Kitabı oku: «Der Held unserer Zeit: Kaukasische Lebensbilder», sayfa 4
In Kobi trennten wir uns; ich reiste mit Extrapost und so konnte er mir mit seiner schweren Ladung nicht folgen. Wir hofften nicht, uns je wiederzusehen, indessen sahen wir uns wieder, und wenn Sie wollen, so erzähle ich es Ihnen; es ist eine ganze Geschichte . . . Gestehen Sie indessen, daß Maksim Maksimitsch ein Mann ist, der unsere ganze Hochachtung verdient? . . . Wenn Sie mir dies zugeben, so bin ich vollkommen belohnt für meine vielleicht allzulange Erzählung.
Maksim Maksimitsch
Nachdem ich mich von Maksim Maksimitsch getrennt hatte, jagte ich auf’s eiligste durch die Schluchten des Tereks und Darjals, frühstückte in Kasbek, trank Thee in Larssa und eilte zum Abendessen nach Whládükawkas. Ich will Sie mit der Beschreibung der Gebirge, mit Ausrufungen, die besonders für diejenigen nichts zu bedeuten haben, welche nicht da waren, so wie mit allerlei statistischen Bemerkungen verschonen, die ja doch Niemand liest.
Ich blieb in einem Wirthshause, wo alle Reisenden abzusteigen pflegen und wo sich trotzdem Niemand vorfand, dem man hätte den Auftrag ertheilen können, einen Fasan zu braten und etwas Kohl gar zu machen; denn die drei Invaliden, denen dies Haus übergeben ist, sind entweder so dumm oder so betrunken, daß man von ihnen auch nicht das Mindeste erlangen kann.
Man theilte mir mit, daß ich noch drei Tage daselbst würde zubringen müssen, denn die Okásija21 sei noch nicht aus Jekatarinograd angekommen, und könne daher noch nicht wieder dahin zurückkehren.
So blieb mir denn nichts übrig, als zur Zerstreuung die Erzählung Maksim Maksimitschens niederzuschreiben, nicht ahnend, daß dieselbe das erste Glied zu einer langen Kette von Novellen sein würde: man kann aus diesem Umstande ermessen, welche entsetzliche Folgen ein an sich geringfügiger Umstand haben kann! . . . Aber Sie wissen vielleicht nicht, was das ist, eine „Okasija?“ Die Okasija ist eine militairische Bedeckung von einer halben Kompagnie Infanterie und einigen Kanonen, mit welchen die Pferde-Karawanen aus Whládükawkas nach Jekatarinograd begleitet werden.
Den ersten Tag verbrachte ich sehr langweilig; am zweiten Tage fährt früh Morgens ein Wagen auf den Hof . . . Ah! Maksim Maksimitsch! Wir begegneten uns wie alte Freunde. Ich bot ihm mein Zimmer an. Er machte nicht viel Komplimente, klopfte mit sogar auf die Schulter und verzog den Mund in eine Art Lächeln. Ein seltsamer Mensch der! . . .
Maksim Maksimitsch hatte großartige Kenntnisse in der Kochkunst; auf die erstaunlichst beste Weise briet er einen Fasan, begoß ihn gehörig mit Gurkenwasser, und ich muß gestehen, daß ich ohne ihn auf trockene Kost angewiesen gewesen wäre. Eine Flasche Kachetinerwein half uns die bescheidene Zahl der Gerichte vergessen machen, welche Summa Summarum auf ein einziges hinausliefen; dann setzten wir uns, unser Pfeifchen schmauchend, ich an’s Fenster, er an den geheizten Ofen; denn der Tag war feucht und kalt. Wir schwiegen. Wovon sollten wir auch sprechen? . . . Er hatte mir von sich bereits alles erzählt, was irgendwie von Interesse war, und ich hatte ihm nichts zu sagen. Ich sah zum Fenster hinaus. Eine Menge niedriger Häuschen, die an den Ufern des Tereks, der hier immer mehr an Breite gewinnt, zerstreut lagen, blickten durch die Bäume hindurch; weiter in der Ferne erhoben sich die Gebirge mit ihren ausgezackten Felsenwänden, hinter denen der Kasbeck in seiner weißen Kardinalsmütze hervorragte. Ich nahm in meinem Innersten von ihnen Abschied, es that mir recht leid um sie . . .
So saßen wir lange. Die Sonne verbarg sich bereits hinter die eisigen Bergesgipfel und ein weißlicher Nebel fing an sich in den Thälern auszubreiten, als in der Straße der Klang einer Wagenglocke und das Geschrei der Postillone ertönte. Einige Fuhrwerke mit schmutzigen Armeniern fuhren auf den Hof des Wirthshauses; hinter ihnen ein leerer Reisewagen, dessen leichter Gang, bequemer Bau und fashionables Aeußere einen gewissen ausländischen Anstrich hatten. Ein Mensch mit einem großen Schnurrbart begleitete ihn; er trug einen ungarischen Schnürrock und war überhaupt für einen Lakaien äußerst wohl gekleidet; daß er ein solcher war, verrieth die genugthuende Art und Weise, mit welcher er die Asche aus dem Pfeifenkopf klopfte und den Postillon anfuhr. Offenbar war er der verzogene Diener eines müßigen Herrn, – etwas in der Art eines russischen Figaro’s. —
– Höre ’mal, mein Lieber, rief ich ihm vom Fenster entgegen, ist das die Okasija, die da angekommen ist? he? Er blickte mich ziemlich dreist an, rückte sich das Halstuch etwas zurecht und kehrte sich um; ein hinter ihm kommender Armenier antwortete lächelnd statt seiner, indem er uns mittheilte, daß die Okasija so eben angekommen sei und morgen früh wieder zurückmache. – „Gott sei gelobt!“ sagte Maksim Maksimitsch, der in diesem Augenblicke an’s Fenster trat. „Ei, das ist ja eine wunderbare Equipage!“ fügte er hinzu: „wahrscheinlich fährt da irgend ein Beamter zur Revision in den Kaukasus. Der kennt aber offenbar unsere Gebirge noch nicht! Nein, mein Lieber, mit der kommst Du hier nicht weit; die fliegt in Stücke und wenn sie zehnmal eine englische ist! Aber wer kann denn das nur sein? – — Kommen Sie, wir wollen uns erkundigen.“ Wir gingen hinaus in den Korridor. Am Ende desselben war die Thür eines Seitenzimmers weit geöffnet, in welches der Lakai mit Hülfe des Postillons verschiedene Koffer schleppte.
„Hör’ mal, mein Freund,“ fragte der Stabskapitain den Diener, „wem gehört dieser prächtige Wagen? . . . he? Ein köstlicher Wagen! . . .“ Der Bediente brummte etwas vor sich hin und fing an die Koffer aufzuschnallen, ohne sich auch nur umzukehren. Maksim Maksimitsch wurde böse; er klopfte den Unhöflichen auf die Schulter und sagte: „Ich spreche mit Dir, mein Werthester . . .“
– Wem der Wagen gehört? . . . meinem Herrn.
„Und wer ist Dein Herr?“
– Petschorin . . .
„Was? Was sagst Du da? Petschórin? . . . Ach du lieber Himmel! . . . hat er nicht früher im Kaukasus gedient? . . .“ rief Maksim Maksimitsch aus, indem er mich am Aermel erfaßte . . . Die Freude strahlte ihm aus den Augen.
– Ja wohl, ich glaube – ich bin noch nicht lange bei ihm.
„Nun ja, ja! . . Grigorii Alexandrowitsch ist sein Vorname . . . Wir waren früher Freunde, Dein Herr und ich,“ fügte er hinzu, indem er den Bedienten freundlich dergestalt auf die Schulter klopfte, daß er zu schwanken anfing.
– Erlauben Sie, mein Herr, Sie stören mich in meiner Arbeit, sagte dieser mit mißvergnügter Miene.
„Ei was mein Freundchen! . . . Ja, weißt Du auch, daß Dein Herr und ich die größten Herzensfreunde waren, daß wir zusammen wohnten . . . Na, aber wo bleibt er denn?“
Der Diener erklärte, daß Petschorin beim Obersten N. zu Abend speisen und übernachten werde.
„Je nun, kommt er nicht vielleicht heute Abend noch einmal hierher?“ fragte Maksim Maksimitsch, „oder Du, mein Lieber, hast Du nicht noch etwas bei ihm zu thun? . . Wenn Du hingehst, so sage ihm nur, daß Maksim Maksimitsch hier ist; – sag’ ihm nur das . . . dann weiß er schon . . . ich werde Dir auch einen Wosmigriwennü22 zum Trinkgeld geben.“
Der Lakai machte eine verächtliche Miene, als er dieses bescheidene Versprechen hörte, indessen versicherte er Maksim Maksimitsch, daß er seinen Auftrag ausrichten wolle.
– Sie werden sehen daß er sofort herbeieilt, sagte Maksim Maksimitsch mit siegreicher Geberde zu mir: ich will eben vor die Thüre gehen und ihn erwarten . . . Ach! wie schade daß ich mit N. nicht bekannt bin.
Maksim Maksimitsch setzte sich vor der Thür auf eine Bank, und ich begab mich auf mein Zimmer. Ich muß gestehen, daß ich gleichfalls mit einer gewissen Ungeduld der Erscheinung Petschorins entgegensah; wenn ich mir auch nach der Erzählung des Stabskapitains eine nicht eben sehr vortheilhafte Meinung von ihm gebildet hatte, so schienen mir doch einige Züge seines Charakters interessant. Nach ungefähr einer Stunde brachte ein Invalid die kochende Theemaschine und das Theegeräth. „Maksim Maksimitsch,“ rief ich ihm durch’s Fenster zu, „ist Ihnen nicht Thee gefällig?“
– Danke schön, danke schön; habe noch keinen Appetit.
„Ach was! trinken Sie nur immer; es ist schon spät und kalt.“
– Thut nichts; danke bestens . . . .
„Nun, wie es Ihnen gefällig ist!“ So trank ich denn meinen Thee allein; zehn Minuten später kommt mein Alterchen herein. – Nein, Sie haben Recht; es ist doch besser erst ein Täßchen zu trinken, – tausend, läßt Der auf sich warten! Sein Diener ist schon längst zu ihm gegangen, es muß ihn offenbar etwas zurückgehalten haben.
Er trank eiligst eine Tasse aus, dankte für eine zweite, und begab sich abermals mit einer gewissen Unruhe hinaus: es war klar, daß ihn die Unaufmerksamkeit Petschorins kränkte, um so mehr, als er mir noch jüngst so viel von ihrer Freundschaft erzählt hatte und noch vor einer Stunde überzeugt war, daß Petschorin herbeieilen würde, sobald er nur seinen Namen nennen hörte.
Es war bereits spät und dunkel, als ich das Fenster nochmals öffnete und Maksim Maksimitschen rief, um ihm zu sagen, daß es Zeit sei schlafen zu gehen; er brummte etwas zwischen den Zähnen vor sich hin; ich wiederholte meine Einladung – er antwortete nichts.
So streckte ich mich denn, in meinen Mantel gehüllt, auf den Divan, ließ das brennende Licht auf dem Ofenrande stehen, schlummerte auch alsbald ein und würde ruhig bis zum andern Morgen durchgeschlafen haben, wenn mich Maksim Maksimitsch, der sehr spät ins Zimmer kam, nicht wieder aufgeweckt hätte. Er warf die Pfeife auf den Tisch, fing an im Zimmer auf und ab zu schreiten, im Ofen herumzustören, legte sich dann endlich nieder und hustete, spuckte und warf sich noch lange herum . . .
„Was haben Sie? beißen Sie die Wanzen?“ fragte ich.
– Ja wohl, schöne Wanzen . . . erwiederte er, tief aufseufzend.
Am nächsten Morgen erwachte ich frühzeitig, allein Maksim Maksimitsch war mir bereits zuvorgekommen. Ich fand ihn schon wartend auf der Bank sitzend. – „Ich muß durchaus zum Kommandanten gehen,“ sagte er, „also, bitte, wenn Petschorin unterdessen kommen sollte, schicken Sie nach mir . . .
Ich versprach es. Er eilte mit solcher Hast davon, als ob sich durch seine Glieder ein jugendliches Feuer und jugendliche Elasticität auf’s Neue ergossen hätten.
Der Morgen war frisch und schön. Goldenes Gewölk thürmte sich über den Bergen empor gleich einer neuen Kette lustiger Gebirgsbilder; vor der Hausthür dehnte sich ein geräumiger Platz aus; der daran gelegene Bazar wimmelte von Leuten, denn es war gerade ein Sonntag; baarfüßige Ossetinerknaben, mit Butten auf den Schultern, in welchen sie ganz frischen Honig zu Kaufe herumtrugen, umringten mich alsbald; ich scheuchte sie von mir; mir stand der Sinn wo anders hin – ich begann die Unruhe des braven Stabskapitaines zu theilen.
Es vergingen keine zehn Minuten, als sich Der am Ende des Platzes zeigte, den wir erwarteten. Er ging mit dem Obersten N., welcher, nachdem er ihn bis zum Wirthshause begleitet hatte, Abschied von ihm nahm und nach der Festung zurückkehrte. Ich entsandte sofort einen Invaliden nach Maksim Maksimitschen.
Unterdessen kam der Bediente Petschorin’s heran, mit der Meldung, daß man sofort anspannen würde; er reichte ihm eine Cigarrenbüchse und begab sich, nach einigen erhaltenen Befehlen, zurück an seine Geschäfte. Sein Herr steckte sich eine Cigarre an, gähnte ein paar Mal und setzte sich auf eine Bank an der andern Seite der Hausthür. Ich muß Ihnen nunmehr sein Portrait machen:
Er war mittleren Wuchses. Sein kräftiger, schlanker Bau und seine breiten Schultern zeugten von einer Natur, die im Stande war alle Beschwerlichkeiten des Nomadenlebens, sowie alle klimatische Veränderungen zu ertragen, eine Natur, die bisher weder von dem ausschweifenden Leben in der Residenz noch von den heftigsten Gemüthsstürmen besiegt worden war. Sein staubiger Sammetrock, der nur an den beiden untersten Knöpfen zugeknöpft war, ließ die blendendweißeste Wäsche durchblicken, an welcher man die Gewohnheiten eines anständigen Menschen am besten erkennt; seine nicht mehr frischen Handschuhe schienen eigens nach seiner kleinen aristokratischen Hand genäht zu sein, und als er einen derselben auszog, erstaunte ich über die Magerkeit seiner blassen Finger. Sein Gang war nachlässig und träge; indeß bemerkte ich, daß er dabei die Arme nicht bewegte, – ein sicheres Zeichen einer gewissen Verstecktheit des Charakters. Uebrigens sind das so meine eigenen Bemerkungen, die auf meinen selbstgemachten Beobachtungen beruhen, weshalb Sie denselben durchaus keinen blinden Glauben zu schenken brauchen. Als er sich wieder auf die Bank niederließ, bog sich seine sonst grade Gestalt, als ob er im Rücken nicht einen einzigen Knochen hätte. Die ganze Haltung seines Körpers verrieth eine Art Nervenschwäche; er saß wie eine Balzac’sche dreißigjährige Kokette in ihrem gepolsterten Armstuhle sitzt, wenn sie von einem ermüdenden Balle zurückkehrt. Beim ersten Blicke auf sein Gesicht hätte ich ihm nicht mehr als drei und zwanzig Jahre gegeben, obgleich ich ihm später deren gern dreißig gab. In seinem Lächeln lag etwas Kindliches. Seine Haut hatte eine fast weibische Zartheit; seine blonden, natürlich gelockten Haare umgaben höchst malerisch seine blasse, edle Stirn, auf welcher man nur nach längerer Beobachtung die Spuren der Runzeln entdecken konnte, die einander durchkreuzten und in Momenten des Zornes oder der geistigen Aufgeregtheit wahrscheinlich noch sichtbarer zum Vorschein kamen. Ungeachtet seines hellen Haupthaares waren Augenbrauen und Schnurrbart schwarz – ein eben so sicheres Anzeichen ächter Race beim Menschen wie eine schwarze Mähne und ein schwarzer Schweif bei einem weißen Pferde. Schließlich, um sein Portrait zu beendigen, erwähne ich noch, daß er eine etwas aufgeworfene Nase hatte, daß seine Zähne vom glänzendsten Weiß, seine Augen dunkelbraun waren. Ueber seine Augen muß ich übrigens noch etwas hinzufügen:
Erstens, lachten sie nicht, wenn er lachte! – Es ist Ihnen vielleicht noch nicht vorgekommen, diese Seltsamkeit an gewissen Leuten zu beobachten? . . . Sie ist ein charakteristisches Kennzeichen entweder eines sehr bösen Charakters oder einer tiefen, beständigen Schwermuth. Seine Augen glänzten aus den halbgeöffneten Wimpern hervor mit einer Art phosphorischen Glanzes, wenn ich mich so ausdrücken darf; das war nicht der Abglanz der inneren Glut der Seele oder der spielenden Einbildungskraft, sondern der blendende, kalte Spiegelglanz des polirten Stahles; sein Blick war nicht dauernd aber durchdringend und lästig, und hinterließ den unangenehmen Eindruck einer unbescheidenen Frage; er hätte frech genannt werden können, wäre er nicht zu gleichgültig ruhig gewesen. Alle diese Details kamen mir vielleicht nur deshalb in den Sinn, weil ich einige Einzelheiten seines Lebens kannte, und leicht könnte es sein, daß sein Anblick auf einen Anderen einen durchaus verschiedenartigen Eindruck gemacht hätte; da Sie nun aber außer mir von Niemanden etwas über ihn erfahren werden, so müssen Sie sich schon mit dieser Darstellung begnügen. Schließlich füge ich noch hinzu, daß er im Allgemeinen durchaus nicht übel war und eine jener originellen Physiognomien hatte, welche besonders den Damen so gefallen.
Die Pferde waren bereits vorgespannt. Die Wagenglocke ertönte von Zeit zu Zeit an der Duga und schon zweimal war der Bediente zu Petschorin mit der Meldung herangetreten, daß Alles bereit sei – aber Maksim Maksimitsch erschien noch immer nicht. Zum Glücke blickte Petschorin, in Gedanken vertieft, nach den blauen Bergzacken des Kaukasus und schien nicht eben sehr eilig zu sein. Ich ging an ihn heran: „Wenn Sie sich noch ein wenig gedulden wollen, mein Herr,“ sagte ich, „so werden Sie die Genugthuung haben, einen alten Freund wiederzusehen . . . .“
„Ach, richtig!“ antwortete er schnell: „man sprach mir gestern davon; aber wo ist er?“ – Ich wandte mich nach dem Platze zu und erblickte Maksim Maksimitschen, der aus Leibeskräften herbeieilte . . . In einigen Minuten war er bei uns angelangt; er konnte kaum athmen; der Schweiß rollte ihm hageldick über’s Gesicht; triefende Büschel grauer Haare hingen ihm unter der Mütze hervor und klebten an seiner Stirne fest; seine Kniee bebten . . . er wollte sich Petschorin an den Hals werfen, der ihm indessen ziemlich kalt, jedoch mit einem bewillkommenden Lächeln die Hand reichte. Der Stabskapitain war eine Minute lang wie versteinert, doch ergriff er alsbald die dargebotene Hand begierig mit beiden Händen; sprechen konnte er noch nicht. —
– Wie bin ich erfreut, lieber Maksim Maksimitsch! Nun, wie geht es Ihnen denn? sagte Petschorin.
„Und . . . Du? . . und Sie? . .“ stammelte der Greis mit Thränen in den Augen, „wie viele Jahre . . . wie viele Tage . . . aber wohin geht’s? . .“
– Ich gehe nach Persien – wohl weiter . . .
„Nun doch nicht so auf dem Flecke? . . . Sie verziehen ja wohl ein Weilchen, Verehrtester! . . . Wir werden uns doch nicht gleich wieder trennen müssen? . . . Wie lange haben wir uns nicht gesehen . . .“
– Ich habe Eile, Maksim Maksimitsch, – war die Antwort.
„Mein Gott, mein Gott! aber wohin eilen Sie denn so? Ich hätte Ihnen so viel zu sagen gehabt . . . So viel zu fragen . . . Nun, also? verabschiedet? . . . Wie? Was haben Sie Alles angefangen? . .“
– Mich gelangweilt, erwiederte Petschorin lächelnd.
„Erinnern Sie sich noch Ihres Aufenthaltes in der Festung, he? . . . Eine köstliche Gegend zum Jagen? . . Sie waren damals ein gewaltiger Jagdliebhaber . . . Und Bela?
Petschorin entfärbte sich ein wenig und wandte sich ab.
– Ja, ich erinnere mich! sagte er, fast in demselben Augenblicke zum Gähnen gezwungen.
Maksim Maksimitsch fing nun an ihn zu bitten, doch wenigstens zwei Stunden zu verweilen. „Wir werden köstlich speisen,“ sagte er, „ich habe zwei Fasanen, und der Kachetinerwein ist hier ausgezeichnet . . . versteht sich, nicht das was in Grusien, indessen doch von einer bessern Gattung . . . Wir plaudern ein Bischen zusammen . . . Sie erzählen mir von ihrem Aufenthalte in Petersburg . . Sie . . hm?“
– Wirklich, ich weiß nichts zu erzählen, lieber Maksim Maksimitsch . . . Nun also, leben Sie recht wohl, ich muß fort . . . ich bin sehr eilig . . . Ich danke auch, daß Sie mich nicht vergessen haben . . . fügte er hinzu, ihn an der Hand ergreifend.
Der Alte zog die Augenbrauen düster zusammen . . . Er war betrübt und ärgerlich, obgleich er sich bemühte es zu verbergen. „Vergessen!“ sagte er mit rauher, fast bellender Stimme: „Ich habe noch nie etwas vergessen . . . Nun denn, in Gottes Namen! . . . Ich hätte nimmermehr geglaubt, daß unser Wiedersehen ein solches sein würde . . .“
– Nun, nun! sagte Petschorin, indem er ihn freundschaftlich umarmte, bin ich denn nicht mehr derselbe? . . . Was ist zu machen? . . . Ein Jeder hat seine eigenen Wege . . . Ob wir uns noch einmal wiedersehen werden – Gott weiß! . . . Während er dies sprach, saß er bereits im Wagen und der Postillon fing schon an die Zügel zusammenzufassen.
„Halt, halt!“ rief plötzlich Maksim Maksimitsch auf, indem er sich am Wagenschlage festhielt: „bald hätte ich ganz vergessen . . . ich habe ja noch Ihre Papiere, Grigorii Alexandrowitsch . . . ich führe sie mit mir . . . hoffte Sie in Grusien wiederzufinden, und nun hat’s der liebe Gott so gefügt . . . Was soll ich damit anfangen? . . .“
– Was Sie wollen! erwiederte Petschorin. Adieu . . .
„Also Sie gehen nach Persien? . . . und wann kommen Sie wieder? . . .“ rief Maksim Maksimitsch ihm nach.
Der Wagen war bereits weit entfernt; allein Petschorin machte mit der Hand ein Zeichen, welches man ungefähr folgendermaßen übersetzen konnte: Schwerlich! und wozu auch! . . .
Schon längst hörte man weder den Klang des Glöckchens noch das Gerassel der über den steinigen Weg dahinrollenden Räder, – und der arme Greis stand noch immer auf demselben Flecke in tiefes Dahinbrüten versunken.
„Ja,“ begann er endlich, indem er sich anstrengte gleichgültig zu scheinen, obgleich die Thränen des Verdrusses sich von Zeit zu Zeit aus seinen Wimpern drängten: „gewiß, wir waren Freunde, – was aber sind heutzutage Freunde? . . Was kann ich ihm auch sein? Ich bin weder reich, noch von hohem Range und auch an Jahren bei Weitem ihm nicht gleich . . . Siehst Du wohl, was er für ein Stutzer geworden ist, seit er wieder in Petersburg war . . . Was für eine Equipage! . . . Was für Gepäck! . . . und diesen stolzen Bedienten! . . .“ Er sprach diese Worte mit ironischer Bitterkeit aus. „Nun sagen Sie einmal,“ fuhr er an mich gewendet fort, „was halten Sie davon? . . . und welcher Satan führt ihn jetzt nach Persien? . . . lächerlich, bei Gott, lächerlich! . . . Ich hab’s aber immer gewußt, daß er ein unzuverlässiger Mensch ist, auf den man sich nicht verlassen kann . . . Wahrhaftig, schade daß er schlecht enden wird . . . es kann aber nicht anders sein! . . . Ich hab’s immer gesagt, daß Dem kein Segen erblüht, der seine alten Freunde vergißt! . . .“ Hier wandte er sich ab, um seine Aufregung zu verbergen und ging auf dem Hofe um seinen Wagen herum, als ob er dessen Räder untersuchte, während seine Augen sich jeden Augenblick mit Thränen füllten.
– Maksim Maksimitsch, sagte ich, indem ich an ihn heranging; was sind das für Papiere, die Petschorin Ihnen zurückließ?
„Ei, was weiß ich davon! Es werden wohl Tagebücher sein . . .“
– Und was werden Sie damit machen?
„Was ich damit machen werde? zu Patronen werde ich sie verbrauchen lassen.“
– So geben Sie mir sie lieber.
Er blickte mich mit Verwunderung an, brummte etwas zwischen den Zähnen und fing dann an im Koffer herumzuwühlen; endlich zog er ein Heft heraus und warf es mit Verachtung auf die Erde; ein zweites, ein drittes, ein zehntes theilten dasselbe Schicksal: es lag etwas Kindisches in seinem Aerger, was mir leid that und doch auch lächerlich war.
„Da haben Sie sie alle,“ sagte er: „ich wünsche Ihnen Glück zum Funde . . .“
– Und kann ich damit anfangen, was ich will?
„Meinetwegen lassen Sie sie in den Zeitungen drucken. Was geht’s mich an! . . . Was, bin ich denn etwa sein Freund, oder Verwandter? . . . Es ist wahr, wir lebten eine geraume Zeit mit einander unter demselben Dache; aber mit wem habe ich nicht alles zusammengelebt? . . .
Ich bemächtigte mich der Papiere und brachte sie schleunigst fort, damit es ihm nicht wieder leid werden möchte, sie mir übergeben zu haben. Nicht lange darnach meldete man uns, daß die Okasija binnen einer Stunde aufbrechen werde; ich befahl anzuspannen. Der Stabskapitain kam in’s Zimmer, als ich mir bereits meine Mütze aufsetzte; er schien sich für die Abreise nicht fertig zu machen und hatte etwas Gezwungenes, Kaltes in seinem Wesen.
– Nun, Maksim Maksimitsch, reisen Sie denn nicht mit?
„Nein.“
– Wie so denn das?
„Ich habe den Kommandanten noch nicht gesehen und habe ihm verschiedene Kronssachen zu übergeben . . .“
– Sie waren ja doch aber bei ihm?
„Das war ich wohl . . .“ sagte er ausweichend, „traf ihn aber nicht zu Hause . . . wartete nicht . . .“
Ich verstand ihn. Der arme Greis hatte, vielleicht zum ersten Male in seinem Leben, die Dienstgeschäfte seinen eigenen Angelegenheiten (um mit der Kanzleisprache zu reden) hintangesetzt, – und wie war er dafür belohnt worden!
– Das thut mir leid, recht leid, Maksim Maksimitsch, sagte ich zu ihm, daß wir uns grade jetzt trennen müssen.
„Was haben wir ungebildeten Alten mit Euch zu schaffen! . . . Die Jugend ist jetzt stolz und dem Genusse der Welt ergeben; mag sein, daß es unter den tscherkessischen Kugeln noch leidlich mit Euch geht . . . aber nachher kehrt Ihr Euch von uns, und schämt Euch wohl gar, einem Freunde die Hand zu reichen.“
– Ich verdiene diese Vorwürfe nicht, Maksim Maksimitsch. —
„Nun, ich, wissen Sie, ich spreche einmal so von der Leber herunter; übrigens wünsche ich Ihnen alles Wohlergehen und eine fröhliche Reise.
Wir trennten uns ziemlich trocken. Der gute Maksim Maksimitsch war zum eigensinnigen, zänkischen Stabskapitain geworden! Und weshalb? Weil ihm Petschorin aus Zerstreuung oder aus irgend einem andern Grunde die Hand gereicht hatte, wo der ihm gern an den Hals gesprungen wäre! Es ist traurig zu sehen, wenn der Jüngling die schönsten seiner Hoffnungen und Illusionen verschwinden sieht, wenn der Rosaflor zerreißt, durch welchen er die Thaten und Gefühle der Menschen zu betrachten pflegte; für ihn bleibt doch die Hoffnung, die zerronnenen Phantasiegebilde durch neue, zwar nicht minder vergängliche, doch darum auch nicht minder süße, zu ersetzen . . . Gegen was aber vertauscht man sie in Maksim Maksimitschens Jahren? Da verhärtet das Herz unwillkührlich und die Seele zieht sich in sich zurück.
Ich reiste allein ab.