Kitabı oku: «Der Held unserer Zeit: Kaukasische Lebensbilder», sayfa 6
– Aber ich? sagte der Blinde mit kläglicher Stimme.
„Was gehst denn Du mich an?“ war die Antwort.
Unterdessen war meine Undine in den Nachen gesprungen und hatte ihrem Gefährten mit der Hand zugewinkt; dieser drückte dem Blinden etwas in die Hand, indem er sagte: „Da, kaufe Dir Pfefferkuchen.“ – „Nichts weiter?“ sagte der Blinde. – „Nu, da hast Du noch mehr“ – ein fallendes Geldstück erklang auf dem Gesteine. Der Blinde nahm es nicht auf. Janko setzte sich in den Nachen; der Wind blies grade vom Ufer: rasch zogen sie ein kleines Segel auf und eilten auf den flüchtigen Wogen dahin. Lange schien beim Lichte des Mondes das weiße Segel zwischen den dunklen Wogen hervor; der Blinde saß noch immer am Meeresufer und ich glaubte ein Schluchzen zu vernehmen; in der That weinte der blinde Knabe lange, lange . . . Ich war traurig. Und warum warf mich doch das Schicksal in den friedlichen Kreis dieser ehrlichen Schleichhändler? Wie ein Stein, den man in eine glatte Wasserfläche wirft, hatte ich ihren Frieden aufgestört, und wie ein Stein wäre ich auch bald auf den Grund gesunken.
Ich kehrte nach Hause zurück. Auf dem Flure flackerte das aufgebrannte Licht auf einem hölzernen Teller und mein Kosak lag, trotz meines Befehles, im tiefsten Schlafe, mit beiden Händen das Gewehr haltend. Ich ließ ihn zufrieden, nahm das Licht und ging in das Zimmer. O weh! Meine Schatulle, meine Schaschka mit silberner Einfassung, ein Dagestaner-Dolch – das Geschenk eines Freundes – alles war verschwunden. Jetzt errieth ich wohl, was das für Sachen gewesen waren, die der verwünschte Blinde da herangeschleppt hatte. Obgleich ich nun meinen Kosaken mit einem ziemlich unsanften Stoße aufweckte und ihn tüchtig ausschalt, so war doch nichts mehr zu machen! Und wäre es nicht lächerlich gewesen, mich bei der Behörde zu beschweren, daß ein Blinder mich bestohlen und ein achtzehnjähriges Mädchen mich fast ertränkt hätte? Gott sei Dank, daß sich des Morgens Gelegenheit fand abzureisen und ich dies Nest verlassen konnte. Was aus der Alten und dem Blinden geworden ist, weiß ich nicht. Was gehn denn mich auch die Freuden und Leiden der Menschen an – mich, einen herumwandernden Offizier und noch dazu mit einem Passe in Kronsangelegenheiten! . . .
Die Fürstin Mary
Dost thou drink tears, that thou provok’st such weeping?
Shakspeare, Venus and Adonis, Stanza 156.
11. Mai.
Gestern kam ich in Pätigorsk an und miethete ein Quartier am Ende der Stadt, auf einer sehr hochgelegenen Stelle, am Fuße des Máschuk, so daß während eines Ungewitters die Wolken sich bis auf mein Dach senken werden. Heut um fünf Uhr Morgens, als ich das Fenster öffnete, füllte sich mein Zimmer mit dem Dufte der Blumen an, welche in einem bescheidenen Vordergärtchen wachsen. Die Zweige der blühenden Süßkirsche schauen mir ins Fenster und der Wind überschüttet bisweilen meinen Schreibtisch mit ihren weißen Blüthenblättern. Von drei Seiten habe ich eine wunderschöne Aussicht. Gegen Westen liegt der fünfkuppige Beschtu im Blauen, wie „die letzte Wolke eines zerstobenen Sturmes“ gegen Norden erhebt sich der Máschuk, wie eine verbrämte Persermütze, und verdeckt diesen ganzen Theil des Himmelsgewölbes. Heiterer ist die Aussicht gegen Osten: unten, vor mir, liegt ein buntes reinliches, neues Städtchen, sprudeln die Heilquellen, rauscht die vielsprachige Menge, – und dort, weiterhin, thürmen sich die Berge, immer blauer und nebeliger, zum Amphitheater empor, und am Rande des Horizontes zieht sich die silberne Kette der Schneegipfel hin, mit dem Kasbek anfangend und mit dem zweikuppigen Elborus endigend. – — – In solchem Lande lebt’s sich heiter! Ein gewisses beruhigendes Trostgefühl ist durch alle meine Adern ergossen. Die Luft ist rein und frisch, wie der Kuß eines Kindes; die Sonne strahlend, der Himmel blau – wessen, so scheint es, bedarf man hier noch mehr? Wozu hier noch Leidenschaften, Wünsche, Bedauern? . . . Indessen ist es Zeit. Ich muß nun nach der Elisabethquelle gehen; man sagte mir, daß sich dort des Morgens die ganze Brunnengesellschaft versammelte.
Als ich mich in die Mitte der Stadt begab, ging ich auf den Boulevards umher, wo ich einige traurige Gruppen langsam den Berg hinaufsteigen sah; es waren meistentheils die Familien von Steppen-Gutsbesitzern; dies war leicht zu errathen an den abgetragenen altmodischen Ueberröcken der Herren und den geschmacklosen Kleidungen der Frauen und Töchter. Es war zu sehen, daß sie alle jungen Badegäste schon kannten, da sie mit zärtlicher Neugierde nach mir blickten: die Petersburger Form meines Waffenrockes führte sie irre; als sie indessen die Epauletten eines Armeeoffiziers an mir wahrnahmen, wandten sie sich unwillig von mir.
Die Frauen der Gegend selbst, so zu sagen die Brunnenwirthinnen, waren herablassender; sie haben Lorgnetten und richten ihre Aufmerksamkeit weniger auf die Uniform; sie sind bereits gewohnt, im Kaukasus unter einem nummerirten Knopfe ein feuriges Herz, und unter der weißen Mütze einen gebildeten Verstand anzutreffen. Diese Damen sind sehr gütig und sind es lange! Jedes Jahr werden ihre Verehrer durch Neue abgelöst und hierin liegt vielleicht das Geheimniß ihrer unerschöpflichen Liebenswürdigkeit. Als ich auf einem engen Pfade zur Elisabethquelle hinanstieg, überholte ich eine Menge Civil- und Militairpersonen, welche, wie ich später erfuhr, eine besondere Klasse von Leuten unter denen bilden, die auf eine Wirkung des Brunnens hoffen. Sie trinken – nur kein Wasser, gehn wenig spazieren, machen nur im Vorübergehen den Damen die Cour, spielen und klagen über Langeweile. Sie sind Stutzer und nehmen, so oft sie ihre umflochtenen Gläser in den Sauerbrunnen tauchen, eine akademische Stellung an; die Civilpersonen tragen hellblaue Halstücher, die Militairs lassen aus den Kragen die Vatermörder hervorgucken. Sie affektiren eine tiefe Verachtung gegen die Damen aus der Provinz und seufzen nach den aristokratischen Salons der Residenzen, wo sie nicht zugelassen werden.
Endlich bin ich am Brunnen . . . Auf einem Plätzchen unweit des Brunnens steht ein Häuschen mit einem rothen Dache über dem Becken; etwas weiter befindet sich eine Gallerie zum Spazierengehen während des Regens. Mehre verwundete Offiziere saßen auf einer Bank, ihre Krücken zusammenhaltend, blaß und traurig. Einige Damen gingen mit raschen Schritten auf und nieder, in Erwartung der Wirksamkeit des Wassers. Unter ihnen befanden sich zwei bis drei recht artige Gesichter. Aus den Nebenalleen, welche den Abhang des Máschuk bedecken, tauchte dann und wann das bunte Hütchen einer Liebhaberin der Einsamkeit zu Zweien hervor, denn stets bemerkte ich hinter einem solchen Hute eine Militairmütze, oder einen formlosen runden Hut. Auf dem steilen Felsen, wo ein Pavillon steht welcher den Namen Aeols-Harfe führt, standen einige Liebhaber von Aussichten, welche ihre Telescope nach dem Elborus richteten; unter ihnen befanden sich zwei Gouverneure mit ihren Zöglingen, die hierher gekommen waren, um sich von den Skrofeln heilen zu lassen.
Ich blieb erschöpft am Rande des Berges stehen und begann, an die Ecke des Häuschens gelehnt, die malerische Umgegend zu betrachten, als ich plötzlich hinter mir eine bekannte Stimme höre:
„Petschorin! schon lange hier?“
Ich wende mich um: Gruschnitzki! Wir umarmten uns. Ich hatte in einer aktiven Abtheilung seine Bekanntschaft gemacht. Er hatte eine Schußwunde am Beine, und war eine Woche später als ich ins Bad gereist. Gruschnitzki ist Fähndrich. Er dient erst seit einem Jahre und trägt aus ganz besonderer Koketterie einen dicken Soldatenmantel, auch hat er das St. Georgen Soldatenkreuzchen. Er ist wohlgebaut, hat eine dunkelbraune Gesichtsfarbe und schwarzes Haar; seinem Aeußern nach könnte man ihm fünf und zwanzig Jahre geben, ob er gleich kaum ein und zwanzig alt ist. Wenn er spricht, wirft er den Kopf hinten über und ringelt mit der linken Hand seinen Schnurrbart, denn mit der rechten stützt er sich auf die Krücke; auch spricht er schnell und hochtrabend: er ist einer von denen, die auf alle Vorfälle des Lebens schwülstige Redensarten in Bereitschaft haben, welche das einfach Schöne nicht rührt, und die sich wichtig in ungewöhnliche Passionen und ausnahmsweise Leiden hüllen. Effekt zu machen ist ihr höchster Genuß, darum gefallen sie den romantischen Damen der Provinz bis zum Wahnsinn. Im Alter werden sie theils friedliche Gutsbesitzer, theils Trunkenbolde, bisweilen das Eine und das Andere. In ihrer Seele liegen oft recht viele gute Eigenschaften, aber nicht für einen Heller Poesie. Gruschnitzki’s Leidenschaft war die des Deklamirens; er überschüttet einen mit Worten, sobald das Gespräch nur irgend den gewöhnlichen Ideenkreis verläßt; ich konnte nie mit ihm streiten. Er antwortet einem gar nicht auf das Gesagte, er hört einem gar nicht zu; kaum hält man aber etwas inne, so fängt er eine lange Tirade an, die sich scheinbar an das Gesagte anschließt, in der That aber nichts anders ist als die Fortsetzung seiner eigenen Rede.
Er ist ziemlich witzig; seine Epigramme sind oft recht unterhaltend, niemals aber sind sie treffend und bitter; er schlägt keinen mit Einem Worte nieder; er kennt nicht die Leute und ihre schwachen Seiten, denn er beschäftigte sich während seines ganzen Lebens nur mit sich selbst. Sein höchster Zweck ist – der Held eines Romans zu werden. Er war so oft bemüht die Andern davon zu überzeugen, daß er ein, nicht für diese Welt geschaffenes, einem gewissen geheimen Leiden überantwortetes Wesen sei, daß er zuletzt fast selbst daran glaubte. Darum trägt er auch mit solchem Stolze seinen dicken Soldatenmantel. Ich durchschaute ihn sogleich, deshalb liebt er mich auch nicht, obgleich wir äußerlich in den freundschaftlichsten Beziehungen stehen. Gruschnitzki steht im Rufe eines sehr tapfern Soldaten; ich sah ihn im Gefechte: er wirthschaftet mit dem Säbel herum, schreit und wirft sich mit blinzelnden Augen vorwärts. Das ist immer nicht die wahre russische Tapferkeit.
Ich mag ihn auch nicht leiden: ich fühle, daß wir einst einmal auf einem engen Wege zusammenstoßen werden, und es dem Einen von uns nicht wohl bekommen wird . . .
Seine Ankunft im Kaukasus ist ebenfalls eine Folge seines romantischen Fanatismus. Ich bin überzeugt, daß, am Vorabend seiner Abreise aus dem väterlichen Erbdorfe, er mit düsterer Miene irgend einer niedlichen Nachbarin sagte: daß er nicht Dienste nimmt, wie dies gewöhnlich geschieht, sondern, daß er den Tod sucht, weil . . . hier fährt er denn, die Hand über die Augen gehalten, fort: „Nein, Sie (oder Du) sollen das nie erfahren! Ihre reine Seele würde erbeben! Wozu das auch? Was bin ich Ihnen? Können Sie mich je verstehen? . . .“ und so fort.
So erzählte er mir selbst, daß der Grund, der ihn veranlaßte ins K. Regiment zu treten, ein ewiges Geheimniß zwischen ihm und dem Himmel bleiben würde.
Uebrigens ist Gruschnitzki in solchen Augenblicken, wo er die tragische Drappirung abwirft, recht liebenswürdig und unterhaltend. Es ist mir immer interessant, ihn mit Damen zu sehen; da kann ich mir vorstellen, wie er sich abquält.
Wir kamen uns wie alte Freunde entgegen. Ich fing an ihn über die Lebensweise im Badeort und die Hauptpersonen desselben zu befragen.
– Wir führen ein ziemlich prosaisches Leben, erwiederte er seufzend. Diejenigen, welche des Morgens Wasser trinken, sind welk, wie alle Kranken, die aber des Abends Wein trinken, sind unausstehlich wie alle Gesunden. Damengesellschaft ist wohl da; bei ihnen ist indessen wenig Trost zu holen: sie spielen Whist, kleiden sich schlecht, und sprechen schauderhaft französisch. In diesem Jahre ist aus Moskau nur die einzige Fürstin Ligoffska mit ihrer Tochter hergekommen; doch bin ich mit ihnen nicht bekannt. Mein Soldatenmantel scheint mir die allgemeine Abneigung zuzuziehen. Die Theilnahme, welche er etwa hervorruft, liegt wie ein Almosen auf mir.
In diesem Augenblicke gingen zwei Damen an uns vorbei, dem Brunnen zu; die eine ältlich, die andere jugendlich, wohlgebaut. Ihre Gesichter sah ich, der vorstehenden Hüte wegen, nicht; doch waren sie nach den strengsten Regeln des feinsten Geschmackes gekleidet: Nichts Ueberflüssiges. Die letztere trug ein hohes Kleid gris de perles; ein leichtes seidenes Fichu umwand ihren schlanken Hals. Ihre Stiefelchen couleur puce umspannten ihr dünnes Füßchen am Knöchel so reizend, daß selbst ein in den Mysterien der Schönheit Uneingeweihter unbedingt ein Ach! ausgestoßen hätte, wenn auch nur vor Verwunderung. Ihr leichter, doch sehr edler Gang hatte etwas mädchenhaftes, das jeder Erklärung entschlüpft, vom Blicke aber wohl verstanden wird. Als sie an uns vorüberging, wehte uns von ihr jener unerklärbare Duft entgegen, von welchem bisweilen der Brief eines reizenden Frauenzimmers athmet.
„Das ist die Fürstin Ligoffska,“ sagte Gruschnitzki, „und die mit ihr ist ihre Tochter Mary, wie sie dieselbe nach englischer Manier nennt. Sie sind erst seit drei Tagen hier.“
– Und doch kennst Du bereits ihre Namen?
„Ja, ich hörte sie zufällig,“ antwortete er erröthend, „ich gestehe ganz offen, ich wünsche gar nicht mit ihnen bekannt zu werden. Diese stolze Aristokratie blickt auf uns Armeeoffiziere wie auf Wilde herab. Und was kann es sie kümmern, ob unter einer nummerirten Feldmütze Verstand liegt und ein Herz unter einem dicken Soldatenmantel?“
– Armer Mantel! sagte ich lächelnd; aber wer ist der Herr, der auf sie zugeht und ihnen so dienstfertig das Glas reicht?
„O! Das ist der Moskauer Stutzer Rajéwitsch! Er ist ein Spieler: das sieht man sogleich an der enormen goldenen Kette, welche sich auf seiner blauen Weste herumschlängelt. Und was für einen dicken Stock er hat – absolut wie Robinson Crusoe; und nun gar diesen Bart und die Coiffüre à la mougik“!29
– Du bist ja gegen das ganze Menschengeschlecht erbost.
„Ja, ich habe wohl Ursache . . .“
– O! wirklich?
In diesem Augenblicke verließen die Damen den Brunnen und gingen dicht an uns vorüber. Gruschnitzki war es eben noch gelungen, mit Hülfe seiner Krücke eine dramatische Position anzunehmen, und er antwortete mir laut auf französisch:
„Mon cher, je hais les hommes pour ne pas le mépriser, car autrement la vie serait une farce trop dégoutante.“
Die reizende junge Fürstin wandte sich um und beschenkte den Redner mit einem langen, neugierigen Blicke. Der Ausdruck dieses Blickes war ungemein unbestimmt, doch nicht ironisch, weshalb ich ihm im Innern der Seele dazu gratulirte.
– Diese Fürstin Mary ist das reizendste Wesen von der Welt, sagte ich zu ihm. Sie hat ein Paar sammetne Augen – absolute Sammetaugen: ich würde Dir rathen, Dir diesen Ausdruck anzueignen, wenn Du von ihren Augen sprichst; die unteren und oberen Augenwimpern sind so lang, daß die Sonnenstrahlen ihr nie den Augapfel berühren können. Ich liebe diese glanzlosen Augen: sie sind so weich, sie thun einem so wohl . . . Uebrigens däucht mir, drückt ihr Gesicht nur Gutes aus . . . Aber was ich sagen wollte . . hat sie auch weiße Zähne? Das ist sehr wichtig! Es ist Schade, daß sie auf Deine stattliche Phrase nicht lächelte.
„Du sprichst ja von einem schönen Frauenzimmer wie von einem englischen Pferde,“ sagte Gruschnitzki unwillig.
– Mon cher, entgegnete ich ihm, indem ich mich bemühte seinen Ton nachzuahmen: je méprise les femmes pour ne pas les aimer, car autrement la vie serait un mélodrame trop ridicule.
Ich wandte mich um und verließ ihn. Während einer halben Stunde ging ich in den Rebenalleen über die Kalkfelsen und durch die zwischen ihnen hängenden Büsche spazieren. – Allmälig wurde es aber heiß, so daß ich den Rückweg nach Hause antrat. Als ich an dem Sauerbrunnen vorüberging, hielt ich an der steilen Gallerie still, um in ihrem Schatten mich etwas abzukühlen; dies gewährte mir die Gelegenheit Zeuge einer ziemlich interessanten Scene zu sein. Die handelnden Personen derselben befanden sich in folgender Position: Die Fürstin saß mit dem Moskauer Stutzer auf einer Bank der bedeckten Gallerie, beide, wie es schien, in ein wichtiges Gespräch vertieft. Die junge Fürstin, die wahrscheinlich ihr letztes Glas bereits getrunken hatte, ging gedankenvoll vor dem Brunnen auf und ab. Gruschnitzki stand am Brunnen selbst; sonst war Niemand auf dem ganzen Plätzchen.
Ich schritt näher hinzu und versteckte mich hinter die Ecke der Gallerie. In diesem Augenblicke ließ Gruschnitzki sein Glas auf den Sand fallen und strengte sich an, sich niederzubeugen, um es wieder aufzuheben: der kranke Fuß verhinderte ihn daran! Der Arme! wie er sich auf seine Krücke gestützt, abquälte, und so ganz umsonst. Sein ausdrucksvolles Gesicht drückte in der That Leiden aus.
Die junge Fürstin Mary sah alles dies besser als ich selbst. Leichter als ein Vögelchen hüpfte sie an ihn heran, bückte sich, hob das Glas auf und reichte es ihm mit einer unaussprechlich reizenden Bewegung, des Körpers: hierauf erröthete sie ungemein, blickte nach der Gallerie zurück und nachdem sie die Ueberzeugung erlangt hatte, daß ihre Mutter nichts davon gesehen, schien sie sich sofort zu beruhigen. Als Gruschnitzki den Mund öffnete, um ihr zu danken, war sie schon weit entfernt. Nach einer Minute kam sie mit ihrer Mutter und dem Stutzer aus der Gallerie heraus, nahm aber, als sie an Gruschnitzki vorüberging, eine sehr vornehme und strenge Miene an – wandte sich selbst nicht um, bemerkte nicht einmal den leidenschaftlichen Blick, mit dem er sie lange begleitete, bis sie endlich beim Hinuntersteigen vom Berge hinter den Linden des Boulevards verschwand . . . Noch einmal tauchte ihr Hütchen in der Straße auf; dann eilte sie in die Thüre eines der besten Häuser von Pätigorsk; hinter ihr ging die Fürstin hinein, die an der Thüre von Rajéwitsch Abschied nahm.
Erst jetzt bemerkte der arme leidenschaftliche Junker meine Gegenwart.
„Sahest Du?“ sagte er, indem er mit die Hand stark drückte: „sie ist geradezu ein Engel!“
– Warum? fragte ich mit der alleraufrichtigsten Miene.
„So hast Du nicht gesehen?“
– Doch, ich sah: sie hob Dein Glas auf. Wäre dort ein Wächter gewesen, so hätte er dasselbe gethan, und noch viel eiliger, indem er hoffen konnte ein Trinkgeld zu erhaschen. Uebrigens ist es sehr begreiflich, daß Du ihr leid thatest: Du machtest eine so fürchterliche Grimasse, als Du auf Dein durchschossenes Bein tratest . . .
„Und Du warst nicht im Mindesten gerührt, indem Du sie in dieser Minute sahst, wo ihre ganze Seele auf ihrem Antlitz glänzte?“
– Nein.
Ich log; ich hatte aber Lust ihn zu peinigen. Mir ist die Leidenschaft des Widersprechens angeboren; mein ganzes Leben war nur eine Kette trauriger und unglückseliger Widersprüche gegen mein Herz oder meinen Verstand. Die Gegenwart eines Enthusiasten ergreift mich jedesmal mit furchtbarer Kälte, ebenso glaube ich, daß häufige Beziehungen zu einem abgestorbenen Phlegmatiker einen leidenschaftlichen Schwärmer aus mir gemacht haben würden. Ich gestehe ferner: ein unangenehmes aber wohlbekanntes Gefühl lief in diesem Augenblicke über mein Herz; dieses Gefühl war – der Neid; ich sage dreist „der Neid“, denn ich habe mich daran gewöhnt mir alles zu gestehen; und schwerlich möchte sich ein junger Mann finden lassen, der beim Anblicke eines schönen Frauenzimmers, die seine müßige Aufmerksamkeit auf sich zieht und vor ihm offenbar einen Anderen, ihr nicht minder Unbekannten, auszeichnete – schwerlich, sage ich, möchte sich ein solcher junger Mann finden lassen (der, versteht sich, in der großen Welt gelebt hat und gewöhnt ist seine Eigenliebe zu hätscheln), welcher hierdurch nicht unangenehm berührt worden wäre.
Schweigend stiegen wir, Gruschnitzki und ich, vom Berg hinab und gingen auf dem Boulevard spazieren, an den Fenstern des Hauses vorbei, wo unsere Schöne versteckt war. Sie saß am Fenster. Gruschnitzki stieß mich an den Arm, und warf ihr einen jener aufbrausenden, zärtlichen Blicke zu, welche auf die Damen so geringe Wirkung haben. Ich richtete meine Lorgnette auf sie und bemerkte, daß sie in Folge seines Blickes lächelte, daß sie hingegen über meine dreiste Lorgnette sich außerordentlich ärgerte. Und wie, in der That, wagt es ein kaukasischer Armeeoffizier eine Moskauer Fürstin zu lorgnettiren? . . .
Den 13. Mai.
Heute Morgen kam der Doktor zu mir: sein Name ist Werner, er ist aber Russe. Was wäre da Außerordentliches? Ich kannte einen Iwánow, der ein Deutscher war.
Werner ist ein merkwürdiger Mann in vielfacher Beziehung. – Er ist Skeptiker und Materialist wie fast alle Aerzte, zu gleicher Zeit aber ist er auch Poet, und das in vollem Ernste, – ein Poet in der That immer, und oft in seinen Worten, ob er gleich in seinem ganzen Leben nicht zwei Verse geschrieben. Er studirte alle lebendigen Saiten des menschlichen Herzens, wie man die Adern an einem Leichnam studirt, doch wußte er seine Wissenschaft niemals zu benutzen: so kann bisweilen ein ausgezeichneter Anatomiker das Fieber nicht vertreiben. Gewöhnlich lächelt Werner im Geheimen über seine Kranken, doch sah ich einst, wie er vor einem sterbenden Soldaten weinte . . . Er war arm, träumte von Millionen, that aber für’s Geld keinen unnützen Schritt. Einst sagte er zu mir, daß er eher einem Feinde eine Gefälligkeit erweisen wolle, als einem Freunde, weil das seine Dienstfertigkeit verkaufen hieße, während der Haß nur im Verhältniß der Großmuth des Gegners zunimmt. Er hatte eine böse Zunge. Unter dem Aushängeschilde seiner Epigramme wurde mehr als ein Gimpel für einen gemeinen Narren ausgeschrieen; seine Nebenbuhler, die neidischen Brunnenärzte, verbreiteten das Gerücht, als ob er nach seinen Kranken Karrikaturen zeichne, – die Kranken erbleichten, und fast alle fielen von ihm ab. Seine Freunde, das heißt, alle wahrhaft anständigen Leute, die im Kaukasus dienen, bemühten sich umsonst, seinen gefallenen Kredit wieder zu heben.
Sein Aeußeres war von jenen, welche beim ersten Anblick unangenehm berühren, welche aber in der Folge ansprechen, wenn das Auge erst gewöhnt ist in den unregelmäßigen Zügen den Ausdruck eines erfahrenen, hohen Geistes zu lesen. Es gab Beispiele, daß Damen sich bis zum Wahnsinn in solche Leute verliebten und deren Häßlichkeit nicht für die Schönheit der frischesten, rosigsten Endymione vertauscht haben würden. Man muß den Damen Gerechtigkeit widerfahren lassen: sie haben das angeborene Gefühl für die geistige Schönheit; daher kommt es vielleicht, auch, daß Männer, wie Werner, so leidenschaftlich die Weiber lieben.
Werner war von kleinem Wuchse und mager und schwach wie ein Kind; eins seiner Beine war kleiner als das andere, wie bei Byron; im Vergleich zum Rumpfe schien sein Kopf ungemein groß; er hielt sein Haar unter einem Kamme zurückgestrichen, so daß die Unebenheiten seines Schädels jeden Phrenologen durch die seltsame Verflechtung der widersprechendsten Neigungen überrascht haben würden. Seine kleinen schwarzen, fortwährend unruhigen Augen waren bemüht, die Gedanken der andern zu durchdringen. In seiner Kleidung herrschte Geschmack und Sauberkeit; seine mageren, geäderten, kleinen Hände brüsteten sich stets in hellgelben Handschuhen. Sein Ueberrock, sein Halstuch und seine Weste waren beständig schwarzer Farbe. Die jungen Leute nannten ihn einen Mephistopheles; er that als nehme er diesen Beinamen übel, in der That aber schmeichelte derselbe seiner Eigenliebe. Wir verstanden uns bald und wurden Bekannte, denn der Freundschaft bin ich unfähig; von zwei Freunden ist der eine immer der Sklave des andern, obgleich keiner von ihnen dies eingestehen will. Sklave mag ich nicht sein, und in solchem Falle zu befehlen ist eine lästige Mühe, denn man muß zugleich auch betrügen; dann habe ich ja auch Bedienten und Geld! Bekannte wurden wir auf folgende Weise: ich begegnete Werner in S. inmitten eines zahlreichen, lauten Kreises von jungen Leuten; das Gespräch nahm gegen das Ende des Abends eine philosophisch-metaphysische Richtung; man sprach von den Ueberzeugungen: jeder war überzeugt von den verschiedenartigsten Dingen. —
„Was mich betrifft, so bin ich nur von Einem überzeugt . . .“ sagte der Doktor.
– Und wovon das? fragte ich, begierig, die Meinung eines Mannes zu erfahren, der bisher geschwiegen hatte.
„Davon,“ antwortete er, „daß ich früh oder spät an einem schönen Morgen sterben werde.“
– So bin ich reicher als Sie, sagte ich: ich habe, außer jener, noch eine Ueberzeugung, nämlich die, daß ich an einem sehr häßlichen Abende das Unglück hatte, geboren zu werden.
Alle fanden, daß wir Unsinn sprächen, doch hat wahrhaftig keiner von ihnen etwas Vernünftigeres gesagt. Seit jenem Augenblicke unterschieden wir uns von der Menge. Wir gingen oft miteinander, und sprachen zu Zweien sehr ernsthaft über abstrakte Dinge, bis wir endlich bemerkten, daß wir uns gegenseitig hintergingen. Dann sahen wir einander bedeutungsvoll in die Augen, wie die römischen Auguren nach den Worten Cicero’s, fingen an recht herzlich zu lachen, und lachend gingen wir auseinander, zufrieden mit unserem Abende.
Ich lag auf dem Divan, die Augen an die Decke geheftet, die Hände unter dem Nacken gekreuzt, als Werner in mein Zimmer trat. Er setzte sich in einen Lehnstuhl, stellte seinen Rohrstock in eine Ecke, gähnte und erklärte, daß es draußen sehr heiß sei. Ich erwiederte ihm, daß mich die Fliegen beunruhigten – und wir schwiegen Beide.
– Bemerken Sie, lieber Doktor, sagte ich, daß es ohne Thoren auf der Welt recht langweilig sein würde . . . Sehen Sie uns zwei vernünftige Leute an; wir wissen im Voraus, daß man über alles bis in die Unendlichkeit streiten kann, und deshalb streiten wir nicht; wir kennen fast alle geheime Gedanken des Andern; ein Wort ist uns eine ganze Geschichte; wir sehen den Keim jedes unserer Gefühle selbst inmitten einer dreifachen Schale. Das Traurige ist uns lächerlich, das Lächerliche traurig; im Allgemeinen aber, um die Wahrheit zu sagen, sind wir gegen Alles ziemlich gleichgültig, außer gegen uns selbst. So kann also ein Austausch der Gefühle und Gedanken zwischen uns nicht Statt finden: wir wissen der eine von dem andern alles, was wir wissen wollen, und mehr wissen wollen wir nicht; so bleibt uns denn noch ein Mittel übrig: Neuigkeiten mitzutheilen. Erzählen Sie mir irgend eine Neuigkeit.
Von der langen Rede ermüdet, schloß ich die Augen und gähnte . . .
Er antwortete nach einigem Nachdenken: „In unserm Gallimatias ist indessen doch noch eine Idee —“
– Zwei Ideen! entgegnete ich.
„So sagen Sie mir die eine, ich werde Ihnen die andere sagen.“
– Gut, beginnen Sie! sagte ich, indem ich fortfuhr, nach der Decke zu sehen und in mir lächelte.
„Sie möchten gern einige Details in Bezug auf einige der neuangekommenen Badegäste vernehmen, und ich errathe bereits, um wen es sich hier handelt, da man sich dort schon nach Ihnen erkundigt hat.“
– Doktor! wahrhaftig, wir dürfen miteinander nicht mehr reden: wir lesen einander in der Seele.
Jetzt die zweite . . .
– Die zweite Idee war die: ich wollte Sie irgend etwas erzählen lassen; erstens, weil es weniger ermüdet, zuzuhören; zweitens, braucht man sich nicht zu versprechen; drittens, kann man ein fremdes Geheimniß erfahren; viertens, weil so verständige Herren wie Sie, lieber Zuhörer als Erzähler leiden mögen. Jetzt zur Sache: Was sagte Ihnen die Fürstin Ligoffska von mir?
„Sind Sie so sehr überzeugt, daß es die Fürstin war . . . und nicht ihre Tochter?“
– Vollkommen überzeugt.
„Warum?“
– Weil die junge Fürstin sich nach Gruschnitzki erkundigte.
„Sie haben eine große Combinationsgabe. Die junge Fürstin sagte, sie sei überzeugt, daß dieser junge Mann im Soldatenmantel wegen eines Duelles zum Soldaten degradirt worden sei.“
– Ich hoffe doch, Sie ließen sie in diesem süßen Irrthume . . .
„Natürlich.“
– Die Verwickelung ist, da! rief ich mit Entzücken aus; für die Entwickelung dieser Komödie wollen wir später sorgen. Offenbar ist das Schicksal bemüht, mir die Langeweile zu vertreiben.
„Ich ahne,“ sagte der Doktor, „daß der arme Gruschnitzki Ihr Opfer werden wird . . .“
– Fahren Sie fort, Doktor . . .
„Die Fürstin meinte, daß Ihr Gesicht ihr bekannt sei. Ich bemerkte ihr, daß Sie ihr wahrscheinlich in Petersburg irgendwo in der großen Welt begegnet wären . . . ich nannte Ihren Namen. Er war ihr bekannt. Wie es scheint, hat Ihre Affaire dort viel Aufsehen gemacht . . . Hierauf begann die Fürstin von Ihren Abenteuern zu erzählen, indem sie wahrscheinlich zu den Verläumdungen der großen Welt ihre eigenen Bemerkungen hinzufügte . . . Das Töchterchen hörte neugierig zu. Ihre Einbildungskraft machte Sie sogleich zum Helden eines Romans im neuesten Geschmacke. Ich widersprach der Fürstin nicht, ob ich schon wußte, daß sie Unsinn sprach.“
– Würdiger Freund! sagte ich, ihm die Hand entgegenstreckend. Der Doktor drückte sie mit Wärme und fuhr fort: —
„Wenn Sie wollen, so stelle ich Sie vor . . .“
– Wo; denken Sie hin! rief ich aus, indem ich die Hände zusammenschlug: werden denn Helden jemals vorgestellt? Sie machen nicht anders Bekanntschaft, als indem sie ihr Liebchen von einem sichern Tode erretten . . .
„Also wollen Sie wirklich der jungen Fürstin die Cour machen? . . .“
– Durchaus nicht, gerade das Gegentheil! . . . Doktor, endlich trage ich den Sieg davon! Sie verstehen mich nicht! . . . Uebrigens thut mir das leid, Doktor, fuhr ich nach einem minutenlangen Schweigen fort: ich enthülle niemals meine Geheimnisse selbst, ich liebe ungemein, daß man sie erräth, weil ich in diesem Falle mich immer davon lossagen kann. Indessen müssen Sie mir noch Mutter und Tochter beschreiben . . . Was sind es für Leute?
„Zuerst also die Fürstin: sie ist eine Frau von 45 Jahren,“ entgegnete Werner; „sie hat einen guten Magen, aber verdorbenes Blut; auf den Wangen rothe Flecken. Die letzte Hälfte ihres Lebens brachte sie in Moskau zu, und wurde dort mit Gemächlichkeit recht dick. Sie liebt schlüpferige Anekdoten und spricht wohl selbst dann und wann unanständige Dinge, wenn ihre Tochter nicht im Zimmer ist. Sie erklärte mir, daß ihre Tochter so unschuldig sei wie eine Taube. Was geht das mich an? Ich hätte ihr gern geantwortet, sie könne ganz ruhig sein, ich würde es an Niemanden weiter sagen! Die Fürstin nimmt Bäder gegen den Rheumatismus, ihre Tochter nimmt sie Gott weiß weshalb. Ich befahl ihnen Beiden täglich zwei Glas Sauerbrunnen zu trinken und wöchentlich zweimal ein gemischtes Wannenbad zu nehmen. Wie es scheint, ist die Fürstin nicht gewöhnt zu befehlen: sie hat eine hohe Achtung vor dem Verstande und den Kenntnissen ihrer Tochter, welche Byron englisch gelesen hat und Algebra versteht: offenbar haben sich in Moskau die jungen Damen auf die Gelehrsamkeit geworfen, und wahrhaftig, sie thun wohl daran! Unsere Herren sind im Allgemeinen so wenig liebenswürdig, daß es für ein verständiges Frauenzimmer unerträglich sein muß, mit ihnen zu kokettiren. Die Fürstin liebt sehr die jungen Herren; ihre Tochter blickt mit einiger Verachtung auf dieselben, – eine Moskauer Gewohnheit! Die Damen werden in Moskau bloß groß gezogen, damit sie in ihrem 40sten Jahre Witzbolde seien.“