Kitabı oku: «Gewandelt », sayfa 6

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Caitlin wehrte sich mit aller Macht und setzte ihre gesamte Kraft ein, und schließlich gelang es ihr, sich zur Seite zu rollen und ihn abzuschütteln. Sie sprang auf die Füße und rannte wieder los.

Doch sie war noch nicht weit gekommen, als der Anführer sie auch schon wieder eingeholt hatte. Wie konnte er nur so schnell sein? Sie hatte ihn doch gerade erst quer über die Straße geschleudert!

Diesmal schlug er ihr mit dem Handrücken ins Gesicht, bevor sie sich wehren konnte. Sehr fest. Alles um sie herum begann sich zu drehen. Schnell kam sie wieder zu Bewusstsein und wollte sich gerade verteidigen, als sich die beiden anderen Männer plötzlich auf sie knieten. Der Anführer zog ein Tuch aus der Tasche.

Bevor sie reagieren konnte, drückte er ihr das Tuch über Nase und Mund.

Wieder drehte sich alles, und die Welt verschwand in einem Nebel.

Sie tauchte in die Dunkelheit ein, doch sie hätte schwören können, dass eine dunkle Stimme ihr im letzten Moment noch ins Ohr flüsterte: »Jetzt gehörst du uns.«

9. Kapitel

Als Caitlin erwachte, war um sie herum schwärzeste Nacht. An ihren Hand- und Fußgelenken spürte sie Metall, und ihre Glieder schmerzten. Sie begriff, dass man sie angekettet hatte. Im Stehen. Ihre Arme waren zur Seite gestreckt, und sie konnte weder Arme noch Beine bewegen. Als sie es dennoch versuchte, rasselten die Ketten, und das kalte, harte Metall grub sich tiefer in ihre Handgelenke und Fußknöchel. Wo zum Teufel war sie?

Sie öffnete die Augen noch ein Stück weiter und versuchte mit klopfendem Herzen zu erfühlen, wo sie sich befand. Es war kalt. Sie war vollständig angezogen, aber barfuß, und unter ihren Füßen spürte sie kalten Stein. Auch hinter ihrem Rücken war Stein. Sie stand vor einer Mauer. Man hatte sie an eine Mauer gekettet.

Angestrengt versuchte sie, etwas zu erkennen, aber die Dunkelheit war undurchdringlich. Sie fror, und sie war durstig. Als sie schluckte, merkte sie, dass ihre Kehle komplett ausgetrocknet war.

Sie zerrte mit aller Kraft an ihren Fesseln, aber trotz ihrer neu entdeckten Kräfte bewegten sich die Ketten nicht. Es gelang ihr nicht, sich zu befreien.

Caitlin öffnete den Mund, um nach Hilfe zu rufen. Der erste Versuch scheiterte. Ihr Mund war zu trocken. Wieder schluckte sie.

»Hilfe!«, schrie sie mit kratziger Stimme. »HILFE!« Diesmal war ihr Ruf richtig laut.

Nichts. Sie lauschte angestrengt. Irgendwo in der Ferne hörte sie ein schwaches Rauschen. Aber woher kam es?

Sie versuchte sich zu erinnern. Wo war sie zuletzt gewesen?

Sie war nach Hause gegangen, in ihre Wohnung. Als sie an ihre Mom dachte, runzelte sie die Stirn. Sie war tot. Das tat ihr sehr leid, als wäre sie irgendwie schuld an ihrem Tod. Und sie hatte Gewissensbisse. Sie wünschte, sie hätte eine bessere Tochter sein können, auch wenn Mom sie nicht gut behandelt hatte. Selbst wenn sie nicht ihre richtige Tochter sein sollte, wie sie gestern behauptet hatte. Hatte sie das ernst gemeint? Oder war das nur in der Wut aus ihr herausgeplatzt?

Und dann diese drei Männer. Ganz in Schwarz gekleidet – und so blass. Sie waren auf sie zugekommen. Die Polizei. Die Kugel. Wie hatte er bloß die Kugel aufgehalten? Was waren das für Männer? Warum hatten sie von ihrer Menschenfreundin gesprochen? Wenn der Mann nicht diese Kugel aus der Luft aufgefangen hätte, hätte sie wahrscheinlich geglaubt, dass sie unter Wahnvorstellungen litten.

Dann … die Sache auf der Straße. Die Jagd.

Danach … Finsternis.

Plötzlich hörte Caitlin eine Metalltür quietschen. Sie kniff die Augen zusammen, als in der Ferne plötzlich ein Lichtschein auftauchte. Es war eine Fackel. Jemand mit einer Fackel in der Hand kam auf sie zu.

Als er sich näherte, wurde es heller um sie herum. Offenbar befand sie sich in einem großen, hallenden Raum, der in den Felsen gehauen war. Er sah sehr alt aus.

Der Mann war jetzt so nah, dass Caitlin seine Gesichtszüge erkennen konnte. Er hielt die Fackel in die Höhe und starrte sie an, als wäre sie ein seltsames Insekt.

Dieser Mann war grotesk. Sein Gesicht war verzerrt und ließ ihn wie eine alte, hagere Hexe aussehen. Er grinste und enthüllte dabei kleine orangefarbene Zähne. Sein Atem stank. Er näherte sich ihr bis auf wenige Zentimeter und musterte sie genau. Dann hob er eine Hand, und sie konnte seine langen, gekrümmten gelben Fingernägel sehen. Sie sahen aus wie Klauen. Ganz langsam zog er sie ihr über Wange – nicht fest genug, um blutige Kratzer zu hinterlassen, aber doch so, dass sie zusammenzuckte. Er grinste noch breiter.

»Wer sind Sie?«, fragte Caitlin entsetzt. »Wo bin ich?«

Doch er grinste sie nur weiter an, als würde er sein Opfer genau unter die Lupe nehmen. Er starrte auf ihre Kehle und leckte sich die Lippen.

Genau in diesem Moment hörte Caitlin, wie erneut eine Metalltür aufging, und sah, wie weitere Fackeln näher kamen.

»Lass sie in Ruhe!«, rief eine Stimme aus der Ferne. Der Mann, der vor Caitlin stand, huschte schnell mehrere Schritte zurück. Demütig senkte er den Kopf.

Nun näherte sich eine ganze Gruppe von Fackeln, und als sie Caitlin erreichte, konnte sie ihren Anführer erkennen. Es war der Mann, der sie auf der Straße gejagt hatte.

Er erwiderte ihren Blick und schenkte ihr ein Lächeln, das so warm war wie ein Eisblock. Einerseits sah er großartig aus, dieser Mann, alterslos, aber andererseits auch Furcht einflößend. Böse. Aus großen kohlschwarzen Augen starrte er sie an.

Er war von fünf anderen Männern flankiert, die ebenfalls alle schwarz gekleidet waren. Doch die anderen waren nicht so groß und nicht so gut aussehend wie er. Zu der Gruppe gehörten auch zwei Frauen, die sie ebenfalls kalt und gleichgültig musterten.

»Du musst unseren Aufseher entschuldigen«, sagte der Mann mit tiefer, kalter und sachlicher Stimme.

»Wer sind Sie?«, fragte Caitlin. »Warum bin ich hier?«

»Verzeih uns diese unbequeme Art der Unterbringung«, fuhr der Mann fort und strich mit der Hand über die dicke Metallkette, die sie an die Wand fesselte. »Wir lassen dich nur zu gerne gehen«, erklärte er, »wenn du uns vorher noch ein paar Fragen beantwortest.«

Sie erwiderte seinen Blick, wusste aber nicht, wie sie reagieren sollte.

»Dann fange ich mal an. Ich heiße Kyle. Ich bin der stellvertretende Anführer des Blacktide Clans.« Er machte eine Pause. »Jetzt bist du an der Reihe.«

»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen«, entgegnete Caitlin.

»Zunächst einmal wollen wir wissen, aus welchem Clan du stammst. Zu wem gehörst du?«

Caitlin zerbrach sich den Kopf darüber, ob sie den Verstand verloren hatte. Bildete sie sich das alles nur ein? Sie musste in einer Art schlechtem Traum stecken geblieben sein. Aber sie fühlte den kalten Stahl an ihren Händen und Füßen und wusste, dass es nicht so war. Sie hatte keine Ahnung, was sie diesem Mann erzählen sollte. Wovon redete er überhaupt? Clan? Wie … Vampirclan?

»Ich gehöre zu niemandem«, antwortete sie schließlich.

Er starrte sie lange an, dann schüttelte er den Kopf.

»Wie du willst. Wir hatten es schon öfter mit aus der Art geschlagenen Vampiren zu tun. Es ist immer das Gleiche: Sie kommen, um uns auf die Probe zu stellen. Um zu prüfen, wie sicher unser Revier ist. Danach kommen mehr von ihnen. Und so verschieben sich die Reviere.

Aber weißt du, sie kommen damit nie durch. Unser Clan ist der älteste und stärkste im Land. Niemand dringt ungestraft in unser Gebiet ein und mordet.

Deshalb frage ich dich noch einmal: Wer hat dich geschickt? Für wann ist eure Invasion geplant?«

Revier? Invasion? Caitlin konnte kaum glauben, dass sie nicht träumte. Vielleicht hatte man ihr Drogen gegeben. Vielleicht hatte Jonah ihr etwas untergejubelt. Aber sie trank gar keinen Alkohol, und sie nahm nie Drogen. Sie träumte auch nicht. Das hier war die Wirklichkeit, die schreckliche und unglaubliche Realität.

Natürlich hätte sie die anderen einfach als eine Gruppe komplett verrückter Menschen abtun können, als eine unheimliche Sekte oder eine Art Verein, der total abgedreht war. Aber nach den Geschehnissen der letzten beiden Tage dachte sie lieber noch einmal genauer darüber nach: ihre eigene Kraft; ihr Verhalten; die Art und Weise, wie ihr Körper sich veränderte … Gab es am Ende tatsächlich Vampire? Und war sie einer von ihnen? War sie blindlings in einen Krieg unter Vampiren gestolpert? Das wäre zumindest typisch für sie.

Caitlin überlegte fieberhaft. Hatte sie wirklich jemanden umgebracht? Wenn ja, wen? Sie konnte sich zwar nicht daran erinnern, aber sie hatte das schreckliche Gefühl, dass der Mann die Wahrheit sagte. Dass sie tatsächlich jemanden getötet hatte. Es war vor allem dieser Gedanke, der dafür sorgte, dass sie sich furchtbar fühlte. Eine Welle des Mitleids und des Bedauerns erfasste sie. Wenn das stimmte, war sie eine Mörderin. Und das könnte sie nie vergessen.

Sie starrte den Mann an.

»Niemand hat mich geschickt«, versicherte sie schließlich. »Ich erinnere mich nicht mehr genau, was ich getan habe. Aber was auch immer es war, ich habe es allein getan. Ich weiß auch nicht, warum. Und es tut mir sehr leid«, fügte sie hinzu. »Das wollte ich nicht.«

Kyle drehte sich um und sah seine Begleiter an. Sie erwiderten seinen Blick. Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder an Caitlin. Sein durchdringender Blick wurde noch kälter und härter.

»Du willst mich also für dumm verkaufen, ich verstehe. Das ist nicht besonders klug von dir.«

Kyle gab seinen Untergebenen ein Zeichen. Sofort eilten sie herbei und lösten die Ketten von Caitlins Handgelenken. Ihre Arme sanken herab, und sie war erleichtert, als das Blut wieder in ihre Hände strömte. Als Nächstes ketteten sie ihre Fußgelenke los. Dann packten sie je zwei von ihnen mit festem Griff an den Armen und Schultern.

»Wenn du mir nicht antworten willst«, sagte Kyle, »dann wirst du dich eben vor der Versammlung verantworten müssen. Vergiss nicht, du hast es so gewollt. Aber sie werden sicher keine Gnade walten lassen, wie ich es vielleicht getan hätte.«

Als sie sie abführten, fügte Kyle noch hinzu: »Vertue dich nicht. Du wirst so oder so sterben. Aber meine Methode wäre schnell und schmerzlos gewesen. Jetzt wirst du erleben, was Leiden bedeutet.«

Caitlin versuchte, Widerstand zu leisten, als sie sie wegschleiften. Aber es war zwecklos. Es gab nichts, was sie tun konnte, als sich ihrem Schicksal zu stellen.

Und zu beten.

* * *

Die Eichentür öffnete sich, und Caitlin traute ihren Augen kaum. Der Raum war riesig, kreisförmig und von dreißig Meter hohen Steinsäulen gesäumt, die zudem reich verziert waren. Alle eineinhalb Meter leuchtete eine Fackel. Der Raum sah aus wie das Pantheon und schien antik zu sein.

Als sie hereingeführt wurde, fiel ihr als Erstes der Lärm auf. Eine riesige Menge war dort versammelt. Sie blickte sich um und sah Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Männern und Frauen in schwarzer Kleidung, die alle durcheinanderliefen. Ihre Bewegungen waren seltsam, so schnell, so willkürlich, so … unmenschlich.

Sie hörte ein Rauschen und hob den Blick. Dutzende dieser Kreaturen sprangen oder flogen durch den Raum, vom Boden zur Decke, von der Decke auf Balkone, von Säulen zu Mauervorsprüngen. Das war es auch, was das rauschende Geräusch verursachte, das sie eben gehört hatte. Es war, als hätte sie eine Höhle voll von gigantischen Fledermäusen betreten.

Sie ließ all das auf sich wirken und war zutiefst erschüttert. Vampire existierten also tatsächlich. Hieß das, sie war eine von ihnen?

Sie führten sie in die Mitte des Raums. Die Ketten klirrten, und ihre Füße auf dem Steinboden waren kalt. Sie brachten sie zu einem Punkt, der durch einen großen Kreis aus Bodenfliesen gekennzeichnet war.

Als sie das Zentrum erreicht hatten, ebbte der Lärm allmählich ab. Die Bewegungen verlangsamten sich. Hunderte von Vampiren ließen sich vor ihr in einem großen Amphitheater aus Stein nieder. Das Ganze sah aus wie eine politische Versammlung, wie auf den Bildern, die sie von der Rede zur Nation gesehen hatte – nur dass hier anstelle von Politikern jede Menge Vampire anwesend waren, die sie zudem alle anstarrten. Ihre Disziplin und ihre Ordnung waren beeindruckend. Innerhalb von Sekunden hatten alle Platz genommen und waren verstummt.

Caitlin stand mitten in der Halle und wurde von ihren Begleitern festgehalten. Kyle trat neben sie, verschränkte die Hände und senkte ehrerbietig den Kopf.

Vor der Versammlung stand ein gewaltiger Sessel aus Stein. Er wirkte wie ein Thron. Darin saß ein Vampir, der älter aussah als die anderen. Er musste schon sehr alt sein, sie sah es in seinen kalten, blauen Augen. Er schaute auf sie herunter, als hätte er schon zehntausend Jahre erlebt. Sie hasste das Gefühl, das sein Blick in ihr auslöste. Er schien das personifizierte Böse zu sein.

»So«, knurrte er leise. »Das ist also diejenige, die in unser Revier eingedrungen ist.« Seine Stimme war tief und rau, ohne jede Spur von Wärme. Sie hallte in dem großen Saal wider.

»Wer ist der Anführer deines Clans?«, fragte er.

Caitlin hielt seinem Blick stand und überlegte, was sie antworten sollte. Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte.

»Ich habe keinen Anführer«, entgegnete sie schließlich. »Und ich gehöre auch nicht zu einem Clan. Ich bin allein hier.«

»Du kennst die Strafe für die Übertretung der Grenzen«, fuhr er fort, und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. »Wenn es etwas Schlimmeres als Unsterblichkeit gibt«, führte er aus, »dann ist es die Unsterblichkeit voller Qualen.«

Er blickte sie starr an.

»Das ist deine letzte Chance.«

Sie starrte zurück und hatte immer noch keine Ahnung, was sie sagen sollte. Aus dem Augenwinkel suchte sie nach einem Fluchtweg. Doch sie entdeckte keinen.

»Wie du willst«, sagte er und nickte ganz leicht.

Eine Seitentür ging auf, und ein Vampir in Ketten wurde von zwei Wärtern hereingezerrt. Sie brachten ihn mitten in die Halle bis zu der Stelle, wo Caitlin stand. Voller Angst sah sie zu und verstand nicht, was vor sich ging.

»Dieser Vampir hat gegen die Paarungsregel verstoßen«, erläuterte der Anführer. »Das heißt, sein Verstoß war nicht so schwerwiegend wie deiner. Aber trotzdem muss er bestraft werden.«

Der Anführer nickte erneut, und ein Helfer mit einer kleinen Glasflasche in der Hand trat vor. Er spritzte den Inhalt auf den gefesselten Vampir.

Dieser schrie gellend auf. Caitlin sah, dass die Haut an seinem Arm sofort Blasen warf, als hätte er sich verbrannt. Seine Schreie waren fürchterlich.

»Das ist nicht bloß irgendein Weihwasser«, erklärte der Anführer, »sondern ein ganz besonderes. Aus dem Vatikan. Ich versichere dir, dass es sich durch alle Hautschichten brennen wird, und der Schmerz wird fürchterlich sein. Schlimmer als Säure.«

Wieder warf er Caitlin einen harten Blick zu. In der Halle war es totenstill.

»Erzähl uns, woher du kommst, und dir werden schreckliche Qualen erspart bleiben.«

Caitlin schluckte – sie wollte dieses Wasser nicht auf ihrer Haut spüren. Die Wirkung, die es hatte, schien entsetzlich zu sein. Andererseits, wenn sie kein echter Vampir war, sollte es ihr auch keinen Schaden zufügen. Aber es war trotzdem kein Experiment, das sie gerne wagen wollte.

Sie zerrte an ihren Ketten, aber sie gaben nicht nach.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und auf ihrer Stirn stand der Schweiß. Was sollte sie ihm bloß sagen?

Er versuchte, sie einzuschätzen.

»Du bist mutig, und ich bewundere deine Loyalität gegenüber deinem Clan. Aber deine Zeit ist abgelaufen.«

Er nickte, und sie hörte Ketten rasseln. Dann sah sie, wie zwei Gehilfen einen großen Kessel in die Höhe zogen. Mit jedem Zug hob er sich ein gutes Stück weiter in die Luft. Als er oben war – rund fünf Meter über dem Boden –, schwangen sie das Gefäß direkt über ihren Kopf.

»Dieser Vampir wurde nur mit sehr wenig Weihwasser bespritzt«, erklärte der Anführer. »Doch über dir befinden sich mehrere Liter davon. Wenn das Wasser sich über dich ergießt, wirst du unvorstellbare Schmerzen erleiden. Du wirst diese Schmerzen dein Leben lang spüren; du wirst zwar weiterleben, aber unbeweglich und hilflos sein. Denk daran: Du selbst hast dich dafür entschieden.«

Der Mann nickte, und Caitlins Herz schlug noch schneller. Die Gehilfen befestigten die Ketten an einem Stein und ergriffen so schnell wie möglich die Flucht.

Als Caitlin nach oben sah, neigte sich der Kessel bereits, und die Flüssigkeit floss heraus. Sie senkte den Kopf und schloss die Augen.

Bitte, lieber Gott. Hilf mir!

»Nein!«, kreischte sie, und ihr Schrei hallte im Saal wider.

Dann ergoss sich das Wasser über sie.

10. Kapitel

Das Wasser bedeckte ihren ganzen Körper, und sie hatte Mühe, Luft zu holen und die Augen offen zu halten. Doch rund zehn Sekunden später, als ihre Haare, ihr Körper und ihre Kleidung bereits komplett durchnässt waren, zwinkerte Caitlin. Sie machte sich auf den Schmerz gefasst.

Doch er kam nicht.

Sie zwinkerte noch einmal, sah zu dem Kessel auf und fragte sich, ob er schon vollständig geleert war. Er war leer. Sie sah an sich herunter und stellte fest, dass sie klitschnass war. Aber es ging ihr gut. Sie hatte nicht die geringsten Schmerzen.

Auf einmal begriff es auch der Anführer. Er stand auf, und die Kinnlade klappte ihm herunter. Ganz offensichtlich konnte er es nicht fassen. Auch Kyle drehte sich um und starrte sie mit offenem Mund an. Die ganze Versammlung, Hunderte von Vampiren, stand auf, und ein Raunen lief durch die Reihen.

Damit hatten sie nicht gerechnet. Alle waren wie vor den Kopf gestoßen.

Aus irgendwelchen Gründen hatte ihr Wasser bei ihr keine Wirkung gezeigt. Vielleicht war sie trotz allem doch kein Vampir?

Caitlin erkannte ihre Chance.

Während die anderen noch zu schockiert waren, um zu reagieren, mobilisierte sie all ihre Kräfte und sprengte mit einer einzigen Bewegung ihre Ketten. Dann sprintete sie davon und visierte die Seitentür an – sie betete, dass sie irgendwohin führen würde.

Sie hatte bereits die halbe Halle durchquert, bevor auch nur irgendjemand aus seiner Schockstarre erwachte.

»Haltet sie!«, schrie schließlich der Anführer.

Und dann rauschten Hunderte von Körpern auf sie zu. Der Lärm prallte von den Wänden ab und schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen. Caitlin erkannte, dass sie nicht bloß rannten – nein, sie sprangen auch von der Decke und den Balkonen und breiteten die Flügel aus, um sie zu erreichen. Sie stürzten sich auf sie wie ein Geier auf sein Opfer. Also verdoppelte sie ihre Geschwindigkeit und rannte, so schnell, wie sie konnte.

Sie irrte in der Dunkelheit umher, die nur schwach von Fackeln erhellt wurde. Als sie um eine Ecke bog, entdeckte sie schließlich in der Ferne eine weitere Tür. Sie stand offen, und Licht drang herein. Es war in der Tat ein Ausgang, und er wäre perfekt, wäre da nicht dieser eine letzte Vampir gewesen.

Er stand vor der Tür und versperrte ihr den Weg. Groß und gut proportioniert, war auch er von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Allerdings sah er jünger aus als die anderen, vielleicht wie zwanzig, und seine Gesichtszüge waren kantiger. Trotz der Eile und trotz der Lebensgefahr, in der Caitlin schwebte, registrierte sie unwillkürlich, wie unglaublich attraktiv dieser Vampir war. Dennoch versperrte er ihr den Weg nach draußen.

Vielleicht konnte sie den anderen davonlaufen, aber sie kam nicht an diesem Mann vorbei. Doch er öffnete die Tür noch weiter, als wollte er ihr Platz machen. Hatte er vor, sie zu täuschen? Sie bemerkte, dass er einen langen Speer in der Hand hielt.

Als sie näher kam, hob er ihn hoch und zielte direkt auf sie. Doch sie war jetzt nur noch wenige Schritte von der Tür entfernt und konnte nicht mehr anhalten. Sie waren ihr auf den Fersen, und wenn sie langsamer würde, wäre es sofort vorbei mit ihr. Also rannte sie auf den einzelnen Vampir zu, schloss die Augen und stellte sich darauf ein, von dem Speer durchbohrt zu werden. Wenigstens würde es schnell gehen.

Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, wie er den Speer losließ, und duckte sich reflexartig.

Aber er hatte zu hoch gezielt. Viel zu hoch. Sie warf einen Blick über die Schulter und begriff, dass er gar nicht sie anvisiert hatte, sondern einen der Vampire, der sich auf sie stürzen wollte. Die silberne Spitze des Speers durchbohrte die Kehle des Vampirs, und ein grässlicher Schrei erfüllte den Gang, als die Kreatur zu Boden fiel.

Staunend betrachtete Caitlin den Vampir. Er hatte sie gerade gerettet. Warum?

»Lauf weiter!«, schrie er.

Sie nahm wieder Geschwindigkeit auf und raste durch die offene Tür.

Als sie sich umdrehte, zog er gerade mit aller Kraft die Tür zu. Schnell packte er einen großen Metallriegel und verbarrikadierte damit die Tür. Dann ging er einige Schritte rückwärts, bis er neben ihr stand, und beobachtete von dort aus die Tür.

Unwillkürlich sah sie zu ihm auf, musterte sein Gesicht, seine dunklen Haare und Augen. Er hatte sie gerettet. Warum?

Er erwiderte ihren Blick nicht, sondern beobachtete immer noch voller Angst die Tür. Und das aus gutem Grund. Bereits eine Sekunde, nachdem er sie verriegelt hatte, war ein Körper von der anderen Seite dagegengeprallt. Zwar war die Tür mehr als einen Meter dick und aus massivem Stahl, und auch die Riegel waren äußerst robust, aber den Vampiren war sie nicht gewachsen. Ihre Körper krachten dagegen, die Tür war kurz davor, zu bersten. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis die Vampire durch den Stahl brechen würden.

»Los!«, rief er, ergriff ihren Arm und rannte los. Er zog sie einfach mit sich, sodass sie schneller lief, als sie je zuvor gelaufen war. Sie rannten durch einen Gang, dann durch den nächsten, immer weiter. Ab und zu beleuchteten Fackeln ihren Weg. Allein hätte sie es nie geschafft, von dort zu fliehen.

»Was ist hier los?«, fragte Caitlin atemlos, während sie immer weiter liefen. »Wohin …«

»Hier entlang!«, schrie er und zog sie abrupt in eine andere Richtung.

Hinter sich hörten sie ein Krachen, die Meute war ihnen weiter auf den Fersen.

Schließlich erreichten sie eine Wendeltreppe aus Stein, die sich eine Mauer hochwand. Mit voller Geschwindigkeit stürmte er mit ihr zusammen darauf zu, und sie sausten die Treppe hinauf, immer drei Stufen auf einmal nehmend. Schnell gewannen sie an Höhe.

Als sie oben ankamen, schien die Treppe direkt vor einer Wand zu enden. Über ihnen befand sich eine Decke aus Stein, und sie konnte keinen Ausweg entdecken. Sie steckten in einer Sackgasse. Wohin hatte er sie geführt?

Doch er schien ebenfalls verwirrt zu sein. Und wütend. Aber er wirkte entschlossen. Er trat einige Schritte zurück, nahm Anlauf und sprang mit beiden Füßen gegen die Decke. Es war einfach unglaublich: Mit seinen übermenschlichen Kräften trat er ein Loch in die Decke. Steinbröckchen rieselten herab, und ein Lichtschein fiel durch das Loch. Es war elektrisches Licht. Wo waren sie?

»Komm weiter!«, rief er.

Er sprang durch das Loch, ergriff ihren Arm und zog sie hinauf in den lichtdurchfluteten Raum.

Sie sah sich um. Es sah aus, als befänden sie sich in einem Gerichtsgebäude. Oder in einem Museum. Es war ein prachtvolles, wunderschönes Bauwerk. Die Böden waren aus Marmor, die Wände und die Säulen aus Stein. Der Raum war rund. Es könnte auch ein Regierungsgebäude sein.

»Wo sind wir?«, wollte sie wissen.

Statt einer Antwort nahm er ihre Hand und sprintete wieder los. Beinahe mit Lichtgeschwindigkeit durchquerten sie den Raum. Vor ihnen tauchte eine riesige, zweiflügelige Stahltür auf. Er ließ ihre Hand los und stürmte direkt darauf zu. Krachend flog die Tür auf.

Diesmal folgte sie ihm auf dem Fuße, ohne erst dazu aufgefordert werden zu müssen. Hinter sich hörte sie bereits das Geräusch fallender Steine und wusste, dass der Mob nicht mehr weit entfernt war.

Endlich gelangten sie ins Freie; sie spürten die kalte Nachtluft im Gesicht. Caitlin war dankbar, nicht mehr unter der Erde zu sein.

Rasch versuchte sie, sich zu orientieren. Sie waren definitiv in New York. Aber wo? Die Umgebung kam ihr vage bekannt vor. Sie sah eine Straße, ein vorbeifahrendes Taxi. Als sie sich umdrehte, erkannte sie das Gebäude, das sie gerade verlassen hatten. Die City Hall, das Rathaus von New York City. Der Clan hatte sich unter der City Hall versammelt.

Schnell liefen sie die Stufen hinunter, überquerten den Vorplatz und steuerten auf die Straße zu. Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie bereits den Lärm der Vampire hinter sich hörten, die durch die Tür brachen.

Caitlin und ihr Begleiter strebten auf ein großes Eisentor zu, das von zwei Sicherheitsleuten flankiert wurde. Die Sicherheitsleute drehten sich um und sahen zwei Personen auf das Tor zurennen. Verblüfft rissen sie die Augen auf und griffen nach ihren Waffen.

»Keine Bewegung!«, schrien sie.

Doch noch bevor sie überhaupt reagieren konnten, packte der Vampir Caitlin, machte drei große Sätze und sprang. Sie flogen durch die Luft – drei Meter, fünf Meter –, ließen das Eisentor hinter sich und landeten elegant auf der anderen Seite.

Sofort stürmten sie weiter. Verblüfft sah Caitlin ihren Beschützer an und fragte sich, wie groß seine Macht sein mochte. Warum kümmerte er sich um sie? Warum fühlte sie sich an seiner Seite so wohl?

Mehr Zeit zum Nachdenken blieb ihr jedoch nicht, denn hinter ihnen ging Metall zu Bruch, und Schüsse waren zu hören. Die anderen Vampire hatten das Tor durchbrochen und die Wachmänner einfach überrannt. Sie waren schon wieder dicht hinter ihnen.

Caitlin und ihr Begleiter rannten und rannten, aber es reichte nicht. Die Meute rückte immer näher.

Plötzlich ergriff er ihre Hand und bog mit ihr um eine Ecke. Sie liefen eine Seitenstraße entlang, die vor einer Mauer endete.

»Dort gibt es keinen Durchgang!«, schrie sie, aber er rannte einfach weiter und zog sie mit sich.

Als sie das Ende der Straße erreichten, kniete er sich hin und öffnete mit einem Finger den großen Eisendeckel eines Kanalisationsschachtes.

Sie drehte sich noch einmal um und sah eine große Gruppe Vampire auf sie zukommen. Sie waren nur noch knapp zehn Meter entfernt.

»Los!«, brüllte er, und bevor sie reagieren konnte, hatte er sie schon in den Schacht geschoben.

Sie hielt sich an der Leiter fest und sah noch oben. Er nahm den Kanaldeckel als Schutzschild und bereitete sich auf den Ansturm vor.

Dann fiel die Meute über ihn her. Er schwenkte den schweren Deckel. Sie hörte, wie er einen Vampir nach dem anderen niederschlug. Offenbar versuchte er, zu ihr zu gelangen und ebenfalls in das Loch zu klettern, aber er schaffte es nicht. Er war komplett eingekreist.

Als sie gerade wieder hinaufklettern wollte, um ihm zu helfen, löste sich einer der Vampire aus der Gruppe und schlüpfte in das Loch. Er entdeckte Caitlin, fauchte und kam direkt auf sie zu.

Sie hastete die Leiter hinunter und nahm immer zwei Sprossen auf einmal, aber sie war nicht schnell genug. Er sprang sie an, und sie stürzten beide in die Tiefe.

Während des Sturzes bereitete sie sich auf den Aufprall vor. Glücklicherweise landeten sie im Wasser.

Als sie aufstand, stellte sie fest, dass sie bis zur Taille in schmutzigem Abwasser stand.

Im selben Augenblick landete der Vampir mit einem lauten Platschen neben ihr. Er holte aus und schlug ihr ins Gesicht, sodass sie mehrere Schritte rückwärtstaumelte.

Sie sah, dass er wieder zuschlagen wollte, diesmal gegen ihren Hals. Gerade noch rechtzeitig warf sie sich zur Seite. Er war schnell, aber das war sie auch.

Er strauchelte und fiel ins Wasser. Sofort sprang er wieder auf, wirbelte herum und nahm eine Angriffsposition ein. Offenbar wollte er ihr mit der rechten Hand das Gesicht zerkratzen, doch sie wich aus. Er verfehlte sie nur ganz knapp; sie spürte noch den Luftzug an ihrer rechten Wange. Seine Hand traf die Wand mit einer solchen Kraft, dass sie sich in die Mauer bohrte.

Caitlin war jetzt sauer. Glühender Zorn pulsierte in ihren Adern. Sie ging zu dem feststeckenden Vampir, holte mit dem Fuß aus und trat ihn kraftvoll in den Bauch. Er krümmte sich zusammen.

Dann umfasste sie ihn von hinten und warf ihn mit dem Gesicht zuerst gegen die Wand. Sein Kopf prallte gegen den Stein. Sie war stolz auf sich und dachte, sie hätte ihn erledigt.

Doch ein plötzlicher Schmerz im Gesicht belehrte sie eines Besseren. Der Vampir hatte sich schnell erholt – schneller, als sie es für möglich gehalten hätte – und versetzte ihr erneut einen Schlag. Diesmal sprang er sie an, landete mit einem lauten Krachen auf ihr und brachte sie zu Fall. Sie hatte ihn unterschätzt.

Seine Hand lag an ihrer Kehle. Sie war zwar stark, aber er war stärker – durch seine Adern floss sehr alte Kraft. Seine Hand war kalt und feucht. Sie versuchte, ihn abzuwehren, aber es gelang ihr nicht. Schließlich sank sie auf die Knie, und er drückte zu. Ehe sie sich versah, drückte er ihren Kopf unter Wasser. Im letzten Moment gelang es ihr noch, um Hilfe zu rufen.

Eine Sekunde später tauchte ihr Kopf unter.

* * *

Caitlin spürte unter Wasser eine Bewegung und wusste, dass noch jemand anders ins Wasser gesprungen war. Sie litt unter Sauerstoffmangel und konnte sich nicht wehren.

Starke Arme hoben sie aus dem Wasser.

Sie sprang auf und schnappte nach Luft. Sie atmete tief ein, wieder und wieder.

»Bist du okay?«, fragte er und hielt sie an den Schultern fest.

Sie nickte. Mehr brachte sie nicht zustande. Ihr Angreifer trieb auf dem Rücken im Wasser. Blut sickerte aus seinem Hals. Er war tot.

Sie sah ihn an, und seine braunen Augen erwiderten ihren Blick. Er hatte sie gerettet. Schon wieder.

»Wir müssen weiter«, sagte er, nahm ihren Arm und führte sie durch das hüfthohe, schwappende Wasser. »Dieser Kanaldeckel wird sie nicht lange abhalten.«

Wie aufs Stichwort wurde der Deckel über ihnen plötzlich aufgerissen.

Sie rannten los, durchquerten einen Tunnel nach dem anderen und hörten hinter sich Wasser aufspritzen.

Ihr Retter bog scharf um eine Kurve. Hier reichte das Wasser ihnen nur noch bis zu den Knöcheln. Jetzt konnten sie wieder richtig beschleunigen.

Sie bogen in einen weiteren Tunnel ein und fanden sich plötzlich mitten im Versorgungsnetz von New York City wieder. Man sah gigantische Leitungen, die riesige Dampfwolken ausstießen. Die Hitze war unerträglich.

Er führte sie in den nächsten Tunnel, hob sie auf und nahm sie huckepack. Sie schlang ihre Arme um seine Brust. So kletterten sie eine Leiter hinauf. Als sie oben ankamen, schlug er gegen einen Kanaldeckel und warf ihn dann im hohen Bogen aus dem Schacht.

Yaş sınırı:
16+
Litres'teki yayın tarihi:
09 eylül 2019
Hacim:
153 s. 6 illüstrasyon
ISBN:
9781632910486
İndirme biçimi:
Metin
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