Kitabı oku: «Gewandelt », sayfa 5
Sergei sank bewusstlos in seinem Stuhl zusammen, während Caitlin sich mit blutverschmiertem Gesicht aufrichtete und zufrieden lächelte. Sie hatte einen neuen Geschmack entdeckt. Und nichts würde dem je wieder im Wege stehen.
7. Kapitel
Grace O’Reilly, Detective der New Yorker Mordkommission, öffnete die Tür zur Carnegie Hall und wusste sofort, dass es schlimm werden würde. Sie hatte die Presse schon öfter außer Rand und Band erlebt, aber noch nie so wie jetzt. Die Reporter überschlugen sich förmlich und waren ungewöhnlich aggressiv.
»Detective!«
Als sie eintrat, riefen sie wiederholt nach ihr, und Blitzlichter flammten auf.
Als Grace und ihre Beamten durch das Foyer gehen wollten, wichen sie nicht einen Millimeter zur Seite. Grace war vierzig Jahre alt, muskulös und abgebrüht. Sie hatte kurze schwarze Haare und dunkle Augen, und sie war tough. Eigentlich war sie daran gewöhnt, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, aber diesmal war es nicht einfach. Die Reporter witterten eine Riesenstory, und sie würden nicht nachgeben. Das würde der Polizei das Leben deutlich schwerer machen.
Ein junger internationaler Star, der auf dem Zenit seines Ruhms und seiner Macht ermordet wurde, und das mitten in der Carnegie Hall während seines Debüts in den USA … Die ganze Presse war bereits versammelt, um über das Debüt zu berichten. Auch ohne das kleinste Problemchen wären Berichte über seine Darbietung in den Zeitungen überall auf der Welt zu lesen gewesen. Selbst wenn er nur gestolpert und gestürzt wäre oder sich den Fuß verstaucht hätte, wäre die Story auf sämtlichen Titelseiten gelandet.
Und jetzt das! Ermordet. Mitten in dem verdammten Konzert. Nachdem er erst wenige Minuten zuvor gesungen hatte. Das war einfach zu viel. Die Presse hatte sich förmlich darauf gestürzt, und sie würde ganz sicher nicht lockerlassen.
Mehrere Journalisten hielten ihr Mikrofone vors Gesicht.
»Detective Grant! Angeblich soll Sergei von einem wilden Tier umgebracht worden sein. Ist das wahr?«
Sie ignorierte sie alle und setzte die Ellbogen ein, um an ihnen vorbeizugelangen.
»Warum waren die Sicherheitsvorkehrungen in der Carnegie Hall nicht besser, Detective?«, wollte ein anderer Reporter wissen.
Der nächste rief: »Es heißt, man habe es mit einem Serienmörder zu tun. Er wird schon der ‚Beethoven-Schlächter’ genannt. Können Sie dazu Stellung nehmen?«
Als sie endlich die andere Seite des Foyers erreicht hatte, drehte sie sich zu den Journalisten um.
Die Menge wurde still.
»Beethoven-Schlächter?«, wiederholte sie. »Fällt euch denn nichts Besseres ein?«
Bevor die Journalisten weitere Fragen stellen konnten, verließ sie zügig den Raum.
Grace stieg zusammen mit den anderen Kripobeamten die Hintertreppe der Carnegie Hall hinauf. Währenddessen wurde sie von ihren Kollegen mit Informationen versorgt. Aber in Wahrheit hörte sie kaum zu. Sie war müde. Letzte Woche hatte sie gerade mal ihren vierzigsten Geburtstag gefeiert, und sie wusste, dass sie noch nicht so müde hätte sein dürfen. Aber die langen Abende im März mit den ganzen Überstunden hatten sie geschafft, und sie brauchte dringend ein wenig Erholung. Das hier war bereits der dritte Mord in diesem Monat, die Selbstmorde nicht mitgezählt. Sie sehnte sich nach warmem Wetter, nach etwas Grün und nach weichem Sand unter den Füßen. Kurzum: Sie wollte ein anderes Leben.
Als sie den Gang betraten, der zum Backstagebereich führte, warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Ein Uhr nachts. Auch ohne nachzusehen, war ihr klar, dass die Spuren am Tatort inzwischen verdorben waren. Warum nur hatte man sie nicht früher geholt?
Sie hätte heiraten sollen, wie ihre Mutter es ihr geraten hatte. Damals, mit dreißig. Zu der Zeit hatte sie einen Freund gehabt. Er war nicht perfekt gewesen, aber es hätte klappen können. Doch sie hatte sich an ihre Karriere geklammert, genau wie ihr Vater. Sie hatte gedacht, das sei es, was ihr Vater wollte. Inzwischen war ihr Vater tot, und sie hatte nie wirklich herausgefunden, was er wollte. Sie war müde. Und einsam.
»Keine Zeugen«, sagte einer der Beamten, die sie begleiteten. »Die Gerichtsmedizin meint, es wäre zwischen 22:15 Uhr und 22:28 Uhr passiert. Es gibt keine Anzeichen für einen Kampf.«
Grace gefiel dieser Tatort nicht. Zu viele Leute waren in die Ermittlungen involviert, und zu viele waren vor ihr hier gewesen. Jeder Schritt, den sie unternahm, würde genau beobachtet werden. Und gleichgültig, wie großartig die Ermittlungsarbeit war, die sie leisten würde – den Verdienst würde sich schlussendlich jemand anders auf die Fahnen schreiben. Zu viele Abteilungen waren involviert, und das bedeutete strategische Verwicklungen.
Schließlich ließ sie die letzten Reporter hinter sich und betrat den abgesperrten Bereich, zu dem nur ausgewählte Beamte Zutritt hatten. Als sie den Flur dort entlangging, wurde es endlich ruhiger. Endlich konnte sie wieder in Ruhe nachdenken.
Die Tür zu seiner Garderobe war angelehnt. Sie streifte sich Latexhandschuhe über und schob die Tür vorsichtig ganz auf.
In ihren zwanzig Dienstjahren bei der Polizei hatte sie schon alles erlebt. Sie hatte Leichen gesehen, die auf jede erdenkliche Art und Weise umgebracht worden waren, selbst auf Arten, die sie sich in ihren schlimmsten Albträumen nicht hätte vorstellen können. Aber so etwas hatte sie noch nie gesehen.
Nicht, weil das hier besonders blutig gewesen wäre. Nicht, weil schreckliche Gewalt angewendet worden wäre. Nein, es war etwas anderes. Etwas Unwirkliches. Es war zu ruhig. Alles war in perfekter Ordnung. Alles außer der Leiche natürlich. Der Tote saß zusammengesunken in seinem Stuhl, sein Hals war entblößt. Und dort waren zwei vollkommene Löcher zu sehen, direkt in seiner Halsschlagader.
Kein Blut. Keine Kampfspuren. Keine zerrissene Kleidung. Alles war sauber und ordentlich. Es war, als hätte eine Fledermaus sein Blut ausgesaugt und wäre dann davongeflogen, ohne etwas zu berühren. Es war gespenstisch und absolut Grauen erregend. Wäre seine Haut nicht so weiß gewesen, hätte man geglaubt, dass er noch lebte und nur ein Nickerchen hielt. Sie war sogar versucht, zu ihm zu gehen und nach seinem Puls zu suchen. Aber ihr war klar, wie dumm das gewesen wäre.
Sergei Rakow. Er war zwar noch jung, aber nach dem, was sie gehört hatte, ein arrogantes Arschloch gewesen. Konnte er also bereits Feinde gehabt haben?
Wer zum Teufel konnte das getan haben? Ein Tier? Ein Mensch? Eine neuartige Waffe? Oder war er es selbst gewesen?
»Der Angriffswinkel schließt Selbstmord als Todesursache aus«, erklärte Detective Ramos. Er stand mit seinem Notizblock neben ihr und las – wie immer – ihre Gedanken.
»Ich will alles wissen, was wir über ihn in Erfahrung bringen können«, forderte sie. »Ich will wissen, wem er Geld schuldete. Ich will wissen, wer seine Feinde waren – ich will wissen, wer seine Exfreundin und wer seine zukünftige Ehefrau war. Ich will alles. Vielleicht ist er den falschen Leuten auf die Zehen getreten.«
»Ja, wird erledigt«, antwortete Ramos und eilte aus dem Zimmer.
Warum wohl würde jemand genau diesen Zeitpunkt auswählen, um ihn zu ermorden? Warum während der Pause? Steckte da eine Botschaft dahinter?
Langsam ging sie durch den mit dickem Teppich ausgelegten Raum und betrachtete den toten Sänger aus jeder möglichen Perspektive. Er hatte lange, gewellte schwarze Haare und war auffallend attraktiv, sogar tot. Was für eine Verschwendung.
Just in dem Moment, als sie das dachte, wurde es plötzlich laut im Raum. Alle Polizisten drehten sich gleichzeitig um. Ein kleiner Fernseher in der Ecke hatte sich eingeschaltet. Er zeigte Aufnahmen des Konzerts vom heutigen Abend. Beethovens Neunte erfüllte das Zimmer.
Einer der Beamten ging Richtung Fernseher, um ihn abzuschalten.
»Nicht«, befahl sie.
Er blieb stehen.
»Ich möchte das gerne hören.«
Sie starrte Sergei an und lauschte seiner Stimme. Der Stimme des Mannes, der vor nur wenigen Stunden noch gelebt hatte. Es war gespenstisch.
Noch einmal umkreiste Grace den Raum. Diesmal kniete sie sich hin.
»Wir haben bereits das ganze Zimmer untersucht«, versicherte ein FBI-Agent ungeduldig.
Doch da entdeckte sie etwas aus dem Augenwinkel. Sie schob die Hand weit unter den Sessel. Dann reckte sie den Hals und drehte den Arm zur Seite.
Schließlich fand sie, was sie gesucht hatte. Mit rotem Kopf stand sie auf und hielt ein kleines Stück Papier hoch.
Die Polizisten starrten sie an.
»Der Rest einer Eintrittskarte«, sagte sie, nachdem sie den Papierfetzen mit ihrer behandschuhten Hand untersucht hatte. »Rechter Balkon, Sitz drei. Vom heutigen Konzert.«
Sie blickte auf und sah die Polizisten ernst an. Ausdruckslos erwiderten sie ihren Blick.
»Glauben Sie, das Ticket hat dem Mörder gehört?«, fragte schließlich einer.
»Nun, eins ist mal sicher«, antwortete sie und warf einen letzten Blick auf den toten russischen Opernstar. »Ihm gehörte es nicht.«
* * *
Kyle stolzierte über den roten Teppich den Gang entlang und bahnte sich mühelos einen Weg durch das Gedränge. Wie immer war er schlecht gelaunt. Er hasste Menschenansammlungen, und er hasste die Carnegie Hall. Irgendwann um 1890 herum hatte er hier einmal ein Konzert besucht, und es war nicht gut gelaufen. Er war sehr nachtragend.
Der hohe schwarze Kragen seines Mantels verdeckte seinen Nacken und rahmte sein Gesicht ein. Er marschierte einen Gang entlang, und sämtliche Leute machten ihm Platz. Polizeibeamte, Sicherheitsleute, Presseagenten – alle bildeten eine Gasse für ihn.
Menschen sind so leicht zu kontrollieren, dachte er. Ein kleines bisschen mentale Beeinflussung – und schon hasten sie aus dem Weg wie dumme Schafe.
Kyle war ein Vampir aus dem Blacktide Clan und hatte in seinen mehr als dreitausend Jahren schon alles erlebt, was man nur erleben konnte. Er war dabei gewesen, als Christus ermordet wurde. Er war Zeuge der Französischen Revolution gewesen. Er hatte miterlebt, wie sich die Pocken in Europa ausbreiteten – er hatte sogar mit dazu beigetragen. Es gab eigentlich nichts mehr, was ihn noch überraschen konnte.
Aber diese Nacht überraschte ihn. Und er mochte keine Überraschungen.
Normalerweise würde er einfach seine stattliche Erscheinung für sich sprechen lassen und sich einen Weg durch die Menge bahnen. Trotz seines Alters sah er jung und attraktiv aus, und die Leute machten ihm üblicherweise gerne Platz. Aber dafür hatte er heute Nacht keine Geduld, schon gar nicht unter den gegebenen Umständen. Schließlich gab es dringende Fragen, auf die er noch keine Antwort hatte.
Welcher Vampir wäre so waghalsig, in der Öffentlichkeit einen Menschen zu töten? Wer würde sich für eine solche Weise entscheiden, bei der die Leiche unweigerlich gefunden werden musste? Es verstieß gegen jegliche Regel ihrer Art. Gleichgültig, ob man zu den Guten oder zu den Bösen zählte, diese Grenze überschritt man einfach nicht. Niemand wollte, dass diese Art von Aufmerksamkeit auf die Vampire gelenkt wurde. Es handelte sich um einen Verstoß gegen ihre Überzeugung, für den es nur eine mögliche Bestrafung gab, nämlich den Tod. Einen langsamen, qualvollen Tod.
Wer wäre dreist genug, so etwas zu tun? So viel unerwünschte Aufmerksamkeit bei Presse, Politik und Polizei zu erregen? Und was noch schlimmer war, das Ganze auf dem Territorium seines Clans zu tun? Es warf ein schlechtes Licht auf seinen Clan – schlimmer als schlecht. Es ließ sie wehrlos aussehen. Alle Vampire würden zusammenkommen und seinen Clan dafür verantwortlich machen. Und wenn sie diesen aus der Art geschlagenen Vampir nicht finden könnten, würde das Krieg bedeuten. Krieg zu einer Zeit, zu der sie es sich nicht leisten konnten, weil sie gerade dabei waren, ihren Masterplan in die Tat umzusetzen.
Kyle ging an einer Polizistin vorbei, und sie stießen heftig zusammen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, drehte sie sich auch noch um und starrte ihn an. Er war überrascht. Kein anderer Mensch in dieser Menge besaß die mentale Stärke, ihn überhaupt wahrzunehmen. Sie musste stärker sein als die anderen. Entweder das, oder er wurde allmählich nachlässig.
Er verdoppelte seine mentale Kraft und richtete sie auf die Frau. Schließlich schüttelte sie den Kopf, wandte sich ab und ging weiter. Er würde sie im Auge behalten müssen. Schnell warf er einen Blick auf ihr Namensschild. Detective Grace Grant. Sie könnte vielleicht zu einem Problem werden.
Kyle setzte seinen Weg fort und eilte an weiteren Reportern vorbei, ignorierte das Absperrband und stieß auf eine Gruppe von FBI-Agenten. Dann erreichte er die offen stehende Tür und blickte in den Raum. Dort befanden sich weitere FBI-Agenten sowie ein Mann in einem teuren Anzug. Sein unruhiger Blick und sein ehrgeiziges Aussehen ließen Kyle vermuten, dass er Politiker war.
»Die russische Botschaft ist nicht erfreut«, fauchte er den verantwortlichen FBI-Agenten an. »Ihnen ist sicher klar, dass das nicht nur eine Angelegenheit der New Yorker Polizei oder der amerikanischen Regierung ist. Sergei war ein Star unter den Sängern unseres Landes. Seine Ermordung muss als Affront gegenüber Russland betrachtet werden …«
Kyle hob die Hand und brachte den Politiker mit seiner Willenskraft zum Schweigen. Er hasste es, Politikern zuzuhören, und speziell von diesem hier hatte er schon mehr als genug gehört. Außerdem hasste er Russen. Eigentlich hasste er fast alles. Aber heute Nacht erreichte sein Hass eine neue Dimension. Beinah hätte seine Ungeduld ihn überwältigt.
Niemand der Anwesenden schien zu bemerken, dass Kyle den Politiker zum Schweigen gebracht hatte, nicht einmal der Politiker selbst. Vielleicht waren sie auch dankbar. Auf jeden Fall stellte Kyle sich an eine Wand und setzte erneut seine mentale Kraft ein. Diesmal, um dafür zu sorgen, dass alle den Raum verließen.
»Ich würde vorschlagen, dass wir eine kurze Kaffeepause einlegen«, sagte der verantwortliche FBI-Agent auf einmal. »Damit wir wieder einen klaren Kopf bekommen.«
Alle nickten zustimmend und verließen fluchtartig das Zimmer, als wäre es das Normalste von der Welt. Zuletzt sorgte Kyle noch dafür, dass sie die Tür hinter sich schlossen. Er hasste den Klang menschlicher Stimmen, und gerade jetzt wollte er sie nicht hören.
Kyle atmete tief ein. Da er nun endlich allein war, konnte er seine Gedanken voll und ganz auf diesen Menschen konzentrieren. Er ging dicht an Sergei heran und zog ihm den Kragen zurück, um die Bissspuren betrachten zu können. Dann legte er zwei seiner blassen, kalten Finger in die Wunden. Anschließend hielt er sie in die Höhe und schätzte den Abstand zwischen ihnen ab.
Eine kleinere Bissspur, als er vermutet hätte. Es war also eine Sie; der aus der Art geschlagene Vampir war weiblich. Und jung: Die Zähne waren nicht besonders lang.
Er legte die Finger wieder über die Bissspuren und schloss die Augen. Auf diese Weise versuchte er, die Herkunft des Blutes und die Herkunft des Vampirs, der zugebissen hatte, zu erfühlen. Schließlich riss er erschreckt die Augen auf. Schnell zog er die Finger zurück. Was er gefühlt hatte, gefiel ihm nicht, denn er konnte es nicht deuten. Es handelte sich definitiv um einen aus der Art geschlagenen Vampir. Sie gehörte weder zu seinem Clan noch zu irgendeinem Clan, den er kannte. Was ihn jedoch noch mehr beunruhigte, war die Tatsache, dass er nicht herausfinden konnte, zu welcher Vampirspezies sie überhaupt gehörte. Das war ihm in den dreitausend Jahren noch nie passiert.
Er hielt sich die Finger unter die Nase und roch daran. Ihr Geruch überwältigte ihn. Normalerweise würde das ausreichen – er wüsste ganz genau, wo sie zu finden wäre. Aber in diesem Fall war er ratlos. Irgendetwas verschleierte seinen Blick.
Er runzelte die Stirn. Sie hatten keine Wahl. Sie mussten sich auf die Polizei verlassen. Seine Vorgesetzten würden nicht gerade erfreut sein.
Kyle war jetzt noch schlechter gelaunt als vorher, falls das überhaupt möglich war. Er starrte Sergei an und überlegte, was er mit ihm tun sollte. In einigen Stunden würde er erwachen – ein weiterer Vampir ohne Clan, der frei herumlief. Er könnte kurzen Prozess machen und ihn auf der Stelle endgültig umbringen. Das würde ihm sogar Spaß machen, und die Vampire brauchten wohl kaum Nachwuchs.
Aber damit würde er Sergei ein großes Geschenk machen. Er müsste nicht die Unsterblichkeit ertragen, nicht Tausende von Jahren des Weiterlebens und der Verzweiflung erdulden, all die endlosen Nächte … Nein, das wäre zu freundlich. Warum sollte Sergei nicht lieber mit ihm gemeinsam leiden?
Er dachte darüber nach. Ein Opernsänger. Sein Clan hätte sicher Spaß an ihm. Dieser kleine russische Junge könnte sie unterhalten, wenn ihnen danach war. Er würde ihm mitnehmen. Ihn verwandeln. Damit hätte er einen weiteren Schützling, der ihm zur Verfügung stünde.
Außerdem könnte Sergei ihm helfen, sie zu finden. Ihre Witterung befand sich jetzt in seinem Blut. Er konnte sie zu ihr führen. Und dann würden sie sie leiden lassen.
8. Kapitel
Der brennende Schmerz weckte Caitlin. Ihre Haut fühlte sich an, als stünde sie in Flammen, und als sie die Augen aufschlagen wollte, schoss ein stechender Schmerz durch ihren Kopf. Eine Explosion in ihrem Schädel.
Also hielt sie die Augen geschlossen und tastete mit den Händen ihre Umgebung ab. Sie lag auf irgendetwas. Es war weich, aber trotzdem fest. Eine Matratze konnte es nicht sein. Sie fuhr mit den Fingern daran entlang. Es fühlte sich wie Plastik an.
Wieder öffnete Caitlin die Augen, ganz langsam diesmal, und blickte flüchtig an sich herunter. Plastik. Schwarzes Plastik. Und dieser Gestank! Was war das? Sie drehte den Kopf ein wenig, machte die Augen weiter auf, und dann begriff sie es: Sie lag auf Müllsäcken. Angestrengt reckte sie den Kopf. Sie war in einem Müllcontainer.
Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Ihr Kopf und ihr Nacken schmerzten höllisch. Der Gestank war unerträglich. Inzwischen waren ihre Augen ganz geöffnet, und sie sah sich entsetzt um. Wie zum Teufel war sie hier gelandet?
Sie rieb sich die Stirn und versuchte zu rekonstruieren, wie sie hierher gekommen war. Doch sie hatte keinen Erfolg. Also versuchte sie, sich an den Vorabend zu erinnern. Mithilfe ihrer ganzen Willenskraft beschwor sie die Erinnerung herauf. Langsam kam alles zurück …
Der Streit mit ihrer Mutter. Die U-Bahn. Die Verabredung mit Jonah. Die Carnegie Hall. Das Konzert. Und dann … dann …
Der Hunger. Das heftige Verlangen. Genau, das Verlangen. Sie hatte Jonah verlassen. War hinausgeeilt. Durch die Gänge gestreift. Und dann … Leere. Nichts.
Wohin war sie gegangen? Was hatte sie getan? Und wie war sie nur hierher gelangt? Hatte Jonah sie etwa unter Drogen gesetzt? Hatte er sie missbraucht und dann hier abgelegt?
Das konnte sie sich nicht vorstellen. Er war nicht der Typ für so etwas. Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war, dass sie allein durch die Gänge gestreift war. Sie hatte Jonah weit hinter sich gelassen. Nein. Er konnte nichts damit zu tun haben.
Aber was war dann passiert?
Caitlin kniete sich langsam hin, doch einer ihrer Füße rutschte zwischen zwei Säcke, und sie sank tiefer in den Container. Schnell zog sie den Fuß heraus und fand wieder festen Halt, wobei die Plastikflaschen in dem Sack laut knirschten.
Der Metalldeckel des Containers stand offen. Hatte sie ihn letzte Nacht geöffnet und war hineingeklettert? Warum hätte sie das tun sollen? Sie streckte den Arm in die Höhe und schaffte es geradeso eben, die Metallstange am oberen Rand zu packen. Sie hatte Bedenken, ob sie genug Kraft haben würde, um sich herauszuziehen.
Aber als sie es versuchte, stellte sie verblüfft fest, wie einfach es war: eine anmutige Bewegung, und schon schwang sie die Beine über den Rand, ließ sich fallen und landete auf dem Asphalt. Zu ihrem Erstaunen war ihre Landung sanft und anmutig, und sie spürte fast nichts davon. Was geschah bloß mit ihr?
In dem Moment, als Caitlin auf dem Bürgersteig landete – mitten in New York City –, ging ein gut gekleidetes Paar vorüber. Die beiden erschraken heftig. Sie drehten sich um und starrten sie peinlich berührt an – anscheinend konnten sie nicht verstehen, warum ein Mädchen im Teenageralter aus einem großen Müllcontainer sprang. Sie warfen ihr einen ausgesprochen seltsamen Blick zu und beschleunigten ihren Schritt, um so schnell wie möglich von ihr wegzukommen.
Caitlin konnte es ihnen nicht verübeln. Wahrscheinlich hätte sie es genauso gemacht. Sie sah an sich herunter. Noch immer trug sie ihre Abendgarderobe von gestern, aber inzwischen war sie völlig verschmutzt und mit Müll bedeckt. Außerdem stank sie. Sie klopfte den Schmutz so gut es ging ab.
Dabei tastete sie schnell ihre Taschen ab. Kein Handy. Ihre Gedanken rasten, als sie sich zu erinnern versuchte, ob sie es aus der Wohnung mitgenommen hatte.
Nein. Sie hatte es in ihrem Zimmer zurückgelassen, auf der Ecke ihres Schreibtischs. Eigentlich hatte sie vorgehabt, es mitzunehmen, aber ihre Mom hatte sie so aus der Fassung gebracht, dass sie es vergessen hatte. Mist! Ihr Tagebuch hatte sie auch liegen lassen. Und sie brauchte beides. Außerdem musste sie dringend duschen und sich umziehen.
Caitlin warf einen Blick auf ihr Handgelenk, aber ihre Uhr war verschwunden. Sie musste sie irgendwann im Laufe der Nacht verloren haben. Vorsichtig machte sie einen Schritt auf den belebten Gehsteig. Aber die Sonne schien ihr direkt ins Gesicht, und sofort breitete sich Schmerz hinter ihrer Stirn aus.
Schnell trat sie in den Schatten zurück. Sie hatte keine Ahnung, was mit ihr los war. Zum Glück war es bereits später Nachmittag. Hoffentlich ging dieser Kater – oder was auch immer es war – schnell vorüber.
Sie versuchte darüber nachzudenken, wohin sie gehen konnte. Am liebsten hätte sie Jonah angerufen. Das war verrückt, schließlich kannte sie ihn kaum. Und nach letzter Nacht – was auch immer sie getan haben mochte – wollte er sie bestimmt nie wieder sehen. Aber trotzdem war er der Erste, der ihr in den Sinn kam. Sie wollte seine Stimme hören und bei ihm sein. Nicht zuletzt deshalb, weil sie ihn brauchte, um ihre Gedächtnislücken zu schließen. Sie wollte unbedingt mit ihm reden. Und dafür brauchte sie ihr Telefon.
Also würde sie ein letztes Mal nach Hause gehen, ihr Handy und ihr Tagebuch holen und sofort wieder verschwinden. Sie betete, dass ihre Mutter nicht zu Hause wäre. Vielleicht war das Glück ja ausnahmsweise mal auf ihrer Seite.
* * *
Caitlin stand vor dem Gebäude und betrachtete es mit einem unguten Gefühl. Die Sonne ging unter, und das Licht störte sie nicht mehr so sehr. Vielmehr fühlte sie sich mit jeder Stunde, die die Nacht näher rückte, stärker.
Mit Lichtgeschwindigkeit sprang sie die Treppen in den fünften Stock hinauf und überraschte sich selbst. Obwohl sie immer drei Stufen auf einmal nahm, waren ihre Beine kein bisschen müde. Sie konnte sich nicht erklären, was mit ihrem Körper vor sich ging. Doch was es auch sein mochte, es gefiel ihr sehr!
Ihre gute Laune verschwand, als sie sich der Wohnungstür näherte. Ihr Herz begann zu hämmern. Sie fragte sich, ob ihre Mom wohl zu Hause war. Wie würde sie reagieren?
Aber als sie die Hand nach dem Knauf ausstreckte, stellte sie erstaunt fest, dass die Tür bereits offen und nur leicht angelehnt war. Ihre ungute Vorahnung verstärkte sich. Warum stand die Tür offen?
Zögernd betrat Caitlin das Apartment. Der Holzboden unter ihren Füßen knarrte. Langsam ging sie durch den Flur ins Wohnzimmer.
Als sie den Raum betrat, drehte sie den Kopf zur Seite – und schlug sofort entsetzt die Hand vor den Mund. Schlagartig wurde ihr übel. Sie wandte sich ab und übergab sich.
Es war ihre Mom. Sie lag mit offenen Augen auf dem Boden. Tot. Ihre Mutter. Tot. Aber wie war das passiert?
Blut sickerte aus ihrem Hals und bildete eine kleine Pfütze auf dem Fußboden. Das konnte ihre Mutter auf keinen Fall selbst getan haben. Sie war ermordet worden. Aber wie? Und von wem? So sehr sie ihre Mutter auch hasste, ein derartiges Ende hätte sie ihr nie gewünscht.
Das Blut war noch frisch, und Caitlin begriff auf einmal, dass es gerade erst geschehen sein musste. Die offene Tür … War jemand eingebrochen?
Schnell drehte sie sich einmal im Kreis und sah sich um. Sie spürte, wie sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Befand sich außer ihr noch jemand in der Wohnung?
Wie um ihre unausgesprochene Frage zu beantworten, tauchten genau in diesem Moment drei Personen aus dem anderen Zimmer auf. Sie waren von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet. Ungezwungen spazierten sie ins Wohnzimmer und kamen auf Caitlin zu. Drei Männer. Es war schwer zu sagen, wie alt sie waren – sie wirkten irgendwie alterslos –, vielleicht Ende zwanzig. Alle drei waren gut gebaut. Muskulös. Kein Gramm Fett. Gepflegt. Und sehr, sehr blass.
Einer von ihnen trat vor.
Voller Angst ging Caitlin einen Schritt zurück. Sie empfand Grauen. Sie verstand nicht, warum, aber sie konnte die Energie dieses Mannes spüren. Und diese Energie war ausgesprochen negativ.
»So«, sagte der Anführer mit tiefer, böser Stimme. »Jetzt ist es Zeit für unsere Rache.«
»Wer sind Sie?«, fragte Caitlin und bewegte sich weiter rückwärts. Dabei suchte sie den Raum nach einer Waffe ab. Nach etwas, was man als Schlagstock verwenden konnte. Sie überlegte, welche Möglichkeiten zur Flucht sie hatte. Das Fenster hinter ihr. Gab es dort draußen eine Feuertreppe?
»Das ist genau die Frage, die wir eigentlich dir stellen wollten«, antwortete der Mann. »Deine Menschenfreundin hatte keine Antwort darauf«, fügte er hinzu und deutete auf die Leiche ihrer Mom. »Hoffentlich hast du eine.«
Menschenfreundin? Wovon redete dieser Typ?
Caitlin zog sich weiter zurück. Sie hatte nicht mehr viel Bewegungsspielraum, denn sie hatte schon beinahe die Wand erreicht. Jetzt erinnerte sie sich wieder: Das Fenster hinter ihr zeigte tatsächlich auf eine Feuertreppe. An ihrem ersten Tag in der Wohnung hatte sie auf der Leiter gesessen. Zwar war sie verrostet und altersschwach, aber sie schien noch zu funktionieren.
»Das war ein ganz schönes Fressen in der Carnegie Hall«, fuhr der Mann fort. Schritt für Schritt kamen die drei näher. »Sehr dramatisch.«
Verzweifelt durchforstete Caitlin ihr Gedächtnis.
Fressen? So sehr sie sich auch bemühte, sie hatte absolut keine Ahnung, wovon er redete.
»Warum in der Pause?«, wollte er wissen. »Welche Botschaft wolltest du damit vermitteln?«
Jetzt hatte sie die Wand erreicht und konnte nicht mehr weiter. Die Männer kamen noch einen Schritt näher. Caitlin war sich sicher, sie würden sie töten, wenn sie ihnen nicht sagte, was sie wissen wollten.
Sie dachte scharf nach. Botschaft? Pause? Plötzlich erinnerte sie sich, durch die Gänge gelaufen zu sein, über teppichbedeckte Flure, von Raum zu Raum. Sie hatte etwas gesucht. Ja, allmählich kehrte die Erinnerung zurück. Dort war eine offene Tür gewesen. Eine Garderobe. Ein Mann. Er hatte zu ihr aufgesehen. In seinen Augen hatte Furcht gestanden. Und dann …
»Du warst in unserem Revier«, erklärte er, »und du kennst die Regeln. Dafür wirst du dich verantworten müssen.«
Sie kamen noch näher.
Bumm!
Genau in dem Augenblick flog die Wohnungstür auf, und mehrere uniformierte Polizisten stürmten herein, ihre Waffen im Anschlag.
»Keine Bewegung, ihr Wichser!«, brüllte ein Cop.
Die drei wandten sich um und starrten die Polizisten an.
Dann spazierten sie langsam und völlig furchtlos auf sie zu.
»Ich habe gesagt: KEINE BEWEGUNG!«
Doch der Anführer ging einfach weiter, und der Polizist schoss. Der Lärm war ohrenbetäubend.
Aber verblüffenderweise blieb der Mann nicht stehen. Er grinste nur noch breiter, streckte einfach die Hand aus und fing die Kugel im Flug auf. Caitlin beobachtete schockiert, wie er sie mit der bloßen Hand stoppte. Dann ballte er langsam eine Faust und zerquetschte die Kugel. Als er die Hand öffnete, rieselte der Staub langsam zu Boden.
Die Polizisten sahen starr vor Schreck zu, ihre Münder standen vor Staunen weit offen.
Der Anführer streckte die Hand aus und nahm dem Polizisten die Waffe ab. Dann schlug er damit mitten in sein Gesicht. Der Mann flog rückwärts und riss dabei mehrere seiner Männer mit.
Caitlin hatte genug gesehen.
Ohne zu zögern, drehte sie sich um, öffnete das Fenster und kletterte hinaus. Sie sprang auf die Feuertreppe und raste die wackeligen, verrosteten Stufen hinunter.
Sie nahm rasant die Kurven und bewegte sich, so schnell sie konnte. Die alte Feuertreppe war wahrscheinlich seit Jahren nicht mehr benutzt worden, und als sie um eine Ecke bog, gab eine Stufe nach. Sie rutschte ab und schrie auf, fing sich aber sofort wieder. Obwohl die ganze Fluchttreppe wackelte und schwankte, hielt sie.
Als sie drei Stockwerke zurückgelegt hatte, hörte sie Lärm von oben. Sie blickte auf und sah die drei Männer auf die Feuertreppe springen. Sie kletterten unglaublich schnell hinunter. Viel schneller als Caitlin. Sie beeilte sich noch mehr.
Als sie den ersten Stock stellte sie fest, dass es hier nicht weiterging; bis zum Gehsteig fehlten fast fünf Meter. Sie drehte sich um und sah die Männer näher kommen. Dann schaute sie wieder nach unten. Es gab keine Alternative. Sie sprang.
Caitlin machte sich auf einen harten Aufprall gefasst und rechnete mit dem Schlimmsten. Aber zu ihrer Überraschung landete sie geschmeidig wie eine Katze auf den Füßen, fast ohne sich wehzutun. Sie sprintete los und war zuversichtlich, dass sie ihre Verfolger, wer auch immer sie sein mochten, weit hinter sich lassen konnte.
Als sie binnen Sekunden das Ende des Häuserblocks erreicht hatte, staunte sie über ihre unglaubliche Geschwindigkeit und warf einen kurzen Blick zurück. Sie erwartete, die Männer irgendwo in der Ferne zu sehen.
Verblüfft registrierte sie, dass sie ihr ganz dicht auf den Fersen waren. Wie war das nur möglich?
Bevor sie diesen Gedanken zu Ende verfolgen konnte, stürzten sie sich schon auf sie, und sie wurde zu Boden gedrückt.
Caitlin musste ihre ganze neu gewonnene Kraft aufwenden, um ihre Angreifer abzuwehren. Sie rammte einen von ihnen mit dem Ellbogen und war freudig überrascht, als er rückwärtsstolperte. Ermutigt wandte sie sich dem nächsten Angreifer zu und freute sich, als sie auch ihn ein paar Meter durch die Luft schleudern konnte.
Doch dann stürzte sich der Anführer auf sie und begann, sie zu würgen. Er war stärker als die anderen. Sie sah in seine großen, rabenschwarzen Augen und hatte das Gefühl, einem Hai in die Augen zu blicken. Seine Augen waren seelenlos und leer. Es war der Blick des Todes.