Kitabı oku: «Die Farben einer parallelen Welt», sayfa 3
Nicht selten treten die Anforderungen verschiedener Vorgesetzter, wie in jedem bürokratischen und hierarchischen System, in Widerspruch zueinander. Das wird durch einen Fall aus der Strafkolonie Nr. 4 (Horki) gut veranschaulicht. Jede Haft- und Strafzelle ist mit einem Radio ausgestattet, das vom Kontrollpult der Wärter ein- und ausgeschaltet wird, einen Lautstärkeregler in der Zelle gibt es nicht, und ihr hört das Radio in der Lautstärke, die der Wärter eingestellt hat. Doch plötzlich kam eine weitere Inspektion von der Abteilung für Strafvollzug in die Einrichtung. Der Oberchef schaute auf die Radiogeräte in den Zellen und fragte: „Warum sind die denn ohne Lautstärkeregler? Eine Unordnung ist das!“ Gleich nach dem er weggefahren war, bauten die bediensteten Häftlinge und das Hausmeisterpersonal unter der Anleitung der Lagerverwaltung in jeder Zelle Lautstärkeregler ein. Die Gefangenen waren sehr zufrieden!
Doch nach einiger Zeit kam ein anderer Chef aus derselben Abteilung. Er schaut auf und fällt fast in Ohnmacht: „Ihr habt denen Lautstärkeregler eingebaut? Seid ihr denn verrückt geworden?“ Aus seiner Sicht war das ein ganz unzulässiger Komfort, ein geradezu zügelloser Hedonismus und Sittenverfall. Innerhalb weniger Stunden rissen die bediensteten Häftlinge, dieselben, welche die Regler eingebaut hatten, sie aus jeder Zelle des Strafisolators, von denen es fast 20 gab, wieder heraus.
Aber es wäre naiv zu denken, das Vollzugsregime würde nur materielle Dinge betreffen, also ob die Gefangenen etwas haben dürfen oder nicht. Wie ich schon sagte, sein Sinn besteht darin, jeden Lebensbereich zu durchdringen. Die Vorschriften regeln die Wachzeiten und die Nachtruhe. Hast du ein paar Minuten gezögert, schon kassierst du ein Verstoßprotokoll und landest womöglich in der Strafzelle. Und wenn es in der Strafkolonie, wo Gefangenentrupps geschlossen in die Kantine oder zur Arbeit müssen, noch irgendwie rational erklärbar wäre, so ist die Existenz einer Wach- und Schlafordnung in U-Haft gar nicht nachvollziehbar; zumal dann, wenn die Zellen überfüllt sind und die Hälfte der Insassen keine Möglichkeit hat, nachts zu schlafen und deshalb tagsüber schläft. Doch es nicht nur untersagt, zu schlafen, sondern auch tagsüber auf den Betten zu liegen. Und das Gehirn eines Menschen, der gerade erst im Gefängnis gelandet ist, weigert sich zu verstehen: Warum? Wem schadet es denn, wenn ein Gefangener in der U-Haft, dessen Schuld noch gar nicht bewiesen ist, der erst beschuldigt und noch nicht verurteilt ist, wenn dieser Mensch also sich tagsüber auf die Pritsche legt und etwas schläft? Was soll man denn sonst noch in der Haftzelle tun? Aber nein, versuch es bloß, und der wachsame Aufseher wird sofort mit aller Wucht gegen die Tür treten: „Nicht schlafen!!!“ In der U-Haft in Shodsina gehen die Bullen sogar noch weiter, sie verbieten mit hochgezogenen Füßen auf dem Bett zu sitzen. Doch es ist unbequem, mit den Füßen auf dem Boden zu sitzen – die Kojen bestehen aus Quadratrohren und deren Ecken stechen in die Oberschenkel. Die restlichen „Möbel“, wenn man die überhaupt so bezeichnen kann, sind ganz offensichtlich für alles Mögliche geeignet, bloß nicht für Menschen. Sie sind mit Eisen beschlagen, hart, rissig, entweder zu hoch oder zu niedrig gebaut. Aber was soll’s, man gewöhnt sich daran, lässt sich ja nicht ändern …
Jedes Mal, wenn jemand von der Gefängnisverwaltung die Zelle betritt, muss der Häftling eine Meldung erstatten. Die lautet folgendermaßen: „Herr Vorgesetzter, in der Zelle Nummer so-und-so sind so-und-so viele Insassen anwesend. Der sanitäre Zustand entspricht der Norm. Der diensthabende Zellenälteste heißt so-und-so. Beschwerden und Anträge liegen nicht vor.“ Je nach Anstalt variiert dieser Text unwesentlich. Besonderes komisch klingt dieser Bericht in einer Einzelhaftzelle, wenn du fast jahrelang allein einsitzt und zweimal am Tag bei der Inspektion aufsagst: „Der diensthabende Zellenälteste Dziadok …“ Als ob gestern ein anderer Häftling als Zellenältester im Dienst gewesen wäre.
Von außen betrachtet, mögen all diese Regeln und Auflagen an und für sich unbedeutend erscheinen. Also wirklich, es ist doch überhaupt kein Problem: den Knopf zuknöpfen, wenn man an einem Wärter vorbeikommt, die Unannehmlichkeiten bei der Uniformwäsche ertragen, eine Meldung erstatten, Überflüssiges aus dem Nachtschrank entfernen, zumal es ja ein Gefängnis und kein Kurheim ist! Aber das ist nur auf den ersten Blick so. Das Leben eines Gefangenen setzt sich aus solchen Kleinigkeiten zusammen, und es gibt hunderte davon. Und immer stärker wird alles durch das Vollzugsregime reguliert, was das ohnehin nicht sehr süße Leben verkompliziert. Und so bleibt kein Raum, wo du spontan handeln könntest, selbst wenn es darum geht, das Bett zu machen oder um die Frage, wie du deine Freizeit gestaltest, von der ohnehin nicht viel übrig bleibt. Jede Minute musst du dich umblicken und fragen: „Habe ich es richtig gemacht? Werde ich dafür bestraft?“ Natürlich beachten die Wärter viele Abweichungen vom Regime nicht, bis es soweit ist und eine Anordnung reingeflattert kommt, die feststellt, im Strafisolator seien zu wenig Leute, oder bis ein bestimmter Gefangener nicht anfängt, seine Rechte einzufordern. Dann wirst du schnell daran erinnert, dass du einen Kugelschreiber zu viel im Nachtschrank hast, dass du unrasiert bist oder dass es im Haftraum Spinnweben gibt. Wenn du aber ein politischer Gefangener bist, dann werden sie es dich von Anfang an spüren und wissen lassen. So wie die Vorschriften derzeit formuliert sind, machen sie es sehr einfach, beliebige Gefangene in den Strafisolator zu stecken und sie von allen Seiten unter Druck zu setzen. Man muss sich nichts ausdenken oder verfälschen, warte einfach ein paar Stunden und der Häftling wird von selbst irgendeine Regel verletzen, denn ganz und gar nach den Regeln zu leben ist unmöglich. Die Logik des Vollzugsregimes zwingt die Insassen, jeden minimalen Komfort und jede Möglichkeit, ihre Bedürfnisse zu erfüllen, als Privileg wahrzunehmen, und damit sie das behalten, müssen sie sich still und gehorsam verhalten.
Auf der anderen Seite hat das Vollzugsregime den Zweck, die Gefangenen zu demütigen und ihnen das Gefühl zu geben, rechtlos und von der Vollzugsverwaltung abhängig zu sein, selbst bei der Erfüllung ihrer grundlegendsten Bedürfnisse.
Warum, glaubt ihr, gibt es in der Hälfte der U-Haft-Zellen des KGB (Amerikanka)12 keine Toiletten? Fehlen etwa Mittel und Möglichkeiten, sie auszustatten, stehen deshalb im 21. Jahrhundert in den Zellen Pisseimer, und fürs große Geschäft wirst du zwei mal am Tag rausgeführt? Die Antwort ist simpel: Der Gefangene soll das Gefühl haben, dass selbst die Erfüllung seiner natürlichsten Bedürfnisse vollständig von der Vollzugsverwaltung abhängt, weshalb sich ihr zu unterwerfen die bestmögliche aller Entscheidungen ist.
Und so ist es mit allem. Ich werde nie vergessen, wie wir uns in der Zelle von Waladarka die Nägel geschnitten haben. Für diese einfache hygienische Prozedur, die draußen in der Freiheit eure Aufmerksamkeit kein bisschen beanspruchen würde, musste man dort eine ganze Geheimoperation vollziehen. Wir hatten einen Nagelknipser in unserer Zelle – natürlich ein verbotener Gegenstand. Zuerst musste der Knipser unbemerkt vom Wärter, der jeden Augenblick durch den Türspion schauen konnte, aus dem Versteck geholt werden; dann musste er zur Toilette in die „tote Zone“, die vom Guckloch aus nicht einsehbar war, gebracht werden; die Wasserhähne mussten aufgedreht werden und erst dann konnten wir anfangen die Nägel zu schneiden. Die Wasserhähne wurden aufgedreht, damit das Rauschen des Wassers für die Wärter die charakteristischen Geräusche übertönt – „klack! klack!“ – durch die sie erraten würden, dass sich ein verbotener Gegenstand in der Zelle befindet. Danach musste der Knipser auf die gleiche Weise wieder versteckt werden.
Es ist bezeichnend, dass die Bullen jedes Verbot auf der offiziellen Ebene mit irgendwelchen rationalen Gründen zu erklären versuchen: Die Gürtel sind nicht erlaubt, damit sich keiner erhängt; Quark ist nicht erlaubt, damit sich keiner vergiftet; Kleidung mit Reißverschlüssen ist nicht erlaubt, weil alle gleich aussehen sollen; Lebensmittel sind nicht im Nachtschrank gestattet, wegen „unhygienischer Zustände“ und so weiter. Doch nicht jedes Verbot kann rational begründet werden, egal wie sehr man es versucht. Warum soll man die Meldung erstatten: „In der Zelle befindet sich ein Häftling, der diensthabende Zellenälteste ist der Gefangene so-und-so.“? Warum lassen sie die Gefangenen nicht mit den Füßen auf dem Bett sitzen? Würde das denn jemanden in Gefahr bringen? Antworten auf diese Fragen kann man finden. Zur Hilfe kommen interne Unterlagen einer Haftanstalt, die mir persönlich zu Gehör kamen. Während meines Aufenthalts in der Strafkolonie Nr. 17 (Schklou) wurden uns, „gemäß den geltenden Regimevorschriften“, Auszüge aus der internen Vollzugsordnung und verschiedene andere Erlasse über Lautsprecher verlesen. Einiges davon habe ich wortwörtlich notiert. Leider kann ich mich nicht an den genauen Titel dieses Erlasses erinnern. Da sitze ich also in Einzelhaft und eine metallene Stimme schallt aus dem Lautsprecher:
„Das Vollzugsregime für Besserungsanstalten […]. Die Besserungsfunktion des Vollzugsregimes besteht in der Festlegung von Verboten und Beschränkungen gegenüber dem Verurteilten. Ziel und Zweck von Verboten und Beschränkungen besteht darin, dem Gefangenen Leid und Kummer zu bereiten13, die dazu bestimmt sind, ihn zu zwingen, über sein bisheriges Verhalten nachzudenken.“
Als ich das das erste Mal hörte, traute ich meinen Ohren nicht. Und was ist mit dem Strafgesetzbuch, wo schwarz auf weiß geschrieben steht, dass „Strafen und andere Maßnahmen strafrechtlicher Sanktionierung NICHT14 das Ziel verfolgen, physisches Leid zuzufügen oder die menschliche Würde herabzusetzen“? Aber in seinen „internen“ Vorschriften reißt das System sich schließlich die Maske weg und zeigt offen, was der wahre Zweck des Vollzugsregimes ist. Und der Gefangene, der sich seit seinem ersten Tag in Haft fragt, wozu all diese Regeln, die in keiner Weise erklärt, gerechtfertigt und rationalisiert werden können, sieht auf einmal klar. Die sind dazu da, damit du leidest. Und all das offizielle Geschwätz der Kerkermeister über „unhygienische Zustände“, „Sicherheitsmaßnahmen“ und so weiter ist nichts weiter als Staub in deine Augen, dazu da, um einem kannibalischen und unmenschlichen System den Anschein von Legitimität und Menschlichkeit zu verleihen, dessen einziges Ziel darin besteht, dir Leid zuzufügen, um deinen Willen zu brechen.
Bemerkenswert ist, dass das Vollzugsregime und seine Anforderungen aus dem ohnehin nicht sehr klugen Personal der Strafvollzugsanstalten richtige Idioten macht. Eines Tages war es uns im Gefängnis in Shodsina irgendwie gelungen, einen Fernseher in die Zelle zu bekommen. Aber in dieser Betonkiste von Zelle hatte der einen sehr schlechten Empfang, und ihn näher ans Fenster zu stellen war unmöglich: Das Netzkabel war zu kurz und ein Verlangerungskabel war natürlich „nicht gestattet“. Und so stand der also mitten in der Zelle. Aber wenn er auf dem Boden stand, konnte man nichts sehen und wir mussten ihn irgendwie anheben. Wir hatten keine große Auswahl, und so stellten wir ihn auf eine umgedrehte Waschschüssel. Nach einer Weile kamen die Wachen zum Filzen. Deren Chef trat unverschämt auf, wandte den Kopf hin und her, suchte irgendetwas, um uns anmachen zu können. Seinem geschulten Auge fiel eine Abweichung von der Norm auf: der Fernseher auf einer umgedrehten Waschschüssel.
„Und warum steht der Fernseher da, auf der Waschschüssel?“
„Man kann nichts sehen, wenn der auf dem Boden steht, und das Kabel reicht nicht bis zum Tisch.“
Unzufriedenheit im Gesicht des Bullen. Die Schablone ist kaputt, eine Situation außerhalb des Reglements, dringender Handlungsbedarf:
„Aber das führt doch …“ – für eine Sekunde spiegelt sein Gesicht intensive Gedankenarbeit, die Suche nach einem relevanten und plausiblen Vorwand für eine Schikane – „… zum Verschleiß der Waschschüssel!“
Als sich die Tür schloss, lachten wir uns über diesen Bullen noch eine halbe Stunde lang schlapp, der hatte uns den Tag gerettet. Unsere Schlussfolgerung: Was für ein Leben! Hast es bis Mitte dreißig geschafft und rennst von einer Zelle zur anderen, um den Häftlingen was vom „Verschleiß der Waschschüssel“ zu erzählen. Das Regime haben sie für uns erschaffen, doch jetzt sind sie es, seine Diener, die noch weniger frei sind als viele Gefangene hinter Gittern.
Juli 2016
DIE UNBERÜHRBAREN
Das Kastensystem im Gefängnis wird oft in den Medien thematisiert, besonderes in solchen, die über politische Gefangene berichten. Doch fast alle, die über das Thema schreiben, kennen bestenfalls Erzählungen ehemaliger Insassen, im schlimmsten Fall nur die in der Gesellschaft vorherrschenden Stereotype. Die Folge davon sind viele grobe Fehler und eine Irreführung der Leser. Deshalb habe ich mich entschlossen, diesen Essay zu schreiben, der einige Aspekte eines so komplexen und vielschichtigen Phänomens wie die informelle Hierarchie in Gefängnissen in Belarus beleuchten soll. Ganze wissenschaftliche Abhandlungen sind zu diesem Thema verfasst worden. Und natürlich habe ich nicht den Anspruch, im Rahmen nur eines Textes das ganze Phänomen in seiner Vielfalt zu untersuchen. Ich werde vor allem über eine Gefängniskaste sprechen, deren Existenz das System stark als Ganzes charakterisiert und deren Kenntnis für jeden, der sich in einem belarusischen Gefängnis befindet, insbesondere für einen politischen Gefangenen, von entscheidender Bedeutung ist. Es handelt sich um die Kaste der „Unberührbaren“, die im Gefangenenjargon „Petuchi“19 genannt werden. Das Thema isoliert vom Gefängnissystem zu betrachten, ohne auf die Organisation des Strafapparats und die sozialen Rollen der einzelnen Gefängniskasten einzugehen, ist ziemlich schwer. Doch ich werde es versuchen.
Aus diesem Text werdet ihr erfahren:
—wie die Kaste der Unberührbaren in Gefängnissen entstanden ist;
—wie jemand Teil dieser Kaste wird;
—wie die Lage der betroffenen Personen in Gefängnissen und Strafkolonien ist;
—welche Funktionen diese Menschen in Haftanstalten erfüllen;
—warum die Existenz dieser Kaste für das Personal von Vollzugsanstalten von lebenswichtiger Bedeutung ist.
Ich schließe mit einigen Ratschlägen für die männlichen Leser, denn für jeden Mann, der in Belarus lebt, wird das Wissen über das Gefängnis nicht überflüssig sein, vor allem dann nicht, wenn er politisch aktiv ist.
Wie entstand die Kaste der Unberührbaren?
Beginnen wir mit einem Exkurs in die Geschichte. Die Kaste der sogenannten Petuchi wird traditionell mit Homosexualität in Verbindung gebracht. Und wenn wir es aus dieser Perspektive betrachten, ist es ganz einfach: Homosexualität gab es in den Haftanstalten schon immer, sowohl in den Gefängnissen der Zarenzeit als auch im Gulag der Sowjetzeit. Angesichts des extrem machistischen und homophoben Charakters der Gefangenensubkultur und der hinter Gittern geltenden informellen Gesetze wird klar, warum Homosexuelle im Gefängnis automatisch in die unterste Kaste der Unberührbaren eingeordnet werden: Der Machismo zeichnet sich durch die Verachtung alles Weiblichen aus, würdigt die Frauen auf das Niveau von Untermenschen herab und gesteht ihnen kein Recht auf einen eigenen Willen zu. Mit dieser Einstellung begegnet man dann auch den Homosexuellen. Allerdings sind Homosexuelle nur der kleinere Teil jener, die zu der Kaste der Unberührbaren zählen. Ihr gehört eine große Anzahl von Menschen an, die gegen die informellen Gefängnisgesetze der Ganoven verstoßen haben.
An dieser Stelle muss betont werden, dass die Kaste der Petuchi und die strengen Regeln, nach denen jemand in diese Kaste einsortiert wird, vor gar nicht langer Zeit entstanden ist. Diese Kaste war weder für die Gefängnisse der Zarenzeit noch für die GULAG-Gefängnisse kennzeichnend. Den Quellen nach zu urteilen, die ich studieren konnte, geht die Entstehung der Kaste der Unberührbaren (der wie gesagt auch Homosexuelle zugeordnet wurden) auf die späte Sowjetzeit zurück. Einige Forscher glauben, dass die Entstehung der Kaste von Gefangenen, die nicht mit den Händen berührt werden dürfen, eine Reaktion der Ganovenwelt auf den „Suki-Krieg“15 war: Um sich selbst zu schützen, mussten die Ganoven eine Alternative zum Mord erfinden, um Schuldige zu bestrafen. Andere schreiben, dass es eine Reaktion auf die Überbelegung in den Untersuchungsgefängnissen war: In einem überfüllten Gefängnis, rund um die Uhr in Sichtweite der Mitgefangenen, wäre die effektivste und härteste Form der Bestrafung die allgemeine Ächtung und Ausgrenzung.
Die informelle Hierarchie der Verbrecherwelt – eine kleine Einführung
Historisch gesehen gibt es in der Hierarchie der Verbrecherwelt nur drei Positionen: den „Dieb“, den „Bauern“ und den Petuch16. Man kann diese Stufen abwärts steigen, von der höchsten (Dieb) zur niedrigsten (Petuch). Von unten nach oben zu kommen, ist jedoch unmöglich. In der modernen kriminellen Subkultur von Belarus werden die Häftlinge in etwas andere Kasten eingeteilt, und zwar: „der Ganove“ („der Vagabund“, „der Anständige“), „der Bauer“, „der Ziegenbock“ und der Petuch.
„Die Ganoven“ – das sind professionelle Verbrecher, die jenseits der Gefängnismauern vom kriminellen Handwerk leben. Ihre Aufgabe besteht darin, wo auch immer sie sich gerade aufhalten, die „Idee der Ganoven“ voranzutreiben, das heisst, dem Ganovengesetz vor Ort Geltung zu verschaffen und einen „Schwarzen Gang“ einzurichten: gemeint ist, die Korruption der Gefängnisverwaltung zu fördern, das Leben der Gefangenen aus der Ebene der offiziellen Regeln und Vorschriften auf die Ebene des „Ganovengesetzes“ zu verlagern, usw. Nach dem Ganovengesetz haben nur sie das Recht, einen Gefangenen in die Kaste der Unberührbaren zu überführen. Da es aber nicht in allen belarusischen Strafkolonien Ganoven gibt – denn die „Bewegung der Ganoven“ erlebt in Belarus einen extremen Niedergang – wird diese Regel nicht eingehalten und die Zuordnung zur Kaste der Petuchi kann von allen möglichen Personen oder Gruppen erfolgen: von einem Operativen, einem „Ziegenbock“ und manchmal auch bloß von den Bauern, die nach einem kollektiven Beschluss entscheiden.
Die „Bauern“ machen den Hauptanteil der Gefängnisbevölkerung aus. Ein Bauer mischt sich nirgendwo ein, geht zur Arbeit, interessiert sich für nichts anderes außer dafür, wie er auf Bewährung freikommt. Er steht unter einem Kreuzkommando von gleich mehreren Seiten: den Ganoven (falls vorhanden), den „Ziegenböcken“ und der Verwaltung der Vollzugsanstalt.
Der „Ziegenbock“, auch „Aktivist“ genannt, ist ein Gefangener, der offen mit der Vollzugsverwaltung kooperiert. In der Regel ist er ein Gefangener mit einer langen Haftstrafe, der von der Verwaltung eine bestimmte Position bekommt und dadurch eine gewisse Macht über andere Gefangene hat. Wie groß diese Macht ist, hängt vom Grad der Faulheit des Vollzugspersonals ab. Mir sind Fälle bekannt, in denen Ziegenböcke Verstoßprotokolle über andere Insassen erstellt haben und das Verwaltungspersonal die nur noch unterschrieben hat. Oft dürfen die Ziegenböcke andere Insassen schlagen, um Hierarchien aufrechtzuerhalten. Und natürlich ist es ganz offiziell die Pflicht der Ziegenböcke, andere Häftlinge zu denunzieren. In der Strafkolonie Nr. 17 (Schklou) zum Beispiel hat ein Ziegenbock mir gegenüber ganz direkt zugegeben: „Mir wurde von den Bullen gesagt, ich soll dich im Auge behalten.“ Mindestens zwei andere haben es nicht eingestanden, doch ihren „Job“ sehr eifrig erledigt. In meiner Disziplinarakte zu meiner Überführung in ein Gefängnis befinden sich schriftliche Aussagen meines Nachbarn aus der Koloniebaracke, in denen detailliert festgehalten wird, wie ich in der Baracke ankam, wie ich mich verhalten habe, mit wem ich kommuniziert habe, mit wem ich gestritten habe, zu welchen Themen ich mich geäußert habe, usw.
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