Kitabı oku: «Der Held unserer Zeit: Kaukasische Lebensbilder», sayfa 5
Vorrede
Unlängst erfuhr ich, daß Petschorin auf seiner Heimkehr aus Persien gestorben sei. Diese Nachricht erfreute mich ungemein; sie gab mir das Recht, diese Memoiren zu veröffentlichen und ich benutzte diese Gelegenheit gern, meinen Namen einem fremden Geistesprodukte voranzustellen. Gebe Gott, daß meine Leser mich nicht für diesen Betrug verurtheilen!
Ich habe mich nunmehr noch über die Gründe auszusprechen, die mich veranlaßten, dem Publikum die Herzensgeheimnisse eines Menschens vorzulegen, den ich nie gekannt habe. Wäre ich noch sein Freund gewesen! die feige Indiskretion der wahrhaften Freunde ist ja aller Welt hinreichend bekannt; so aber habe ich ihn nur ein einziges Mal in meinem Leben gesehen, und noch obendrein auf dem Reisewege! Es geht daraus aber auch hervor, daß ich gegen ihn nicht jenen unerklärlichen Haß nähren kann, der sich unter der Larve der Freundschaft verbirgt und nur den Moment des Todes oder großer Unglücksfälle abwartet, um sofort über das Haupt des geliebten Gegenstandes die Schauergüsse der Vorwürfe, der Rathschläge, der Bemitleidung und des Hohnes auszugießen.
Als ich diese Memoiren durchlas, überzeugte ich mich von der Aufrichtigkeit desjenigen, der seine eigenen Schwächen und Untugenden so unbarmherzig zur Schau stellte. Die Geschichte der menschlichen Seele, und wäre es der allergeringsten, ist interessanter und nützlicher als die Geschichte eines ganzen Volkes, besonders wenn sie das Resultat der Beobachtungen des Verstandes über sich selbst ist und wenn sie ohne den eitlen Wunsch geschrieben ward, Theilnahme oder Verwunderung zu erwecken. Die Confessions Rousseau’s haben schon das Ueble an sich, daß er sie seinen Freunden vorlas.
So leitete mich also nur der Wunsch nützlich zu werden bei der Veröffentlichung dieses mir zufällig in die Hände gerathenen Journals. Obgleich ich alle Eigennamen veränderte, so werden doch diejenigen sich wahrscheinlich leicht wiedererkennen, von denen die Rede ist, und vielleicht hier den Schlüssel zum Betragen eines Menschen finden, der auf dieser Welt nichts mehr mit ihnen gemein hat. Man entschuldigt fast immer das, was man versteht. Ich habe in diesem Buche nur Dem Platz gegönnt, was sich auf Petschorins Aufenthalt im Kaukasus bezieht. Es bleibt mir noch ein dickes Heft unbenutzt zurück, in welchem er sein ganzes Leben beschreibt. Dereinst soll auch dieses dem Urtheile der Welt übergeben werden; doch wage ich es jetzt aus vielen Gründen noch nicht, diese Verantwortlichkeit zu übernehmen.
Vielleicht wünschen einige Leser meine eigene Meinung über Petschorins Charakter zu vernehmen. Meine Antwort – der Titel des Buches. „Das ist ja eine böse Ironie!“ werden sie sagen. Ich weiß nicht. —
Tamán
In tal notte atra e funesta
Mente freme la tempesta
Chi va in circa di un asil?
Anonimo.
Tamán ist das allermiserabelste Nest unter allen russischen Seestädten. Beinahe wäre ich vor Hunger darin umgekommen, nicht gerechnet, daß man mich zur Zugabe noch ersäufen wollte. Ich kam spät des Nachts mit Postvorspann daselbst an; der Postillon hielt das ermüdete Dreigespann vor der Thür des einzigen steinernen Hauses an, das sich bei der Einfahrt befindet. Die Wache, ein tschornomórski23 Kosak, rief, als er das Gebimmel des Glöckchens hörte, halbschlaftrunken mit wilder Stimme sein: „Wer da?“ Ein Unteroffizier und ein Gefreiter kamen heraus. Ich erklärte ihnen, daß ich ein Offizier sei, der sich im Auftrage der Krone nach einer aktiven Abtheilung begebe, und forderte eine Kronswohnung für die kurze Zeit meines Aufenthaltes hierselbst. Der Gefreite führte uns in der Stadt herum; aber bei welcher Barake wir auch vorsprachen – nirgends war ein Unterkommen zu finden. Es war kalt; ich hatte drei Nächte nicht geschlafen, war furchtbar müde und fing an ärgerlich zu werden. „So führe mich endlich unter Dach, Spitzbube,“ schnaubte ich den Kosaken an, „und wenn’s beim Teufel wäre, nur zur Stelle!“
„Da ist wohl noch ein Nest,“ antwortete der Kosak, indem er sich im Nacken kratzte, „nur wird es Euer Gnaden nicht zusagen; – es ist da nicht ganz rein!“
Da ich die genaue Bedeutung des letzten Wortes nicht auffaßte, so befahl ich ihm voranzugehen, und so gelangten wir nach einer langen Wanderung durch die schmutzigen Gassen, an deren Seiten ich nichts als alte Plankenzäune sah, zu einer kleinen Hütte, dicht am Ufer des Meeres.
Der volle Mond beleuchtete das Schilfrohrdach und die weißen Wände meiner neuen Wohnung; auf dem Hofe, der mit einem Kieselgeschiebe umgeben war, war noch eine zweite elende Hütte, noch kleiner und hinfälliger als die erste, an diese angekleckst. Das Ufer fiel fast von den Wänden der Hütte senkrecht, wie abgeschnitten, ins Meer hinab, und unten tanzten mit ununterbrochenem Gebrause die dunkelblauen Wogen. Der Mond schaute friedlich auf das unruhige, aber ihm unterthänige Element, und ich konnte bei seinem Lichte, weit vom Ufer ab, zwei Schiffe wahrnehmen, deren schwarzes Takelwerk sich wie ein Spinnengewebe am matten Himmelsgewölbe abzeichnete. – „Es liegen Schiffe im Hafen,“ dachte ich bei mir selbst, „morgen kann ich also nach Geléndschick abreisen!“ Ein Linienkosak begleitete mich als Bedienter. Ich befahl ihm den Koffer loszubinden und den Postillon zu entlassen, und fing an nach dem Wirthe zu rufen. – Keine Antwort; ich poche; alles stumm . . . Was bedeutet das? Endlich kroch aus dem Hausflure ein Junge von ungefähr vierzehn Jahren hervor.
„Wo ist der Wirth?“ – Njä-má.24 – „Was? kein Wirth?“ – Ne, keener . . . – „Nun, also eine Wirthin?“ – Die is nach dem Dorfe gelofen. – „Wer macht mir denn da die Thür auf?“ sagte ich und schlug mit dem Absatz dagegen. Die Thüre sprang von selbst auf; ein feuchter Dunst wehte mir entgegen. Ich steckte ein Zündholz an und hielt es dem Jungen unter die Nase; es beleuchtete zwei glanzlose, weiße Augen. Er war blind, stockblind von Geburt an. Er blieb unbeweglich vor mir stehen und ich begann seine Züge zu mustern.
Ich muß gestehen, daß ich ein starkes Vorurtheil gegen alle Blinden, Lahmen, Tauben, Stummen, Buckligen, Bein- und Armlosen u. s. w. u. s. w. habe. Ich habe bemerkt, daß zwischen dem Aeußerlichen des Menschen und seiner Seele stets eine seltsame, geheime Beziehung Statt findet: als ob mit dem Verlust eines Gliedes die Seele irgend eines Gefühls verlustig ginge.
Ich fing also an die Züge des Blinden zu mustern; aber sagen Sie mir selbst, was kann man möglicherweise in einem Gesichte ohne Augen lesen? . . . Ich blickte ihn lange mit unwillkührlichem Mitleid an, als plötzlich ein kaum bemerkbares Lächeln über seine dünnen Lippen glitt, das, ich weiß nicht warum, einen äußerst widerlichen Eindruck auf mich machte. In meinem Kopfe tauchte der Verdacht auf, daß dieser Blinde doch nicht ganz so blind sei, wie er es schien; vergebens hielt ich mir vor, daß man den grauen Staar unmöglich nachahmen könne, und nun noch obendrein wozu? Wie dem nun auch immer sei – ich klebe bisweilen an gewissen Vorurtheilen . . .
– Bist Du der Sohn der Wirthin? fragte ich ihn endlich. – „Ne.“ – Wer bist Du denn? – „Eene Waise, verlassene.“ – Hat die Wirthin Kinder? – „Ne, sie hatte eine Tochter, aber die ist mit einem Tataren über’s Meer gezogen.“ – Mit einem Tataren? Mit was für einem Tataren? – „Der Teufel mag seinen Namen wissen! ein Tatar aus der Krim, ein Bootsmann aus Kertschi.“
Ich trat in die Hütte: zwei Bänke, ein Tisch und ein ungeheurer Koffer in der Nähe des Ofens bildeten das ganze Mobiliar. An der Wand kein einziges Heiligenbild – ein schlechtes Zeichen! Durch die zertrümmerten Fensterscheiben pustete der Seewind mit Ungestüm. Ich langte mir aus meinem Reisekoffer ein Ende Wachskerze heraus, steckte es an und fing an meine Sachen auszupacken; meine Schaschka und Büchse kamen in die Ecke zu stehen, die Pistolen auf den Tisch, dann breitete ich meine Burka25 über die eine Bank, mein Kosak die seinige über die andere und nach zehn Minuten schnarchte er bereits; – allein ich konnte nicht einschlafen; vor mir in der Finsterniß drehte sich fortwährend der Junge mit den weißen Augen herum.
So mochte ungefähr eine Stunde verflossen sein. Der Mond schien jetzt zum Fenster herein, und seine Strahlen spielten auf dem lehmigen Fußboden der Hütte. Plötzlich schwebte auf dem vom Monde beschienenen Streifen des Fußbodens ein Schatten vorüber. Ich richte mich auf und schaue nach dem Fenster: zum zweiten Male eilte Jemand daran vorbei und verschwand Gott weiß wo; ich konnte mir nicht denken, daß dieses Wesen die schroffe, senkrechte Mauer des Seeufers hinuntergeglitten sein konnte, und doch blieb ihm kein anderer Weg übrig. Ich stand auf, warf meinen Beschmet um, steckte meinen Dolch in den Gurt und trat leise, leise aus der Hütte hinaus: der blinde Junge grade auf mich los. Ich drückte mich an den Plankenzaun und so ging er mit sicherem doch behutsamen Schritte an mir vorüber. Unter dem Arme trug er ein Bündel und nachdem er sich dem Hafen zugewandt hatte, schlug er einen engen, steilen Fußpfad ein. – „An jenem Tage werden die Stummen reden und die Blinden wieder sehen,“ dachte ich bei mir selbst, indem ich ihm in einer angemessenen Entfernung folgte, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.
Unterdessen fing der Mond an sich in Wolken zu kleiden und Nebel stieg vom Meere auf; kaum, daß die Laterne vom Verdecke des nahen Wachtschiffes hindurchschimmerte, am Ufer aber spritzte der Schaum der Meereswogen so in die Höhe, daß sie den Jungen jeden Augenblick zu verschlingen drohten. Ich folgte ihm, obgleich mit vieler Beschwerde, auf dem steilen, holprigen Wege und sah wie mein Blinder erst eine Weile stehen blieb und sich dann rechts hinunter begab; er ging so dicht am Wasser dahin, daß es schien, als ob die Woge ihn sofort ergreifen und mit sich fortreißen würde; allein an der Sicherheit, mit welcher er von Stein zu Stein hüpfte und die Wasserrisse vermied, konnte man deutlich sehen, daß er diesen Weg nicht zum ersten Male machte. Endlich hielt er still, als ob er auf etwas lausche, setzte sich auf die Erde und legte sein Bündel neben sich. Ich beobachtete alle seine Bewegungen, indem ich mich hinter einem vom Ufer vorspringenden Felsenstücke versteckt hielt. Nach einigen Minuten wurde von der entgegengesetzten Seite her eine weiße Figur sichtbar; sie ging an den Blinden heran und setzte sich neben ihn. Der Wind führte mir von Zeit zu Zeit ihr Gespräch zu:
„Nun, Blinder?“ sagte eine weibliche Stimme: „der Sturm ist heftig; Janko wird nicht kommen.“
– Janko fürchtet den Sturm nicht, entgegnete dieser.
„Der Nebel wird immer dichter,“ sagte wieder die weibliche Stimme mit einem Ausdrucke der Kümmerniß.
– Im Nebel kann er sich desto leichter an den Wachtschiffen vorbeistehlen, war die Antwort.
„Aber wenn er ertrinkt?“
– Nun was weiter? Dann gehst Du am nächsten Sonntag ohne neues Band in die Kirche.
Hierauf folgte ein Schweigen; indessen frappirte mich eins: der Blinde hatte mit mir in kleinrussischem Dialekte gesprochen, während er jetzt ganz reines Russisch sprach.
– Siehst Du, daß ich Recht habe, begann der Blinde wieder, indem er in die Hände schlug: Janko fürchtet weder Meer, noch Sturm, noch Nebel, noch Küstenwächter: horche nur – das ist nicht das Peitschen der Wellen, Du täuschst mich nicht, – das sind seine langen Ruder.
Das Frauenzimmer sprang auf und richtete unruhvoll ihren Blick in die Ferne.
„Du faselst, Blinder,“ sagte sie, „ich sehe nichts.“
Ich muß gestehen, daß, wie viele Mühe ich mir auch gab, etwas zu entdecken, was einem Nachen ähnlich sehen konnte, alles vergebens war. So vergingen zehn Minuten; da zeigte sich allmälig zwischen den Bergen der Meeresfluthen ein schwarzer Punkt, der bald größer bald kleiner wurde; – bald sich langsam bis auf die Spitzen der Wogen erhebend, bald wieder in die Tiefe hinabschießend, näherte sich der Kahn immer mehr dem Ufer. – Ein kühner Schiffer mußte Der sein, der es wagte, in einer solchen Nacht eine Meerenge von 20 Werst Weite zu durchrudern, und wichtig mußte der Grund sein, der ihn dazu antrieb.
Während diese Gedanken mich beschäftigten, blickte ich mit unwillkührlichem Herzpochen nach dem armen Kahne; der aber tauchte unter wie eine Ente und erhob sich dann wieder durch einen raschen Flügelschlag seiner Ruder aus dem Abgrunde, inmitten des wildesten Schaumgespritzes; – plötzlich schien es mir, als ob er in einem Anlaufe gegen das Ufer sich zerschlagen und in tausend Splitter zertrümmern müsse – allein er parirte mit ungemeiner Geschicklichkeit und hüpfte unbeschädigt in eine kleine Bucht. Ein Mann von mittlerm Wuchse sprang aus dem Nachen; er trug eine tatarische Barankenmütze; er winkte mit der Hand – und alle drei bemühten sich, Etwas aus dem Nachen zu ziehen; die Last war so groß, daß ich bis auf den heutigen Augenblick nicht verstehe, wie er nicht untergegangen ist. Ein jeder packte sich endlich ein Bündel auf die Schultern und so gingen sie das Ufer entlang, wo ich sie zuletzt aus dem Gesicht verlor. – Es blieb mir nun nichts übrig, als nach Hause zu gehen, doch muß ich bekennen, daß alle diese Seltsamkeiten mich dermaßen aufgeregt hatten, daß ich beschloß, den Morgen wach abzuwarten.
Mein Kosak war nicht wenig erstaunt, als er mich beim Erwachen vollständig angezogen fand; indessen gab ich ihm keine weiteren Gründe dafür an, sondern legte mich ins Fenster und schaute eine Zeitlang nach dem dunkelblauen mit zerrissenem Gewölk besäeten Himmel, nach dem fernen Ufer der Krim, das sich wie ein Lilastreifen am Horizonte dahinzieht, bis es zuletzt in einen Felsen ausläuft, auf dessen Gipfel ein Leuchtturm schimmert, und begab mich endlich nach der Festung Fanágora, um mich beim Kommandanten über die Stunde meiner Abreise nach Gelendschick zu erkundigen.
Aber leider konnte mir der Kommandant durchaus nichts Bestimmtes darüber sagen. Die im Hafen liegenden Schiffe waren alle entweder Wachtschiffe oder Handelsschiffe, die sogar ihre Ladung noch nicht einmal eingenommen hatten. „Vielleicht kommt ein Postschiff in drei, vier Tagen hier an,“ sagte der Kommandant, „und dann wollen wir sehen . . .“
Ich ging finster und ärgerlich nach Hause. In der Thüre kam mir mein Kosak mit bestürztem Gesichte entgegen: – Hier ist’s faul, Euer Gnaden! raunte er mir zu. Ja, Bruder,26 Gott weiß, wann wir von hier fortkommen! Bei diesen Worten wurde er noch verlegener, beugte sich zu mir und zischelte mir ins Ohr: Hier ist’s nicht rein! Ich begegnete heute einem tschornomórskischen Kosakenunteroffiziere, mit dem ich bekannt bin, – ich stand voriges Jahr mit ihm in einer Abtheilung – so sagte ich ihm also, wo wir abgestiegen wären; darauf sagte er zu mir: Bruder, sagte er, da, Bruder, ist die Luft nicht rein; das sind keine gute Leute! . . . Ja, und nun bitte ich Einen in der That – was ist das für ein Blinder! lauft der Bengel überall allein herum, nach dem Bazar, und nach Brod und nach Wasser . . . Hier sind sie, wie es scheint, schon alle daran gewöhnt.
„Hat sich denn die Wirthin nicht wenigstens einmal blicken lassen? . . .“
– Ja, wie Sie heute aus waren, kam eine Alte mit ihrer Tochter heraus.
„Was für eine Tochter? Sie hat ja keine Tochter.“
– Ja, dann weiß Gott was sie ist, wenn sie nicht ihre Tochter ist; sehen Sie, da sitzt die Alte gerade vor ihrem Fenster. —
Ich ging in die elende Hütte hinein. Der Ofen war stark geheizt und eine für arme Leute wahrhaft üppige Mahlzeit wurde darin gekocht. Die Alte antwortete auf alle meine Fragen, daß sie taub sei und mich nicht verstehen könne. Was war mit ihr anzufangen? Ich wandte mich also an den Blinden, der vor dem Ofen kauerte und Reisig ins Feuer warf. „Nun, Du kleiner blinder, Teufel,“ sagte ich, indem ich ihn am Ohre faßte, „wohin bist Du denn diese Nacht mit dem Bündel gelaufen, he?“
Fängt der Junge an zu weinen und zu schreien und zu heulen: – Wohin gegangen? Ich nirgend gegangen . . . Mit einem Bundel? Was für a Bundel? —
Diesmal hatte auch die Alte Ohren und fing an zu belfern: „Das ist erlogen, und noch dazu gegen einen Unglücklichen! Wofür halten Sie ihn denn? Was hat er Ihnen denn gethan?“
Mir war der ganze Kram höchst langweilig, darum ging ich ohne Weiteres fort, fest entschlossen, den Schlüssel zu diesem Räthsel zu entdecken. Ich wickelte mich in meine Burka, setzte mich am Zaune auf einen Stein, und schaute in die Ferne; vor mir dehnte sich das vom nächtlichen Sturme noch aufgeregte Meer aus, und sein eintöniges Getöse und Gestöhn erinnerte mich, gleich dem nächtlichen Straßengerolle einer großen Stadt, an die dahingeschwundenen Jahre und versetzte meine Gedanken nach dem Norden, in unsere kalte Residenz. Von Erinnerungen ergriffen, vergaß ich mich selbst . . . So saß ich wohl eine Stunde und länger . . . . Plötzlich berührt etwas wie Gesang mein Ohr. Wahrhaftig, das ist ein Liedchen, und noch dazu von einer frischen Mädchenstimme gesungen, – aber wo kommt es her? Ich lausche – eine herrliche Melodie, jetzt gedehnt und traurig, dann wieder rasch und feurig; ich blicke um mich – sehe aber Niemanden rundum; ich lausche wieder – die Töne scheinen geradezu vom Himmel zu fallen. Da richtete ich meinen Blick in die Höhe und siehe da: auf dem Dache meiner Hütte stand ein Mädchen in einem gestreiften Kleide, mit aufgelösten, loseflatternden Zöpfen, eine leibhaftige Undine. Sie schützte ihre Augen mit den flachen Händen vor den Sonnenstrahlen und schaute starr in die Ferne, bald mit sich sprechend und lachend, bald wiederum ihr Liedchen singend.
Ich erinnere mich dieses Liedchens noch Wort für Wort:
Auf dem freien Wellchen dort —
Auf dem grünen Meere,
Tanzen Schiffe auf und ab
Weißbesegelte.
Zwischen jenen Schiffen tanzt
Auch mein Nachen durch,
Nachen ohne Mast und Tau,
Doppelrudriger.
Fängt der Sturm sein Liedchen an
Ach, die alten Schiffe all’
Lüften ihre Flügelchen,
Stieben auseinander all’.
O, dann flehe ich das Meer
Leise, leise, leise:
Rühr’ nicht an, Du böses Meer
Meine Lódotschka.27
Denn es trägt die Lódotschka
Sachen wunderbar und schön,
Und es führt in dunkler Nacht
Sie ein Brausekopf heran.28
Unwillkührlich erinnerte ich mich, daß ich in vergangener Nacht dieselbe Stimme gehört hatte; ich dachte einen Augenblick darüber nach; als ich aber wieder nach dem Dache blickte, war das Mädchen nicht mehr da. Plötzlich eilte sie an mir vorüber, und etwas anderes anstimmend und mit den Fingern dazu schnalzend, rannte sie zur Alten und gerieth auch sogleich mit ihr in einen heftigen Wortwechsel. Die Alte wurde sehr böse und schlug ein lautes, tiefes Gelächter auf. Auf einmal sehe ich wieder wie meine Undine von ihr weghüpft; als sie bis zu mir herangekommen war, blieb sie plötzlich stehen und sah mich durchdringend an, als ob sie über meine Gegenwart verwundert wäre, worauf sie sich gleichgültig umkehrte und langsam der Anfahrt am Ufer zuschritt. Allein damit war’s noch nicht zu Ende: den ganzen Tag drehte sie sich um meine Wohnung herum; Gesang und Sprünge wechselten ununterbrochen miteinander ab! – Ein seltsames Wesen! Auf ihrem Gesichte war nicht das geringste Zeichen der Geistesabwesenheit ausgedrückt; im Gegentheil, ihre Augen ruhten oft mit einem durchdringenden Funkeln auf mir, und diese Augen schienen mir mit einer seltsamen magnetischen Kraft begabt, auch kam es mir immer vor, als ob sie mich gleichsam zu einer Frage aufforderten. So wie ich aber anfing zu sprechen, lief sie mit einem feigen Lächeln eiligst davon. —
Ein solches Frauenzimmer ist mir wahrhaftig noch nicht vorgekommen. Sie war durchaus nichts weniger als schön; allein ich habe auch in Betreff der Schönheit so meine eigenen Ideen . . . Es steckte viel Race in ihr . . . und bei Frauenzimmern und Pferden ist die Race eine wichtige Sache: dies ist eine Entdeckung des jungen Frankreichs. Sie, die Race, und nicht die Entdeckung des jungen Frankreichs, giebt sich zu erkennen am Gange, an den Händen und den Füßen und ganz besonders an der Nase, die eine hochwichtige Bedeutung hat. Eine regelmäßige Nase ist in Rußland noch viel seltener als ein kleiner Fuß. Meine Sirene mochte ungefähr 18 Jahr alt sein. Die ungewöhnliche Schlankheit ihrer Taille, eine ganz besondere nur ihr eigenthümliche Haltung des Kopfes, ihr langes blondes Haar, so wie ein gewisser goldiger Schein ihrer leicht verbrannten Haut an Hals und Schultern, und nun vor Allem ihre regelmäßige Nase – alles dies übte einen geheimen Zauber über mich aus. Trotzdem ich in ihren Seitenblicken etwas Wildes und Verdächtiges wahrnahm, trotzdem daß ihr Lächeln einen ganz besondern, unbestimmten Ausdruck hatte, so war doch die Macht des Vorurtheils so groß, daß mich ihre regelmäßige Nase ganz um den Verstand brachte: ich bildete mir ein Göthe’s Mignon – dieses wunderliche Gebilde seiner germanischen Einbildungskraft – gefunden zu haben, und in der That waren sich die Beiden so unähnlich nicht: dieselben raschen Uebergänge aus der allerüberspanntesten Aufregung in die vollständigste Regungslosigkeit, – dieselben räthselhaften Reden, dieselben Sprünge, seltsamen Gesänge u. s. w.
Gegen Abend hielt ich sie an der Thüre fest und hatte folgendes Gespräch mit ihr:
„Sag’ mir doch, Liebchen, was hast Du heut da oben auf dem Dache gemacht?“
– Ich sah, woher der Wind blies.
„Was kümmert Dich der Wind?“
– Woher der Wind kommt, kommt auch das Glück.
„So hast Du wohl gar mit Deinem Liedchen das Glück eingeladen?“
– Wo man singt, da sind die Menschen immer glücklich. —
„Wenn Dein Gesang nun aber Unglück brächte?“
– Was liegt daran? Wo nichts besser werden kann, da wird’s schlechter, und vom Schlechten zum Guten ist’s wieder nicht weit.
„Wer hat Dir denn diese Lieder gelehrt?“
– Gelehrt? Niemand; es kommt mir etwas in den Sinn – und ich fange an zu singen; wer es vernehmen soll, der begreift es schon, wer es aber nicht hören soll, der versteht es nicht. —
„Aber wie heißt Du denn, liebe Sirene?“
– Wer mich taufte, der weiß es schon.
„Und wer taufte Dich?“
– Ja, wie soll ich das wissen?
„Ei, Du Geheimnißvolle, Du! Aber siehst Du, etwas habe ich doch von Dir erfahren.“ Sie gab durch keine Veränderung ihrer Züge, durch kein Zucken ihrer Lippen zu erkennen, daß von ihr die Rede war.
„Ich habe also erfahren, daß Du gestern Nacht am Ufer warst.“ Und nun erzählte ich ihr mit vieler Wichtigkeit alles was ich gesehen hatte und hoffte sie in Verlegenheit zu setzen; nicht im Geringsten! Sie fing an aus voller Kehle zu lachen.
– Da haben Sie freilich viel gesehen und wissen doch wenig, und was Sie wissen, das halten Sie ja hübsch unter Schloß und Riegel. —
„Aber wenn es mir nun einmal einfiele, das dem Kommandanten zu hinterbringen?“ sagte ich mit einer sehr wichtigen, ja sogar strengen Miene.
Da sprang sie plötzlich mit einem liedartigen Schrei davon und verbarg sich, gleich einem Vögelchen, das aus einem Busche aufgescheucht worden. – Meine letzten Worte waren durchaus nicht am rechten Orte; damals ahnte ich noch nicht ihre Wichtigkeit, hatte aber in der Folge Gelegenheit sie zu bereuen. —
Mit dem Einbruche der Dämmerung befahl ich meinem Kosaken, den Thee, wenn auch kalt, anzusetzen, steckte ein Licht an, setzte mich an den Tisch und rauchte gemüthlich mein Reisepfeifchen. Ich hatte bereits mein zweites Glas Thee ausgetrunken, als plötzlich die Thüre knarrte und das leichte Rauschen eines Kleides und flüchtiger Tritte in meiner Nähe hörbar ward; ich fuhr zusammen und sah mich um, – siehe da, meine Undine. Sie setzte sich leise und lautlos mir gegenüber und heftete ihre Augen auf mich, und – ich weiß nicht recht warum – ihr Blick kam mir wunderbar zärtlich vor; er erinnerte mich an einen jener Blicke, welche in früheren Jahren so eigenmächtig mit meinem Leben gespielt hatten. —
Sie schien eine Frage von mit zu erwarten, allein ich schwieg, von einer unerklärlichen Aufregung überwältigt. Ihr Gesicht war von einer Todtenblässe überzogen, welche die innere Aufregung nur zu sehr verrieth; ihre Hand fuhr ohne Zweck auf dem Tische herum, und ich bemerkte ein leichtes Zittern an ihr; ihr Busen wogte bald hoch auf, bald schien sie wieder den Athem an sich zu halten. Diese Komödie fing an mir lästig zu werden, und ich war so eben im Begriff, dies Schweigen auf die allerprosaischste Weise von der Welt zu unterbrechen – nämlich, ihr eine Tasse Thee anzubieten – als sie plötzlich aufsprang, meinen Hals mit ihren Armen umwand, und ein feuchter, feuriger Kuß auf meinen Lippen wiederklang. Es wurde mir ganz düster vor den Augen, mein Kopf fing an sich zu drehen und ich drückte sie in meiner Umarmung mit aller Gewalt der jugendlichen Leidenschaft; aber sie schlüpfte mir wie eine Schlange aus den Armen und raunte mir ins Ohr: „Heute Nacht, wenn alles schläft, komm nach dem Ufer,“ und fuhr wie ein Blitz aus dem Zimmer. Auf dem Flure rannte sie die Theekanne und das Licht um, die beide auf dem Fußboden standen. „Was für ein Höllenmädel!“ schrie der Kosak, der darauf gerechnet hatte, sich an den Ueberbleibseln des Thee’s gütlich zu thun, und sich nun auf seine Streu hinstreckte. Jetzt erst kam ich wieder zu mir.
Nach ungefähr zwei Stunden, als alles im Hafen still geworden war, weckte ich meinen Kosaken auf: „Wenn Du einen Pistolenschuß hörst,“ sagte ich zu ihm, „so kommst Du nach dem Ufer!“ Er riß die Augen auf und antwortete mechanisch: „Sehr wohl, Ew. Gnaden.“ – Ich steckte die Pistole in den Gurt und ging. Sie erwartete mich bereits am Rande der Abfahrt; ihre Kleidung war mehr als leicht, ein kleines Tuch umwand ihre schlanke Taille anstatt einer Schärpe.
„Folgen Sie mir!“ sagte sie, indem sie mich bei der Hand faßte; – wir stiegen das Ufer hinab. Ich begreife nicht, wie ich nicht den Hals dabei gebrochen; unten angekommen, wandten wir uns rechts, und schlugen denselben Weg ein, auf welchem ich unlängst dem Blinden gefolgt war. Der Mond war noch nicht aufgegangen; nur zwei Sternchen schimmerten wie zwei rettende Leuchtthürme am dunkeln Himmelsgewölbe. Schwerfällige Wellen rollten in abgemessenen Distanzen hintereinander her, hoben aber kaum den einzigen Nachen in die Höhe, der am Ufer festgebunden lag.
„Laß uns in den Nachen gehen,“ begann meine Gefährtin. Ich schwankte – ich bin kein Liebhaber von sentimentalen Spazierfahrten auf dem Meere; indessen war es jetzt nicht mehr Zeit davon abzustehen. Sie sprang in den Nachen, ich hinter ihr drein, und ehe ich mich dessen versah, bemerkte ich, daß wir schwimmen.
– Was soll denn das heißen? sagte ich ärgerlich.
„Das soll heißen,“ antwortete sie, mich auf die Bank drängend, und meine Taille mit den Armen umwindend, „das soll heißen, daß ich Dich so lieb habe . . .“ Und ihre Wangen preßten die meinigen und ich fühlte ihren glühenden Athem über mein Gesicht dahinstreifen. Auf einmal plumpst etwas ins Wasser; ich streife nach meinem Gürtel – die Pistole ist fort. O, da stahl sich ein fürchterlicher Verdacht in meine Seele und das Blut peitschte mir nach dem Kopfe! Ich blicke rund um – schon sind wir gegen vierhundert Fuß vom Ufer ab, und schwimmen kann ich nicht! Ich versuche es sie von mir zurückzustoßen, sie aber hat sich wie, eine Katze an meine Kleider festgeklammert; plötzlich stieß mich ein heftiger Stoß fast über Bord. Der Nachen fing an zu schaukeln, ich brachte ihn aber wieder ins Gleichgewicht, und nun begann zwischen uns ein verzweifelter Kampf; die Wuth verlieh mir zwar Kräfte, allein ich bemerkte sehr bald, daß ich meinem Gegner an Gewandtheit weit nachstand . . .
– Was willst Du doch von mir? schrie ich sie endlich an, und drückte ihre kleinen Hände mit ungeheurer Gewalt zusammen; ihre Finger krachten, sie gab aber keinen Laut von sich; ihre Schlangennatur hielt diese Probe aus.
„Du hast gesehen,“ entgegnete sie, „und Du willst angeben!“ und mit einer übernatürlichen Anstrengung riß sie mich am Bord zu Boden; wir schwebten Beide bis an die Hüften aus dem Nachen; ihre Haare berührten das Wasser: der Augenblick war entscheidend. Ich stemmte mich mit dem Knie fest gegen den Boden, ergriff sie mit der einen Hand bei den Haaren, mit der andern bei der Gurgel; da ließ sie meine Kleider los, und in demselben Augenblick stürzte ich sie auch ins Meer.
Es war bereits ziemlich dunkel geworden. Ihr Kopf tauchte noch einigemal aus den schäumenden Wellen hervor und dann war nichts mehr zu sehen . . .
Auf dem Boden des Nachens fand ich die Hälfte eines alten Ruders, vermittelst dessen es mit nach langen Anstrengungen endlich gelang, die Abfahrt zu erreichen. Als ich nun am Ufer entlang meiner Hütte zuschritt, blickte ich unwillkührlich nach jener Seite, wo der Blinde gestern Abend den nächtlichen Schiffer erwartet hatte; der Mond fing schon an am Himmel einherzuschreiten, und so schien es mir, als ob dort am Ufer etwas Weißes sitze; ich schlich mich, von der Neugierde gespornt, näher hinzu und legte mich hinter einem Vorsprung des Ufers der Länge nach ins Gras, von wo aus ich alles sehen konnte, was dort unten vorging und war nicht wenig erstaunt, nein, ich freute mich fast, meine Undine wieder zu erkennen. Sie drückte den Schaum des Meerwassers aus ihren langen Haaren; das nasse Hemd zeichnete ihre schlanke Taille und ihre hohe Brust in scharfen Contouren ab. Nicht lange, so zeigte sich in der Ferne ein Nachen, der sich rasch näherte; wie am vorigen Abende, sprang auch diesmal ein Mann mit einer tatarischen Mütze heraus, dessen Haar aber nach Kosakenart geschnitten war und in dessen ledernem Gurte ein großes Messer blinkte.
„Janko!“ sagte sie, „es ist alles verloren!“
Hierauf begann ein so leises Gespräch, daß ich nicht im Stande war, das Mindeste davon aufzufassen.
– Aber wo ist denn der Blinde? sagte endlich Janko mit etwas erhöhter Stimme.
„Ich habe ihn fortgeschickt,“ war die Antwort.
Es dauerte auch nicht lange, so kam der Blinde, mit einem Sacke auf dem Rücken, den er in das Boot abwarf.
– Höre, Blinder! sagte Janko, Du giebst gut Acht auf jenen Ort . . . Du weißt, da liegen reiche Waaren . . . sage dem (den Namen konnte ich nicht hören), daß ich ihm länger nicht dienen kann; die Sache hat eine schlechte Wendung genommen; er kriegt mich nicht wiederzusehen; es ist jetzt gefährlich; ich will mir an einem andern Orte Arbeit suchen, und er wird einen solchen Wagehals nicht sobald wieder finden. Du kannst ihm auch sagen, daß Janko ihn jetzt nicht im Stiche ließe, hätte er meine Mühe besser bezahlt; ich finde überall Brod, wo nur der Wind bläst und das Meer braust!“ Nach einigem Schweigen fuhr Janko fort: „Sie muß mit fort; sie darf hier nicht zurückbleiben; der Alten kannst Du nur sagen, daß sie ja die Ehre wahre, wenn es jetzt ihr Loos sein sollte umzukommen. – Uns seht Ihr nicht mehr wieder.“