Kitabı oku: «Festmahl der Drachen », sayfa 2
KAPITEL VIER
Thor versuchte, Luft zu holen und dem Wasser auszuweichen, das seine Augen, Nase und Mund bedeckte und von allen Seiten auf ihn herunterströmte. Nachdem er quer über das ganze Schiff gerutscht war, hatte er es schließlich geschafft, die hölzerne Reling zu packen und sich mit aller Kraft daran zu klammern, während das erbarmungslose Wasser sein Bestes gab, seinen Griff zu lockern. Jeder Muskel in seinem Körper zitterte, und er wusste nicht, wie lange er sich noch festhalten konnte.
Um ihn herum taten es ihm seine Brüder gleich, klammerten sich ums nackte Leben an alles, was sie fassen konnten, während das Wasser sie vom Schiff spülen wollte. Irgendwie schafften sie es, durchzuhalten.
Der Lärm war ohrenbetäubend und er hatte Schwierigkeiten, mehr als ein paar Fuß weit zu sehen. Trotz des Sommertages war der Regen kalt, und das Wasser schickte ein Frösteln durch seinen Körper, das er nicht abschütteln konnte. Kolk stand mit grimmiger Miene da, die Hände in die Hüften gestützt, als wäre er immun gegen die Regenwand, und bellte um sich.
„ZURÜCK AN EURE SITZE!“, schrie er. „RUDERT!“
Kolk selbst setzte sich hin und fing zu rudern an, und in wenigen Momenten rutschten und krochen die Jungen über das Deck auf die Bänke zu. Thors Herz pochte, als er selbst losließ und sich über das Deck mühte. In seinem Hemd winselte Krohn, als Thor ausrutschte und hart auf dem Deck aufschlug.
Er kroch den Rest des Weges und war schon bald wieder an seinem Sitz.
„BINDET EUCH FEST!“, schrie Kolk.
Thor blickte nach unten auf die geknoteten Seile unter seiner Bank, und endlich verstand er, wofür sie gut waren: er nahm eines auf und band es sich ums Handgelenk, somit fest mit der Bank und dem Ruder verbunden.
Es funktionierte. Er rutschte nicht mehr. Und schon bald konnte er zu rudern beginnen.
Um ihn herum fingen die Jungen wieder zu rudern an, Reece auf der Bank vor ihm, und Thor spürte, wie das Schiff sich in Bewegung setzte. Nach wenigen Minuten lichtete sich der Regenwall über ihnen.
Während er ruderte und ruderte, seine Haut von diesem seltsamen Regen brannte und jeder Muskel in seinem Körper schmerzte, ließ das Regengeräusch schließlich nach und Thor fühlte immer weniger Wasser auf seinen Kopf niederprasseln. Nach wenigen weiteren Augenblicken kamen sie unter sonnenklaren Himmel.
Thor blickte sich schockiert um: es war absolut trocken und hell. Etwas so Merkwürdiges hatte er noch nie erlebt: die Hälfte des Schiffs stand unter einer trockenen, leuchtenden Sonne, während die andere noch begossen wurde, während sie aus dem Rest des Regenwalls hervorkam.
Endlich lag das ganze Schiff unter dem klaren blauen und gelben Himmel, und die warme Sonne brannte auf sie herunter. Es war nun ruhig, der Regenwall verschwand rasch, und seine Waffenbrüder warfen einander verdutzte Blicke zu. Es war, als wären sie durch einen Vorhang in eine andere Welt gesegelt.
„HALT!“, schrie Kolk.
Um Thor herum ließen die Jungen mit einem gemeinsamen Aufseufzen ihre Ruder fallen und schnappten nach Luft. Thor tat es ihnen gleich; er fühlte jeden Muskel in seinem Körper zittern und war dankbar für die Pause. Er ließ sich nach vorne fallen, schnappte nach Luft und versuchte, seine schmerzenden Muskel zu entspannen, während das Schiff durch diese neuen Gewässer glitt.
Endlich hatte Thor sich erholt und stand auf, um sich umzublicken. Er blickte auf das Wasser hinunter und sah, dass es die Farbe geändert hatte: es war nun ein helles, leuchtendes Rot. Sie waren in einem anderen Ozean angelangt.
„Die Drachensee“, sagte Reece neben ihm, der ebenso gebannt hinunterstarrte. „Man sagt, es ist rot vom Blut seiner Opfer.“
Thor betrachtete das Wasser. Es blubberte an manchen Stellen, und in der Ferne tauchten seltsame Geschöpfe kurz aus den Fluten hoch, um wieder abzutauchen. Keine von ihnen blieb lange genug sichtbar, dass er einen guten Blick auf sie werfen konnte, doch er wollte sein Glück nicht herausfordern, indem er sich weiter vorlehnte.
Thor versuchte verwirrt, alles zu erfassen. Alles hier auf dieser Seite des Regenwalls schien so fremd, so anders. Es lag sogar ein leichter roter Nebel in der Luft, der tief über dem Wasser schwebte. Er betrachtete den Horizont und sah dutzende kleiner Inseln, die wie Trittsteine über den Horizont verteilt waren.
Eine starke Brise kam auf und Kolk trat vor und bellte:
„SETZT DIE SEGEL!“
Thor sprang gemeinsam mit den anderen Jungen in Aktion, packte Taue und zog an ihnen, um die Brise einzufangen. Die Segel füllten sich und ein Windstoß trug sie vorwärts. Thor spürte, wie das Schiff sich unter ihnen schneller bewegte als je zuvor, und sie fuhren auf die Inseln zu. Das Schiff schwankte über riesige, sanfte Wellen, die aus dem Nichts aufkamen und sich sanft auf und ab bewegten.
Thor spazierte zum Bug, lehnte sich gegen die Reling und hielt Ausschau. Reece tauchte neben ihm auf, und O’Connor auf seiner anderen Seite. Nebeneinander standen sie da, und Thor sah zu, wie die Inselkette rasch näherkam. Sie standen lange Zeit schweigend da, und Thor genoss die feuchte Brise, während sein Körper sich entspannte.
Schließlich stellte Thor fest, dass sie auf eine bestimmte Insel zusteuerten. Sie wurde größer, und Thor fröstelte, als er erkannte, dass sie das Ziel ihrer Reise war.
„Die Insel der Nebel“, sagte Reece ehrfürchtig.
Thor betrachtete sie staunend. Langsam wurde ihre Gestalt erkennbar—sie war felsig und zerfurcht, karg, und erstreckte sich über mehrere Meilen in beide Richtungen, lang und schmal, geformt wie ein Hufeisen. Riesige Wellen krachten gegen ihre Küste, ihr Grollen sogar von hier zu hören, und warfen sich schäumend gegen enorme Felsbrocken. Ein winziger Streifen Festland war hinter den Felsen zu sehen, und dahinter eine Klippenwand, die sich senkrecht hoch in die Lüfte erhob. Thor konnte nichts sehen, wo ihr Schiff sicher anlegen konnte.
Ein roter Nebel, der wie Tau über der ganzen Insel hing und in der Sonne funkelte, trug zur Merkwürdigkeit dieses Ortes bei. Er verlieh ihm eine Atmosphäre, die nicht ganz geheuer war. Thor konnte etwas Unmenschliches, Unirdisches an diesem Ort verspüren.
„Man sagt, sie hat Millionen Jahre überstanden“, fügte O’Connor hinzu. „Sie ist älter als der Ring. Sogar älter als das Imperium.“
„Sie gehört den Drachen“, fügte Elden hinzu, der sich neben Reece gesellt hatte.
Thor sah zu, wie die zweite Sonne plötzlich am Himmel versank; in wenigen Momenten wandelte sich der Tag von sonnig und hell zu beinahe Sonnenuntergang, und der Himmel färbte sich rot und violett. Er konnte es nicht glauben: noch nie hatte er gesehen, dass die Sonne sich so schnell bewegte. Er fragte sich, was in diesem Teil der Welt sonst noch alles anders war.
„Wird diese Insel von einem Drachen bewohnt?“, fragte Thor.
Elden schüttelte den Kopf.
„Nein. Ich habe gehört, dass er in der Nähe lebt. Man sagt, der rote Nebel entsteht aus dem Atem des Drachen. Er atmet bei Nacht auf einer benachbarten Insel, und der Wind trägt es herüber und bedeckt die Insel bei Tag.“
Thor hörte ein plötzliches Geräusch; zuerst klang es wie ein tiefes Grollen, wie Donner, lange und laut genug, um das Schiff zum Erbeben zu bringen. Krohn, der immer noch in seinem Hemd lag, duckte den Kopf und winselte.
Die anderen wirbelten alle herum, und auch Thor drehte sich herum und hielt Ausschau; irgendwo am Horizont glaubte er, den blassen Umriss von Flammen erkennen zu können, die in den Sonnenuntergang flackerten und dann in einer Wolke schwarzen Rauchs verschwanden, wie der Ausbruch eines kleinen Vulkans.
„Der Drache“, sagte Reece. „Wir sind nun in seinem Revier.“
Thor schluckte und staunte.
„Aber wie können wir hier dann in Sicherheit sein?“, fragte O’Connor.
„Ihr seit nirgendwo in Sicherheit“, ertönte eine dröhnende Stimme.
Thor wirbelte herum und sah Kolk da stehen, Hände in die Hüften gestützt und über ihre Schultern hinweg den Horizont betrachtend.
„Das ist der Zweck der Hundert: jeden Tag in Lebensgefahr zu verbringen. Dies ist keine Übung. Der Drache lebt in der Nähe, und es gibt nichts, was ihn davon abhält, anzugreifen. Es ist unwahrscheinlich, dass er es tun wird, da er habsüchtig den Schatz auf seiner eigenen Insel bewacht, und Drachen nicht gerne ihre Schätze unbewacht lassen. Doch ihr werdet ihn brüllen hören und bei Nacht seine Flammenstöße sehen. Und wenn wir ihn irgendwie erzürnen, gibt es keine Gewissheit, was alles passieren kann.“
Thor hörte ein weiteres tiefes Grollen, sah einen weiteren Flammenstoß am Horizont und sah die Insel immer näher kommen, umspült von tosenden Wellen. Er blickte zu den steilen Klippen hoch, einer schieren Felswand, und fragte sich, wie sie jemals nach oben auf ihr flaches und trockenes Land gelangen würden.
„Aber ich kann nirgends sehen, wo ein Schiff anlegen könnte“, sagte Thor.
„Das wäre zu einfach“, schoss Kolk zurück.
„Und wie kommen wir dann auf die Insel?“, fragte O’Connor.
Kolk grinste auf sie hinunter; es war ein fieses Grinsen.
„Ihr schwimmt“, sagte er.
Einen Moment lang fragte sich Thor, ob er scherzte; doch dann erkannte er an seinem Gesichtsausdruck, dass es ihm ernst war. Thor schluckte.
„Schwimmen?“, wiederholte Reece ungläubig.
„Diese Wasser strotzen vor Ungeheuern!“, sagte Elden.
„Oh, das ist das geringste Problem“, fuhr Kolk fort. „Diese Fluten sind tückisch; diese Wirbel können euch in die Tiefe reißen; diese Wellen werden euch gegen diese scharfen Felsen schmettern; das Wasser ist heiß; und wenn ihr es an den Felsen vorbei geschafft habt, müsst ihr einen Weg finden, diese Klippen hoch auf festen Boden zu klettern. Wenn die Meereskreaturen euch nicht vorher erwischen. Willkommen in eurem neuen Zuhause.“
Thor stand mit den anderen an der Reling und starte auf das schäumende Meer hinunter. Das Wasser wirbelte unter ihm wie ein lebendiges Wesen, die Strömungen wurden jede Sekunde stärker, schaukelten das Boot und erschwerten es ihm, das Gleichgewicht zu halten. Unter ihm tosten die aufgewühlten Fluten, ein helles Rot, das das Blut der Hölle selbst zu enthalten schien. Schlimmer noch: wie Thor bei näherer Beobachtung feststellte, wurden diese Gewässer alle paar Fuß getrübt vom Auftauchen eines weiteren Seeungeheuers, das hervorkam, mit langen Zähnen schnappte und wieder untertauchte.
Ihr Schiff senkte plötzlich den Anker, weitab vom Ufer, und Thor schluckte. Er blickte zu den Felsen hoch, die die Insel umringten, und fragte sich, wie sie es von hier dorthin schaffen sollten. Das Tosen der Wellen kam jede Sekunde näher, und die anderen mussten rufen, um gehört zu werden.
Er sah zu, wie mehrere kleine Ruderboote zu Wasser gelassen und dann von den Kommandanten weit vom Schiff weggeführt wurden, gut dreißig Schritt entfernt. Sie würden es ihnen nicht einfach machen: sie würden schwimmen müssen, um sie zu erreichen.
Beim Gedanken daran wurde Thor flau im Magen.
„SPRINGT!“, schrie Kolk.
Zum ersten Mal verspürte Thor Angst. Er fragte sich, ob ihn das zu einem geringeren Legionär machte, einem geringeren Krieger. Er wusste, dass Krieger zu allen Zeiten furchtlos sein sollten, doch er musste sich eingestehen, dass er gerade Furcht verspürte. Er hasste die Tatsache und wünschte, es wäre anders. Doch so war es.
Als Thor sich aber umblickte und um sich herum verängstigte Gesichter sah, war er erleichtert. Überall um ihn herum standen die Jungen starr vor Angst an der Reling und starrten auf das Wasser hinunter. Ein Junge war gar so eingeschüchtert, dass er bibberte. Es war der Junge, der an dem Tag mit dem Schild-Training so viel Angst gehabt hatte und gezwungen worden war, Runden zu laufen.
Kolk musste das gespürt haben, denn er kam über das Schiff auf ihn zu. Kolk schien unbeeindruckt, als der Wind sein Haar zurückwarf; mit finsterer Miene schritt er vorwärts, als würde er die Natur selbst bezwingen wollen. Er kam neben ihm zu stehen und sein Gesicht verzog sich noch mehr.
„SPRING!“, schrie Kolk.
„Nein!“, antwortete der Junge. „Ich kann nicht! Ich tu’s nicht! Ich kann nicht schwimmen! Bringt mich nach Hause zurück!“
Kolk trat an den Jungen heran, als dieser von der Reling zurückwich, packte ihn hinten am Hemd und hob ihn in die Luft.
„Dann wirst du das Schwimmen lernen!“, zischte Kolk und warf dann vor Thors ungläubigen Augen den Jungen über Bord.
Der Junge flog schreiend durch die Luft und stürzte gut fünfzehn Fuß tief auf die schäumenden Fluten zu. Er landete mit einem Platschen und trieb dann mit zappelnden Armen an die Oberfläche.
„HILFE!“, schrie er.
„Was ist das erste Gesetz der Legion?“, rief Kolk an die anderen Jungen an Bord gewandt, den Jungen im Wasser ignorierend.
Thor war die richtige Antwort vage bewusst, doch er war zu abgelenkt vom Anblick des Jungen, der unter ihm ertrank, um zu antworten.
„Einem anderen Legionär in Not beizustehen!“, schrie Elden hervor.
„Und ist er in Not?“, schrie Kolk und zeigte auf den Jungen hinunter.
Der Junge hob die Arme, tauchte im Wasser auf und ab, und die anderen Jungen standen am Deck, starrten und hatten zu viel Angst, um hinunterzuspringen.
In dem Moment geschah etwas Seltsames mit Thor. Während er sich auf den ertrinkenden Jungen konzentrierte, wurde alles andere unwichtig. Thor dachte nicht länger an sich selbst. Der Gedanke, dass er ertrinken könnte, kam ihm gar nicht erst. Das Meer, die Ungeheuer, die Strömung...all das verblasste. Das Einzige, woran er denken konnte, war, jemand anderen zu retten.
Thor kletterte auf die breite Eichenreling, ging in die Knie, und ohne nachzudenken sprang er hoch in die Luft und stürzte sich kopfüber in das blubbernde Rot der Gewässer unter ihm.
KAPITEL FÜNF
Gareth saß auf seines Vaters Thron im Großen Festsaal und ließ seine Hände über die glatten hölzernen Armlehnen gleiten, während er die Szenerie vor ihm betrachtete: tausende seiner Untertanen waren in den Raum gepfercht; aus allen Ecken des Rings waren die Menschen angereist, um diesem einmaligen Ereignis beizuwohnen: zu sehen, ob er das Schicksalsschwert ziehen konnte. Zu sehen, ob er der Auserwählte war. Das Volk hatte seit den Jugendtagen seines Vaters keine Gelegenheit mehr gehabt, einer Schwertziehung beizuwohnen—und es schien, als ob niemand es verpassen wollte. Aufregung hing wie eine Wolke in der Luft.
Gareth selbst war vor Anspannung ganz benommen. Während er zusah, wie sich der Raum immer weiter füllte, mehr und mehr Menschen sich hereindrängten, fragte er sich, ob die Ratgeber seines Vaters doch recht hatten; ob es eine schlechte Idee gewesen war, die Schwertziehung im Großen Festsaal abzuhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie hatten ihn beschworen, es in der kleinen, privaten Schwertkammer zu versuchen; sie argumentierten, dass es so weniger Zeugen geben würde, falls er scheitern sollte. Doch Gareth traute den Leuten seines Vaters nicht; er fühlte sich seines Schicksals sicherer als die alte Garde seines Vaters, und er wollte, dass das gesamte Königreich seinem Triumph beiwohnen und miterleben konnte, dass er der Auserwählte war, während es passierte. Er wollte den Augenblick für alle Zeiten festgehalten haben. Der Augenblick, an dem sein Schicksal sich verwirklichte.
Gareth war mit Flair in den Saal getreten, in Begleitung seiner Berater hindurchstolziert, bestückt mit seiner Krone und seinem Mantel, das Zepter in der Hand—er wollte, dass ihnen allen bewusst war, dass er, nicht sein Vater, der wahre König, der wahre MacGil war. Wie er es erwartet hatte, hatte es nicht lange gedauert, bis es sich für ihn so angefühlt hatte, dass dies sein Schloss war, seine Untertanen. Er wollte, dass sein Volk es nun zu spüren bekam und diese Machtdemonstration weithin zu sehen war. Nach dem heutigen Tage würden sie mit Bestimmtheit wissen, dass er ihr einer und einziger wahrer König war.
Doch jetzt, da Gareth alleine auf dem Thron saß und auf die leeren Eisenstützen in der Mitte des Saales blickte, in die das Schwert gelegt werden würde, beleuchtet von einem Sonnenstrahl, der durch die Decke hereinbrach, war er sich nicht mehr sicher. Die Schwere dessen, was er gleich tun würde, fing an, ihn zu bedrücken; es würde ein nicht umkehrbarer Schritt sein, und es würde kein Zurück geben. Was, wenn er tatsächlich scheiterte? Er versuchte, es aus seinen Gedanken zu bannen.
Am anderen Ende des Saals öffnete sich knarrend die riesige Tür, und mit einem aufgeregten Wispern legte sich langsam erwartungsvolles Schweigen über den Raum. Herein marschierten ein Dutzend der stärksten Männer am Hof, die das Schwert zusammen geschultert hatten und allesamt unter seinem Gewicht ächzten. Sechs Männer standen zu beiden Seiten und trugen das Schwert in langsamem Marsch Schritt für Schritt seinem Liegeplatz entgegen.
Gareths Herz schlug schneller, während er zusah, wie es näherkam. Für einen kurzen Augenblick flackerte Unsicherheit auf—wenn diese zwölf Männer, größer als alle, die er je gesehen hatte, es kaum tragen konnten, welche Chance hatte er dann? Doch er versuchte, diese Gedanken zur Seite zu schieben—immerhin ging es bei dem Schwert um Schicksal, nicht um Kraft. Und er zwang sich dazu, nicht zu vergessen, dass es sein Schicksal war, hier zu sein, der Erstgeborene der MacGils zu sein, König zu sein. Er suchte in der Menge nach Argon; aus irgendeinem Grund verspürte er plötzlich ein dringendes Bedürfnis, seinen Rat einzuholen. Dies war der Moment, in dem er ihn am meisten brauchte. Aus irgendeinem Grund konnte er an niemand anderen denken. Doch natürlich war er nirgends zu finden.
Endlich hatte das Dutzend Männer die Mitte des Saales erreicht, trugen das Schwert in den Sonnenstrahl und platzierten es auf den eisernen Stützen. Es landete mit einem schallenden Klirren, und der Klang breitete sich in Wellen durch den ganzen Saal. Im Saal herrschte absolute Stille.
Instinktiv teilte sich die Menge, um Platz zu machen, damit Gareth heruntersteigen und versuchen konnte, es zu ziehen.
Langsam erhob sich Gareth von seinem Thron und kostete den Moment aus, all diese Aufmerksamkeit. Er konnte spüren, wie alle Augen auf ihn gerichtet waren. Er wusste, ein Augenblick wie dieser würde nie wieder kommen, in dem das gesamte Königreich ihm so vollkommen gebannt zusah, so eingehend jede seiner Bewegungen analysierte. Er hatte diesen Moment in Gedanken so oft durchlebt, schon seit seiner Jugend, und nun war er gekommen. Er wollte, dass es langsam ging.
Er stieg bedächtig die Treppe vor dem Thron hinunter, Stufe für Stufe, jeden Schritt voll auskostend. Er schritt den roten Teppich entlang, fühlte, wie weich er unter seinen Füßen war, kam immer näher an die Lichtsäule, an das Schwert. Es war, als würde er in einem Traum wandeln. Er fühlte sich, als hätte er seinen Körper verlassen. Ein Teil von ihm fühlte sich, als wäre er diesen Teppich schon viele Male entlanggeschritten; immerhin hatte er das Schwert im Traum schon eine Million Mal gezogen. Er fühlte nur noch stärker, dass es ihm bestimmt war, es zu ziehen; dass er seinem Schicksal entgegenschritt.
In Gedanken konnte er schon sehen, wie es ablaufen würde: er würde tapfer vortreten, eine Hand ausstrecken, und während seine Untertanen sich gespannt vorbeugten, würde er es mit einem Ruck dramatisch hoch über sein Haupt erheben. Sie alle würden den Atem anhalten und sich zu Boden werfen und ihn zum Auserwählten erklären, dem bedeutendsten MacGil-König, der je regierte, der Eine, dem es bestimmt war, auf immer zu regieren. Sie würden bei dem Anblick vor Freude weinen. Sie würden vor Furcht vor ihm zurückschrecken. Sie würden Gott danken, dass sie zu dieser Zeit am Leben waren, um dies zu erleben. Sie würden ihn als einen Gott anbeten.
Gareth kam auf das Schwert zu, das nun wenige Fuß entfernt war, und er fühlte, wie er innerlich bebte. Er trat in das Sonnenlicht, und obwohl er das Schwert schon viele Male zuvor gesehen hatte, war er von seiner Schönheit überwältigt. Es war ihm noch nie gestattet gewesen, ihm so nahe zu sein, und er war überrascht. Es war ein durchdringender Anblick. Mit einer langen, glänzenden Klinge, aus einem Material gefertigt, das noch niemand entschlüsselt hatte, hatte es den am aufwändigsten gearbeiteten Griff, den er je gesehen hatte; von feinem, seidenartigem Gewebe umhüllt, besetzt mit allen Arten von Edelsteinen, und geprägt mit dem Siegel des Falken. Als er einen Schritt nähertrat und direkt über ihm schwebte, spürte er die mächtige Energie, die es verströmte. Es schien zu pulsieren. Er konnte kaum atmen. In nur einem Augenblick würde es in seiner Hand liegen. Hoch über seinem Haupt. Im Sonnenlicht glänzen, vor den Augen der Welt.
Er, Gareth, der Große.
Gareth streckte die rechte Hand nach vorne und legte sie auf den Griff. Langsam krümmte er die Finger herum, fühlte jeden Edelstein, jeden Umriss, während er es elektrisiert fasste. Eine durchdringende Energie strahlte durch seine Handfläche, seinen Arm hinauf, durch seinen Körper. Er hatte so etwas noch nie gefühlt. Dies war sein Augenblick. Sein Moment für die Ewigkeit.
Gareth würde kein Risiko eingehen: er streckte auch die andere Hand aus und legte sie um den Griff. Er schloss die Augen, sein Atem wurde flach.
So es die Götter wollen, lasst zu, dass ich es ziehe. Gebt mir ein Zeichen. Zeigt mir, dass ich König bin. Zeigt mir, dass ich zum Herrschen bestimmt bin.
Gareth betete still, auf Antwort wartend, auf ein Zeichen, auf den perfekten Augenblick. Doch Sekunden verstrichen, ganze zehn Sekunden, vor den aufmerksamen Augen des gesamten Königreichs, und er konnte nichts vernehmen.
Dann, plötzlich, sah er das Gesicht seines Vaters, das ihn wütend anblickte.
Gareth öffnete entsetzt die Augen und versuchte, das Bild aus seinen Gedanken zu bannen. Sein Herz pochte, und er fühlte, dass dies ein furchtbares Omen war.
Der Moment war gekommen, jetzt oder nie.
Gareth lehnte sich vor, und mit all seiner Kraft setze er an, das Schwert zu ziehen. Er gab alles, was er hatte, bis sein gesamter Körper sich vor Anstrengung verkrampfte.
Das Schwert rührte sich nicht. Er hätte genauso gut versuchen können, das Fundament der Welt zu bewegen.
Gareth versuchte es noch stärker, und weiter und weiter. Schließlich stöhnte und schrie er merklich.
Augenblicke später brach er zusammen.
Die Klinge hatte sich keinen Fingerbreit bewegt.
Ein schockiertes Raunen breitete sich durch den Raum, als er am Boden aufschlug. Mehrere Berater eilten ihm zu Hilfe, um nachzusehen, ob es ihm gut ginge, und er stieß sie grob von sich. Beschämt und verlegen richtete er sich aus eigener Kraft wieder auf die Beine.
Gedemütigt blickte sich Gareth unter seinen Untertanen um, um zu sehen, wie sie ihn nun betrachten würden.
Sie hatten sich bereits abgewandt und verließen nach und nach den Saal. Gareth konnte die Enttäuschung in ihren Gesichtern erkennen; konnte sehen, dass er nur ein weiteres erfolgloses Spektakel in ihren Augen war. Nun wussten sie alle, jeder Einzelne von ihnen, dass er nicht ihr wahrer König war. Er war nicht der bestimmte und auserwählte MacGil. Er war ein Nichts. Nur ein weiterer Prinz, der den Thron an sich gerissen hatte.
Gareth fühlte, wie er vor Scham brannte. Er hatte sich noch nie so alleine gefühlt wie in diesem Moment. Alles, was er sich je erträumt hatte, seit seiner Kindheit, war eine Lüge gewesen. Eine Einbildung. Er hatte sein eigenes Märchen geglaubt.
Und es hatte ihn unter sich begraben.