nur sehr selten mit Reportern gesprochen habe – was so sicher nicht stimmt …
Eine öffentliche Anerkennung der Schuld
Denn die Zeitungen sprechen eine andere Sprache. Unzählige direkte Zitate von Luise, die nicht erfunden sein können, liest man in den nächsten Tagen in den Blättern vieler Länder. In den Berichten werden jetzt auch ihre verlassenen Kinder ein Thema. «Meine Kinder sind das einzige, was ich auf dieser Erde bedauere … Ich bin entschlossen, alle meine Mutterrechte aufrechtzuerhalten. Eine Mutter hat selbst, wenn sie schuldig ist, das Recht, ihre Kinder zu lieben und zu sehen», sagt sie dem Neuen Wiener Tagblatt. Dass sie sich in den Zeitungen öffentlich des Ehebruchs schuldig bekennt, wird ihr später zum Verhängnis werden.
André Giron gefällt sich in der Rolle als Ansprechpartner für die Journalistenschar, ihm schmeichelt das grosse Interesse an seiner und Luises Geschichte. Er gibt gerne Auskunft, ermöglicht sogar Einblicke in sein Tagebuch, das allerdings nur ein trockenes Journal mit wenig aufregenden Kurznotizen ist. Dem Wiener Neuigkeits-Welt-Blatt fällt auf: «Speziell der Herr Giron nahm kein Blatt vor den Mund. Er rühmte sich seiner Beziehungen zu der Gattin des sächsischen Kronprinzen in geradezu abscheulicher Weise. Schmählicher hat noch kein Galan die Frau, die ihm Ehre und Familie geopfert, öffentlich blossgestellt.»
Besonders gerne empfängt der Belgier Giron Korrespondenten von Pariser Blättern, um sich von ihnen interviewen zu lassen. Der junge Mann entwickelt sich zum Deuter der offensichtlich kompromittierenden Situation. Er stellt Luises Ehegatten als gütig, aber dumm dar: Friedrich August ist aus seiner Sicht ein einfacher, grobschlächtiger Soldat; Luise, seine Geliebte, verkörpere hingegen die reinste Poesie, begeistere sich für Kunst, Schönheit und edelste Empfindungen, schwärmt er dem Echo de Paris vor, «sie litt ein Martyrium».
Von seinen eigenen Worten berauscht, lässt es der junge Lehrer auch zu, dass ein Fotoreporter der Pariser Wochenzeitschrift L’Illustration ihr gemeinsames Hotelzimmer betritt. Der Fotograf stellt die beiden für ein Brustbild schräg hintereinander: Vorne ist Luise zu sehen, mit einer hochgeschlossenen Bluse und dem Blick nach rechts; hinter ihr steht André Giron, ebenfalls den Blick nach rechts gerichtet – ihre Wangen sind so nahe beieinander, dass das Bild eine grosse Vertrautheit der Abgebildeten zeigt, mehr noch: Es macht die ungebührliche Intimität der Ehebrecherin mit ihrem Geliebten auf einen Blick sichtbar.
Als dann die Fotografie am 3. Januar 1903 als Titelbild der auflagenstarken Pariser L’Illustration erscheint, ist der Eklat erneut perfekt: Das skandalöse Liebesverhältnis offenbart sich schlagartig aller Welt. Das Foto kursiert später als gedruckte Postkarte, auch in Sachsen.
Es lässt sich nicht verharmlosen: Die zuerst geheim gehaltene Affäre ist eine öffentliche Peinlichkeit sondergleichen, das Königshaus von Sachsen blamiert sich in ganz Europa. Luise treibe «täglich den offenbarten u ungenierten Ehebruch», fasst es der Dresdner Polizeichef Le Maistre mit Abscheu zusammen. Auch die Kirche Sachsens muss eine klare Reaktion zeigen: Statt dass wie sonst alle Kirchen für das Königshaus Sachsens und ihre Vertreter beten, schliessen sie nun die Kronprinzessin ausdrücklich aus dem Kirchengebet aus.
Die königstreuen Dresdner Nachrichten geben sich empört: «Mit Recht wird es jeder natürlich und feiner denkende Mensch zu den Unbegreiflichkeiten rechnen, dass die Kronprinzessin, bevor ihre Angelegenheit einen tatsächlichen Abschluss in offizieller Form gefunden hat, es für angemessen hält, mit Giron weiter zusammenzuleben. Es schliesst dies eine Pflichtvergessenheit gegen ihre Familienangehörigen und ihre ganze Vergangenheit in sich, eine grobe Verirrung gegen den guten Geschmack und den Anstand, wie sie nicht stärker denkbar sind.»
«Eine grobe Verirrung»
Starke Worte!
Der Adel empört sich.
Die Emotionen gehen hoch.
Stellvertretend sei zitiert, was Diplomatengattin Baronin Hildegard von Spitzemberg unmissverständlich über diese Zeit schreibt: «Alle waren sie erfüllt wie wir von dem entsetzlichen Skandale am sächsischen Hofe, der wirklich an Widerlichkeit seinesgleichen sucht! Fünf Kinder, einen Mann, einen Thron zurückzulassen, um mit zweiunddreissig Jahren, in der Hoffnung von einem Lehrer eben dieser Kinder, durchzugehen – es ist geradezu entsetzlich!»
König Georg, der seinem Beinamen «der Grämliche» einmal mehr gerecht wird, steht unter grossem Druck seiner adeligen Entourage und muss weiter den starken Mann markieren. Er will reinen Tisch machen, deshalb beruft er noch am 30. Dezember ein Sondergericht mit sieben ihm genehmen Richtern ein, um die Scheidung von der Kronprinzessin einzuleiten. Er will möglichst bald die «Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft» beschlossen haben. Eigentlich hatte man die abgeschwächte, sonst übliche Form erwartet, nämlich die «Trennung von Tisch und Bett».
Doch Georg ärgert sich so sehr, dass er aufs Ganze geht. Luise und Friedrich August hatten nur kirchlich geheiratet, weshalb eine Scheidung nicht möglich ist. Friedrich August hätte wegen geistiger Umnachtung seiner Frau auf Nichtigkeit der Ehe plädieren können. Das kommt aber nicht infrage, weil dann seine Kinder illegitim gewesen wären und von der Erbfolge ausgeschlossen würden. Deshalb wählt Georg den Weg einer Klage wegen «Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft», allerdings vor einem parteiischen Sondergericht.
Eine erste Trennung
Die grosse Zeit der Rechtsanwälte setzt ein. Deren Verhandlungsangebote schnellen zwischen Dresden und Genf hin und her: Dort, in Sachsen, will Georgs Hofstaat rasch zu einer Lösung kommen, bei der das Ansehen von König und Hof keinen Schaden nimmt, was eigentlich fast unmöglich ist; hier, in Genf, versucht Luise ebenfalls, sekundiert vom Genfer Anwalt Adrien Lachenal und vom Leipziger Anwalt Felix Zehme, den Schaden gering zu halten, was angesichts der Öffentlichkeit des Skandals zu spät ist.
Luises Bruder Leopold wird das alles zu viel. Er braucht Abstand und reist mit seiner Geliebten Wilhelmine am 30.Dezember nach Montreux, wo sie im Hotel Continental einchecken.
Damit separieren sich die beiden Liebespaare, «wahrscheinlich ein Schachzug der Kronprinzessin u Giron, welch letzterer ein sehr kluger und intelligenter Mensch ist und der der Oeffentlichkeit gegenüber damit sagen will, dass er mit einer Adamowitch, deren Vergangenheit er erst durch die Presse erfahren hat, keine gemeinsame Sache machen will», schreibt Kriminalpolizist Schwarz und ergänzt, was genau er beobachtet hat: «Leopold und die A. hatten bei der Abfahrt vom Hotel Thränen in den Augen, und die Kronprinzessin und Giron, die noch vom Balcon des Zimmers No. 9 Abschiedsgrüsse zugewinkt haben, sollen auch geweint haben.»
So traurig der Abschied auch gewesen sein mag: Luise und ihr Geliebter bleiben in Genf zurück – und sie verkommen sogar zu Witzfiguren! Denn der bekannte und begabte Münchner Komiker Karl Valentin tritt mit dem Stück «Giron und Luise» auf; es handelt sich um ein Couplet, also eine mehrstrophige Satire, die er gesungen vorträgt. Valentin bietet «Giron und Luise» als Salonhumorist im Theatersaal der ehemaligen Klosterbrauerei in München dar, sehr zum Gaudi des zahlreich erschienenen Publikums.
Die Affäre zieht noch weitere Kreise: Sogar Agenten des amerikanischen Zirkus Barnum & Bailey interessieren sich für die abenteuerliche Geschichte von Luise und Leopold. Die Zirkusfachleute fragen nach, ob sich die gefallenen Geschwister engagieren liessen. Die Agenten haben bereits die Nummer vor Augen und schildern, was ihnen vorschwebt: Leopold soll einen Triumphwagen durch die Manege lenken, den acht Schimmel ziehen; Luise sitzt in diesem Wagen, trägt Krone und Hermelinmantel.
Sie winkt königlich.
Jeden Abend in drei Vorstellungen.
Die Geschwister als Zirkusattraktion.
In ganz Amerika.
Dafür wollen die Agenten 10 000 Franken pro Tag bezahlen – das ist sehr viel Geld! Doch als exzentrische Zirkusnummer zu enden, das geht Luise und Leopold dann doch entschieden zu weit.
In Genf erfährt die Öffentlichkeit nichts davon. Im Hintergrund verhandelt Leopolds Anwalt mit dem Hofstaat in Wien über eine Abfindung und über die Höhe einer jährlichen Rente. Zwar will Leopold aus dem Kaiserhaus austreten und auf alle Ehren verzichten, nicht aber auf regelmässige Zahlungen, weshalb er die Austrittsvereinbarung mit dem Kaiser noch immer nicht unterzeichnet hat. Denn jeder Herzog hat das Anrecht auf eine Apanage und auf eine festgelegte Quote aus dem Familienfonds, dem Privatvermögen der Habsburger. Wölflings Rechtsvertreter hat Kontakt mit Aussenminister Agenor Graf Goluchowski. Ein ehemaliger Erzherzog, so die Argumentation des Rechtsanwalts, dürfe doch nicht für die Öffentlichkeit sichtbar darben, das schade dem Ansehen des Kaiserhauses.
Doch der Spitzenbeamte antwortet scharf, Leopold habe sich bis jetzt sehr wenig um das Ansehen und die Würde des Kaiserhauses gekümmert. Deshalb könne dieser nur noch auf eine Erbschaft seines Vaters hoffen. Auch wenn Geld nicht einfach so fliesst: Leopold führt weiterhin einen luxuriösen Lebenswandel.
In Montreux, wo er mit Wilhelmine hingereist ist, hat er wiederum eines der besten und teuersten Hotels gebucht, das «Continental»; als Kind erzogen ihn seine Eltern zu grosser Sparsamkeit, und er war gezwungen, schon im Kinderzimmer ein persönliches Kassabuch mit den detailliert aufgelisteten Einnahmen und Ausgaben zu führen. Davon hat er sich definitiv emanzipiert und fällt in den letzten Jahren eher durch Verschwendung als durch Knausrigkeit auf. So auch jetzt.