Kitabı oku: «Lilly», sayfa 3
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Es war dunkel in ihrem Zimmer. Lilly hat von einem Traum aufgewacht. Ihr Atem war schnell und sie konnte im nächsten Moment nicht verstehen, wo sie sich befand. Die Szene des Traums stand ihr vor den Augen und sie konnte ihn sogar noch spüren – so intensiv und so real war es. Als erstes musste sich Lilly mehrmals umschauen, um sich zu sortieren.
Alles war wie gewohnt: Tom schlief auf seiner Seite des Bettes, gedreht zum Fenster. Seine Decke umarmend, lag er da ganz friedlich und atmete leise und gleichmäßig, wie man beim tiefen Schlaf so tut. Man konnte nur seine nackte Silhouette erkennen. Tom hielt die Klamotten im Bett für überflüssig. Lilly wusste, dass er diese Gewohnheit noch von seiner Ex-Freundin hatte. Eines Tages, wenn sie noch frisch verliebt waren, haben sie "Wahrheit oder Tat" gespielt und wie es so üblich ist, wurde das Gespräch nach kurzer Zeit Richtung frühere Beziehungen gelenkt. So konnte Lilly einen Beschluss daraus ziehen, dass Tom früher aufgrund seiner Erfahrungen bei den Mädels sehr beliebt war. Sie hasste alle seine Ex-Freundinnen und nannte sie "Schlampen", egal wie gut oder schlecht diese Personen waren. "Na klar, wenn man nur vorstellt, wie seine eigene(!) Hälfte mit den anderen Frauen rumtreibt..." Sie selbst hat es aber gerade getan, in ihrem Traum. Lilly war mit einem Typen zusammen, dessen Gesicht sie nicht erkennen konnte, sie wusste nur, dass es nicht Tom war. Es war, wie in ihrer früheren Fantasie, ein fremder Mann. Ohne Namen, ohne unnötige Nettigkeiten, ohne Verpflichtungen und ohne Hemmungen. Nur sie und dieser Mann, nur Berührungen, nur Lust, nur Sex. Hardcore. Bei ihm konnte sie sich erlauben, dass zu tun, was sie in der Realität nie wagen würde: sich so zu bewegen, wie sie es will, ihn und sich selbst dort zu streicheln, wo sie es will, küssen und geküsst werden, wo sie es will, so laut zu schreien, wie sie es will...
Bei ihm konnte sie alles, sie konnte sich selbst sein. Er leitete den Prozess an und trotzdem fühlte sie sich frei. Er nahm sie im Stehen und sie hatte keine Angst, zu schwer oder peinlich zu sein, denn sie sah, wie hungrig der Mann war, er wollte sie ganz. Hier und jetzt.
Lilly war erregt, sie spürte angenehme Feuchte zwischen den Beinen. Die Ansicht des nackten Körpers von Tom spornte sie an, sich näher an ihn ranzukommen. Sie berührte seinen Oberschenkel leicht mit den Fingerspitzen der linken Hand, fuhr sanft Richtung Becken fort und küsste gleichzeitig seine Schulter. Sie mochte es, wie die Härchen an seinem Bein sich anfühlten und wie gut er roch. Tom schien langsam aufzuwachen: Er drehte sich zu seiner Frau, öffnete seine Augen, schaute sie verloren an und sagte gähnend: "Ist was?"
"Ist was? Iiiiiist was??! Fragst du mich gerade, was ist??? Siehst du es etwa nicht? Spürst du nichts?!! Ich habe dich gerade geküsst!!!" Lilly konnte vor Wut gleich explodieren. Doch sie sagte nicht, was sie dachte, stattdessen konnte sie nur aussprechen: "Nein, alles ist ok, schlaf weiter", und drehte sich um.
Lilly war entsetzt, empört, wütend auf Tom und auf sich selbst. Warum konnte er sie nicht verstehen? Warum konnte sie ihm nicht sagen, was ihre Wünsche sind? Warum haben sie Sex nur ein Mal pro Monat? "Sogar diese hässliche Kollegin, Frauke, erzählt immer, dass ihr blöder Freund immer und für alles bereit ist." Lilly dachte weiter: "Alle haben guten Sex um mich herum: meine Freundin, meine Kollegin, sogar meine Kosmetikerin meint, dass jeder Akt für sie zu einem Feuerwerk wird! Und alle halten es für notwendig, mir darüber zu berichten. Gibt's noch?! Und diese idiotischen Tests in Frauenmagazinen, sogar diese sagten mir, dass ich unter Durchschnitt liege! Es ist unmöglich! Und er! Er ist wieder eingeschlafen. Immer müde! Immer bist du müde! Immer! Du hast Zeit für deinen Job und deine ständigen Telefonate, doch für mich hast du nie Zeit. Du schenkst mir jede Woche diese blöden Rosen, weil es dir so bequem ist, weil du dabei nichts Neues ausdenken musst. Und wenn wir Sex haben, entspannst du dich und lässt dich nur verwöhnen. Du bist faul! Ein fauler Sack. Du denkst, du machst diesen Job für die Familie, doch du machst ihn für dich! Verstehst du mich? Du Arsch! Ich hasse dich, ich hasse! Hasse! Dich! Weißt du was? Ich lass uns scheiden! Morgen sammle ich die Papiere..."
Lilly fing an zu weinen, weil sie verstanden hat, dass sie diesen Schritt nie wagen wird. Nicht, weil sie dafür zu feige war, sondern der Kinder wegen und aus dem Grund, dass sie ihn noch liebte. Zuerst weinte sie leise und je mehr sie sich in Gedanken ausmalte, wie ihr Leben weiter gehen wird, ohne Höhen und Tiefen, immer gleich, mit den nie endenden Freitagsrosen, desto lauter wurde sie. Sie musste aufstehen und ins Badezimmer gehen, um dort so richtig ausflippen zu können.
Tom ging hinter ihr her. Er ist mittlerweile wach geworden und wollte zuerst verstehen, was gerade ablief. Auf alle Fragen antwortete Lilly, dass nichts passiert ist und alles gut sei. Tom umarmte sie und versuchte zuerst für sich herauszufinden, was der Grund für den Weinausbruch war. Zuerst konnte er nichts verstehen, jedoch erinnerte sich paar Minuten später, wie er im Halbschlaf Lilly zurückgewiesen hat. Er hasste es, wenn seine Frau traurig war und fing an, sie zu streicheln und in das verweinte Gesicht zu küssen. Lilly schluchzte eine Weile und begann dann sich zu beruhigen. Es sollte eine Art Versöhnungssex werden. Lilly versuchte sich zu entspannten, war aber nicht mehr in der Stimmung. Sie sah, wie sehr sich Tom anstrengte und wusste dies zu schätzen. Er sah seinerseits, dass Lilly nicht besonders viel Spaß hatte, und es noch Ewigkeiten dauern wird, bis sie zu dem logischen Schuss kommt. Sie verstand, dass er es sah. Sie täuschte ihren Orgasmus vor. Das Ego des Mannes darf nicht verletzt werden – das hat sie einmal gelernt. Schließlich hatte sie vor, mit diesem Mann weiter zu leben. Morgen würde sie das Angefangene zu Ende bringen. Alleine. Am liebsten drei Mal.
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Tom mochte keine Konflikte und bevorzug Taten den Worten. So rieten die Erlebnisse der letzten Nacht quasi in die non-verbale Vergessenheit. Lilly wollte ebenso am besten keine ernsten Gespräche führen, denn dies würde bedeuten, dass sie die Wahrheit sagen sollte und die Wahrheit war bitter. Alles war wie immer. Stabil, ruhig, ausgeglichen, vorhersehbar. Da aber Tom eine innerliche Last spürte, wollte er diesmal etwas besonderes Veranstalten, natürlich davor mit Lilly abgesprochen. Für Überraschungen und ungeplante Aktionen gab es in diesem Haus keinen Platz. Also wusste Lilly Bescheid, dass dieser Samstag abgesprochen besonders sein sollte. Und besonders hieß, dass die Kiddies diesmal von Tom Samstag früh zu den Großeltern gefahren werden, was wiederum bedeuten würde, dass sie beide endlich mal frei sein könnten, ohne Angst zu haben, dass Mila und Maik sie erwischen oder geweckt werden. Besonders war auch der geplante Besuch eines Restaurants ohne Kinder.
Lilly freute sich auf diesen Abend, obwohl er durchaus geplant war und keine Spontanität zuließ. Endlich konnte sie ihre neue Spitzenunterwäsche anziehen. Sie beobachtete ihren Körper im Spiegel. "Sogar diese schöne Wäsche macht deinen Körper nicht besser! Heute Abend muss ich dafür sorgen, dass ich nur diese Duftkerzen leuchten lasse, damit Tom meine Unebenheiten nicht sieht. Ach, in dem Onlineshop sahen die Mädels so sexy in diesen Dessous aus. Egal, Hauptsache heute Abend nicht zu viel essen, dann wird alles gut."
Lilly mochte das Bild im Spiegel und mochte es irgendwie doch nicht. Eine Seite von ihr sagte, dass sie attraktiv ist, die Andere zog Vergleiche mit den ihr bekannten Frauen (in der ersten Linie mit der bildschönen Freundin Angelika) und sagte ihr, dass sie nicht genug war. Lilly hat sich eins ihrer vielen eleganten Kleidchen, die sie nur selten anzog, ausgesucht und machte die innerliche Anmerkung, dass sie im Kleid vielleicht nicht so unschön aussah. Sie lächelte sich selbst an und hat noch ein bisschen vorm Spiegel gemodelt. Ihre Stimmung war gut.
Tom war noch nicht da, aufgrund dieses besonderes Anlasses wollte er für heute Abend einen anderen Wein als sonst aussuchen und ist kurz zu seinem Weinladen gefahren. Lilly war schon fertig und wusste nicht was sie noch tun sollte. Dann hat sie sich an die Kegel-Übungen erinnert. Mittlerweile wusste sie schon, welche Muskeln im unteren Bereich sie anspannen musste und tat es zwar nicht ohne Mühe, aber zumindest wurde sie dabei nicht mehr nervös oder aggressiv. Warum es am Anfang so war, konnte sie nicht begreifen. Die Übungen machte sie nicht auf regelmäßiger Basis, aber immer, wenn sie sich daran erinnerte, wie zum Beispiel jetzt. Sie legte sich mit dem Bauch auf das Bett, und zwar so, dass ihr Kleid keine Falten hatte, nahm ihr Handy und fing an mit den Übungen, die keiner sehen konnte. Gleichzeitig schaute sie bei ihrem Instagramfeed rein: Angelika war wieder im Urlaub, irgendwo in Griechenland. In einem glitzernden Bikini, top gestylt und mit einem Kokosnuss in der Hand posierte sie vorm Sonnenaufgang. Unter dem Foto war die Beschriftung "Blessed" und ein paar Emojis: Sonne, Palme und Kokosnuss. Lilly stellte ihr ein Like und wollte zunächst im Kommentar so etwas schreiben, wie "Mmmm... lecker Kokosdrink?" und Smiley, doch dann hat sie sich anders entschieden. Sie wusste, dass Angelika Allergie auf Kokosnüsse hatte und das Ganze nur für ein schönes Foto gestellt war. Lilly wollte sie nicht verletzten, obwohl sie auch wusste, dass Angelika diesen Kommentar richtig, also als Spaß, verstehen würde. Sie hat ihr nur ein Smiley mit breit geöffneten Händen gesendet.
Das ganze Instagram war voll mit frisch gemachten Fotos und Stories. Es war Samstag und alle schienen eine interessante Beschäftigung zu haben: Kino, Party, Kochkurse, Museen- und Freundesbesuche! Alle waren so glücklich. Sogar die Einkäufe im Supermarkt sahen nach Spaß aus. Lilly postete sehr selten etwas. Ja, ihr Alltag war gewöhnlich. Vielleicht sollte sie diesmal ein Selfie posten? Lilly hat die Kamera angemacht und wollte schon ein Foto schießen, doch konnte keinen guten Winkel finden und hat es gelassen. Ziemlich bescheuert, meinte sie, sieht es aus. Sie hat noch nie Selfies gemacht, diesmal war es anscheint auch nicht der günstigste Zeitpunkt dazu.
Ein populärer Spruch in den sozialen Netzen lautet: "Wenn du nicht weißt, was zu tun ist, mache Po-Training. Dein Problem lösest du vielleicht damit nicht, doch einen knackigen Po zu haben, wird dir nie schaden." Lilly hat auf die Übungen im Po-Bereich umgestiegen. Sie konnte die entsprechenden Muskeln Innen noch nicht separat anspannen, deshalb presste sie ihre Po-Backen dabei kräftig zusammen und entspannte sie dann. Völlig konzentriert und eingezogen in die perfekten Welten der Instagram-Nutzer, merkte sie nicht, wie Tom rein kam und sie von der Seite beobachtete. Ihm gefiel der Anblick auf die rhythmischen Bewegungen ihres Hinterteils. Auf den Zehenspitzen kam er zu seiner Frau und klapste sie auf den Po.
Lilly hat sich erschrocken. "Autsch! Du hast mich aber erschrocken!" Ihr Handy ist auf den Boden gefallen.
"Sorry, wollte ich nicht, hab' nur beobachtet, was du da so treibst." Er hatte Lust seine Frau an der Stelle auszuziehen und von Hinten zu nehmen. So verführerisch war der Gedanke, konnte er es nicht tun, denn der Tisch im Restaurant war reserviert und er wollte nicht, seine Versprechungen brechen.
"Was denn? Ich schaute nur, was es da bei Instagram so abläuft. Die Schneiders haben umgezogen, wusstest du das?" Lilly stand vom Bett auf, hob ihr Handy und richtete ihr Kleid glatt.
"Nein, wohin denn?" Tom ging die Treppe runter, um auf Lilly in der Flur zu warten.
"Keine Ahnung, sie haben keine Ortungsangabe gemacht. Es ist eine 2-Zimmer-Wohnung. Sieht nicht schlecht aus: Hohe Decken und Fenster. Recht modern eingerichtet. Siehst du meine Tasche irgendwo? Ich kann sie nicht finden... So eine kleine schwarze mit einer silbernen Kette..."
"Ne, sehe ich nicht. Unser Taxi ist schon da. Kannst du nicht eine andere nehmen?"
"Hab sie..."
Lilly hatte Hunger. Sie wartete auf den bestellten Steak, trank Wein und schaute sich um, solange Tom, sich auf dem Rückweg aus der Toilette, auf seinen Kollegen gestoßen, ein branchenübliches Kurzgespräch führen musste.
Im Restaurant saßen unterschiedliche Menschen: Paare, Familien mit Kindern, Kollegen, wie es sich auch herausgestellt hat, sogar ein paar Einzelpersonen. Und alle wollten eins: Entspannung nach der Arbeitswoche, Abwechslung von dem Alltag. Sie sahen schöner als sonst aus, weil sie für diesen Abend frei hatten.
Lilly beobachtete den Eingangsbereich und sah einen gefühlt zwei Meter großen Typen reinkommen. Er sah nicht besonders hübsch aus, doch seine athletische Statur machte ihn sehr attraktiv. Andere Frauen schauten ihn mit Interesse an. Ist er alleine? Der Mann zog seinen leichten Mantel aus, lächelte die Empfangsfrau an und erschien noch sympathischer als zuvor. Eine junge kleine Kellnerin, scheinbar ebenso von dem Mann beeindruckt, führte ihn zu seinem Tisch. Sie sah fast doppelt so klein aus als er. Der Mann merkte nicht, dass fast alle Frauen im Raum ihn vorsichtig anschauten. Lilly war keine Ausnahme. Der Typ war unglaublich gut. Sie hat sich auf dem Gedanken ertappt, dass sie gerne so einen starken Mann an ihrer Seite hätte. Einen, der stark und kräftig ist, Einen, der Sicherheit gibt, an dessen Seite man locker lassen kann. Sie wollte neben ihm zart und weiblich sein. Sie wollte, dass er sie in seine muskulösen Arme nimmt, wollte seine etwas groben Bewegungen spüren. Sie wollte jemanden, dem sie sich völlig und ganz anvertrauen konnte, sowie mental als auch körperlich. Sie wollte angeleitet werden. Lillys Blick wanderte langsam über seinem Oberkörper. Das, was sie sah, war wie ein Balsam für ihre Augen: Es fühlte sich gut an, erregend und gleichzeitig beruhigend.
Früher konnte und wollte sie sich nicht erlauben, einen anderen Mann so unverschämt anzuschauen. Und wenn sie mit sich selbst total ehrlich war, hatte sie früher darüber gar nicht nachgedacht. Sie hatte dieses Bedürfnis bisher nicht gehabt. Jetzt war es wie ein Spaziergang auf der frischen Luft.
"Entschuldige, dass ich so lange mit dem Kollegen quatschen musste. Er wollte nicht aufhören zu sprechen." Tom ist zurückgekommen.
Lilly kehrte in die Realität zurück, schaute ihren Ehemann an und musste unbewusst die Vergleiche mit dem muskulösen Typen ziehen. Tom war ebenso groß und relativ kräftig gebaut, doch im Vergleich zu dem unbekannten Mann wirkte er irgendwie gedrückt. Und sein in den letzten Jahren etwas größer gewordener Bauch trug seiner Charme nicht bei. "Warum verändern sich die Menschen so schnell?" Dieser Körper strahlte keine Stärke aus, sondern etwas Gemütliches. Geborgenheit? Es war etwas Selbstverständliches dabei. So musste es sein. Jedoch wollte Lilly noch die andere Facette seines Mannes erleben, die Facette, die er früher hatte und die einfach verschwunden war. Plötzlich. Ohne Vorwarnung. Von der Spontanität, Lebensfreude und Risikobereitschaft war kein Zeichen mehr geblieben.
"Kein Problem", antwortete Lilly. Was sollte sie denn noch sagen?
Sie saßen in diesem schicken Restaurant, unterhielten sich über die übrigen Themen, sprachen mehrmals darüber, wie schön es war, mal ohne Kinder etwas unternehmen zu können, und alles war gut. Eigentlich.
Lilly schaute nach vorne und sah, wie eine junge Dame dem Tisch mit dem gutgebauten Mann näherte. Sie kam definitiv zu spät (der Mann saß dort schon seit mehr als einer halben Stunde), und trotzdem eilte sie sich nicht. Sie sah gut gestylt aus. Hinter ihrer Ruhe verborg sich ein fester Glaube an ihrer eigenen Selbstgenügsamkeit. Sie musste niemandem etwas beweisen oder sich rechtfertigen. Der Mann, der scheinbar ihr Freund war, stand auf, küsste sie und rückte ihr beim Hinsetzten, wie ein Gentleman es so tut, den Stuhl zurecht. Sie begannen sich nett zu unterhalten und die nachgereichte Menükarte zu studieren. Er schien überhaupt nicht geärgert zu sein, dass seine Freundin sich so sehr verspätet hat. Wahrscheinlich war es für ihn ok.
Lilly war von dieser aufmerksamen Art sehr beeindruckt, sie wollte auch auf sich warten lassen. Es war eine andere Art von Aufmerksamkeit als diese von Tom. Bei Tom ging es eher Richtung Fürsorge...
Lilly war in ihren Gedanken verloren und führte das automatische Gespräch mit ihrem Mann. Mal nickte sie, mal lächelte sie ihn an, mal sagte sie etwas, ohne nicht wirklich in die Hintergründe einzutauchen. Sie erwachte in dem Moment, wenn sie "ich auch" sagte und ihren Glas erhob, um mit ihrem Mann anzustoßen. Tom schaute liebevoll in ihre Augen und fügte noch hinzu "Auf dich! Du bist das Beste, was ich je hatte". Lilly begrifft, worauf sie "ich auch" antwortete: Er sagte, dass er sie liebt. Diese Worte berührten sie nicht mehr. Sie erwiderte seinen Blick, trank ihr Glas leer aus und verabschiedete sich für einen kurzen Augenblick.
Während dieses kurzen Augenblickes in der Damentoilette musste sie zuerst die hochaufkommenden Tränen unterdrücken, denn sie fühlte sich verloren und ratlos. Eine Mischung kontroverser Gefühle erschien in ihr in der kürzesten Zeit. Einerseits hat sie gemerkt, dass ihre Liebe zu Tom etwas verblassen war, dieses Gefühl war wohl nicht mehr so intensiv wie früher. Und sie wollte etwas Anderes erleben, eine andere Art von Liebe. Andererseits wusste sie, dass sie mental von ihm abhängig war und ihn nie verlassen oder betrügen würde.
Sie trauerte um die ganzen Fantasien und die Möglichkeiten, die sie nie erleben wird. Sie trauerte um die nicht erfüllbaren Träume. Lilly machte das eiskalte Wasser an und hielt ihre Hände einige Minuten unter dem starken Wasserstrahl. Langsam fühlte sie sich besser. Sie schaute ihre Spiegelung an und dachte, dass es doch Glück ist, so einen guten liebenden Mann wie Tom zu haben. Sie pustete erleichtert aus, lächelte sich selbst an und kehrte zurück zum Tisch, wo das Dessert schon mal serviert wurde.
Der Rest des Abends verlief durchschnittlich. Durchschnittlich gut oder durchschnittlich normal – Lilly konnte keine richtige Definition dafür finden. Wenn sie nach Hause kamen, gab es wiederum ihren durchschnittlichen Sex in der gewöhnlichen Pose, wobei sie nach mehreren Anstrengungen etwas, was sich einem Orgasmus ähnelte, bekam und daraufhin einschlief.
8
Angelika feierte ihre Geburtstage groß und immer genau an dem Tag, wann sie Geburtstag hatte, egal ob es ein Sonntag, Mittwoch oder Montag war. Sie lud eine Unmenge von Leuten zu ihrer Party ein, und wer an dem Tag nicht kommen konnte, weil er oder sie morgen früh aufstehen sollte, oder aus welchem Grund auch immer, war selber schuld. So war es auch diesmal gewesen, dass ihr Geburtstag auf einen Wochentag ausfiel. Sie meinte: "Warum soll ich doch bis zum kommenden Wochenende warten, wenn ich schon heute feiern kann?" Das war ihre Logik. Für Lilly machte sie allerdings immer eine Ausnahme, einerseits, weil sie fast nie dabei sein konnte und andererseits, weil sie ihre beste Freundin war.
Ausgerechnet an diesem Montag musste Tom an einer wichtigen Skype-Konferenz mit den Partnern aus den USA teilnehmen. So konnte Lilly nicht bei der Geburtstagsparty ihrer besten Freundin erscheinen, stattdessen blieb Lilly mit den Kindern zuhause. Schon mehrmals versuchte sie, Angelika an diesem Tag telefonisch zu erreichen, um sie zu gratulieren, doch ihre Freundin ging nicht ran. Lilly war schon dabei, ihr eine WhatsApp-Nachricht mit den Glückwünschen zu schicken, als Angelika zurück rief:
"Na, meine Süße. Ich warte auf die Glückwünsche." Sie hatte sehr gute Laune und an ihrem Ton konnte man erkennen, dass sie gerade lächelte.
"Hey du, Selbstbewusstsein muss ich dir wohl nicht wünschen – davon hast du genug", Lilly klang verspielt pfiffig. "Also, meine Liebe, ich wünsche dir, dass dein Herzenswunsch in diesem Jahr in Erfüllung geht und dass du zu mir kommst, damit ich dir dein Geschenk überreichen kann."
"Danke... aber mit dem Besuch bei dir wird es demnächst nicht klappen", sie hielt eine Pause aus, denn ich habe für Samstag den Tisch in dieser Piano-Bar reserviert. Diese, mit Live-Musk, wo wir schon Ewigkeiten zusammen hin wollten. Und ich will keine Abers hören. Dein Tom kann auch ein Mal mit den Kindern den Abend alleine verbringen. Schließlich ist es mein letzter 26. Geburtstag, den ich im Leben habe."
"Aber..."
"Was habe ich gesagt? Keine Widersprüche. Lilly, komm, wann haben wir uns zum letzten Mal gesehen? Und das wird das beste Geschenk von dir sein, das du mir machen kannst. Soll ich etwa Tom anrufen und ihn Fragen, ob er den Abend mit den Kids verbringt?"
"Ach nein, ich mache es schon. Du..."
"Super, ich hole dich dann am Samstag um 20.00 Uhr ab."
"So späääät?"
"Wie sonst? Für eine Bar ist es noch recht früh. So. Gut. Ich muss schon gehen. Nicht, dass die Gäste sich langweilen. Tschüssi, meine Süße."
Angelika legte den Hörer schneller ab, als Lilly noch etwas hinzufügen konnte. "Typisch Angelika", dachte Lilly und lächelte vor sich hin.
Wenn Tom nach Hause kam, sagte ihm Lilly fast entschuldigend, dass ihre Freundin mit ihr am Wochenende in die Bar wollte und den Tisch schon reservierte. Er war nicht besonders zufrieden damit, dass er einfach vor der Tatsache gestellt wurde, dass Lilly am Samstag ausgehen wollte, doch konnte ihr nicht Nein sagen. Schließlich war seine Frau diejenige, die nur selten die Gelegenheit bekam, irgendwohin auszugehen und immer zuhause mit den Kindern blieb, während Tom die Überstunden machte oder auch manchmal in die Geschäftsreise musste.
***
Angelika kam 15 Minuten früher als erwartet.
"Ich ließ den Taxifahrer warten, also beeile dich nicht", meinte sie zu Lilly und zwinkerte mit dem Auge... "Hey Mäuschen, schau mal, was ich dir mitgebracht habe."
"Ach Angelika, immer bringst du diese Schokolade mit. Du weißt doch, alles, was du ihnen gibst, werden sie vernaschen."
"Genau, das ist auch der Sinn der Sache. Solange sie ein Kind ist, darf sie noch Süßigkeiten essen, später muss sie auf ihre Figur achten und darauf verzichten, nicht wahr Mila? Und das ist für deinen Bruder."
Die kleine Mila, mit einer Tüte Schokobonbons in der einen Hand und einer schon aufgemachten Vollmilchschokoriegel in der Anderen, strahlte vor Freude. Lilly rannte hektisch von einer Ecke des Hauses zur Anderen, um alles nochmals zu kontrollieren: Ob die Pyjamen für die Kleinen vorbereitet waren, ob das Herd ausgeschaltet wurde, ob sie alles Notwendige mitgenommen hat. Tom mit Maik auf den Armen kam gerade von der oberen Etage runter.
"Hi Angelika, herzlichen Glückwunsch nachträglich. Lässt ihr mich heute mit den Kleinen alleine? Ich hoffe, ihr werdet da nicht allzu lange bleiben?" Die Frage klang nett, aber trotzdem irgendwie wie ein Statement.
"Wir schauen mal. Du bist ein braver Mann. Du schaffst es schon, einen Abend ohne deine Frau zu verbringen, oder?" Sie wartete wie immer nicht auf die Antwort. "Lilly, wo steckst du denn? Es ist mir schon ganz warm."
"Da... ich bin da... so... Schlüssel, Portemonnaie, Handy... ich glaub, ich hab alles. Tom bitte pass auf, dass die Mäuschen nicht so viel Süßes naschen und sonst ruf mich doch an. Mila, Maik, hört gut, was euch Papa sagt und geht bald schlafen. Mami kommt bald wieder. So... Tschüss meine Lieben, wir sind verschwunden."
Draußen war es kalt und dunkel. Die beiden Freundinnen verließen das Haus, rannten über den verschneiten Weg schnell zum noch da stehenden Auto und stiegen ein. Angelika nannte die Zieladresse und hat aus der Tasche zwei kleine Fläschchen Sekt rausgeholt. "Hier, für dich. Heute habe ich vor viel Spaß zu haben!" Je weiter vom Zuhause, desto entspannter fühlte sich Lilly. Sie war nicht mehr so hektisch und gestresst, allerdings vollkommen sorgenfrei war sie auch nicht. Sie fragte ihre Freundin aus, ob sie gut genug angezogen war, wie sie sich benehmen musste und was sie in der Bar bestellen sollte. Angelika meinte, dass Lilly sie selbst bleiben sollte. Auch wenn es eine coole Bar war, die auch bei zahlreichen Prominenten beliebt war, hieße es laut Angelika nicht, "dass diese Menschen Diamanten im Arsch haben" haben. Und irgendwie hatte sie Recht.
Die Piano-Bar war tatsächlich richtig gut: gleichzeitig gemütlich und erstklassig. Etwas abgedunkelt mit vielen kleinen Tischen und einer Live-Musik-Ecke, wo, wie man vermuten konnte, ein Klavier stand, wurde in der Bar eine schöne Lounge-Atmosphäre erschaffen, um sich bei leiser Musik gut unterhalten zu können. Lilly schaute die Karte an und meinte, dass sie doch etwas zu Hause hätte essen sollen, bevor sie abgeholt wurde, denn es gab im Menu nur ein paar leichte Snacks, ansonsten nur alkoholische Getränke.
Die Karte war sehr beeindruckend, wie preislich als auch auswahltechnisch: So ein großes Sortiment an Whisky hat Lilly noch nie gesehen. Die ganzen Labels sagten ihr allerdings nichts. Die Beiden hatten eine überteuerte Sektflasche und eine Käseplatte bestellt, so wollte es Angelika haben. Schließlich war das ihr Fest. Auf den fast leeren Magen hat der Alkohol rasch seine Wirkung gezeigt. Lilly hat beinahe vergessen, ihr Geschenk der Freundin zu überreichen, doch hat sich daran später erinnert. Inzwischen musste sie immer wieder auf ihr Handy schauen, nur damit sie keinen Anruf von Tom verpasst. Angelika gefiel es natürlich nicht besonders gut und sie hat Lilly dazu überredet, ihr Handy bis 12.00 Uhr auszuschalten. Sie hat es damit begründet, dass Tom "ein erwachsener verantwortungsvoller Mann ist, der in der Lage ist, keinen Mist in diesen paar Stunden zu bauen." Sie hatte Recht: Tom konnte gut mit den Kindern umgehen und bewahrte immer den klaren Kopf. Ohne Frage musste Lilly zuerst ihrem Mann Bescheid geben, dass sie ihr Handy für einige Stunden ausschaltet. Sie hat es allerdings etwas anders formuliert. Sie begründete ihre Unerreichbarkeit damit, dass der Empfang in der Bar schlecht war, was auch keine Lüge an sich darstellte, und dass sie deswegen womöglich nicht erreichbar sein wird, hat dann noch Tom versprochen, sich spätestens um die Mitternacht bei ihrem Mann zu melden.
Mit dem ausgeschalteten Handy wirkte Lilly viel entspannter. Die Mädels amüsierten sich, haben viel gesprochen und gelacht, und wenn alle Klatsch und Tratsch Themen schon abgehackt wurden, fingen sie an, die Menschen an den anderen Tischen zu beobachten und zu besprechen. Irgendwann mal fragte Angelika ihre Freundin, ob sie einen Typen am gegenüber stehenden Tisch attraktiv fand.
"Was heißt attraktiv", antwortete Lilly. Wenn sie angetrunken war, verwandelte sie sich in eine Philosophin. "Das kann ich nicht so direkt beurteilten. Optisch sieht er nicht schlecht aus, doch mein Typ ist er nicht."
"Ok, ich werde dann die Frage etwas anders formulieren: Würdest du mit ihm schlafen oder nicht?"
"Rein hypothetisch?"
"Rein hypothetisch, wenn du es willst. Also: ja oder nein?"
"Nein. Eher nicht, er ist mir, glaub ich, zu alt."
"Na gut, gibt es jemanden in diesem Raum, mit dem du es tun würdest?"
"Angelika, muss es jetzt wirklich sein?"
"Ja, muss es. Das ist für deine Auflockerung. Komm, es ist wohl nur ein Spiel. Du hast mir doch selbst vorhin über diesen kräftigen Mann im Restaurant erzählt. Gibt es hier jemanden in der Art?"
"Weiß ich nicht. Lass mich schauen... ich habe das Gefühl, die Leute merken, dass wir über sie sprechen."
"Woher denn? Starre sie einfach nicht so lange an. Man braucht nur wenige Sekunden, bis man sich im Unterbewusstsein entscheidet. Das habe ich irgendwo gelesen... Sieben Sekunden, glaub ich."
Sie spielten also weiter, schauten vom Tisch zu Tisch und teilten einander mit, ob sie die dort sitzenden Männer anziehend genug fanden, um mit ihnen, natürlich nur theoretisch, intimen Kontakt haben zu können. Lilly hatte unglaublich viel Spaß mit ihrer Freundin und kicherte ab und an wie ein Teenager. Wenn die Sektflasche leer war, wollte Angelika noch eine zweite bestellen, doch Lilly hat sie aufgehalten. Sie meinte, dass sie ihr Limit nicht überschreiten wollte und jetzt lieber einen Saft trinken würde. Worauf ihre Freundin zwar Verständnis zeigte, doch es nicht lassen konnte, eine Anmerkung zu hinterlassen, wie langweilig Lilly sei. Angelika hat sich also noch einen komischen Cocktail mit Gurke bestellt und ihre Freundin verblieb dann beim Orangensaft, um ihren Verstand etwas aufzufrischen, bevor sie nach Hause fährt.
Nachdem die Bestellung kam, setzten sie ihr Mit-wem-würde-ich-Sex-haben-Spiel fort. Es war kurz vor zwölf. Ein neues Paar kam hinzu und nahm den freien Platz vor der Live-Ecke. In diesen Menschen erkannte Lilly das Paar aus dem Restaurant und zögerte sich nicht, darüber Angelika zu berichten.
"Aha, solche Typen magst du also. Aber halt! Du meintest eben gerade, dass der hübsche junge Kellner dir sympathisch ist. Er sieht aber ganz anders aus: schlank, brav, mit einer Brille... wie ein Nerd eher. Jetzt bin ich etwas verwirrt."
"Na ja... ich finde die Beiden irgendwie gut. Zwei unterschiedliche Typen und jeder hat etwas, was der Andere nicht hat. Wenn man nur alles gleichzeitig haben könnte."
"Wie meinst du das?"
"Wie soll ich es meinen? Dass man die beiden Männer gleichzeitig haben kann..."
"Meinst du jetzt, dass du nichts dagegen hättest, mit ihnen beiden gleichzeitig Sex zu haben. Rein hypothetisch, du weißt ja."
"Mmmmm... ja... aber nur in Theorie." Lilly war selbst überrascht, was sie eben gerade gesagt hat.
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